Enzyklopädie der Neuzeit, im Auftrag des kulturwissenschaftlichen Instituts (Essen) und in Verbindung mit den Fachwissenschaftlern, hg. v. Jaeger, Friedrich, Band 15 (Wissen-Zyklizität, Nachträge). Metzler, Stuttgart 2012. XXII S., 1228 Spalten. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Da eine Vorstellung des Großunternehmens der „Enzyklopädie der Neuzeit“ (EdN) an dieser Stelle bis dato aussteht, sei es gestattet, der Erörterung des Abschlussbandes einige allgemeine Hinweise zur Charakteristik des Gesamtprojekts voranzustellen. Diderots und d’Alemberts Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers (17 Text- und 11 Bildtafelbände) und Johann Heinrich Zedlers Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste (64 Bände, 2 Supplementbände) haben im 18. Jahrhundert den Weg zum modernen lemmatisierten enzyklopädischen Sammelwerk mit universalem Anspruch, alphabetischer Ordnung und einem Verweissystem geebnet. Im Jahr 2001 als Idee geboren, hat die seit 2005 konsequent jährlich mit zwei Bänden erscheinende, auf insgesamt 16 Bände angelegte Enzyklopädie der Neuzeit (EdN) sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, das Wissen um die 400 Jahre von 1450 bis 1850 zusammenzutragen und auf dem aktuellen Stand der Forschung in gefälliger Aufmachung und moderner Konzeption zu präsentieren. Interdisziplinarität und das Bewusstsein des Wandels sind die tragenden Maximen des von Friedrich Jaeger als Geschäftsführendem Herausgeber im Auftrag des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen gemanagten Vorhabens, das sich im Einzelnen in zehn wiederum von kompetenten Herausgebern geführte Fachgebiete gliedert. Neben den Bereichen „Staat, politische Herrschaft und internationales Staatensystem“, „Globale Interaktion“, „Lebensformen und sozialer Wandel“, „Wirtschaft“, „Naturwissenschaften und Medizin“, „Bildung, Kultur und Kommunikation“, „Kirchen und religiöse Kultur“, „Literatur, Kunst und Musik“ und „Umwelt und technischer Wandel“ erscheint als Fachgebiet (FG) 03 „Recht und Verfassung“, betreut von Wilhelm Brauneder (Wien; Teilbereiche: Gesetz, Verfassung), Sibylle Hofer (Bern; Recht, Privatrecht) und Diethelm Klippel (Bayreuth; Naturrecht und Rechtsphilosophie, Rechtswissenschaft), denen als Teilherausgeber Barbara Dölemeyer (Frankfurt am Main; Justiz), Sylvia Kesper-Biermann (Gießen/Paderborn; Strafrecht), Louis Pahlow (Saarbrücken; Grundrechte, Rechtswissenschaft), Gerd Schwerhoff (Dresden; Kriminalität) und Thomas Simon (Wien; Öffentliches Recht) zur Seite stehen. Eine Heerschar ausgewiesener Autoren - für den fünfzehnten, letzten Themenband sind es gezählte 127 weibliche und männliche Persönlichkeiten - zeichnet für die jeweiligen Artikel verantwortlich. Dabei stütze sich, so Friedrich Jaeger in seiner Einführung zum Abschnitt „Schlussbetrachtungen und Ergebnisse“, der den 15. Band inhaltlich beschließt und für jedes Fachgebiet ein Resümee anbietet, die EdN „einerseits auf ein breites Spektrum histor(isch) relevanter Fächer und Forschungsdisziplinen“, sei aber andererseits auch „v. a. ein Produkt der d(eu)t(sch)sprachigen histor(ischen) Wissenschaften, was sich nicht zuletzt in der Herkunft der insgesamt etwa 100 beteiligten Herausgeberinnen und Herausgeber sowie der über 1300 Autorinnen und Autoren niederschlägt, auch wenn diese aus immerhin 37 unterschiedlichen Ländern stammen“ (Sp. 917). Dieser vorzugsweise durch die Organisationskosten bedingten Beschränkung sei man durch strikte Vorgaben in Bezug auf die Aufarbeitung der aktuellen internationalen Forschungslandschaft präventiv entgegengetreten. Der „auf den ersten Blick ungewöhnliche Epochenzuschnitt der EdN, der die Historiographien zur ‚Frühen Nz.‘ und zur ‚Neueren Geschichte‘ von der Mitte des 18. bis zur Mitte des 19. Jh.s unter dem Dach eines gemeinsamen Forschungsunternehmens vereinigte, trug zur Überwindung weithin etablierter Disziplinengrenzen bei“ und „machte es möglich, dass zwei institutionell und personell stark voneinander getrennte Wissensdepartments in Kontakt zueinander traten, was nicht allein zu einer maßgeblichen Erweiterung der histor(ischen) N(eu)z(eit)-Perspektive führte, sondern auch neue Experimentierfelder der Kooperation sowie der Verflechtung von Forschungsthemen mit sich brachte“ (Sp. 918). In Summe können die 15 Artikelbände der EdN mit 3340 Artikeln (die sich in 103 Schlüsselartikel, 817 Dachartikel, 325 Kompositartikel und 2095 Einzelartikel aufteilen) aufwarten.

 

Für das Fachgebiet „Recht und Verfassung“ formuliert Diethelm Klippel die Quintessenz. Er betont, „dass schon allein die Integrierung der Rechts- und Verfassungsgeschichte als Bestandteil eines wesentlich kulturwiss(enschaftlich) bzw. kulturhist(orisch) geprägten Vorhabens“ eine bemerkenswerte Leistung der EdN darstelle, klammerten doch unverständlicher Weise die meisten Sammelwerke zur Kulturgeschichte das Recht, „eine der herausragenden Errungenschaften der europ(äischen) Kultur“, aus. Darüber hinaus habe die Arbeit an der EdN „das Bewusstsein dafür geschärft, dass die Rechts- und Verfassungsgeschichte der N(eu)z(eit) Bestandteil sowohl der Geschichts- als auch der Rechtswissenschaft ist und dementsprechend ihre Erkenntnisinteressen von beiden bezieht“ (Sp. 946) – eine im Übrigen wohl nicht ganz neue Feststellung. Wo unterschiedliche Erkenntnisinteressen der allgemeinen Geschichtswissenschaft und der Rechtsgeschichte einer befriedigenden begrifflichen Abgrenzung im Wege standen, konnte die EdN mit Hilfe ihrer Kompositartikel beide Standpunkte parallel zur Geltung bringen. Als Defizit sei festzuhalten, dass „die Notwendigkeit des Blicks über die d(eu)t(sche) Rechts- und Verfassungsgeschichte hinaus erkannt wurde, die Umsetzung allerdings mangels ausreichender Literatur häufig nicht realisiert werden konnte“ und hinmit einen „erheblichen Forschungsbedarf“ aufzeige (Sp. 945f.).

 

Wie seine Vorgänger, zeichnet sich auch der 15. Band der EdN durch zahlreiche, spezifisch das Rechtsleben erfassende Beiträge aus. Es entbehrt nicht einer gewissen Brisanz, dass man dabei dem „Recht“ als solchem erst in den Addenda ein eigenes Lemma zubilligt, wo es nun mit einem immerhin 28 Spalten umfassenden Grundsatzartikel Martin Ottos vertreten ist, der das neuzeitliche Recht durch die Merkmale Verweltlichung, Verschriftlichung, Verwissenschaftlichung und Professionalisierung gekennzeichnet sieht. Auch das „Militärrecht“ (Diethelm Klippel) hat seinen Platz hier in den Nachträgen gefunden. Unter den Beiträgen im regulären Fundus der Lemmata des 15. Bandes nehmen Wilhelm Brauneders Ausführungen zu Grundlagen, Entwicklung und Etablierung der „Zivilprozessordnung“ und zu den „Zivilgesetzbücher(n)“, die den Blick auch auf den amerikanischen Kontinent richten, einen besonderen Stellenwert ein, während die Grundlinien und der Ablauf des neuzeitlichen „Zivilprozess(es)“ von Steffen Schlinker dargestellt werden. Über das „Züchtigungsrecht“ des Hausvorstandes als obrigkeitliche Strafe und in Anstaltsordnungen handelt Sibylle Hofer, die sich darüber hinaus auch mit der „Zwangsvollstreckung“ und den rechtlichen Bestimmungen im Kompositartikel zum „Wucher“ befasst. In derselben Weise setzen sich Michael Ströhmer mit der „Zauberei“ als Straftat und Martin Otto mit dem Postgeheimnis im Rahmen der „Zensur“ auseinander, dem wir auch den Beitrag zu den „Wohlerworbenen Recht(en)“ (iura quaesita) verdanken. Neben Andreas Gestrichs Darstellung zu Grundlagen und politischer Durchsetzung der „Zivilehe“ verdient Falk Bretschneiders Artikel zum „Zuchthaus“ Erwähnung, der als einer der wenigen rechtsbezogenen Beiträge - hier hätten die Herausgeber insgesamt mehr Kreativität an den Tag legen dürfen - mit zwei schönen Stichen aus der Beschreibung des Chur-Sächsischen allgemeinen Zucht-, Waysen- und Armen-Hauses (1728) illustriert worden ist.

 

Eine ganz besondere Qualität der EdN liegt hingegen mit Sicherheit in der optimalen Aufschlüsselung ihres Inhalts. Als Konstanten verfügt jeder Band über die folgenden Orientierungselemente: Herausgebergremium; Fachgebiete und Fachherausgeber/innen; Inhaltsverzeichnis; Teilherausgeber/innen; Hinweise zur Benutzung; Abkürzungsverzeichnis (allgemein, Maße, bibliographisch); Abbildungsverzeichnis; Autoren/Autorinnen des jeweiligen Bandes; Übersetzer; Artikel des jeweiligen Bandes. Ein dichtes System von Querverweisen sorgt für die notwendige Vernetzung der Beiträge untereinander. Mit jedem neu erscheinenden Band wird zudem ein im Internet unter http://www.enzyklopaedie-der-neuzeit.de abrufbares Interimsregister aktualisiert, welches vorläufig die Funktion des für Ende 2012 geplanten abschließenden Registerbandes (= Band 16) wahrnimmt. Hier gibt der vorliegende 15. Band eine Vorleistung, indem er, ergänzend zu den schon erwähnten „Schlussbetrachtungen und Ergebnisse(n)“ der Fachgebiete, neben wenigen Corrigenda bereits Gesamtauflistungen der Artikel und Autoren aller 15 Bände enthält. Über die Gestaltung des Registerbandes soll an diesem Ort bei Erscheinen noch Näheres berichtet werden.

 

Mit der EdN ist es den Beteiligten in acht Jahren gelungen, ein beeindruckendes kulturgeschichtliches Panorama europäischer Prägung für den umrissenen Zeitraum von der Frühen Neuzeit bis zur Schwelle der Moderne zu entwerfen, das den Vergleich mit den großen Realenzyklopädien für das Altertum und das Mittelalter nicht zu scheuen braucht und auch den beim ersten Hinsehen stolz anmutenden Ladenpreis von rund 3200 Euro (= 200 Euro/Band oder weniger als ein Euro/Beitrag), die das nur im Gesamten zu beziehende, hochwertige Werk den Erwerber kostet, sicherlich rechtfertigt. Da jedes Wissen mit dem Fortschreiten der Zeit sein Ablaufdatum hat, wäre zu wünschen, dass der durch das Unternehmen geschaffene, weitläufig vernetzte Wissenscluster weiterhin aktiv bliebe und die Beiträge durch ein laufendes Monitoring auf dem Stand der Forschung hielte - eine zugegeben aufwändige, aber lohnende Utopie, die mit Hilfe der modernen Datenverarbeitung eine Chance auf Realisierung hätte.

 

Kapfenberg                                                                            Werner Augustinovic