Pauka, Marc, Kultur, Fortschritt und Reziprozität. Die Begriffsgeschichte des zivilisierten Staates im Völkerrecht (= Rheinische Schriften zur Rechtsgeschichte 16). Nomos, Baden-Baden 2012. 268 S.

 

Die Arbeit ist die von Mathias Schmoeckel angeregte und betreute, im Wintersemester 2011/2012 von der Universität Bonn angenommene, einen Aquin, Thomas von, Hans Kehlsen zu 1959/1960 oder mehrfach einen Gottfried Wilhelm Leibnitz im Literaturverzeichnis aufführende Dissertation des Verfassers. Sie sollte ursprünglich die Zivilisation als völkerrechtliches Konzept „fokussieren“, mit dem die imperialistische Expansion Europas im 19. Jahrhundert legitimiert wurde. Dementsprechend sollte ihr Untersuchungszeitraum mit Henry Wheatons Elements of International Law von 1836 beginnen und spätestens mit dem zweiten Weltkrieg enden.

 

Tatsächlich führte die Beschäftigung mit dem Gegenstand den Verfasser bis in das 16. Jahrhundert zurück. Dementsprechend beginnt nach einer kurzen Einleitung über den Begriff des zivilisierten Staates und das Völkerrecht und seine Vorgangsweise im ersten Teil mit dem Begriff der Zivilisation im spanischen Zeitalter, für das er vor allem (den im Literaturverzeichnis auch über einen bloßen Verweis nicht erkennbaren) Thomas de Vio Cajetanus, Franciscus de Vitoria und Fernando Vazquez untersucht und dabei zur Überzeugung gelangt, dass der Begriff des zivilisierten Staates und damit die Vorstellung der Unterlegenheit etwa der Indianer gegenüber den Spaniern im Völkerrecht nicht (in der zweiten Scholastik) des spanischen Zeitalters entstanden ist. Auf dieser Grundlage schreitet er im zweiten Teil zu Francis Bacon (1561-1626) fort, der nach seiner Erkenntnis 1622 den allgemeinen Begriff des zivilisierten Staates in seinem Dialog über den heiligen Krieg in das Völkerrecht übertragen hat.

 

Für die Blüte des Begriffes zieht er danach in seinem dritten Teil Leibniz, Pufendorf, Textor, Cornelius van Bynkershoek, Christian Wolff, Ludwig von Ompteda, Henry Wheaton, Johann Caspar Bluntschli, Travers Twiss, James Lorimer, Franz von Holtzendorff und Pasquale Fiore als Autoren heran, denen er eigene subjektive Vorstellungen von Zivilisation entnimmt, so dass er einen objektiven Standard der Zivilisation in der Literatur des Völkerrechts nicht ermitteln kann. Im vierten Teil  verfolgt er den Untergang des Begriffs vor allem bei Oswald Spengler, John Westlake, Otfried Nippold, Franz von Liszt, Lassa Oppenheim, Arrigo Cavaglieri, Karl Strupp, Josef L. Kunz, Hersch Lauterpacht und Georg Schwarzenberger. Dabei gelangt er zu der ansprechenden Einsicht, dass Europa mit den beiden Weltkriegen und den dort begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit seine politische Vormachtstellung verlor, womit die Bedeutung des zivilisierten Staates in der völkerrechtlichen Praxis und Literatur endete.

 

Innsbruck                                                        Gerhard Köbler