Handbuch der europäischen Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert. Institutionen und Rechtspraxis im gesellschaftlichen Wandel. Band 2 1815-1847, hg. v. Daum, Werner unter Mitwirkung von Brandt, Peter/Kirsch, Martin und Schlegelmilch, Arthur. Verlag J. H. W. Dietz, Bonn 2012. 1504 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Band 2 des Handbuchs der europäischen Verfassungsgeschichte (für Bd. 1 für den Zeitraum um 1800 bis 1914 K. Ruppert, SZGA 125 [2008], 832ff.) umfasst die Periode der Restauration und des Vormärzes (1815-1847) und knüpft an „Inhalt, Konzeption und Gliederung“ (S. 9) des Bandes 1 an, in dem der dem Werk zugrunde liegende „erweiterte“ Verfassungsbegriff näher erläutert wurde. Wie bereits dem Band 1 ist auch dem vorliegenden Band eine CD-Rom beigegeben, die nicht nur die Verfassungstexte, sondern auch zahlreiche, oft nur schwer zugängliche verfassungsrechtlich relevante Gesetze dokumentiert. Mit Recht beginnt Band 2 mit der Abhandlung Peter Brandts über den Konstitutionalismus in Amerika (1815-1847) und dessen Einfluss auf die europäische Verfassungsentwicklung (S. 11-30). Es folgt ein Abschnitt von P. Brandt über „Grundlinien der sozialökonomischen, sozialkulturellen und gesellschaftspolitischen Entwicklung in Europa im Untersuchungszeitraum (S. 31-52), dem der stärker strukturierte Beitrag Pierangelo Schieras über die „Zentralität der Legislativgewalt zwischen monarchischem Prinzip und Legitimität“ im europäischen Verfassungsdenken zwischen 1815 und 1847 (S. 165-207) gegenübersteht. Die vergleichende Synthese (S. 53-164) ist ausgerichtet an den in Band 1 näher erläuterten zwölf Untersuchungsfeldern: Internationale Beziehungen, Verfassungsstruktur der zentralen staatlichen Ebene, Wahlrecht und Wahlen, Grundrechte, Verwaltung, Justiz, Militär, Verfassungskultur, Kirche, Bildungswesen, Finanzen sowie Wirtschafts- und Sozialgesetzgebung/öffentliche Wohlfahrt. Insgesamt ist dieser Abschnitt detaillierter und aussagekräftiger als die Synthesen in Band 1. Der Abschnitt über die „Justiz“ weist auf die Reformfelder der „systematischen Kodifikation, der einheitlichen Gerichtsorganisation, der Sicherstellung der Gewaltenteilung zwischen Judikative und Exekutive sowie des Aufbaus einer Verwaltungs- und Verfassungsgerichtsbarkeit“ hin (S. 122).

 

Den Hauptteil des Handbuchs bilden die Länderartikel über 29 Staaten. Der Beitrag über Deutschland und das Habsburger Reich (S. 781-1112) ist gegliedert in die Abschnitte über den „Deutschen Bund“, die Staaten mit der ersten und mit der zweiten Konstitutionalisierungswelle, die Staaten zwischen ständisch-vormoderner und moderner Konstitution) sowie über Preußen, Österreich, Ungarn und Liechtenstein. Die Sachartikel über die Justiz sind sehr heterogen, da teils auf die Gerichtsverfassungen, ohne dass näher auf das für eine liberale Gesellschaft wichtige Notariat und die Advokatur eingegangen wird, teils meist zusätzlich auch die Kodifikationsbestrebungen berücksichtigt werden; in seltenen Fällen wird auch das materielle Recht behandelt. Auch wenn meist zu knapp, sind die Beiträge über die Justiz in den Niederlanden, in Belgien, in Polen und weitgehend auch in den deutschen Staaten hinreichend detailliert. Nicht befriedigend ist der Überblick über die Justiz in Frankreich, zumal der Beitrag in Band 1 (S. 280ff.), über die französische Justiz- und Rechtsverfassung unter Napoleon nicht sehr ausführlich ist. Dagegen bringt der Beitrag Monika Wienforts über Preußen einen guten Überblick über die Entwicklung der Rechtsreformen und Reformdebatten insbesondere in der Vormärzzeit (S. 977f., 988ff.). Die Nachweise der jeweiligen Spezialliteratur hätten bei den meisten Beiträgen ausführlicher sein können. Nicht in allen Ländern bedeutete die Zeit ab 1815 einen größeren Einschnitt für die Justizverfassung wie etwa in den nordischen Ländern. Beispielsweise vermittelt der Überblick über die dänische Justiz vor und nach 1814 keinen geschlossenen Gesamtüberblick. Wenig weiterführend ist auch der Beitrag über die Justiz in Portugal (S. 1460ff.). Im Übrigen sind zu einzelnen Beiträgen die Justizanalysen des Bandes 1 mit heranzuziehen. Vielleicht lässt sich insgesamt eine größere Einheitlichkeit der Länderreferate zumindest für den Justizbereich erreichen, wenn über die Mindestinhalte der Beiträge Übereinstimmung erzielt werden könnte. Ähnliches gilt auch für den Bereich „Wirtschafts- und Sozialgesetzgebung/Öffentliche Wohlfahrt“.

 

Das Allgemeine Sachregister erschließt den Inhalt des reichhaltigen Handbuchs nur mit wenigen Stichworten wie Bürgertum, Revolution usw. und ist insoweit wenig weiterführend. Hilfreich wäre ein Register gewesen, das etwa unter dem Stichwort „Justiz“ die wichtigsten Inhalte der jeweiligen Beiträge nachweisen würde. Vielleicht wäre es noch sinnvoller, die zum Teil umfangreichen Länderbeiträge mit einem Teilregister zu erfassen. Insgesamt ermöglicht auch Band 2 einen hinreichend detaillierten Überblick über die verfassungsrelevanten Entwicklungen in den europäischen Staaten einschließlich des Osmanischen Reiches und ist insoweit auch für den Rechtshistoriker von Wichtigkeit. Es ist zu wünschen, dass in den weiteren Bänden für die Zeit zwischen 1848 und 1870 und „um 1900“ die Länderbeiträge insbesondere für die „Justiz“ inhaltlich und teilweise auch terminologisch noch besser aufeinander abgestimmt werden.

 

Kiel

Werner Schubert