Neunzehnhundertneunundachtzig (1989) und die Rolle der
Gewalt, hg. v. Sabrow, Martin. Wallstein Verlag Göttingen 2012. 428 S.
Besprochen von Gerhard Köbler.
1989 blieb wider alles Erwarten die Gewalt in der
menschlichen Geschichte an einer hervorgehobenen Stelle aus, so dass sich die
Möglichkeit einer weitgehend gewaltfreien Veränderung in der Form einer
friedlichen Wende ergab. Gut zwanzig Jahre danach setzt sich der vorliegende Sammelband
in rund einem Dutzend Einzelstudien mit wichtigen Aspekten des damaligen
Geschehens auseinander. Herausgegeben ist das Werk von dem in Kiel 1954
geborenen, nach dem Studium von Geschichte, Germanistik und Politikwissenschaft
in Kiel und Marburg 1993 in Freiburg im Breisgau mit einer Dissertation zu
politischen Attentaten in der frühen Weimarer Republik promovierten, 2000 mit
einer Schrift über die Geschichtswissenschaft der Deutschen Demokratischen
Republik zwischen 1949 und 1969 habilitierten und über die Universität Potsdam
2009 an die Humboldt-Universität in Berlin zurückgekehrten Martin Sabrow.
Der Band beginnt mit der deutschen Entwicklung, für die
Jürgen Bergien erklärt, dass die ältere Gewaltbereitschaft aus den früheren
tatsächlichen Auseinandersetzungen mit dem Faschismus rühre, die von den
jüngeren Funktionären nicht mehr selbst miterlebt worden seien. Hinzu kommt
freilich nach Jens Giesecke, dass die Unzufriedenheit der Bevölkerung so weite
Kreise gezogen habe, dass das Ministerium für Staatssicherheit nicht mehr nur
Einzelnen und einzelnen Gruppen gegenüberstand. Beides führte dazu, dass bei
den großen Demonstrationen im Oktober 1989 kein Funktionär den Schießbefehl auf
die Menge mehr wagte.
Bei der außerdeutschen Entwicklung stellt Manfred
Görtemaker naheliegenderweise im Rahmen der Sowjetunion Michael Gorbatschow in
den Mittelpunkt, der sich in den ungeplanten Verlauf seiner
menschenfreundlichen Reformpolitik fügte und ein militärisches Eingreifen aus
Überzeugung ablehnte. Demgegenüber spielte die örtliche Gewalt in Rumänien,
Bulgarien und Jugoslawien keine bedeutsame Rolle mehr. Vielleicht haben sich
insgesamt auch die weltweit unterrichtenden Medien auf den unvorhersehbaren
Gang der Dinge von den Schwertern zu den Scharen nicht unerheblich ausgewirkt.
Innsbruck Gerhard Köbler