Lauener, Michael,
Jeremias Gotthelf- Prediger gegen den Rechtsstaat (= Zürcher Studien zur
Rechtsgeschichte 64). Schulthess, Zürich 2011. LVII, 537 S. Besprochen von
Gerhard Köbler.
Die Arbeit ist die von Marcel Senn betreute, nach Ausweis des Vorworts von außerordentlich vielen Personen begleitete, von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich angenommene Dissertation des bei dem schweizerischen Pensionskassenverbands tätigen Verfassers. Sie gliedert sich sehr detailliert in drei Teile. Nacheinander erörtert der Verfasser Grundlagen, die Rechtsstaatsidee und Gotthelfs Idee des christlichen Staates.
Im Mittelpunkt steht dabei die geistige Auseinandersetzung zwischen Jeremias Gotthelf und Wilhelm Snell. Jeremias Gotthelf, in Murten am 4. 10. 1797 als Sohn des Pfarrers Sigmund Bitzius (als Albert Bitzius) geboren, wurde nach dem Studium der Theologie in Bern 1832 Pfarrer in Lützelflüh, begann 1836 mit seinem dichterischen Werk, verwendete dafür den Namen Jermias Gotthelf, engagierte sich 1844 politisch konservativ und lehnte Radikalismus und Zentralismus ab. Wilhelm Snell wurde in Idstein am 8. April 1789 geboren, erlangte nach dem Studium der Rechtswissenschaft in Gießen bei Karl Ludwig von Grolman (nicht Grolmann) 1819 eine Professur in Dorpat in Estland, von wo aus er 1820 nach Chur floh, 1821 als außerordentlicher Professor aber in Basel unterkam und über Zürich 1834 erster Rektor der Universität Bern und wenig später Dekan der juristischen Fakultät wurde.
An der Auseinandersetzung Gotthelfs mit dem von ihm der Trunksucht bezichtigten Snell verfolgt der Verfasser detailliert und sorgfältig die Entwicklung der Rechtsstaatsidee in der Eidgenossenschaft der Schweiz in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Gotthelf, der sich mit Snells Vorstellungen nicht wirklich eingehend befasste, weil sie ihm zu kompliziert und abstrakt erschienen, setzte sich intensiv für einen christlichen Staat mit christlicher Freiheit und Gleichheit und gegen die Gewerbefreiheit ein, die er mit der Macht des Stärkeren und dem Wucher verband. Der Verfasser erweist auf Grund seiner intensiven Beschäftigung mit den Werken beider Kontrahenten Snell als von Kant beeinflussten liberalen Vernunftrechtler, Gotthelf dagegen als an Bibel, Sagen, Märchen und Erfahrungen des täglichen Lebens orientierten Pfarrer, für den nicht Vernunft und Recht das Fundament des Staates sind, sondern Recht und Staat sich gleichermaßen auf die göttliche Offenbarung gründen.
Innsbruck Gerhard Köbler