Plagemann, Gottfried, Von Allahs Gesetz zur Modernisierung per Gesetz. Gesetz und Gesetzgebung im Osmanischen Reich und der Republik Türkei (= Deutsch-Türkisches Forum für Staatsrechtslehre 5). LIT, Münster 2009. 437 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Der in Frankfurt am Main 1957 geborene Verfasser war nach dem Studium der Rechtswissenschaft an der Freien Universität Berlin und der Ablegung der zweiten juristischen Staatsprüfung von 1985 bis 1989 als Rechtsanwalt tätig und studierte im Anschluss hieran bis 1994 Turkologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Während dieser Zeit nahm an einem Forschungsprojekt zum Landesverfassungsrecht Teil, wirkte als wissenschaftliche Hilfskraft am Fachbereich Kulturwissenschaften der Universität Frankfurt an der Oder, nahm einen Lehrauftrag über vergleichende Geschichte Griechenlands und der Türkei wahr und begann 1995 ein Promotionsstudium im Promotionskolleg Ambivalenzen für höhere Studien der Universität Leipzig. Sein von Wolfgang Höpken betreutes Promotionsvorhaben schloss er 2006 mit der vorliegenden, von der Hans-Böckler-Stiftung und dem Orient-Institut Istanbul der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft unterstützten Arbeit ab und wurde 2006 Dozent für deutsches Recht und deutsche Rechtssprache und DAAD-Fachlektor an der Kültür Universität Istanbul im Fachbereich Rechtswissenschaften.
Seine Untersuchung gliedert er außer in eine Einleitung, in der er sich mit dem Gesetz als Bestandteil des Modernisierungsprozesses und der Rechtsrezeption befasst, in zwei Teile. Zunächst verfolgt er die historische Entwicklung des Gesetzes und des Gesetzgebungsorgans im osmanisch-türkischen Recht vom osmanischen Rechtssystem mit den Gesetzen des Sultans vom 15. bis zum 18. Jahrhundert über die Errichtung von Gesetzgebungsorganen bis zu Legislative und Gesetz im System der Verfassung von 1924. Danach vergleicht er eingehend Legislative und Gesetz im geltenden Recht der Türkei und Deutschlands.
Ansprechend stellt er fest, dass die seit dem 19. Jahrhundert vorbereitete Entscheidung gegen die Scharia und für die Stärkung des Staates wesentlich durch die Orientierung hochrangiger osmanischer Beamter am kontintentaleuropäischen Rechtssystem vor allem Frankreichs und den europäischen Druck beeinflusst wurde, dass aber am Ende zunächst ein weitgehend dysfunktionaöer Rechtsdualismus entstand, der zu Beginn der Republik durch eine vollständige Rezeption europäischer Gesetze ersetzt wurde. Gleichwohl sieht der Verfasser erhebliche Probleme, zu deren Lösung er die Stärkung und den Ausbau eines demokratisch legitimierenden Verfahrens mit Transparenz und Eingriffsmöglichkeiten vorschlägt. Am Ende seiner gelungenen, im Anhang einige wichtige Texte wiedergebenden Untersuchung betont er die Einschränkung der Macht der Legislative und Exekutive durch die Normenkontrolle des Verfassungsgerichts als wichtiges Mittel der Sicherung des Vorrangs des Rechts auch gegenüber dem Gesetzgeber.
Innsbruck Gerhard Köbler