Gürtler, Lena, Vergangenheit im Spiegel der Justiz - Eine exemplarische Dokumentation der strafrechtlichen Aufarbeitung von DDR-Unrecht in Mecklenburg-Vorpommern. Edition Temmen, Bremen 2010. 198 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Nach dem Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 als sachgerechte Folge einer freien politischen Entscheidung der Mehrheit der Wahlberechtigten in einer Wahl stellte sich rasch die Frage der rechtlichen Aufarbeitung früheren politischen Unrechts, wie sie von den Opfern gefordert und von den Tatverdächtigen abgelehnt wurde. Zwanzig Jahre danach legt die Verfasserin eine sachliche Bilanz für das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern vor. Darin befasst sie sich überzeugend mit den Sachverhalten, den Quellen, den Rahmenbedingungen und der erhofften Gerechtigkeit.
Allgemeiner Ausgangspunkt sind rund 65000 Strafverfahren, die zwischen 1992 und 2000 von Strafverfolgungsbehörden wegen in der ehemaligen Deutschen Republik begangener Straftaten eingeleitet wurden. In diesem Rahmen entfielen nach einer Mitteilung der Lübecker Nachrichten vom Januar 2003 4775 Strafverfahren auf Mecklenburg-Vorpommern, an deren Ende 27 Verurteilungen standen. Die als Politikwissenschaftlerin ausgebildete Verfasserin selbst wertete im Rahmen eines bei dem Landesbeauftragten für Mecklenburg-Vorpommern für die Staatssicherheits-Unterlagen vor dem Hintergrund der drohenden Vernichtung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten nach Ablauf von fünf Jahren nach Einstellung der Verfahren entwickelten Projektes 3348 mit Hilfe einer Datenbank erfasste Verfahren aus. Zusätzlich dokumentierte sie 32 ausgewählte Fallbeispiele ausführlicher.
Gegliedert ist die von der Landesbeauftragten für Mecklenburg-Vorpommern für die Unterlagen des Staatssicherheitsdiensts der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik an eher entlegener Stelle veröffentlichte Untersuchung in zehn Abschnitte. Sie betreffen die Schwerpunkteabteilung für SED-Unrecht in Schwerin und ihre Akten, die Tatbestände Rechtsbeugung, Freiheitsberaubung, politische Verdächtigung, MfS-Straftaten, Körperverletzung, Totschlag und Mord, sonstige Delikte (gefälschte Wahlen, falsche Urkunden), strafrechtliche Aufarbeitung in Zahlen und ein kurzes Fazit. Insgesamt endeten 19 der 3348 Ermittlungsverfahren mit einer Verurteilung, während fast 98 Prozent eingestellt wurden, so dass der ehemalige Leiter der Schwerpunkteabteilung nach eigenem Eingeständnis damit leben musste, dass er, wie seine Kollegen, einige Täter nicht überführen konnte, weil eben wegen der menschlichen Gegebenheiten auch in einem Rechtsstaat nicht jedes Unrecht nach längerer Zeit wieder gerade gerichtet werden kann.
Innsbruck Gerhard Köbler