Massenmedien im Europa des 20. Jahrhunderts, hg. v. Daniel, Ute/Schildt, Axel (= Industrielle Welt 77). Böhlau, Köln 2010. 440 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Medium ist im klassischen Latein als Substantivierung des Adjektivs medius (mittlere, in der Mitte befindlich) die Mitte. Erst spät ist Medium auf das Mittel und das Wissen bezogen worden. Mit umso größerer Geschwindigkeit und Durchsetzungskraft ist es in den verschiedenen Formen des Sehens und Hörens zum wichtigsten Wissensvermittlungsinstrument des modernen Menschen geworden, das nicht nur auf den Einzelnen, sondern auf dessen unübersehbare Vielzahl der Massen wirkt.
Im Auftrag des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte wurden in diesem Zusammenhang die Durchsetzung und immer dichtere Durchdringung moderner Gesellschaften des 20. Jahrhunderts mit Massenmedien (Vergesellschaftung als Medialisierung) und die Historisierung der gegenwartsbezogenen Diskussion über die europäische Integration über mehrere Jahre hinweg intensiv diskutiert. Im Ergebnis wurden außer einer hilfreichen Einführung 15 Studien zu Einzelfragen in dem vorliegenden Sammelband veröffentlicht. Sie deuten nach der Ansicht der Herausgeber insgesamt auf eine Desillusionierung von Vorstellungen einer zunehmenden politisch-kulturellen Vereinheitlichung durch Massenmedien im europäischen Rahmen.
Von den drei Teilen des Werkes befasst sich der erste mit der massenmedialen Vergesellschaftung (Amerikanisierung?, Information, Kommunikation, Unterhaltung, Radio der 1930er bis 1960er Jahre, Fernsehpublika, Wirklichkeit der Fernsehgesellschaft, konjunktive Erfahrungsräume). Die vier Beiträge zu Medien, Recht und Politik betreffen europäische Auslandsberichterstattung um 1900, die Geschichte der Öffentlichkeit in der Sowjetunion und in Osteuropa, die Medialisierunge von Arbeitskämpfen in Westdeutschland und Dänemark sowie sehr klar und präzis die Entfaltung des Medienrechts nach 1945 zwischen Markt und Demokratie (Friedrich Kübler). Die abschließenden fünf Medienthemen des mit einem kurzen Personenregister von Carl Abel und Konrad Adenauer bis Konrad Wolf und Moshe Zimmermann ausgestatteten, mit einem Foto Konrad Adenauers von einer Presseerklärung vor dem Palais Schaumburg im Spätsommer 1953 illustrierten Bandes behandeln den Ausstieg der Massenmedien (in Deutschland und Großbritannien um 1900), das päpstliche Medienverständnis, die Kriegsberichterstattung des zweiten Weltkriegs, den Wahlkampf und schließlich Fernsehen, Film und Holocaust in Europa und den USA 1945-1980, so dass der Band seinem von den Herausgebern aus Braunschweig und Hamburg formulierten Anspruch, Einstiegshilfe in ein noch unzureichend vermessenes Gebirge zu sein und weitere Explorationen in dieses Terrain zu motivieren, insgesamt gut gerecht werden kann.
Innsbruck Gerhard Köbler