Bogdal, Klaus-Michael, Europa erfindet die Zigeuner. Eine
Geschichte von Faszination und Verachtung. Suhrkamp, Berlin 2011. 592 S.
Besprochen von Gerhard Köbler.
Zigeuner ist die ältere, in der
Gegenwart durch die Eigenbezeichnung Roma oder Sinti ersetzte Fremdbenennung
der Angehörigen eines im 10. Jahrhundert aus Nordindien ausgewanderten, seit
dem 15. Jahrhundert im Heiligen römischen Reich (1399 Böhmen, 1407 Hildesheim,
1414 Hessen) sichtbaren und bei Andreas von Regensburg (nach 1380-nach 1438)
gens Ciganorum, volgariter Cigäwnär genannten indogermanischen Volkes. Als
wesentliches Kennzeichen wird bald das Fehlen eines festen Wohnsitzes
angesehen. Nach 1871 wird der ausländische Zigeuner des Deutschen Reiches
verwiesen, seit 1886 der deutsche Zigeuner polizeilicher Überwachung und
Erfassung unterstellt und unter nationalsozialistscher Herrschaft verfolgt.
Klaus-Michael Bogdal (Gelsenkirchen
1948) wurde nach dem Studium von Germanistik, Slawistik und Philosophie in
Bochum 1976 mit einer Dissertation über schaurige Bilder (der Arbeiter im Blick
des Bürgers am Beispiel des Naturalismus) promoviert. Nach einer Tätigkeit als
Gymnasiallehrer und Fachleiter in Dortmund wurde er 1992 habilitiert. 1996
folgte er einem Ruf als Professor für Literaturwissenschaft in Duisburg, von wo
er 2002 auf die Professur für germanistische Literaturwissenschaft mit dem
Schwerpunkt Neue deutsche Literatur in Bielefeld wechselte.
Nach seinem Prolog verdankt sich
seine Idee, eine europäische Geschichte der Ausgrenzung der Romvölker zu
schreiben, die in der deutschen Sprache abwertend Zigeuner genannt werden, mehr
oder weniger einem Zufall in der Form des Satzes einer sechzehnjährigen
Schülerin in Rostock -Lichtenhagen „Wären Zigeuner verbrannt, hätte es mich
nicht gestört - Vietnamesen schon, aber Sinti und Roma egal“. Der Verfasser
gliedert seine dadurch hervorgerufene detaillierte Untersuchung zeitlich in die
drei Abschnitte vom Spätmittelalter bis zum achtzehnten Jahrhundert, das
neunzehnte Jahrhundert und vom Ausgang des neunzehnten Jahrhunderts bis heute
und behandelt dabei zahlreiche Aspekte von der Ankunft der „Pilger aus Ägypten“
bis zur eigenstimmigen Erinnerungsliteratur der Sinti und Roma von Auschwitz,
Ravensbrück und Lackenbach. Insgesamt schildert er vielfältig bewegend die
Geschichte der Darstellung der „Zigeuner“ in der Literatur und Kunst Europas
der Neuzeit.
Innsbruck Gerhard
Köbler