Michail Gorbatschow und die deutsche Frage. Sowjetische Dokumente 1986-1991, hg. v. Galkin, Aleksandr/Tschernajew, Anatolij, aus dem Russischen übertragen  von Glaubitz, Joachim, deutsche Ausgabe hg. v. Altrichter, Helmut/Möller, Horst/Zarusky, Jürgen, kommentiert v. Hilger, Andreas. Sowjetische Dokumente 1986-1991 (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 83). Oldenbourg, München 2011. XXXV, 646 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Am 11. März 1985 wurde der in Priwolnoje im Nordkaukasus am 2. März 1931 als Sohn eines Bauern geborene, seit 1952 der Kommunistischen Partei der Sowjetunion angehörige, in Moskau in Rechtswissenschaft und später auch in Agrarwirtschaft ausgebildete, in 30 Jahren immer höher in die Parteihierarchie aufgestiegene Michail Gorbatschow zum Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion gewählt. In vollständiger Abkehr von der Politik aller seiner Vorgänger versuchte er in neuartiger Weise Offenheit (glasnost) und Umbau (perestroika) in der Sowjetunion und leitete das Ende der bisherigen Konfrontation zwischen Kommunismus und Kapitalismus mit dem Ziel friedlicher Koexistenz ein. Die dadurch in der Sowjetunion entstandene innere Unruhe erzwang seinen Rücktritt am 25. Dezember 1991.

 

In der kurzen Zeit zwischen 1985 und 1991 änderte er die Welt zu allgemeinem Vorteil. Der seit dem Zweiten Weltkrieg allmählich geschaffene Eiserne Vorhang zwischen Ost und West verschwand. Deutschland verdankt vor allem seinem Einverständnis den Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland zum 3. Oktober 1990.

 

Die diese dramatischen Vorgänge bezeugenden Dokumente sind von höchstem Interesse. Es ist daher außerordentlich verdienstvoll, dass ihre in Russland durch die beiden russischen Herausgeber, zu denen der ehemalige Berater Gorbatschows für internationale Angelegenheiten zählt, den Weg in die deutsche Sprache gefunden haben. Enthalten sind im Einzelnen vollständige und auszugsweise Aufzeichnungen von Gesprächen Gorbatschows mit ausländischen Politikern, Transkriptionen von Notizen Tschernajews über Sitzungen und Begegnungen mit Gorbatschow, von den engsten Mitarbeitern Gorbatschows angefertigte dienstliche Aufzeichnungen und andere Materialien aus der Zeit der wesentlichen Entscheidungen hinsichtlich der deutschen Einheit sowie außerdem einzelne für das Verständnis der Ereignisse wichtige Presseveröffentlichungen.

 

Insgesamt enthält der bedeutende, stattliche Band 138 Dokumente. Sie beginnen mit einem die Bundesrepublik Deutschland betreffenden Auszug aus dem Protokoll der Sitzung des Politbüros vom 27. März 1986 und enden mit dem Abschiedsbrief Gorbatschows an Helmut Kohl vom 25. Dezember 1991, in dem Michail dem lieben Helmut mitteilt, dass er das Amt des Präsidenten der UdSSR verlässt, aber, obgleich die Ereignisse nicht (alle) so verlaufen sind, wie er sie für richtig und am zweckmäßígsten gehalten habe, die Hoffnung auf einen abschließenden Erfolg der von ihm sechs Jahre zuvor begonnenen Sache nicht verliert, nämlich darauf, dass Russland und die anderen einer neuen Gemeinschaft angehörenden Staaten sich zu modernen und demokratischen Ländern wandeln. Möge der bewegende Band dazu beitragen, dass sich die großen Hoffnungen eines großen, Kraft, Mut, Vertrauen und Zuversicht ausstrahlenden Mannes, deren letzte Gründe freilich unbekannt scheinen, tatsächlich eines Tages Wirklichkeit werden.

 

Innsbruck                                                                   Gerhard Köbler