Maier, Bernhard, Geschichte und Kultur der Kelten. Beck, München 2012. 384 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

In der großen und spannenden Geschichte der indogermanischen Völker steht den schriftlich fast nur durch die Römer bekannten Germanen kein anderes Volk so nahe wie die Kelten. Allerdings weiß die Gegenwart über sie noch weniger als über jene, weil die Römer über sie spärlicher berichteten und weil die Kelten von der gesamteuropäischen Völkerentwicklung stärker an den Rand gedrängt wurden als die den Römern machtpolitisch nachfolgenden germanistischen Völker. Umso verdienstvoller ist es, wenn einer der besten Sachkenner sein in langen Jahren gewonnenes Wissen über die Kelten an einem gut zugänglichen Ort mit der Allgemeinheit teilt.

 

Der 1963 geborene Verfasser wurde nach dem Studium der vergleichenden Religionswissenschaft, vergleichenden Sprachwissenschaft, keltischen Philologie und Semitistik in Freiburg im Breisgau, Aberystwyth, Bonn und London in Bonn 1989 mit einer Dissertation über König und Göttin (die keltische Auffassung des Königtums und ihre orientalischen Parallelen) promoviert, 1998 am gleichen Ort mit einer Schrift über die Religion der Kelten (Götter, Mythen, Weltbild) für vergleichende Religionswissenschaft habilitiert und nach Heisenberg-Stipendium und Akademiepreis 2004 für Keltisch nach Aberdeen und 2006 für allgemeine Religionswissenschaft und europäische Religionsgeschichte nach Tübingen berufen. Nach einem Lexikon der keltischen Religion und Kultur von 1994 und einem Sagenbuch der walisischen Kelten, die jeweils bereits an publikumswirksamen Orten veröffentlich wurden, erschienen seine Geschichte der Kelten von den Anfängen bis zur Gegenwart (2000) und seine Habilitationsschrift (2003) bei Beck in München. Dem folgten am gleichen Ort in kurzen Abständen die Religion der Germanen (2003), ein kleines Lexikon der Namen und Wörter keltischen Ursprungs (2003), Stonehenge (2005), Sternstunden der Religionen (2008), die Weisheit der Kelten (2010) und nunmehr das vorliegende Werk.

 

Es ist nach einem kurzen Vorwort in insgesamt neun Kapitel geteilt. Sie beginnen mit den Kelten als Gegenstand der Altertumswissenschaft, wobei die antiken Bezeichnungen der Kelten den Ausgangspunkt bilden und der Verfasser für die Deutung des von den Trägern selbst stammenden Namens nur drei Möglichkeiten (Wurzeln mit den Inhalten erheben, schlagen, verbergen) ohne sichere Entscheidung oder genaue Bedeutung benennen kann. Der vergewissernden Übersicht über die antiken Autoren folgt die Betrachtung der Kelten in der neuzeitlichen vergleichenden Sprachwissenschaft und in der Archäologie und Geschichtswissenschaft.

 

Nach dieser überzeugenden allgemeinen Einführung  gliedert der Verfasser in einzelne Einheiten unter. Er behandelt nacheinander die Kelten im vorrömischen Mittel- und Westeuropa, in Oberitalien, auf der iberischen Halbinsel, im vorrömischen Britannien, in Irland und in Kleinasien. Einheitlich legt er das ihn in der im Literaturverzeichnis nachgewiesenen Flut der verstreuten Literatur überzeugende Wissen für die Sachgebiete Geschichte, Wirtschaftsformen, Siedlungswesen, Handwerk und Kunst, Handel und Verkehr, Gesellschaft, Religion und Sprache dar.

 

Dem schließt er nach dem gleichen Muster das römische Hispanien, Gallien und Britannien an, für die sich vor allem nicht erkennen lässt, wie das Keltische auf die Pyrenäenhalbinsel, die britischen Inseln und Irland gelangte. Am Ende blickt er zurück und auch kurz nach vorn. Sein Ziel, das derzeitige Wissen über die Geschichte und Kultur der Kelten zusammenzufassen, wesentliche Probleme der gegenwärtigen archäologischen, historischen und philologischen Forschung zu benennen und dem Leser einen Zugang zum neuesten Schrifttum zu eröffnen, hat er eindrucksvoll erfüllt. Dabei hat sich ihm von den Bodenfunden her eine zentrifugale Perspektive höchst unterschiedlicher Regionalkulturen erschlossen, von den Sprachzeugnissen vor allem der Namen aus eine umgekehrte zentripetale Perspektive einer weitgehend homogenen, klar begrenzten und von vielfältigen Übereinstimmungen gekennzeichneten Keltizität.

 

Von der Sache her sind auch nach seinem Urteil anscheinend die kunsthandwerklichen Erzeugnisse der Kelten am besten bezeugt und bearbeitet. Demgegenüber sind Aussagen über Wirtschaft, Besiedlungsgeschichte eines Gebiets, Bewohnerzahl einer Siedlung, Handel und Verkehr sehr viel schwieriger und dementsprechend nur ungewisser zu machen. Ideelles ist aus den Funden und Befunden höchstens mittelbar zu fassen.

 

Erheblich besser als noch vor fünfzig Jahren sind der grammatische Bau der altkeltischen Sprachen sowie Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Einzelsprachen bekannt. Allerdings sind weite Bereiche des Wortschatzes und Teile der Formen nach wie vor der gegenwärtigen Kenntnis verschlossen. Ungeachtet aller offenen Fragen will der Verfasser überzeugend die Kelten auch in Zukunft in jedes Bemühen um eine ganzheitliche Betrachtung der europäischen Vorgeschichte einbeziehen, wofür seine klare und umsichtige, durch Karten und Abbildungen veranschaulichte Zwischenbilanz des Jahres 2012 jedem Interessierten die bestmögliche Grundlage bietet.

 

Innsbruck                                                        Gerhard Köbler