KöblerDerjudenratvonbiaŀystok20111231 Nr. 14136 ZIER 1 (2011) 73. IT

 

 

Der Judenrat von Białystok. Dokumente aus dem Archiv des Białystoker Ghettos 1941-1943, hg. v. Anders, Freia/Stoll, Katrin/Wilke, Karsten. Schöningh, Paderborn 2010. 527 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Vom 23. März bis zum 14. April 1967 verhandelte das Landgericht Bielefeld gegen den ehemaligen Leiter der Dienststelle „Kommandeur der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes für den Bezirk Bialystok“ und seine Mitarbeiterwegen der Deportation der jüdischen Bevölkerung aus den Ghettos Biaŀystok, Grodny und Prużany in die Vernichtungslager Auschwitz und Treblinka. Für die Beweisführung kam den Dokumenten des Judenrats von Biaŀystok entscheidende Bedeutung zu. Durch sie konnte bewiesen werden, dass die Angeklagten in dem Bewusstsein gehandelt hatten, die Juden durch die Deportation in den Tod zu senden, so dass sie wegen Beihilfe zu Mord schuldig gesprochen wurden.

 

Das vorliegende Werk enthält eine vollständige deutsche Übersetzung aller erhaltenen Protokolle und Meldungen des Judenrats zwischen Sommer 1941 und Frühjahr 1943. Dabei handelt es sich um 433 amtliche, an die jüdische Bevölkerung zwischen dem 8. Juli 1941 und dem 1. April 1943 gerichtete und öffentlich angeschlagene Bekanntmachungen (z. B. Alle Personen, die aufgefordert werden, sich zu melden, um nach Prużany wegzufahren, müssen der Aufforderung Folge leisten. Diejenigen, die die Forderung nicht erfüllen, werden streng bestraft werden.) und 52 interne Protokolle von Sitzungen und öffentlichen Versammlungen zwischen dem 2. August 1941 und dem 11. November 1942. Die Übersetzung wurde von dem Schweizer Theologen Prof. Dr. Hans-Peter Stähli auf der Grundlage der Edition der jiddischsprachigen Dokumente (mit hebräischer Übersetzung) durch den 1902 in Borszczów in Polen geborenen Literaturwissenschaftler Nahman Blumenthal (in Jerusalem 1962) erstellt. Etwa 43000 der ursprünglich rund 50000 Biaŀystoker Juden waren zwischen der Besetzung der Stadt am 26. Juni 1941 bis zum 1. August 1941 in das in der Nähe des Industriegebiets der Stadt errichtete Ghetto gebracht worden.

 

Die Edition der bedrückenden Dokumente wird begleitet von den Ergebnissen eines im internationalen Begegnungszentrum der Universität Bielefeld im Juni 2007 abgehaltenen Workshopa zu Quellen der Judenräte im besetzten Polen. In zwölf Referaten werden dabei nach einer Einführung der Herausgeber die Themen (der hinsichtlich der Pläne der Deutschen einflusslosen) Judenräte (Rezeption und Historiografie), Erkenntnispotentiale und Lesarten (Die Dokumente des Biaŀystoker Judenrats) und der Erkenntniswert jüdischer Quellen für die Ghettos im besetzten Polen eindringlich untersucht. Dadurch wird insgesamt die Hoffnung der Herausgeber, dass ihr Werk zur Erforschung der Lebensbedingungen zur Erforschung der Lebensbedingungen in den Ghettos unter nationalsozialistischer Herrschaft und zu weiterem Erkenntnisgewinn über die Geschichte der Judenräte beiträgt, mit Sicherheit vollständig erfüllt.

 

Innsbruck                                                                   Gerhard Köbler