Meyer, Beate, Tödliche
Gratwanderung. Die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland zwischen
Hoffnung, Zwang, Selbstbehauptung und Verstrickung (1939-1945) (= Hamburger
Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden 17). Wallstein, Göttingen 2011. 464
S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Die Verfasserin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am
Institut für die Geschichte der deutschen Juden der Universität Hamburg. Sie
wurde in Hamburg 1998 mit einer Dissertation über jüdische Mischlinge -
Rassenpolitik und Verfolgungserfahrung 1933-1945 (Studien zur jüdischen
Geschichte 6, 1999) promoviert. Seitdem hat sie verschiedene Arbeiten zur
jüdischen Geschichte, darunter zahlreiche Stolpersteine, zum Teil allein, zum
Teil mit anderen vorgelegt.
Das religiöse Judentum im Deutschen Reich war bis 1933 in
keiner hierarchischen nationalen Organisation zusammengefasst und hatte
dementsprechend keine einheitliche Interessenvertretung. Als Reaktion auf die judenfeindliche
nationalsozialistische Politik schlossen sich noch vor Oktober 1933 mehrere
religiöse jüdische Verbände zu einer Reichsvertretung der deutschen Juden
zusammen, deren Name im September 1935 in Reichsvertretung der Juden in
Deutschland abgeändert werden musste. Durch ein Gesetz über die
Rechtsverhältnisse der jüdischen Kultusvereinigungen vom 28. März 1938 verloren
die Kultusvereinigungen und ihre Verbände mit Rückwirkung die Stellung als
Körperschaften des öffentlichen Rechtes.
Weil die Mitglieder der jüdischen Religionsgemeinschaft
danach der jeweiligen Gemeinde ausdrücklich beitreten mussten, wurde die
Reichsvertretung 1938 in einen Dachverband mit der Bezeichnung Reichsverband
der Juden in Deutschland umgewandelt, in dem jeder im Deutschen Reich lebende
Angehörige der jüdischen Glaubensgemeinschaft („Glaubensjude“) Pflichtmitglied
war. Nach Umbenennung in Reichsvereinigung der Juden in Deutschland im Februar
1939 wurde diese Interessenvertretung im Juli 1939 unter ihrem bisherigen Namen
gleichgeschaltet und in ein weisungsgebundenes Verwaltungsorgan verwandelt, das
nur noch als Befehlsempfänger des Reichssicherheitshauptamts und ohne
gesichertes Wissen über die nationalsozialistischen Zielsetzungen wirken
konnte. Vor allem an Hand von Selbstzeugnissen führender Vertreter der
Reichsvereinigung, zu denen der am 28. September 1944 in Theresienstadt
erschossene Soziologe Paul Eppstein oder der Theresienstadt mit Hilfe
theologischer Studien überlebende Leo Baeck gehörten, verfolgt die Verfasserin vorsichtig
abwägend die Geschichte der Reichsvereinigung und gelangt zu dem Ergebnis, dass
es zur zwangsläufigen Kooperation von Funktionären mit den Machthabern in Form
von Verstrickung keine wirkliche Alternative gab.
Innsbruck Gerhard
Köbler