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|0007 : [I]|
Syſtem
des
heutigen Römiſchen Rechts
von
Friedrich Carl von Savigny.
Fünfter Band.
Mit K. Bairiſchen und K. Würtembergiſchen Privilegien.
Berlin.
Bei Veit und Comp.
1841.
|0008 : [II]|
|0009 : [III]|
Inhalt des fünften Bandes.
Zweytes Buch. Die Rechtsverhältniſſe.
Viertes Kapitel. Verletzung der Rechte.
§. 204. Einleitung 1
§. 205. Klage 4
§. 206. Arten der Klagen. In personam, in rem 11
§. 207. Arten der Klagen. In personam, in rem. (Fortſ.) 17
§. 208. Arten der Klagen. In personam, in rem. (Fortſ.) 23
§. 209. Arten der Klagen. In personam, in rem. (Fortſ.) 28
§. 210. Arten der Klagen. Pönalklagen 37
§. 211. Arten der Klagen. Pönalklagen. (Fortſetzung.) 44
§. 212. Arten der Klagen. Pönalklagen. (Fortſetzung.) 55
§. 213. Arten d. K. Civiles, honor, Ordinariae, extraord. 61
§. 214. Arten der Klagen. Beſtandtheile der formula 67
§. 215. Arten der K. Directae, utiles. Certa, incerta form. 70
§. 216. Arten der Klagen. In jus, in factum conceptae 78
|0010 : IV|
Inhalt des fünften Bandes.
§. 217. Arten d. K. In jus, in factum conceptae, (Fortſ.) 91
§. 218. Arten der Klagen. Iudicia, arbitria. Stricti juris,
bonae fidei 101
§. 219. Arten der Klagen. Stricti juris (Condictiones),
bonae fidei 107
§. 220. Arten der Klagen. Stricti juris (Condictiones),
bonae fidei. (Fortſ.) 114
§. 221. Arten der Klagen. Arbitrariae actiones 119
§. 222. Arten der Klagen. Arbitrariae actiones. (Fortſ.) 125
§. 223. Arten der Klagen. Arbitrariae actiones. (Fortſ.) 130
§. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung 136
§. 225. Vertheidigung d. Beklagten. Einleitung. Duplexactio. 150
§. 226. Exceptionen. Form. Geſchichte 160
§. 227. Exceptionen. Inhalt. Arten 169
§. 228. Exceptionen. Abweichende Anſichten 179
§. 229. Replicationen, Duplicationen u. ſ. w. 189
§. 230. Aufhebung des Klagrechts. Überſicht. I. Tod 196
§. 231. Aufhebung des Klagrechts. II. Concurrenz. Einlei-
tung. Terminologie 204
§. 232. Aufhebung. II. Concurrenz. Erſte Klaſſe. Vollſtän-
dige Concurrenz 214
§. 233. Aufhebung. II. Concurrenz. Zweyte Klaſſe. Par-
tielle Concurrenz 222
§. 234. Aufhebung. II. Concurrenz. Dritte Klaſſe. Keine
Concurrenz 232
|0011 : V|
Inhalt des fünften Bandes.
§. 235. Aufhebung. II. Concurrenz. Gemeinſame Betrach-
tungen 252
§. 236. Aufhebung. II. Concurrenz. Gemeinſame Betrach-
tungen. (Fortſ.) 259
§. 237. Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Ein-
leitung 265
§. 238. Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Ge-
ſchichte 273
§. 239. Aufhebung. III. Verjährung. Bedingungen. a. Actio
nata 280
§. 240. Aufhebung. III. Verjährung. Bedingungen. a. Actio
nata. (Fortſ.) 289
§. 241. Aufhebung. III. Verjährung. Bedingungen. a. Actio
nata. (Fortſ.) 299
§. 242. Aufhebung. III. Verjährung. Bedingungen. b. Un-
unterbrochene Verſäumniß 312
§. 243. Aufhebung. III. Verjährung. Bedingungen. b. Un-
unterbrochene Verſäumniß. (Fortſ.) 319
§. 244. Aufhebung. III. Verjährung. Bedingungen. c. Bona
fides 326
§. 245. Aufhebung. III. Verjährung. Bedingungen. c. Bona
fides. (Fortſ.) 335
§. 246. Aufhebung. III. Verjährung. Bedingungen. c. Bona
fides. (Fortſ.) 342
§. 247. Aufhebung. III. Verjähr. Bedingungen. d. Zeitablauf. 352
|0012 : VI|
Inhalt des fünften Bandes.
§. 248. Aufhebung. III. Verjährung. Wirkung 366
§. 249. Aufhebung. III. Verjährung. Wirkung. (Fortſ.) 374
§. 250. Aufhebung. III. Verjährung. Wirkung. (Fortſ.) 384
§. 251. Aufhebung. III. Verjährung. Wirkung. (Fortſ.) 397
§. 252. Aufhebung. III. Verjährung. Ausnahmen 408
§. 253. Aufhebung. III. Verjährung. Anwendung auf Ex-
ceptionen 413
§. 254. Aufhebung. III. Verjährung. Anwendung auf Ex-
ceptionen. (Fortſ.) 419
§. 255. Aufhebung. III. Verjährung. Anwendung auf Ex-
ceptionen. (Fortſ.) 429
Beylage XII. Quanti res est 441
Beylage XIII. Stricti juris, bonae fidei actiones 461
Beylage XIV. Die Condictionen 503
Nachtrag zu § 218 643
|0013|
|0014|
|0015 : [1]|
Viertes Kapitel.
Verletzung der Rechte.
§. 204.
Einleitung.
Bisher wurden die Rechte an ſich betrachtet, als die
nothwendigen Bedingungen des Zuſammenlebens freyer
Weſen (§ 52). In dem durch die Rechtsregeln beherrſch-
ten Leben beſteht die Rechtsordnung, welche mithin durch
Freyheit hervorgebracht und erhalten wird. Indem wir
aber das Weſen derſelben in die Freyheit ſetzen, müſſen
wir zugleich die Möglichkeit einer freyen Gegenwirkung
hinzu denken, alſo einer Rechtsverletzung, welche die Stö-
rung jener Rechtsordnung iſt.
Aus dieſer Möglichkeit der Rechtsverletzung entwickelt
ſich das Bedürfniß folgender Reihe neuer Rechtsinſtitute,
die wir mit einem gemeinſchaftlichen Namen als Schutz-
anſtalten für die Rechtsordnung bezeichnen können:
1) Die Gerichtsbarkeit, als Beſtandtheil des Staats-
rechts.
2) Die Strafe, als Inhalt des Criminalrechts.
V. 1
|0016 : 2|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
3) Die auf die Herſtellung des geſtörten Rechtszuſtan-
des abzweckenden Formen, als Inhalt des Prozeßrechts.
Alle dieſe aus der Rückſicht auf die Verletzung hervor-
gehende Rechtsinſtitute liegen außer dem Kreiſe unſrer
gegenwärtigen Betrachtung (a). Dagegen gehört zu den-
ſelben eine andere Klaſſe von Rechtsinſtituten, die gleich-
falls in der Rechtsverletzung ihre Entſtehung haben. In-
dem wir ein Recht in der beſonderen Beziehung auf die
Verletzung deſſelben betrachten, erſcheint es uns in einer
neuen Geſtalt, im Zuſtand der Vertheidigung. Theils die
Verletzung, theils die zur Bekämpfung derſelben beſtimmten
Anſtalten, äußern eine Rückwirkung auf den Inhalt und
das Daſeyn des Rechts ſelbſt, und die Reihe von Verän-
derungen, die auf dieſe Weiſe in ihm entſteht, faſſe ich
zuſammen unter dem Namen des Actionenrechts.
Die erwähnten Veränderungen werden bei jedem ein-
zelnen Rechtsinſtitut auf eine ihm eigenthümliche Weiſe
erſcheinen; ihnen allen aber muß etwas Gemeinſames zum
Grunde liegen, ohne welches jene eigenthümliche Erſchei-
nungen nicht verſtanden werden können. Aus dieſer Be-
trachtung ergiebt ſich die natürliche Unterſcheidung eines
(a) Vgl. oben § 1. — Indem
hier dieſe Abſonderung im Allge-
meinen geltend gemacht wird, ſoll
damit keinesweges das abſolute
Daſeyn einer ſcharfen Gränze und
die Nothwendigkeit ihrer ſtrengen
Beobachtung behauptet werden.
Der Prozeß insbeſondere, und das
hier abzuhandelnde Actionenrecht,
ſtehen in ſo enger Verbindung, daß
es dem Urtheil eines jeden Bear-
beiters der einen oder andern Diſ-
ciplin überlaſſen bleiben muß, wie
viel er von dieſem Gränzgebiet zur
vollſtändigen Entwicklung ſeiner
Gedanken in Beſitz zu nehmen nö-
thig findet.
|0017 : 3|
§. 204. Einleitung.
allgemeinen und eines beſonderen Actionenrechts. So zum
Beyſpiel iſt die hypothecaria actio die beſondere Geſtalt,
worin das Pfandrecht in Folge einer Verletzung erſcheint,
und es gehört dazu namentlich eine ſehr eigenthümlich be-
ſtimmte Klagverjährung; es iſt aber nicht möglich, dieſe
beſondere Lehre zu verſtehen, wenn nicht die allgemeine
Natur der Klage und der Klagverjährung zuvor erkannt
worden iſt. Das, was ich hier als das beſondere Actio-
nenrecht bezeichnet habe, kann nur ſtückweiſe, in Verbindung
mit den einzelnen Rechtsinſtituten worauf es ſich jedesmal
bezieht, zweckmäßig mitgetheilt werden; die Darſtellung des
allgemeinen Actionenrechts iſt die Aufgabe des gegenwär-
tigen Kapitels.
Manche haben die Klagenrechte als eine ſelbſtſtändige
Klaſſe von Rechten, auf gleicher Linie ſtehend mit den
Rechten der Familie, dem Eigenthum u. ſ. w., anſehen
wollen, und es muß hier an den Widerſpruch erinnert
werden, der ſchon oben (§ 59) gegen dieſe Auffaſſung er-
hoben worden iſt. Es gehören vielmehr dieſe Rechte nur
zu dem Entwicklungsprozeß oder der Metamorphoſe, die
in jedem ſelbſtſtändigen Rechte eintreten kann, und ſie ſte-
hen daher auf gleicher Linie mit der Entſtehung und dem
Untergang der Rechte, welche gleichfalls nur als einzelne
Momente in dem Lebensprozeß der Rechte, nicht als Rechte
für ſich, aufgefaßt werden dürfen.
Die Veränderungen der Rechte, welche nunmehr dar-
geſtellt werden ſollen, zerfallen in zwey Klaſſen.
1*
|0018 : 4|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Einige derſelben entſtehen aus der bloßen Thatſache
der Verletzung ſelbſt; dahin gehört die Lehre von den Kla-
gen, den Exceptionen, und den weiteren Entwicklungen der
hierin enthaltenen Gegenſätze.
Andere entſtehen erſt durch die in den Rechtsſtreit ein-
greifenden, zur Abwendung der Verletzung beſtimmten Hand-
lungen. Die Litisconteſtation und das Urtheil ſind die ein-
flußreichſten unter dieſen Handlungen.
Die erſte Klaſſe macht den Inhalt des gegenwärtigen
Bandes aus, die zweyte wird in dem folgenden Band be-
handelt werden.
§. 205.
Klage (a).
Die beſondere Geſtalt, welche jedes Recht in Folge
einer Verletzung annimmt, zeigt ſich zunächſt in folgender
Weiſe. Unſere Rechte überhaupt beziehen ſich theils auf
alle uns gegenüber ſtehende Menſchen, theils auf beſtimmte
(a) Ich will hier gleich im Ein-
gang einige Schriften über dieſen
Gegenſtand namhaft machen, um
ſie im Lauf dieſer Unterſuchung be-
quemer anführen zu können. Du-
roi spec. observ. de j. in re
Heidelb. 1812. 8. Düroi Be-
merkungen über actio in rem und
a. in personam, Archiv B. 6.
S. 252—310, 386—440 (1823).
Gans über Römiſches Obliga-
tionenrecht Heidelberg 1819. 8.
Haſſe (der jüngere) über das
Weſen der actio, Rhein. Muſeum
B. 5 S. 1—86. 154—205 (1833).
Huschke progr. de actionum
formulis quae in lege Rubria
exstant. Vratislav. 1832. 4. —
Es muß dabey bemerkt werden, daß
bey Erſcheinung der erſten Schrift
von Düroi, ſo wie der Schrift
von Gans, Gajus noch nicht her-
ausgegeben war, weshalb das Gute
in dieſen Schriften verdienſtlicher,
das Irrige ſchuldloſer iſt.
|0019 : 5|
§. 205. Klage.
Individuen (§ 58), und dieſen letzten Character tragen am
Entſchiedenſten die Obligationen an ſich. Die Verletzung
unſrer Rechte aber iſt nur denkbar als Thätigkeit eines
beſtimmten Verletzers, zu welchem wir dadurch in ein ei-
genes, neues Rechtsverhältniß treten; der Inhalt dieſes
Verhältniſſes läßt ſich im Allgemeinen dahin beſtimmen, daß
wir von dieſem Gegner die Aufhebung der Verletzung for-
dern. Dieſer Anſpruch gegen eine beſtimmte Perſon und
auf eine beſtimmte Handlung hat demnach eine den Obli-
gationen ähnliche Natur (§ 56); der Verletzte und der Ver-
letzer, oder der Kläger und der Beklagte, ſtehen einander
gegenüber wie ein Glaubiger und ein Schuldner. So lange
jedoch dieſes neue Verhältniß in den Gränzen einer bloßen
Möglichkeit bleibt, und noch nicht zu einer beſtimmten
Thätigkeit des Verletzten geführt hat, können wir es nicht
als eine wahre, vollendete Obligation anſehen; es iſt viel-
mehr erſt der Keim einer ſolchen, der jedoch auf dem Wege
natürlicher Entwicklung in eine wahre Obligation übergeht.
Das hier beſchriebene, aus der Rechtsverletzung ent-
ſpringende Verhältniß heißt Klagrecht oder auch Klage,
wenn man dieſen Ausdruck auf die bloße Befugniß des
Verletzten bezieht; denn allerdings wird derſelbe auch ge-
braucht, um die in beſtimmter Form erſcheinende wirkliche
Thaͤtigkeit des Verletzten zu bezeichnen, in welchem Sinn
der Ausdruck die Klaghandlung bezeichnet, alſo (unter Vor-
ausſetzung des ſchriftlichen Prozeſſes) mit Klagſchrift oder
Klaglibell gleichbedeutend iſt. Hier kann blos von der
|0020 : 6|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Klage in jener erſten (materiellen) Bedeutung die Rede
ſeyn, alſo von dem Klagrecht; die Klage in der zweyten
(formellen) Bedeutung, oder die Klaghandlung, mit ihren
Bedingungen und Formen, gehört in die Lehre vom Prozeß.
Von dieſem allgemeinen Standpunkt aus laſſen ſich
zwey Bedingungen angeben, die bey jeder Klage voraus-
geſetzt werden: ein Recht an ſich, und eine Verletzung deſ-
ſelben. Fehlt das erſte, ſo iſt eine Rechtsverletzung un-
denkbar; fehlt die zweyte, ſo kann das Recht nicht die
beſondere Geſtalt einer Klage annehmen: es iſt nicht actio
nata, nach dem von neueren Juriſten eingeführten, richtig
bezeichnenden Ausdruck. Die Rechtsverletzung aber kann
wiederum in verſchiedenen Geſtalten erſcheinen, welche in
der Wirklichkeit oft in einander greifen oder auch unent-
ſchieden bleiben mögen. Es kann nämlich bald das Daſeyn
des Rechts oder der Verletzung von dem Gegner verneint,
bald auch ein blos factiſcher Eingriff in das unbeſtrittene
Recht eines Andern verſucht werden.
In dieſer ganzen Unterſuchung iſt eine genaue Feſt-
ſtellung des Römiſchen Sprachgebrauchs unentbehrlich.
Manche werden glauben, daß darauf hier zu großes Ge-
wicht gelegt ſey; wer aber unbefangen erwägt, wie viel
Unklarheit und Irrthum bey vielen Schriftſtellern lediglich
aus der Verſäumniß dieſer Grundlage entſprungen iſt, der
wird die hierauf verwendete Arbeit nicht fruchtlos finden.
In Beziehung auf die Klagen und ihre Bezeichnung müſ-
ſen wir im Römiſchen Recht drey Zeiträume unterſcheiden.
|0021 : 7|
§. 205. Klage.
In der älteſten Zeit iſt allein von der Legis actio die
Rede, und dieſer Ausdruck hat eine überwiegend formelle
Bedeutung. Er bezeichnet die zur Abwehr der Verletzung
anzuwendende Thätigkeit, welche theils in ſymboliſchen
Handlungen, theils in beſtimmt vorgeſchriebenen wörtlichen
Formeln beſtand.
Nachdem die Legis actiones (mit geringen Ausnahmen)
abgeſchafft waren, wurden die formulae Grundlage der
ganzen Rechtsverfolgung (b). Dieſer Zuſtand dauerte ſo
lange als der ordo judiciorum privatorum, beſtand alſo
namentlich zu der Zeit, worin die juriſtiſchen Schriftſteller
lebten. Hier wurde vorzugsweiſe actio für die materielle
Bedeutung der Klage, formula für die formelle gebraucht (c),
jedoch ſo daß die Ausdrücke nicht immer ſtreng aus ein-
ander gehalten wurden.
Seit der Aufhebung des ordo judiciorum, das heißt
(b) Gajus IV. § 30 „ .. per
legem Aebutiam et duas Julias
sublatae sunt istae legis actio-
nes, effectumque est, ut per
concepta verba, id est per for-
mulas, litigaremus.” — Es würde
ein großer Irrthum ſeyn, wenn
man glauben wollte, zur Zeit der
Legis actiones ſeyen keine feyer-
liche verba, alſo keine formulae,
gebraucht worden; davon ſagt Ga-
jus II. § 24. IV. § 16. 21. 24
gerade das Gegentheil. Der Un-
terſchied war der, daß man früher
ſymboliſche Handlungen vermiſcht
mit verba gebrauchte, ſpäter ſolche
verba allein, und zwar in neuer,
zeitgemäßer Abfaſſung; dieſe neuen,
allein ſtehenden, verba werden nun-
mehr ausſchließend mit dem Namen
formulae belegt, weil man keinen
ſpecielleren Namen dafür hatte.
Zugleich führt nun dieſer Ausdruck
noch den Nebenbegriff einer vom
Prätor an den Judex gerichteten,
und zwar ſchriftlich von ihm ab-
gefaßten, Anweiſung (concepta
verba) mit ſich, wodurch er in
einen noch ſchärferen Gegenſatz ge-
gen die alten, in den Legis actio-
nes enthaltenen, Formulare trat.
(c) Dieſes iſt der im vierten Buch
des Gajus herrſchende Sprachge-
brauch.
|0022 : 8|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
etwa von Conſtantin an, hat die formula mit ihren ein-
zelnen Theilen keine Bedeutung mehr, während die actiones
eben ſo wie früher vorkommen. In dieſem Sinn ſind die
Auszüge aus den früheren juriſtiſchen Schriftſtellern ge-
macht worden, aus welchen Juſtinians Digeſten beſtehen (d),
und dieſelbe Umarbeitung der Inſtitutionen des Gajus fin-
det ſich in Juſtinians Inſtitutionen.
Was nun das Wort actio betrifft, ſo war der Sprach-
gebrauch ſchon bey den alten Juriſten ſchwankend. Nach
Papinian heißt actio nur die Klage in personam, die in
rem heißt petitio, beide zuſammen persecutio (e). Aus
derſelben engeren Bedeutung iſt es zu erklären, daß die
Klage aus dem Erbrecht petitio hereditatis (nicht actio)
heißt. Ulpian dagegen unterſcheidet wörtlich eine ſpecielle
und eine generelle Bedeutung des Ausdrucks; die ſpecielle
iſt ihm dieſelbe wie bey Papinian, die generelle umfaßt
auch die in rem: persecutio nennt er die extraordinaria
cognitio, die ohne Judex durchgeführt wurde (f). In an-
(d) Wir haben alſo durchaus
keinen Grund, die unzähligen Di-
geſtenſtellen, welche von actiones
im Allgemeinen, oder von einzelnen
actiones, reden, für interpolirt zu
halten; dagegen ſind diejenigen
Stellen der alten Juriſten, welche
von der formula, intentio, con-
demnatio u. ſ. w. redeten, bis
auf wenige Spuren, bey der Ab-
faſſung der Digeſten weggelaſſen
worden.
(e) L. 28 de O. et A. (44. 7.).
(f) L. 178 § 2. 3 de V. S.
(50. 16.) (der § 3 freylich rechnet
auch die persecutio unter die
actiones). Dieſe Stelle hängt
durch die Inſcription zuſammen
mit L. 2 de hered. vel act.
vend. (18. 4.), worin die Frage
abgehandelt wird, welche Rechte,
und namentlich welche Klagen, der
Verkäufer einer Erbſchaft auf den
Käufer übertragen müſſe. Aus
dieſer größeren Stelle wurden die-
jenigen Stücke ausgehoben, welche
|0023 : 9|
§. 205. Klage.
deren Stellen nimmt er den Ausdruck bald in der engeren
Bedeutung (g), bald in der weiteren (h). Paulus dehnt
den Ausdruck auch auf die persecutio aus (i). Ganz un-
richtig nun würde es ſeyn, dieſe Ausdehnung des Sprach-
gebrauchs erſt nach Papinian annehmen zu wollen. Viel-
mehr zerlegt ſchon Gajus den Gattungsbegriff actio in
zwey Arten, in personam und in rem actio (k), bey wel-
cher Eintheilung offenbar ſchon der ausgedehntere Sprach-
gebrauch zum Grunde liegt. Hieraus iſt es einleuchtend,
daß der Sprachgebrauch lange Zeit hindurch geſchwankt
hat; jedoch darf dieſes nicht durchaus als Erzeugniß blo-
ßer Willkühr und gänzlicher Gleichgültigkeit gegen feſten
Sprachgebrauch angeſehen werden. Könnten wir die an-
geführten Stellen in ihrem urſprünglichen Zuſammenhang
als Worterklärungen dienen konn-
ten, und in den Titel de verbo-
rum significatione geſetzt. Dem
Inhalt nach hängen die angeführ-
ten §§ 2. und 3 zuſammen mit
L. 2 § 8 cit., ſo wie L. 178 § 1
cit. mit L. 2 § 1. 3. 9 cit. Auch
in L. 2 § 3 cit. wird die perse-
cutio von den actiones wörtlich
unterſchieden. — Übereinſtimmend
mit dem engeren Sprachgebrauch,
welchen Ulpian in L. 178 § 2 cit.
bezeichnet, iſt eine andere Stelle
deſſelben Juriſten, L. 49 eod.
(g) L. 35 § 2 L. 39 pr. de
proc. (3. 3.), worin er die actio
entgegenſetzt den Präjudicien, In-
terdicten, und prätoriſchen Stipu-
lationen. Eben ſo L. 68 de R.
V. (6, 1.), wo er die Interdicte
den Actionen entgegenſetzt.
(h) L. 37 pr. de O. et A.
(44. 7.). Hier ſagt er, unter dem
Namen actio ſeyen begriffen die
in rem, in personam, directae,
utiles, ferner die Präjudicien, In-
terdicte, und prätoriſchen Stipula-
tionen. Eben ſo in L. 25 pr. eod.
und in den weiter unten in § 206.
c. angeführten Stellen, worin über-
all von in rem actiones die
Rede iſt.
(i) L. 34 de V. S. (50. 16.).
— In L. 14 § 2 de exc. rei jud.
(44. 2.). ſpricht er von in rem
actiones.
(k) Gajus IV. § 1. vgl. IV.
§ 100. 106. 107.
|0024 : 10|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
leſen, ſo würde es daraus vielleicht klar werden, warum
die Verfaſſer derſelben den Ausdruck bald enger, bald wei-
ter gebraucht haben.
Die Definition der actio, die der Juriſt Celſus auf-
ſtellt (l), und die mit geringer Abänderung in Juſtinians
Inſtitutionen übergegangen iſt (m), beſtimmt den Ausdruck
in der engeren Bedeutung, ſo daß er blos die perſönlichen
Klagen bezeichnet. Es würde aber, nach den angeführten
Gründen, unrichtig ſeyn, hieraus ſchließen zu wollen, daß
zur Zeit des Celſus dieſer engere Sprachgebrauch aus-
ſchließend angewendet worden wäre. Noch irriger jedoch
wäre es, die Aufnahme dieſer Stelle in die Inſtitutionen
ſo aufzufaſſen, als wollte dadurch Juſtinian die engere
Bedeutung für die wahre und richtige erklären; dieſer
Annahme würde ſchon die unmittelbar nachher folgende,
mit Gajus übereinſtimmende, Eintheilung (in rem, in per-
sonam) widerſprechen. Man kann es nicht einmal einen
Fehler nennen, daß dieſe Definition an die Spitze des
Inſtitutionentitels geſetzt worden iſt, da die außerdem ver-
änderte Bedeutung der darin vorkommenden Worte jedem
(l) L 51 de O. et A. (44. 7.)
„Nihil aliud est actio, quam
jus, quod sibi debeatur, judieio
persequendi.” Das deberi, im
ſtrengen Sinn der alten Juriſten,
bezeichnet die obligatio als Grund
der Klage, und ſchließt alſo die
Klage in rem aus. Judicio aber
bezeichnet den Prozeß vor einem
Judex, alſo den Gegenſatz der
extraordinariae cognitiones.
(m) pr. J. de act. (4. 6.)
„Actio autem nihil aliud est,
quam jus persequendi judicio,
quod sibi debetur.” Die häufig
vorkommende Variante in judicio
können wir hier auf ſich beruhen
laſſen, da ſie den Sinn gar nicht
ändert.
|0025 : 11|
§. 206. In personam, in rem actiones.
an ſich möglichen Mißverſtändniß vorbeugt. Denn judi-
cium heißt im Juſtinianiſchen Recht nicht mehr der Pro-
zeß vor einem Judex, ſondern jedes Gericht und jeder
Rechtsſtreit überhaupt; und auch der Ausdruck quod sibi
debetur kann in dieſem Zuſammenhang füglich von Allem,
was man zu erwarten und zu verlangen hat, verſtanden
werden, ohne ausſchließende Beziehung auf eine Obligation
als Grund des Verlangens.
Bisher iſt der verſchiedene Sprachgebrauch als bloße
Thatſache nachgewieſen worden. Der Grund deſſelben liegt
darin, daß lange Zeit überhaupt keine andere Klagen vor-
kamen, als in personam, in welcher Zeit auch der Name
actio mit dieſen identiſch ſeyn mußte. Als ſpäterhin auch
eigene Klagen in rem eingeführt wurden, gebrauchte man
für dieſe zuerſt den unterſcheidenden Namen petitio, bis
man es gerathener fand, den Ausdruck actio ſo auszudeh-
nen, daß beiderley Klagen als Arten unter einen gemein-
ſchaftlichen Gattungsbegriff zuſammen gefaßt werden konn-
ten. Dieſer hiſtoriſche Zuſammenhang kann erſt in Ver-
bindung mit der nun folgenden Eintheilung der Klagen
nachgewieſen werden.
§. 206.
Arten der Klagen. In personam, in rem.
Die Arten der Klagen, deren genaue Unterſcheidung
allein im Stande iſt, der in dieſer Lehre häufig wahrzu-
nehmenden Verworrenheit abzuhelfen, haben eine verſchie-
|0026 : 12|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
dene Natur, je nach den Eintheilungsgründen, worauf der
Gegenſatz derſelben beruht. Einige beziehen ſich auf das
innere Weſen der Klagen ſelbſt, das heißt auf ihre Ver-
bindung mit den dadurch zu ſchützenden Rechten: dieſe ſind
nicht nur für das Verſtändniß der Rechtsquellen, ſondern
auch für die Einſicht in das heutige Rechtsſyſtem wichtig.
Andere beziehen ſich auf die Römiſche Prozeßform, und
haben deshalb eine mehr hiſtoriſche Natur; in dem heuti-
gen Rechtsſyſtem haben ſie kein lebendiges Daſeyn, ohne
ihre Kenntniß, ſind aber unſre Rechtsquellen nicht zu ver-
ſtehen, und es iſt aus dieſem Grunde räthlich, bei mehre-
ren dieſer Eintheilungen auch die auf ſie bezüglichen Kunſt-
ausdrücke fortwährend in Uebung zu erhalten (§ 224). Es
darf jedoch dieſer Unterſchied nicht zu abſolut aufgefaßt
werden, indem es in der erſten Klaſſe von Eintheilungen an
hiſtoriſchen Beziehungen, in der zweiten an praktiſchen,
nicht gänzlich fehlt, ſo daß der Unterſchied dieſer Klaſſen
ſelbſt nur auf dem in jeder derſelben überwiegenden Ele-
ment beruht.
Die wichtigſte Eintheilung der Klagen nach ihrem in-
neren Weſen iſt die: in personam, in rem actio. Dieſe
Eintheilung wird in der ausführlichſten Stelle, die wir
darüber beſitzen, in folgenden Worten vorgetragen (a).
(a) Dieſe Stelle iſt nicht aus
den Inſtitutionen des Gajus ge-
nommen, wir kennen auch keine
andere Stelle eines alten Juriſten,
woraus ſie herſtammt. Dennoch
würde es ganz irrig ſeyn, ihre Ab-
faſſung deshalb den Compilatoren
zuzuſchreiben. Daß ſie in der That
von einem alten Juriſten herrührt,
iſt nach mehreren Ausdrücken un-
|0027 : 13|
§. 206. In personam, in rem actiones.
§ 1 I. de actionibus. (4. 6.)
Omnium actionum, quibus inter aliquos apud judi-
ces arbitrosve de quacunque re quaeritur, summa
divisio in duo genera deducitur: aut enim in rem
sunt, aut in personam. Namque agit unusquisque
aut cum eo qui ei obligatus est, vel ex contractu
vel ex maleficio, quo casu proditae sunt actiones in
personam, per quas intendit adversarium ei dare aut
facere oportere et aliis quibusdam modis: aut cum
eo agit qui nullo jure ei obligatus est, movet tamen
alicui de aliqua re controversiam: quo casu proditae
actiones in rem sunt, veluti si rem corporalem pos-
sideat quis, quam Titius suam esse affirmet, et pos-
sessor dominum se esse dicat: nam si Titius suam
esse intendat, in rem actio est.
In dieſer merkwürdigen Stelle ſind folgende einzelne
Sätze enthalten. Zuerſt wird die Eintheilung für eine all-
gemeine, alle Klagen umfaſſende (omnium actionum summa
divisio) erklärt, ſo daß alſo keine Klage anzunehmen iſt,
die nicht entweder der einen oder der andern Art zuzurech-
nen wäre. Ferner bezeichnen dieſe Ausdrücke gleichmäßig
verkennbar. Denn wie hätten Ju-
ſtinians Juriſten darauf kommen
ſollen, in einer neu verfaßten Stelle
zu ſagen: apud judices arbi-
trosve, oder die intentio: dare
facere oportere, und suam rem
esse zu erwähnen, in einer Zeit
worin die Obrigkeit keine judices
mehr ernannte und alſo auch keine
formula mit einer intentio mehr
vorkam. Daß ſolche Ausdrücke aus
einem alten Juriſten mit abge-
ſchrieben wurden, erſchien hier den
Compilatoren ſo wenig anſtößig,
wie in unzähligen anderen Stellen.
|0028 : 14|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
generiſche, alſo unter einander gleichartige Begriffe, ſo
daß nicht blos ſcheinbar, in Folge einer zufälligen, unge-
nauen Ausdrucksweiſe, ſondern in der That, von zwei Ar-
ten derſelben Gattung die Rede iſt. Endlich wird der Ge-
genſatz beider Arten dahin beſtimmt: in personam heißt die
zum Schutz einer obligatio, in rem die zum Schutz irgend
eines anderen, außer den Gränzen der obligationes liegen-
den, Rechts eingeführte Klage.
Mit dieſer Erklärung ſtimmt nun im Weſentlichen über-
ein die, allerdings viel kürzere, Stelle des Gajus.
Gajus IV § 1. 2. 3. (Si quaeramus) quot genera ac-
tionum sint, verius videtur duo esse, in rem et in
personam. .... In personam actio est, quotiens
cum aliquo agimus, qui nobis vel ex contractu, vel
ex delicto obligatus est, id est cum intendimus dare,
facere, praestare oportere. In rem actio est, cum aut
corporalem rem intendimus nostram esse, aut jus
aliquod nobis competere …
Auch hier wird die Eintheilung als eine allgemeine
vorgetragen, weshalb noch beſonders im § 1 dagegen ge-
warnt wird, dieſe genera actionum nicht mit einzelnen
speeies zu verwechſeln. Beide Ausdrücke bezeichnen auch
hier wahrhaft generiſche Begriffe, eigentliche Eintheilungs-
glieder, womit noch mehrere andere Stellen des Gajus
übereinſtimmen (b). Endlich wird die Gränze beider Ar-
ten völlig eben ſo, wie bei Juſtinian, beſtimmt.
(b) Gajus IV § 17. 100. 106. 107.
|0029 : 15|
§. 206. In personam, in rem actiones.
Ganz auf ähnliche Weiſe redet Ulpian.
L. 25 pr. de O. et A. (44. 7.).
Actionum genera sunt duo: in rem, quae dicitur
vindicatio, et in personam, quae condictio appellatur.
Außerdem aber wird dieſelbe Eintheilung der Klagen in
vielen anderen Stellen des Ulpian und des Paulus als
bekannt vorausgeſetzt und auf vielfache Weiſe angewendet (c).
Man könnte glauben, dieſe Natur der vorgetragenen
Eintheilung ſei hier mit überflüſſiger Sorgfalt zu bewei-
ſen geſucht worden, da dieſelbe ohnehin nicht bezweifelt
werde; es iſt aber gerade deshalb geſchehen, weil ſie neu-
erlich mit großem Aufwand von Scharfſinn beſtritten wor-
den iſt (d). Im geraden Widerſpruch mit der gewöhnli-
chen, auch von mir vorgetragenen, Lehre iſt nämlich fol-
gende Anſicht aufgeſtellt worden. Urſprünglich ſollen die
Ausdrücke in rem, in personam actio zwei ganz hetero-
gene Begriffe bezeichnet haben: in rem eine einzelne Klage
(die Eigenthumsklage), die nur auf einige andere einzelne
Fälle nach und nach ausgedehnt worden ſey: in personam
gleich Anfangs eine ganze Klaſſe von Klagen. Erſt Ju-
ſtinian habe den Ausdrücken die Bedeutung von zwey ho-
mogenen Klaſſen der Klagen, Eintheilungsgliedern des all-
gemeinen Begriffs der Klage, untergelegt, und ſo ſey die
ganze Eintheilung eigentlich erſt als ſein Werk anzuſehen.
(c) Ulpian: L. 68 de R. V.
(6. 1.), L. 6 § 5 de aqua pluv.
(39. 3), L. 37 pr. de O. et A.
(44. 7), L. 36 de V. S. (50. 16.).
— Paulus: L. 14 § 2 de except.
rei jud. (44. 2.).
(d) Duroi Bemerkungen S. 407.
409. 412. 423.
|0030 : 16|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
— Dieſe Behauptung wird widerlegt durch den eben ge-
führten Beweis, daß die entſcheidende Stelle der Inſtitu-
tionen aus einem alten Juriſten herrührt (Note a), und
daß Gajus, Ulpian und Panlus die Begriffe ganz auf
dieſelbe Weiſe auffaſſen, wie es in Juſtinians Inſtitutio-
nen geſchieht. Erſt weiter unten aber wird es möglich
ſeyn, das wahre Element in dieſer irrigen Meynung nach-
zuweiſen, und dadurch den beygemiſchten Irrthum voll-
ſtändiger zur Anſchauung zu bringen.
Als gleichbedeutender Ausdruck für in rem actio kommt
vindicatio vor, bey Gajus, Ulpian, Juſtinian (e). Für
in personam actio bey Ulpian und Juſtinian condictio (f),
bey Ulpian personalis actio (g).
Beide Begriffe ſind nun noch genauer auf folgende
Weiſe zu beſtimmen. Es kommt darauf an, ob vor dem
vollſtändig eingeleiteten Rechtsſtreit (vor der Litiscon-
teſtation) eine eigentliche Obligation wahrgenommen
wird oder nicht; im erſten Fall iſt die Klage in personam,
im zweyten in rem. Das Daſeyn oder Nichtdaſeyn einer
Obligation vor der Verletzung iſt alſo nicht das ſtreng
unterſcheidende Moment. So iſt zwar bey den Contracts-
(e) Gajus IV § 5, L. 25 pr.
de O. et A. (44. 7.), § 15 J. de
act. (4. 6.).
(f) L. 25 pr. de O. et A.
(44. 7.), § 15 J. de act. (4. 6.).
Daß Gajus condictio mit in
personam actio nicht gleichbedeu-
tend nimmt, ſondern jenem Aus-
druck eine weit engere Bedeutung
beylegt, kann erſt weiter unten ge-
zeigt werden. Vgl. Beylage XIV.
Num. XXV.
(g) L. 3 § 3 ad exhib. (10. 4),
L. 6 § 5 de aqua pluv. (39. 3),
L. 178 § 2 de V. S. (50. 16.) —
Realis dagegen kommt nirgend vor,
weder bey Juriſten, noch bey an-
deren alten Schriftſtellern.
|0031 : 17|
§. 207. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)
klagen eine Obligation nicht nur vor der Litisconteſtation,
ſondern ſelbſt vor der Verletzung, vorhanden, dagegen bey
den Delictsklagen vor der Verletzung noch nicht, weil hier
die Verletzung mit der Entſtehung der Obligation zuſam-
menfällt: und doch ſind dieſe beide Arten von Klagen
personales. Bey dem Eigenthum dagegen erzeugt die bloße
Verletzung an ſich ſchon ein obligationähnliches Verhältniß,
aber keine wahre, eigentliche Obligation (§ 205), welche
vielmehr erſt durch die Litisconteſtation entſteht: daher iſt
die Eigenthumsklage in rem.
§. 207.
Arten der Klagen. In personam, in rem. (Fortſetzung.)
Um aber die umfaſſende Natur jener Eintheilung ge-
gen jeden Widerſpruch ſicher zu ſtellen, iſt es nöthig, die-
ſelbe auf die einzelnen Klaſſen von Rechten anzuwenden,
indem die Klagen ſelbſt bereits als Modificationen der
ihnen zum Grund liegenden Rechte dargeſtellt worden ſind.
Bey den Klagen in personam macht dieſe Anwendung
am Wenigſten Schwierigkeit. Niemand zweifelt, daß dar-
unter alle Klagen zum Schutz der Obligationen, und nur
dieſe, zu verſtehen ſind.
Demnach müſſen die Klagen in rem, wenn überhaupt
die Eintheilung erſchöpfend ſeyn ſoll, angewendet werden
zum Schutz der Verhältniſſe des Sachenrechts, Erbrechts,
Familienrechts (a).
(a) Ich ſage: des Familienrechts. Die Römer ſprechen von
V. 2
|0032 : 18|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Die Anwendung auf das Sachenrecht, alſo auf Eigen-
thum und jura in re, erregt kein Bedenken; gerade von
ſolchen Fällen ſind in den oben angeführten Stellen der
Inſtitutionen und des Gajus die Beyſpiele der in rem
actiones hergenommen. Dieſe Klagen werden auch als
speciales in rem actiones bezeichnet.
Auch die Anwendung auf die Erbrechtsklage läßt kei-
nem Zweifel Raum, da dieſelbe ausdrücklich als in rem
actio bezeichnet wird (b).
Dagegen wird den Klagen aus dem Familienrecht die
Eigenſchaft von in rem actiones ſtreitig gemacht, und
wenn ſie ihnen wirklich nicht zukäme, ſo würden wir ge-
nöthigt ſeyn, die ganze Eintheilung für eine nicht völlig
erſchöpfende zu halten.
Zwar nach der herrſchenden Meynung ſind auch die
quaestio de statu, und verſtehen
darunter zwey mögliche Arten eines
Rechtsſtreits: 1) über den ſtaats-
rechtlichen Status, Freyheit und In-
genuität 2) über den privatrechtli-
chen, das heißt die Familie. Da
wir aber im heutigen Recht jenen
erſten nicht kennen, ſo iſt für uns,
das heißt in dem Theil des R. R.
den wir noch übrig haben, die sta-
tus quaestio mit dem Streit über
Familienverhältniſſe völlig identiſch,
welches ich zur Rechtfertigung der
in dieſem §. angewendeten Termi-
nologie bemerke. Vgl. Band 2.
Beyl. VI. Num. VI. und IX.
(b) L. 27 § 3 de R. V. (6. 1)
„ .. in hereditatis petitione,
quae et ipsa in rem est“ …
L. 25 § 18 de her. pet. (5. 3)
„Petitio hereditatis, etsi in rem
actio sit“ … L. 49 eod. — Der
einzige Zweifel könnte hergenom-
men werden aus der beſchränkten
Natur des Beklagten. Davon wird
noch weiter die Rede ſeyn. — Übri-
gens bezieht ſich dieſes nur auf
die Klage aus dem Erbrecht ſelbſt;
die daraus entſpringenden ſecundä-
ren Rechtsverhältniſſe, wie Legate
u. ſ. w., laſſen ſich ſtets auf ding-
liche Rechte und Obligationen zu-
rück führen, und werden durch die
Klagen dieſer Rechtsverhältniſſe ge-
ſchützt. — Vgl. auch Beylage XIII.
Num. IX.
|0033 : 19|
§. 207. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)
Klagen aus Familienverhältniſſen in rem, und dieſe Mey-
nung wurde früherhin durch folgende Stelle als völlig
begründet angeſehen.
§. 13. J. de act. (4. 6.)
Praejudiciales actiones in rem esse videntur, quales
sunt, per quas quaeritur, an aliquis liber, vel liber-
tus sit, vel de partu agnoscendo.
Praejudicialis actio, ſagte man, heißt, nach dem Zeug-
niß dieſer Stelle ſelbſt, jede Klage über den Status, wo-
hin unter andern auch alle Klagen aus dem Familienrecht
gehören. Dieſe alle nun ſind, wie dieſelbe Stelle aus-
drücklich ſagt, in rem. — Was dagegen früher eingewen-
det wurde, daß nicht geſagt werde sunt, ſondern esse vi-
dentur, daß es alſo nur ſo ſcheine, daß den Präjudi-
cialklagen nur einige Ähnlichkeit mit in rem actiones
hier zugeſchrieben werde (c) — dieſe Einwendung war
ohne Grund, da der Ausdruck videtur regelmäßig nicht
blos auf Schein oder Ähnlichkeit, ſondern auf poſitive
Wirklichkeit geht (d). — Wichtiger iſt allerdings der Um-
ſtand, daß die urſprüngliche Bedeutung von praejudicium
gar nicht auf den Gegenſtand der Klage, ſondern auf ihre
prozeſſualiſche Faſſung zu beziehen iſt: es war eine for-
mula mit bloßer intentio, ohne condemnatio, oft alſo eine
blos proviſoriſche Maaßregel, um vorläufig das Daſeyn
eines Rechtsverhältniſſes feſtzuſtellen, von welchem man
(c) Duroi observ. p. 21.
(d) Vgl. die Stellen bei Dirksen manuale latinitatis p. 1000.
2*
|0034 : 20|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
in einem ſpäteren Rechtsſtreit Gebrauch machen wollte (e).
Dieſe Prozeßform wurde nun allerdings in allen Prozeſ-
ſen über den Status angewendet, aber auch in manchen
anderen Prozeſſen, und namentlich in ſolchen, deren Ge-
genſtand Obligationen waren (f). Aus dieſer Entdeckung
hat man nun neuerlich ſchließen wollen, die angeführte
Stelle der Inſtitutionen ſey eine Erfindung der Juriſten
Juſtinians, und dem Römiſchen Recht eigentlich fremd (g);
beide Stücke dieſer Behauptung aber können nicht zuge-
geben werden. Zuvörderſt nämlich iſt es im Sinn des
Juſtinianiſchen Rechts völlig richtig zu ſagen, Präjudi-
cialklagen ſind Klagen aus dem Status, da von den übri-
gen Präjudicialklagen des älteren Rechts (quanta dos
sit, an praedictum sit u. ſ. w.) keine einzige mehr vor-
kommt (h); wenigſtens im Sinn des Juſtinianiſchen Rechts
alſo wäre die gewöhnliche Erklärung jener Stelle der In-
(e) Dieſes ſagt ſchon Theophi-
lus in § 13 J. de act., allein es
war eine unfruchtbare Notiz, ſo-
lange wir die Beſtandtheile der
formula und deren Zuſammenhang
nicht kannten. Bey Gajus IV.
§ 44. 48 findet ſich nun nicht nur
eine vollgültigere Beſtätigung, ſon-
dern es iſt vorzüglich die Bedeu-
tung jener Eigenthümlichkeit man-
cher Klagen erſt klar geworden.
(f) Gajus III. § 123. IV. § 44.
Paulus V. 9. § 1. L. 30 de reb.
auct. jud. (42. 5.). — Nicht da-
hin gehört Gajus IV. § 94, denn
dieſe sponsio hatte allerdings eine
condemnatio, die aber nur eine
bloße Formalität war „nec tamen
haec summa sponsionis exigi-
tur.” Es war alſo kein praeju-
dicium, kam aber im Zweck und
Erfolg mit einem ſolchen überein,
und daher nennt es Gajus eine
sponsio praejudicialis.
(g) Düroi Bemerkungen S. 406
— 410, beſonders S. 409.
(h) Daß einmal in den Dige-
ſten ein ſolcher Fall genannt wird,
(Note f), muß als eine blos an-
tiquariſche Notiz betrachtet werden;
denn Niemand wird behaupten, daß
in unſrem Recht ein ſolcher Fall
anders als jeder gewöhnliche Rechts-
ſtreit behandelt werden dürfe.
|0035 : 21|
§. 207. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)
ſtitutionen richtig, und zugleich die Stelle ſelbſt tadellos:
ſie enthielte nicht eine Entſtellung des älteren Rechts, ſon-
dern eine angemeſſene Reduction deſſelben auf den im All-
gemeinen veränderten Rechtszuſtand. Ich gehe aber noch
weiter, und behaupte, daß ſelbſt im Sinn des älteren
Rechts alle Präjudicien ohne Unterſchied in rem genannt
werden konnten. In dieſer Allgemeinheit läßt ſich der
Satz erſt weiter unten beweiſen (§. 209); allein in der
beſonderen Anwendung auf die den Status betreffenden
Präjudicien, auf welche allein es hier ankommt, fehlt es
nicht an unmittelbaren Zeugniſſen, die ſchon hier meine
Behauptung außer Zweifel ſetzen. Der Streit über Frey-
heit wurde durch vindicatio in libertatem oder in servitu-
tem geführt. Auf dem bloßen Schein einer ſolchen in li-
bertatem vindicatio beruhte die ganze Freylaſſung per
vindictam (i). Eben ſo konnte die legitima tutela über
Frauen durch in jure cessio übertragen werden (k); da
nun die in jure cessio überhaupt eine ſymboliſche Vindi-
cation war (l), ſo iſt dadurch die Vindicationsform auch
für jene Art der Tutel erwieſen. Ja ſelbſt der Rechts-
ſtreit über das Daſeyn einer väterlichen Gewalt konnte in
der feyerlichen Form einer vindicatio ex jure quiritium
geführt werden (m). Und eben ſo beruhte die feyerliche
(i) Livius XLI. 9.
(k) Gajus I. § 168. Ulpian.
XI. § 6 — 8. XIX. § 11.
(l) Gajus II. § 24. Ulpian.
XIX. § 9. 10.
(m) L. 1 § 2 de R. V. (6. 1.).
Ich verſtehe die ſchwierige Stelle
ſo, daß bey dem Streit über Pa-
ternität das praejudicium, wel-
ches nach meiner Anſicht ſtets in
rem war, in verſchiedenen Formen
gebraucht werden konnte, ähnlich
|0036 : 22|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Form der Adoption unter andern auf einer in jure cessio,
wobey der Adoptivvater die väterliche Gewalt als ſchon
vorhanden durch Vindication in Anſpruch nahm (n).
Sind nun, wie hier dargethan worden iſt, in rem
alle Klagen aus dem Sachenrecht, Erbrecht, Familien-
recht, ſo iſt der früher ſehr verbreitete Sprachgebrauch zu
verwerfen, welcher jene Benennung auf die Klagen aus
dem Sachenrecht beſchränkt, durch welche Beſchränkung
wiederum die ganze Eintheilung aufhören würde, eine all-
gemeine, alle Klagen umfaſſende, zu ſeyn. Jener irrige
Sprachgebrauch wurde begünſtigt durch eine täuſchende
Übereinſtimmung von Kunſtausdrücken, die man aber frey-
lich theilweiſe erſt ſelbſt geſchaffen hatte, unbekümmert um
den aus den Rechtsquellen zu erweiſenden Sprachgebrauch.
den verſchiedenen Formen der Eigen-
thumsklage (Gajus IV. § 91—95.).
Wählte man die feyerlichere Form
einer vindicatio ex jure quiri-
tium, ſo erhielt dann die Klage
eine wörtliche Gleichheit mit der
Eigenthumsklage, und darauf geht
der Ausdruck: „per hanc autem
actionem liberae personae …
non petuntur … nisi forte ..
adjecta causa quis vindicet.”
Dieſe feyerlichere Form wurde viel-
leicht angewendet, wenn man es
vorzog, vor den Centumvirn zu kla-
gen. Doch wäre es auch möglich,
daß die hier erwähnte vindicatio
des Sohnes nicht von der feyer-
licheren Form des ernſtlichen Rechts-
ſtreits, ſondern vielmehr von der
ſymboliſchen Anwendung deſſelben
bey der Adoption (Note n) ver-
ſtanden werden ſollte. Uebrigens
iſt es wahrſcheinlich, daß dieſe Stelle
hauptſächlich durch Interpolationen
und Weglaſſungen ſo ſchwierig iſt;
aber die vindicatio ex lege qui-
ritium iſt gewiß nicht von den
Compilatoren erfunden, wiewohl
ſie lege anſtatt jure geſetzt haben
mögen, ſo wie vorher jure Roma-
no anſtatt jure quiritium, viel-
leicht nur in der Abſicht, um das
Andenken an die proſcribirte For-
mel ex jure quiritium überall
auszutilgen.
(n) Gajus I. § 134 „is qui
adoptat vindicat apud Praeto-
rem filium suum esse.“
|0037 : 23|
§. 208. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)
Man nannte nämlich das Sachenrecht (als Theil der
Rechtswiſſenſchaft) jus in rem, und belegte zugleich jedes
einzelne dingliche Recht mit demſelben Namen. Eben ſo
nannte man das Obligationenrecht im Ganzen, desgleichen
jede einzelne Forderung, jus in personam. Indem man
nun dieſe erfundenen Kunſtausdrücke mit den quellenmäßi-
gen willkührlich in Verbindung ſetzte, lag es allerdings
ſehr nahe, den ganzen Zuſammenhang ſo zu faſſen: dem
jus in rem entſpricht die actio in rem, dem jus in perso-
nam die actio in personam. Es zeigt ſich alſo auch hier
die mit der willkührlichen Wortbildung verknüpfte Gefahr
recht augenſcheinlich (o).
§. 208.
Arten der Klagen. In personam, in rem. (Fortſetzung.)
Mit der hier erklärten Eintheilung der Klagen, ſo wie
mit der Bezeichnung derſelben, ſteht in der Regel auch
noch der Umſtand in Verbindung, daß die perſönliche Klage
nur gegen einen beſtimmten und bekannten Gegner, die
Klage in rem gegen einen unbeſtimmten, unbekannten ge-
richtet iſt. (§ 56. f.). Der Sinn dieſer Unterſcheidung aber
(o) Vgl. Band 1. S. XLIII.
der Vorrede. — Aus den hier an-
gegebenen Gründen iſt es denn
auch räthlich, den von Manchen
gebrauchten Ausdruck dingliche
Klage (für in rem actio) zu
vermeiden, da er ſehr natürlich
dahin führt, einer ſo bezeichneten
Klage denſelben beſchränkten Um-
fang wie den dinglichen Rechten
(Eigenthum und jura in re) an-
zuweiſen. Der Ausdruck perſön-
liche Klage iſt tadellos, da er
dem Römiſchen Namen personalis
actio vollkommen entſpricht, und
in der Sache keinem Misverſtänd-
niß Raum giebt.
|0038 : 24|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
geht dahin, daß bey der erſten Klaſſe von Klagen ſchon
vor der Verletzung die Perſon des allein möglichen Ver-
letzers und Beklagten, nämlich des Schuldners, beſtimmt
und bekannt iſt, anſtatt daß bey den Klagen in rem ur-
ſprünglich jeder Menſch der Verletzung, die eine ſolche
Klage veranlaſſen kann, fähig iſt, ſo daß dieſe Unbeſtimmt-
heit in der Perſon des Beklagten erſt durch die wirklich
eingetretene Verletzung aufgehoben wird. Auch in ande-
ren Anwendungen, als bey den Klagen, werden die Aus-
drücke in personam und in rem gebraucht, um die Rich-
tung eines Rechtsgeſchäfts oder einer Rede auf eine be-
ſtimmte Perſon auszudrücken oder zu verneinen (a).
Allein das Zuſammentreffen dieſes Gegenſatzes mit dem
der beiden Arten von Klagen iſt keinesweges allgemein,
und es darf davon nur mit Vorſicht Anwendung gemacht
werden. So giebt es auf der einen Seite mehrere per-
ſönliche Klagen, die dennoch gegen einen unbeſtimmten
Gegner, namentlich gegen jeden Beſitzer einer Sache, ge-
(a) Pactum in rem. L. 7 § 8
L. 57 § 1 de pactis (2. 14.). —
Nunciatio in rem fit. L. 10 de
O. n. n. (39. 1.). — Praetor in
rem loquitur, edictum in rem
scriptum est. L. 9 § 1 quod
metus (4. 2), L. 5 § 3 quibus
ex causis (42. 4.). Der Aus-
druck in rem bezeichnet alſo das
Unperſönliche. — So kann man
auch von einer intentio in rem
oder in personam concepta ſpre-
chen, je nachdem darin die Perſon
des Gegners ausgedrückt iſt oder
nicht; man muß dann ſagen, jede
in rem actio habe eine in rem
concepta intentio, aber eine in
personam actio könne nach Um-
ſtänden bald in personam, bald
in rem concepta intentio haben.
Jedoch gilt Dieſes nur von den
prätoriſchen Klagen. L. 1 § 3
de interd. (43. 1), L. 5 § 13
quod vi (43. 24.). Bey den Ci-
vilklagen war die Natur der Klage
ſtets aus der Faſſung der Formel
unmittelbar zu erkennen. Vgl. un-
ten § 216. w.
|0039 : 25|
§. 208. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)
richtet werden können, ganz wie es in der Regel nur bey
den in rem actiones der Fall iſt. Dahin gehört die aus
einem erzwungenen Rechtsgeſchäft entſpringende Forderung
des Gezwungenen auf Herſtellung ſeines früheren Zuſtan-
des; ſowohl die Klage, als die Exception zu dieſem Zweck
wirkt gegen jeden Beſitzer, und es wird zuweilen dieſe
Eigenthümlichkeit durch den Ausdruck actio und exceptio
in rem scripta bezeichnet (b), welches der oben erwähnten
Ausdrucksweiſe ganz entſpricht (Note a); dennoch iſt die
Klage ſelbſt durchaus in personam (c). — Eine gleiche
Natur hat die actio ad exhibendum, anwendbar gegen
Jeden, der zufällig in der Lage iſt, die Sache exhibiren
zu können, obgleich auch ſie ausdrücklich als perſönliche
Klage bezeichnet wird (d). — Eben ſo iſt die actio aquae
pluviae perſönlich, und geht dennoch (mit einiger Beſchrän-
kung) gegen jeden Beſitzer; auf dieſelbe Weiſe auch das
Interdict quod vi (e). — Die Noxalklagen entſpringen
aus Delicten, alſo aus Obligationen, und können dennoch
gegen Jeden angeſtellt werden, der irgend einmal das
(b) L. 9 § 8 quod metus
(4. 2), L. 4 § 33 de doli exc.
(44. 2.). Es iſt nicht richtig, den
Ausdruck in rem scripta actio
als eigentlichen, durchgehenden
Kunſtausdruck zu betrachten. Vgl.
Düroi Bemerkungen S.410—412.
(c) Wenn es der Beſchädigte
bedarf, ſo kann er durch prätori-
ſche Reſtitution auch das verlorne
Eigenthum unmittelbar wieder er-
halten, alſo eine wahre in rem
actio; dieſe wird aber von der
außerdem geltenden actio quod
metus genau unterſchieden, wo-
durch eben die perſönliche Natur
dieſer lezten ganz außer Zweifel
geſezt wird. L. 9 § 4. 6 quod me-
tus (4. 2), L. 3 C. eod. (2. 20.).
(d) L. 3 § 3. 15 ad exhib.
(10. 4.).
(e) L. 6 § 5 L. 12 de aqua
pluv. (39 3.) — L. 5 § 13 L. 7
pr. § 1 quod vi (43. 24.).
|0040 : 26|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Eigenthum des Sklaven erwirbt, nach der Regel: noxa
caput sequitur (f). Eben ſo auch die Klage aus den von
Thieren zugefügten Beſchädigungen (g). — Das Interdict
quod legatorum iſt perſönlich, wie alle Interdicte, und
geht dennoch gegen jeden Beſitzer der Sache, die der Le-
gatar eigenmächtig in Beſitz genommen hat (h). — Auch
die Klage auf Steuerreſte geht gegen jeden ſpäteren Be-
ſitzer des ſteuerpflichtigen Grundſtücks (i).
Auf der andern Seite aber giebt es auch einige in
rem actiones, die nur gegen beſtimmte, einzelne Perſonen
angeſtellt werden können. Dahin gehört vor Allem die
hereditatis petitio, die nicht ſo, wie die Eigenthumsklage,
gegen jeden Beſitzer, ſondern nur gegen Denjenigen ange-
ſtellt werden kann, der entweder pro herede oder pro pos-
sessore beſitzt (k). — Wenn ein inſolventer Schuldner
ſeine Glaubiger durch unredliche Veräußerungen in Nach-
theil bringt, ſo geht gegen den Erwerber der ſo veräußer-
ten Sachen die Pauliana actio nur dann, wenn er ent-
weder an jener Unredlichkeit Antheil genommen, oder
durch Schenkung erworben hat (l). Dieſe Klage iſt per-
ſönlich (m), ſie kann aber nach Bedürfniß, eben ſo wie
die aus dem Zwang entſpringende Klage (Note c), durch
(f) § 5 J. de noxal. act.
(4. 8.).
(g) L. 1 § 12 si quadr. (9. 1.).
(h) L. 1 § 13 quod leg. (43. 3),
verglichen mit L. 1 § 3 de interd.
(43. 1.).
(i) L. 7 pr. de publicanis
(39. 4.).
(k) L. 9. 10. 11 de her. pet.
(5. 3.).
(l) L. 6 § 8. 11 L. 10 pr. § 2
quae in fraud. (42. 8.).
(m) L. 38 pr. § 4 de usuris
(22. 1.).
|0041 : 27|
§. 208. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)
Reſtitution zu einer in rem actio erhoben werden (n). Da
ſie jedoch auch in dieſem Fall nur gegen die erwähnten
beſtimmten Perſonen angeſtellt werden kann, ſo iſt auch
darin eine auf einen individuellen Beklagten eingeſchränkte
Klage in rem enthalten (o). — Die Ehefrau hat auf Rück-
forderung der Dos, nach Juſtinians Vorſchrift, eine Vin-
dication, welche jedoch, der richtigeren Meynung nach,
nur gegen den Mann ſelbſt, nicht gegen einen dritten Er-
werber angeſtellt werden kann (p).
Es iſt indeſſen nicht zu verkennen, daß ſowohl die Be-
ziehung der perſönlichen Klagen auf unbeſtimmte, als die
(n) L. 10 § 22 quae in fraud.
(42. 8.). Hieraus iſt zu erklären
der § 6 J. de act. (4. 6), durch
deſſen zu allgemeinen Ausdruck man
verleitet werden könnte, die Pau-
liana in allen Fällen für eine Klage
in rem zu halten, und wohl gar
die Beſchränkung in der Perſon
des Beklagten zu negiren, im Wi-
derſpruch mit den in den Noten l
und m angeführten Stellen. Die
Einſchränkung der Stelle auf den
beſonderen Fall einer Reſtitution
wird außerdem gerechtfertigt theils
durch die Worte rescissa tradi-
tione, theils durch den Rückblick
auf den unmittelbar vorhergehen-
den § 5, der gleichfalls eine auf
Reſtitution gegründete in rem
actio erwähnt, und dabey auch
den Ausdruck rescissa usucapio-
ne gebraucht. Vgl. Vinnius ad
§ 6 cit., ibique Heineccius. Das
Intereſſe des Klägers bey der in
rem actio, in Vergleichung mit
der in personam, kann darin be-
ſtehen, daß der Erwerber, der durch
ſeinen Dolus oder durch den
Schenkungstitel der Pauliana un-
terworfen iſt, ſelbſt wieder in Con-
curs gerathen ſeyn kann, in wel-
chem Fall vielleicht die perſönliche
Klage gegen ihn fruchtlos ſeyn
würde.
(o) Man könnte eine Klage
ſolcher Art: in rem actio in
personam scripta nennen, was
ich jedoch nicht ſage, um dieſen
nicht quellenmäßigen, auch ganz
entbehrlichen, Ausdruck zu empfeh-
len, ſondern nur um den Zuſam-
menhang dieſer Art von Klagen
mit der vorher erwähnten Art (der
personalis in rem scripta) an-
ſchaulicher zu machen.
(p) L. 30 C. de j. dot. (5. 12)
„Si tamen exstant.” Die ge-
nauere Ausführung dieſes Satzes
gehört an einen anderen Ort.
|0042 : 28|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Beſchränkung der Klagen in rem auf beſtimmte Gegner,
nur als Ausnahmen zu betrachten ſind. Wo alſo bey
einzelnen Klagen der Grund einer ſolchen Ausnahme nicht
beſonders nachgewieſen werden kann, da bleibt es bey der
Regel, nach welcher die Klagen gegen beſtimmte oder un-
beſtimmte Gegner angeſtellt werden können, je nachdem ſie
in personam oder in rem ſind.
§. 209.
Arten der Klagen. In personam, in rem. (Fortſetzung.)
Die umfaſſende Eintheilung der Klagen, in personam
und in rem, iſt bis jetzt nicht nur für das Juſtinianiſche
Recht nachgewieſen, ſondern auch bis auf die Zeit des
Gajus zurückgeführt worden. Es iſt aber nöthig, in eine
noch frühere Zeit hinauf zu gehen, und die allmälige Ent-
wicklung dieſer Begriffe darzulegen, um die irrige Auffaſ-
ſung dieſes Gegenſtandes, die in einzelnen Anwendungen
ſchon oben erwähnt worden iſt (§ 207), vollſtändig zu be-
ſeitigen.
Während der Herrſchaft der alten Legis actiones war
der Unterſchied jener beiden Arten der Klagen völlig an-
erkannt und durch beſondere Prozeßformen ausgedrückt.
Jede in rem actio wurde nämlich mit einem ſymboliſchen
Verfahren, den manus consertae, eröffnet, auf welches
dann die Ernennung eines Judex und das Verfahren vor
demſelben folgte. Die in personam actio fieng gleich mit
der Ernennung des Judex an, und beſtand alſo aus dem-
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§. 209. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)
jenigen Verfahren allein, welches bey der in rem actio
die zweyte Hälfte des Ganzen bildete (a). Man kann da-
her ſagen, daß damals die Klagen mit und ohne manus
consertae genau daſſelbe waren, was ſpäterhin in rem
und in personam actiones genannt wurde.
Dieſe Prozeßform erhielt ſich in den Centumviralſa-
chen bis in die Zeit der ausgebildeten Rechtswiſſenſchaft;
für alle übrige Prozeſſe wurde ſie durch einige Volksſchlüſſe
aufgehoben, ſo daß nun der Prozeß per formulas an ihre
Stelle trat (§ 205. b.). Es ſcheint, daß in dieſem zuerſt
gar keine Klagen in rem vorkamen, indem man jedem
Streit, der dazu hätte führen müſſen, durch erzwungene
Sponſionen den Character einer Contractsklage beylegte.
Das praktiſche Bedürfniß ſcheint aber zuerſt bey dem Ei-
genthum darauf geführt zu haben, daß man dem Kläger
die Wahl ließ, ob er dieſen umſtändlicheren Sponſionen-
prozeß führen, oder in einfacherer Weiſe gleich unmittel-
bar auf die Anerkennung des Eigenthums klagen wollte.
Dieſes geſchah durch die petitoria formula (die in Juſti-
nians Rechtsbüchern gewöhnlich rei vindicatio heißt) mit
der intentio: rem suam esse, mit oder ohne ex jure qui-
ritium. Dieſen Zuſtand der Sache ſtellt uns ſehr deutlich
(a) Gajus IV. § 16. 17. In
den verſtümmelten vorhergehenden
Sätzen hatte er von der Behand-
lung der in personam actio ge-
ſprochen, dann fährt er hier ſo
fort: „Si in rem agebatur, mo-
bilia quidem et moventia .. in
jure vindicabantur ad hunc
modum (nun folgt die Beſchrei-
bung der manus consertae) ..
deinde sequebantur quaecunque
(si) in personam ageretur” …
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Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Gajus dar (b), er war aber entſchieden ſchon zur Zeit
des Cicero vorhanden, welcher ein Beyſpiel dieſer petito-
ria formula, ganz mit Gajus übereinſtimmend, anführt (c).
Dadurch war eine einzelne in rem actio in den Formular-
prozeß eingeführt, ſo daß man damals ſagen konnte, in
rem actio ſey der individuelle Name der Eigenthumsklage,
in personam actio die generiſche Bezeichnung aller übrigen
Klagen überhaupt. Der in dieſer Zeit ſo gebildete Sprach-
gebrauch hat ſich, wie es zu geſchehen pflegt, theilweiſe
noch in ſpäterer Zeit erhalten, ſo daß nicht ſelten in rem
actio als individueller Name von ſolchen Schriftſtellern
gebraucht wird (d), die außerdem den Ausdruck als Be-
(b) Gajus IV. § 91 — 95. Es
gab zweyerley Eigenthumsklagen
per formulas, und außerdem noch
die Sacramenti legis actio vor
den Centumvirn.
(c) Cicero in Verrem II. 12
„L. Octavius judex esto: Si
paret, fundum Capenatem, quo
de agitur, ex jure quiritium
P. Servilii esse, neque is fun-
dus Q. Catulo restituetur: non
necesse erit L. Octavio judici
cogere P. Servilium Q. Catulo
fundum restituere, aut condem-
nare eum quem non oporteat?”
Offenbar wählt hier Cicero eine
hergebrachte, allgemein anerkannte
Klagformel, und was er daran
als ſchreyende Ungerechtigkeit her-
vorhebt, beſteht nur darin, daß
nach dieſer Faſſung die Reſtitution
des Grundſtücks an eine andere
Perſon, als den vorher bezeichne-
ten Eigenthümer geſchehen müßte.
(d) So geſchieht es von Ga-
jus (IV. 51. 91. 86. 87), Ulpian
(L. 1 § 1 de R. V. 6. 1), Pau-
lus (L. 23 pr. eod.). Eben ſo
in vielen Stellen des tit. Dig.
de R. V. (6. 1.). — Dagegen
darf nicht hieraus erklärt werden
L. 25 pr. de O. et A. (44. 7)
„In rem actio est per quam
rem nostram, quae ab alio
possidetur, petimus.” Denn da
dieſe Worte unmittelbar hinter der
Eintheilung der actiones in duo
genera ſtehen (ſ. o. § 206), ſo iſt
offenbar jener Satz nicht Defini-
tion der in rem actio, ſondern
nur erläuterndes Beyſpiel für den
aufgeſtellten generiſchen Begriff.
Auch würde ja ſonſt in dieſen
Worten Ulpian ſelbſt der confes-
soria den Character einer in rem
actio abſprechen.
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§. 209. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)
zeichnung einer ganzen Klaſſe von Klagen, gegenüberſtehend
der Klaſſe der in personam actiones, kennen und gebrauchen
(§ 206). Daſſelbe Bedürfniß aber führte dahin, die peti-
toria formula auch auf Rechte außer dem Eigenthum an-
zuwenden, bey welchen man ſich bis dahin mit den um-
ſtändlicheren Sponſionen behelfen mochte, und dadurch zu-
erſt wurde der Ausdruck in rem actio zu einer generiſchen
Bezeichnung, gleichartig dem Ausdruck in personam actio;
erſt ſeit dieſer Zeit konnte man ſagen, wie es Gajus aus-
drücklich thut: duo genera esse actionum, in rem et in
personam (§ 206). So iſt die Klage, die wir confessoria
nennen, in der That Nichts als die petitoria formula für
die Servituten, ſo wie unſere hereditatis petitio die peti-
toria formula für das Erbrecht. Für dieſe lezte können
wir zufällig nachweiſen, daß ſie ſpäter als die bey dem
Eigenthum anerkannt worden iſt, denn Cicero, der die pe-
titoria formula für das Eigenthum wohl kennt (Note c),
ſagt bey dem Erbrecht ausdrücklich, es gebe dafür nur
zwey Klagformen, vor den Centumvirn, und durch Spon-
ſion (e). — Dieſe Ausdehnung der neuen Klagform ge-
ſchah nicht plötzlich, ſondern allmälig und ſchrittweiſe, bald
(e) Cicero in Verrem I. 45
„Si quis testamento se heredem
esse arbitraretur, quod cum
non exstaret, lege ageret in
hereditatem, aut, pro praede
litis vindiciarum cum satis ac-
cepisset, sponsionem faceret,
ita de hereditate certaret.”
Hier ſind alſo von den drey Klag-
formen, die Gajus für das Eigen-
thum aufſtellt (Note b), nur zwey
für das ſtreitige Erbrecht als mög-
lich angegeben, da doch bey dem
Eigenthum derſelbe Cicero (Note c)
auch die dritte, die petitoria for-
mula, als gültig vorausſezt.
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Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
für dieſe bald für jene einzelne Klage. Als Vermittlung
diente dabey der unbehülfliche, an ſich ganz entbehrliche,
Ausdruck res incorporalis (f); denn indem man die Ser-
vituten und Erbſchaften als ſolche res incorporales be-
zeichnete, fand man kein Bedenken, darauf dieſelbe vindi-
catio anzuwenden, die bey der res corporalis bereits an-
erkannt war: die Ausdrücke in der Formel konnten dieſel-
ben bleiben, da die Servituten und das Erbrecht eben
ſowohl dem alten, ſtrengen Civilrecht angehörten, als das
Eigenthum (g). In anderen Fällen wurde die Vermitt-
lung durch eine utilis actio, das heißt durch die in der
Formel ſelbſt ausgedrückte Fiction des Eigenthums, be-
wirkt (h). Als aber die Klagen ſolcher Art, in Folge an-
erkannter praktiſcher Bedürfniſſe, immer zahlreicher und
mannichfaltiger wurden, gab man zulezt dieſen mühſamen
und umſtändlichen Verſuch, die individuelle Eigenthums-
klage auf andere individuelle Fälle durch Mittelbegriffe
anzuwenden, auf, und ſo entſtand unvermerkt der generi-
ſche Begriff der in rem actiones, dem alten gleichfalls ge-
(f) Ich ſage nicht, daß dieſer
Ausdruck zu dem erwähnten Zweck
erfunden worden iſt; das kann
ſchon deswegen nicht angenommen
werden, weil dieſer Ausdruck auch
die Obligationen umfaßt, alſo
über die Anwendung auf die Vin-
dication unkörperlicher Sachen
weit hinaus reicht. — Die Kritik
des Begriffs der unkörperlichen
Sachen gehört übrigens nicht hier-
her, wird aber im vierten Buch
angeſtellt werden.
(g) Bey dem Eigenthum hieß
die intentio: rem suam esse
(Gajus IV. § 92), zum Beyſpiel
fundum Servilii esse (Note c);
hier hieß es: jus nostrum esse
(Gajus IV. § 3), oder heredita-
tem nostram esse.
(h) So z. B. die Formel der
Publicianiſchen Klage. Gajus IV.
§ 36.
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§. 209. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)
neriſchen Begriff der in personam actiones völlig coordi-
nirt. Nicht nur können wir aus Mangel an Nachrichten
die Geſchichte dieſer Entwicklung der Begriffe nicht genau
verfolgen, ſondern es iſt auch zuverläſſig niemals eine
ſichtbare Veränderung mit ſcharfer Zeitgränze eingetreten,
vielmehr wird die ältere Weiſe der Auffaſſung und des
Ausdrucks neben der neueren noch geraume Zeit fortge-
dauert haben. Da aber die ältere, verwickeltere Auffaſ-
ſung mit der wörtlichen Faſſung der formulae zuſammen-
hieng, ſo mußte die Abſchaffung des Formularprozeſſes
dazu beytragen, Dasjenige zu vertilgen, was davon da-
mals etwa noch in lebendiger Üebung erhalten ſeyn mochte.
Wir finden die neuere Art der Auffaſſung und des
Ausdrucks am vollſtändigſten ausgebildet in der oben mit-
getheilten Stelle der Inſtitutionen Juſtinians (§ 206);
dieſe aber kann unverändert aus einem alten Juriſten
(vielleicht aus den res quotidianae des Gajus) genommen
ſeyn, wenigſtens haben wir durchaus keinen Grund, dieſe
Annahme zu verneinen. Selbſt aber wenn ſie in ihrer
gegenwärtigen Faſſung von Juſtinians Juriſten herrührte,
würde es ganz einſeitig ſeyn, ihren Inhalt in Vergleichung
mit älteren Stellen herab zu ſetzen: eben ſo einſeitig aber
wenn derjenige welcher ihren Inhalt vorzüglicher fände,
deshalb (im Widerſpruch mit aller Analogie) die Einſicht
ihres Urhebers höher ſtellen wollte, als die Einſicht Ulpians
und ſeiner Zeitgenoſſen. Denn es ſtehen hier nicht etwa
individuelle Einſichten und Meynungen einander gegenüber,
V. 3
|0048 : 34|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
und wenn wir in der That einem Ausſpruch aus Inſti-
nians Zeit den Vorzug geben müßten, ſo wäre dieſer Fort-
ſchritt nicht aus einer höheren geiſtigen Bildung des Ver-
faſſers zu erklären, ſondern nur aus der dieſen Rechtsver-
hältniſſen ſelbſt inwohnenden fortbildenden Kraft, deren
natürliches Erzeugniß in jenem neueren Ausſpruch nur
ſeinen einfachen, unverkünſtelten Ausdruck gefunden hätte.
Ich habe dieſe ausführliche Erörterung nöthig gefun-
den mit Rückſicht auf die abweichende Anſicht eines neu-
eren Schriftſtellers, welche durch den darauf verwendeten
Scharfſinn, und durch einen Schein kritiſcher Herſtellung
der reinen Roͤmiſchen Begriffe leicht täuſchen könnte (i).
Derſelbe nimmt gleiche hiſtoriſche Grundlagen an, wie die
hier aufgeſtellten; den Zuſtand des Uebergangs der Pro-
zeßformen, und der Nothhülfe für praktiſche Bedürfniſſe in
einzelnen Fällen, fixirt er als höchſte, unabänderliche Vollen-
dung des Römiſchen Klagenrechts; den einfachſten und befrie-
digendſten Ausdruck, den wir in Juſtinians Inſtitutionen
finden, behandelt er als eine willkührliche Corruption des
wahren Römiſchen Rechts, welche wir eigentlich zu igno-
riren hätten. Selbſt als blos hiſtoriſche Darſtellung des
Klagenrechts müßte ich dieſe Anſicht für einſeitig und un-
wahr erklären; völlig verwerflich aber iſt der praktiſche
Gebrauch, der davon gemacht wird. Die zur Zeit der
alten Juriſten verſuchten individuellen Ausdehnungen der
(i) Duroi observ. p. 32 — 35 p. 49 — 62. Düroi Bemerkungen,
beſonders S. 253. 261. 280. 412. fg.
|0049 : 35|
§. 209. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)
Eigenthumsklage werden hier auf beſtimmte Klaſſen zu-
rückgeführt, und deren ſehr zufällige hiſtoriſche Eigenthüm-
lichkeit wird hier mit einer ſo unzerſtörbaren Lebenskraft
verſehen, daß ſelbſt germaniſche Rechtsinſtitute nach die-
ſem Typus behandelt werden ſollen. So ſoll das Prin-
cip der Römiſchen Vindication unkörperlicher Sachen auf
die germaniſchen Reallaſten, das Princip der utilis vindi-
catio auf die Lehen und Bauergüter angewendet werden) (k).
Es iſt mir kein Beyſpiel eines ähnlichen Misbrauchs
rechtsgeſchichtlicher Unterſuchungen bey der Beurtheilung
heutiger Lebensverhältniſſe bekannt.
Zum Schluß dieſer Lehre ſind nun noch die denkbaren
Übergänge der einen der beiden Klagarten in die andere
zu erwähnen. Bei den meiſten Klagen in rem kommen,
neben dem Hauptgegenſtand des Rechtsſtreits, auch noch
Nebenpunkte zur Sprache, welche auf Obligationen beru-
hen; ſo z. B. Erſatz für verzehrte Früchte, für Be-
(k) Düroi Bemerkungen S.
292 — 295. 386 fg. 418. — Nicht
blos in Anwendung auf die dem
R. R. fremden Inſtitute zeigt
ſich jene Grundanſicht verwerflich,
ſondern auch in Anwendung auf
die Inſtitute des R. R. ſelbſt.
Weil nämlich die confessoria als
vindicatio der res incorporalis
aufgefaßt wird, ſo wird behaup-
tet, dieſe Klage ſey nicht etwa ein
Schutzmittel für die in der Ser-
vitut enthaltenen Befugniſſe gegen
jeden Verletzer, ſondern es werde
nur das Eigenthum des Rechts
gegen den Beſitzer dieſes Rechts,
den Eigenthümer, vindicirt. (Be-
merkungen S. 278. 281. 290—292).
Dieſe Behandlung jener Klage
würde aber nicht nur für das prakti-
ſche Bedürfniß ſehr ungenügend
ſeyn, ſondern ſie widerſpricht auch
geradezu vielen Stellen des Römi-
ſchen Rechts. Vgl. L. 60 § 1 de
usufr. (7. 1.), L. 1 pr. L. 5 pr.
si ususfr. (7. 6.), L. 10 § 1 si
serv. (8. 5.).
3*
|0050 : 36|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
ſchädigungen an der vindicirten Sache. Da dieſe jedoch
nur eine untergeordnete und abhängige Natur haben, wie-
wohl ſie durch den äußeren Erfolg ſehr wichtig ſeyn kön-
nen, ſo iſt eine ſolche Klage darum nicht weniger in rem.
Dagegen finden ſich drei Klagen (die Theilungsklagen),
welche zwar auch auf Obligationen beruhen, und daher
mit Recht personales heißen (l), aber von anderen perſön-
lichen Klagen dadurch weſentlich verſchieden ſind, daß in
ihnen zugleich über das ſtreitige Eigenthum entſchieden
werden kann. Dieſes geſchieht bey den eigentlichen Thei-
lungsklagen (familiae herciscundae und communi dividundo)
dadurch, daß über das ſtreitige Miteigenthum des Klägers,
wenn er im Beſitz deſſelben iſt, in der auf Theilung ge-
richteten Klage zugleich mit entſchieden wird (m); bei der
actio finium regundorum dadurch, daß der Kläger den
Theil des Grundſtücks, welchen er in Folge der Gränz-
verwirrung bisher entbehrte, durch dieſe Klage eben ſo,
wie durch eine Vindication, wieder erlangen kann (n). Da-
her wird von dieſen Klagen geſagt: mixtam causam ob-
tinere videntur, tam in rem, quam in personam (o). —
Es erklärt ſich alſo dieſer Ausdruck aus den materiellen
(l) L. 1 fin. reg. (10. 1.) „Fi-
nium regundorum actio in per-
sonam est, licet pro vindica-
tione rei est.” L. 1 § 1 C. de
ann. except. (7. 40.)
(m) L. 1 § 1 fam. herc. (10. 2.)
(n) „pro vindicatione rei
est” ſ. o. Note l.
(o) § 20 J. de act. (4. 6.).
Ich habe hier den Grund ange-
geben, der den Ausdruck rechtfer-
tigen kann. Ob übrigens dieſer
Ausdruck ſchon von alten Juriſten,
von vielen oder wenigen, gebraucht
worden iſt, läßt ſich freylich nicht
entſcheiden.
|0051 : 37|
§. 210. Pönalklagen.
Rechtsverhältniſſen, und aus den Beſtimmungen des Ju-
ſtinianiſchen Rechts. Im älteren Recht hatte derſelbe Aus-
druck noch einen anderen, mehr formellen Grund, welcher
erſt unten (§ 216) klar gemacht werden kann. Auch die
hereditatis petitio, die gewiß in rem iſt, (§ 207. b) heißt ein-
mal mixta personalis actio (p), und es ſcheint dieſes nicht
blos auf eine perſönliche Beymiſchung in ihren Wirkungen
zu gehen, welche ihr ohnehin nicht ausſchließend zuzuſchrei-
ben iſt, ſondern auch darauf, daß bei ihr die Perſon des
Beklagten mehr als bey anderen in rem actiones be-
ſchränkt iſt (q).
§. 210.
Arten der Klagen. Pönalklagen.
Auch die nun folgende Eintheilung bezieht ſich auf das
innere Weſen der Klagen, auf ihren Gegenſtand, Zweck,
Erfolg; ſie erſcheint ſogar zunächſt nur als eine Unterein-
theilung der perſönlichen Klagen (a), obgleich ſie in einer
ihrer Modificationen über die Gränze derſelben hinaus
reicht: dagegen bezieht ſie ſich ganz ausſchließend auf die
das Vermögen betreffenden Klagen.
(p) L. 7 C. de pet. her. (3. 31.)
(q) Vgl. § 207. b, 208. k, und
Beylage XIII. Num. IX.
(a) § 17 J. de act. (4. 6.)
„Rei persequendae causa com-
paratae sunt omnes in rem ac-
tiones. Earum vero actionum,
quae in personam sunt, hae
quidem” rel. (Nun folgt die Ein-
theilung). — Der Hauptſache nach
könnte man dieſe Lehre als eine
Eintheilung der Obligationen be-
handeln, und aus dem Actionen-
recht ganz verweiſen; ſie greift je-
doch auf ſo mannichfaltige Weiſe
in die Behandlung der Klagen ein,
daß ihre Kenntniß ſchon an dieſer
Stelle nicht zu entbehren iſt.
|0052 : 38|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Dieſe nämlich ſind, nach ihrem reinen, einfachen Be-
griff dazu beſtimmt, den Vermögenszuſtand eines Jeden zu
erhalten, oder, wenn er geſtört iſt, wiederherzuſtellen; ſie
ſollen alſo einen ungerechten Schaden des Einen, einen
ungerechten Gewinn des Andern, verhindern. So die rei
vindicatio und die Darlehnsklage; wenn beide ihren Zweck
erreichen, ſo iſt jeder Theil ſo reich, als er zuvor war;
es wird blos eine Veränderung des Vermögensſtandes
abgewehrt, oder der faktiſche Zuſtand mit dem Rechts-
zuſtand in Einklang gebracht.
Eine künſtliche, ganz poſitive Anſtalt verknüpft mit
manchen Verletzungen noch eine andere Folge. Der Ver-
letzer ſoll unfreywillig ärmer, der Verletzte um eben ſo
viel reicher werden. Es wird alſo durch ſie eine Ver-
änderung des Vermögens, in Folge der Verletzung be-
wirkt, und der Gegenſtand dieſer Veränderung heißt poena.
Wo nun eine ſolche poena eintritt, iſt es ein zufälli-
ger, untergeordneter Umſtand, ob beide hier angegebene
Zwecke (Erhaltung und Veränderung zur Strafe) durch
eine und dieſelbe Klage verfolgt werden, oder durch zwei
getrennte Klagen (b). Von einer Klage auf bloße Erhal-
tung des Vermögens heißt es: rem persequitur, rei per-
sequendae causa datur; von einer Klage auf bloße Strafe:
poenam persequitur, poenae persequendae causa datur,
(b) So geht die condictio fur-
tiva auf bloße Rückgabe der ge-
ſtohlenen Sache oder ihres Wer-
thes, alſo auf Erhaltung des Ver-
mögens, die furti actio auf bloße
Strafe; dagegen geht die actio
vi bonorum raptorum auf Sache
und Strafe zugleich.
|0053 : 39|
§. 210. Pönalklagen.
poenalis est; von einer Klage, welche beide Zwecke
umfaßt: mixta est, obgleich auch dieſe oft blos poenalis
heißt (c). Eine beſondere Rückſicht auf dieſe letzte Art iſt
nicht nöthig, da ſie eigentlich aus zwey verſchiedenen Kla-
gen zuſammengeſetzt iſt, ſo daß ihre Beſtandtheile in den
meiſten Fällen auch in der Anwendung leicht getrennt
werden können.
In den zwey hier dargeſtellten Arten der Klagen er-
ſcheint Das, was mit beiden ſtreitenden Theilen vorgeht,
ganz gleichartig; der Vermögenszuſtand wird für Beide
durch die Pönalklagen verändert, durch die anderen Kla-
gen erhalten. Dieſes an ſich einfache Verhältniß erhält
aber dadurch einige Verwicklung, daß es eine zahlreiche
und wichtige Klaſſe von Klagen giebt, die zwiſchen den
beiden eben dargeſtellten Arten in der Mitte liegt. Ihre
Eigenthümlichkeit beſteht darin, daß die Wirkung auf die
Parteyen ungleichartig iſt; für den Kläger wird der Ver-
mögenszuſtand nur erhalten, für den Beklagten wird er
möglicherweiſe verändert, ſo daß der Gegenſtand der
Klage für den Kläger Entſchädigung, für den Beklagten
(c) Die allgemeinſten Stellen
hierüber ſind: Gajus IV. § 6 — 9,
§ 16 — 19 J. de act. (4. 6.); die
genauere Erörterung des Sprach-
gebrauchs aber wird ſogleich nach-
folgen. — Neuere Schriftſteller
nennen häufig die eine Art der
Klagen: rei persecutoriae, al-
lein dieſes Adjectivum kommt we-
der hier noch anderwärts jemals
vor. Als Subſtantivum, und in
einer durchaus verſchiedenen Be-
deutung, erſcheint einmal das Wort
im Juſtinianiſchen Codex (L. un.
C. J. de auri publ. 10. 72.);
aber auch dabey iſt die Leſeart
ſehr zweifelhaft, da der Theodoſi-
ſche Codex prosecutoria lieſt.
(L. un. C. Th. eod. 12. 8.)
|0054 : 40|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
aber Strafe iſt. Als Beyſpiel dieſer Mittelklaſſe kann die
doli actio dienen. Der Kläger erhält dadurch nie mehr
als den Erſatz des durch des Gegners Betrug entſtande-
nen Schadens; der Beklagte aber muß dieſen Erſatz lei-
ſten, auch wenn er nicht aus Gewinnſucht, ſondern blos
aus Bosheit betrogen hat, in welchem Fall alſo die Klage
auf ihn wie eine Strafe wirkt, indem ſie ihn poſitiv är-
mer macht, nicht blos eine ungerechte Bereicherung ver-
hütet (d).
Dieſes gemiſchte Verhältniß ſetzt alſo, wo es rein und
vollſtändig erſcheinen ſoll, immer voraus, daß ein Stück
Vermögen vernichtet worden iſt; um dieſes Stück iſt
der Verletzte ärmer, der Verletzer nicht reicher geworden.
Wenn übrigens das Weſen dieſer Mittelklaſſe darin
geſetzt wird, daß die Klage auf den Beklagten als Strafe
wirke, indem ſie ihn poſitiv ärmer mache, ſo iſt dabei
blos die äußerſte Möglichkeit dieſes Falles berückſichtigt.
Um bey dem gewählten Beyſpiel ſtehen zu bleiben, ſo
kann allerdings der Betrüger durch den Betrug auch ge-
wonnen haben, vielleicht eben ſo viel, als der Betrogene
verlor, in welchem Fall er nicht eigentlich Strafe leidet,
ſondern nur ungerechten Gewinn herausgiebt. Allein die
(d) L. 39. 40. de dolo (4. 3.).
— Die hier bemerkte Varietät
der Strafklagen findet ſich nicht
überall gehörig anerkannt. Rich-
tig unterſcheidet ſie unter andern
Vinnius in § 1 J. de perpet.
(4. 12.) Num. 4. 5. Sie findet
ſich ferner anerkannt, mit Sorg-
falt behandelt, aber anders, als
hier geſchehen, ausgebildet und
ausgedrückt, in Kierulffs Theo-
rie des gemeinen Civilrechts Bd. 1.
S. 220 — 230.
|0055 : 41|
§. 210. Pönalklagen.
juriſtiſche Natur der Klage wird durch die bloße Möglich-
keit, daß ſie den Beklagten als reine Strafe treffe, be-
ſtimmt, und der zufällig verſchiedene Erfolg einzelner Fälle
wird bei der Bezeichnung derſelben nicht beachtet. Auch
der Gegenſtand dieſer Klagen kann alſo ein gemiſchter
oder zuſammengeſetzter ſeyn, ſo wie es bey den zweyſeitigen
Strafklagen, da wo dieſe den Namen mixtae actiones
führen, bemerkt worden iſt; allein die Miſchung hat in
dieſen beiderley Fällen eine verſchiedene Natur und nicht
übereinſtimmende Gränzen.
Um mich in kurzen Worten deutlich machen zu können,
will ich folgende Ausdrücke gebrauchen:
Zweyſeitige Strafklagen, die auf beide Theile verändernd
einwirken, wie furti actio.
Einſeitige Strafklagen, die nur für den Beklagten die
Strafnatur haben, und zwar nur möglicherweiſe, wie
doli actio.
Erhaltende Klagen, die von keiner Seite den Umfang
des Vermögens ändern, wie die Klage aus Eigen-
thum oder Darlehen (e).
Der Römiſche Sprachgebrauch iſt hierin ſehr ſchwan-
kend, und bedarf deshalb einer mehr als gewöhnlich ſorg-
fältigen Feſtſtellung.
(e) Wo gerade ein beſonderes
Bedürfniß eintritt, die einſeitigen
Strafklagen durch einen gemeinſa-
men Ausdruck mit den erhaltenden
Klagen zu bezeichnen, da möchte
der Ausdruck: Entſchädigungs-
klagen (im Gegenſatz der reinen
Strafklagen) zu empfehlen ſeyn.
So wird dieſer Ausdruck unten im
§. 234 gebraucht.
|0056 : 42|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
1) Für die zweyſeitigen Strafklagen kommen folgende
Bezeichnungen vor.
Poenales actiones.
§ 9 J. de L. Aquil. (4. 3.)
§ 1 J. de perpet. (4. 12.)
L. 23 § 8 ad L. Aquil. (9. 2.) (Ulpian.)
L. 1 § 23 de tutelae (27. 3.) (Ulpian.)
L. 1 pr. de priv. del. (47. 1.) (Ulpian.)
L. 111 § 1 de R. J. (50. 17.) (Gajus.)
Poenam persequuntur, poenae persequendae causa com-
paratae, ad poenam respiciunt.
Gajus IV § 6 — 9.
§ 16 — 19 J. de act. (4. 6.)
L. 50 pro soc. (17. 2.) (Paul.)
Im Gegenſatz derſelben heißt es nun von allen übrigen
Klagen, alſo die einſeitigen Strafklagen mit eingeſchloſſen:
Rem persequuntur, rei persequendae causa comparatae,
ad rei persecutionem respiciunt, rei persecutionem
continent.
Gajus IV § 6 — 9.
§ 16 — 19 J. de act. (4. 6.) und zwar hier noch mit
dem Ausdruck mixtae für die zuſammengeſetzten.
L. 50. pro soc. (17. 2.) (Paul.)
L. 21. § 5 de act. rer. amot. (25. 2.) (Paul.)
Die einſeitigen Strafklagen insbeſondere haben, vom
Standpunkt dieſes Sprachgebrauchs aus, folgende Benen-
nungen:
|0057 : 43|
§. 210. Pönalklagen.
Factum puniunt.
L. 9 § 1 quod falso (27. 6.) (Ulpian.)
Ex delicto dantur, pertinent ad rei persecutionem.
L. 7 de alien. jud. (4. 7.) (Gajus.)
Poenae nomine concipiuntur, rei continent persecu-
tionem.
L. 9 § 8 L. 11 de reb. auct. jud. (42. 5.) (Ulpian.)
Non est poenalis, sed rei persecutionem continet.
L. 4 § 6 de alien. jud. (4. 7.) (Ulpian.)
In allen dieſen Stellen alſo beziehen ſich die unter-
ſcheidenden Benennungen auf den Umſtand, daß durch die
Klage der Kläger bald bereichert, bald blos entſchä-
digt wird.
2) Dann aber giebt es auch andere Stellen, worin dieſel-
ben Ausdrücke gebraucht werden, um die verſchiedene Wir-
kung der Klage auf das Vermögen des Beklagten zu
unterſcheiden, je nachdem nämlich der Beklagte entweder
Etwas unbedingt zu leiſten hat, ſelbſt wenn er dadurch
poſitiv ärmer wird, oder aber nur dasjenige herausgeben
ſoll, was außerdem eine ungerechte Bereicherung für ihn
ſeyn würde (quod ad eum pervenit, quatenus locupletior
est, ut lucrum extorqueatur).
In Anwendung dieſes, von dem vorigen verſchiedenen,
Sprachgebrauchs heißt nun eine einſeitige Strafklage (wel-
cher anderwärts dieſer Name verſagt wurde) poenalis.
L. 1 § 5. 8 ne vis fiat (43. 4.) (Ulpian.)
Und ganz conſequent wird nun im Gegenſatz der Aus-
|0058 : 44|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
druck: rei persecutionem continent ausſchließend von den
erhaltenden Klagen gebraucht, ſo daß ſelbſt die einſeitigen
Strafklagen (namentlich die doli actio) von dieſer Benen-
nung ausgeſchloſſen werden.
L. 35 pr. de O. et A. (44. 7.) (Paul.)
L. 3 pr. § 1 de vi (43. 16.) (Ulpian.)
L. 3 § 1 (L. 1 § 4 L. 10) si quid in fraud. (38. 5.)
(Ulpian.)
L. 7 § 2 de cond. furtiva (13. 1.) (Ulpian.)
Die Ausdrücke ſind alſo mit Vorſicht zu Beweiſen über
die Natur einer Klage zu gebrauchen, da ſogar derſelbe
Ulpian den Namen poenalis actio einer einſeitigen Straf-
klage bald beylegt, bald abſpricht, und da daſſelbe
Schwanken auch bey dem Ausdruck: rei pers ecutionem
continere wahrgenommen wird.
§. 211.
Arten der Klagen. Pönalklagen. (Fortſetzung.)
Die eigenthümliche Natur der Strafklagen läßt ſich
auf folgende Sätze zurückführen:
A) Wenn ein Sklave die Handlung begieng, ſo konnte
die Klage gegen den Herrn als noxalis actio angeſtellt
werden; dieſe Regel galt für beide Arten der Strafklagen
auf gleiche Weiſe (a).
(a) Faſt alle Stellen von Noxal-
klagen beziehen ſich auf zweyſeitige
Strafklagen, die meiſten auf die
furti actio. Daraus würde ſchon
folgen, daß die einſeitigen, als die
minder bedenklichen, um ſo mehr
als Noxalklagen angeſtellt werden
könnten; es werden aber auch aus-
|0059 : 45|
§. 211. Pönalklagen. (Fortſetzung.)
B) Wenn Mehrere gemeinſchaftlich ein Delict begehen,
ſo werden die zwey Arten der Strafklagen auf verſchie-
dene Weiſe behandelt. Die zweyſeitigen gehen gegen je-
den Theilnehmer auf die volle Strafe, ſo daß für Ein
Delict die Strafe ſo vielmal bezahlt wird, als die Zahl
der Theilnehmer beträgt (b). Die einſeitigen Strafklagen
können zwar auch gegen jeden Theilnehmer, nach freyer
Auswahl, angeſtellt werden; hat aber Einer derſelben das,
was für ihn Strafe iſt (oder doch ſeyn kann) entrichtet,
drücklich ſolche Klagen als Noxal-
klagen angeführt. L. 9 § 4 de dolo
(4. 3.). L. 9. § 1 quod falso (27.
6.) Außerdem ſagt L. 1 § 2 de priv.
del. (47. 1.) „in ceteris quoque
actionibus, quae ex delictis ori-
untur .. placet, ut noxa ca-
put sequatur.” Dieſer Ausdruck
aber umfaßt unzweifelhaft beide Ar-
ten der Strafklagen. Überhaupt
kann man ſagen, daß bey Hand-
lungen eines Sklaven, die ihrer
Natur nach obligatoriſch ſind, die
a. de peculio mit der a. noxalis
in einem alternativen Verhältniß
ſteht; iſt die Handlung ein Rechts-
geſchäft, ſo gilt ausſchließend die
a. de peculio, iſt ſie ein Delict,
ſo gilt ausſchließend a. noxalis.
L. 49 de O. et A. (44. 7.)
(b) L. 51 in f. ad L. Aquil.
(9. 2.) L. 55 § 1 de admin. (26.
7.) „Nam in aliis furibus” rel.
L. 5 § 3 si quis eum (2. 7.) L.
1 C. de cond. furt. (4. 8.) „Prae-
ses provinciae sciens furti qui-
dem actione singulos quosque
in solidum teneri, condictionis
vero numorum furtim subtrac-
torum electionem esse, ac tum
demum, si ab uno satisfactum
fuerit, ceteros liberari, jure pro-
ferre sententiam curabit.” Stän-
den hier blos die Worte in solidum,
ſo könnten dieſe, nach der ſonſt
gewöhnlichen Bedeutung, auch bey
der Strafe auf ein Wahlrecht be-
zogen werden; allein der Zuſatz
singulos quosque, noch mehr
aber der ſehr deutlich beſchriebene
Gegenſatz der condictio furtiva,
ſetzt die wahre Meynung außer
Zweifel. Bey der Jujurie ver-
ſteht ſich dieſelbe Behandlung noch
mehr von ſelbſt, da eigentlich die
Handlung eines Jeden eine ſelbſt-
ſtändige Jujurie enthält. L. 34
de injur. (47. 10.). Von Kla-
gen dieſer Art iſt auch zu ver-
ſtehen L. 5 pr. de nox. act. (9.
4.) „nec altero convento alter
liberabitur.” — Vgl. auch un-
ten § 234.
|0060 : 46|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
ſo werden die Übrigen dadurch frey (c). Dieſes iſt die
nothwendige Folge davon, daß der Kläger nur Entſchä-
digung zu fordern hat, mit deren Begriff eine Vervielfäl-
tigung im Widerſpruch ſtehen würde.
C) Auch bey dem Übergang der Strafklagen auf die
Erben des Verletzers gelten für beide Arten derſelben ver-
ſchiedene Regeln.
Zweyſeitige Strafklagen gehen gar nicht auf die Erben
über, das heißt der Verlezte kann niemals den Gewinn,
der ihm unter dem Namen einer Strafe dargeboten iſt,
von dem Erben des Verletzers einklagen (d). Jedoch ſind
dabey zwey nähere Beſtimmungen zu bemerken. — Iſt die
Klage mixta, ſo wird der Theil der Klage, welcher nicht
auf den Gewinn, ſondern auf die bloße Entſchädigung des
Klägers gerichtet iſt, von dem Erben eingefordert, ſoweit
dieſer reicher aus dem Delict iſt (e), weil dieſes als all-
gemeine Regel für alle aus Delicten entſpringende Obli-
(c) L. 1 § 4 de eo per quem
factum (2. 10.), L. 14 § 15 L.
15 quod metus (4. 2.), L. 1 § 10
L. 3. 4 de his qui effud. (9. 3.),
L. 17 pr. de dolo (4. 3.). Vgl.
unten § 232, und Ribbentrop
von Correalobligationen § 14. 15.
(d) Gajus IV. § 112. § 1 J. de
perpet. (4. 12), L. 1 pr. de
priv. del. (47. 1), L. 5 § 4 si
quis eum (2. 7), L. 111 § 1 de
R. J. (50. 17), L. 22 de op. novi
nunc. (39 1), L. 5 § 5. 13 de
effusis (9. 3), L. 8 de popul.
act. (47. 23.).
(e) L. 4 § 2 de incendio
(47. 9.). — Nicht ganz ſcheint zu
der aufgeſtellten Regel zu paſſen
L. 5 pr. de column. (3. 6), in-
dem dieſe Klage, die in der Regel
eine Strafe verfolgt, dennoch ge-
gen den Erben gehen ſoll. Allein
in der That kann man der actio
in simplum, von welcher allein
hier die Rede iſt, dieſen reinen
Strafcharacter nicht beylegen, in-
dem ſie ja auch durch die ange-
ſtellte Condiction ausgeſchloſſen
wird. L. 5 § 1 eod.
|0061 : 47|
§. 211. Pönalklagen. (Fortſetzung.)
gationen gilt (f). — Iſt die Klage gegen den Verletzer
ſelbſt angeſtellt, dieſer aber nach der Litisconteſtation ge-
ſtorben, ſo geht die Klage mit allen ihren Folgen gegen
den Erben fort, weil nunmehr die Klage einen contract-
lichen Character angenommen hat (g).
Für die einſeitigen Strafklagen gilt daſſelbe, was ſo
eben für den auf Entſchädigung gerichteten Theil der mix-
tae actiones bemerkt worden iſt. Der Erbe muß dieſelben
gegen ſich anſtellen laſſen, inſoweit er reicher aus der
Handlung ſeines Erblaſſers iſt (h). — Durch die Litiscon-
(f) L. 38 de R. J. (50. 17),
L. 5 pr. de calumn. (3. 6.). —
Derſelbe Satz gilt auch für Cri-
minalverbrechen. L. 20 de accus.
(48. 2), L. 12 de L. Corn. de
falsis (48. 10.). — Indeſſen iſt
dieſer Satz doch eine bloße Noth-
hülfe, damit in keinem Fall irgend
ein Gewinn in des Verletzers Ver-
mögen zurück bleibe. Wenn aber
dieſer Zweck auch ſchon durch eine
andere, concurrirende, Klage, gegen
die Erben erreicht werden kann, ſo
bleibt es bei der reinen Regel, daß
Pönalklagen gar nicht gegen die
Erben gehen ſollen. Hieraus ſind
zu erklären L. 2 § 27 vi bon. rapt.
(47. 8), L. 1 § 23 de tutelae
(27. 3.).
(g) § 1 J. de perpet. (4. 12),
L. un. C. ex delictis (4. 17),
L. 26 de O. et A. (44. 7),
L. 139 pr. de R. J. (50. 17.). —
Nach L. 33 de O. et A. (44. 7)
könnte man glauben, nicht erſt die
Litisconteſtation, ſondern ſchon die
Anſtellung der Klage, übertrage
dieſelbe unbedingt auf die Erben.
Allein dieſe Stelle iſt von ſolchen
Fällen zu verſtehen, worin der Ver-
ſtorbene die Litisconteſtation durch
Zögerung verhindert hat, wie in
L. 10 § 2 si quis caut. (2. 11.).
Vgl. Glück B. 6 S. 196.
(h) L. 35 pr. de O. et A.
(44. 7), L. 44 de R. J. (50. 17),
L. 1 § 6 de eo per quem fa-
ctum (2. 10), L. 16 § 2 L. 19
quod metus (4. 2), L. 17 § 1
L. 26 de dolo (4. 3), L. 9 § 8
L. 10 de reb. auct. jud. (42. 5),
L. 1 § 48 L. 2 L. 3 pr. de vi
(43. 16), L. un. C. ex delictis
(4. 17.). — Gegen dieſe, von den
Meiſten anerkannte, Regel hat ſich
neuerlich theilweiſe erklärt Franke
Beiträge S. 28 — 41. Er will bey
den bloßen Entſchädigungsklagen
(die ich einſeitige Strafklagen
nenne) den beſchränkten Über-
gang auf die Erben des Beklag-
ten nur gelten laſſen, inſofern dieſe
|0062 : 48|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
teſtation wird hier, wie in dem vorhergehenden Fall, ſeine
Obligation eine unbeſchränkte (Note g.).
Unterſucht man die Wichtigkeit und den inneren Werth
dieſer eigenthümlichen Beſtimmungen, ſo iſt es ſogleich ein-
leuchtend, daß die Noxalklagen für uns völlig verſchwun-
den ſind; die Behandlung mehrerer gemeinſchaftlich Han-
delnden, an ſich nicht von großer Erheblichkeit, enthält
nichts Anſtößiges; dagegen erfordert der beſchränkte Über-
gang auf die Erben eine genauere Betrachtung. — Von
einem allgemeineren Standpunkt aus angeſehen, erſcheinen
hierin die zweyſeitigen und einſeitigen Strafklagen in ihrem
innerſten Weſen verſchieden. Wenn ein Verbrecher Ge-
fängniß oder Leibesſtrafe verwirkt hat, und vor der Be-
ſtrafung ſtirbt, ſo wird Niemand daran denken, dieſe
Strafe an dem Erben vollziehen zu laſſen; der Grund
Klagen prätoriſche ſeyen, die Ci-
vilklagen dieſer Art ſollen unbe-
ſchränkt gegen die Erben gehen,
der einzige Fall ſolcher Art aber
ſey die condictio furtiva. Dieſe
Unterſcheidung, wofür er überdem
einen befriedigenden inneren Erklä-
rungsgrund anzugeben vergeblich
verſucht hat (S.37) wird unten durch
den Beweis widerlegt werden, daß
die condictio furtiva keine De-
lictsklage iſt. (Beyl. XIV. Num.
XVII. XVIII.). Sie läßt ſich
aber auch durch die a. L. Aqui-
liae widerlegen. Zwar iſt dieſe
durch die künſtliche Schadensrech-
nung eine zweyſeitige Strafklage
geworden. Allein wenn das von
Franke aufgeſtellte Princip richtig
wäre, würde dem Verlezten die un-
beſchränkte Klage gegen den Erben
nicht verſagt werden können, ſo-
bald er ſich entſchlöſſe, Das was
in der Klage die Strafnatur hat
aufzugeben, und nur die reine Ent-
ſchädigung (berechnet nach der Zeit
des begangenen Delicts) zu for-
dern, durch welche Forderung er
ja ganz in derſelben Lage ſeyn
würde, wie (nach Franke’s Mey-
nung) der Beſtohlene in der con-
dictio furtiva. Und doch ſoll je-
ner Beſchädigte von dem Erben
durchaus nur deſſen Bereicherung
abfordern können. Vgl. noch un-
ten § 212. g.
|0063 : 49|
§. 211. Pönalklagen. (Fortſetzung.)
liegt darin, daß das Criminalrecht nur mit dem natür-
lichen, individuellen Menſchen zu thun hat (§ 94), nicht
mit dem Vermögensbeherrſcher, auf welche lezte Eigen-
ſchaft allein das Verhältniß des Erben ſich bezieht. Nicht
weſentlich verſchieden iſt aber der Fall der fiscaliſchen
Geldſtrafe, denn obgleich dieſe auf das Vermögen gerich-
tet iſt, ſo dient doch das Vermögen hier nur als Straf-
mittel, deſſen Verſchiedenheit von den vorher erwähnten
Strafmitteln eine untergeordnete Natur hat. Endlich iſt
aber auch die Römiſche Privatſtrafe von der fiscaliſchen
Geldſtrafe, ihrem Weſen nach, nicht verſchieden; der Staat
hat es hier dem Verlezten überlaſſen, die Geldſtrafe ein-
zuziehen und zu behalten. Das Weſen der Strafe bleibt
in allen dieſen Fällen ganz daſſelbe, denn der nächſte
Zweck geht immer dahin, daß den Ungerechten ein Übel
treffe (i), worin auch dieſes Übel beſtehen möge. Und dar-
um iſt es, in allen dieſen Fällen, der wahren Natur der
Strafe gleich widerſprechend, wenn das Übel einem An-
dern als dem Verbrecher zugefügt wird, zum Beyſpiel dem
Erben deſſelben, der als ſolcher zu dem begangenen Un-
recht in gar keinem Verhältniß ſteht. Hierdurch aber er-
ſcheint die Römiſche Regel, nach welcher die eigentlichen
Strafen unvererblich ſind (Note d), völlig gerechtfertigt.
Ganz anders verhält es ſich mit der Entſchädigung.
(i) In dieſem nächſten Zweck
ſtimmen Alle überein, wie verſchie-
den ſie auch den entfernteren Zweck
auffaſſen mögen, nämlich bald als
Vergeltung (§ 9. b), bald als Ab-
ſchreckung, als Prävention, oder
als Beſſerung.
V. 4
|0064 : 50|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Die Verpflichtung zu derſelben hat völlig gleiche Natur
mit den aus Verträgen entſpringenden Verpflichtungen,
und ſie tritt, ſo wie dieſe, vom Augenblick ihrer Entſte-
hung an, in eine unzertrennliche Verbindung mit dem Ver-
mögen; beide aber haben mit der Individualität und Em-
pfindung des Handelnden, worauf ſich die Strafe bezieht,
gar keine Verbindung. Der Natur dieſes Verhältniſſes
wäre es angemeſſen, daß jene Verpflichtung zur Entſchä-
digung eben ſo unbeſchränkt auf die Erben übergienge, wie
die aus Verträgen, ja wenn ſich hierin Grade annehmen
ließen, ſo erſcheint die Erfüllung jener Verbindlichkeit wohl
noch dringender als die der Verträge. Wenn nun den-
noch die Römer dem Erben die Entſchädigung nur auf
höchſt beſchränkte Weiſe auflegen, und dadurch in der
That dem Verlezten ſein gutes Recht entziehen (k), ſo
liegt der Grund ohne Zweifel in einer irrigen Verwechs-
lung der Entſchädigung mit der davon weſentlich verſchie-
denen Strafe. Die Thatſache dieſer Verwechslung erhellt
deutlich aus dem oben dargelegten höchſt ſchwankenden
Sprachgebrauch. Die Veranlaſſung aber muß wohl in
mehreren Umſtänden geſucht werden. Erſtlich in der blos
äußerlichen, aber täuſchenden Ähnlichkeit der Wirkung
auf den Verletzer, welcher durch die Entſchädigung, eben
(k) Dieſes wird recht anſchau-
lich, wenn ein Reicher aus Rache
eine Brandſtiftung verübt, und vor
Anſtellung der Klage ſtirbt. Der
Erbe iſt hier durch die That nicht
reicher, und die actio L. Aquiliae
trifft ihn daher nicht. L. 23 § 8
ad L. Aquil. (9. 2.). Eben ſo
wenn Jemand aus bloßer Bosheit
einen Andern betrügt, und dadurch
in großen Schaden bringt, ohne
ſelbſt Etwas zu gewinnen.
|0065 : 51|
§. 211. Pönalklagen. (Fortſetzung.)
ſo wie durch die Strafe, eine Verminderung ſeines Ver-
mögens erleiden kann. Zweytens, und noch mehr, in dem
Umſtand, daß bey den Strafklagen nicht ſelten Entſchädi-
gung und Strafe vermiſcht erſcheinen, oft ſo daß Beides
ſchwer abzuſondern iſt (l). Endlich aber kounte die hierin
liegende Härte auch dadurch leichter verborgen bleiben,
daß ſie gerade in dem häufigſten und wichtigſten Fall gar
nicht zur Anwendung kam, bey dem Diebſtahl nämlich,
wozu auch der Raub gehört. Denn hier wird die Ent-
ſchädigung gar nicht durch eine Delictsklage bewirkt, ſon-
dern durch eine Condiction, und die Natur dieſer Klage
bringt es mit ſich, daß ſie unbeſchränkt gegen die Erben
angeſtellt werden kann.
Das ſpätere Schickſal dieſer nicht zu billigenden Rechts-
regel iſt folgendes geweſen. Das canoniſche Recht ver-
warf dieſelbe, und ließ die Klage gegen den Erben, ohne
(l) Dieſe Vermiſchung findet
ſich, und zwar in verſchiedener Art,
bey denjenigen Strafklagen, die
noch im neueſten Recht als mix-
tae erſcheinen; ſo in der a. vi bo-
norum raptorum, worin die Ab-
ſonderung leicht, in der a. L. Aqui-
liae, worin ſie ſchwerer iſt. Wahr-
ſcheinlich aber war ſie im älteren
Recht noch ausgedehnter. So war
wohl urſprünglich die furti actio
eine gemiſchte Klage; der doppelte
oder vierfache Sachwerth ſollte
nicht blos den Verluſt der Sache
erſetzen, ſondern auch das mög-
liche höhere Intereſſe vergüten,
und daneben noch dem Beſtohle-
nen eine Summe als Bereicherung
verſchaffen; darauf deutet der ur-
alte Ausdruck: pro fure damnum
decidere. Später wurde noch da-
neben die condictio furtiva auf
die Sache ſelbſt, oder das Inte-
reſſe, (nicht blos auf den Sach-
werth), eingeführt, und von dieſer
Zeit an war freylich die furti
actio eine reine Strafklage. Dieſe
Anſicht konnte hier nur angedeutet
werden, ihre Ausführung muß ei-
nem andern Orte vorbehalten blei-
ben. Iſt dieſelbe richtig, ſo paßt
der im Text folgende Grund nur
auf die ſpätere Zeit.
4*
|0066 : 52|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Rückſicht auf deſſen Bereicherung, gelten (m); jedoch trat
nun an die Stelle der großen, im Römiſchen Recht ange-
nommenen, Beſchränkung eine andere, allerdings viel gerin-
gere. Der Erbe ſollte für die Entſchädigung nur haften,
ſoweit die Erbſchaft reichte; das heißt, er ſollte niemals
aus ſeinem eigenen Vermögen entſchädigen, ſelbſt wenn er
es unterlaſſen hätte ein Inventarium zu machen. Dieſe
neue Beſchränkung hatte in den päbſtlichen Geſetzen ſelbſt
nur einen ſehr ſchwachen Schein der Begründung (n); ihr
wahrer Grund iſt die Praxis, die hierin vom Mittelalter
her ganz gleichförmig geweſen zu ſeyn ſcheint. Man wollte
das Römiſche Recht, im wohlbegründeten Intereſſe des
Verlezten, hierin abändern, glaubte aber dieſe Abänderung
doch wieder vermindern zu müſſen, und ſo erſcheint uns
auch dieſe neueſte Geſtalt des Satzes wiederum eine halbe
Maaßregel, ohne wahren inneren Grund (o): beſſer wäre
(m) c. 3 C. 16. q. 6, C. 14 X.
de sepult. (3. 28), C. 5 X. de
raptor. (5. 17), C. 9 X. de usu-
ris (5. 19), C. 28 X. de sent.
excomm. (5. 39.).
(n) C. 5 X. de raptor. (5. 17)
ſagt: „heredes .. juxta facul-
tates suas condigne satisfa-
ciant,” welcher nichtsſagende Zu-
ſatz ſo viel heißt als: ſoweit ſie
können. Ganz gegen die Worte
hat man das auf die facultates
der Erbſchaft bezogen.
(o) Nur auf folgende Weiſe
könnte etwa eine Rechtfertigung je-
ner neuen Einſchränkung verſucht
werden. Wenn der Erbe ohne In-
ventarium antritt, und nachher die
Erbſchaft mit gewöhnlichen Schul-
den überlaſtet findet, ſo hat er den
Schaden ſeiner Unvorſichtigkeit zu-
zuſchreiben, da er die Vermögens-
umſtände des Verſtorbenen hätte
prüfen können. Verbrechen aber
werden meiſt im Verborgenen be-
gangen, und es iſt daher dem Er-
ben weniger zur Laſt zu legen,
wenn er die aus Verbrechen ent-
ſtandenen Verpflichtungen des Erb-
laſſers nicht gekannt, ja nicht ein-
mal ſolche für möglich gehalten
hat. — Die Schriftſteller jedoch
|0067 : 53|
§. 211. Pönalklagen. (Fortſetzung.)
es geweſen, die Verbindlichkeit des Erben, gleich jeder an-
deren Schuld, ohne Einſchränkung gelten zu laſſen, wie
es den Quellen des canoniſchen Rechts allerdings gemäß
iſt. Neuere Deutſche Schriftſteller haben die Gültigkeit
der angeführten Vorſchrift des canoniſchen Rechts aus
zwey nicht erheblichen, Gründen beſtritten. Erſtlich weil
die Päbſte blos verordnen, daß geiſtliche Zwangsmittel zu
dem erwähnten Zweck angewendet werden ſollten, welches
von einer Rechtsvorſchrift verſchieden ſey. Allein dieſe
geiſtlichen Mittel waren diejenigen, worüber der Pabſt in
allen Ländern am Unmittelbarſten verfügen konnte, und
die Vorſchrift ihrer Anwendung iſt daher, hier wie ander-
wärts, nur als Anerkennung eines Rechtsſatzes im Allge-
meinen zu betrachten. — Zweytens wird in jenen Stellen
unter andern auch das Seelenheil des Verſtorbenen als
Grund für den Zwang gegen den Erben geltend gemacht,
weshalb man fürchtete, durch die Beobachtung jener Vor-
ſchrift möchte die Lehre vom Fegfeuer anerkannt, und da-
durch die reine evangeliſche Lehre gefährdet werden. Allein
die Anerkennung des Rechtsſatzes ſelbſt iſt für uns das
allein Wichtige, und dieſe wird nicht verändert, man mag
einen unterſtützenden dogmatiſchen Beweggrund hinzu thun
oder weg nehmen. — So iſt alſo die durch die Praxis
modificirte Vorſchrift des canoniſchen Rechts als das un-
berufen ſich meiſt nur auf eine ohne weitere Gründe behauptete
aequitas.
|0068 : 54|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
zweifelhafte Reſultat des heutigen gemeinen Rechts zu be-
trachten (p).
§. 212.
Arten der Klagen. Pönalklagen. (Fortſetzung.)
Nachdem die Natur und Wirkung beider Arten der
Strafklagen dargeſtellt worden iſt, ſind dieſelben in An-
wendung auf einzelne Fälle ſelbſt darzuſtellen, und es
iſt insbeſondere das Verhältniß nachzuweiſen, in welchem
dieſe Begriffe zu der vorher dargeſtellten Grundeintheilung
aller Klagen (in personam, in rem) zu denken ſind.
Die Klagen in rem können niemals als zweyſeitige
Strafklagen vorkommen (§ 210. a.), wohl aber können ſie
zuweilen die Natur von einſeitigen annehmen. Wenn bey
einer Klage aus Eigenthum, Pfandrecht, Emphyteuſe,
Superficies, Erbrecht, unſer Gegner zwar nicht beſitzt,
aber zu unſrem Schaden entweder den Beſitz unredlicher-
weiſe aufgab, (dolo desiit possidere), oder uns durch den
Schein des Beſitzes getäuſcht hat (liti se obtulit), ſo muß
er ſich, gleich einem wirklichen Beſitzer, die Klage mit
allen ihren Folgen gefallen laſſen. Hier nimmt die Klage
völlig die Natur einer einſeitigen Strafklage, gegründet
auf eine obligatio ex delicto, an (a), und ſie geht daher
(p) Ausführlich und befriedi-
gend iſt dieſe ganze Frage behan-
delt von Böhmer jus eccl. Prot.
Lib. 5 T. 17 § 132 — 137, und
Francke Beyträge S. 44 — 57. —
Die Zeugniſſe vieler Praktiker ſind
zuſammengeſtellt bey Müller ad
Leyser. T. 6 p. 176.
(a) Daß die Klage nunmehr
als eine perſönliche wirkt, zeigt
|0069 : 55|
§. 212. Pönalklagen. (Fortſetzung.)
auch gegen den Erben nur, inſoweit dieſer reicher iſt durch
die Unredlichkeit des Erblaſſers (b).
Die perſönlichen Klagen aus Verträgen ſind faſt ins-
geſammt blos erhaltende Klagen, ohne alle Strafnatur.
In einem einzigen Fall, bey dem durch ungewöhnliche Un-
glücksfälle veranlaßten Depoſitum, erſcheint eine ſolche
Klage als mixta, folglich als zweyſeitige Strafklage (c).
— Weit wichtiger aber iſt es, daß die Contractsklagen
nicht etwa durch den hinzutretenden Dolus die Delictsna-
tur annehmen, ſondern reine Contractsklagen bleiben, ſo
daß ſie auch in dieſem Fall ohne Einſchränkung auf die
Erben des Beklagten übergehen (d).
ſich im Concurſe, indem hier der
Kläger nur als Glaubiger behan-
delt werden kann, nicht als Sepa-
ratiſt. L. 24 § 2 de rebus auct.
jud. (42. 5.). — Wenn der Be-
klagte aus anderen Gründen, z. B.
wegen Culpa, zur litis aestimatio
verurtheilt wird, ſo erwirbt er da-
durch die Rechte eines Käufers
an der vindicirten Sache (L. 21.
46. 47, 63. de R. V. 6. 1.); hier
erwirbt er gar keine Rechte (L.
63. 69. 70. eod.), und der Ei-
genthümer kann daher noch im-
mer gegen den dritten Beſitzer kla-
gen. L. 95 § 9 de solut. (46.
3.), L. 13 § 14 de her. pet. (5. 3.)
(b) L. 52 de R. V. (6. 1.)
(c) So wird die Regel und
die Ausnahme dargeſtellt in § 17
J. de act. (4. 6.). Nimmt man
nun an, daß hier die Klage unter
allen Umſtänden auf den doppel-
ten Werth gehe, ſo iſt es in der
That eine ganz iſolirte Ausnahme.
Allein § 26 J. de act. (4. 6.) be-
ſchränkt die Strafe auf den Fall
des Abläugnens (wohin auch deu-
tet das perfidiae crimen und das
fidem frangere in L. 1 § 4 de-
positi 16. 3.); darnach aber fällt
dieſe Ausnahme mit mehreren Fäl-
len zuſammen, wovon noch weiter
unten die Rede ſeyn wird (Note f).
(d) L. 49 de O. et A. (44. 7.)
L. 7 § 1 depos. (16. 3.), L. 157
§ 2 de R. J. (50. 17). L. 8 § 1
de fidej. et nomin. (27. 7.). Eben
ſo geht gegen den Sklaven nach
der Manumiſſion nicht die a. de-
positi ex dolo, obgleich die De-
lictsklagen gegen ihn gehen. L.
1 § 18 depos. 16. 3.). — Ein
Zweifel entſteht aus § 1 J. de
perpet. (4. 12.) „aliquando ta-
men etiam ex contractu actio
|0070 : 56|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Das eigentliche Gebiet aber für die Strafklagen ſind
die Obligationen aus Delicten. Dieſe erzeugen insgeſammt
Strafklagen, bald zweyſeitige, bald einſeitige. — Nicht
wenige darunter beziehen ſich auf ſolche Delicte, die bey
Gelegenheit eines Prozeſſes begangen werden. Durch
ſtrafbare Handlungen dieſer Art werden bald eigene, ſelbſt-
ſtändige Strafklagen erzeugt (e), bald nur die ohnehin gel-
tenden Klagen durch eine hinzutretende Strafe erweitert (f).
contra heredem non compe-
tit, (veluti) cum testator do-
lose versatus sit, et ad here-
dem ejus nihil ex eo dolo per-
venerit.” Wäre die Leſeart ve-
luti richtig, ſo würde in dieſer
Stelle die ganze, in jenen Dige-
ſtenſtellen anerkannte, Rechtsregel
verneint. Wird dieſe Leſeart (wie
es geſchehen muß) verworfen, ſo
ſagt die Stelle nur, daß es Aus-
nahmen von der Regel gäbe, ohne
dieſe ſelbſt zu nennen; ſo lange
alſo ſolche Ausnahmen nicht ander-
wärts nachgewieſen werden, bleibt
für uns die Stelle inhaltsleer. Jetzt
wiſſen wir nun, daß die Stelle
aus einer ungeſchickten Modifika-
tion des Gajus IV § 113 entſtan-
den iſt. Dieſer hatte einige wirk-
lich unvererbliche Contractsklagen
angegeben, die aber in Juſtinians
Zeit nicht mehr vorkamen, und
deswegen weggelaſſen werden muß-
ten; man wollte nun nicht die
ganze Bemerkung fallen laſſen,
und verwandelte ſie daher in eine
unbeſtimmte Verweiſung auf ſolche
ausgenommene Fälle überhaupt,
wahrſcheinlich in der Hoffnung, es
würden ſich wohl ſolche Fälle in
den Digeſten finden. Der Fall
des Depoſitum, den ſowohl eine
Textvariante, als Theophilus ein-
miſcht, kann auf keine Weiſe die
Schwierigkeit löſen. — Gründlich
iſt die ganze Frage behandelt von
Francke Beiträge S. 16 — 26.
(e) So z. B. die im zweyten
Buch der Digeſten enthaltenen
Strafklagen.
(f) Dahin gehören die Klagen,
worin lis inficiando crescit in
duplum (vgl. Note c.). Dieſe
führen nicht ſchon im Allgemeinen
den Namen von poenales actio-
nes, weil man es ihnen vor der
Anſtellung nicht anſehen kann,
ob der Fall der Straferhöhung
eintreten werde. — Eben ſo die
actio quod metus causa, worin
die Straferhöhung nur erſt ein-
tritt, wenn der Beklagte verſäumt,
vor dem Urtheil freywillig den
Kläger zu befriedigen.
|0071 : 57|
§. 212. Pönalklagen. (Fortſetzung.)
Zwey einzelne Klagen verdienen hier noch eine beſon-
dere Erwähnung, weil ſie leicht mißverſtanden werden
können. — Die actio Legis Aquiliae geht zunächſt auf
Entſchädigung, erhält aber einen unbeſtimmten, blos mög-
lichen, Strafzuſatz dadurch, daß dem Kläger geſtattet
wird, für die Berechnung des Schadens irgend einen frü-
heren, ihm günſtigen, Zeitpunkt innerhalb gewiſſer Zeit-
gränzen auszuſuchen. Durch dieſe problematiſche, in den we-
nigſten Fällen wirkſame, Straferhöhung iſt die Behandlung
der Klage etwas ſchwankend geworden. Gegen die Erben
geht ſie, wie eine mixta actio, auf die bloße Bereicherung (g).
In der Concurrenz mit anderen Klagen ſind durch jene
zweydeutige Natur der Klage, theils unbeſtimmte Äußerun-
gen, theils verſchiedene Meynungen der alten Juriſten ent-
ſtanden (h). Dagegen im Verhältniß zu mehreren Ver-
letzern wird ſie entſchieden als zweyſeitige Strafklage, wie
die furti actio, behandelt, ſo daß jeder Tbeilnehmer das
Ganze zahlen ſoll, ohne durch die frühere Zahlung eines
(g) L. 23 § 8 ad L. Aquil.
(9. 2.). Daraus ſind die unbe-
ſtimmten Stellen zu beſchränken,
welche die Klage gegen den Er-
ben ganz zu verſagen ſcheinen. L.
10 pr. comm. div. (10. 3.), § 9
J. de L. Aquilia (4. 3.). In dieſer
letzten Stelle wird die Amplifika-
tion hinzugeſetzt: „quae transi-
tura fuisset, si ultra damnum
nunquam lis aestimaretur,” wel-
ches mit der von allen alten Ju-
riſten anerkannten Rechtsregel im
Widerſpruch ſteht, und blos ein
unüberlegter Verſuch der Compila-
toren zu ſeyn ſcheint, die Sache
von allen Seiten zu beleuchten.
Francke Beiträge S. 30. 41. 44.
nimmt aus dieſer blos hypothe-
tiſchen Äußerung ein neues Argu-
ment für ſeine Meynung, nach wel-
cher die civilen Entſchädigungs-
klagen aus Delicten unbeſchränkt
gegen die Erben gehen ſollen.
Vgl. aber oben § 211. h.
(h) S. u. § 233. 234.
|0072 : 58|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
anderen Theilnehmers befreyt zu werden (i).
Eine auf ähnliche Weiſe zweydeutige Natur hat die
durch die zwölf Tafeln eingeführte Klage auf den doppel-
ten Sachwerth gegen den Vormund, welcher Sachen des
Mündels unterſchlagen hat. Auf den erſten Blick möchte
man ſie, wegen der Verdopplung, für eine mixta actio,
alſo für eine zweyſeitige Strafklage, halten. Dennoch er-
ſcheint ſie, wenn mehrere Vormünder concurriren, ſogar
noch beſchränkter, als die actio Legis Aquiliae, indem die
Zahlung des einen die übrigen befreyt (k). Um ſo mehr
ſteht ſie mit der condictio furtiva in einem blos electiven
Verhältniß, ſo daß durch die Wahl der einen dieſer Kla-
gen die andere ausgeſchloſſen wird (l); und daſſelbe elec-
tive Verhältniß beſteht auch zwiſchen ihr und der tutelae
actio (m). Dieſes Alles erklärt ſich daraus, daß der ver-
doppelte bloße Sachwerth eigentlich nur an die Stelle ei-
nes möglichen, den Sachwerth weit überſteigenden, höheren
Intereſſe, tritt (n), ſo daß alſo der beſtohlene Mündel die
Wahl haben ſoll, ſein höheres Intereſſe entweder unmit-
telbar zu erweiſen, wozu ihm die tutelae actio oder auch
(i) S. u. § 234. d1.
(k) L. 55 § 1 de administ.
(26. 7.) Die Worte: „et quam-
vis unus duplum praestiterit,
nihilominus etiam alii tenean-
tur?” müſſen mit in die vorher-
gehende Frage gezogen werden, da
die verneinende Antwort in der
ganzen folgenden Argumentation
deutlich enthalten iſt.
(l) L. 55 § 1 cit. (in den
Schlußworten), L. 2 § 1 de tu-
telae (27. 3.).
(m) L. 1 § 21 de tutelae (27.
3.) „In tutela ex una obliga-
tione duas esse actiones con-
stat” etc.
(n) L. 1 § 20 L. 2 § 2 de tu-
telae (27.3.).
|0073 : 59|
§. 212. Pönalklagen. (Fortſetzung.)
die condictio furtiva dient, oder durch die Klage auf den
doppelten Sachwerth zu verfolgen. Ganz conſequent iſt
es, daß daneben noch die furti actio auf reine Strafe an-
geſtellt werden kann (o). Dagegen wird ſie gegen den Er-
ben gänzlich verſagt, ohne Zweifel weil ſie eine mögliche
Straferhöhung in ſich ſchließt (p).
Es muß noch beſonders gewarnt werden gegen die Ver-
wechslung der Strafklagen mit einigen verwandten Rechts-
inſtituten. — Die Conventionalſtrafen kommen in ihrem
Zweck und Erfolg mit den auf allgemeinen Rechtsregeln
beruhenden Strafen überein, weshalb auch der Ausdruck
poena auf ſie unbedenklich angewendet wird. Allein die
zu dieſem Zweck bey ihnen angewendete Rechtsform iſt ein
Vertrag, die Klage eine gewöhnliche Contractsklage, und
von den Eigenthümlichkeiten der Pönalklagen kann dabey
nicht die Rede ſeyn. Es iſt auch in dieſer Hinſicht ganz
gleichgültig, ob der Strafvertrag durch freye Willkühr
herbeygeführt, oder durch eine richterliche Obrigkeit er-
zwungen worden iſt. Daher erzeugten die im Römiſchen
Prozeß ſo häufigen und wichtigen poenales sponsiones (q)
(o) L. 1 § 22 de tutelae (27.
3.) „.. nec enim eadem est
obligatio furti ac tutelae, ut quis
dicat plures esse actiones ejus-
dem facti, sed plures obliga-
tiones: nam et tutelae et furti
obligatur.” L 2 § 1 eod.
(p) L. 1 § 23 de tutelae (27.
3.) „quia poenalis est.” Vgl.
oben § 211. f. — Nämlich für die
reine Entſchädigung iſt gegen den
Erben ſchon die tutelae actio
und die condictio furtiva aus-
reichend.
(q) Gajus IV. § 13. 94. 141.
162 — 168. 171 — 172. — Es
war damit eben ſo wie mit den
praejudiciales sponsiones, wo-
raus auch keine praejudiciales
formulae entſprangen, obgleich
|0074 : 60|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
durchaus keine Pönalklagen, ſondern Contractsklagen, wes-
halb dieſe auch unbeſchränkt gegen die Erben angeſtellt
werden konnten.
Ferner dürfen die Strafklagen nicht verwechſelt wer-
den mit den auf Vindicta gerichteten Klagen. Dieſes ſind
ſolche Klagen, wobey ein eingeklagtes Vermögensrecht nur
als Mittel dient, um einen entfernteren ſittlichen Zweck zu
verfolgen. Nur die kleinere Zahl der Strafklagen hat die-
ſen ganz beſonderen Character; dagegen findet ſich derſelbe
ſogar bey der inofficiosi querela, einer Klage die nicht
mit dem Namen einer Strafklage belegt werden kann (r).
Zum Schluß iſt noch die Frage zu berühren, ob das
Recht der Strafklagen für uns unveraͤndert beſteht. Die
einſeitigen Strafklagen, die auf Entſchädigung wegen zu-
gefügter Verletzungen gehen, müſſen natürlich bey uns,
wie in jedem poſitiven Recht, anerkannt werden. Ob eine
gleiche Behandlung derſelben, wie im Römiſchen Recht,
noch jetzt eintrete, iſt bereits oben ausführlich unterſucht
worden. — Die Frage nach der Fortdauer der zweyſei-
tigen Strafklagen läßt ſich auch ſo ausdrücken, ob wir
überhaupt noch Privatſtrafen übrig haben? Die genauere
Erörterung dieſer Frage muß dem Obligationenrecht vor-
behalten bleiben; ſchon hier aber läßt ſich vorläufig der
Satz aufſtellen, daß einige Privatſtrafen noch jetzt vor-
kommen, die meiſten aber völlig verſchwunden ſind.
ſie in ihrem Zweck mit dieſen überein kamen (§ 207. f.)
(r) Vgl.
Band 2. § 73.
|0075 : 61|
§. 213. Civiles, honorariae. Ordinariae, extraordinariae actiones.
§. 213.
Arten der Klagen. Civiles, honorariae. Ordinariae,
extraordinariae.
Ich gehe nun zu denjenigen Eintheilungen der Klagen
über, die eine mehr hiſtoriſche Natur haben als die bisher
abgehandelten, indem ſie ſich theils auf die Entſtehung
dieſer Rechtsinſtitute, theils auf die alterthümlichen, im
neueſten Römiſchen Recht verſchwundenen, Prozeßformen
beziehen. Seit der Entdeckung des Gajus laſſen ſich die-
ſelben weit deutlicher überſehen als zuvor. Beſonders der
Zuſtand der Sache zur Zeit der großen juriſtiſchen Schrift-
ſteller läßt ſich mit ziemlicher Sicherheit feſtſtellen. Über
den älteren Zuſtand freylich, und über deſſen allmälige
Umbildung, iſt aus Mangel an beſtimmten Nachrichten
ein weites Feld zu Hypotheſen übrig; es dürfte aber wohl
gerathen ſein, auf ſolche kein großes Gewicht zu legen.
Zunächſt iſt hier die längſt bekannte Eintheilung der
Klagen in civiles und honorariae zu bemerken (a); unter
den lezten ſind die meiſten und wichtigſten praetoriae,
einige aediliciae. Das Unterſcheidende beſteht darin, daß
(a) L. 25 § 2 de O. et A.
(44. 7), L. 178 § 3 de V. S.
(50. 16) beide von Ulpian. —
Mäcianus ſagt: actiones sive
legitimae sive honorariae. L. 32
pr. ad L. Falc. (35. 2.). —
Gajus IV. § 109 „ex lege esse,
non esse.” Er warnt dabey vor
der Verwechslung dieſes Gegen-
ſatzes mit dem völlig verſchiede-
nen, blos prozeſſualiſchen, Gegen-
ſatz der judicia legitima und
quae imperio continentur. —
Bey Pomponius (L. 2 § 6 de O.
J. 1. 2) heißen legitimae actio-
nes die alten legis actiones, und
eben ſo bey Gellius XX. 10.
|0076 : 62|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
die civiles eine legitima oder civilis causa haben, das
heißt einen im Civilrecht anerkannten Rechtsgrund, anſtatt
daß die honorariae von den Prätoren oder Ädilen in Kraft
ihrer Jurisdictionsbefugniſſe eingeführt waren (b). Darin
alſo darf das Weſen dieſer lezten nicht geſezt werden,
daß das Edict Formeln für dieſelben aufgeſtellt hatte,
denn dieſe waren für beide Arten der Klagen auf gleiche
Weiſe im Edict zu finden (c). Auf der andern Seite
wurden auch die Klagen für ſolche Fälle, worin ſchon ein
civiles Klagrecht beſtanden hatte, honorariae genannt,
wenn dieſes Klagrecht im Edict zu einem neuen Gegen-
ſtand und Erfolg umgebildet worden war; ſo iſt die furti
manifesti actio eine prätoriſche Klage, weil der Prätor
eine Geldſtrafe für dieſen Fall eingeführt hatte, anſtatt
daß die Strafe des Civilrechts eine ganz andere und weit
härtere geweſen war. Die Geldſtrafe alſo hatte keine ci-
vilis causa, und daher war die darauf gerichtete Klage
honoraria (d).
(b) § 3 J. de act. (4. 6.). —
Der Grund dieſer Eintheilung der
Klagen liegt alſo in dem Ge-
genſatz des jus civile und hono-
rarium. Vgl. B. 1 § 22.
(c) Insbeſondere würde es un-
richtig ſeyn, bey denjenigen Kla-
gen, welche zwey Formeln im Edict
hatten, in jus und in factum,
wie die actio depositi und com-
modati, (Gajus IV. 47) die erſte
Formel für eine Civilklage, die
zweyte für eine prätoriſche zu hal-
ten. Beide waren civil, da ſie
eine und dieſelbe civilis causa
hatten, welcher auch gar nicht vom
Prätor ein neues Object gegeben
worden war; die Faſſung beider
Formeln aber war gleichmäßig
vom Prätor ausgegangen, denn
das Civilrecht hatte überhaupt keine
anderen Formeln aufgeſtellt, als
die in den alten Legis actiones
enthaltenen (§ 205. b.).
(d) Gajus IV. § 111, pr. J.
de perpet. (4. 12.).
|0077 : 63|
§. 213. Civiles, honorariae. Ordinariae, extraordinariae actiones.
Dieſe Eintheilung der Klagen durchkreuzt ſich mit den
vorher dargeſtellten. Es giebt daher ſowohl unter den
Civilklagen, als unter den prätoriſchen, in personam und
in rem actiones; Strafklagen, wie erhaltende Klagen.
Nach der älteren Gerichtsverfaſſung beruhte der ganze
Prozeß auf dem ordo judiciorum, deſſen Weſen darin be-
ſtand, daß die gerichtliche Obrigkeit, in Rom die Präto-
ren, nur die Einleitung der Sache beſorgte, das weitere
Verfahren aber an Eine oder mehrere Privatperſonen
überließ, und dieſe mit einer Anweiſung (formula) verſah,
auf deren Grund, je nach dem Ausfall der Verhandlun-
gen und Beweiſe, das Urtheil geſprochen werden ſollte;
die allgemeinſte Benennung dieſes commiſſariſchen Urtheil-
ſprechers war Judex, von den dabey vorkommenden Va-
rietäten aber wird noch ferner die Rede ſeyn.
Allmälig fand man es räthlich, bey einzelnen ſtreitigen
Rechtsverhältniſſen von dieſer Art des Verfahrens abzu-
gehen, ſo daß die gerichtliche Obrigkeit das ganze Ver-
fahren beſorgte und das Urtheil ſprach, ohne einen Judex
zuzuziehen. Die Benennungen dieſes abweichenden Verfah-
rens waren dieſe: extraordinaria cognitio oder actio, ex-
traordinarium judicium, persecutio. Daß die Klagen die-
ſer Art bald mit dem Namen actiones belegt, bald davon
ausgeſchloſſen wurden, iſt ſchon oben erwähnt worden
(§ 205).
Zur Zeit der großen juriſtiſchen Schriftſteller konnte
|0078 : 64|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
dieſes Verfahren nur erſt als eine ziemlich beſchränkte
Ausnahme angeſehen werden. Um die Zeit von Diocle-
tian aber wurde die Gerichtsverfaſſung völlig umgebildet;
der ordo judiciorum verſchwand, und es wurden alle Pro-
zeßgeſchäfte in der Hand der Obrigkeit vereinigt, ſo daß
nunmehr der ganze Prozeßgang durch extraordinaria ju-
dicia betrieben wurde (e). Dieſes iſt die Geſtalt des Ge-
richtsweſens im Juſtinianiſchen Recht, und dieſelbe findet
ſich in den allermeiſten neueren Staaten, da die Geſchwor-
nengerichte, auch wo ſie vorkommen, doch meiſt auf das
Criminalverfahren eingeſchränkt ſind.
Es iſt dabey noch das Verhältniß der extraordinaria
judicia (ſolange ſie noch eine abgeſonderte Art der Klagen
bildeten) zu den früher dargeſtellten Gegenſätzen zu er-
wägen.
Alle uns bekannte extraordinaria judicia waren in per-
sonam, keine in rem (f). — Eben ſo kommen Strafklagen
(e) § 8 J. de interdictis (4. 15),
L. 47 § 1 de negotiiis gestis
(3. 5), ohne Zweifel interpolirt. —
Eine einzelne Conſtitution, wodurch
die ganze, höchſt wichtige, Berän-
derung bewirkt worden wäre, be-
ſitzen wir nicht, vielleicht war eine
ſolche nicht vorhanden. Die älte-
ſten Beſtimmungen finden ſich in
Cod. Just. II. 58, Cod. Theod.
II. 3, L. 8 C. Th. de off. rec-
toris (1. 16.). In dem Tit. Cod.
Just. III. 3 iſt der Übergang deſ-
ſen, was früher Ausnahme war,
zur Regel, ſehr ſichtbar. — Vgl.
Savigny Geſchichte des R. R.
im Mittelalter B. 1 § 26.
(f) In personam ſind die in
L. 1 de extr. cogn. (50. 13) zu-
ſammengeſtellte Klagen; eben ſo
der Anſpruch des Fideicommiſſars
gegen den mit dem Fideicommiß
belaſteten Erben oder Legatar.
Gajus II. § 278. Ulpian. XXV.
§ 12. War eine fideicommiſſariſche
Erbſchaft durch wörtliche Erklä-
rung des Erben reſtituirt, ſo konnte
nun allerdings der Fideicommiſſar
in rem klagen gegen die Beſitzer
von Erbſchaftsſachen; dieſe Klage
|0079 : 65|
§. 213. Civiles, honorariae, Ordinariae, extraordinariae actiones.
extra ordinem nicht vor, denn die mulctae, die allerdings
von allen höheren Obrigkeiten (nicht blos den gerichtlichen)
verhängt werden durften, beruhten gar nicht auf Privat-
klagen, gehörten alſo nicht zur Verfolgung eines Privat-
rechts, zur Entſcheidung eines Rechtsſtreits, obgleich ſie
bey Gelegenheit eines ſolchen eintreten konnten (g). — End-
lich ſcheinen die extraordinariae cognitiones blos auf civil-
rechtliche Inſtitute bezogen worden zu ſeyn, nicht auf prä-
toriſche (h); wo der Prätor einen neuen Rechtsſatz geltend
zu machen nöthig fand, geſchah es wohl immer in den
Formen des ordo judiciorum, alſo durch formula. Dieſe
Behauptung hängt zuſammen mit der Streitfrage, ob die
ſehr zahlreichen Interdicte, die insgeſammt prätoriſchen
Urſprungs waren, unter die ordinaria oder extraordina-
ria judicia gehörten; der richtigern Meynung nach ſind
ſie unter die ordinaria zu rechnen (i).
war aber ein ordinarium judi-
cium, ſo wie jede andere heredi-
tatis petitio. Tit. Dig. de fid.
her. pet. (5. 6.). — Die mis-
sio in possessionem gieng al-
lerdings in rem, dieſe aber war
niemals Entſcheidung eines Rechts-
ſtreits, ſondern eine einſeitige pro-
viſoriſche Maasregel, und der
Rechtsſtreit, der ſich daraus ent-
wickeln konnte, war ſtets ein or-
dinarium judicium.
(g) Eben ſo geſchah die Exſe-
cution der Civilurtheile extra or-
dinem, durch pignus in causa
judicati captum; allein Dieſes
war nicht mehr Entſcheidung eines
Rechtsſtreits, ſondern ein Mittel
zur Überwindung des Ungehorſams
gegen die obrigkeitliche Macht, alſo
im Weſen gleichartig mit der
mulcta.
(h) Vgl. die in der Note f. ent-
haltene Zuſammenſtellung.
(i) Dieſe Frage iſt ausführlich
behandelt in: Savigny Recht
des Beſitzes § 34. — Die Benen-
nung actio wird den Interdicten
bald beygelegt bald verſagt. Vgl.
oben § 205, g. h.
V. 5
|0080 : 66|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Betrachten wir den zulezt dargeſtellten Gegenſatz von
einem allgemeineren Standpunkt, dem der Römiſchen Rechts-
geſchichte überhaupt, ſo erſcheint uns das ordinarium ju-
dicium gleichſam als die hiſtoriſche Mitte des Ganzen.
In der älteſten Zeit beſtand der ganze Prozeß aus den
Legis actiones, in welchen, ſo viel wir wiſſen, keine In-
ſtruction an einen Judex (formula) vorkam. Darauf folgte
der Prozeß der ordinaria judicia, welcher ganz auf den
formulae beruhte. Endlich, nachdem dieſe Prozeßform ver-
ſchwunden war, beſorgte in dem extraordinarium judicium
die Obrigkeit, ohne Judex, das ganze gerichtliche Verfah-
ren, ſo daß nun weder das Bedürfniß, noch die Möglich-
keit einer formula vorhanden war. — Jedoch dürfen wir
dieſe drey Formen des Prozeſſes nicht ſo denken, als ob
ſie der Zeit nach ſtreng geſchieden geweſen wären. Neben
dem ordo judiciorum dauerte als Ausnahme die Legis
actio sacramenti in den Centumviralprozeſſen fort; eben
ſo fiengen in demſelben Zeitraum als Ausnahmen die ex-
traordinaria judicia an, ſo daß die drey Hauptformen des
Prozeſſes gleichzeitig neben einander angewendet wurden.
Endlich, nachdem die ordinaria judicia als Regel ver-
ſchwunden waren, kam doch noch als Ausnahme ein Ju-
dex in geringfügigen Sachen vor; es iſt aber nicht daran
zu denken, daß in dieſem exceptionellen Verfahren die Um-
ſtändlichkeit der formulae wäre angewendet worden.
|0081 : 67|
§. 214. Beſtandtheile der formula.
§. 214.
Arten der Klagen. Beſtandtheile der formula.
Die wichtigſten und ſchwierigſten Fragen des Römi-
ſchen Actionenrechts können nur durch die genauere Einſicht
in das Weſen der formulae entſchieden werden, und dieſe
Einſicht iſt erſt durch die Entdeckung des Gajus möglich
geworden. Nach ihm kommen überhaupt vier Beſtand-
theile in den Formeln vor, jedoch ſo daß nur einer der-
ſelben ganz allgemein und weſentlich iſt: Demonstratio,
Intentio, Adjudicatio, Condemnatio (a). Die Adjudicatio
können wir für die allgemeine Betrachtung ſogleich beſei-
tigen, da ſie nur in drey einzelnen Klagen vorkommt (b),
und zur Kenntniß des Weſens der Formeln überhaupt
wenig beyträgt.
Demonstratio iſt ein erzählender, einleitender Theil der
formula, worin die Veranlaſſung des Rechtsſtreits erwähnt
wurde. Er war beſonders dazu beſtimmt, für die bekannteſten
und häufigſten Klagen den eigenthümlichen Namen derſel-
ben auszudrücken, da dieſer in den folgenden Theilen nicht
vorkommen konnte, deren Inhalt vielmehr mit den aller-
verſchiedenſten Klagen vereinbar war. Beyſpiele für die
(a) Gajus IV. § 39—44. Die
ſtets vorangehende Benennung des
Judex (z. B. L. Octavius judex
esto. Cicero Verr. II. 12) rech-
net er nicht als pars formulae
mit.
(b) Familiae erciscundae,
Communi dividundo, Finium
regundorum. Gajus IV. § 42.
Es ſind die drey ſogenannten Thei-
lungsklagen, welcher Name eigent-
lich nur den beiden erſten zukommt.
5*
|0082 : 68|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
actio venditi, depositi, ex stipulatu, werden Dieſes an-
ſchaulich machen (c).
Quod A. Agerius N. Negidio hominem vendidit.
Quod A. Agerius apud N. Negidium hominem deposuit.
Quod A. Agerius de N. Negidio incertum stipulatus est.
Dieſer erſte Theil kam in ſehr vielen Klagen gewöhnlich
gar nicht vor; namentlich nicht bey den in rem actio-
nes (d): eben ſo bey den äußerſt zahlreichen formulae in
factum conceptae, bey welchen, wie ſogleich gezeigt wer-
den wird, die Intentio Alles enthielt, was in eine einlei-
tende Demonstratio hätte geſetzt werden können. Nach den
beſonderen Umſtänden einzelner Rechtsverhältniſſe konnte
der Klage aus Vorſicht eine eigene Beſchränkung gegeben
werden, die dann, eben ſo wie die Demonstratio, der In-
tentio vorangeſchickt wurde. Dieſe führte den beſonderen
Namen praescriptio, und war auch bey den in rem actio-
nes anwendbar, obgleich dieſe ohne Demonstratio zu ſeyn
pflegten. Gewöhnlich wurde die praescriptio nicht als
Demonstratio angeſehen, ſondern als ein beſonderer, der
ganzen formula vorangehender Zuſatz; in einigen Fällen
aber wurde ſie der wirklichen Demonstratio ſelbſt einver-
leibt (e).
Intentio heißt der Theil der Formel, worin die Be-
(c) Gajus IV. § 40. 136.
(d) Cicero in Verrem II. 12,
und damit übereinſtimmend Gajus
IV. § 41.
(e) Von den Präſcriptionen
überhaupt handelt Gajus IV.
§ 130—137: die im Text erwähnte
Verſchiedenheit wird bemerkt § 132.
136. 137.
|0083 : 69|
§. 214. Beſtandtheile der formula.
hauptung des Klägers, alſo zugleich der Grund und die
Bedingung der von ihm verlangten Entſcheidung ausge-
drückt war. Es iſt der einzige Theil, welcher in keiner
Formel jemals fehlen konnte (f). Weil er nun das we-
ſentlichſte Stück der Klage in ſich ſchloß, ſo wurden auch
oft die Ausdrücke intentio und intendere für actio und
agere geſezt, ja dieſer Sprachgebrauch iſt ſelbſt in man-
chen Stellen des Juſtinianiſchen Rechts noch ſichtbar geblie-
ben, obgleich der Entſtehungsgrund deſſelben mit den For-
meln ſelbſt längſt verſchwunden war. Jene Behauptung
nun enthielt bald unmittelbar das Daſeyn eines Rechtsver-
hältniſſes, bald ſolche Thatſachen, die als Grund eines
Rechts angeſehen werden ſollten. Die Natur dieſes Unter-
ſchieds wird erſt bey einer gleich folgenden Eintheilung der
Klagen erklärt, und durch Beyſpiele erläutert werden können.
Condemnatio endlich war der praktiſche Theil der For-
mel, das heißt die Anweiſung an den Judex, wie er unter
Vorausſetzung der Wahrheit oder Unwahrheit der Inten-
tio das Urtheil faſſen ſollte. Bey den meiſten Klagen
war eine ſolche vorhanden; ſie fehlte aber bey den Prä-
judicialklagen, das heißt bey denjenigen Klagen, wodurch
zunächſt nur das Daſeyn eines Rechtsverhältniſſes oder
einer Thatſache feſtgeſtellt werden ſollte, ſo daß ſich der
Kläger vorbehielt, in einem künftigen anderen Rechtsſtreit
von dieſer Feſtſtellung Gebrauch zu machen (§ 207. e. f.).
Beyſpiele der Condemnatio ſind folgende (g):
(f) Gajus IV. § 44.
(g) Gajus IV. § 43. 47. 51.
|0084 : 70|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Judex N. Negidium A. Agerio Sestertium X. Millia con-
demna, si non paret absolve.
Quanti ea res erit, tantam pecuniam judex N. Negi-
dium A. Agerio condemnato, si non paret absolvito.
Die Schlußworte beziehen ſich auf die Anfangsworte der
Intentio, die in den angeführten Beyſpielen ſo lauteten:
Si paret, ſo daß alſo der ganze Zuſammenhang des Ge-
dankens dieſer war: Si paret, Negidium Sestertium X. Mil-
lia dare oportere, Negidium Sest. X. M. condemna, si
non paret absolve, alſo: wenn du nicht finden ſollteſt, daß
er dieſe Summe ſchuldig ſey, ſo ſprich ihn frey.
§. 215.
Arten der Klagen. Directae, utiles. Certa, incerta
formula.
Auf die Intentio, den weſentlichſten Theil der Formel,
bezieht ſich die Eintheilung der Klagen in directae und
utiles.
Wenn nämlich ein früherhin beſchränkteres Klagrecht
ſpäter auf neue Fälle ausgedehnt werden ſollte, ſo geſchah
dieſes ſehr häufig dadurch, daß man die ſchon bekannte
Klage unter dem Namen einer utilis actio anwendete (a),
und im Gegenſatz dieſer ausgedehnteren Anwendung hieß
(a) L. 21 de praescr. verbis
(19. 5) „Quotiens deficit actio
vel exceptio, utilis actio vel
exceptio (danda) est;” nämlich
vorausgeſezt, daß überhaupt Grund
zu einer ſolchen ausgedehnten An-
wendung vorhanden iſt. — Vgl.
über dieſe Begriffe im Allgemei-
nen Mühlenbruch Lehre von
der Ceſſion § 15.
|0085 : 71|
§. 215. Directae, utiles actiones. Certa, incerta formula.
dann dieſelbe Klage in Anwendung auf diejenigen Fälle,
wofür ſie ſchon urſprünglich gelten ſollte, directa oder
auch vulgaris (b). Es geſchah aber eine ſolche Ausdeh-
nung beſonders unter der Form von Fictionen, ſo daß
man fingirte, ein Kläger, der eigentlich nicht Erbe oder
Eigenthümer war, ſey Erbe oder Eigenthümer, und könne
deswegen mit demſelben Erfolg klagen, wie es der wirk-
liche Eigenthümer ohnehin konnte (c). Daher iſt denn
utilis actio, der urſprünglichen Bedeutung nach, ſo viel
als fictitia, und dieſe gleiche Bedeutung beider Ausdrücke
wird durch folgende Zeugniſſe außer Zweifel geſezt. Ga-
jus bezeichnet die auf Fiction gegründeten Klagen einmal
als den Gegenſatz der directae (d), in einer anderen Stelle
ganz unmittelbar als utiles (e). Ferner wurden die zu
(b) Der Ausdruck vulgaris ſteht
in L. 46 de her. inst. (28. 5.).
— Unrichtig haben dieſen Begriff
Manche ſo gedacht, als hätte jede
ſolche Klage eine ganz eigenthüm-
liche Formel im Edict gehabt. Der
weſentliche Theil der Formel (die
intentio) war für ſehr viele Klagen
völlig gleichlautend (dare opor-
tere, dare facere oportere ex
fide bona u. ſ. w.). Das Eigen-
thümliche der vulgares actiones
beſtand vielmehr nur darin, daß
in der demonstratio der techniſche
Nahme eines bekannten Rechtsge-
ſchäfts gebraucht wurde, z. B. Quod
Agerius fundum vendidit, men-
sam deposuit u. ſ w. Dadurch
war die Klage als venditi oder
depositi actio inviduell bezeichnet.
(c) Gajus IV. § 34—38. „ficto
se herede agit” … „fingitur
rem usucepisse” … „civitas ei
Romana fingitur” … „fingimus
adversarium nostrum capite de-
minutum non esse.” — Wie in
den einzelnen Fällen die Fiction
in der Intentio ausgedrückt wurde,
zeigen die §§ 36. 37 an mehreren
Beyſpielen.
(d) Gajus IV. § 34 „non ha-
bet directas actiones … itaque
ficto se herede intendit.”
(e) Gajus IV. § 38 „introduc-
ta est contra cum eamve actio
utilis, rescissa capitis deminu-
tione, id est in qua fingitur
capite deminutus deminutave
non esse.”
|0086 : 72|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
einer Erbſchaft gehörenden Klagen eigentlich (als directae)
nur dem heres gegeben, vermittelſt einer Fiction er-
hielt ſie ſowohl der Bonorum possessor, als der Fidei-
commiſſar; in dieſer erweiterten Anwendung aber nennt
ſie Gajus utiles, Ulpian fictitiae (f). Von dieſen beiden
Namen drückt der eine (fictitia) die dabey angewendete
Prozeßform unmittelbar aus, der andere (utilis), bezeich-
net mehr das innere Weſen der Sache, nämlich die durch
das praktiſche Bedürfniß (utilitas) herbeygeführte Erwei-
terung eines Rechtsinſtituts (g).
Der Unterſchied dieſer beiden Arten der Klagen lag
gar nicht in der Wirkung, die für beide gleich war, ſon-
dern nur in der Faſſung der Formel, oder eigentlich nur
desjenigen Theils der Formel, welcher Intentio hieß. Die
ganze Eintheilung konnte alſo nur vorkommen bey denje-
nigen Prozeſſen, worin ein Judex gegeben wurde (§ 213),
und nachdem alle Prozeſſe extraordinaria judicia gewor-
den waren, hatte ſie ihre urſprüngliche Bedeutung verlo-
ren, ſo daß jezt jedes unmittelbare Intereſſe derſelben ver-
ſchwunden war (h). Es erklärt ſich aus dieſer weſent-
lichen Veränderung, verbunden mit der eben verſuchten
genaueren Herleitung der Ausdrücke, warum im Juſtinia-
(f) Gajus II. § 253 (eben ſo
§ 4 J. de fid. her. 2. 23), Ul-
pian. XXVIII. § 12. Allerdings
ſpricht der erſte blos von utiles
actiones bey dem Fideicommiß,
der zweyte blos von fictitiae bey
der bonorum possessio, und
man könnte die Gleichartigkeit bei-
der Klagen, die ich hier annehme,
etwa noch bezweifeln.
(g) S. o. Band 1 § 15. S. 56
über die Bedeutung von utilitas.
(h) L. 47 § 1 de neg. gestis.
(3. 5), ohne Zweifel interpolirt.
|0087 : 73|
§. 215. Directae, utiles actiones. Certa, incerta formula.
niſchen Recht der Ausdruck fictitia actio ganz verſchwun-
den iſt, während die Benennung der utiles actiones noch
überall vorkommt. Dieſe hat nun für das Juſtinianiſche
Recht, und für uns, nur noch eine geſchichtliche Bedeu-
tung; ſie bringt uns in Erinnerung, daß eine ſo benannte
Klage aus der allmäligen Erweiterung eines früher be-
ſchränkteren Rechtsinſtituts hervorgegangen iſt.
Es iſt jedoch kaum zn bezweifeln, daß auch ſchon im
älteren Prozeß dieſe Erweiterung einer ſchon beſtehenden
Klage auf neue Fälle nicht immer als eigentliche Fiction
in der Formel ausgedrückt wurde (i). Daher hatte man
ſchon damals neben den utiles actiones, die als Fictionen
in der Formel ausgedrückt wurden, auch ſolche, denen der
Name blos in dem materiellen Sinn eines auf neue Fälle
erweiterten Rechtsinſtituts beygelegt wurde. Insbeſondere
läßt ſich annehmen, daß blos bey alten Civilklagen die
Erweiterung durch eine Fiction in der Formel ausgedrückt
wurde (k), anſtatt daß bey den prätoriſchen Klagen die
Natur der utilis actio in der Faſſung der Formel nicht
zur Anſchauung kam (l).
(i) Mühlenbruch Ceſſion
S. 150 der dritten Ausgabe.
(k) Die von Gajus wörtlich
angeführten Fälle fingirter einzel-
ner Klagen beziehen ſich ſämtlich
auf alte Civilklagen, die dadurch
ausgedehnt werden ſollten.
(l) Dahin würde alſo gehören
die utilis Serviana actio. L. 1
§ 2 de pign. (20. 1), L. 1 pr.
quib. m. pign. (20. 6.). Eben ſo
das utile interdictum uti pos-
sidetis, unde vi, quod legato-
rum. Vatic. Fragm. § 90. Von
dem zulezt genannten Inter-
dict iſt in der angeführten Stelle
die formula aufbewahrt, und aus
dieſer erhält die hier aufgeſtellte
Anſicht eine unmittelbare Beſtäti-
gung, da in derſelben der Ausdruck
|0088 : 74|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Übrigens finden ſich als utiles actiones ſowohl Kla-
gen in personam, als in rem, ſowohl Pönalklagen, als
ſolche die blos das Vermögen nach beiden Seiten hin un-
verändert erhalten ſollen.
Verſchieden von den Fictionsklagen, die noch im neue-
ſten Recht unter dem Namen von utiles actiones vorkom-
men, waren diejenigen, die auf der Fiction einer alten Legis
actio beruhten, und von welchen im neueſten Recht jede
Spur verſchwunden iſt (m).
Bey Gajus kommt der Ausdruck incerta formula vor,
welcher auf eine entgegengeſezte certa formula hindeu-
tet (n), und es iſt für die folgende Unterſuchung nicht un-
wichtig, den hierin zum Grunde liegenden Gegenſatz genau
feſtzuſtellen.
Betrachten wir zuerſt die Intentio, ſo werden wir die-
ſelbe certa nennen müſſen, wenn die Behauptung des Klä-
einer Fiction gar nicht gebraucht
wird; der Zweck wird vielmehr da-
durch erreicht, daß dem gewöhnli-
chen Ausdruck: quod .. possides,
noch hinzugefügt wird: quodque
uteris frueris. — Eben ſo ſind
auch die exceptiones utiles nicht
etwa fictitiae, ſondern erweiterte,
ausgedehnte Exceptionen. Vgl.
§ 227. d.
(m) Gajus IV. § 10. 32. 33.
Die Erwähnung dieſer Form von
Klagen veranlaßt ihn, die ganze
Lehre der alten Legis actiones
§ 11—31. abzuhandeln.
(n) Gajus IV. § 54. — Wo
in unſren Juſtinianiſchen Rechts-
büchern die Ausdrücke incerti
agere, incerti actio, incerta
actio, incertum judicium vor-
kommen, da gehen dieſelben meiſt
beſtimmt auf die actio praescri-
ptis verbis, welche incerta In-
tentio und Condemnatio hatte.
L. 8 L. 9 L. 16 de praescr.
verbis (19. 5), L. 7 § 2 de pa-
ctis (2. 14), L. 23 comm. div.
(10. 3), L. 6 C. de rer. perm.
(4. 64), L. 9 C. de don. (8. 54.).
|0089 : 75|
§. 215. Directae, utiles actiones. Certa, incerta formula.
gers von allen Seiten beſtimmt ausgedrückt iſt. Beyſpiele
ſind dieſe: Si paret Stichum meum esse, Si paret N. Ne-
gidium X. dare oportere, Si paret, Agerium apud Negi-
dium mensam deposuisse (o). Denn in allen dieſen Fäl-
len iſt es aus den Worten der Intentio völlig klar und
gewiß, was der Kläger will und behauptet. — Dagegen
iſt incerta dieſe Intentio: quidquid N. Negidium dare fa-
cere oportet, denn es liegt darin die Behauptung, der Be-
klagte ſey irgend Etwas ſchuldig, der Umfang der Schuld
ſey aber noch nicht genau anzugeben, und werde daher
der Feſtſtellung durch das Verfahren überlaſſen (p).
Betrachten wir nun ferner die Condemnatio. Bey der
incerta Intentio wird immer auch die Condemnatio in-
certa ſeyn müſſen, und dann werden wir nicht zweifelhaft
ſeyn, auch die ganze Klage incerta zu nennen. — Bey der
certa Intentio dagegen ſind zwey Fälle möglich. Die
Condemnatio kann gleichfalls certa ſeyn, und dann wer-
den wir nicht zweifeln, die Klage ſelbſt certa zu nennen;
ſo zum Beyſpiel in der Formel: Si paret N. Negidium
Decem dare debere, Judex N. Negidium Decem con-
demna (q). — Es kann aber auch die certa Intentio eine
incerta Condemnatio mit ſich führen, und dieſer Fall war
deswegen ſo ſehr häufig, weil in der Condemnatio nie
(o) Gajus IV. § 45. 47.
(p) Gajus IV. § 47. 136. 137.
(q) Gajus IV. § 50. Es kam
dabey noch folgende Varietät vor.
Die certa Condemnatio konnte
eine wörtliche Wiederholung der
certa Intentio ſeyn (wie im Fall
des angeführten § 50), oder auch
davon ganz verſchieden lauten; ſo
im Fall des § 46.
|0090 : 76|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
etwas Anderes ſtehen durfte als baares Geld (r), anſtatt
daß die Intentio ſehr viele andere genau beſtimmte Gegen-
ſtände enthalten konnte. Zum Beyſpiel kann die Formel
der Eigenthumsklage dienen, worin auf die Intentio: Si
paret Stichum A. Agerii esse, dieſe Condemnatio folgte:
quanti ea res erit, tantam pecuniam N. Negidium A. Age-
rio condemna (s). Dieſe war incerta, denn es war aus
ihren Worten nicht zu erkennen, wie hoch der Judex den
Beklagten verurtheilen würde.
Es iſt nun vor Allem wichtig, dieſe Verſchiedenheit der
Fälle, als wirklich vorkommend, deutlich in’s Auge zu faſ-
ſen. Im älteren Prozeß knüpfte ſich daran ein ſehr
großes praktiſches Intereſſe. War die Intentio certa, ſo
mußte ſich der Kläger hüten, Mehr zu fordern als ihm
zukam; fehlte er hierin, ſo verlor er plus petendo auch
das, was ihm wirklich gebührte (t). Bey der incerta In-
tentio war dieſer Fehler und die damit verbundene Gefahr
unmöglich, da in dem unbeſtimmten quidquid dare opor-
tet niemals eine übertriebene Quantität liegen konnte (u).
In der Demonstratio und Condemnatio waren zwar auch
Übertreibungen möglich, ſie hatten aber niemals jene ge-
fährliche Folge für den Kläger (v).
Bisher wurde blos die Sache betrachtet. Was aber
den Ausdruck für den oben erwähnten zweydeutigen Fall
(r) Gajus IV. § 48.
(s) Gajus IV. § 51. Ein an-
derer Fall von certa Intentio mit
incerta Condemnatio wird am
Ende des § 68 erwähnt.
(t) Gajus IV. § 53. 60.
(u) Gajus IV. § 54.
(v) Gajus IV. § 57. 58.
|0091 : 77|
§. 215. Directae, utiles actiones. Certa, incerta formula.
(certa Intentio, incerta Condemnatio) betrifft, ſo hatte
man eben ſo viel Grund, die Klage certa als incerta zu
nennen, indem es darauf ankam, ob man hierin die Beſchaf-
fenheit der Intentio, oder die der Condemnatio, vorzugsweiſe
berückſichtigen wollte. Nach einer Stelle des Gajus müſ-
ſen wir annehmen, daß der Ausdruck lediglich auf die In-
tentio gieng, ſo daß alſo in jenem an ſich zweydeutigen
Fall der Ausdruck certa actio oder formula allerdings ge-
braucht wurde, ungeachtet der Unbeſtimmtheit der Condem-
natio. Denn Gajus ſtellt zuerſt die Regel auf, bey der
auf den Sklaven Stichus gerichteten Klage ſey ein plus
petere wohl möglich, wenn nämlich die Stipulation auf
einen Sklaven überhaupt, nicht auf dieſes Individuum,
gerichtet war (w). Dann fährt er in folgenden Worten
fort: Illud satis apparet, in incertis formulis plus peti
non posse, quia cum certa quantitas non petatur, sed
quidquid adversarium dare facere oporteat intendatur,
nemo potest plus intendere (x). Hieraus aber iſt es klar,
daß er nur dieſen letzten Fall (incerta Intentio et Con-
demnatio) unter dem Namen incerta formula verſteht,
den vorhergehenden Fall aber (certa Intentio, incerta Con-
demnatio) nicht als incerta, ſondern als certa formula
anſieht.
(w) Gajus IV. § 53.
(x) Gajus IV. § 54. — Eben
ſo geht bey ihm das certum und
incertum petere lediglich auf die
Intentio, ohne Rückſicht auf die
Condemnatio. IV. § 54. 131.
Eine andere Frage iſt es, was
Certum in Anwendung auf die
Condictionen bedeutet. Darüber
vgl. Beylage XIV. Num. XXXVI.
u. fg.
|0092 : 78|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
§. 216.
Arten der Klagen. In jus, in factum conceptae.
Die im Edict aufgeſtellten Formeln waren von zweyer-
ley Art: in jus, in factum conceptae.
Die erſte Klaſſe hatte eine juris civilis intentio, das
heißt die Behauptung des Daſeyns eines im jus civile ge-
gründeten Rechtsverhältniſſes; ſo bey den Klagen in rem:
si paret, fundum (oder hereditatem) Agerii esse, oder:
Agerio jus esse utendi fruendi, eundi, aquam ducendi
oder: Titium liberum esse (a); bey Contractsklagen: dare,
oder dare facere oportere; bey Delictsklagen: damnum
decidere oportere (a¹); in allen dieſen Fällen alſo Daſeyn
eines Eigenthums, einer Obligation oder eines anderen,
durch jus civile anerkannten ſtrengen Rechts. Übrigens
war eine ſolche Intentio bald certa, bald incerta, und
die hinzugefügte Condemnatio desgleichen (b).
Die zweyte Klaſſe hatte zur Intentio die bloße Behaup-
tung von Thatſachen, ſie war alſo in ihrer Faſſung ähn-
lich einer Demonstratio (§. 214), und konnte daher eine ei-
gentliche, abgeſonderte Demonstratio gar nicht enthalten,
(a) Nämlich dieſe Präjudicial-
klage de statu war die einzige,
welche eine legitima causa hatte,
die übrigen waren prätoriſche Kla-
gen; daher konnte auch nur jene
eine formula in jus concepta
haben. § 13 J. de act. (4. 6.)
(a¹) Gajus IV. § 37. 45. 107.
In dieſen Stellen ſind die mei-
ſten der oben im Text angegebe-
nen. Formeln wörtlich enthalten.
Vgl. auch Beylage XIV. Num. XX.
(b) Decem dare oportere war
certa Intentio, quidquid dare
facere oportet war incerta, ſ.
o. § 215.
|0093 : 79|
§. 216. In jus, in factum conceptae formulae.
da der ganze mögliche Inhalt einer ſolchen ſchon in die
Intentio ſelbſt verſchmolzen war (c). Eine ſolche Intentio
war ſtets certa, da jederzeit beſtimmte Thatſachen behauptet
werden mußten, hierin alſo Nichts dem freyen Ermeſſen
des Judex überlaſſen blieb. Die Condemnatio dagegen
war dabey bald certa, bald incerta (d).
Dieſer Gegenſatz der Klagen fällt nun zunächſt zuſam-
men mit dem Gegenſatz der civilen und prätoriſchen Kla-
gen. Denn bey den civilen Klagen war ſtets eine juris
civilis Intentio möglich (e), ſo daß die Intentio ſtets in
jus concipirt werden konnte. Bey den prätoriſchen Kla-
(c) Es würde ganz unrichtig
ſeyn, einer ſolchen Formel, wegen
des factiſchen Ausdrucks, eine bloße
Demonstratio zuzuſchreiben, ohne
Intentio. Denn bey Gajus IV.
§ 60 wird hier nicht nur der Name
Intentio gebraucht, ſondern auch
die Möglichkeit des Plus petere
behauptet, welches doch nach § 53.
58. nur in der Intentio, nie in
der Demonstratio, begangen wer-
den konnte. Eben ſo heißt in L.
1 C. si pign. conv. (8. 33.) die
Hypothekarklage Intentio dati pig-
noris, die doch gewiß nur eine for-
mula in factum concepta hatte.
Vgl. Keller Litisconteſtation S.
248. 358. — Die vorkommenden
Beyſpiele einer abgeſonderten De-
monstratio beziehen ſich ſtets auf
eine formula in jus concepta.
Gajus IV. § 40. 47. 136. 137.
(d) Certa condemnatio hatte
die Klage des Patrons wegen
der reſpectswidrigen in jus vo-
catio, nämlich nach Gajus IV.
§ 46. auf 10000 Seſterze, nach dem
Juſtinianiſchen Recht auf 5000.
§ 3 J. de poena tem. (4. 16.),
L. 12. 24. 25 de in j. voc. (2.
4.); wahrſcheinlich iſt es bey Ga-
jus bloßer Schreibfehler. — Eben
ſo die Klage de albo corrupto
auf 500 aurei. L. 7 pr. de ju-
risd. (2. 1.). — Dagegen ha-
ben die meiſten anderen formulae
in factum conceptae eine in-
certa Condemnatio. So die bey
Gajus IV. § 46 angeführte Bey-
ſpiele, verglichen mit L. 2 § 1 si
quis in jus voc. (2. 5.), und mit
L. 5 § 1 ne quis eum (2. 7.)
(e) Möglich, aber nicht noth-
wendig, da bey ihnen eben ſowohl
eine factiſche Faſſung gerechtfer-
tigt war, wenn man eine ſolche
räthlich fand; daß ſie in der That
auch vorkam, wird ſogleich bemerkt
werden.
|0094 : 80|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
gen war Dieſes nicht möglich, weil ſie gar nicht auf einem
jetzt ſchon vorhandenen Recht beruhten, ſondern auf der
obrigkeitlichen Macht, Kraft welcher der Prätor eine Klage
gab, und einen Judex zum Ausſpruch eines Urtheils be-
vollmächtigte, welchem dann dieſelbe obrigkeitliche Macht
auch die Vollziehung verſchaffte (f). Dieſe Anſicht der Sache
wird durch die beſtimmteſten Stellen des Römiſchen Rechts
beſtätigt. Dahin gehört folgende Stelle des Paulus (g).
Verbum oportere non ad facultatem judicis per-
tinet, qui potest vel pluris vel minoris condemnare,
sed ad veritatem refertur.
Das heißt: der in der Intentio vorkommende Ausdruck
Oportere darf ſtets nur von dem gegenwärtigen, wirkli-
chen Daſeyn einer civilrechtlichen Schuld verſtanden wer-
den, nicht von der Schuld, die durch richterliches Ermeſſen,
vermittelſt eines Urtheils, vielleicht entſtehen kann. Geſetzt
alſo, es wollte Jemand aus einem Kauf, der ſtets nur
eine incerta Intentio hat, auf Decem dare oportere kla-
gen, ſo würde er ſchlechthin abgewieſen werden müſſen,
ohne Rückſicht darauf, daß bey richtig gefaßter Intentio
der Richter vielleicht auf dieſelbe, oder eine noch größere
Summe, geſprochen haben würde. — Eben ſo iſt es zu
(f) Vgl. Band 1. § 22. S. 117.
— Daß alle prätoriſche Klagen
in factum conceptae waren, ſagt
Gajus nicht ausdrücklich, aber we-
nigſtens ſind alle von ihm im § 46
angeführte Beyſpiele prätoriſch und
zugleich in factum conceptae.
(g) L. 37 de V. S. (50. 16.).
— Im Zuſammenhang damit ſteht
L. 27 de novat. (46. 2.), da das
officium judicis auch die künfti-
gen Zinſen umfaßt haben würde.
Vgl. auch L. 76. § 1 L. 89. L.
125 de V. O. (45. 1.)
|0095 : 81|
§. 216. In jus, in factum conceptae formulae.
verſtehen, wenn die prätoriſchen Klagen erklärt werden als
actiones quas Praetor ex sua jurisdictione comparatas ha-
bet (h), oder quae a Praetore dantur, im Gegenſatz der
Klagen quae ipso jure competunt (i). Denn obgleich die
Thätigkeit des Prätors auch bey den Civilklagen nöthig
war, indem nur er einen Judex und eine Klage geben
konnte, ſo war doch dabey jene Thätigkeit eine blos aus-
führende, das ſchon vorhandene Recht anerkennende, an-
ſtatt daß bey den prätoriſchen Klagen die Befugniß dazu
erſt durch des Prätors Macht begründet wurde. — Es
würde auch unrichtig ſeyn, die formula in factum con-
cepta, die hier als allgemeine Eigenſchaft aller prätori-
ſchen Klagen behauptet worden iſt, auf die perſönlichen
Klagen dieſer Klaſſe beſchränken zu wollen, da ſie viel-
mehr auch bey den prätoriſchen in rem actiones angenom-
men werden muß (i¹).
Die hier vorläufig angenommene Identität der beyden
Gegenſätze (civile und prätoriſche Klagen, in jus und in
factum) muß jedoch auf zwiefache Weiſe beſchränkt wer-
(h) § 5 J. de act. (4. 6.)
(i) § 1 J. de perpet. (4. 12.).
Dieſes iſt richtig hervorgehoben
von Francke Beiträge S. 5.
(i¹) Die actio vectigalis war
ohne Zweifel ſo gefaßt: Si paret
A. A. conduxisse fundum a mu-
nicipibus (L. 1 § 1 L. 3 si ager
vect. 6. 3.); die superficiaria:
Si paret, A. A. superficiem in
perpetuum (oder: in annos
XXX) conduxisse (L. 1 pr.
§ 1. 3 de superf. 43. 18); die
hypothecaria: Si paret, Aulo
Agerio rem pignori obligatam
esse ab eo, cujus tum in bo-
nis erat, neque redditam pecu-
niam esse (L. 6 C. si al. res
8. 16, L. 1 C. si pign. conv.
8. 34, L. 13 § 1 de Sc. Vell. 16.
1.). Alle dieſe Bedingungen gehen
auf reine Thatſachen.
V. 6
|0096 : 82|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
den. Erſtlich gab es prätoriſche Klagen, deren Faſſung
zwar weſentlich in factum war, aber doch einen Übergang
zu der Faſſung in jus in ſich ſchloß; dieſes waren manche
der ſchon oben (§ 215) dargeſtellten utiles oder fictitiae
actiones. Es wird dieſes anſchaulich werden durch das
vollſtändigſte Formular, das von einer ſolchen Klage, der
publiciana actio, bekannt iſt.
Gajus IV. § 36. Iudex esto. Si quem hominem A. Age-
rius emit (et is) ei traditus est, anno possedisset,
tum si eum hominem, de quo agitur, ejus ex jure
Quiritium esse oporteret, et reliqua.
Das Weſen dieſer Intentio iſt die rein thatſächliche
Behauptung: Agerius hat den ſtreitigen Sklaven gekauft
und tradirt bekommen. Dieſe hat aber folgenden beſon-
deren Zuſatz: der Judex ſoll zugleich prüfen, ob der durch
die Tradition erworbene Beſitz ſo beſchaffen war, daß er
durch einjährige Fortdauer in Römiſches Eigenthum über-
gegangen ſeyn würde. Dadurch bekommt die an ſich that-
ſächliche Intentio eine Färbung von jus, ſpielt alſo in die
in jus concepta hinüber. Bedingung der Condemnation
iſt eine Thatſache, die jedoch ſo beſchaffen ſeyn ſoll, daß
ſie unter gewiſſen, jetzt nicht vorhandenen, Vorausſetz-
ungen ein wirkliches Recht begründet haben würde.
Zweytens iſt ſchon erwähnt worden, daß die Civilkla-
gen auch einer thatſächlichen Faſſung empfänglich waren
(Note e). In der That gab es einige, wie es ſcheint nur
wenige, Civilklagen, für welche im Edict zwey Formeln
|0097 : 83|
§. 216. In jus, in factum conceptae formulae.
zur Auswahl aufgeſtellt waren, in jus und in factum.
Gajus giebt von dieſer Varietät nur zwey Fälle an, de-
positi und commodati actio, erläutert aber dieſe durch
vollſtändige Formulare (k).
Es entſteht aber nun die Frage, ob die Verſchieden-
heit der Formeln, die in jus oder in factum gefaßt wa-
ren, lediglich zum Roͤmiſchen Gerichtsſtyl gehörte, oder
ob ſich daran auch eigenthümliche Wirkungen knüpften, ſo
daß ein praktiſches Intereſſe damit verbunden war. Ein
ſolches Intereſſe war wohl allerdings vorhanden, aber ge-
ringer, als es neuere Schriftſteller anzunehmen pflegen, ſo
daß es hauptſächlich darauf ankommen wird, die unbe-
gründeten Hypotheſen abzuwehren, die ſich hier einge-
drängt haben. Wären alle Civilklagen ſtets in jus, und
nur die prätoriſchen in factum gefaßt worden, ſo ließe
ſich vielleicht annehmen, es hätte dadurch blos die oben
dargeſtellte allgemeine Verſchiedenheit des prätoriſchen Rechts
von dem Civilrecht ſcharf ausgedrückt werden ſollen, ohne
verſchiedene Folgen für die Parteyen; allein die Aufſtel-
lung von zwey Formularen bey manchen Klagen läßt nicht
zweifeln, daß es wenigſtens in manchen Fällen vortheil-
hafter für den Kläger ſeyn mußte, das eine Formular vor-
zugsweiſe vor dem andern zu wählen.
Ein ganz iſolirter eigenthümlicher Erfolg der in jus
(k) Gajus IV. § 47. 60. In
den Digeſten finden ſich mehrere
Stellen, die ſich augenſcheinlich
auf dieſe formulae in factum
conceptae beziehen. L. 3 § 1
commodati (12. 6.), L. 1 § 16
§ 40 depositi (16. 3.)
6*
|0098 : 84|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
gefaßten Formel beſtand darin. Wenn die Klage in per-
sonam, zugleich auch ein legitimum judicium, und zugleich
in jus gefaßt war, dann war die Klage durch die bloße
Anſtellung ipso jure conſumirt, ſo daß ſie nie zum zwey-
tenmal angeſtellt werden konnte; in allen anderen Fällen
war eine wiederholte Anſtellung derſelben Klage zwar auch
ausgeſchloſſen, aber nicht ipso jure, ſondern durch excep-
tio rei judicatae oder in judicium deductae (l). Von gro-
ßer praktiſcher Erheblichkeit war dieſer Unterſchied freylich
nicht.
Erheblicher ſchon war es, daß ein in väterlicher Ge-
walt lebender Sohn, wenn er ſelbſt zu klagen befugt und
veranlaßt war, keine intentio in jus concepta aufſtellen
konnte, da er nie zu behaupten im Stande war, er ſelbſt
ſey Eigenthümer oder Glaubiger. Es ſcheint, daß gerade
dieſer Umſtand die Aufſtellung von zwey Formularen zur
Auswahl bey manchen Klagen veranlaßt hat. Gewöhnlich
alſo klagte man wohl bey der depositi oder commodati
actio mit einer formula in jus, wie es der Natur der Ci-
vilklagen angemeſſen war, wollte aber ein Sohn in väter-
licher Gewalt ſolche Klagen anſtellen (wozu bey ihnen
vorzugsweiſe Veranlaſſung für ihn ſeyn konnte), ſo mußte
er die Formel in factum wählen (m).
(l) Gajus IV. § 107. Die an-
deren Fälle alſo, worin jene Ex-
ceptionen aushelfen mußten, wa-
ren: a) alle in rem actiones b)
alle judicia quae imperio con-
tinebantur c) alle Prozeſſe mit ei-
ner formula in factum concepta.
(m) Vgl. Band 2. § 67. § 71.
Note o. und Note t. — Auch zu
einer Fictionsklage war ein Sol-
|0099 : 85|
§. 216. In jus, in factum conceptae formulae.
Es iſt möglich, daß auch noch andere Wirkungen mit
jenem Unterſchied der Prozeßform verbunden waren, aber
wir kennen ſolche nicht. Die Wirkungen, die man wohl in
neuerer Zeit anzugeben verſucht hat, ſind ohne Grund,
wie nunmehr gezeigt werden ſoll.
Vor Allem iſt die Anſicht zu verwerfen, nach welcher
der Gebrauch beider Formeln dadurch beſtimmt ſeyn ſoll,
ob der Streit auf die Wahrheit von Thatſachen gerichtet
war (in factum), oder auf die rechtliche Beurtheilung
unbeſtrittener Thatſachen (in jus) (n). Dazu kann höch-
ſtens der Klang der Worte verleiten (o), bey genaue-
rer Erwägung muß dieſe Annahme als völlig unhaltbar
erſcheinen. Denn die allermeiſten Klagen hatten nur Eine
formula, und doch hängt es von den zufälligen Umſtänden
jedes einzelnen Rechtsfalles ab, ob gerade Thatſachen be-
ſtritten werden oder nicht, ſo daß, wenn jene Annahme
richtig wäre, jede Klage ohne Ausnahme mit zwey For-
meln hätte verſehen ſeyn müſſen. Und wie hätte es end-
lich in den ſehr zahlreichen Prozeſſen gehalten werden ſol-
cher nicht fähig, denn man konnte
z. B. bey der publiciana actio
von ihm nicht ſagen, daß unter
Vorausſetzung der vollendeten Uſu-
capionszeit Er Eigenthümer ge-
worden ſeyn würde; er konnte es
in keiner Zeit werden, ſo lange er
filius familias blieb.
(n) Dieſes iſt die Meynung von
Dupont in Comm. IV. Inst. Gaji,
Leodii 1821. p. 71 — 76.
(o) Außer dem in den Worten
jus und factum liegenden Schein
täuſchte noch der Umſtand, daß in
den beyden Formularen bey Gajus
IV. § 47 die Worte Si paret nur
für die Formel in factum gebraucht
werden. Allein anderwärts kom-
men dieſelben Worte auch bey ei-
ner formula in jus concepta
vor. Gajus IV. § 34. 41. 86. Ci-
cero pro Roscio Comoedo C. 4.
|0100 : 86|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
len, worin über die Thatſache und das Recht zugleich
geſtritten wird?
Mehr Schein hat die Meynung für ſich, nach welcher
die Formel in factum gebraucht ſeyn ſoll, um dem Be-
klagten die Möglichkeit der Losſprechung vermittelſt frey-
williger Reſtitution offen zu laſſen, wozu die Formel in
jus keine paſſende Stelle darzubieten ſchien (p). Allein
dieſe Meynung wird ſchon widerlegt durch die Eigen-
thumsklage, nämlich die petitoria formula, die gewiß in
jus war (q), und dennoch ſtets den vorſorglichen Zuſatz
nisi restituas hatte (r). Sie wurde dadurch veranlaßt,
daß unter den beiden neben einander geſtellten Formularen
der depositi actio, das in factum jenen Zuſatz offenbar
hatte, das in jus ihn zu enbehren ſchien (s). Allein ſelbſt
dieſer Schein iſt durch die Entdeckung verſchwunden, daß
auch die erwähnte formula in jus concepta der depositi
actio jenen ſchützenden Zuſatz allerdings hatte (t).
(p) Keller Litisconteſtation S.
358, Haſſe a. a. O. S. 33.
(q) Gajus IV. § 45. 92.
(r) Cicero in Verrem II. 12.
L. 68 de rei vind. (6. 1.)
(s) Gajus IV. § 47.
(t) Nämlich bey Gajus IV. §
47. leſen die Ausgaben: Nume-
rium Negidium Aulo Agerio
condemnato ** si non paret
absolvito. Da, wo die Lücke be-
merkt iſt, ſteht in der Handſchrift:
N R, welches von Huſchke (Stu-
dien S. 316) aufgelöſt wird durch
nisi restituat. Dieſe höchſt glück-
liche Conjectur wird völlig beſtä-
tigt durch L. 1 § 21 depositi (16.
3.) „.. nec debere absolvi,
nisi restituat … condemnan-
dum te nisi restituas.” (Vgl.
auch L. 22 in f. eod. L. 3. § 3.
commodati 13. 6.). Dieſes ſind
augenſcheinlich wörtliche Anſpie-
lungen auf die Faſſung der For-
mel, ſogar darin wörtlich zutref-
fend, daß ſie die Einrückung der
Worte in die Condemnatio be-
ſtätigen. Dieſe Anſpielung paßte
|0101 : 87|
§. 216. In jus, in factum conceptae formulae.
Endlich könnte man glauben, der Unterſchied ſey in
dem höheren oder geringeren Grad juriſtiſcher Beurthei-
lung zu ſuchen, welcher dem Judex in jenen beiden Arten
der Formeln zugemuthet und anvertraut wurde. Bey der
depositi formula in jus hatte der Judex zu beurtheilen,
ob und wie viel Einer dem Andern ſchuldig ſey
(quidquid dare facere oportet), welches ohne einen ge-
wiſſen Grad von Rechtskenntniß nicht möglich iſt. Dage-
gen hatte er bey derſelben Klage, wenn ſie in factum con-
cipirt war, zunächſt nur die reine Thatſache zu beurthei-
len, ob eine Sache deponirt und nicht zurückgegeben ſey
(mensam deposuisse eamque redditam non esse), und die-
ſes Urtheil iſt ohne die geringſte Rechtskenntniß möglich;
es kommt nur darauf an, aus welchen Elementen die Con-
demnatio bey dieſer letzten Formel beſtand. Dieſe lautete
nun ſo: quanti ea res erit, tantam pecuniam condemnato.
War das nun ſo gemeynt, daß ſtets der reine Sachwerth
oder Marktpreis zuerkannt werden ſollte, ſo war auch
hier alle juriſtiſche Beurtheilung voͤllig ausgeſchloſſen, da
der Marktpreis von ganz anderen Perſonen als den Rechts-
kundigen zu erfahren iſt, und dadurch wäre jene verſuchte
Unterſcheidung allerdings beſtätigt geweſen. Wenn dage-
gen der Sinn des quanti res erit nicht in dem Marktpreis,
aber nur auf die Formel in jus,
nicht auf die in factum; denn
obgleich dieſe dem Sinn nach Daſ-
ſelbe ausdrückte, ſo lauteten doch
die Worte anders, nämlich ſo:
eamque dolo malo .. redditam
non esse, und dieſe Worte ſtan-
den nicht in der Condemnatio,
ſondern in der Intentio.
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Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
ſondern in dem rechtsbegründeten Intereſſe, mit Erwägung
aller Umſtände, beſtand, ſo iſt hier dem Judex genau
dieſelbe juriſtiſche Beurtheilung, wie bey der Formel in
jus, übertragen, da dieſes quanti interest auf dieſelbe Art
zu ermitteln iſt, und zu demſelben Erfolg führt, wie das
quidquid dare facere oportet, und nur wörtlich davon
verſchieden iſt. Nun hat aber in der That jener Aus-
druck die zweyte hier angegebene Bedeutung, nicht die erſte
(u), ſo daß alſo auch dieſer letzte Verſuch einer durchgrei-
fenden praktiſchen Unterſcheidung jener beiden Arten von
Formeln gänzlich aufgegeben werden muß.
Die im Anfang dieſes §. aufgeſtellten Beyſpiele der
bey den formulae in jus conceptae üblichen Intentio füh-
ren wieder zurück zu dem oben dargeſtellten Gegenſatz der
in personam und in rem actiones (§ 206 — 209). Die
in personam enthalten in ihrer Intentio ſtets die Behaup-
tung eines Oportere, bezogen auf die dabey genannte Per-
ſon des Beklagten, das heißt alſo die Behauptung einer
auf dieſer Perſon ſchon jetzt laſtenden, durch das jus civile
begründeten, Obligation; eben dieſe Eigenthümlichkeit iſt
es, die durch den Ausdruck in personam bezeichnet wird.
Die Intentio der in rem actio dagegen behauptet ſtets
das abſolute Daſeyn eines, gleichfalls durch jus civile be-
gründeten, Rechtsverhältniſſes außer einer ſolchen Obli-
gation. Dieſe Unperſönlichkeit der Intentio iſt es, die hier
(u) Vgl. Beylage XII.
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§. 216. In jus, in factum conceptae formulae.
durch den Ausdruck in rem bezeichnet wird (§ 208. a),
nicht die Beziehung auf eine beſtimmte Sache; dieſe
Beziehung iſt gar nicht allgemein und nothwendig, denn
es kam nur darauf an, daß nicht der Beklagte als ein zu
condemnirender Schuldner ausgedrückt wurde (v).
Hieraus erklärt ſich zugleich, auf eine dem alten For-
mularprozeß eigenthümliche Weiſe, die bey den Theilungs-
klagen übliche Benennung: mixtae actiones (§ 209). Die
formula derſelben war nämlich, mehr als bey anderen
Klagen, zuſammengeſetzt. Sie hatte einen rein perſönli-
chen, auf Obligationen gerichteten, Beſtandtheil, mit dare
facere oportere ex fide bona; daneben aber noch einen
anderen Theil, adjudicatio genannt, welcher ſo lautete:
Quantum adjudicari oportet, judex Titio adjudicato (w).
Dieſer Theil war unperſönlich gefaßt, mithin in rem (x);
und ſo mußte man ſagen, die Formelfaſſung dieſer Kla-
gen ſey zuſammengeſetzt aus in rem und in personam (y).
Ganz unrichtig aber würde es ſeyn, dieſe Bemerkung
dahin wenden zu wollen, als wäre der Unterſchied der in
personam und in rem actiones aus jener Formelfaſſung
(v) Gajus IV. 87. „cum in rem
agitur, nihil in intentione facit
ejus persona, cum quo agitur
… tantum enim intenditur, rem
actoris esse. Die erſte (negative)
Hälfte des Satzes beſtätigt das
hier Geſagte, die zweyte (poſitive)
iſt nur Beyſpiel, und widerſpricht
daher meiner Behauptung nicht.
(w) Gajus IV. § 42.
(x) S. o. § 208. a, und § 216. v.
(y) So iſt zu verſtehen folgende
Stelle, die wir wohl nicht mehr in
ihrer urſprünglichen Geſtalt beſitzen
mögen: L. 22 § 4 fam. herc.
(10. 2.) „Familiae erciscundae
judicium ex duobus constat, id
est rebus atque praestationibus,
quae sunt personales actiones.”
|0104 : 90|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
entſprungen, und daher auch, ſeinem Weſen nach, mit ihr
verſchwunden, ſo daß er jetzt als unnütz vermieden wer-
den möchte. Gerade umgekehrt haben ſich die Formeln in
der angegebenen Weiſe ausgebildet, um dem in dem in-
neren Weſen der Sache gegründeten Gegenſatz zum ange-
meſſenen Ausdruck zu dienen. Auch in unſrem heutigen
Recht müſſen wir ſagen, daß das richterliche Urtheil über
eine in rem actio zunächſt auf das Daſeyn oder Nichtda-
ſeyn eines Rechtsverhältniſſes gehe, und nur mittelbar
und folgerungsweiſe auf die Verurtheilung des Beklagten
zu beſtimmten Leiſtungen; anſtatt daß dieſe Verurtheilung
bey der in rem actio der einzige Inhalt des Erkenntniſſes
iſt. Ja, man kann ſagen, daß dieſer Unterſchied der über
beide Hauptarten der Klagen zu fällenden Urtheile im
Juſtinianiſchen Recht ſogar noch ſchärfer hervortritt, als
zur Zeit des früheren Formularprozeſſes, da nun die Ver-
urtheilung ſelbſt, gleich unmittelbar, auf die Anerkennung
des ſtreitigen Rechts gerichtet wird, anſtatt daß ſie früher
ſtets auf baares Geld zu richten war (§ 215. r), ſo daß
ihr jene Anerkennung nur beyläufig eingemiſcht werden
konnte, etwa als Motiv der auf eine Geldſumme gerich-
teten Verurtheilung (z).
Bey den formulae in factum conceptae, alſo bey al-
(z) In dieſer indirecten Weiſe
kommt die Anerkennung des Rechts
in der in rem actio, ſchon bey
den alten Juriſten vor. L. 8 § 4
si serv. (8. 5.) per sententiam
non debet servitus constitui,
sed quae est declarari.” L. 35
§ 1 de R. V. (6. 1.) „judex sen-
tentia declaravit meum esse.”
Dieſe, ohne Zweifel unverfälſchte,
Stellen, haben im Juſtinianiſchen
und heutigen Recht eine noch un-
|0105 : 91|
§. 217. In jus, in factum conceptae formulae. (Fortſetzung.)
len prätoriſchen Klagen, wurde der Unterſchied der in rem
und in personam actiones in den Ausdrücken der Inten-
tio nicht ſichtbar (aa). Dennoch iſt auch bey den prätori-
ſchen Klagen dieſer Unterſchied ſtets anerkannt worden (bb),
und es liegt alſo darin eine Beſtätigung der eben aufge-
ſtellten Behauptung, daß dieſer Unterſchied nicht als eine
Folge der verſchiedenen Formelfaſſung (bey der Intentio
in jus concepta), ſondern vielmehr als Grund derſelben,
anzuſehen iſt.
§. 217.
Arten der Klagen. In jus, in factum conceptae. (Fortſ.)
Bisher war von ſolchen Formeln in factum die Rede,
die ſchon im Edict aufgeſtellt waren: die meiſten ausſchlie-
ßend für gewiſſe Rechtsfälle, einige neben Formeln in jus,
zur freyen Auswahl des Klägers zwiſchen beiden For-
mularen.
Außerdem aber wurden die Formeln dieſer Art auch
in großer Ausdehnung gebraucht, wo es darauf ankam,
für ein neu wahrgenommenes Rechtsverhältniß eine Klage
zu erfinden, alſo in Fällen, wofür das Edict gar keine
Formel enthielt, ſo daß ſie zur praktiſchen Erweiterung
mittelbarere und vollſtändigere An-
wendung, als im Sinn ihrer Ver-
faſſer.
(aa) Eine prätoriſche Klage
konnte daher in personam ſeyn,
während der Ausdruck ſo gefaßt
war, daß man ſie für eine in rem
actio hätte halten können. Vgl.
§ 208. a.
(bb) L. 1 § 1 si ager vect.
(6. 3), L. 1 § 1 de superfic.
(43. 18.). — Die meiſten Präju-
dicien waren prätoriſch (§ 216. a.
und § 207. f.) und dieſe waren
insgeſammt in rem, wie auch ihre
Formel ausgedrückt ſeyn mochte.
|0106 : 92|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
des Rechts dienten. Zu dieſem Zweck waren nun ſolche
Formeln ſehr brauchbar, da jedes Recht ſtets auf irgend
einer Thatſache beruhen muß, zu jenen Formeln aber
nichts Anderes, als der Ausdruck einer Thatſache, mit
einem daran geknüpften praktiſchen Erfolg, erfordert wurde.
Dieſes iſt nun die wahre Bedeutung der unzähligen,
in unſren Rechtsquellen vorkommenden, actiones in factum;
es waren Erweiterungen des praktiſchen Rechts, eingeführt
durch formulae in factum conceptae, die gar nicht im
Edict ſtanden, ſondern durch das Bedürfniß in einzelnen
Fällen herbeigeführt wurden. Diejenigen unter ihnen,
welche ſich auf häufig und gleichförmig wiederkehrende
Fälle bezogen, wurden nachher in das Edict aufgenom-
men, und auf dieſem Wege ſind wohl alle im Edict ſte-
hende prätoriſche Klagen nach und nach in daſſelbe ge-
kommen. Weder in der Abfaſſung aber, noch in der Wir-
kung, machte es irgend einen Unterſchied, ob eine ſolche
Formel auch ſchon im Edict ſtand oder nicht.
So waren alſo in der That die actiones in factum,
die wir in unſren Rechtsquellen ſo oft finden, mit den
erſt durch Gajus bekannt gewordenen formulae in factum
conceptae Eines und Daſſelbe, und dieſe Identität, die
von Manchen mit Unrecht bezweifelt worden iſt, wird
durch viele Stellen außer Zweifel geſetzt (a). Wenn ein-
(a) Gajus IV. § 106. 107 ge-
braucht beide Ausdrücke (formula
in f. concepta und in factum
agere) mit willkührlicher Abwechs-
lung. — Eben ſo ſtellt Gajus IV.
§ 46 viele formulae in factum
zuſammen, und dieſelben Klagen
heißen in den Digeſten ſtets ac-
|0107 : 93|
In jus, in factum conceptae formulae. (Fortſetzung.)
zelne Klagen dieſer Art, die beſonders häufig und wichtig
waren, durch beſondere Namen individualiſirt wurden,
bald nach ihrem Urheber, wie die Serviana des Pfand-
glaubigers (b), bald nach ihrem Entſtehungsgrund, wie
die actio doli, quod metus causa, vectigalis, constitutoria,
hypothecaria, ſo geſchah Dieſes blos wegen der bequeme-
ren Bezeichnung; auch dieſe Klagen waren und blieben
darum nicht minder actiones in factum, oder formulae in
factum conceptae.
Die hier aufgeſtellte Erklärung der actio in factum,
in Verbindung mit der dadurch bewirkten praktiſchen Rechts-
entwicklung, findet eine unmittelbare Beſtätigung in Zeug-
niſſen der alten Juriſten (c). Dieſe ſagen, die judicia
prodita, die vulgares actiones (d), hätten für die im wirk-
lichen Leben vorkommende Bedürfniſſe nicht ausgereicht,
und der Prätor habe daher nachgeholfen durch actiones
in factum. Es wird hinzugeſetzt, die Fälle eines ſolchen
Bedürfniſſes ſeyen von zweyerley Art: theils ganz neue,
bisher gar nicht wahrgenommene, theils ſolche, die mit
den bisher ſchon durch Civilklagen geſchützten Fällen ver-
tiones in factum. L. 12 de in
jus voc. (2. 4) L. 25 pr. de O.
et A. (44. 7.). — L. 3 pr. de
eo per quem factum (2. 10.). —
L. 5 § 3 ne quis eum (2. 7.).
(b) Die Publiciana actio kann
dahin nicht gerechnet werden, da
ſie eine Fictionsklage war (§ 215),
alſo aus in jus und in factum
gemiſcht (§ 216.). Denſelben Cha-
racter hatte die Rutiliana, und
die für den bonorum emtor
eingeführte Serviana. Gajus IV.
§ 35.
(c) L. 1 pr. L. 11 de prae-
scr. verbis (19. 5.).
(d) Judicia prodita ſind zu-
nächſt die im Edict ſtehenden, mit
ſtehenden Formeln verſehenen, Kla-
gen; indeſſen erwähnt L. 11 de
|0108 : 94|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. VI. Verletzung.
wandt waren, worauf alſo die Civilklagen nur ausgedehnt
zu werden brauchten (e).
Es ergiebt ſich hieraus, daß die actiones in factum
in ihrem allgemeinen Zweck (der praktiſchen Rechtserwei-
terung) mit den oben erklärten utiles actiones überein ka-
men (§ 215). Wenn alſo das Bedürfniß einer Klage
für neue Fälle entſtand, ſo konnte dieſes oft befriedigt
werden durch die Einführung einer, an eine alte Civilklage
angeſchloſſenen, Fictionsklage, und dieſes waren die eigent-
lichen utiles actiones. Es konnte aber auch in denſelben
Fällen, und mit gleicher Wirkſamkeit, geſchehen durch eine
actio in factum. Dieſe letzte Auskunft war die einzige in
den weit zahlreicheren Fällen, worin entweder eine präto-
riſche Klage (die ſchon ſelbſt in factum war) über ihre
urſprüngliche Gränzen ausgedehnt, oder aber eine ganz
neue Klage für ein früher gar nicht wahrgenommenes
Rechtsverhältniß erfunden werden ſollte. Der allgemeine
Name utilis actio, als Bezeichnung einer neuen, das Recht
erweiternden Klage überhaupt (§ 215), paßte vollkommen
auf dieſe zahlreichen in factum actiones, und damit ſtimmt
es völlig überein, wenn in mehreren Stellen beide Be-
zeichnungen zu dem Namen einer utilis in factum actio
praescr. verbis (19. 5) auch ac-
tiones quae legibus proditae
sunt. — Vulgares actiones ſind
die bekannten, hergebrachten Kla-
gen, alſo dem Sinne nach auch
die im Edict ſtehenden. So ſteht
vulgaris für directa (§ 215. a);
in L. 42 pr. de furtis (47. 2)
iſt es der Gegenſatz der actio
noxalis, in Vatic. fragm. § 102
der Gegenſatz von actio de pe-
culio.
(e) L. 11 de praescr. verbis
(19. 5.).
|0109 : 95|
In jus, in factum conceptae formulae. (Fortſetzung.)
vereinigt werden (f). Eine ſolche Klage war unſtreitig
die hypothecaria, als Ausdehnung der urſprünglich für
einen ſehr beſchränkten Fall eingeführten Serviana, und ſie
heißt daher auch utilis Serviana, oder quasi Serviana.
Bey keiner Klage kommen dieſe Ausdrücke ſo häufig
und abwechslend vor, als bey der actio Legis Aquiliae,
deren urſprünglich ſehr enge Begränzung zu den mannich-
faltigſten Ausdehnungen Veranlaſſung gab. Dieſe wurden
ohne Zweifel oft durch eine eigentliche utilis actio, das
heißt, durch eine Fictionsklage, bewirkt (g). Eben ſo oft
(f) L. 26 § 3 de pactis dot.
(23. 4.). — „Utilis … in factum.”
L. 7 § 1 de religiosis (11. 7)
„utilem actionem in factum.”
— Pleonaſtiſch ſind dieſe Ausdrücke
gerade nicht. In der zulezt an-
geführten Stelle ſagt das utilis,
es ſey hier die ſchon im Edict
ſtehende actio de religiosis auf
einen neuen Fall ausgedehnt wor-
den; der Zuſatz in factum drückt
aus, daß nicht etwa der Name
utilis im engeren Sinn, für eine
Fictionsklage, ſo verſtanden werden
dürfe. — Vieles Gute findet ſich
über das Verhältniß dieſer Begriffe
bey Mühlenbruch Ceſſion § 15,
wo nur zu viele und ſubtile Unter-
ſchiede angenommen werden, an-
ſtatt daß bey den Römern ſelbſt
die Begriffe und die Ausdrücke
viel einfacher genommen zu ſeyn
ſcheinen.
(g) Wenn der Fructuar der ver-
lezten Sache klagen wollte, der
nur eine utilis actio bekommen
konnte (L. 11 § 10 ad L. Aquil.
9. 2), ſo mag die Formel etwa ſo
gelautet haben: Si paret N. Ne-
gidium Stichum servum, in quo
ususfructus A. Agerii est, vul-
nerasse, ejusque rei causa, si
is servus A. Agerii ex jure Qui-
ritium esset, damnum decidere
oportere, judex quanti ea res
plurimi fuit in diebus triginta
proximis, tantam pecuniam con-
demnato, si non paret absol-
vito. — Eine ſolche Fictionsklage
mochte wohl blos in Fällen der
hier bezeichneten Art vorkommen,
nämlich in Fällen, worin die Klage
dem Nichteigenthümer geſtattet wur-
de, der aber ein jus in re an der
verlezten Sache hatte; wenn da-
gegen die Ausdehnung der Klage
in der Beſchaffenheit der verletzen-
den Handlung lag (damnum non
corpore datum), ſo paßte die
Form der Fictionsklage nicht. Daß
man jedoch den Ausdruck utilis
actio auch in dieſen lezten Fällen
|0110 : 96|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
aber geſchah es durch eine in factum actio (h), und es
hieng wahrſcheinlich meiſt vom Zufall ab, und war auch
für den letzten Erfolg ganz gleichgültig, ob der eine oder der
andere Weg eingeſchlagen wurde Es iſt daher keinesweges
als widerſprechende oder ſchwankende Meynung anzuſehen,
wenn in einem und demſelben Fall bald die utilis, bald
die in factum actio erwähnt wird (i), da in der That
ſchon zur Zeit des älteren Rechts Beides gleich richtig
und für den Erfolg gleichgültig war; nicht zu gedenken,
daß vollends im Juſtinianiſchen Recht, welches keine For-
melnfaſſung mehr kennt, aller Unterſchied nur noch in den
Namen liegt.
Von der hier behaupteten Identität der actio in fac-
tum mit der formula in factum concepta muß jedoch Eine
brauchte, zeigen die Stellen in
Note i.
(h) Gewöhnlich heißt ſie blos
in factum, zuweilen auch in fa-
ctum Legi Aquiliae accommo-
data, oder ad exemplum Legis
Aquiliae. L. 11 pr. de praescr.
verbis (19. 5), L. 53 ad L.
Aquil. (9. 2.).
(i) L. 51 de furtis (47. 2)
verglichen mit L. 53 ad L. Aquil
(9. 2.). — L. 9 § 3 ad L. Aquil
(9. 2) verglichen mit L. 27 § 34
eod., in welcher lezten Stelle, nach
vielen anderen Zeugniſſen, hinzu-
gedacht werden muß: utilem (L.
Aqu. actionem); vgl. § 16 J. de
L. Aqu. (4. 3.). — Nach dem
Schluß der angeführten Inſtitu-
tionenſtelle möchte man glauben,
es habe zwey ungleichzeitige Stu-
fen von Erweiterungen der a. L.
Aquiliae gegeben: 1) durch utilis
actio 2) wo auch dieſe nicht mehr
ausreichte, durch in factum actio.
Dieſer falſche Schein beruht aber
nur auf der ungenauen Zuſam-
menfügung der Beſtandtheile jener
Stelle, welche um ſo leichter mög-
lich war, da die ganze Sache
ſchon längſt im gangbaren Pro-
zeß nicht mehr vorkam. Vgl. oben
Band 1. § 45. Note d. Den neue-
ren Juriſten hat die angeführte
Stelle viele überflüſſige Noth ge-
macht.
|0111 : 97|
§. 217. In jus, in factum conceptae formulae. (Fortſetzung.)
entſchiedene Ausnahme behauptet werden. Aus den Con-
tracten, die von den Neueren Innominatcontracte genannt
zu werden pflegen, entſpringen unſtreitig Civilklagen, und
dieſe führen, mit ganz willkührlicher Abwechslung, die
ihnen allen gemeinſchaftlichen Namen: actio praescri-
ptis verbis, und in factum civilis (k). Die Einrichtung
dieſer Klagen aber war folgende. Zuerſt kam eine De-
monstratio, die nicht ſo, wie bey anderen Klagen, den
Hergang blos kurz andeutete (l), ſondern ganz ausführlich,
mit allen Umſtänden, erzählte, und eben dadurch das Klag-
recht begründete (m). Da dieſes eine wahre Demonstratio
war, alſo vor der Intentio ſtand, ſo erklärt ſich daraus
der Name praescriptis verbis, der hier, wie bey den prae-
scriptiones, nur zu dieſer Stellung in der Formel paſſen
(k) In factum civilis. L. 1
§ 1. 2 L. 5 § 2 de praescr. verb.
(19. 5.). — Iſt identiſch mit prae-
scriptis verbis. L. 1 § 2 L. 2 pr.
L. 13 § 1 L. 22 pr. L. 24 eod.
(l) Dieſe Geſtalt der bey an-
deren Klagen vorkommenden De-
monstratio erhellt aus Gajus IV.
§ 36. 47. 136. 137.
(m) L. 6 C. de transact.
(2. 4) „.. Aut enim stipulatio
conventioni subdita est, et ex
stipulatu actio compctit: aut,
si omissa verborum obligatio
est, utilis actio, quae prae-
scriptis verbis rem gestam de-
monstrat, danda est.” Demon-
strat iſt die unmittelbare Bezeich-
nung der Demonstratio, das We-
ſentliche aber liegt in dem rem
gestam, das heißt der Erzählung
aller einzelnen Thatſachen, ſo wie
ſie vorgefallen ſind. — Großen
Anſtoß hat hier von jeher der
Ausdruck utilis actio erregt, den
man etwas gewaltſam in civilis
hat emendiren wollen. Die natür-
lichſte Erklärung iſt wohl die.
Man nahm früher an, daß der
Innominatcontract in der (eben
hier vorausgeſezten) Form facio
ut des keine Civilklage hervor-
bringe (L. 5 § 3 de praescr.
verb. 19. 5.). Indem nun hier
dennoch eine ſolche Klage zugelaſ-
ſen wird, war dieſe eine utilis
actio im Vergleich mit der früher
beſchränkteren Anwendung der Kla-
ge. Elvers neue Themis B. 1
S. 366.
V. 7
|0112 : 98|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
konnte (n). Der Name in factum erklärt ſich aus der
ausführlichen Erzählung der Thatſachen, wodurch dieſe
Art der Klagen mit den formulae in factum conceptae
Ähnlichkeit hatte, und zwar insbeſondere mit denjenigen
unter ihnen, welche nicht ſchon im Edict ſpeciell aufgeſtellt
waren, ſondern für das Bedürfniß vorkommender Fälle
jedesmal neu erfunden wurden.
Hierauf folgte nun die auch bey vielen anderen Kla-
gen übliche, ganz unbeſtimmte, Intentio in jus concepta:
Quidquid eum ob eam rem dare facere oportet. Von
ihr führt die Klage in ſehr vielen Stellen bald den Na-
men incerti actio, (wegen des unbeſtimmten Quidquid),
bald civilis (wegen der juris civilis oder in jus Intentio),
bald beide Namen vereinigt (o); einmal ſogar geradezu
den Namen: civilis intentio incerti (p), welche Bezeichnung
allein ſchon hinreicht, um jeden Zweifel über die Natur
dieſer Formel zu beſeitigen. Ja auch ſchon der Name
incerti actio würde keinen Sinn haben, wenn man jene
Klage für eine formula in factum concepta halten wollte,
(n) Dieſes iſt richtig bemerkt
von Haſſe a. a. O., S. 44.
(o) Civilis, ſ. o. Note k. —
Incerti. L. 8 L. 9 pr. de prae-
scr. verb. (19. 5), L. 19 § 2 de
prec. (43. 26), L. 9 C. de don.
(8. 54.). — Civilis incerti oder
incerta. L. 7 § 2 de pactis
(2. 14), L. 16 de praescr. verb.
(19. 5), L. 23 comm. div. (10. 3),
L. 6 C. de rer. perm. (4. 64.). —
In der angeführten L. 19 § 2 de
prec. ließt die Florentina: incerti
condictione, ohne Zweifel unrich-
tig; die richtige Bononienſis: in-
certa actione ſteht im Cod.
Rehd., in meiner Handſchrift, und
in den Ausgaben: Rom. 1476.
Norimb. 1483. Venet. 1483. Ve-
net. 1485.
(p) L. 6 pr. de praescr. ver-
bis (19. 5) „civili intentione in-
certi.”
|0113 : 99|
§. 217. In jus, in factum conceptae formulae. (Fortſetzung.)
da die Erzählung, die nun die Intentio gebildet haben
würde (§ 216), durchaus keine Unbeſtimmtheit in ſich ſchließt.
Es ergiebt ſich hieraus, daß dieſe actio in factum ci-
vilis in der That eine formula in jus concepta hatte, ſo
leicht auch der Name über dieſen Punkt täuſchen kann (q).
Zu dem ſchon aus dem Zuſammenhang der angeführten
Stellen für die Richtigkeit dieſer Behauptung hervorge-
henden Beweiſe kommen nun noch folgende einzelne beſtä-
tigende Zeugniſſe hinzu. — Nach den Inſtitutionen iſt die
hier erwähnte Klage bonae fidei (r); wir wiſſen aber aus
Gajus, daß die mit dieſem Character verſehenen Klagen
eine Intentio in jus concepta hatten in folgender Faſſung:
Quidquid eum dare facere oportet ex fide bona (s); die
Intentio in factum concepta war zu dieſem Zuſatz, wor-
auf ſich doch der Name jener Klaſſe von Klagen grün-
dete, durchaus nicht geeignet (t). — Wenn Sejus dem
Titius den Sklaven Stichus gab, damit Titius den Skla-
ven Pamphilus frey laſſe, Titius auch ſeine Verbindlichkeit
(q) Die hier aufgeſtellte Lehre
iſt ſchon von Anderen auf über-
zeugende Weiſe vorgetragen wor-
den. Keller Litisconteſtation
S. 252. 253. Haſſe a. a. O.,
S. 41 — 46. G. E. Heimbach
Bedeutung der in factum actio
in Linde’s Zeitſchrift B. 11 S. 285
fg. — Vorſichtig gewählt war al-
lerdings der Ausdruck in factum
civilis nicht, da er ſo leicht zu
der Verwechslung dieſer Klagen
mit der formula in factum con-
cepta einiger Civilklagen (§ 216. k)
verleiten konnte, womit ſie doch in
der That gar Nichts gemein hatten.
(r) § 28 J. de act. (4. 6.).
(s) Gajus IV. § 47.
(t) Die Worte ex fide bona
enthalten die nähere Beſtimmung
und Einſchränkung des oportet,
das heißt des in der Verpflichtung
liegenden Rechtsverhältniſſes; da-
gegen hätte es keinen Sinn ge-
habt, der reinen Thatſache: Si
paret Agerium mensam depo-
suisse den Zuſatz ex fide bona
zu geben.
7*
|0114 : 100|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
erfüllte, und ihm nun der Sklave von einem Dritten evin-
cirt wurde, ſo fragte es ſich, welche Entſchädigungsklage
Titius gegen Sejus wegen dieſer Eviction habe. Der
Juriſt Julian fand eine in factum actio nöthig; darüber
wird er von Maurician und Ulpian getadelt, weil die re-
gelmäßige civilis incerti actio für dieſen Zweck zuläſſig,
alſo die Aushülfe durch eine in factum actio nicht nöthig
ſey (u). Der Gegenſatz, welcher dieſem Tadel zum Grunde
liegt, hat augenſcheinlich den Sinn, daß die Civilklage,
die Ulpian für zuläſſig und ausreichend erklärt, eine In-
tentio in jus concepta hatte; wäre auch ſie in factum
concepta geweſen, ſo war gar kein wahrer Gegenſatz ge-
gen die Meynung des Julian vorhanden, alſo auch keine
Veranlaſſung zum Tadel (v). — Endlich bezeugt ein Scho-
liaſt zu den Baſiliken ausdrücklich, daß die Klagen, von
welchen hier die Rede iſt, außer der Demonstratio noch
eine beſondere Intentio hatten, worauf endlich die Con-
demnatio folgte (w).
(u) L. 7 § 2 de pactis (2. 14)
„.. Et ideo puto, recte Julia-
num a Mauriciano reprehen-
sum in hoc: dedi tibi Stichum
ut Pamphilum manumittas: ma-
numisisti: evictus est Stichus:
Julianus scribit in factum ac-
tionem a Praetore dandam:
ille ait, civilem incerti actio-
nem, id est praescriptis verbis
suficere.”
(v) Der bloße Gegenſatz der
Civilklage und der prätoriſchen an
ſich ſelbſt kann nicht gemeynt ſeyn,
da dieſer in der Formel gar nicht
ſichtbar wurde; die Abfaſſung der
Intentio (in jus oder in factum)
konnte allein einen ſichtbaren Un-
terſchied darbieten, und zu einem
Tadel Gelegenheit geben.
(w) Schol. Basil. Vol. 1 p. 559.
560 ed. Heimbach; vgl. A. E.
Heimbach a. a. O., S. 290.
|0115 : 101|
§. 218. Judicia, arbitria. Stricti juris, bonae fidei actiones.
§. 218.
Arten der Klagen. Judicia, arbitria. Stricti juris,
bonae fidei (*).
Die bisher verſuchte Darſtellung der älteren Klagfor-
men ſollte den Weg bahnen zum Verſtändniß einiger Arten
der Klagen, deren wichtige Verſchiedenheiten noch im Ju-
ſtinianiſchen Recht ſehr häufig erwähnt werden. Es ſind
dieſes die stricti juris und bonae fidei actiones, die Con-
dictionen, und die arbitrariae actiones.
Cicero ſagt, es gebe überhaupt zweyerley Klagen, ju-
dicia und arbitria (a). In jenen werde der Rechtsſtreit
ſtreng und buchſtäblich behandelt, in dieſen milde und mit
freyer Rückſicht auf Billigkeit. Gleich nachher ſcheint er
denſelben Gegenſatz durch die Ausdrücke judicia legitima
und arbitria honoraria zu bezeichnen (b). In anderen
(*) Vgl. hierüber im Allgemei-
nen die Beylagen XIII. XIV. Es
dürfte zum leichteren Verſtändniß
der Sache beytragen, die ausführ-
lichen Beylagen zuerſt zu leſen, da
die zuſammengedrängte Darſtel-
lung in dieſem und den folgenden
Paragraphen, ihrer Natur nach,
weniger faßlich ausfallen muß.
(a) Cicero pro Roscio Co-
moedo C. 5 „Aliud est judi-
cium, aliud arbitrium … Quid
est in judicio? directum, aspe-
perum, simplex: Si paret HS.
ICCC dari oportere .. Quid est
in arbitrio? mite, moderatum:
Quantum aequius et melius, id
dari.
(b) Cicero ib. C. 5 „perinde
ac si in hanc formulam omnia
judicia legitima, omnia arbi-
tria honoraria, omnia officia
domestica conclusa et compre-
hensa sint, perinde dicemus.”
Dieſe rhetoriſche Stelle macht of-
fenbar keinen Anſpruch auf wiſſen-
ſchaftliche Präciſion, der Sinn aber
iſt dieſer: „alle judicia, das heißt
die Civilklagen, eben ſo alle arbi-
tria, das heißt die prätoriſche
Klagen.“ Die Beywörter haben
alſo eine erklärende, nicht ein-
|0116 : 102|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Stellen bezeichnet er ſolche Klagen, die gewiß unter die
angeführten arbitria gehören, als judicia (oder arbitria),
in quibus ex fide bona est additum, das heißt deren for-
mula die hier angegebenen Worte, oder auch andere von
ähnlichem Sinn, als characteriſtiſchen Zuſatz in ſich ſchlöſ-
ſen (c).
Ganz derſelbe Gegenſatz, auch in gleicher Allgemein-
heit, wird einmal von Seneca erwähnt, hier aber mit
einer ſehr wichtigen näheren Beſtimmung, die über die an-
geführten Ausdrücke Aufſchluß giebt, und die nur zufällig
bey Cicero nicht ausgedrückt iſt (d). Es wurden nämlich
ſchränkende Bedeutung, und es iſt
dadurch nicht ausgeſchloſſen, daß
es auch ſehr viele und wichtige
Civilklagen gab, die arbitria wa-
ren, wie ſogleich aus anderen
Stellen des Cicero bemerkt werden
wird. Ganz verwerflich würde es
ſeyn, dieſe judicia legitima, de-
ren Bedeutung durch den Gegen-
ſatz der arbitria honoraria un-
zweifelhaft wird, mit den legitimis
judiciis bey Gajus IV. § 103—105
in irgend eine Verbindung zu brin-
gen; Gajus ſelbſt hat im § 109
jeder hierin möglichen Verwechs-
lung ſorgfältig vorgebaut.
(c) Cicero top. C. 17 „In om-
nibus igitur iis judiciis, in qui-
bus ex fide bona est additum:
ubi vero etiam ut inter bonos
bene agier: in primisque in ar-
bitrio rei uxoriae, in quo est:
quid aequius melius.” — Cicero
de offic. III. 15 „judiciis in qui-
bus additur ex fide bona;”
III. 17 „in omnibus iis arbi-
triis, in quibus adderetur ex
fide bona.”
(d) Seneca de beneficiis III. 7
„Ideo melior videtur conditio
causae bonae si ad judicem,
quam si ad arbitrum mittatur:
quia illum formula includit,
et certos quos non excedat
terminos ponit; hujus libera,
et nullis adstricta vinculis re-
ligio, et detrahere aliquid pot-
est et adjicere ..... ubi id, de
quo sola sapientia decernit, in
controversiam incidit, non pot-
est ad haec sumi judex ex tur-
ba selectorum, quem census in
album, et equestris hereditas
misit.” — Merkwürdigerweiſe hat
ſich die wörtliche Erwähnung
dieſes Unterſchieds in der Perſon
der Urtheiler noch in einer Stelle
von Juſtinians Inſtitutionen er-
halten, obgleich ſie hier keinen
Sinn mehr hatte. § 1 J. de act.
|0117 : 103|
§. 218. Judicia, arbitria, Stricti juris, bonae fidei actiones.
periodiſch Liſten beſonders ausgewählter Richter verfer-
tigt und öffentlich aufgeſtellt (das album). Dabey waren
öftere Veränderungen wahrzunehmen theils in der Anzahl,
theils in den Bürgerklaſſen, worans die Richter ausſchlie-
ßend genommen werden mußten (e). Die Perſon des Ur-
theilers ſtand nun mit jener Verſchiedenheit der Klagen
in der Verbindung, daß das judicium nur vor einem aus
dem album genommenen Judex möglich war, anſtatt daß
über ein arbitrium zu urtheilen Jeder berufen werden konnte,
ohne Unterſchied ob er im album ſtand oder nicht (f). Über
(4. 6.). „Omnium actionum,
quibus inter aliquos apud ju-
dices arbitrosve de quacumque
re quaeritur” etc.
(e) Vgl. Zimmern Rechtsge-
ſchichte B. 3 § 10.
(f) Cicero pro Cluentio C. 43
ſagt, alle Judices erhielten ihre
Gewalt nur durch die freye Ein-
ſtimmung der Parteyen; mit der
Allgemeinheit dieſes Satzes ſind
aber doch Verſchiedenheiten in der
Art und dem Grad dieſer mitwir-
kenden Einſtimmung wohl verein-
bar. Wenn in dem judicium der
Prätor oder das Loos eine Anzahl
Namen aus dem album aus-
wählte, und nun jede Partey eine
beſtimmte Quote derſelben verwer-
fen konnte, ſo lag ſchon darin eine
gewiſſe Einſtimmung in die Übrig-
bleibenden, aus welchen dann viel-
leicht Einer durch das Gutdünken
des Prätors zum Judex ernannt
wurde; dagegen kam vielleicht bey
dem arbitrium eine poſitive und
individuelle Übereinkunft vor, wor-
auf zu deuten ſcheint L. 57 de re
jud. (42. 1) Valer. Max. II.
8. 2. — Wahrſcheinlich ernannte
der Kläger den arbiter, welchen
dann der Beklagte verwerfen konnte.
Valer. Max. VIII. 1. 2. „Cal-
purnius .. Catonem .. arbitrum
Claudio addixit.” Doch heißt
es in derſelben Geſchichte bey Ci-
cero de off. III. 16 adegit, und
eben ſo pro Roscio 9. Dagegen
ſagt auch Cicero de or. II. 65.
70 judicem alicui ferre. —
Ganz irrig würde es ſeyn, ſich
die Sache ſo vorzuſtellen, als
wären die im album verzeichneten
Richter gerade die Beſſeren, Zu-
verläſſigeren geweſen, ſo daß man
ſich bey den arbitriis mit Gerin-
geren begnügt hätte. Je nach dem
Übergewicht der politiſchen Par-
teyen wurden öfter gerade die Vor-
nehmſten vom album ausgeſchloſ-
ſen; ferner wurden ohne Zweifel
die zahlreichen Obrigkeiten des lau-
|0118 : 104|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
den Sprachgebrauch aber iſt zu bemerken, daß die Aus-
drücke judex und judicium mit willkührlicher Abwechslung
gebraucht werden, bald um allein das oben beſchriebene
judicium im engeren Sinn zu bezeichnen (Note a. b. d),
bald als generiſche Bezeichnung, unter welcher auch die
arbitria begriffen ſind (g). Ein ähnliches Schwanken kommt
bey den Ausdrücken arbiter und arbitrium nicht vor, welche
ganz gewiß nur bey den Prozeſſen der freyeren Art ge-
braucht werden (h).
Faſſen wir dieſes Alles zuſammen, ſo gab es im alten
Prozeß zweyerley Klagen, die wir, der Kürze wegen,
ſtrenge und freye nennen wollen. Die Verſchiedenheit
im Verfahren, das heißt die mehr oder weniger freye
Macht, die dem urtheilenden Judex überlaſſen war, hieng
aber zuſammen mit der perſönlichen Eigenſchaft deſſelben,
fenden Jahres, die doch ſtets ar-
bitri ſeyn konnten, nicht in das
album geſetzt; endlich durfte der
arbiter eben ſowohl aus dem
album, als außer demſelben, ge-
wählt werden.
(g) Dieſes erhellt ganz klar
aus den Stellen des Cicero Note c.
Ferner gebraucht Gajus IV. § 163
die Ausdrücke judex und arbiter
ganz abwechſlend, vielleicht dem
bloßen Wohllaut folgend (z. B.
judicis arbitrio). In den For-
meln derjenigen Klagen, die gewiß
arbitria waren, kommt ſtets ju-
dex esto vor, nie arbiter esto;
nur bey Mehreren heißt es: recu-
peratores sunto (Gajus IV. § 46.
47.), nicht: judices oder arbitri
sunto. Es war alſo nicht etwa
nachläſſiger Sprachgebrauch der
Schriftſteller, ſondern die herrſchen-
de Gerichtsſprache. Wenn daher
geſtritten wurde, ob es beſſer ſey
judex oder arbiter zu ſagen
(Cicero pro Murena C. 12), ſo
darf dieſem Streit wohl nur eine
theoretiſche, ſprachverbeſſernde, Be-
deutung zugeſchrieben werden.
(h) In ganz anderer Beziehung
freylich iſt auch der Ausdruck ar-
biter zweydeutig, indem er nicht
blos den Urtheiler in einer freyen
Klage, ſondern auch den außerge-
richtlichen Schiedsrichter bezeichnet.
|0119 : 105|
§. 218. Judicia, arbitria. Stricti juris, bonae fidei actiones.
indem er bey den ſtrengen Klagen nur aus dem öffentlich
aufgeſtellten Richterverzeichniß, bey den freyen aber ohne
dieſe Einſchränkung gewählt werden durfte.
Merkwürdigerweiſe kommt die hier dargeſtellte Einthei-
lung der Klagen in dieſer Allgemeinheit, wörtlich aner-
kannt, in dem ganzen Umfang unſrer Rechtsquellen nicht
vor; ſie erſcheint jedoch hier, ſorgfältig ausgebildet, in
einem engeren Kreiſe von Klagen, als stricti juris und
bonae fidei actiones. Es würde unrichtig ſeyn, deshalb
anzunehmen, daß ſie ſich überhaupt in dieſen engeren Kreis
zurückgezogen hätte, und für die übrigen Klagen verſchwun-
den wäre; vielmehr wird unten gezeigt werden, daß ſie
ihre allgemeine Bedeutung und Wichtigkeit während des
ordo judiciorum ſtets behauptet hat, ſo daß die eingetre-
tene Veränderung mehr den vorherrſchenden Sprachge-
brauch, als die Sache ſelbſt, betroffen zu haben ſcheint.
Um nun dieſen wichtigen Gegenſatz, ſo wie er in
unſren Rechtsquellen erſcheint, vollſtändig zur Anſchauung
zu bringen, iſt es nöthig, eine Überſicht aller Klagen voran
zu ſtellen, und dabey vorläufig zu bemerken, wie ſich dieſelben
zu jenem Gegenſatz verhalten. Die genauere Erörterung
dieſer vorläufigen Behauptungen wird dann der Gegen-
ſtand der nachfolgenden Unterſuchungen ſeyn. Es gründet
ſich aber die folgende tabellariſche Überſicht auf die ſchon
entwickelten Begriffe der civilen und prätoriſchen Klagen
(§ 213), der Klagen in rem und in personam (§ 206—209),
|0120 : 106|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
endlich der aus Delicten entſpringenden oder Pönalklagen
(§ 210 — 212.).
I. Civiles actiones.
1. In personam.
A. Aus Rechtsgeſchäften (Contracten und Quaſi-
contracten) (i). Auf dieſe allein bezieht ſich die
Eintheilung in:
a. Stricti juris, auch condictiones genannt.
Sie ſind ſtrenge Klagen (judicia).
b. Bonae fidei. Sie ſind freye Klagen (ar-
bitria).
B. Aus Delicten, alſo Pönalklagen. Sie ſind Judicia.
2. In rem. Insgeſammt arbitria.
II. Honorariae actiones. Insgeſammt arbitria, ohne Un-
terſchied ob ſie in rem oder in personam ſind, und
ob dieſe letzten aus Rechtsgeſchäften oder aus De-
licten entſpringen.
Es beſchränkt ſich demnach der Gegenſatz der stricti
juris und bonae fidei actiones auf den engeren Kreis der-
jenigen Civilklagen, welche in personam ſind, und zugleich
(i) Es iſt alſo derſelbe Begriff,
welcher auch ſchon bey den Rö-
mern durch den gemeinſamen Na-
men contractus bezeichnet wird.
Vgl. L. 23 de R. J. (50. 17.).
Man darf ſich nicht durch Streben
nach Vollſtändigkeit verleiten laſ-
ſen, nun auch den unten folgenden
Delicten die Quaſidelicte zu coor-
diniren; denn theils ſind dieſe ſehr
unbedeutend, anſtatt daß die Qua-
ſicontracte zahlreich und wichtig
ſind, theils finden ſich darunter
keine dem alten Civilrecht angehö-
rende Fälle; ſie erzeugen nur prä-
toriſche Klagen.
|0121 : 107|
§. 219. Actiones stricti juris (Condictiones), bonae fidei.
aus Rechtsgeſchäften entſpringen. Allen übrigen Klagen
dürfen jene Namen nicht beygelegt werden, allein der prak-
tiſche Character, welcher ſie unterſcheidet, indem die einen
ſtrenge, die anderen freye Klagen ſind, findet ſich bey al-
len übrigen Klagen wieder, und zwar dergeſtalt, daß die
allermeiſten derſelben unter die freyen, nur ſehr wenige
unter die ſtrengen Klagen gehören.
Da übrigens der ganze hier behandelte Gegenſatz vor-
zugsweiſe auf die Beſchaffenheit und die Macht des Judex
Beziehung hatte, ſo verſteht es ſich von ſelbſt, daß der-
ſelbe nur für die ordinaria judicia Bedeutung haben konnte,
indem in den extraordinariis ein von der Obrigkeit ver-
ſchiedener Judex gar nicht vorkam.
§. 219.
Arten der Klagen. Stricti juris (Condictiones), bo-
nae fidei.
Als Mittelpunkt dieſes ganzen Klagenſyſtems ſind die
perſönlichen Civilklagen aus Rechtsgeſchäften zu betrachten,
ſo daß ſich die beſtimmteſten und reichhaltigſten Kunſtaus-
drücke ausſchließend auf ſie beziehen, die übrigen Klagen
aber nach ihrer Analogie behandelt werden.
Jenen contractlichen Civilklagen liegt aber folgender
Gedanke zum Grunde. Das erſte und dringendſte Bedürf-
niß für den geordneten Rechtszuſtand iſt der richterliche
Schutz des Eigenthums und der ihm verwandten Rechte.
Der in dieſem Schutz des Berechtigten begründete Zwang
|0122 : 108|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
gegen die Freyheit der Andern äußert ſich abwehrend, wie-
derherſtellend, alſo auf eine meiſt negative Weiſe. Auch
wird dieſe Art des Schutzes großentheils hinreichen, um in
dem Verkehr der Menſchen unter einander eine rechtliche
Ordnung zu erhalten; ſoweit er hinreicht, bedarf es eines
Zwanges zu poſitiven Handlungen nicht, und ſoll dieſer
dennoch angewendet werden, ſo kann die Rechtfertigung
deſſelben nur in der beſonders nachgewieſenen Unentbehr-
lichkeit liegen.
Wenn zum Beyſpiel Einer ſein Haus vermiethet, und
der Miether die Rückgabe verweigert, ſo kann zum
Schutz gegen dieſes Unrecht ſchon die Eigenthumsklage ge-
nügen. Gegen die Verweigerung des Miethgeldes freylich
ſchützt dieſe Klage nicht, und dadurch wird dennoch eine
wohlbegründete Erwartung des Vermiethers geſtört; eben
ſo verhält es ſich mit dem Inhalt der meiſten anderen
Verträge. Dieſe Erwartungen nun ſtehen zunächſt unter
dem Schutz der bey rechtlichen Menſchen geltenden Sitte,
und dieſer Schutz, ſelbſt ohne äußere Unterſtützung, iſt
ſtärker, als man in blos juriſtiſcher Betrachtung anzuneh-
men geneigt ſeyn mag. Es iſt hier nicht die Rede von
edler Geſinnung, Grosmuth, Aufopferung, auf welche
durchſchnittlich zu rechnen nie gerathen ſeyn möchte; zur
Beobachtung jener Sitte kann ſchon verſtändige Selbſt-
ſucht antreiben, da auf ihr das ſchwer zu entbehrende Zu-
trauen Anderer beruht. Wir bezeichnen dieſen Zuſtand
als Treue und Glauben, die Römer nennen ihn bona fides.
|0123 : 109|
§. 219. Actiones stricti juris (Condictiones), bonae fidei.
Von dieſem Standpunkt aus können wir ſagen: die Er-
haltung unſres Vermögens wird uns durch die Eigen-
thumsklage geſichert, die Erwartung, die wir von der
Handlung eines Andern zu faſſen in Folge ſeiner eigenen
Erklärung berechtigt ſind, wird geſichert durch Treue und
Glauben.
Dennoch reichen wir damit nicht aus, wie mäßig auch
unſre Anſprüche an die äußere Unterſtützung des Rechts-
zuſtandes ſeyn mögen. Zwar wenn ich dem Andern mein
Haus vermiethe, ſo ſchützt mich gegen Verminderung mei-
nes Vermögens, unabhängig von ſeiner Redlichkeit, die
Vindication; wenn ich ihm aber Geld leihe, ſchützt ſie mich
nicht. Indem ich ihm das Eigenthum des Geldes über-
ließ, habe ich zu ſeinem Vortheil freywillig auf den Schutz
durch Vindication verzichtet; zahlt er nun das Geld nicht
zurück, ſo wird mir nicht blos, wie bey dem verweigerten
Miethgeld, eine Erwartung geſtört, ſondern mein urſprüng-
liches Vermögen iſt bleibend vermindert, und zwar ledig-
lich in Folge des von mir gewährten höheren Vertrauens.
Dieſes höhere Vertrauen führt alſo eine größere Gefahr
mit ſich, und Beide vereinigt geben mir den Anſpruch auf
ſtrengen richterlichen Schutz, ähnlich dem Schutz des Ei-
genthums.
Das Darlehen iſt der einfachſte, einleuchtendſte Fall
der Unentbehrlichkeit eines ſolchen Schutzes durch perſön-
liche Klage; allein an denſelben reihen ſich, in natürlicher
Entwicklung, andere verwandte Fälle an, die daher eines
|0124 : 110|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
gleichartigen Schutzes theilhaftig werden müſſen. Denn
der abſtracte Grund, weshalb hier dem Darlehen ein
Schutz höherer Art als anderen Verträgen gewährt wurde,
lag in dem Umſtand, daß ohne dieſen Schutz mein Ver-
mögen zum Vortheil eines Andern ohne Rechtsgrund ver-
mindert ſeyn würde; conſequenterweiſe werden wir alſo
auch in anderen Fällen, worin nur dieſes abſtracte Ver-
hältniß wahrgenommen wird, denſelben Schutz zu geſtat-
ten haben. So geſchieht es in der That, wenn mein
Eigenthum den andern bereichert, nicht in Folge meines
ihm gewährten Vertrauens, wohl aber in Folge einer irri-
gen Handlung (condictio indebiti), oder in Folge eigen-
mächtiger Handlung des Bereicherten, oder auch eines
bloßen Zufalls. Vermittelſt dieſer natürlichen Entwicklung
ſind mit der Klage aus dem Darlehen auf gleiche Linie
geſtellt worden die condictio indebiti, sine causa, furtiva
u. ſ. w. (a).
Eine zweyte, ſchon etwas künſtlichere, Erweiterung
jenes Schutzes liegt auf folgendem Wege. Wenn zwiſchen
mir und einem Andern ein Rechtsverhältniß der Art be-
ſteht, welche an ſich nur durch Treue und Glauben ge-
ſchützt zu ſeyn pflegt, wir einigen uns aber dahin, daß
dafür unter uns ein ſtrenger richterlicher Schutz gelten
ſoll, gleichartig dem, welcher durch das anvertraute Eigen-
genthum von ſelbſt entſteht, ſo kann es nur zur Förderung und
Belebung des Verkehrs gereichen, daß eine ſolche Einigung
(a) Beylage XIV. Num. IV — VIII.
|0125 : 111|
§. 219. Actiones stricti juris (Condictiones), bonae fidei.
Wirkſamkeit erhalte. Es wird dann nur darauf ankom-
men, ſolche Formen anzuwenden, wodurch das Daſeyn
und der Ernſt jener Einigung außer Zweifel geſetzt werde.
Die natürlichſte Einrichtung einer ſolchen Form wird dar-
auf gerichtet ſeyn, daß die innere Verwandſchaft mit den
oben dargeſtellten Faͤllen, insbeſondere mit dem Darlehen,
ſichtbar hervortrete. Hierauf beruht die mit dem Darle-
hen völlig gleichartige Wirkung der expensilatio und sti-
pulatio, ſo wie der alten nexi obligatio (b).
Nun aber iſt es nöthig, diejenigen Rechtsgeſchäfte, von
welchen oben geſagt wurde, daß ſie nur durch Treue und
Glauben geſchützt werden, noch genauer in’s Auge zu faſ-
ſen. Lediglich dabey ſtehen zu bleiben, wird durch die
Rückſicht auf ſolche Perſonen bedenklich, welche geneigt
ſeyn möchten, ſich der ſchützenden Sitte völlig zu entziehen.
Möchten Dieſe auch für die Zukunft durch das verſcherzte
Zutrauen vielleicht größeren Nachtheil erleiden, ſo würden
ſie doch im einzelnen Fall einen augenblicklichen, ſehr un-
verdienten, Gewinn ziehen können, und auch ſchon darin
würde eine Störung der Rechtsordnung, wenngleich von
minderer Art, liegen. Dadurch aber treten dieſe Fälle
in eine gewiſſe Verwandtſchaft mit den oben dargeſtellten,
durch ſtreng richterlichen Schutz zu ſichernden Fällen, ohne
jedoch völlig gleichartig mit ihnen zu werden.
Die Römer haben dieſe Verwandtſchaft, und die noch
daneben beſtehende Verſchiedenheit, in folgender Weiſe an-
(b) Beylage XIV. Num. IX. X.
|0126 : 112|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
erkannt. Der ſtrenge Schutz durch eigentliches Richteramt
ſoll nur gelten für die zuerſt dargeſtellte Klaſſe von Fällen.
Wenn aber in den Fällen, welche eigentlich nur unter
dem Schutz redlicher Sitte ſtehen, unter zwey Perſonen
eine Meynungsverſchiedenheit entſteht, ſo daß Jeder das
Recht auf ſeiner Seite zu haben glaubt, ſo werden ſie
ſich, die Möglichkeit des Irrthums in der eigenen Perſon
und in dem Gegner anerkennend, über einen unpartheyi-
ſchen Schiedsrichter einigen, deſſen Ausſpruch ſie unter
ſich als das wahre Recht gelten laſſen wollen. Dieſe Aus-
kunft iſt dem natürlichen Verhältniß redlicher Menſchen ſo
angemeſſen, daß ſie keiner verweigern kann, ohne ſich dem
Verdacht eines Unrechts mit Bewußtſeyn auszuſetzen. Da-
her wird in ſolchen Fällen Jeder genöthigt, zu dieſer Aus-
kunft die Hand zu bieten. Der unter Mitwirkung beider
Theile ernannte Schiedsrichter hat nun nicht, wie der
eigentliche Richter, feſtzuſtellen, was das ſtrenge Recht ge-
biete, ſondern was im vorliegenden Fall, nach redlicher
Sitte, von ſelbſt und ohne Zwang zu beobachten ſey (c).
Das, was hier, von dem Standpunkt allgemeiner Be-
trachtung aus, auch in allgemeine Ausdrücke gefaßt wor-
den iſt, erſcheint nun bey den Römern in folgender con-
creten Geſtalt (§ 218.). In den Fällen, worin eine ſtrenge
Forderung, dem ſtrengen Recht des Eigenthums ähnlich,
begründet iſt, kann Dieſelbe durch eine stricti juris actio,
häufiger condictio genannt, geltend gemacht werden. Über
(c) Beylage XIII. Num. XIII.
|0127 : 113|
§. 219. Actiones stricti juris (Condictiones), bonae fidei.
Dieſelbe entſcheidet ein Judex, aus dem allgemeinen Rich-
terverzeichniß genommen. Für die übrigen Fälle dagegen
gilt eine bonae fidei actio, und darüber wird durch einen
von den Parteyen gewählten Arbiter (oder durch Mehrere)
entſchieden. Der Judex vertritt lediglich die Stelle des Prä-
tors, und muß ſich daher in den buchſtäblichen Gränzen
halten, die ihm der Auftrag des Prätors vorſchreibt. Der
Arbiter hat die unter rechtlichen Menſchen herrſchende
Sitte zu interpretiren, und urtheilt daher mit größerer
Freyheit, indem ſich der Prätor, ihm gegenüber, auf eine
allgemeinere Leitung des Verfahrens beſchränkt.
Dieſe verſchiedene Macht des Judex und des Arbiter
beruhte daher auf ihrer ganz verſchiedenen Stellung zu
den Parteyen und zur Obrigkeit, und dabey lag wieder
zum Grunde die verſchiedene Grundanſicht in der Betrach-
tung beider Klaſſen von Rechtsgeſchäften. Es würde alſo
irrig ſeyn, dieſe Verſchiedenheit als eine abſichtliche Be-
günſtigung des Klägers bey der einen oder andern Klaſſe
der Klagen anſehen zu wollen, da jede derſelben eigenthüm-
liche Vortheile und Nachtheile für den Kläger mit ſich
führte, welche aber nicht als Zweck der ganzen Einrichtung
angeſehen werden dürfen (d).
Unter den Condictionen wurden drey Klaſſen, ſowohl
durch die Formeln im Prozeß, als durch wichtige prak-
tiſche Regeln, unterſchieden. Die erſte, beſonders ausge-
zeichnete, Klaſſe bildete die certi condictio, auch si cer-
(d) Beylage XIII. Num. II. III. IV.
V. 8
|0128 : 114|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
tum petetur genannt, welche auf die Forderung einer be-
ſtimmten Geldſumme gerichtet war (si paret, Centum dari
oportere). In ihr wurde der redliche Theil gegen die
Unredlichkeit des Gegners durch eine sponsio und resti-
pulatio tertiae partis geſchützt. — Die zweyte Klaſſe war
auf die Übertragung des Eigenthums irgend einer beſtimm-
ten Sache außer dem baaren Gelde gerichtet (si paret,
hominem Stichum dari oportere). — Die dritte endlich
gieng auf Leiſtungen irgend einer Art, außer jenen beiden,
und dieſe wurden ſtets als etwas Unbeſtimmtes angeſehen.
Daher hieß die Condiction dieſer dritten Klaſſe incerti
condictio, und ihre Formel lautete auf: Quidquid dari
fieri oportet (e).
Unter den bonae fidei actiones findet ſich eine ſolche
Verſchiedenheit nicht. Sie giengen ſtets auf Dasjenige,
was im vorliegenden Fall nach Treue und Glauben von
einer, das Rechtsverhältniß völlig durchſchauenden, Par-
tey freywillig geleiſtet werden würde, und dieſe ihre ge-
meinſame Richtung wurde durch die Formel ausgedrückt:
Quidquid dari fieri oportet ex fide bona (f).
§. 220.
Arten der Klagen. Stricti juris (Condictiones), bonae
fidei. (Fortſetzung.)
Bey neueren Schriftſtellern finden ſich über den hier
(e) Beylage XIV. Num. XXXII — XL.
(f) Beylage XIII. Num. XIV.
|0129 : 115|
§. 220. Act. stricti juris (Condictiones), bonae fidei. (Fortſ.)
dargeſtellten Unterſchied der Klagen theils völlig unrich-
tige, theils nicht hinlänglich begründete Meynungen.
Als ganz unrichtig iſt die Meynung zu verwerfen,
nach welcher die Stricti juris actiones beſonders begün-
ſtigte, aus der Zahl der übrigen herausgehobene, Klagen
geweſen ſeyn ſollen, etwa ſo wie bey uns die Wechſel-
klage, als ein exceptionelles Rechtsmittel, durch den Vor-
theil eines ſchnelleren und ſtrengeren Verfahrens vor an-
deren Klagen ausgezeichnet iſt. Es müſſen aber vielmehr
dieſe Klagen als die eigentlichen und wahren Klagen über-
haupt angeſehen werden; die bonae fidei actiones waren
Klagen anderer Art, weniger als jene auf dem ſtrengen
Rechtsbegriff beruhend, und wenn hier überhaupt das
Verhältniß von Regel und Ausnahme Anwendung finden
ſoll, ſo müſſen eher umgekehrt die Condictionen als Regel,
die b. f. actiones als Ausnahme, angeſehen werden (a).
Unbegründet nenne ich die Anſicht, nach welcher der hier
dargeſtellten Genealogie der Begriffe und Rechtsinſtitute
zugleich eine chronologiſche Bedeutung gegeben wird. In
vollſtändiger Entwicklung gedacht, würde dieſe Anſicht auf
folgenden Hergang führen. Es gab urſprünglich, und
vielleicht lange Zeit hindurch, keine andere perſönliche Kla-
gen, als die Condictionen der erſten und zweyten Klaſſe
(§ 219), gerichtet auf Übertragung des Eigenthums an
baarem Geld oder an anderen beſtimmten Sachen. Spä-
terhin wurden die incerti condictiones zugelaſſen, gerichtet
(a) Beylage XIII. Num. XIII.
8*
|0130 : 116|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
auf unbeſtimmtere Gegenſtände von mannichfaltiger Art.
Die neueſte Rechtsbildung endlich ergab die Einführung
der bonae fidei actiones, die den zuletzt genannten Con-
dictionen verwandt waren, und in Freyheit des Verfah-
rens und Unbeſtimmtheit der Gegenſtände nur noch einen
Schritt weiter giengen.
Zeugniſſe für eine ſolche hiſtoriſche Entwicklung der
Rechtsinſtitute ſind niemals beygebracht worden, und es
hat wohl zur Annahme derſelben nur die ſcheinbare Na-
türlichkeit eines allmäligen, in der Zeit fortſchreitenden,
Übergangs vom Strengen zum Freyen, vom Beſtimmten
zum Unbeſtimmten, hingeführt. Allein es iſt überall ge-
fährlich, ſolchen abſtracten Begriffen in hiſtoriſchen Unter-
ſuchungen zu vertrauen. Im vorliegenden Fall können
wir zwar die angegebene hiſtoriſche Succeſſion eben ſo wenig
durch unmittelbare Zeugniſſe widerlegen, als ſie durch
ſolche erwieſen worden iſt. Allein es ſpricht dagegen ſo-
wohl der praktiſche Sinn der Römer, welchem eine ſo
ungenügende Behandlung, wie ſie hier für die frühere Zeit
vorausgeſetzt wird, zu keiner Zeit zuſagen konnte, als auch
der Schluß, welcher aus einzelnen ſicheren Thatſachen äl-
terer Zeit gezogen werden kann. Und ſo ſind wir berech-
tigt, jene Behauptung nicht blos als unbegründet, ſondern
auch als ganz unwahrſcheinlich zu verwerfen (b).
Dagegen iſt eine hiſtoriſche Entwicklung anderer Art
nicht blos als wahrſcheinlich, ſondern als völlig gewiß
(b) Beylage XIII. Num. XIII., Beylage XIV. Num. XLVII.
|0131 : 117|
§. 220. Act, stricti juris (Condictiones), bonae fidei (Fortſ.)
anzunehmen. Jenes Syſtem der vorherrſchenden Condic-
tionen in drey verſchiedenen Formeln und Klaſſen, und
der daneben ſtehenden b. f. actiones, iſt zwar allerdings
als nicht allmälig, ſondern gleichzeitig entſtanden anzuſe-
hen, ſo daß gleich bey der urſprünglichen Bildung des
Formularprozeſſes die den alten Legis actiones nachge-
bildeten Condictionen in derſelben Mannichfaltigkeit auf-
geſtellt wurden, worin wir ſie in unſren Rechtsquellen
finden. Allein im Laufe der Zeit wurde das der b. f. actio
zum Grunde liegende Princip als das vorzüglichere und
annehmlichere betrachtet, und es findet ſich eine ſichtbare
Hinneigung, die Condictionen in die freyere Natur der
b. f. actiones hinüber zu leiten, wozu beſonders die Prä-
toren auf mancherley Weiſe mitwirkten. Es geſchah Die-
ſes durch Mittel und Rechtsformen, welche in dem Syſtem
der Condictionen ſelbſt gegründet waren, und es lag da-
her in dieſem Verfahren die Befriedigung eines durch ſtets
wachſende Überzeugung anerkannten praktiſchen Bedürf-
niſſes, ohne daß man Daſſelbe einer formellen Inconſe-
quenz beſchuldigen konnte (c). — Dieſe Richtung ſcheint
ſchon früh eingetreten zu ſeyn, wenigſtens ſchon zur Zeit
des Cicero, wofür, von anderen Gründen abgeſehen, ſchon
die Vorliebe Zeugniß giebt, womit er, vom ſittlichen Stand-
punkt aus, über die b. f. actiones redet (§ 218. c.). Das
Weſen des früheren Klagenſyſtems ſtand jedoch feſt, ſo
lange als die alte Gerichtsverfaſſung beſtand; der Judex
(c) Beylage XIII. Num. XX.
|0132 : 118|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
oder Arbiter bezeichnete ſtets die Gränze zwiſchen den bei-
den Hauptarten perſönlicher Klagen. Als aber, mit der
geſammten älteren Gerichtsverfaſſung (dem ordo judicio-
rum), dieſe Verſchiedenheit der Urtheiler verſchwand, da
hatte eigentlich das Weſen jenes Klagenſyſtems aufgehört.
Die Hinneigung zu der freyeren Art der Klagen mußte
jetzt immer ſtärker hervor treten, und es blieben nur noch
vereinzelte, rein praktiſche, Unterſchiede übrig, die ſich un-
ter dem Einfluß des älteren Prozeſſes gebildet hatten,
und die nunmehr nur deshalb fortbeſtanden, weil Niemand
auf den Gedanken kam, ſie aufzuheben.
Bis dahin iſt der Gegenſatz der ſtrengen und freyen
Klagen lediglich auf die perſönlichen Civilklagen, welche
aus Rechtsgeſchäften entſpringen, angewendet worden, in-
dem dieſe in der That den Mittelpunkt des alten Actionen-
ſyſtems bilden (§ 218. 219). Allein jener Gegenſatz hat
an ſich eine allgemeinere Natur, und es muß daher auch
bey den übrigen Klaſſen der Klagen nachgewieſen werden,
wie ſie ſich zu demſelben verhalten.
Die civilen Delictsklagen wurden ohne Zweifel, eben
ſo wie die Condictionen, jedesmal von einem Judex ent-
ſchieden und als ſtrenge Klagen behandelt. Denn wenn
ein alter Volksſchluß eine Geldſtrafe auf ein Delict ſetzte,
ſo würde dieſe Beſtimmung, ohne Verfolgung vor einem
Richter, gar keinen Sinn gehabt haben (d).
(d) Beylage XIII. Num. VIII.
|0133 : 119|
§. 221. Arbitrariae actiones.
Bey den civilen in rem actiones wurde es in die
Wahl des Klägers geſtellt, ob er einen Judex oder Arbi-
ter verlangen, das heißt, ob er vermittelſt einer Sponſion
den Weg der ſtrengen Klage einſchlagen, oder eine peti-
toria formula vor einem Arbiter gebrauchen wollte, wel-
cher letzten allein der Name einer in rem actio eigentlich
gebührte (e).
Die prätoriſchen Klagen endlich, mochten ſie in rem
oder in personam gehen, aus Rechtsgeſchäften oder aus
Delicten entſpringen, waren ſtets von freyer Natur, alſo
vor einem Arbiter zu verhandeln (f).
So befolgten alſo alle übrige Klagen die Analogie ent-
weder der Condictionen, oder der b. f. actiones; allein dieſe
Kunſtausdrücke ſind auf dieſelben niemals angewendet
worden (g).
§. 221.
Arten der Klagen. Arbitrariae actiones.
Juſtinians Inſtitutionen ſprechen zuerſt ausführlich von
dem Gegenſatz der bonae fidei und stricti juris actiones
(a), und fahren unmittelbar darauf in folgenden Worten
fort:
§ 31 J. de act. (4. 6.).
(e) Beylage XIII. Rum. IX.
Aus dieſer Reduction der Eigen-
thumsklage auf eine Sponſion wird
es recht anſchaulich, daß das alte
Klagenſyſtem auf der Grundlage
der Contractsklagen erbaut war.
(f) Beylage XIII. Num. X.
(g) Beylage XIII. Num. VI,
Beylage XIV. Num. XX.
(a) § 28. 29. 30 J. de act.
(4. 6.). — Vgl. Beylage XIII.
Num. I. VI. XII.
|0134 : 120|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Praeterea quasdam actiones arbitrarias, id est ex
arbitrio judicis pendentes, appellamus, in quibus,
nisi arbitrio judicis is, cum quo agitur, actori satis-
faciat, veluti rem restituat, vel exhibeat, vel solvat,
vel ex noxali causa servum dedat, condemnari de-
beat. Sed istae actiones tam in rem, quam in per-
sonam inveniuntur. (Nun folgt eine Reihe von Bey-
ſpielen). In his enim actionibus et similibus per-
mittitur judici ex bono et aequo, secundum cujus-
que rei de qua actum est naturam, aestimare, quem-
admodum actori satisfieri oporteat.
Auf den erſten Blick ſcheint hier der Begriff dieſer
Klagen eben ſo beſtimmt zu ſeyn, wie kurz vorher der Be-
griff der b. f. actiones beſtimmt worden war, indem hier
und dort die freye Macht des urtheilenden Richters als das
überwiegende Moment bezeichnet wird. Dennoch iſt es
undenkbar, daß hier der vorige Begriff unter einem neuen
Namen, und ohne Anerkennung der Identität, nur wie-
derholt ſeyn ſollte. Was aber dieſen Gedanken völlig wi-
derlegt, ſind die einzelnen Beyſpiele, die von den vorher
vollſtändig aufgezählten b. f. actiones durchaus verſchie-
den ſind.
Um dieſe Schwierigkeit zu beſeitigen, haben Viele an-
genommen, die ganze Eintheilung der Klagen ſey drey-
gliedrig: stricti juris, bonae fidei, arbitrariae. Allein,
nicht zu gedenken, daß es dann viel einfacher geweſen
wäre, die arbitrariae als drittes Glied gleich im § 28,
|0135 : 121|
§. 221. Arbitrariae actiones.
neben den zwey erſten Gliedern zu nennen, ſo iſt es auch
ganz unmöglich, einen ſcharfen Gegenſatz zwiſchen den
Begriffen der zwey letzten Eintheilungsglieder aufzufinden,
da vielmehr beide in der freyen Macht des Arbiter völlig
übereinſtimmen. Die vollſtändige Widerlegung dieſer An-
ſicht wird aber unten durch den Beweis geführt werden,
daß mehrere b. f. actiones zugleich arbitrariae waren, ſo
daß beide Begriffe nicht in einem ausſchließenden Verhält-
niß zu einander ſtehen können.
In der That hat der Begriff der arbitrariae actiones
mit dem vorhergehenden Gegenſatz der stricti juris und
b. f. actiones gar Nichts zu ſchaffen. Jener Ausdruck be-
zeichnet eine für ſich beſtehende Eigenſchaft vieler Klagen,
worunter einige b. f., andere weder b. f. noch stricti juris
ſind. Die erwähnte Eigenſchaft beſteht nämlich darin, daß
in dieſen Klagen der Arbiter nicht ſogleich ein Urtheil
ſprechen, ſondern damit anfangen ſoll, den Beklagten,
wenn er ſich von deſſen Unrecht überzeugt hat, zur frey-
willigen Befriedigung des Klägers, durch eine von dem
Arbiter vorläufig feſtzuſtellende Leiſtung, aufzufordern. Er-
folgt dieſe Befriedigung, ſo wird der Beklagte freygeſpro-
chen; erfolgt ſie nicht, ſo wird er verurtheilt. — Das
Weſentliche dieſer Erklärung, nämlich die vorläufige Auf-
forderung, iſt in den curſiv gedruckten Worten der oben
mitgetheilten Inſtitutionenſtelle geradezu ausgedrückt (b).
(b) Dieſer judicis arbitratus
wird in vielen Digeſtenſtellen mehr
oder weniger deutlich erwähnt, am
Beſtimmteſten in L. 68 de R. V.
|0136 : 122|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Der vollſtändige Zuſammenhang der Sache wird aber erſt
aus folgenden Betrachtungen hervorgehen.
Zunächſt erſcheint dieſe Anſtalt blos als ein dem Arbi-
ter vorgeſchriebener Vergleichsverſuch, folglich als eine
Prozeßform, von der nicht einleuchtet, wie ſie genug ma-
terielle Wichtigkeit erhalten konnte, um zur Bildung einer
eigenen Klaſſe von Klagen Veranlaſſung zu geben. Dieſe
Wichtigkeit aber erklärt ſich aus der Eigenthümlichkeit des
alten Prozeſſes, nach welcher kein Richter anders, als auf
Zahlung einer Geldſumme, verurtheilen durfte (§ 215. r).
Daraus entſtand die ſeltſame und ungerechte Folge, daß
ein hartnäckiger Beklagter den Kläger ſtets zur Abtretung
der Dieſem gebührenden Sache gegen baares Geld nöthi-
gen konnte (c). Dieſe Folge ſollte dadurch abgewendet
(6. 1.), von welcher noch weiter
die Rede ſeyn wird. — Damit
nicht der Beklagte die Sache un-
beſtimmt hinhalten konnte, wurde
ihm ein Termin zur Reſtitution
angeſetzt. L. 6 § 2 de confess.
(42. 2.) ex his actionibus, ex
quibus dies datur ad restituen-
dam rem. Da übrigens in die-
ſer Einrichtung blos ein freyes,
billiges Ermeſſen des Arbiter, nicht
eine unnütze Formalität begründet
ſeyn ſollte, ſo unterblieb ohne
Zweifel der arbitratus, wenn deſ-
ſen Fruchtloſigkeit ſicher vorherzu-
ſehen war. Dieſes war aber der
Fall, wenn der Beklagte die Sache
unredlicherweiſe zerſtört oder ver-
äußert hatte, alſo unmöglich reſti-
tuiren konnte.
(c) Nicht als ob nun dem Be-
klagten die Sache um die bezahlte
Geldſumme wirklich verkauft ge-
weſen wäre; ein wirkliches Recht
daran erhielt er eben ſo wenig,
als der Verurtheilte, qui dolo de-
siit possidere. L. 69. 70. de
R. V. (6. 1.). Allein, wenn er
nur den Beſitz ſorgfältig hütete,
ſo blieb ihm ſtets der Genuß der
Sache, und der Eigenthümer mußte
ihn entbehren; denn eine wieder-
holte Klage konnte Dieſer nicht
anſtellen, da das Klagerecht con-
ſumirt war.
|0137 : 123|
§. 221. Arbitrariae actiones.
werden, daß der Arbiter auf die freywillige Naturalreſti-
tution hinzuwirken ſuchte.
Hätte man jedoch lediglich auf den guten Willen oder
die Nachgiebigkeit des Beklagten rechnen wollen, ſo wäre
dieſe Anſtalt gerade da, wo ſie beſonders wichtig war, der
entſchloſſenen Ungerechtigkeit gegenüber, völlig kraftlos ge-
blieben. Sie erhielt aber Kraft durch ein indirectes Zwangs-
mittel; der Beklagte, welcher der Aufforderung des Arbi-
ter nicht nachgab, ſollte durch das nun folgende Urtheil in
größeren Nachtheil kommen, als er durch die freywillige
Nachgiebigkeit erlitten haben würde, und in dieſem ange-
drohten Präjudiz lag ein, gewiß ſehr wirkſames, indirec-
tes Zwangsmittel (d). Der allgemeinſte Nachtheil beſtand
aber darin, daß nun die Geldſumme, auf welche der Ar-
biter den Beklagten verurtheilte, den wahren Werth des
Gegenſtandes weit überſteigen konnte, indem der Kläger
durch ſeinen Eid die Summe beſtimmen durfte (e). Bey
(d) Nach L. 68 de R. V. (6.
1.) ſoll auch directer Zwang gel-
ten, manu militari. Ich halte
dieſes für eine entſchiedene Inter-
polation, da in anderen Digeſten-
ſtellen die Unmöglichkeit jedes di-
recten Zwanges beſtimmt voraus-
geſetzt wird, ſo z. B. in L. 4 § 3
fin. reg. (10. 1.), L. 73 de fide-
juss. (46. 1.). Eben ſo läßt die
Faſſung des § 31 J. de act. (4.
6.) für eine Execution in die Sache
ſelbſt keinen Raum; dieſe Stelle
iſt denn wahrſcheinlich ohne Ver-
änderung aus einem alten Juri-
ſten abgeſchrieben. Endlich iſt auch,
die Naturalexecution vorausgeſetzt,
nicht wohl einzuſehen, wie es je-
mals ob contumaciam zu einem
Eid kommen konnte (Note e).
(e) L. 2 § 1 de in litem jur.
(12. 2.) cum vero dolus, aut
contumacia non restituentis
vel non exhibentis, (punitur),
quanti in litem juraverit actor
(aestimatur).” Dolus geht auf
den Fall, da der Beſitzer die Sache
verzehrt oder verkauft hat, contu-
macia iſt der hier erwähnte Un-
gehorſam. Vgl. L. 1 eod. L. 18
|0138 : 124|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
einzelnen Klagen traten eigenthümliche, nachtheilige Fol-
gen jenes Ungehorſams ein; ſo bey der actio quod metus
causa der vierfache Betrag des Gegenſtandes, deſſen ein-
fache Leiſtung urſprünglich genügt hätte (f): bey der doli
actio die Infamie des Verurtheilten.
Die eigenthümliche Natur dieſer Klagen wurde in der
Formel ausgedrückt durch einen, an irgend einer ſchickli-
chen Stelle, angebrachten Zuſatz (nisi restituatur, nisi ex-
hibeatur), welcher demnach als eine Beſchränkung des Auf-
trags zur Condemnation eingeſchoben wurde (g).
pr. de dolo (4. 3.). Eben dar-
auf geht L. 73 de fidej. (46. 1.)
noluit eam restituere, et ideo
magno condemnatus est.” —
In L. 68 de R. V. (Note d)
iſt natürlich nur von dolus die
Rede, nicht von contumacia, weil
für den Fall einer ſolchen die ma-
nus militaris durch Interpolation
eingeſchoben iſt. — Der eigent-
liche Zuſammenhang zwiſchen dem
Eid in litem und den arbiträren
Klagen beſteht nun aber darin,
daß bey ihnen jener Eid als ein
regelmäßiges Recht des Klägers
in den angeführten Stellen aner-
kannt wird, anſtatt daß er bey
ſtrengen Klagen nur als Aushülfe,
in Ermanglung anderer Beweiſe,
gebraucht werden kann. L. 5 § 4
L. 6 de in litem jur. (12. 3.).
Hierauf iſt auch zu beziehen L. 9
eod., da auch die furti actio eine
ſtrenge Klage iſt; eben ſo L. 8 § 1 de
act. rer. amot. (25. 2.), da dieſe
Klage die Natur einer condictio
hat. L. 26 eod.
(f) Bey dieſer Klage kam nicht
etwa der Eid noch neben dem
vierfachen Erſatz vor, ſondern die-
ſer erhöhte Erſatz war ein (ſehr
reichliches) Surrogat des Eides.
Bey der doli actio trafen den
Beklagten beide Nachtheile, der
Eid des Klägers und die Infamie.
(g) Über die nicht überall gleich-
förmige Stellung jener Ausdrücke
in der Formel kommen folgende
unzweifelhafte Zeugniſſe vor. Bey
Cicero ſtehen in der petitoria for-
mula in der Intentio die Worte:
neque is fundus Q. Catulo re-
stituetur (§ 209. c). — Ga-
jus IV. § 47 hat in der depositi
formula in jus concepta die
Worte: N R (nisi restituat) in
der Condemnatio (§ 216. t). —
Ebendaſelbſt ſtehen, bey der depo-
siti formula in factum, in der
Intentio die Worte: Si paret. …
eamque .. redditam non esse.
— Eben ſo ſtehen in der Intentio
|0139 : 125|
§. 222. Arbitrariae actiones. (Fortſetzung.)
§. 222.
Arten der Klagen. Arbitrariae actiones. (Fortſetzung.)
Auf die Frage, welchen Klagen der Name arbitrariae,
alſo auch die eben erklärte Eigenthümlichkeit, zukam, läßt
ſich eine allgemeine, wie ich glaube völlig ſichere, Antwort
geben. Dieſe wird dann noch durch Anwendung auf ein-
zelne Fälle zu beſtätigen ſeyn.
Die allgemeine Regel iſt ſo auszudrücken: arbitrariae
waren alle freye Klagen, worin ſich, nach ihrem beſon-
deren Inhalt, das oben beſchriebene Verfahren als an-
wendbar zeigte.
Durch die erſte Beſtimmung ſind ausgeſchloſſen alle
Condictionen, ſo wie alle civile Delictsklagen, auch zeigt
ſich bey keiner derſelben die geringſte Spur eines ſolchen
Verfahrens, ja es würde dieſes der beſchränkten Stellung
des Judex in jenen Klagen völlig widerſprechen. — Da-
gegen ſind, von dieſer Seite her, zugelaſſen: die bonae
fidei, die in rem actiones, ſo wie alle prätoriſche Klagen.
Schwieriger iſt die zweyte Beſtimmung, welche die
Anwendbarkeit des oben beſchriebenen beſonderen Ver-
fahrens zum Gegenſtand hat, und wodurch viele freye
Klagen von der Klaſſe der arbitrariae actiones ausge-
ſchloſſen werden. Zwar die Ausdrücke arbitrium und ar-
biter, die durchaus für alle freye Klagen gelten (§ 218),
der actio quod metus causa die
Worte: neque ea res arbitrio
judicis restituetur. L. 14 § 11
quod metus (4. 2.)
|0140 : 126|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
könnten leicht zu der Annahme verleiten, als ob alle freye Kla-
gen ohne Unterſchied arbitrariae wären. Dieſes würde aber
ganz irrig ſeyn, indem der Name arbitraria formula nicht
von der Perſon des arbiter, ſondern von dem in der Formel
ausgedrückten arbitratus judicis, das heißt von der oben
erklärten Aufforderung zur freywilligen Leiſtung (§ 221. b),
hergenommen iſt, ſo daß zwar jede arbitraria actio ein arbi-
trium, aber nicht jedes arbitrium eine arbitraria actio iſt (a).
Anwendbar nun iſt jenes beſondere Verfahren bey den-
jenigen freyen Klagen, die auf eine Reſtitution oder
Exhibition gerichtet ſind, bey allen anderen iſt es nicht
anwendbar (b). Es kommt alſo nur darauf an, dieſe Be-
griffe genau zu beſtimmen.
Der leichtere, ſeltnere, und minder wichtige Fall iſt
der der Exhibition. Darunter wird das bloße Vorzeigen
oder Darſtellen einer beſtimmten einzelnen Sache verſtan-
(a) Über die Verſchiedenheit bei-
der Begriffe können einige Stel-
len des Gajus täuſchen, worin
ganz abwechſlend, bald arbitrum,
bald arbitrariam formulam pe-
tere geſagt wird (IV. § 141. 163.
164. 165). Allein in den Fällen
der Interdicte, von welchen hier
Gajus ſpricht, war in der That
das arbitrium zugleich eine ar-
bitraria formula, wodurch alſo
die Verſchiedenheit beider Begriffe
in Anwendung auf viele andere
Klagen nicht ausgeſchloßen wird.
(b) Dieſe Beſtimmung iſt an-
erkannt in dem Ausdruck: contu-
macia non restituentis vel non
exhibentis, als Grund und Be-
dingung des Eides in litem (§ 221.
e). — Sie wird völlig beſtätigt,
wiewohl nur in der beſonderen An-
wendung auf Interdicte, durch
Gajus IV. § 163. 165. — Sie
wird in ihrem Haupttheil beſtätigt,
und zwar in Anwendung auf die
verſchiedenſten Arten von Klagen,
durch den Schluß von L. 68 de
R. V. (6. 1.) „Haec sententia
generalis est, et ad omnia, sive
interdicta, sive actiones in rem,
sive in personam sunt, ex qui-
bus arbitratu judicis quid re-
stituitur, locum habet.”
|0141 : 127|
§. 222. Arbitrariae actiones. (Fortſetzung.)
den, die alſo nicht zugleich in den Beſitz des Andern ge-
bracht werden ſoll, mithin diejenige Leiſtung worauf haupt-
ſächlich die actio ad exhibendum gerichtet wird (c).
Restituere iſt verwandt mit dem recipere, welches als
Grund und Bedingung der Condictionen bezeichnet wird (d),
und doch auch davon verſchieden. Jenes recipere näm-
lich, in Anwendung auf die Condictionen, ſetzt voraus,
daß aus unſrem Vermögen Etwas ohne Grund in ein
fremdes Vermögen übergegangen iſt, welche Veränderung
jetzt wieder rückgängig gemacht werden ſoll. Restituere
aber geht auch auf die Rückkehr des bloßen Beſitzes, ja
ſelbſt der bloßen Detention, während der Umfang des Ver-
mögens weder früher verändert war, noch jetzt wiederher-
geſtellt werden ſoll. So wird mit der Vindication der
fehlende Beſitz wieder gefordert, mit der depositi actio die
fehlende Detention, und durch den Erfolg beider Klagen
wird der Umfang des Vermögens gar nicht verändert (e).
Ja ſelbſt auf ſolche Fälle iſt hier der Ausdruck restituere
anwendbar, worin dem Kläger nicht einmal eine Deten-
tion verſchafft, ſondern nur überhaupt ein veränderter fac-
tiſcher Zuſtand wiederhergeſtellt werden ſoll, wie z. B. bey
dem Interdict quod vi (Note n).
Dieſer Ausdruck nun wird auf in rem actiones aus
(c) L. 2 ad exhib. (10. 4.),
L. 22. 246 pr. de V. S. (50. 16.),
L. 3 § 8 de tab. exhib. (43. 5.)
(d) Beylage XIV. Num. XX.
(e) So war eine Stipulation:
rem meam mihi restitui gültig
(L. 82 pr. § 1 de V. O. 45. 1),
dagegen die Stipulation: rem
meam mihi dari ungültig. Bey-
lage XIV. Num. V. i.
|0142 : 128|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
dinglichen Rechten, ohne Ausnahme angewendet. Gewöhn-
lich wird hier eine wirkliche Rückkehr der Sache Statt
finden, da der Eigenthümer, der eine Sache vindicirt,
meiſt ſchon früher den Beſitz derſelben gehabt haben wird.
Doch iſt dieſes nicht immer der Fall; denn der Legatar,
der die legirte Sache vom Erben vindicirt, hat den Be-
ſitz noch niemals gehabt, eben ſo der Pfandglaubiger, der
aus einem bloßen Pfandvertrag die hypothecaria actio an-
ſtellt. Hier wird alſo die Vereinigung des Beſitzes mit
dem dinglichen Recht ſchon an ſich ſelbſt als eine Rück-
kehr gedacht, und es iſt daher bey dieſen Klagen ſtets eine
arbitraria formula anwendbar.
Anders verhält es ſich mit den perſönlichen Klagen,
bey welchen der Ausdruck restituere, als Bedingung einer
arbitraria formula, genauer genommen wird. Die actio
commodati, depositi, pigneratitia, gehen wirklich auf Rück-
kehr einer Sache zu ihrem früheren Beſitzer; eben ſo die ac-
tio locati, wenn damit die Rückgabe der vermietheten Sache
gefordert wird. Auch die actio doli, und quod metus
causa gehen, wenngleich nicht immer auf Rückkehr einer
beſtimmten einzelnen Sache in unſren Beſitz, doch ſtets auf
Herſtellung unſres verminderten Vermögens. Daher war
bey allen dieſen perſönlichen Klagen ſtets eine arbitraria
formula anwendbar. — Anders bey ſolchen Contractskla-
gen, deren Erfolg gar nicht irgend einen früheren Zuſtand
herſtellen, ſondern einen ganz neuen herbeyführen ſoll, wie
die actio emti, venditi, und mehrere andere Contractskla-
|0143 : 129|
§. 222. Arbitrariae actiones. (Fortſetzung.)
gen. Hier kann von einer eigentlichen Reſtitution nicht die
Rede ſeyn (f), und daher iſt hier auch keine arbitraria for-
mula anwendbar.
Zwar wird der eben behauptete ſtrenge Unterſchied nicht
unmittelbar in unſren Rechtsquellen ausgeſprochen; we-
der bey dem Kunſtausdruck restituere, deſſen ſchwankender
Gebrauch vielmehr ſo eben anerkannt worden iſt (Note f);
noch bey der arbitraria formula, für welche die eben ge-
zogene Gränze in keiner Stelle auf dieſe Weiſe anerkannt
wird. Die Richtigkeit dieſer Gränzbeſtimmung aber wird
dadurch außer Zweifel geſetzt, daß die Anwendbarkeit des
jusjurandum in litem ganz beſtimmt nach dieſer Unter-
ſcheidung beurtheilt wird (g), während auf der andern Seite
(f) Ich will nicht behaupten,
daß die Römer ſelbſt eine ſolche
Strenge in dem Gebrauch des Aus-
drucks restituere ſtets beobachtet
haben; vielmehr kommt derſelbe
zuweilen auch bey den Leiſtungen
eines Käufers und Verkäufers
u. ſ. w. vor, in welchen doch keine
Art von Rückkehr wahrzunehmen
iſt. L. 13 § 18 de act. emti (19.
1.), L. 8. 12 C. eod. (4. 49.) L.
14 § 9 de servo corr. (11. 3.),
L. 8 § 10 mandati (17. 1.). —
Weniger ungenau iſt es, wenn
bey Fideicommiſſen von einer re-
stitutio hereditatis oder rerum
singularum die Rede iſt; dieſes
iſt nämlich allerdings eine Rück-
kehr, zwar nicht in Beziehung auf
den Empfänger, wohl aber in Be-
ziehung auf den Erben, der die
Erbſchaft oder die einzelne Sache
nur vorübergehend haben ſollte,
ſo daß ſie nun von ihm wieder
weggeht. Daher iſt in dieſer An-
wendung der Sprachgebrauch als
regelmäßig und techniſch zu be-
trachten. Ulpian. XX § 5, Gajus
II § 184. 250. 254. 260, und viele
andere Stellen.
(g) Der Eid wird zugelaſſen bey
der actio depositi, commodati,
locati, tutelae, dotis, doli, metus,
interd. de vi. L. 3 de in lit. jur.
(12. 3.), L. 3 § 2 commod (12.
6.), L. 48 § 1 loc. (19. 2.) L. 7
pr. de admin. (26. 7.) L. 25 § 1
sol. matr. (24. 3.), L. 18 pr. de
dolo (4. 3.), L. 9 C. unde vi (8.
4.) — Er wird nicht zugelaſſen
bey der actio emti venditi. L. 4
C. de act. emt. (4. 49.), L. 19
V. 9
|0144 : 130|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
dieſer Eid mit der arbitraria formula eben ſo ſicher im
Zuſammenhang ſteht (h).
§ 223.
Arten der Klagen. Arbitrariae actiones. (Fortſetzung.)
Nachdem ſo die Regel für die Anwendung einer arbi-
traria formula aufgeſtellt worden iſt, ſollen nun noch die
einzelnen Klagen angegeben werden, welchen dieſer Name
in unſren Rechtsquellen beſtimmt beygelegt wird.
Die oben angeführte Stelle der Inſtitutionen (§ 221)
giebt folgende Beyſpiele an, unter welchen mehrere auch
durch Digeſtenſtellen beſtätigt werden. In rem: die Pu-
bliciana, Serviana, quasi Serviana (a). In personam: quod
metus causa (b), doli (c), de eo quod certo loco (d), ad
exhibendum (e). Alle dieſe Klagen ſind prätoriſche.
Aus anderen Zeugniſſen aber können wir noch folgende
Klagen als arbitrariae hinzufügen.
1) Die rei vindicatio, das heißt die petitoria formu-
la (f), welche auf der freyen Wahl des Klägers, anſtatt
de peric. (18. 6.). Eben ſo bey
der actio depositi contraria. L. 5
pr. depos. (16. 3.).
(h) Vgl. § 221. e. — Wäre
die Leiſtung des Verkäufers eine
wahre, eigentliche restitutio, ſo
müßte gegen ihn, nach dem ſehr
beſtimmten Ausſpruch der L. 68
de R. V. (§ 222. b.), in litem
geſchworen werden können, Wel-
ches doch entſchieden nicht zuläſſig
iſt (Note g.).
(a) Vgl. L. 16 § 3 L. 21 § 3
de pign. (20. 1.).
(b) L. 14 § 4. 11 quod metus
(4. 2.).
(c) L. 18 pr. § 1 de dolo
(4. 3.).
(d) L. 2 pr. L. 3. 4 de eo
quod certo loco (13. 4.).
(e) Vgl. oben § 221. e, § 222. b.
— L. 3 § 2 ad exhib. (10. 4.).
(f) Cicero in Verrem II.
C. 12, L. 68 L. 35 § 1 de R. V.
|0145 : 131|
§. 223. Arbitrariae actiones. (Fortſetzung.)
der Sponſionsklage, beruhte. Es kann auffallen, daß dieſe
Klage, die für viele andere einen Mittelpunkt bildet, nicht
auch in den Inſtitutionen als Beyſpiel angeführt wird.
Vielleicht iſt es deswegen unterlaſſen worden, weil in dem
hier excerpirten alten Juriſten die petitoria formula ganz
beſtimmt bezeichnet war, welche veraltete Bezeichnung jetzt
vermieden werden ſollte.
2) Hereditatis petitio (g).
3) Confessoria actio (h).
4) Finium regundorum (i).
5) Faviana (k).
6) Depositi actio (l).
7) Redhibitoria actio (m).
8) Die reſtitutoriſchen und exhibitoriſchen Interdicte,
vorausgeſetzt daß der Beklagte dieſe Prozeßform vorzog,
und den Prätor zu rechter Zeit darum bat (n).
(6. 1.), L. 41 § 1 de re jud.
(42. 1.).
(g) L. 10 § 1 L. 57 de her.
pet. (5. 3.).
(h) L. 7 si serv. (8. 5.).
(i) L. 4 § 3 fin. reg. (10. 1.),
§ 6 J. de off. jud. (4. 17.).
(k) L. 5 § 1 si quid in fraud.
patr. (38. 5.).
(l) Vgl. oben § 216. t. — Ein
ſcheinbarer Widerſpruch liegt in
L. 7 pr. de eo quod certo loco
(13. 4.). „In bonae fidei judi-
ciis … ex empto, vel vendito,
vel depositi actio competit, non
arbitraria actio.” Allein die
letzten Worte enthalten nicht die
Verneinung einer arbitraria actio
überhaupt, (deren Name und Cha-
racter alſo der depositi actio ab-
geſprochen wäre), ſondern dieſer
beſtimmten, vom Prätor beſon-
ders eingeführten, arbitraria actio,
der actio de eo quod certo
loco.
(m) L. 45 de aedil. ed. (21. 1.).
(n) Gajus IV. § 141. 163. 164.
165. — Mit Unrecht würde man
unter die arbiträren Klagen ziehen
die actio adv. publicanos; denn
obgleich bey ihr die Reſtitution
von der poena dupli befreyte
(L. 1 pr. de public. 39. 4.), ſo
war doch in dem Edict ſelbſt nur
9*
|0146 : 132|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Faſt alle dieſe Klagen paſſen zu dem oben aufgeſtell-
ten Begriff der Reſtitution oder Exhibition, dienen alſo
zur Beſtätigung der hier vorgetragenen Lehre. Eine ein-
zige Klage kann daran Zweifel erregen, und zwar gerade
die, deren arbiträre Natur vorzugsweiſe und wiederholt
in unſren Rechtsquellen wörtlich anerkannt iſt: die actio
de eo quod certo loco (Note d), welches eine prätoriſche
Klage iſt (o). Sie geht gar nicht auf eine Reſtitution
oder Exhibition, ſondern auf die örtliche Reduction des
Betrags einer Stipulation, welche eigentlich, ihrem wört-
lichen Inhalt nach, an einem fremden Ort zu erfüllen ge-
weſen wäre. Die Aufforderung des Arbiter, durch deren
Erfüllung die Klage abgewendet wird, geht auf Caution
wegen Erfüllung des wörtlichen Inhalts der Stipula-
tion (p); das Präjudiz bey Verweigerung dieſer Erfüllung
beſteht in einem möglichen ſehr hohen, ſelbſt indirecten,
Intereſſe, worauf die Verurtheilung gerichtet werden kann (q).
So liegt alſo in dieſer Klage die Anwendung einer, für
ganz andere Zwecke und Fälle eingeführten Prozeßform
eine Reſtitution ante judicium
acceptum gemeynt (L. 5 pr. eod.),
ſo daß zu einem arbitrium vor
dem Urtheil keine Veranlaſſung war
(vgl. Note t.).
(o) L. 1 de eo quod certo
loco (13. 4) „ideo visum est,
utilem actionem in eam rem
comparare.” Heffter observ.
in Gajum Lib. 4 p. 83 hält ſie
für eine eigentliche utilis a., d. h.
für eine Fictionsklage, welches je-
doch aus jenen Worten nicht noth-
wendig folgt. Sie kann auf ge-
wöhnliche Weiſe in factum con-
cepta geweſen ſeyn, und dennoch
utilis genannt werden, weil durch
ſie das urſprüngliche Klagrecht
über ſeine Gränzen ausgedehnt
wurde.
(p) L. 4 § 1 de eo quod certo
loco (13. 4.).
(q) L. 2 § 8 de eo quod certo
loco (13. 4.).
|0147 : 133|
§. 223. Arbitrariae actiones. (Fortſetzung.)
auf einen Fall, worin es darauf ankam, die beſondere
Unredlichkeit eines Stipulationsſchuldners wirkſam zu be-
kämpfen, der ſich hinter den Buchſtaben des Rechts ver-
ſteckte, um ſich ſeiner Verpflichtung zu entziehen.
Sehen wir jetzt zurück auf die oben mitgetheilte Stelle
der Inſtitutionen, die einzige, die abſichtlich von der Na-
tur der arbiträren Klagen redet (§ 221), ſo ſind noch die
Worte derſelben zu erklären: nisi .. satisfaciat, veluti rem
restituat, vel exbibeat, vel solvat, vel ex noxali causa ser-
vum dedat. Die zwey erſten Ausdrücke enthalten eine un-
mittelbare Beſtätigung der hier vorgetragenen Lehre. Das
solvat darf nicht ſo allgemein verſtanden werden, wie es
wohl der Ausdruck zuließe, ſo daß es auch auf die Zah-
lung eines Käufers u. ſ. w. bezogen würde. Es iſt zu
beziehen auf die actio de eo quod certo loco; ferner auf
die Fälle einer actio commodati u. ſ. w., worin die Na-
turalreſtitution unmöglich iſt, weil der Beklagte durch ſeine
Nachläſſigkeit die Sache hat ſtehlen oder verderben laſſen;
eben ſo auf die hypothecaria actio, von welcher ſich der
Beklagte nicht blos durch Reſtitution der Sache, ſondern
auch durch Bezahlung der Schuld, frey machen kann (r). —
Endlich die noxalis causa geht auf die durch die Hand-
lung eines Sklaven begründete actio doli oder quod me-
tus causa; denn hier wird der damit belangte Herr des
Sklaven, ohne Entſchädigung zu leiſten, ſchon durch die
bloße noxae datio voͤllig befreyt (s).
(r) L. 16 § 3 de pign. (20. 1.).
(s) Es muß alſo die hier er-
|0148 : 134|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Vergleichen wir nun noch zum Schluß die arbiträren
Klagen mit dem oben (§ 218) aufgeſtellten Schema aller
Klagen überhaupt, ſo ergiebt ſich folgendes Verhältniß
derſelben.
Die Condictionen und die civilen Delictsklagen ſind
nie arbiträr, weil ſie ſtrenge Klagen ſind.
Die civilen in rem actiones, inſoweit ſie auf eine Re-
ſtitution gehen, ſind insgeſammt arbiträr (t).
Die bonae fidei actiones, und alle prätoriſche Klagen,
ſind arbiträr, inſofern ſie gerade auf eine Reſtitution oder
Exhibition gerichtet ſind, ſo daß ihre arbiträre Natur von
dem Inhalt jeder einzelnen Klage dieſer Klaſſen abhängt.
Am Meiſten iſt bisher die Vereinbarkeit der Eigenſchaft
einer arbiträren Klage mit den b. f. actiones bezweifelt
worden Der unmittelbare Beweis dafür liegt in den
Zeugniſſen, nach welchen die hereditatis petitio und die
depositi actio, welche beide unter die b. f. actiones gehö-
ren, zugleich auch arbitrariae ſind (Note g. l.).
Es war ein wichtiger Streit der alten Juriſtenſchulen,
ob der Beklagte auch nach der Litisconteſtation, bey allen
Klagen, durch freywillige Erfüllung die Freyſprechung be-
wähnte noxalis causa von einer
ſolchen Klage verſtanden werden,
die ſchon an ſich arbitraria iſt,
im einzelnen Fall aber als noxa-
lis angeſtellt wird. Es würde irrig
ſeyn, wenn man wegen der mög-
lichen noxae datio jede Noxal-
klage für arbiträr halten wollte;
die actio furti noxalis z. B. iſt
ein judicium, alſo ſchon deshalb
nicht arbiträr (§ 222.).
(t) Dahin gehören alſo die rei
vindicatio, die hereditatis pe-
titio, die confessoria. Dagegen
konnte bey dem liberale judicium
von keiner Reſtitution die Rede
ſeyn, ſie war alſo auch nicht ar-
biträr.
|0149 : 135|
§. 223. Arbitrariae actiones. (Fortſetzung.)
wirken könne. Die Sabinianer behaupteten Dieſes, und
drückten ihre Meynung durch die Regel aus: omnia judi-
cia esse absolutoria. Die Proculejaner wollten es nicht
bey allen Klagen zugeben, ſondern wahrſcheinlich nur bey
denjenigen, die ich oben als freye bezeichnet habe. Juſti-
nian hat die Meynung der Sabinianer angenommen (u). —
Nun könnte man dieſen Streit ſo verſtehen, als hätten
die Sabinianer alle Klagen für arbiträre erklärt; Dieſes
war jedoch keinesweges ihre Meynung. Vielmehr blieben
auch nach ihnen die arbiträren Klagen dadurch vor den
übrigen ausgezeichnet, daß bey ihnen dem Arbiter eine be-
ſondere Aufforderung zur Erfüllung, unter Androhung der
ſonſt unausbleiblichen Verurtheilung, vorgeſchrieben war;
bey den übrigen Klagen ſollte der Beklagte zwar auch
durch freywillige Erfüllung die Verurtheilung abwenden,
aber dieſe mußte weit ſeltner erfolgen, weil er ſich noch
immer mit der Hoffnung ſchmeicheln konnte, ohnehin frey-
geſprochen zu werden, anſtatt daß bey den arbiträren
Klagen die Aufforderung des Arbiter ſchon die Ankündi-
gung enthielt, daß in Ermanglung freywilliger Erfüllung
die Condemnation unfehlbar erfolgen werde.
(u) Gajus IV. § 114. (Zum
Theil lückenhaft.) § 2 J. de per-
petuis
(4. 12.). — Ein Überreſt
der Proculejaniſchen Meynung fin-
det ſich in L. 84 de V. O. (45. 1.),
die nur aus Verſehen aufgenom-
men ſeyn kann. Auch L. 5 pr.
de publicanis (39. 4) iſt aus je-
nem Schulſtreit zu erklären; Ga-
jus war bekanntlich Sabinianer.
|0150 : 136|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
§. 224.
Arten der Klagen. Heutige Anwendung.
Die Arten der Klagen, deren Gegenſätze bis hierher
ausführlich unterſucht worden ſind, haben eine verſchie-
dene Natur (§ 206.). Einige ſtehen in unmittelbarer Be-
ziehung auf die zum Grund liegenden Rechtsverhältniſſe,
ſie führen zur genaueren Einſicht in das Weſen derſelben,
und ſie ſind daher auch für das heutige Recht von Wich-
tigkeit (§ 206 — 212.). Andere haben eine blos hiſtoriſche
Natur. Theilweiſe ſind ſie ſchon aus den neueſten Rechts-
quellen verſchwunden, und auch die, welche darin noch
vorkommen, dienen doch nur als Nomenclatur, ſo daß ſich
nicht einmal der Schein einer praktiſchen Bedeutung dar-
an knüpft (§ 213 — 217.). Noch andere, und gerade die
ſchwierigſten, haben zwar eine ganz hiſtoriſche, meiſt ver-
altete, Grundlage, aber es knüpfen ſich daran wichtige,
noch in den neueſten Rechtsquellen (wenigſtens wörtlich)
anerkannte, praktiſche Folgen. Dahin gehören die actio-
nes stricti juris (Condictiones), bonae fidei, arbitrariae
(§ 218 — 223.). Deren Bedeutung für das heutige Recht
iſt der Gegenſtand der nun folgenden Unterſuchung.
Ich fange an mit den Condictionen und b. f. actiones.
Die ganze hiſtoriſche Grundlage dieſes Gegenſatzes war
ſchon im Juſtinianiſchen Recht verſchwunden. Damals
wurden ſchon längſt alle Urtheile von öffentlichen Beam-
ten ausgeſprochen; daher konnte weder ein Judex und
|0151 : 137|
§. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung.
Arbiter durch größere oder geringere Macht unterſchieden,
noch eine formula ſo oder anders abgefaßt werden. Allein
an den alten, nunmehr verſchwundenen, hiſtoriſchen und
formellen Gegenſatz hatten ſich zugleich ganz praktiſche
Verſchiedenheiten angeknüpft, die großentheils im Juſti-
nianiſchen Recht erhalten ſind. Zwar eine der wichtigſten
Eigenheiten der Condictionen, die sponsio tertiae partis bey
der certi condictio, erſcheint hier nicht mehr; andere aber,
die allerdings noch erſcheinen, ſind nicht minder erheblich.
Juſtinian kann die Eigenthümlichkeit der b. f. actiones nicht
für verſchwunden gehalten haben, da er ſelbſt es für nöthig
hielt, mehreren Klagen dieſen Character ausdrücklich bey-
zulegen; namentlich der hereditatis petitio, und der anſtatt
der alten rei uxoriae actio von ihm eingeführten actio
ex stipulatu (Beylage XIII. Num. IX. XII.).
Ich gehe nun zur Erwägung des heutigen Rechtszu-
ſtandes über. Für viel eingeſchränkter, als bey den Rö-
mern, müßten wir in jedem Fall die Anwendung jener
Unterſchiede halten, weil die Gegenſtände derſelben großen-
theils verſchwunden ſind. Die Expenſilation war ſchon
lange vor Juſtinian außer Gebrauch, und die Stipulation,
als Grund von stricti juris actiones, kennen wir nicht
mehr. Dennoch würde darin nur eine Verminderung des
praktiſchen Unterſchieds liegen, nicht deſſen Aufhebung.
Indeſſen glaube ich, daß wir ſelbſt die an ſich noch
möglichen Unterſchiede, auch ſoweit ſie im Juſtinianiſchen
Recht erhalten ſind, in dem heutigen Recht nicht mehr
|0152 : 138|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
zulaſſen können, und daß überall, wo das Römiſche Recht
eine verſchiedene Behandlung ſtrenger und freyer Klagen
eintreten läßt, für uns nur allein das Princip der freyen,
namentlich alſo der bonae fidei actiones, gelten kann.
Die Annahme dieſer, durch allgemeines Gewohnheitsrecht
herbeygeführten, wichtigen Veränderung ſoll nunmehr ge-
rechtfertigt werden.
Eigentlich liegt darin kein neuer, dem Römiſchen Recht
fremder, Gedanke, ſondern nur die Vollendung einer ſchon
im früheren Recht erſcheinenden, in Juſtinians Geſetzge-
bung aber weit ſtärker hervortretenden Entwicklung. Auf
verſchiedene Weiſe ſuchte man, dem Princip der freyen
Klagen immer mehr Raum zu verſchaffen (a); die Aus-
dehnung der Compenſation, die urſprünglich nur für die
b. f. actiones gelten ſollte, zuerſt auf die Condictionen,
endlich auf alle Klagen überhaupt, iſt nur ein einzelnes
Stück derſelben Rechtsentwicklung (b). Einen ſtarken Halt
gab dem alten Actionenſyſtem lediglich der noch im Juſti-
nianiſchen Recht ſichtbare, ausgedehnte Gebrauch der Sti-
pulation. Seit dem Verſchwinden derſelben war gar kein
Grund mehr zur Fortdauer jenes Syſtems vorhanden,
und die einzelnen, in den Rechtsquellen erhaltenen Über-
reſte des alten Unterſchieds waren nun ganz willkührlich
und inconſequent geworden.
Für die Thatſache jener eingetretenen Veränderung
(a) Vgl. oben § 220, und Beylage XIII. Num. XX.
(b) Beylage XIII. Num. IV.
|0153 : 139|
§. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung.
kann man ſich zuverſichtlich auf das Bewußtſeyn aller
Derjenigen berufen, welchen Rechtsgeſchäfte nicht aus der
Theorie, ſondern nur aus Erfahrung bekannt ſind. Es
würde ſchwer ſeyn, einem Solchen begreiflich zu machen,
daß die Schuld aus einem Darlehen, oder einem irrig ge-
zahlten Indebitum, eine ganz andere Natur habe, als die
aus einem Kauf oder Miethcontract; er müßte nothwen-
dig Vorleſungen über Römiſches Recht gehört haben, um
es verſtehen zu können. — Dieſes wird noch gewiſſer
durch die Vergleichung mit demjenigen heutigen Rechtsge-
ſchäft, welches völlig die Natur eines Römiſchen stricti
juris Contracts hat, dem Wechſelgeſchäft nämlich; hier
weiß Jeder, daß die ſo contrahirte Schuld eine ganz an-
dere Natur und Wirkung hat, als die oben erwähnten
Verträge, welchen er dagegen eine unter ſich durchaus
gleichartige Wirkung zuſchreiben wird. — Es kommt noch
der wichtige Umſtand hinzu, daß die erſte Bedingung wirk-
lich fortdauernder Rechtsregeln die Kenntniß derſelben iſt;
nun lag aber der Unterſchied der stricti juris und bonae
fidei actiones bisher größtentheils im Dunkeln, und es iſt
erſt durch die ſehr neue und zufällige Entdeckung der In-
ſtitutionen des Gajus möglich geworden, klar in dieſer
Sache zu ſehen.
Eine unwiderſprechliche Beſtätigung jener Veränderung
liegt ferner in einem unſrer Reichsgeſetze. Der beſtimm-
teſte praktiſche Unterſchied jener beiden Arten der Klagen,
der auch jetzt noch als fortdauernd ſehr wohl denkbar
|0154 : 140|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
wäre, findet ſich in den Verzugszinſen, die aus einem
Darlehen, eben ſo wie bey der condictio indebiti, nicht
ſollen gefordert werden können, anſtatt daß ſie bey der
actio venditi, locati u. ſ. w. allerdings gelten (c). Nun
ſagt aber der Reichsdeputationsabſchied von 1600 § 139,
bey dem Gelddarlehen ſolle jeder Glaubiger, einer allge-
meinen Präſumtion nach, Fünf Procent Zinſen zu fordern
befugt ſeyn, mit dem Vorbehalt, einen in dieſer Gegend
üblichen höheren Zinsfuß beweiſen zu dürfen. Es würde
ganz irrig ſeyn, dieſes Geſetz als Aufhebung der bis da-
hin geltenden entgegengeſetzten Regel des Römiſchen Rechts
anzuſehen. Es ſetzt vielmehr ſtillſchweigend voraus, daß
im heutigen Recht alle Verträge die Natur der Römiſchen
bonae fidei Contracte haben, und will nur den Beweis
des landüblichen Zinsfußes durch eine Präſumtion erleich-
tern. Es wäre gewiß ſehr willkührlich, daneben noch bey
der condictio indebiti die Verzugszinſen zu verſagen, oder
irgend eine andere bey den Römern geltende Eigenthüm-
lichkeit der str. j. actiones für das Darlehen oder die
condictio indebiti feſt halten zu wollen.
Auch hat dieſe Veränderung bey der überwiegenden
Anzahl neuerer Schriftſteller entſchiedene Anerkennung ge-
funden (d). Wenngleich nun die von Manchen für dieſe
Behauptung aufgeſtellten Gründe ganz unbefriedigend
(c) Beylage XIII. Num. III.
(d) Höpfner Commentar
§ 1135. Glück B. 4 § 310. Thi-
baut § 71 der achten Ausgabe.
Mühlenbruch Vol. 2 § 329.
Außerdem auch noch die von Die-
ſen angeführten früheren Schrift-
ſteller.
|0155 : 141|
§. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung.
ſind (e), ſo iſt doch ihr Zeugniß für die Thatſache der
Veränderung ſelbſt, und den damit allgemein übereinſtim-
menden Gerichtsgebrauch, darum nicht weniger entſchei-
dend. Der partielle Widerſpruch aber, der ſich bey we-
nigen Schriftſtellern hierüber findet, beruht wohl nur auf
Misverſtändniſſen, und würde auch von ihnen gewiß nicht
in der dabey denkbaren Allgemeinheit geltend gemacht wer-
den (f). — Beſondere Erwähnung verdient hier noch eine
einzelne Anwendung des alten Unterſchieds. Ein Reſcript
von Caracalla ſpricht aus, daß mit der condictio indebiti
ſtets nur die gezahlte Summe ſelbſt, niemals Zinſen der-
ſelben gefordert werden durften (g); offenbar wegen der
(e) Höpfner und Glück (Note d)
gründen ſich darauf, daß der ganze
Unterſchied auf dem bey uns ver-
ſchwundenen Formularcontracten
beruhe; ſie ſetzen alſo den grund-
falſchen Satz voraus, die Römer
hätten nur bey der Stipulation
eine stricti juris actio angenom-
men. Das Darlehen und das in-
debitum solutum ſind keine For-
mularcontracte, ſie kommen bey uns
noch täglich vor, und ſie erzeugten
bey den Römern stricti juris
actiones, ſo gut als die Stipu-
lation. Es iſt alſo unrichtig, das
Verſchwinden der stricti juris
actiones daraus erklären zu wol-
len, daß die einzigen Fälle, worin
ſie von den Römern angewendet
wurden, verſchwunden ſeyen.
(f) Schröter in Linde’s Zeit-
ſchrift B. 7 S. 389—392 behaup-
tet die Fortdauer des alten Unter-
ſchieds in Beziehung auf den Eid
in litem. Das praktiſch Richtige
in ſeiner Behauptung, nämlich die
Unanwendbarkeit jenes Eides in
manchen Fällen, liegt nicht in der
stricti juris Natur dieſer Fälle,
ſondern in dem Mangel anderer
Bedingungen, ohne welche jener
Eid nicht gilt. Vgl. oben § 221. 222.
— Liebe, Stipulation S. 93 be-
hauptet die Fortdauer der stricti
juris Natur bey dem einfachen
Verſprechen (nudum pactum) des
heutigen Rechts, weil dieſes, eben
ſo wie die Römiſche Stipulation,
eine blos formale Gültigkeit habe,
im Gegenſatz der materiellen Ver-
träge. Er ſucht den Grund der
stricti juris Natur der Stipula-
tion in einer Eigenſchaft, worin
er in der That nicht liegt.
(g) L. 1 C. de cond. indeb.
(4. 5.).
|0156 : 142|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
ſtrengen Condictionennatur, und im Gegenſatz der b. f.
actiones, aus welchen von der Mora an Zinſen zu zah-
len ſind. Daß alſo vor der Mora, von der Zeit der
empfangenen Zahlung an, keine Zinſen gezahlt werden, iſt
gar nichts Beſonderes, und verſteht ſich ohnehin von ſelbſt.
Nun ſtreiten die Neueren darüber, ob jene Römiſche Vor-
ſchrift noch gelte oder nicht; Manche ſagen, ſie gelte noch,
nur mit Ausnahme der Mora (h); das heißt aber in der
That ſo viel, als ſie gelte nicht, da ſie nur für die Mora
einen beſonderen Rechtsſatz in ſich enthielt. Aus ſo ver-
worrenen Begriffen hat nun in der That keine feſte Praxis
entſtehen können; ja ſelbſt wenn ſie entſtanden wäre, müß-
ten wir ihr alle bindende Kraft verſagen, da ſie nicht
aus der Überzeugung eines neuen Rechtsbedürfniſſes, ſon-
dern nur aus mangelhafter Wiſſenſchaft hervorgegangen
ſeyn würde (§ 20.).
Es ergiebt ſich aus dieſer Unterſuchung, daß die Un-
terſcheidung der Condictionen von den b. f. actiones ihr
praktiſches Intereſſe gänzlich verloren hat, und nur noch
für die Rechtsgeſchichte, und als Nomenclatur für das
Verſtändniß der Rechtsquellen von Wichtigkeit iſt. Es
kann alſo lediglich in dieſem theoretiſchen, formellen In-
tereſſe geſchehen, daß wir in einzelnen Fällen unterſuchen,
ob gerade eine condictio, oder eine andere Klage begrün-
det ſey; in demſelben theoretiſchen Intereſſe, in welchem
(h) Glück B. 13 § 835.
|0157 : 143|
§. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung.
wir auch den individuellen Namen der Klage für einen
gegebenen Fall zu ermitteln ſuchen.
Wenn wir uns nun aus dieſen Gründen überzeugt fin-
den, daß jene Eintheilung der Klagen ihre praktiſche Be-
deutung für uns verloren hat, ſo drängt ſich noch der
Zweifel auf, ob nicht hierin unſer heutiges Recht einen
weſentlichen Verluſt erlitten habe, der für uns zu bekla-
gen ſeyn dürfte. Dieſer Gedanke könnte für Diejenigen
Schein gewinnen, welche etwa durch den oben (§ 219)
gemachten Verſuch einer rationellen Erklärung jener Ein-
theilung überzeugt ſeyn möchten. Indeſſen gieng dieſer
Verſuch nicht ſowohl darauf aus, die Zweckmäßigkeit oder
Nothwendigkeit jener Behandlung an ſich zu rechtfertigen,
als die Entſtehung und Ausbildung dieſer Gedanken bey
den Römern zu erklären. Gleichſam vor unſren Augen
entſteht für die Römer der Begriff von Obligationen in
zwey verſchiedenen Familien. Sie geben dieſem Gedanken
praktiſche Wichtigkeit durch die Einrichtung eines zwie-
fachen Richteramts mit verſchiedenen Attributionen; ſie
geben ihm Individualität und Feſtigkeit durch die Aufſtel-
lung feſter Klagformeln (i). So dauert dieſe Einrichtung
Jahrhunderte lang fort, im Weſentlichen unverändert, all-
mälig durch neu entſtandenes Bedürfniß modificirt. Allein
(i) Es lag hierin gleichſam ein
Extrem individueller Verkörperung,
welches ſich in der Anwendung
hier und da etwas unbequem zei-
gen mochte. Das andere Extrem,
ohne Zweifel weit nachtheiliger,
zeigt ſich in der allgemeinen Preu-
ßiſchen Gerichtsordnung, ſ. u. No-
te u.
|0158 : 144|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
im Lauf der Zeit war jene ſcharfe Scheidung von zweyer-
ley Obligationen mehr in den Hintergrund getreten; Was
ehemals ungleichartig erſchien, war nun zu einem Syſtem
gleichartiger Obligationen ausgebildet worden (k). Die
durchgreifende Veränderung der Gerichtsverfaſſung, wo-
durch alle Richtergeſchäfte ungetheilt in die Hände der
Obrigkeit gelegt wurden, entzog jener Einrichtung ihre
praktiſche Kraft, und ſo iſt Das, was wir davon in der
Juſtinianiſchen Geſetzgebung finden, nur noch ein Schat-
ten des urſprünglichen großartig einfachen Rechtsinſtituts.
Auch dieſes Wenige aber, was dort noch übrig blieb, iſt
bey dem Übergang in das neuere Recht untergegangen,
und wir bemühen uns vergeblich, den todten Buchſtaben
feſtzuhalten. Wir können alſo, im gewöhnlichen Sinn des
Worts nicht ſagen, daß wir Etwas verloren hätten, wel-
ches zu beklagen wäre, deſſen Herſtellung wir verſuchen
möchten. Unſrer höchſten Aufmerkſamkeit werth aber iſt
hier Daſſelbe, was wir auch in anderen Theilen der
Rechtsentwicklung zu bewundern haben: der juriſtiſche
Kunſtſinn, womit die Römer dem höchſt mannichfaltigen
Rechtsſtoff, den ihnen das wirkliche Leben darbot, indivi-
duellen Character, und eine faſt unzerſtörliche Dauer zu
geben wußten. Daran können wir lernen, wenn wir die
(k) Dieſer Entwicklungsgang
läßt ſich durch einige treffende Ana-
logieen anſchaulich machen. So
iſt das in bonis eine zweyte Art
von dominium geworden, die bo-
norum possessio eine zweyte Art
von hereditas; Beides war ur-
ſprünglich blos neben das alte
Rechtsinſtitut geſtellt, als rein
praktiſche Aushülfe in einzelnen
Fällen des Bedürfniſſes.
|0159 : 145|
§. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung.
Fähigkeit dazu aus dem mechaniſchen Geſchäftsbetriebe zu
retten vermögen, und wie ſehr uns dieſe Lehre Noth thut,
davon kann uns jeder Blick in heutige Geſetzgebung und
Praxis überzeugen.
Nicht anders verhält es ſich mit der eigenthümlichen
Natur der arbitrariae actiones. Das Wichtigſte bey den-
ſelben, die indirecte Beförderung der Naturalreſtitution
(§ 221), iſt ſchon im Juſtinianiſchen Recht verſchwunden,
da nach demſelben eine ſolche durch Execution unmittelbar
erzwungen wird. Eine Aufforderung zur freywilligen Er-
füllung, um der nachtheiligeren Verurtheilung zu entgehen,
wäre freylich auch noch jetzt denkbar, allein dieſe Anſtalt
iſt unſrem heutigen gemeinen Prozeß gewiß völlig fremd.
Ja es iſt ſehr möglich, daß ſie auch ſchon in Juſtinians
Zeit nicht mehr vorkam, und daß der § 31 J. de act., der
darauf hinweiſt, gedankenlos aus einem alten Juriſten
abgeſchrieben worden iſt. Aus dem alten Recht der arbi-
trariae actiones iſt alſo nur noch der Satz übrig, daß in
den Fällen derſelben der Eid in litem vorzugsweiſe, als
ein Vorrecht des Klägers, vorkommt; ja wir müſſen den
Eid jetzt auch bey ſolchen auf Reſtitution gerichteten Kla-
gen gelten laſſen, welche ſonſt, als stricti juris Klagen,
dazu nicht geeignet waren (§ 222), weil für uns der Be-
griff der ſtrengen Klagen verſchwunden iſt. Wenn alſo
ein Indebitum nicht in Geld, ſondern in einer individuell
beſtimmten Sache, aus Irrthum entrichtet war, und jetzt
dieſe Sache zurück gefordert wird, ſo muß dabey aller-
V. 10
|0160 : 146|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
dings der Eid in litem eintreten. Es würde aber unrich-
tig ſeyn, die Klagen, worin dieſer Gebrauch des Eides
zuläſſig iſt, deshalb als arbitrariae actiones anſehen und
bezeichnen zu wollen.
Manche werden es tadeln, daß dieſe Lehre, deren Un-
werth für die heutige Anwendung des Rechts von den
meiſten Schriftſtellern, und auch von mir ſelbſt behauptet
wird, hier dennoch mit ſolcher Ausführlichkeit behandelt
worden iſt. Wie wenig uns die Übereinſtimmung der
Schriftſteller über den nachtheiligen Einfluß der hierin
herrſchenden Irrthümer auf unſre Rechtskenntniß beruhi-
gen kann, wird durch folgende Thatſachen einleuchtend
werden. Wer die eben ſo irrige, als verworrene Dar-
ſtellung der Sache bey Höpfner betrachtet (l), muß ſich
überzeugen, daß auf dieſem Boden die bedenklichſten prak-
tiſchen Irrthümer wachſen und gedeihen können; hier liegt
es nicht an der mangelhaften Individualität des Schrift-
ſtellers, der außerdem gerade durch Klarheit der Begriffe
und der Darſtellung ausgezeichnet iſt. Glück behauptet
zwar auch, dieſe Lehre habe ihre Anwendbarkeit verloren;
dennoch behandelt er ganz ernſthaft die condictio tritica-
ria als ein noch geltendes Rechtsinſtitut, und unterſucht
ausführlich ihre Bedingungen und Folgen (m); er hätte
unfehlbar eine gleiche Ehre der certi und der incerti con-
dictio widerfahren laſſen, wenn ſich zufällig Digeſtentitel
(l) Höpfner Commentar § 1128
—1134.
(m) Glück B. 13 § 843. 844,
beſonders S. 298.
|0161 : 147|
§. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung.
mit ſolchen Überſchriften fänden. Gans behauptet mit
großem Nachdruck, das Syſtem der Römiſchen Klagen
müſſe der heutigen Darſtellung des Obligationenrechts zum
Grunde gelegt werden, wenn dieſe zu einer befriedigenden
Einſicht führen ſolle (n). Endlich zeigen die oben ange-
führten einzelnen Beyſpiele (Note f), wie wenig die Lehre
unſrer meiſten Schriftſteller gegen ſtets erneuerte Angriffe
geſichert iſt, indem die fortdauernde Gültigkeit des alten
Klagenſyſtems immer wieder behauptet werden wird, ſo-
lange nicht eine von Grund aus geführte Unterſuchung
den ſchwankenden Meynungen ein Ziel geſetzt hat. Ob
das hier Geleiſtete dieſen Zweck erreicht, kann freylich ſehr
in Frage geſtellt werden; der darauf gerichtete Verſuch
aber dürfte in den hier angegebenen Thatſachen wohl ſeine
Rechtfertigung finden.
Wir müſſen jedoch noch einen Schritt weiter gehen, und
der hier angeſtellten Unterſuchung einen gewiſſen Werth
und Einfluß nicht blos für die Sicherheit der Theorie des
Rechts, ſondern auch für die Anwendung deſſelben im
wirklichen Leben zuſchreiben. Hierin aber fällt die Unter-
ſuchung der Condictionen und der übrigen dargeſtellten
Gattungen von Klagen zuſammen mit der Beſtimmung und
Bezeichnung der einzelnen Klagen, wovon jene Gattungen
ja nur die Grundlage bilden. Und Dieſes führt uns auf
(n) Gans Obligationenrecht
S. 7. 9. 42. 132. — Später hat
er hierin ſeine Meynung geändert;
Syſtem des Römiſchen Civilrechts
im Grundriſſe Berlin 1827. S. 226.
10*
|0162 : 148|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
die überall vorkommende Behauptung, daß im heutigen
Prozeß ſowohl die Auslaſſung, als die falſche Bezeichnung
des Namens der Klage unſchädlich ſey, wenn nur die
wirklich gemeynte Klage aus den Thatſachen und Anträ-
gen der Parteyen mit Sicherheit hervorgehe (o). Dieſes
muß nicht nur für unſere Zeit unbedingt zugegeben, ſon-
dern ſelbſt für das ältere Römiſche Recht gewiſſermaßen
behauptet werden. Auch in dem Formularprozeß wurde
nicht eigentlich der Name der Klage genannt, ſondern nur
die formula angegeben (p), und auch dieſe war oft ſo all-
gemein, daß ſie das individuelle Klagrecht nicht bezeich-
nete (q). Vollends ſeit der Aufhebung der ordinaria ju-
dicia konnte auch von einer formula nicht mehr die Rede
ſeyn. Allein für den urtheilenden Richter ſteht es ganz
anders. Wenn ſich Dieſer damit begnügt, blos im Allge-
meinen zu prüfen, welcher Theil Recht oder Unrecht habe,
ſo iſt er in Gefahr, ſich ganz in’s Allgemeine und Unbe-
ſtimmte zu verlieren. Will er aber die gegenſeitigen An-
ſprüche individualiſiren, ſo iſt ihm dabey im Römiſchen
(o) Cocceji jus controv. II.
13 qu. 3. Weber Beyträge St. 2
S. 6. — Manche Gerichte haben
dieſe Regel ſo übertrieben, daß
auch gegen den Willen (d. h. den
Antrag) der Parteyen die ihnen
günſtigen Folgen der vorgetrage-
nen Thatſachen vom Richter gel-
tend gemacht werden ſollen. Can-
negiesser Dec. Hasso-Cassell.
T. 1 p. 307. 507. 572. Mit Recht
erklärt ſich dagegen Gönner
Handbuch B. 1 Num. X. § 11.
(p) In der Formel: Si paret,
fundum Agerii esse kam der
Name rei vindicatio nicht vor,
eben ſo in der Formel: Si paret,
centum dari oportere nicht der
Name condictio. Das waren
blos theoretiſche Bezeichnungen.
(q) Beylage XIV. Num. XXXII.
XXXIII.
|0163 : 149|
§. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung.
Recht die Romenclatur der Klagen völlig unentbehrlich;
denn dieſe iſt für das Syſtem des praktiſchen Rechts un-
gefähr Das, was die Grammatik für die Sprache iſt.
Ich kann mich auf die Erfahrung eines Jeden berufen,
der die gemeinrechtliche Praxis kennt, wie ſehr die Beur-
theilung der Rechtsverhältniſſe ſelbſt durch jene Nomen-
clatur an Schärfe und Sicherheit gewinnt (r). — Manche
neuere Schriftſteller haben Dieſes recht gut eingeſehen (s),
während Andere jene Behauptung der praktiſchen Gleich-
gültigkeit der Nomenclatur dahin umbilden, daß uns die
Mühe theoretiſcher Unterſuchungen abgenommen, damit
aber auch die wahrhaft heilſame Frucht derſelben für das
praktiſche Recht entzogen ſeyn ſollte.
Um die praktiſche Gleichgültigkeit der Klagnamen zu
beweiſen, führt man unnöthigerweiſe eine Stelle des cano-
niſchen Rechts an, welche allerdings dieſe Regel aus-
ſpricht, aber in Ausdrücken, nach welchen man annehmen
kann, daß ſich der Verfaſſer den eben erörterten Unter-
ſchied nicht klar gemacht habe, und welche daher zur Un-
terſtützung der hier gerügten irrigen Anſicht beytragen
mußten (t). Ein Gleiches iſt von einer Vorſchrift des
(r) Vgl. B. 1 § 20 S. 92.
(s) Cocceji jus controv. II.
13 qu. 3 „Obj. 2. Quod actio-
num nomina frustra essent in-
venta. Resp. Imo manet eorum
usus ad rite discernenda ne-
gotia.”
(t) C. 6. X. de jud. (2. 1.).
„Provideatis attentius, ne ita
subtiliter, sicut a multis fieri
solet, cujusmodi actio intente-
tur, inquiratis, sed simpliciter
et pure factum ipsum et rei
veritatem … investigare cure-
tis.” Hier geht die Warnung ge-
gen die theoretiſche Unterſuchung,
wodurch der Richter ſein Urtheil
auf feſten Grund zu bauen ſuchen
|0164 : 150|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Preußiſchen Prozeſſes zu behaupten, welche gegen die ängſt-
liche Beachtung der aus dem Römiſchen Recht hergebrach-
ten Nomenclatur warnt (u), und damit um ſo ſicheren
Erfolg haben mußte, als das gleichzeitige allgemeine Land-
recht eine ſolche Nomenclatur nicht hat. Die nachtheiligen
Folgen dieſer Veränderung haben ſich in der hieraus ent-
ſprungenen Praxis ſehr fühlbar gemacht.
§. 225.
Vertheidigung des Beklagten. Einleitung. Duplex
actio.
Die Verwandlung der Rechte überhaupt in Klagrechte,
in Folge von Verletzungen, iſt nunmehr dargeſtellt, und es
ſind zugleich die mannichfaltigen Rechtsbildungen nachge-
wieſen worden, die in dieſer Verwandlung ihre gemein-
ſame Wurzel haben. Da jedoch im wirklichen Leben jedes
Klagrecht zunächſt nur als eine einſeitige Behauptung er-
ſcheint, die eben ſowohl wahr als falſch ſeyn kann, ſo
möchte. Mit einer ſolchen Unter-
ſuchung iſt die nachher richtig em-
pfohlene Prüfung der thatſächlichen
Wahrheit gar wohl vereinbar.
(u) Allgemeine Gerichtsordnung
Th. 1 Tit. V § 20. „Sie müſſen
ſich aber auch dabei an die aus
dem ehemaligen Römiſchen Rechte
hergeleiteten und von den Lehrern
deſſelben gebildeten ſogenannten
Genera et Formulas actionum
nicht ängſtlich binden; folglich auch
keine angegebene Thatſache bloß
um deswillen verwerfen, oder un-
erörtert laſſen, weil dieſelbe auf
dieſe oder jene Gattung von Kla-
gen nicht zu paſſen ſcheint.“ Ob
dieſe oderjene Gattung von Kla-
gen paßt, iſt freylich gleichgültig,
wenn aber gar keine paſſen will,
ſo iſt das ein Kennzeichen, daß
überhaupt kein wirkliches Recht
vorhanden iſt, mag auch der Rich-
ter aus einem unklaren Billig-
keitsgefühl geneigt ſeyn, ein ſol-
ches anzunehmen.
|0165 : 151|
§. 225. Vertheidigung. Einleitung. Duplex actio.
tritt der Klage gegenüber die Vertheidigung des Beklag-
ten, und dieſes Verhältniß von Gegenſätzen iſt dann noch
einer ferneren Entwicklung fähig.
In der Regel nun erſcheint dieſes Verhältniß ganz ſo
einfach, wie es hier vorläufig angegeben worden iſt. Dem
Kläger ſteht ein Beklagter gegenüber, und Jeder von Bei-
den hat dieſe ſeine Eigenſchaft durch den ganzen Rechts-
ſtreit durchzuführen. Es giebt aber auch eine kleine An-
zahl ausgenommener Fälle, worin jede Partey beide Eigen-
ſchaften in ſich wirklich vereinigt, ſo daß Jeder Kläger
iſt, und doch zugleich als Beklagter verurtheilt werden
kann. Dieſe Klagen heißen duplices actiones, duplicia
judicia, und diejenigen unter ihnen, welche Interdicte ſind,
duplicia interdicta (a); einmal werden ſie auch mixtae
actiones genannt (b). In unſren Rechtsquellen werden
nur folgende Fälle namentlich als ſolche bezeichnet. Erſt-
lich die drey ſogenannten Theilungsklagen: communi di-
vidundo, familiae herciscundae, finium regundorum (c).
Ferner die zwey interdicta retinendae possessionis, uti
possidetis und utrubi (d). In allen dieſen Klagen alſo
(a) Savigny Recht des Be-
ſitzes § 37. Der Ausdruck duplex
interdictum hat aber noch eine
ganz andere Bedeutung, nämlich
die eines Interdicts, welches bald
adipiscendae, bald recuperan-
dae possessionis iſt. Ulpiani
fragm. de interdictis, L. 2 § 3
de interdictis (43. 1.). Sa-
vigny a. a. O., S. 481 der
6ten Ausg.
(b) L. 37 § 1 de O. et A.
(44. 7.).
(c) L. 2 § 1 comm. div. (10. 3),
L. 2 § 3 L. 44 § 4 fam. herc.
(10. 2), L. 10 fin. reg. (10. 1),
L. 37 § 1 de O. et A. (44. 7.).
(d) Gajus IV. § 160, § 7 J. de
interd. (4. 15), L. 2 pr. de in-
terd. (43. 1), L. 3 § 1 uti poss.
|0166 : 152|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
kann jeder Theil verurtheilt werden, anſtatt daß in den
meiſten Klagen nur der Beklagte verurtheilt, der Kläger
höchſtens abgewieſen werden kann. In manchen Bezie-
hungen freylich iſt es auch bey jenen Klagen unentbehr-
lich, den Kläger vom Beklagten zu unterſcheiden, nament-
lich wenn ein Beweis auferlegt werden ſoll; nun gilt als
Kläger Derjenige, welcher ſich zuerſt an den Richter ge-
wendet hat, und wenn Dieſes von Beiden gleichzeitig ge-
ſchah, ſo entſcheidet das Loos (e).
Kehren wir von dieſen wenigen Ausnahmen zu dem
einfachen, regelmäßigen Verhältniß zurück, worin Ein
Kläger Einem Beklagten gegenüber ſteht, ſo haben wir
zunächſt den möglichen Inhalt der Vertheidigung zu er-
wägen, und die in derſelben denkbaren Verſchiedenheiten
anzugeben.
Die Vertheidigung kann ſich gründen erſtlich auf die
Verneinung des gegenwärtigen Daſeyns des vom Kläger
behaupteten Rechts; zweytens auf die Entgegenſetzung
eines andern, von jenem verſchiedenen, dem Beklagten zu-
ſtehenden Rechts, wodurch das Recht des Klägers, deſſen
Daſeyn vorausgeſetzt, in ſeiner Klagwirkung gehemmt wird.
(43. 17), L. 37 § 1 de O. et A.
(44. 7.).
(e) L. 13. 14 de judic. (5. 1),
L. 2 § 1 comm. div. (10. 3.). —
Eine ganz ähnliche Natur haben
die praejudicia, wobey es auch
für die Entſcheidung gleichgültig
iſt, wer als Kläger auftritt, ſo daß
der Kläger nach derſelben Regel
wie bey jenen Klagen ermittelt
wird. L. 12 de exc. (44. 1.).
Der Unterſchied iſt nur der, daß
bey den duplices actiones jeder
Theil condemnirt werden kann, bey
den praejudiciis keiner von bei-
den; daher iſt auch auf dieſe letz-
ten jene Benennung nicht ange-
wendet worden.
|0167 : 153|
§. 225. Vertheidigung. Einleitung. Duplex actio.
Die Verneinung aber läßt ſich wiederum auf zweyer-
ley Weiſe denken; ſie kann nämlich auf die ganze Ver-
gangenheit gerichtet ſeyn, alſo das Daſeyn des Rechts
für alle Zeiten ausſchließen; ſie kann aber auch deſſen
früheres Daſeyn zugeben, und nur die ſpätere Vernich-
tung behaupten. Um beide Fälle kurz und beſtimmt unter-
ſcheiden zu können, will ich die erſte Art als abſolute,
die zweyte als relative Verneinung bezeichnen.
Eines der wichtigſten praktiſchen Momente im Verhält-
niß des Klägers zum Beklagten iſt die Beweislaſt; ob-
gleich nun dieſe erſt an einer ſpäteren Stelle ihre Erle-
digung finden kann, ſo ſoll doch ſchon hier das Verhältniß
derſelben zu den verſchiedenen Arten der Vertheidigung
vorläufig angegeben werden.
Aus der eben angeſtellten Betrachtung ergeben ſich
drey Klaſſen möglicher Vertheidigung.
I. Abſolute Verneinung. Als einfachſte Beyſpiele
können die Fälle dienen, wenn bey einer Vindication die
behauptete Tradition, bey einer Schuldklage der behauptete
Contract, verneint wird. — Die Beweislaſt trifft in der
Regel den Kläger.
II. Relative Verneinung. Beyſpiele: bey der Vin-
dication wird behauptet, der Kläger habe das Eigenthum
zwar gehabt, aber veräußert; bey der Schuldklage wird
die Bezahlung behauptet. — Die Beweislaſt trifft den
Beklagten.
III. Beſtreitung durch ein entgegenſtehendes Recht
|0168 : 154|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
des Beklagten. Beyſpiele: bey der Vindication die Ex-
ception aus einem jus in re (f) oder einem Contract; bey
der publiciana die exceptio dominii (g); bey allen Klagen
die exceptio rei judicatae. — Die Beweislaſt trifft den
Beklagten.
Die eigenthümliche Natur dieſer drey Klaſſen möglicher
Vertheidigung wird durch folgende nähere Beſtimmungen
vollſtändiger zur Anſchauung kommen.
Die erſte Klaſſe (abſolute Verneinung) erſcheint nicht
immer in der rein logiſchen Form der Verneinung. Denn
wenn die Klage ſelbſt als Bedingung ein negatives Ele-
ment in ſich ſchließt, ſo erſcheint die Verneinung deſſelben in
der logiſchen Form einer Bejahung, und dennoch trifft
nicht minder den Kläger die Beweislaſt. So gehört zur
Begründung der condictio indebiti die Behauptung einer
Nichtſchuld, und der abſolute Widerſpruch dagegen iſt die
Behauptung einer Schuld; der Kläger aber hat die Nicht-
ſchuld zu beweiſen.
Weit wichtiger aber für die wahre Natur jener erſten
Klaſſe iſt folgender Umſtand. Zu den weſentlichen Ele-
menten jeder Klage gehört nur das allgemeine Daſeyn
der factiſchen Bedingungen des beſtrittenen Rechts. Die
gehörige, regelmäßige Beſchaffenheit dieſer Bedingungen
verſteht ſich dann von ſelbſt, und wenn dieſe von dem
Beklagten verneint wird, ſo tritt er damit in daſſelbe Ver-
(f) L. 6 § 9 comm. div. (10.3),
L. 1 § 4 de superfic. (43. 18.).
(g) L. 17 de public. (6. 2.).
|0169 : 155|
§. 225. Vertheidigung. Einleitung. Duplex actio.
hältniß, wie wenn er (bey der relativen Verneinung) die
ſpätere Aufhebung des früher vorhandenen Rechts behaup-
tet: er trägt nämlich auch hier die Laſt des Beweiſes.
Dieſes Verhältniß iſt von der wichtigſten und ausgedehn-
teſten Anwendung. Es tritt ein, wenn bey einer Contracts-
klage der Beklagte die Unmündigkeit oder den Wahnſinn
eines Contrahenten behauptet; eben ſo bey der Behaup-
tung, daß ein im Allgemeinen zugeſtandenes Verſprechen
durch Bedingung, Zeit, Ort beſchränkt, oder daß es alter-
nativ geweſen ſey; eben ſo wenn der Beklagte das Da-
ſeyn einer Erklärung einräumt, jedoch hinzufügt, es ſey
eine Erklärung ohne Willen geweſen (§ 134—138). Die-
ſer wichtigen Regel liegt zum Grunde die Annahme, daß,
bey dem ſcheinbaren Auftreten und Handeln eines Men-
ſchen, das vollſtändige Daſeyn dieſes Menſchen als eines
willensfähigen Weſens ſich als Regel von ſelbſt verſteht;
eben ſo wie bey einer ſcheinbaren Willenserklärung die
Übereinſtimmung der Erklärung mit dem wirklichen Wil-
len, deren natürliches Zeichen ſie iſt (g¹).
Die zweyte Klaſſe der Vertheidigung (relative Ver-
neinung) hat eine zweydeutige Natur. Sie erſcheint als
Verneinung, wenn man auf das Recht der Klage ſieht,
da dieſes als jetzt gar nicht vorhanden angegeben wird;
als Bejahung, mit Hinſicht auf den thatſaͤchlichen Grund
der Klage. Nach der einen Auffaſſung erſcheint ſie in
näherer Verwandtſchaft mit der erſten Klaſſe der Verthei-
(g¹) Bethmann-Hollweg Verſuche über Prozeß S. 349—360.
|0170 : 156|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
digung, nach der andern mit der dritten Klaſſe. Die erſte
Auffaſſung aber iſt ohne Zweifel dem Römiſchen Recht
angemeſſen, und dieſes Verhältniß eben ſoll durch die von
mir gewählte Terminologie ausgedrückt werden (h).
Über das Verhältniß der dritten Klaſſe der Vertheidi-
gung zu den beiden erſten iſt Folgendes zu bemerken. Die
Gränze derſelben, das heißt die Unterſcheidung der Fälle,
die dem einen oder dem andern Gebiet angehören, iſt gro-
ßentheils von poſitiven Rechtsregeln abhängig, hat alſo
einen hiſtoriſchen Character, ſo daß darin Manches anders
ſeyn könnte, auch wohl bey dem Übergang des Römiſchen
Rechts in die neuere Zeit anders geworden iſt. So ge-
hört die Berufung des Beklagten auf Unmündigkeit oder
Wahnſinn eines Contrahenten zur erſten Klaſſe der Ver-
theidigung, die Berufung auf Zwang oder Betrug zur
dritten. Behauptet der Beklagte, eine Schuld ſey durch
Acceptilation oder Novation, oder eine Servitut ſey durch
Nichtgebrauch aufgehoben worden, ſo liegt darin eine re-
lative Verneinung, oder eine Vertheidigung der zweyten
Klaſſe; behauptet er die Aufhebung der Schuld durch un-
förmlichen Vertrag, ſo gehört ſeine Vertheidigung meiſt
zur dritten Klaſſe. Dieſe Unterſcheidung nun des unförm-
(h) Eine ähnliche Verſchieden-
heit der Behandlung findet ſich
auch in anderen Inſtituten des Pro-
zeſſes. Der Eid wurde bey den
Römern (wenigſtens gewiß zur
Zeit der alten Juriſten) über das
Daſeyn der Rechtsverhältniſſe ſelbſt
geſchworen; im heutigen Recht
kann er nur die Thatſachen be-
treffen, woraus die Rechtsverhält-
niſſe entſpringen.
|0171 : 157|
§. 225. Vertheidigung. Einleitung. Duplex actio.
lichen Vertrags von der Acceptilation und Novation iſt
im heutigen Recht entſchieden verſchwunden.
Dagegen iſt der praktiſche Character der Vertheidigung
dritter Klaſſe von dem der beiden erſten Klaſſen nicht blos
hiſtoriſch, ſondern in ſeinem innern Weſen verſchieden.
Der durchgreifende Unterſchied aber beſteht darin, daß in
den Fällen der dritten Klaſſe zwey verſchiedene, ſelbſtſtän-
dige Rechte zu berückſichtigen ſind, deren jedes wieder
ſeine eigene Schickſale haben kann. So kann das jus in
re, welches eine Exception gegen die Vindication begrün-
dete, wieder verloren werden; die exceptio rei judicatae
gegen eine Schuldklage kann durch Vertrag entkräftet wer-
den (i). Wenn dagegen einer Vindication die Veräußerung
des Eigenthums, oder einer Schuldklage die Zahlung der
Schuld entgegengeſetzt wird, ſo kann die vernichtende Kraft
dieſer Rechtsgeſchäfte unmöglich durch ſpätere Ereigniſſe,
z. B. Verträge, geſchwächt worden ſeyn, da überhaupt
Nichts mehr vorhanden war, das einer ſpäteren Entwick-
lung empfänglich geweſen wäre. Es könnte in dieſen Fäl-
len höchſtens ein neues Eigenthum, oder eine neue Schuld-
forderung erworben werden, welche Rechte jedoch mit den
früheren gleichartigen Rechten des Klägers keinen inneren
Zuſammenhang haben würden (k). Es iſt wohl zu be-
(i) Für ſolche Fälle gilt der
Ausdruck der L. 95 § 2 de solut.
(46. 3) „incipit obligatio civi-
lis auxilium exceptionis amit-
tere.” — L 27 § 2 de pactis
(2. 14) „Pactus ne peteret, po-
stea convenit ut peteret: prius
pactum per posterius elide-
tur .... et ideo replicatione
exceptio elidetur.”
(k) L. 27 § 2 de pactis (2.
14.). … „Sed si pactum con-
|0172 : 158|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
merken, daß dieſer Unterſchied in dem inneren Weſen der
Rechtsverhältniſſe gegründet iſt, alſo keinen blos hiſtori-
ſchen Character hat. Zwar die Anwendung auf manche
einzelne Fälle kann durch poſitives Recht ſo oder anders
beſtimmt werden, wie Dieſes ſchon oben bemerkt worden
iſt; aber die Unmöglichkeit, etwas wahrhaft Vernichtetes
wieder zu Kräften zu bringen, hat keine hiſtoriſche Natur.
Dasjenige, was dieſen Schein an ſich trägt, und etwa
dafür ausgegeben wird, kann nur die Errichtung eines
ganz neuen Rechtsverhältniſſes ſeyn, wenngleich Daſſelbe
dem früheren durch Gegenſtand und Geldwerth ähnlich,
alſo für den praktiſchen Zweck des Verkehrs mit ihm gleich-
geltend ſeyn mag.
Die Art, wie die Roͤmer die hier dargeſtellten Gegen-
ſätze aufgefaßt und anerkannt haben, zeigt ſich am Deut-
lichſten in denjenigen Klagen, die eine formula in jus
concepta hatten. Die Intentio: fundum Agerii esse, oder
Numerium centum dare oportere, gieng auf das gegen-
wärtige Daſeyn des Rechtsverhältniſſes, enthielt alſo ſchon
unmittelbar die Beachtung der beiden erſten Klaſſen mög-
licher Vertheidigung. Der Zuſatz: nisi soluta pecunia sit
ventum tale fuit, quod actio-
nem quoque tolleret, velut in-
juriarum, non poterit postea
paciscendo ut agere possit,
agere: quia et prima actio
sublata est, et posterius pac-
tum ad actionem parandam
inefficax est: non enim ex
pacto injuriarum actio nasci-
tur, sed ex contumelia. Idem
dicemus et in b. f. contracti-
bus, si pactum conventum to-
tam obligationem sustulerit, ve-
luti empti: non enim ex novo
pacto prior obligatio resusci-
tatur, sed proficiet pactum ad
novum contractum.”
|0173 : 159|
§. 225. Vertheidigung Einleitung. Duplex actio.
wäre eine ganz müſſige Wiederholung geweſen, und kam
daher niemals vor, da man von dem Schuldner, welcher
gezahlt hat, unmöglich noch ſagen kann: eum dare opor-
tere; wenn ſich alſo der Judex überzeugte, daß die Schuld
bezahlt ſey, ſo war er durch die Worte: si non paret
(dari oportere) absolve ſchon unmittelbar zur Abſolution
angewieſen. Ganz anders, wenn der Beklagte das Daſeyn
des Eigenthums oder der Schuld dahin geſtellt ſeyn läßt,
und ſich blos auf ein ſchon geſprochenes rechtskräftiges Ur-
theil beruft. Dieſen Umſtand zu berückſichtigen, enthielten jene
Worte der Intentio durchaus keine Anweiſung, ſo daß da-
für durch den Zuſatz geſorgt werden mußte: si ea res ju-
dicata non sit. Daß bey manchen Klagen dieſer Zuſatz
durchaus in der Formel ausgedrückt ſeyn mußte, um beach-
tet werden zu können, bey anderen Klagen aber vom Rich-
ter ſupplirt werden durfte (l), ändert im Weſen jenes
Unterſchieds der Vertheidigungsmittel Nichts.
Weniger beſtimmt waren in dieſer Hinſicht die formu-
lae in factum conceptae. Auch bey ihnen wurde zuwei-
len der Ausdruck ſo gefaßt, daß er ſchon unmittelbar auf
die Beachtung der relativen Verneinung führte (m), zu-
weilen auch nicht (n). Es war aber hier die geringere
(l) Beylage XIII. Num. IV. Dar-
auf geht der Ausdruck: exceptio
inest actioni, d. h. ſie iſt ſo an-
zuſehen, als ob ſie in der Formel
ausgedrückt wäre. — Zimmern
Rechtsgeſchichte B. 3. § 98 will
Dieſes mit Unrecht als eine Eigen-
thümlichkeit der b. f. actiones be-
handeln, da es in der That auf
alle freye Klagen geht.
(m) Gajus IV. § 47 „… eam-
que dolo malo .. redditam non
esse” …
(n) Gajus IV. § 46; nach der
|0174 : 160|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Genauigkeit des Ausdrucks weniger bedenklich, weil
dieſe Formeln hauptſächlich bey allen prätoriſchen Klagen
gebraucht wurden, in welchen ohnehin der Richter ſehr
freye Macht hatte (o).
So fand alſo im älteren Römiſchen Prozeß der we-
ſentliche Unterſchied, den wir zwiſchen den beiden erſten
Arten der Vertheidigung und der dritten Art wahrgenom-
men haben, ſeinen beſtimmten und anſchaulichen Ausdruck
in der Faſſung der Formeln. Dieſes führt uns auf die
genauere Betrachtung der Exceptionen.
§. 226.
Exceptionen. Form. Geſchichte.
Zimmern Geſchichte des Römiſchen Privatrechts B. 3
(1829) § 91—98.
J. A. M. Albrecht die Exceptionen des gemeinen Civil-
prozeſſes München 1835.
Exceptio iſt der Römiſche Ausdruck für diejenige Art
der Vertheidigung eines Beklagten, welche auf der Be-
hauptung eines ſelbſtſtändigen Rechts deſſelben beruht.
Sie führt dieſen Namen, weil ſie darauf abzweckt, eine
Freyſprechung als Ausnahme zu bewirken, ſelbſt wenn das
wörtlichen Faſſung dieſer Formel
könnte man glauben, daß ſelbſt die
freywillige Zahlung der Strafe den
Freygelaſſenen nicht von der Ver-
urtheilung befreyt hätte, welches
doch gewiß nicht anzunehmen iſt.
(o) Beylage XIII. Num. VI.
Außer den prätoriſchen Klagen hat-
ten auch einige wenige Civilklagen
eine formula in factum coneepta,
dieſe aber waren b. f. actiones,
alſo gleichfalls Klagen mit freyer
Macht des urtheilenden Nichters.
Gajus IV. § 47.
|0175 : 161|
§. 226. Exceptionen. Form. Geſchichte.
vom Kläger behauptete Recht an ſich vorhanden ſeyn
ſollte. Daher wurde der Intentio und Condemnatio: Si
paret fundum Agerii esse, oder centum dari oportere …
condemna, die Ausnahme hinzugefügt: si ea res judicata
non sit. Es erklärt ſich hieraus der negative Ausdruck
aller Exceptionen im Verhältniß zu der poſitiven Anwei-
ſung der, unter Vorausſetzung der Wahrheit der Intentio,
auszuſprechenden Condemnatio (a); ferner die bey mehre-
ren alten Juriſten vorkommende Erklärung der Exceptio
als einer Bedingung der Condemnatio (b). Nämlich
ſchon die Intentio ſelbſt iſt eine Bedingung (Si paret); zu
(a) Gajus IV. § 119. „Omnes
autem exceptiones in contra-
rium concipiuntur quia (ejus
quod?) adfirmat is, cum quo
agitur .... ideo scilicet, quia
omnis exceptio objicitur qui-
dem a reo, sed ita formulae
inseritur, ut condicionalem fa-
ciat condemnationem, id est ne
aliter judex eum, cum quo agi-
tur, condemnet, quam si nihil
in ea re, qua de agitur, dolo
actoris factum sit” rel. — Vgl.
Zimmern S. 290. — Mit Un-
recht hat man die Allgemeinheit
dieſer negativen Faſſung bezwei-
feln wollen (Albrecht S. 21.)
wegen mancher poſitiv ausgedrück-
ten Stellen, z. B. L. 11 § 3 de
exc. rei jud. (44. 2.) „… ob-
staret exceptio, quod res judi-
cata sit inter me et te.” Solche
Stellen enthalten nur allgemeine
Angaben des Inhalts: in der For-
mel ſelbſt lautete die Faſſung ge-
wiß negativ. — Zimmern S. 298
hält die Exceptionsformel mit ex-
tra quam si für poſitiv; allein
extra quam si heißt genau ſo
viel als nisi, die eine Formel iſt
alſo völlig ſo negativ wie die
andere.
(b) L. 22 pr. de exc. (44. 1.).
„Exceptio est condicio, quae
modo eximit reum damnatio-
ne, modo minuit damnationem.”
— Gajus IV. § 119 (vgl. Note a.).
— Im Weſentlichen damit über-
einſtimmend iſt L. 2 pr. de exc.
(44. 1.). „Exceptio dicta est
quasi quaedam exclusio … ad
cludendum (excludendum? in-
tercludendum?) id, quod in in-
tentionem condemnationemve
deductum est. Daher heißt eine
Klage ohne Exception judicium
purum. Cicero de inventione
II. 20.
V. 11
|0176 : 162|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
dieſer Hauptbedingung aber tritt jetzt als Nebenbedingung
hinzu die Nichtexiſtenz der Exception, und Das iſt es, was
jene Juriſten ausdrücken wollen (c). Die Exception iſt
alſo allerdings eine Vertheidigung des Beklagten (d), aber
nicht jede Vertheidigung überhaupt darf ſo genannt wer-
den, ſondern nur eine einzelne Art derſelben (e). Der
Ausdruck wird im alten Recht niemals gebraucht, um die
abſolute, oder ſelbſt die relative Verneinung zu bezeichnen,
ſo daß die Ausdrücke exceptio solutionis, usucapionis
u. ſ. w. gewiß bey keinem alten Juriſten vorkommen (f).
(c) Mit Unrecht haben Manche
behauptet, die in den Noten a. und
b. mitgetheilten Definitionen ſeyen
ſo allgemein gefaßt, daß ſie auch
wohl auf die relativen Verneinun-
gen paßten, alſo den Ausdruck
solutionis exceptio rechtfertigen
könnten (Mühlenbruch § 137
not. 2.). Denn die drey ange-
führte Stellen erklären übereinſtim-
mend die Exception für eine Ein-
ſchränkung oder Bedingung des in
der Intentio und Condemnatio
ausgedrückten Gedankens, alſo für
etwas außer dieſem Gedanken
Liegendes, in ihm nicht ſchon Ent-
haltenes. Jede Verneinung aber,
ſowohl die abſolute als die rela-
tive, bezieht ſich unmittelbar auf
jenen Gedanken ſelbſt. Denn auch
wer die Zahlung einer Schuld be-
hauptet, will damit ſagen: se
dare non oportere, verneint alſo
die Intentio geradezu, und will
nicht condicionalem facere con-
demnationem.
(d) pr. J. de except. (4. 13.).
„Comparatae sunt autem ex-
ceptiones defendendorum eo-
rum gratia, cum quibus agi-
tur.” Eben ſo Gajus IV. § 116,
nur ſteht hier in der Handſchrift
reorum ſtatt eorum.
(e) So heißt es in L. 56 de
cond. ind. (12. 6.) „exceptionis
defensio,” welcher Ausdruck an-
deutet, daß es außer der Exception
auch noch andere Arten der de-
fensio gebe.
(f) Die verbale Form excipere
galt nicht eben ſo als eigenthüm-
licher Kunſtausdruck, ſo daß hier
der Sprachgebrauch weniger ſtreng
war. L. 18 § 2 de prob. (22. 3.)
„.. qui excepit se non respon-
disse.” In keinem Fall kann dieſe
Stelle dazu benutzt werden, die
von vielen Neueren behauptete Er-
weiterung des Ausdrucks auf die
relative Verneinung (wie die ex-
ceptio solutionis) zu rechtfertigen.
Denn in dieſer Stelle iſt ſogar
|0177 : 163|
§. 226. Exceptionen. Form. Geſchichte.
Da die Exceptionen Beſtandtheile der von dem Prä-
tor ausgehenden formula waren, ſo hatte der Beklagte
darum zu bitten, der Prätor ſie zu gewähren oder zu ver-
weigern (g). Ihre wörtliche Aufnahme in die Formel war
bey den ſtrengen Klagen nöthig, bey den freyen Klagen
zwar nicht nöthig, aber doch ſehr gewöhnlich, und ſie
wurde auch hier ſchwerlich verweigert, wenn der Beklagte
darum bat (§ 225.). Sie wurde aber, eben ſo wie die
actio, nur gegeben, wo eine Thatſache ſtreitig war, da
außerdem der Prätor gleich unmittelbar entſcheiden konnte,
ohne eines Judex zu bedürfen (h).
Der Ausdruck Praescriptio iſt im Juſtinianiſchen Recht
völlig gleichbedeutend mit Exceptio, ſo daß überall beide
Ausdrücke ohne Gefahr abwechſlend gebraucht werden kön-
nen (i). Erſt durch Gajus haben wir folgenden Urſprung
von einer abſoluten Verneinung
die Rede, und von dieſer behaup-
tet Niemand, daß ſie von den Rö-
mern exceptio genannt worden
ſey, oder von uns ſo genannt wer-
den dürfe.
(g) Darauf gehen die Ausdrücke:
exceptionem petere, postulare,
dare, addere, reddere, dene-
gare.
(h) L. 9 pr. de jurejur. (12.
2.). „.. posteaquam juratum
est, denegatur actio: aut, si
controversia erit, id est si am-
bigitur, an jusjurandum datum
sit, exceptioni locus est.” Die
Exception wird alſo nur angewen-
det, wenn die Thatſache beſtrit-
ten iſt.
(i) Dafür beweiſen die Rubri-
ken Dig. 44. 1 und Cod. 8. 36;
dann eine Stelle des Paulus, wor-
in für einen und denſelben Fall
abwechſlend praescriptio und ex-
ceptio geſagt wird. L. 12 de
div. temp. pr. (44. 3.); ferner
praescriptio peremtoria, dila-
toria in L. 8. 12 C. de except.
(8. 36.); doli, rei judicatae, in
factum praescriptio, wo ſonſt
faſt immer exceptio vorkommt.
L. 91 de solut. (46. 3.), L. 29
pr. de exc. rei jud. (44. 2.),
L. 23 de except. (44. 1.). — Um-
gekehrt: Exceptio longae pos-
sessionis in L. 5 § 1 de div.
11*
|0178 : 164|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
dieſes Sprachgebrauchs kennen gelernt (k). Im älteren
Prozeß wurden manche Einſchränkungen der Intentio und
Condemnatio (welche beide ſtets als ein zuſammenhängen-
des Ganze gedacht werden müſſen) vor die Intentio ge-
ſetzt, und erhielten von dieſer Stellung den natürlichen
Namen Praescriptio. Manche derſelben wurden im In-
tereſſe des Klägers, und auf deſſen Antrag, aufgenommen:
andere im Intereſſe und auf den Antrag des Beklagten.
Dieſe letzten waren nun wahre, eigentliche Exceptionen,
und es geſchah wohl blos zufällig, daß einige Exceptionen
auf dieſe Weiſe voran geſchrieben wurden, anſtatt daß die
meiſten von jeher hinter der Intentio ſtanden (l). Später-
hin wurde dieſe Einrichtung dahin abgeändert, daß nur
noch die vom Kläger veranlaßten Einſchränkungen voran
geſchrieben wurden, alle Exceptionen des Beklagten aber
an das Ende der Formel. Diejenigen unter ihnen, welche
von ihrer früheren Stellung den Namen Praescriptiones
temp. (44. 3.), und temporalis
exceptio in L. 30 C. de j. dot.
(5. 12.), anſtatt des hierin übli-
cheren praescriptio. Ja dieſe
umgekehrte Abwechslung konnte zu
allen Zeiten vorkommen, da der
Name Exceptio gar keine Bezie-
hung auf die Stelle in der For-
mel hat. So giebt in der That
Cicero de inv. II. 20 einer un-
zweifelhaften Praescriptio den Na-
men Exceptio, und dieſe Benen-
nung iſt gar nicht, wie Zimmern
S. 297 annimmt, für einen unei-
gentlichen Ausdruck zu halten. —
Noch mehrere Stellen finden ſich
bey Unterholzner Verjährungs-
lehre I. S. 10. 11.
(k) Gajus IV. § 130—137.
Zimmern § 96. 97, wo dieſer Ge-
genſtand gründlich, mitunter wohl
zu ſubtil, behandelt iſt.
(l) Ohne Zweifel auch hinter
der Condemnatio. Zimmern
S. 285 ſetzt die Exceptionen zwi-
ſchen die Intentio und Condem-
natio, welches wohl in vielen Fäl-
len einen unbehülflichen und un-
deutlichen Ausdruck veranlaßt hätte.
|0179 : 165|
§. 226. Exceptionen. Form. Geſchichte.
erhalten hatten, behielten denſelben, auch nachdem er auf-
gehört hatte paſſend zu ſeyn, dennoch bey, und ſo ge-
wöhnte man ſich daran, Praescriptio für einen mit Ex-
ceptio gleichbedeutenden Namen anzuſehen. Dieſer ver-
änderte Sprachgebrauch aber wurde noch ſehr befördert
durch den Untergang des ordo judiciorum, indem nun
keine formulae mehr geſchrieben wurden, in welchen man
verſchiedene Stellen hätte unterſcheiden können, auch die
früheren im Intereſſe des Klägers gemachten Einſchrän-
kungen völlig verſchwanden. Allerdings iſt bey den ein-
zelnen Exceptionen der eine oder der andere Name vor-
herrſchend, ſo daß die abweichende Bezeichnung nur als
ſeltene Ausnahme erſcheint (Note i.). Dieſes iſt ohne Zwei-
fel daraus zu erklären, daß z. B. die doli und rei judi-
catae exceptio ſtets am Ende der Formel ſtanden, anſtatt
daß die temporis und die fori praescriptio in früherer
Zeit voran geſchrieben wurden. — Bey den neueren Ju-
riſten freylich, und ſchon ſeit mehreren Jahrhunderten, hat
der Ausdruck Praescriptio, zur großen Verwirrung der
Rechtswiſſenſchaft, eine ganz andere Bedeutung angenom-
men, nämlich die der Verjährung, welche Veränderung
des Sprachgebrauchs jedoch an dieſer Stelle gar nicht zu
beachten iſt (l¹).
Die Exceptio, in der hier dargeſtellten Prozeßform,
kann erſt gebraucht worden ſeyn ſeit der Entſtehung des
ordo judiciorum, in den alten Legis actiones kam ſie
(l¹) Vgl. oben B. 4 § 178.
|0180 : 166|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
nicht vor (m). Es wäre ſogar möglich, daß ſie erſt län-
gere Zeit nach dem Anfang des Formularprozeſſes ihren
Urſprung gehabt hätte, obgleich es nicht wahrſcheinlich iſt,
daß man dieſe ſo zweckmäßige und nahe liegende Form
lange vernachläſſigt haben ſollte.
Mit dem Untergang des ordo judiciorum hörten auch
die Exceptionen in der angegebenen Prozeßform auf. Sie
waren nun nicht mehr ein Stück der vom Prätor abge-
faßten, an den Judex gerichteten, formula, ſondern ſie
wurden das, was ſie bey uns ſind, bloße Anträge des
Beklagten an den obrigkeitlichen Richter (n). Es iſt je-
doch irrig, wenn Manche annehmen, daß damit das innere
Weſen der alten Exceptionen verſchwunden, oder auch nur
weſentlich verändert worden wäre. Verſchwunden war
allerdings Dasjenige, was an den Exceptionen der frühe-
ren Zeit lediglich dem Prozeß angehört hatte, alſo na-
mentlich die verſchiedene Macht, welche in Beziehung auf
ſie der Judex, je nach den verſchiedenen Arten der Kla-
gen, gehabt hatte. Dagegen blieben ſie Das, was ſie
von jeher geweſen waren, Vertheidigungen des Beklagten,
(m) Gajus IV. § 108. „Alia
causa fuit olim legis actionum
… nec omnino ita, ut nunc,
usus erat illis temporibus ex-
ceptionum.”
(n) Jetzt waren alſo die oben
in der Note g. angeführten Aus-
drücke nicht mehr paſſend, und man
bezeichnete nun die Handlung des
Beklagten, welcher die Exception
geltend machte, durch: opponere
oder objicere exceptionem. Je-
doch war dieſer Ausdruck auch
ſchon früher, neben jenen anderen,
ſehr gewöhnlich, und das oppo-
nere hatte damals denſelben Sinn,
wie petere und postulare. Vgl.
Gajus IV. § 123. 124., 119 (vgl.
oben Note a.), und viele Stellen
der Digeſten.
|0181 : 167|
§. 226. Exceptionen. Form. Geſchichte.
auf ſelbſtſtändige Rechte deſſelben gegründet (§ 225.). Wenn
daher in den Juſtinianiſchen Rechtsbüchern die Lehre von
den Exceptionen großentheils mit den unveränderten Wor-
ten der alten Juriſten vorgetragen wird, ſo darf Dieſes
nicht, wie Manche wollen, als gedankenloſe und blos
ſcheinbare Aufrechthaltung eines untergegangenen Rechts-
inſtituts angeſehen werden. Es iſt daher auch nicht rich-
tig, dem Juſtinianiſchen Recht eine weſentliche Verände-
rung der Kunſtausdrücke in dieſer Lehre zuſchreiben zu
wollen. Selbſt wenn ein minder ſtrenger Sprachgebrauch
in Juſtinians eigenen Conſtitutionen erſchiene, würde Die-
ſes vielmehr aus der geſunkenen Kunſtſprache überhaupt,
als aus einer veränderten Rechtsanſicht über dieſen be-
ſonderen Gegenſtand, zu erklären ſeyn; es werden ſich aber
gewiß nur ſehr wenige Stellen finden, worin Juſtinian
von den Exceptionen oder Präſcriptionen anders redete,
als es auch ſchon von einem der alten Juriſten hätte ge-
ſchehen können (o).
Es kann endlich auch Das nicht zugegeben werden,
(o) Die L. 30 C. de j. dot.
(5. 12.) gebraucht allerdings den
Ausdruck temporalis exceptio in
ſolcher Ausdehnung, daß darunter
ſelbſt die Uſucapion mitbegriffen
wird, alſo ein Fall relativer Ver-
neinung, der völlig außer dem Ge-
biet der wahren Exceptionen liegt
(§ 225.). Vgl. oben B. 4 § 178. i.
Es geſchieht aber Dieſes in der
Verlegenheit, alle bey einer Dos
durch Zeit möglicherweiſe eintre-
tende Veränderungen in kurzen
Worten zuſammen zu faſſen, wo-
zu allerdings ein gemeinſamer ächter
Kunſtausdruck nicht vorhanden war;
die Abweichung von dem genauen
Sprachgebrauch iſt alſo hier Noth-
hülfe für ein einzelnes Bedürfniß,
nicht Kennzeichen einer veränderten
Natur der Exceptionen.
|0182 : 168|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
daß der Name Exceptio im Juſtinianiſchen Recht, nach-
dem ſeine eigentliche Bedeutung verſchwunden ſey, auf ge-
dankenloſe Weiſe beybehalten worden wäre, und ſchon
deshalb verworfen werden müßte. Allerdings war die un-
mittelbare Beziehung jenes Namens die auf die alten
Klagformeln, und dieſe war zu Juſtinians Zeit verſchwun-
den. Allein die Faſſung der Formeln war nicht zufällig,
vielmehr drückte ſie das innere Weſen der Rechtsverhält-
niſſe aus, und dieſes iſt unverändert geblieben. Noch jetzt
alſo bezeichnet Exceptio ſtets das Verhältniß einer Aus-
nahme von der aus der Klage eigentlich hervorgehenden
Verpflichtung, obgleich dieſe Ausnahme nicht mehr auf die
Anweiſung an einen Judex zur regelmäßigen Condemnation
ſich bezieht.
Dieſe Bemerkungen ſind aber nicht blos auf das Ju-
ſtinianiſche Recht anzuwenden, ſondern in gewiſſem Grade
ſelbſt auf deutſche Prozeßgeſetze. Nach einer ſehr verbrei-
teten Meynung nämlich ſoll, was auch der Inhalt des
neueſten Römiſchen Rechts ſeyn möge, wenigſtens der
Jüngſte Reichsabſchied (von 1654) für die Exceptionen
das Recht und den Sprachgebrauch gänzlich umgeändert
haben. Es gehören dahin folgende zwey Stellen:
§ 37 „was er dabey dilatorie oder peremptorie einzu-
wenden haben möchte.“
§ 38 „wann er verzügliche oder andere dergleichen Ex-
ceptiones vorzunehmen hätte.“
Das iſt unverkennbar, daß hier unter den Einwendun-
|0183 : 169|
§. 227. Exceptionen. Inhalt. Arten.
gen und Exceptiones alle möglichen Vertheidigungsmittel
des Beklagten zu verſtehen ſind, und daß daher den in
dieſem Geſetz enthaltenen Vorſchriften über das Verhalten
des Beklagten eine ſehr weite Ausdehnung gegeben werden
muß. Allein für die Behandlung des Gegenſtandes in
der Rechtstheorie iſt in dieſem Geſetz kein Gebot enthal-
ten. Mögen wir nun auch den deutſchen Ausdruck Ein-
rede einer ſehr freyen Behandlung preisgeben, ſo wollen
wir doch den aus dem Römiſchen Recht herſtammenden
Kunſtausdruck Exception auch ferner in ſeiner eigen-
thümlichen Bedeutung feſt halten. Dieſes iſt nicht blos
wichtig zur Abwehr der ſonſt unvermeidlichen Misver-
ſtändniſſe über den Sinn unſrer Rechtsquellen, ſondern
auch weil der dadurch bezeichnete Rechtsbegriff faſt nur
durch dieſes Mittel feſtgehalten werden kann; um ſo wich-
tiger, als unter den Prozeßſchriftſtellern der letzten Jahr-
hunderte eine ſolche Sprachverwirrung wahrzunehmen iſt,
daß man ſich doppelt freuen muß, wenigſtens in Einem
Kunſtausdruck von hiſtoriſch beſtimmter Bedeutung einen
feſten Anhaltspunkt zu finden.
§. 227.
Exceptionen. Inhalt. Arten.
Da der Inhalt der Exceptionen in einem ſelbſtſtändi-
gen Recht des Beklagten beſteht, hierin alſo dem Inhalt
der Klagen gleichartig iſt, ſo kommen bey ihnen ganz ähn-
liche Gegenſätze vor, wie bey den Klagen. Auch bey ihnen
|0184 : 170|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
wurde die Formel theils ſchon im Edict vorgefunden, theils
nach den Bedürfniſſen des einzelnen Falles vom Prätor
neu entworfen (a); dieſe letzten heißen dann in factum ex-
ceptiones (b), ähnlich den für einzelne Fälle erfundenen
Klagen (§ 217.). — Ferner entſpringen ſie, eben ſo wie
die Klagen, theils aus dem Civilrecht (lex und quod le-
gis vicem obtinet), theils aus dem prätoriſchen Recht (c). —
Endlich kommt auch bey ihnen der Fall vor, daß ſchon
bekannte, mit individuellen Namen bezeichnete Exceptionen
ſpäterhin auf neue Fälle ausgedehnt wurden, und auch
hier wird das Verhältniß einer ſolchen Erweiterung mit
(a) Gajus IV. § 118. „Excep-
tiones autem alias in edicto
Praetor habet propositas, alias
causa cognita accommodat.”
(b) Fragm. Vat. § 310 „ne-
que Cinciae legis exceptio ob-
stat, neque in factum: si non
donationis causa mancipavi vel
promisi me daturum.” — L. 4
§ 32 de doli exc. (44. 4.) ex-
ceptione in factum comparata
vel doli mali.” Vgl. L. 4 § 16
eod., L. 14. 23 de exc. (44. 1.),
und viele andere Stellen. — Dieſe
in factum exceptiones entſpre-
chen alſo ganz den improviſirten
in factum actiones (§ 217); es
würde jedoch unrichtig ſeyn, die
Ähnlichkeit ſo weit durchführen zu
wollen, als ob die übrigen Excep-
tionen in jus conceptae, alſo mit
einer juris civilis intentio verſe-
hen geweſen wären. Auch die
L. Cinciae exc. wurde gewiß ſo
gefaßt: nisi contra L. Cinciam
factum sit, hatte alſo eine that-
ſächliche Faſſung.
(c) Gajus IV. § 118 (unmittel-
telbar nach den in Note a abge-
druckten Worten): „Quae omnes
vel ex legibus, vel ex his quae
legis vicem obtinent, vel ex ju-
risdictione Praetoris proditae
sunt.” Eben ſo § 7 J. de exc.
(4. 13.). — Die Worte der L. 3
de exc. (44. 1.) „si quid contra
LL., Senatusve consultum fac-
tum esse dicetur” dürfen nicht
ſo verſtanden werden, als wenn
jemals eine wirkliche Exception ſo
ausgedrückt worden wäre; es iſt
blos die collective Bezeichnung der
exc. L. Cinciae, Sc. Macedonia-
ni u. ſ. w. Eben ſo bey Gajus IV.
§ 121.
|0185 : 171|
§. 227. Exceptionen. Inhalt. Arten.
dem Namen utilis exceptio bezeichnet (d), alſo auf gleiche
Weiſe wie bey den Klagen (§ 215).
Der den Inhalt der Exception beſtimmende Rechts-
grund hat ſeinen Sitz zuweilen in Regeln des Prozeſ-
ſes (e); häufiger aber, und mit wichtigerem Einfluß, in
materiellen Rechtsregeln. Die Exceptionen dieſer zweyten
Art haben eine den Obligationen ähnliche Natur, eben ſo
wie die Klagen (§ 205); der Beklagte fordert von dem
Kläger, daß er ſein Klagrecht nicht geltend mache. Daſ-
ſelbe materielle Recht kann, je nach dem zufälligen Be-
dürfniß, bald eine Klage, bald eine Exception veranlaſſen,
und es iſt über das Verhältniß, worin dieſe beide Geſtal-
ten der Rechtsverfolgung zu einander ſtehen, folgende Re-
gel zu bemerken. Wer ein Klagrecht hat, kann den Grund
deſſelben, wo er es bedarf, ſtets auch als Exception gel-
tend machen (f). Man kann aber nicht auch umgekehrt
ſagen, daß aus dem Daſeyn einer Exception ſtets auch
(d) L. 21 de praescr. verb.
(19. 5.). „Quotiens deficit actio
vel exceptio, utilis actio vel
exceptio est.” Der Ausdruck hat
jedoch hier lediglich den Sinn
einer Ausdehnung (§ 215), eine
Fiction kam bey den Exceptionen
gewiß nicht vor, die ja auch zu
ihrer ohnehin thatſächlichen Faſ-
ſung gar nicht gepaßt haben würde
(Note b.). — In den meiſten Stel-
len freylich heißt utilis exceptio
nicht eine ausgedehnte, ſondern
eine wirkſame, gültige Exception.
Vgl. L. 41 de minor. (4. 4.).
L. 19 § 5 ad Sc. Vell. (16. 1.),
L. 5 C. de usuris (4. 32.).
(e) Dahin gehört die exceptio
fori, procuratoria, cognitoria,
praejudicialis u. ſ. w. Vgl. Al-
brecht Exceptionen. S. 211.
(f) L. 1 § 4 de superf. (43.
18.) „cui damus actionem, ei-
dem et exceptionem competere
multo magis quis dixerit.” Die-
ſelbe Stelle ſteht nochmals in
L. 156 § 1 de R. J. (50. 17.).
|0186 : 172|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
der Anſpruch auf eine Klage von gleichem Inhalt und
Erfolg hervorgehe.
Der wichtigſte Fall der aus materiellen Rechtsregeln
entſpringenden Exceptionen bezieht ſich auf das Verhält-
niß der aequitas zum jus civile. Wo nämlich der Prä-
tor jene anerkannte, da verſchaffte er ihr das praktiſche
Übergewicht bald durch in factum actiones, bald durch
Exceptionen (g); in jenem Fall bewirkte er eine Condem-
nation, in dieſem verhinderte er dieſelbe, ohne eigentlich
ein Recht zu erſchaffen oder zu vernichten (h). Dieſen
wichtigſten unter allen Fällen der Exceptionen ſtellen Ga-
jus und die Inſtitutionen an die Spitze, um das Bedürf-
niß und die Wichtigkeit der Exceptionen in einer Reihe
von Beyſpielen anſchaulich zu machen (i). Es iſt aber ſo
wenig der einzige Fall, daß hinterher in beiden eben an-
geführten Rechtsquellen die allgemeine Überſicht über die
Entſtehungsgründe der Exceptionen gegeben wird, worin
jener Fall nur als einer unter mehreren erſcheint (k).
(g) L. 3 § 1 de pec. const.
(13. 5.). „Si quis autem consti-
tuerit, quod jure civili debebat,
jure praetorio non debebat, id
est per exceptionem” … Die
wichtigſten Exceptionen dieſer Art
ſind die doli und die pacti ex-
ceptio; zu demſelben Zweck dien-
ten aber auch in factum excep-
tiones (Note b.).
(h) Vgl. oben § 213. 216, und
B. 1 § 22.
(i) Gajus IV. § 116. 117, pr.
§ 1—5 J. de exc. (4. 13.).
(k) Vgl. oben Note c. — Daß
das Vorhergehende blos Beyſpiele
liefern ſollte, ſagt wörtlich § 6 J.
de exc. (4. 13.). „Haec exem-
pli causa retulisse sufficiet.” —
Hätten die allgemeinen Überſichten
(Note c.) voran geſtanden, ſo
würde in dieſer Hinſicht niemals
ein Misverſtändniß aufgekommen
ſeyn. In den Inſtitutionen übri-
gens iſt die Zahl der Beyſpiele
viel größer als bey Gajus, und
daher erſcheint der § 7 J. de exc.
(4. 13.) verſteckter, und kann leich-
|0187 : 173|
§. 227. Exceptionen. Inhalt. Arten.
Um dieſes Verhältniß der verſchiedenen Arten der Ex-
ceptionen zu den verſchiedenen Arten der Klagen, welches
in neueren Zeiten nicht ſelten verkannt worden iſt, auf er-
ſchöpfende Weiſe zu behandeln, will ich die möglichen
Combinationen in vollſtändiger Überſicht darſtellen. Es
läßt ſich denken, daß einer Civilklage eine civile oder prä-
toriſche Exception, und eben ſo einer prätoriſchen Klage
eine civile oder prätoriſche Exception, entgegen geſetzt
werde. Alle dieſe Combinationen aber ſind nicht blos
denkbar, ſondern ſie kommen auch in folgenden unzweifel-
haften Anwendungen wirklich vor.
I. Civilklage und Civilexception.
Condictio aus Darlehen oder Stipulation — exc.
Sc. Macedoniani und Vellejani, exc. Legis Plae-
toriae (l).
Rei vindicatio und eben ſo auch Condictio aus einer
Stipulation — exc. L. Cinciae (m).
II. Civilklage und prätoriſche Exception.
Condictio oder Rei vindicatio — exc. doli, pacti,
jurisjurandi, rei judicatae.
III. Prätoriſche Klagen und Civilexception.
Actio constitutoria und Actio hypothecaria — exc.
Sc. Vellejani (n).
Publiciana actio — exc. dominii(o).
ter überſehen werden, als Ga-
jus IV. § 118.
(l) Vgl. Zeitſchrift für geſchicht-
liche Rechtswiſſenſchaft B. 10 S. 248.
(m) Fragm. Vat. § 266. 310.
(n) L. 8 pr. L. 29 pr. ad Sc.
Vell. (16. 1.).
(o) L. 17 de public. (6. 2.).
|0188 : 174|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Actio de peculio — exc. Sc. Trebelliani(p).
Irgend eine prätoriſche Schuldklage — exc. Legis
Juliae in Folge einer cessio bonorum (q).
IV. Prätoriſche Klage und prätoriſche Exception.
Actio publiciana — exc. hypothecaria, jurisjurandi,
rei judicatae.
Actio doli oder quod metus causa — exc. in fac-
tum (q¹).
Manche wollen unter dieſen verſchiedenen Anwendun-
gen nur allein die zweyte (Civilklage und prätoriſche Ex-
ception) als die eigentliche und wahre Exception anſehen;
alle übrigen ſollen nur uneigentliche, nachahmungsweiſe
eingeführte Exceptionen ſeyn (r). Zu dieſer Behauptung
iſt jedoch durchaus kein Grund vorhanden, denn wenn
man die oben (Note c.) angeführte Stellen des Gajus und
der Inſtitutionen unbefangen betrachtet, ſo iſt es einleuch-
tend, daß die Ausbildung der Exceptionen von den alten
Juriſten ſelbſt als parallel gehend mit der Ausbildung der
Actionen aufgefaßt wurde, ſo daß wir nicht mehr Urſache
haben, die civilen Exceptionen, als die civilen Klagen für
(p) L. 1 § 8 quando de pec.
(15. 2.).
(q) § 4 J. de replic. (4. 14.),
vgl. L. 4 C. qui bonis (7. 71.).
(q¹) L. 14 § 13 quod metus
(4. 2.).
(r) Zimmern § 91, beſonders
S. 286. Albrecht § 5 und S. 32.
33. 42. 44. Wie ſich dieſe un-
richtige Anſicht bey neueren Pro-
zeßſchriftſtellern noch weiter aus-
gebildet hat, wird unten gezeigt
werden (§ 228.). — Albrecht
S. 8. 23 will ſogar den Namen
Exceptio nicht von einer, der
Condemnationsregel hinzugefügten,
Ausnahme erklären, ſondern von
dem Ausnahmeverhältniß, in wel-
ches ſich das prätoriſche Recht zu
dem Civilrecht ſtellte.
|0189 : 175|
§. 227. Exceptionen. Inhalt. Arten.
uneigentlich und nachgeahmt zu halten. Wie aber jene
unrichtige Meynung entſtanden iſt, darüber kann kein Zwei-
fel ſeyn; man hat nämlich denjenigen Fall der Anwen-
dung, welcher allerdings der häufigſte, und für die An-
wendung der wichtigſte war, willkührlich für den ur-
ſprünglich einzigen gehalten, zu welchem ſich alle übrigen
blos als uneigentliche Erweiterungen verhalten haben ſollen.
Folgende Eintheilungen der Exceptionen geben näheren
Aufſchluß über die verſchiedenen Beziehungen, in welchen
ſie vorkommen.
Manche derſelben ſind blos für eine gewiſſe Zeit, oder
für gewiſſe Umſtände wirkſam, ſo daß ſie die Klage nicht
mehr hindern, wenn die Zeit abgelaufen iſt, oder die Um-
ſtände verändert ſind; ſo z. B. die exceptio pacti in diem,
wenn vor Eintritt des Zahlungstags geklagt wird: die
fori exceptio, wenn die Klage vor einem unrichtigen Ge-
richt angeſtellt iſt, ſo wie überhaupt die auf bloße Pro-
zeßregeln gegründeten Exceptionen (Note e.). — Andere,
und zwar die meiſten, haben eine ſolche Beſchränkung nicht,
ſo daß ſie zu jeder Zeit und unter allen Umſtänden wir-
ken können. — Die erſten heißen dilatoriae oder temporales(s),
(s) Temporalis exceptio oder
praescriptio hat außer der im
Text angegebenen Bedeutung noch
eine andere, von jener völlig ver-
ſchiedene, nämlich die auf Klag-
verjährung gegründete. Hier
bezeichnet alſo der Ausdruck eine
ganz individuelle Exception, eben
ſo wie exc. doli, pacti u. ſ. w.,
und nicht ein Eintheilungsglied,
wie wenn er mit dilatoria gleich-
bedeutend genommen wird. Außer-
dem heißt auch einmal perpetua
exc. die unverjährbare Excep-
tion (L. 5 C. de exc. 8. 36.),
im Gegenſatz derſelben müßte tem-
poralis die verjährbare heißen,
und dieſe Kunſtausdrücke wären
|0190 : 176|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
die zweyten peremptoriae oder perpetuae (t). — Die Wir-
kung der dilatoriſchen Exceptionen war aber im alten
Prozeß ganz verſchieden, je nachdem ſie ſich auf den In-
halt der Intentio ſelbſt bezogen oder nicht. War z. B. die
exceptio pacti in diem vorgebracht, und überzeugte ſich
der Judex von ihrer Richtigkeit, ſo mußte er nun ganz
abſolviren, und die Forderung war für immer verloren;
war alſo der Kläger vorſichtig, ſo nahm er die Klage
vorläufig ganz zurück, und ließ es gar nicht zu einem ju-
dicium kommen (u). Anders bey denjenigen dilatoriſchen
Exceptionen, die keinen Bezug auf den Inhalt der Inten-
ganz in der Analogie der actio
perpetua und temporalis. Daß
ſie nicht herrſchend geworden ſind,
erklärt ſich wohl aus der Selten-
heit der verjährbaren Exceptionen.
(t) Gajus IV. § 120—125, L. 2
§ 4 L. 3 de exc. (44. 1.), § 8—10
J. de exc. (4. 13.). Die Pro-
zeßregeln, worauf ſich dilatoriſche
Exceptionen gründeten, nahmen nur
dann dieſe Geſtalt an, wenn ſie
vor dem Prätor geltend gemacht
wurden; kamen ſie erſt vor dem
Judex zur Sprache, ſo mußten ſie
zwar auch beachtet werden, ſie hie-
ßen aber nun nicht exceptiones,
ſondern translationes, oder trans-
lativae constitutiones. Die be-
ſtimmteſte Stelle hierüber iſt Ci-
cero de invent. II. 19. 20. Nach
anderen, unbeſtimmteren Stellen
könnte man glauben, die exceptio
dilatoria ſelbſt habe den Namen
translatio geführt. De invent. I. 8,
ad Herenn. I. 12, II. 12, Fortuna-
tian. und Sulp. Victor bey Ca-
perronner. Rhetores ant. p.
63. 284.
(u) Gajus IV. § 123. Vgl. Zim-
mern § 95. Nach der Allgemein-
heit, womit ſich Gajus ausdrückt,
könnte man glauben, Dieſes ſey
bey allen dilatoriſchen Exceptionen
der Fall geweſen, und auf die von
ihm angeführten Beyſpiele paßt
die Regel auch wirklich. Aber
wenn bey der fori praescriptio
anerkannt wurde, daß der magi-
stratus nicht competent ſey, ſo
hatte auch der Judex keine wirk-
liche Macht empfangen, er konnte
weder condemniren noch abſolviren,
und die Sache wurde nicht conſu-
mirt, weil ſie gar nicht in judi-
cium deducirt war. Bey der ex-
ceptio praejudicialis ſollte das
Urtheil aufgeſchoben, alſo für den
Augenblick weder condemnirt noch
abſolvirt werden.
|0191 : 177|
§. 227. Exceptionen. Inhalt. Arten.
tio hatten, wie z. B. die exceptio fori oder praejudicialis.
Wenn ſich bey dieſen der Judex überzeugte, daß ſie ge-
gründet ſeyen, ſo durfte er nicht abſolviren, ſondern er
mußte ſich des Urtheils für jetzt ganz enthalten, ſo daß
dann die Klage noch immer nicht verloren war (v). Die-
ſer Unterſchied fällt ſchon im Juſtinianiſchen Recht hin-
weg, indem die zuletzt erwähnte minder gefährliche Wir-
kung nun bey allen dilatoriſchen Exceptionen eintritt.
Es werden ferner unterſchieden personae und rei co-
haerentes exceptiones, je nachdem Derjenige allein, auf
welchen ſich die Exception urſprünglich bezog, ſie ge-
brauchen kann, oder auch Andere, die an ſeiner Stelle
verklagt werden, wie Erben, Käufer, Bürgen (w). Die
Natur der unbeſchränkten rei cohaerentes bildet die bey
weitem vorherrſchende Regel, die personae cohaerentes kom-
men nur in ſeltenen Ausnahmen vor (x). — Ein ähnlicher
(v) Vgl. die Entwicklung dieſes
Falles in Note u. Der Unterſchied
beider Arten der dilatoriſchen Ex-
ceptionen läßt ſich ſo ausdrücken,
daß die Anweiſung: si non pa-
ret absolve bey der einen Art
zur Anwendung kam, bey der an-
dern nicht. Dagegen der erſte
Theil der Anweiſung: Si paret
condemna wurde durch beide Ar-
ten gleichmäßig beſchränkt, und
darum gebührte auch beiden auf
gleiche Weiſe der Name Exceptio.
Daß z. B. die praejudicialis ex-
ceptio dieſen Namen wirklich führte,
kann nach Cicero de invent. II.
20, und L. 13. 16. 18 de exc.
(44. 1.) nicht bezweifelt werden.
Ganz willkührlich ſpricht Zim-
mern S. 302 der zweyten Klaſſe
der dilatoriſchen Exceptionen den
Namen Exceptio ab, indem er
den in der gegenwärtigen Note
dargeſtellten Unterſchied überſieht.
(w) L. 7 pr. § 1 de exc. (44. 1.).
— Noch etwas verſchieden davon
iſt es, wenn die Proculejaner von
der exc. L. Cinciae behaupteten,
es ſey dazu berechtigt „etiam qui-
vis, quasi popularis sit haec
exceptio (Fragm. Vat. § 266.),
alſo ſelbſt ohne Rückſicht auf ein
Succeſſionsverhältniß.
(x) Die Hauptanwendung iſt
V. 12
|0192 : 178|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Unterſchied, nur in weit beſchränkterer Art, kommt auch
vor bey der Verpflichtung des Klägers, ſich die Exception
gefallen zu laſſen, wenn nämlich dieſe aus einer widerrecht-
lichen Handlung des urſprünglichen Klagberechtigten ent-
ſprungen iſt. In dem wichtigſten Fall, der doli exceptio,
geht dieſe Verpflichtung auf den Erben und den Donatar
des Unredlichen über, nicht auf den Käufer (y), alſo noch
weniger auf jeden Dritten, der mit Jenem in gar keinem
Succeſſionsverhältniß ſteht. Anders iſt es bey der metus
exceptio, welche in rem gefaßt wird: si in ea re nihil
metus causa factum est, weshalb ſie nicht blos gegen den
Erben oder Käufer des Zwingenden, ſondern auch gegen
jeden Dritten, gebraucht werden kann (z). Wenn nun
bey anderen Exceptionen gelegentlich bemerkt wird, daß
ſie nicht blos gegen den urſprünglichen Kläger, ſondern
auch gegen jeden Succeſſor deſſelben ohne Unterſchied ge-
die bey dem ſogenannten benefi-
cium competentiae. L. 7 pr. de
exc. (44. 1.), L. 24. 25 de re
jud. (42. 1.), § 4 J. de repl.
(4. 14.). Dann auch bey der exc.
pacti, wenn der Vertrag blos auf
das Individuum beſchränkt iſt.
L. 21 § 5, L. 22—26, L. 32 de
pactis (2. 14.). Wenn daher ein-
mal bey der exc. rei venditae et
traditae das Gegentheil erwähnt
wird, ſo iſt Dieſes nicht etwas
Beſonderes, ſondern bloße Anwen-
dung der allgemeineren Regel. L. 3
pr. de exc. rei vend. (21. 3.).
So mußte man auch bey der doli
exceptio von Seiten des Beklag-
ten ſagen: in rem opponitur
exceptio L. 2 § 2 de doli exc.
(44. 4.).
(y) L. 4 § 27. 31 de doli exc.
(44. 4.). Es heißt alſo hier: ex-
primendum est … non in rem:
si in ea re dolo malo factum
est, sed sic: si in ea re nihil
dolo malo actoris factum est.”
L. 2 § 1 eod. Die Succeſſoren
ſind dann, unter der im Text an-
gegebenen Beſchränkung, mit ein-
geſchloſſen.
(z) L. 4 § 33 de doli exc.
(44. 4.).
|0193 : 179|
§. 228. Exceptionen. Abweichende Anſichten.
braucht werden können (aa), ſo iſt Dieſes nicht etwa der
Ausdruck einer eigenthümlichen Eigenſchaft dieſer beſonde-
ren Exceptionen, ſondern bloße Anwendung des gewöhn-
lichen, regelmäßigen Verhältniſſes, alſo blos Verneinung
der eigenthümlichen, bey der doli exceptio eintretenden Be-
ſchränkung.
§. 228.
Exceptionen. Abweichende Anſichten.
Von der hier vorgetragenen, rein Römiſchen, Lehre der
Exceptionen ſind ſchon die Juriſten des Mittelalters auf
mancherley Weiſe abgewichen. Vorzüglich machte ſich ſeit
ihrer Zeit eine neu erfundene Eintheilung geltend, in Ex-
ceptiones juris und faeti; jene ſollten ungefähr die wah-
ren Römiſchen Exceptionen ſeyn, dieſe die übrigen Ein-
wendungen, z. B. die der Zahlung (a). Allein weder über
die Gränzen beider Arten, noch über die praktiſche Be-
handlung derſelben konnte man ſich einigen, und ſo iſt ſeit
jener Zeit die Sprachverwirrung mit der Verwirrung in
den Begriffen und Rechtsregeln Hand in Hand gegan-
gen (b). In der Mitte des ſiebzehnten Jahrhunderts er-
ſchien in dem jüngſten Reichsabſchied eine neue Prozeß-
geſetzgebung für ganz Deutſchland, und das unzulängliche
(aa) L. 3 § 1 de exc. rei
vend. (21. 3.).
(a) Unter anderen Stellen der
Gloſſe iſt hierüber zu vergleichen
Gl. Intentionem. L. 2 pr. de
exc. (44. 1.).
(b) Sehr reichhaltige literariſche
Nachweiſungen enthält Albrecht
§ 23 fg.
12*
|0194 : 180|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Beſtreben der Schriftſteller, den Inhalt derſelben mit der
bisherigen Theorie zu verarbeiten, mußte jene Verwirrung
noch erhöhen.
In der neueſten Zeit hat ſich ein kritiſches Quellenſtu-
dium auch dieſem Theil der Rechtswiſſenſchaft mit man-
chem guten Erfolg zugewendet. Anſtatt aber daß in an-
deren Lehren das hiſtoriſche Element der Rechtsinſtitute
häufig überſehen, und dadurch Demjenigen, welches nur
ein hiſtoriſches Daſeyn hatte, eine allgemeine Bedeutung
fälſchlich beygelegt worden iſt, ſcheint man ſich hier von
dem entgegengeſetzten Fehler nicht ganz frey gehalten zu
haben. Der wahrhaft allgemeine bleibende Kern des hi-
ſtoriſch gebildeten Rechtsinſtituts iſt überſehen, und als
eine vorübergehende, längſt verſchwundene Erſcheinung mit
Unrecht behandelt worden (c).
Die Grundlage dieſer einſeitigen Auffaſſung iſt ſchon
oben (§ 227) angegeben und beſtritten worden. Sie beſteht
darin, daß die prätoriſchen Exceptionen gegen Civilklagen
die einzigen wahren Exceptionen geweſen ſeyen. Dieſe
Behauptung aber hat man auf folgende Weiſe an die
frühere und an die ſpätere Zeit des Römiſchen Rechts an-
zuknüpfen verſucht.
Ehe der Prätor, durch ſeine Exceptionen, der aequitas
einen mildernden Einfluß auf den ſtrengen Buchſtaben des
(c) Am vollſtändigſten iſt die
Anſicht, womit ich mich hier be-
ſchäftige, in dem oben (zu § 226)
angegebenen Werk von Albrecht
ausgebildet worden. Der Keim
dazu findet ſich in: Bayer Vor-
träge über den Civilprozeß 4te
Auflage 1834. S. 250 fg.
|0195 : 181|
§. 228. Exceptionen. Abweichende Anſichten.
alten Civilrechts verſchaffte, ſoll ein ſolcher Einfluß gar
nicht vorhanden geweſen ſeyn (d). Um Dieſes annehmen
zu können, muß man den Zuſtand der Römiſchen Nation,
viele Jahrhunderte hindurch, entweder höher oder niedri-
ger ſtellen, als es irgend mit hiſtoriſcher Wahrſcheinlich-
keit verträglich iſt. Höher, wenn man annehmen wollte,
daß ſo lange Zeit in Rom faſt gar kein unredlicher Eigen-
nutz erſchienen wäre, der das Bedürfniß eines ſolchen
Schutzes fühlbar gemacht hätte, wie er ſpäterhin durch
die doli exceptio und ähnliche Rechtsmittel gewährt wurde.
Niedriger, wenn man annimmt, ſolche Unredlichkeit wäre,
ſo wie in unſren Tagen, vorhanden geweſen, die ehrlichen
Leute aber, mit Inbegriff der Obrigkeiten, hätten ſie ent-
weder nicht bemerkt, oder hätten keinen Rath gewußt, um
ſich und Andere dagegen zu ſchützen, bis endlich ein Prä-
tor auf die Erfindung der Exceptionen gekommen wäre. —
Das Wahre aber iſt wohl Dieſes, daß eine Anerkennung
der aequitas, und ein Schutz für dieſelbe, zu allen Zeiten,
auch neben den alten Legis actiones, beſtand (e). Das
Neue alſo, welches hierin dem Prätor zugeſchrieben wer-
den muß, beſteht in zwey Stücken. Erſtlich in der, für
(d) Albrecht S. 3. 4. 5.
(e) Wir wiſſen freylich über
den Prozeß zur Zeit der Legis
actiones nicht viel mehr, als was
wir neuerlich durch Gajus gelernt
haben, und auch Das iſt wenig
genug. Doch hat ſich zufällig bey
Plautus eine Spur erhalten, nach
welcher damals für die Zwecke, zu
welchen ſpäter die doli exceptio
diente, durch erzwungene Sponſio-
nen geſorgt worden iſt, alſo durch
die Rechtsform, die von jeher bey
den Römern ſo verbreitet, und für
die verſchiedenſten Zwecke gebräuch-
lich war. Vgl. Zeitſchrift für ge-
ſchichtliche Rechtswiſſenſchaft B. 10
S. 248.
|0196 : 182|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
jenen Zweck ſehr bequemen und angemeſſenen, Prozeßform
der Exceptionen, die freylich erſt ſeit der Einführung der
formulae möglich war (§ 226. m). Zweytens in der voll-
ſtändigeren, befriedigenderen materiellen Ausbildung der
auf die aequitas bezüglichen Rechtsregeln, wodurch das
Edict, und ſpäter die Arbeit der Juriſten, für dieſen wie
für andere Theile des Rechts wohlthätig wurde.
An die ſpätere Zeit des Römiſchen Rechts aber wird
jene Lehre in folgender Weiſe angeknüpft (f). Die Excep-
tionen in jener eigenthümlichen Natur erhielten ſich nur
kurze Zeit. Schon als man anfieng, das prätoriſche Recht
als ein eigentliches jus anzuſehen, hatte ſich ihr Weſen
verändert; mit dem ordo judiciorum giengen ſie völlig
unter, und jetzt war zwiſchen ihnen und den Civileinreden,
z. B. der Zahlung, durchaus kein Unterſchied mehr übrig.
Wenn in den Juſtinianiſchen Rechtsbüchern von den Ex-
ceptionen in alter Weiſe geredet wird, ſo iſt dieſes leerer
Schein, zu erklären aus der Art, wie jene Bücher ent-
ſtanden ſind; man behielt die Ausdrücke der älteren Zeit
bey, während die Begriffe ſelbſt verſchwunden waren.
Wenn nun auch dieſe Anſichten in ſo vollſtändiger
Ausbildung nur ſelten gefunden werden, ſo ſcheinen doch
die Meiſten darin völlig einverſtanden, daß der Römiſche
Begriff der Exceptionen für unſer heutiges Recht ganz
unbrauchbar geworden ſey, und durch einen anderen, ſehr
(f) Albrecht S. 52. 72. 82 fg. 108 fg.
|0197 : 183|
§. 228. Exceptionen. Abweichende Anſichten.
erweiterten Begriff erſetzt werden müſſe (g). Allein auf
dieſen negativen Satz beſchränkt ſich die Übereinſtimmung,
denn über den poſitiven Begriff ſelbſt, welchen wir an
die Stelle zu ſetzen haben, herrſcht fortwährend die größte
Verſchiedenheit, und dieſe Verwirrung iſt einer feſten Aus-
bildung des Prozeßrechtes in hohem Grade hinderlich. So
wird namentlich von Manchen unter Exception diejenige
Einwendung verſtanden, die auf einer Veränderung des
urſprünglichen Rechtsverhältniſſes beruht, jede andere ſoll
eine negative Einlaſſung ſeyn (h). Von Anderen jede Ein-
wendung, die der Beklagte zu beweiſen hat, wohin alſo
auch abſolute und relative Verneinungen (Wahnſinn eines
Contrahenten, Zahlung) gehören, und welcher Begriff da-
her noch umfaſſender iſt als jener (i).
Vielleicht können folgende Bemerkungen dazu dienen,
eine Verſtändigung in dieſer Lehre zu befördern. Zwey
Stücke ſind mir für die Theorie des Römiſchen Rechts,
alſo für das Intereſſe des vorliegenden Werks, von Wich-
tigkeit: die im § 225 verſuchte Feſtſtellung der verſchiedenen
Arten möglicher Vertheidigung, und die fortwährende An-
erkennung der Römiſchen Exceptiones, ohne Veränderung
(g) Mühlenbruch I. § 137,
Thibaut § 73, Mackeldey § 200.
b., Linde in Linde’s Zeitſchrift
B. 1 S. 148 fg. — Der hier von
mir aufgeſtellten Anſicht kommt
unter den neueren Schriftſtellern
am nächſten Kierulff Theorie I.
S. 175 fg.
(h) Bayer Civilprozeß S. 256.
Nach ihm werden wahre Exceptio-
nen begründet durch die Verjährung,
Zahlung, Novation, aber nicht
durch das Sc. Macedonianum
und Vellejanum.
(i) Albrecht § 38, beſonders
S. 190. 205. 206.
|0198 : 184|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
des Römiſchen Sprachgebrauchs. — Bey dem erſten Stück
kommt es vor Allem darauf an, ob jene Feſtſtellung rich-
tig iſt. Iſt ſie es nicht, ſo muß ſie berichtigt werden;
wird ſie aber als richtig anerkannt, ſo iſt nur in ihr
eine feſte Grundlage für die ganze vorliegende Unterſu-
chung zu finden, und dieſe Grundlage iſt für die Theorie
des Römiſchen Rechts, ſo wie für den heutigen Civilpro-
zeß, gleich wichtig und unentbehrlich. Hierin alſo iſt das
Bedürfniß völlig gemeinſchaftlich, und von einem Wider-
ſtreit wegen der eigenthümlichen Intereſſen der beiden wiſ-
ſenſchaftlichen Gebiete kann nicht die Rede ſeyn. — Was
aber das zweyte Stück, nämlich die ſtrenge Feſthaltung
des Römiſchen Begriffs der Exceptiones, mit dieſem ihrem
Namen, betrifft, ſo iſt dieſelbe für die Theorie des Römi-
ſchen Rechts eben ſo unentbehrlich, wie die Feſthaltung
des Römiſchen Actionenſyſtems und der darauf bezüglichen
Kunſtausdrücke (§ 224). Der Grund liegt darin, daß
wenn wir jenes und dieſes aufgeben, eine wahrhafte Ein-
ſicht in das Syſtem der Römiſchen Rechtsbegriffe und
Rechtsregeln eben ſo wenig möglich iſt, als das Verſtänd-
niß der Quellen. Ja das Feſthalten der Exceptionen hat
ſogar darin noch mehr Grund, als das der Actionen und
Condictionen, daß dieſe letzten weniger mit dem inneren
und bleibenden Weſen der Rechtsbegriffe ſelbſt zuſammen-
hängen, als die Exceptionen. Bey dieſem Feſthalten der
Römiſchen Exceptionen nun hat freylich die Theorie des
heutigen Civilprozeſſes kein Intereſſe; es iſt aber auch ganz
|0199 : 185|
§. 228. Exceptionen. Abweichende Anſichten.
unrichtig, wenn Manche glauben, dieſe Theorie habe hierin
ein entgegengeſetztes Intereſſe, und es ſey gerade um ihret-
willen nöthig, den Römiſchen Begriff der Exceptionen
gänzlich aufzugeben. Da dieſer Punkt von Erheblichkeit
iſt, ſo muß derſelbe noch genauer ausgeführt werden.
Es iſt keinesweges meine Meynung, daß die Römiſche
Lehre von den Exceptionen einen unmittelbaren Einfluß
auf das heutige Prozeßrecht haben ſoll, deſſen Selbſtſtän-
digkeit alſo durch jene Lehre gefährdet werden möchte.
Wie unabhängig Beides von einander iſt, läßt ſich jedoch
nur durch eine Überſicht der einzelnen Inſtitute des Pro-
zeſſes nachweiſen, mit welchen die Exceptionen in Berüh-
rung kommen.
Eine der wichtigſten Fragen betrifft die Beweislaſt.
Niemand zweifelt, daß der Grund der Exceptionen vom
Beklagten bewieſen werden muß (k), welches eben die
Hauptbedeutung der Regel iſt: reus in exceptione actor
est (l). Dabey kommen noch dieſelben Einſchränkungen
vor, die auch für die Beweislaſt des Klägers gelten; wenn
nämlich der Kläger den Grund der Exception im Allge-
meinen zugiebt, denſelben aber durch die Behauptung be-
ſonderer Bedingungen zu entkräften verſucht, ſo muß die
Wahrheit dieſer Behauptung vom Kläger bewieſen wer-
den (m). — Dagegen behauptet Niemand, daß dieſe Be-
(k) L. 19 pr. L. 9 de prob.
(22. 3.), L. 25 § 2 eod. (Note n).
(l) L. 1 de exc. (44. 1.). L. 19
pr. de prob. (22. 3.).
(m) L. 9 de prob. (22. 3.).
|0200 : 186|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
weislaſt den Beklagten nur allein im Fall der Römiſchen
Exceptionen treffe; vielmehr ſind Alle darüber einig, daß
derſelbe auch bey jeder relativen Verneinung, z. B. bey der
behaupteten Zahlung, beweiſen muß (n). — In der Be-
weislaſt alſo iſt das heutige Recht von dem Römiſchen
nicht abweichend. Die wichtigſten praktiſchen Fragen, die
dabey vorkommen, ſind auch unbeſtritten; und wo im Ein-
zelnen ein ſolcher Streit vorkommt, iſt er wenigſtens ganz
unabhängig von der Ausdehnung, die man dem Begriff
der Exceptionen geben mag. Demnach liegt in der Lehre
von der Beweislaſt durchaus kein Grund, den Begriff der
Exceptionen anders zu beſtimmen, als wir ihn im Römi-
ſchen Recht beſtimmt finden.
Von manchen Einwendungen des Beklagten wird be-
hauptet, daß ſie vor dem Anfang des Prozeſſes beſeitigt
werden müßten (litis ingressum impedientes), alſo Veran-
laſſung zu einem Vorprozeß vor dem übrigen Rechtsſtreit
geben könnten. — Dem Römiſchen Recht iſt dieſes Ver-
fahren, und die darauf gegründete Auszeichnung mancher
Exceptionen, fremd. Waren die entſcheidenden Thatſachen
unbeſtritten, ſo wurde ſtets vom Prätor die Sache unmit-
telbar erledigt, waren ſie beſtritten, ſo daß Beweiſe ge-
führt werden mußten, ſo wurde ſtets ein Judex gegeben
(n) L. 12 L. 25 § 2 de prob.
(22. 3.) „… secundum genera-
lem regulam, quae eos, qui
opponendas esse exceptiones
adfirmant, vel solvisse debita
contendunt, haec ostendere exi-
git.” Hier iſt die Verſchiedenheit
beider Arten der Einwendung durch
den disjunctiven Ausdruck deutlich
anerkannt.
|0201 : 187|
§. 228. Exceptionen. Abweichende Anſichten.
(§ 226. h.), ohne daß dabey die Natur jener Thatſachen
einen Unterſchied machte. Wie viel oder wie wenig alſo
an jener Behauptung auch wahr ſeyn mag, ſo hat we-
nigſtens die Erhaltung oder Verwerfung des Römiſchen
Exceptionenbegriffs darauf nicht den geringſten Einfluß.
Die Exceptionen ſollen in der Regel gleich bey der
Litisconteſtation vorgebracht werden, manche ſollen auch
ſpäter, ja ſelbſt bis zur Exſecution zuläſſig ſeyn. — Hierin
nun weicht das heutige Recht ſehr von dem Römiſchen ab.
Im Römiſchen Prozeß ſollte bey den freyen Klagen der
Judex alle Exceptionen beachten, auch die nicht ſchon vor
dem Prätor, alſo bis zur Zeit der Litisconteſtation, vor-
gebracht waren. Bey den ſtrengen Klagen ſollten ſie zwar
nur gelten, wenn ſie in der Formel ſtanden, alſo ſchon
vor dem Prätor vorgebracht waren; aber auch wenn dieſes
überſehen worden war, wurde gegen eine ſolche Verſäumniß
leicht Reſtitution ertheilt (o). Die relative Verneinung
dagegen durfte bey allen Klagen vor dem Judex vorge-
bracht werden, auch wenn davon vor dem Prätor noch
gar nicht die Rede geweſen war. — Hierin nun hat der
heutige Prozeß andere und ſtrengere Regeln, die aber ent-
ſchieden nicht auf den Fall der Römiſchen Exceptionen
beſchränkt ſind. Die weitere oder engere Faſſung des Be-
griffs der Exceptionen hat alſo auf dieſes veränderte Pro-
zeßrecht wiederum keinen Einfluß.
(o) Gajus IV. § 125, L. 2 C. sent. rescindi (7. 50.), L. 8 C.
de except. (8. 36.).
|0202 : 188|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Es iſt ſtreitig, inwiefern Exceptionen, die der Beklagte
nicht vorgebracht hat, officio judicis ſupplirt werden dür-
fen. — Bey den Römern bezeichnet officium judicis Das-
jenige, was der Judex nach freyem Ermeſſen thun durfte
und ſollte, außer den Gränzen der ihm vom Prätor er-
theilten wörtlichen Vorſchrift. Hier nun iſt es gewiß, daß
er bey freyen Klagen alle Exceptionen zu beachten hatte,
bey ſtrengen Klagen nur die in der Formel ausgedrückten.
— Die Neueren verſtehen unter jenem Ausdruck Dasjenige,
was der Richter aus eignem Antrieb thut, ohne den An-
trag einer Partey. In dieſer Beziehung nun müſſen wir
für das mündliche Verfahren im Römiſchen Prozeß eine
große Freyheit annehmen, ſo daß ohne Zweifel der Prätor
und der Judex den Parteyen abfragen konnten, was ihnen
gut dünkte. Wir haben in unſrem ſchriftlichen Prozeß
ſtrengere Regeln, es wird aber von manchen Exceptionen
behauptet, daß der Richter ſie ſuppliren dürfe (p). Auch
hier muß ich behaupten, daß, wie viel oder wie wenig
man dem Richter einräumen möge, Dieſes von der Aus-
dehnung des Exceptionenbegriffs völlig unabhängig iſt.
Erwägt man dieſe Umſtände, ſo möchte es wohl das
Gerathenſte ſeyn, in der Theorie des Römiſchen Rechts
(p) Albrecht S. 130 nimmt
an, dieſe Frage ſey unpraktiſch,
weil doch der Richter Nichts aus
ſeiner Privatkenntniß benutzen dürfe,
der Kläger aber ſich hüten werde,
die Thatſachen zu berühren, die
eine Exception begründen könnten.
Allein die Exception der Klagver-
jährung wird durch bloße Rechnung
begründet, die exc. Sc. Vellejani
durch die perſönliche Bezeichnung der
verklagten Bürgin, deren Geſchlecht
ja von dem Kläger nicht verheim-
licht werden kann.
|0203 : 189|
§. 229. Replicationen, Duplicationen.
von den Exceptionen gerade ſo zu ſprechen, wie es dem
Sprachgebrauch unſrer Quellen angemeſſen iſt; in der Pro-
zeßtheorie aber den Namen der Exceptionen, in anderem
als dem Römiſchen Sinn, ganz zu vermeiden, und dafür
die völlig ausreichenden deutſchen Ausdrücke: Einrede
oder Einwendung zu gebrauchen. Das dringendſte Be-
dürfniß für die Prozeßlehre beſteht darin, daß man über
die Rechtsregeln zum Einverſtändniß gelange. Bis man
ſich dieſem wünſchenswerthen Ziel genähert haben wird,
iſt es beſſer, feſte Kunſtausdrücke ſo viel als möglich zu
vermeiden. Denn dieſe ſind, nach ihrer natürlichen Be-
ſtimmung, Kennzeichen für die Klarheit der eigenen Be-
griffe und für das Einverſtändniß mit Anderen. Wo aber
dieſe beiden Zuſtände noch nicht eingetreten ſind, wird durch
die Anwendung ſolcher Kunſtausdrücke nur der Mangel
verdeckt, und die Abhälfe verzögert. Beſonders aber ſind
die willkührlich erfundenen Kunſtausdrücke Exceptio juris
und facti zu meiden, die durch einen falſchen Schein von
Quellenmäßigkeit täuſchen, und daneben ſchon ſeit langer
Zeit die Verwirrung der Begriffe erhalten und vermehrt
haben.
§ 229.
Replicationen, Duplicationen u. ſ. w.
Das Parteyenverhältniß, welches bisher in der Klage,
und in der Vertheidigung des Beklagten dargeſtellt wurde,
iſt nun noch weiterer Entwicklungen empfänglich.
|0204 : 190|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Wenn die Vertheidigung in einer Exception beſteht,
alſo eine, der Klage ähnliche, ſelbſtſtändige Natur hat,
ſo ſind dagegen dieſelben Vertheidigungen des Klägers
denkbar, wie die, welche oben für den Beklagten nachge-
wieſen worden ſind (§ 225). Es kann nämlich der Kläger
das in der Exception behauptete Recht entweder abſolut
verneinen, oder für ſpäter vernichtet ausgeben (relative
Verneinung), oder endlich durch ein ſelbſtſtändiges eigenes
Recht entkräften.
Dieſe letzte Art der Vertheidigung führt den Namen
Replicatio, und ſie wird geradezu als eine exceptionis
exceptio erklärt (a), welches nicht etwa als eine Erläu-
terung durch bloße Ähnlichkeit, ſondern ganz buchſtäblich
zu verſtehen iſt. Denn auch die Replication ſoll lediglich
eine Ausnahme bewirken von der durch die Exception re-
gelmäßigerweiſe bewirkten Losſprechung des Beklagten.
Auch in der Faſſung der Römiſchen Formeln wird dieſes
Verhältniß ſichtbar. Denn nachdem der Prätor den Ju-
dex angewieſen hatte, unter Vorausſetzung der Intentio zu
condemniren, beſchränkte er zuerſt dieſe Vorſchrift durch
die Ausnahme, unter Vorausſetzung der Wahrheit der
Exceptio dennoch zu abſolviren. Dieſe letzte Anweiſung
aber erhielt abermals eine Ausnahme für den Fall, daß
(a) L. 2 § 1 de exc. (44. 1.)
„Replicationes nihil aliud sunt,
quam exceptiones, et a parte
actoris veniunt” … L. 22 eod.
„Replicatio est contraria ex-
ceptio, quasi exceptionis ex-
ceptio.” — Vgl. überhaupt Ga-
jus IV. § 126—129, tit. Inst, de
replic. 4. 14.
|0205 : 191|
§. 229. Replicationen, Duplicationen.
daneben auch noch die in der Replicatio ausgedrückte That-
ſache wahr ſeyn ſollte, für welchen Fall alſo dennoch die
Condemnation vorgeſchrieben wurde.
Dieſes Verhältniß wurde in den Formeln durch die
Worte: aut si eingeleitet, und in folgender Weiſe ausge-
drückt. Wenn z. B. ein Grundſtück vindicirt wurde, und
der Beklagte die Exception eines Pachtcontracts entgegen-
ſetzte, ſo konnte der Kläger repliciren, der Beklagte habe
ihn durch Betrug zu dieſem Contract verleitet, welcher
daher nicht bindend ſey. Si paret, fundum de quo agitur
Agerii esse, judex Negidium condemna, si ab Agerio is
fundus locatus Negidio non sit, aut si dolo Negidii fa-
ctum sit, quo magis locaretur. Das heißt: die Condem-
nation ſoll nur erfolgen, wenn der behauptete Pachtcon-
tract nicht wahr, oder wenn derſelbe zwar wahr,
aber durch Betrug bewirkt worden iſt (b).
Die Replicationen, eben ſo wie die Exceptionen, waren
bald aus dem Civilrecht abgeleitet (c), bald aus dem prä-
toriſchen Recht (d).
(b) Vgl. das letzte Beyſpiel bey
Gajus IV. § 126, ferner L. 48 de
proc. (3. 3.), L. 32 § 2 ad Sc.
Vell. (16. 1.), L. 154 de R. J.
(50. 17.). — Wenn in manchen
Stellen eine negative Faſſung vor-
kommt, wie z. B. in L. 24 de re
jud. (44. 1.) „at si res judicata
non sit,” ſo iſt das blos die er-
zählende Angabe des Inhalts einer
ſolchen Replication, nicht der Aus-
druck, wie ihn der Prätor ſelbſt in
die Formel einfügte, gerade ſo wie
es oben von manchen Stellen über
einzelne Exeptionen bemerkt worden
iſt (§ 226. a). — Sehr befriedi-
gend iſt dieſer Punkt behandelt von
Keller Litisconteſtation S. 339.
340.
(c) Mandati replicatio in L. 48
de proc. (3. 3), Scti Vellejani
in L. 32 § 2 ad Sc. Vell. (16. 1.).
(d) Doli replicatio in L. 154
|0206 : 192|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Daſſelbe Verhältniß nun kann ſich nach der andern
Seite hin wiederholen, und dieſe Wiederholung läßt ſich
in Gedanken ohne Ende fortſetzen. Fragt man nämlich,
wie ſich der Beklagte gegen eine Replication vertheidigen
kann, ſo iſt die Antwort immer wieder dieſelbe. Er kann
abſolut oder relativ verneinen, oder ein neues ſelbſtſtändi-
ges Recht entgegenſetzen. Dieſe letzte Art der Vertheidi-
gung wird von Gajus und den Inſtitutionen Duplicatio
genannt, darauf folgt von der andern Seite die Triplica-
tio, und ſo ins Unendliche fort (e). Gajus verſichert, im
wirklichen Leben komme dieſe Verwicklung noch weiter als
bis zur Triplicatio vor (f). Indeſſen ſind ſchon ächte Re-
plicationen nicht häufig, Duplicationen gewiß ſehr ſelten,
und Triplicationen, oder gar Quadruplicationen, möchten
wohl nie vorkommen.
Der eben angeführte Sprachgebrauch war bey den
Römern nicht allgemein anerkannt. Er beruhte offenbar
darauf, daß die Klage und die Exception, als die Grund-
lagen jedes Rechtsſtreits, ſtillſchweigend vorausgeſetzt, und
de R. J. (50. 17.), pacti bey
Gajus IV. § 126.
(e) Gajus IV. § 127 — 129,
§ 1. 2 J. de repl. (4. 14.). Der-
ſelbe Sprachgebrauch kommt vor
bey einem ungenannten Juriſten
in Fragm. Vat. § 259. Es wa-
ren res mancipi geſchenkt und
nicht mancipirt worden, dieſe ſoll-
ten nicht uſucapirt werden. Wenn
nun die Erben des donator jene
Sachen vindicirten, und der Be-
ſchenkte die Exception aus der
Schenkung entgegenſetzte, ſo wurde
dieſe durch die replicatio L. Cin-
ciae entkräftet. Weil aber der
donator ohne Widerruf geſtorben
war, ſo wurde wieder jene Repli-
cation durch die doli duplicatio
beſeitigt, die hier ausdrücklich ge-
nannt iſt.
(f) Gajus IV. § 129. Eben
ſo Ulpian in L. 2 § 3 de exc.
(44. 1.).
|0207 : 193|
§. 229. Replicationen, Duplicationen.
erſt die folgenden Reden und Gegenreden mit Zahlen be-
zeichnet wurden. Dann war das erſte Stück die Repli-
catio, das zweyte die vom Beklagten ausgehende Dupli-
catio, und ſo fort. — Es war aber eben ſo natürlich,
und wohl noch natürlicher, nur die Klage allein als Grund-
lage des Prozeſſes vorauszuſetzen, und von da an alle
fernere Reden und Gegenreden mit Zahlen zu verſehen.
Dann war das erſte Stück die Exceptio, das zweyte
die Erwiederung des Klägers, die alſo eben ſowohl Re-
plicatio, als Duplicatio heißen konnte (g), das dritte
Stück die Erwiederung des Beklagten, die nun Triplicatio
heißen mußte, und ſo weiter. Dieſe abweichende Aus-
drucksweiſe iſt in unſren Rechtsquellen verdunkelt worden
durch das falſche Beſtreben der Abſchreiber, den allerdings
unzweifelhaften Sprachgebrauch der Inſtitutionen überall
durchzuführen. So iſt es in einer Stelle des Ulpian ge-
ſchehen, die in der Florentiniſchen Handſchrift ganz einfach
ſagt: Sed et contra replicationem solet dari triplicatio (h).
Eben ſo in einer Stelle des Julian (i).
(g) Die Namen duplicatio und
Triplicatio ſind von Zahlen her-
genommen, Replicatio nicht. Auch
darf die Verſchiedenheit des Sprach-
gebrauchs nicht auf die Exceptionen
ausgedehnt werden, als ob dieſe
jemals Replicationes genannt
worden wären.
(h) Hier lieſt nun die Vulgata:
Sed et contra replicationem
solet dari duplicatio et contra
duplicationem triplicatio, offen-
bar aus dem Beſtreben, den Wi-
derſpruch mit den Inſtitutionen zu
beſeitigen.
(i) L. 7 § 1. 2 de curat. fur.
(27. 10.). Hier ſtimmen die Flo-
rentina und die Vulgata darin
überein, auf die replicatio un-
mittelbar die triplicatio folgen
zu laſſen, ohne eine von beiden
verſchiedene duplicatio in die Mitte
zu ſtellen, ſo daß offenbar in dieſer
Stelle replicatio und duplicatio
V. 13
|0208 : 194|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Bei den Replicationen und Duplicationen ſind dieſelben
Misverſtändniſſe, ſowohl in den Begriffen ſelbſt, als in
den Kunſtausdrücken, denkbar, von welchen bey den Ex-
ceptionen ausführlich die Rede geweſen iſt. Jedoch ſind
dieſelben hier nicht ſo zur Sprache gekommen, welches der
ſeltneren Anwendung und der geringeren Erheblichkeit die-
ſer Rechtsinſtitute zuzuſchreiben iſt.
Nicht zu verwechſeln damit iſt eine andere Verſchie-
denheit des Sprachgebrauchs, die nun noch, in Beziehung
ſowohl auf die Exceptionen, als auf die Replicationen
u. ſ. w., erwähnt werden muß. Schon bey den Klagen iſt
bemerkt worden, daß dieſelben von zwey verſchiedenen Sei-
ten aufgefaßt werden können: der formellen, die dem Pro-
zeß, und der materiellen, die dem Syſtem des materiellen
Rechts angehört (§ 205). Beide Beziehungen werden in
unſrem heutigen Recht unter dem Namen des Klaglibells
und des Klagrechts anerkannt, welches letzte allein zu
unſrer gegenwärtigen Aufgabe gehört. — Völlig derſelbe
Gegenſatz nun findet ſich bey den Exceptionen, Replica-
tionen u. ſ. w., ſo daß wir alſo auch die Exceptionsſchrift,
und die Exception als Recht des Beklagten, zu unterſchei-
den haben. Da aber die Vertheidigungen des Beklagten
ſehr mannichfaltig ſind (§ 225), und nicht für jede derſelben
eine beſondere Prozeßhandlung zugelaſſen werden kann, ſo
als identiſch gedacht, der erſte Name
aber allein gebraucht wird. Es iſt
auch Alles deutlich, wenn nur an-
ſtatt: Sed an replicatio mit der
Vulgata geleſen wird: Sed an
triplicatio. — Sehr gut handelt
von dieſer Stelle Keller S. 335
—341.
|0209 : 195|
§. 229. Replicationen, Duplicationen.
verſteht es ſich von ſelbſt, daß ſie alle in Einer Prozeß-
ſchrift zuſammengefaßt werden, welche von demjenigen
Theil ihres Inhalts, der die individuellſte Natur hat, den
Namen Exceptionsſchrift erhält. Wenn ich nun zu-
gebe, daß in unſrer heutigen Exceptionsſchrift auch die
Einwendung der Zahlung an ihrer richtigen Stelle iſt, ſo
liegt darin nicht etwa eine inconſequente Rückkehr zu der
oben bekämpften Meynung über den Begriff der Exceptio-
nen. Auch diejenige Exceptionsſchrift würde für völlig
genügend angeſehen werden müſſen, welche ſich auf die
wenigen Worte beſchränkte: Alles, was der Kläger vor-
bringt, iſt nicht wahr. Und doch wird eine ſolche einfache
und abſolute Verneinung von Keinem für eine Exception
ausgegeben. Exceptionsſchrift heißt alſo in der Sprache
des heutigen Prozeſſes nicht etwa eine Schrift, deren In-
halt in Exceptionen beſteht, ſondern: eine Schrift, in wel-
cher die Exceptionen, wenn gerade ſolche vorhanden
ſind, ihre richtige, angemeſſene Stelle finden.
Genau ſo verhält es ſich in unſrem heutigen Prozeß
auch mit den Benennungen Replik, Duplik u. ſ. w.
Dieſe bezeichnen beſtimmte Punkte in der ganzen Reihe
der Prozeßhandlungen, und es ſind dieſe Namen darum
gewählt worden, weil die wahren Replicationen und Du-
plicationen, wenn etwa ſolche vorhanden ſind, in jenen
Schriften vorgebracht werden. Man bedient ſich alſo die-
ſer kurzen und anſchaulichen Ausdrücke, anſtatt daß man
ſonſt umſtändliche und abſtractere gebrauchen müßte. Was
13*
|0210 : 196|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
nun oben über die Seltenheit ächter Duplicationen und
Triplicationen geſagt worden iſt, kann auf die Prozeß-
ſchriften dieſes Namens nicht bezogen werden. Vielmehr
gehört im gemeinen Prozeß die Duplik zum Weſen eines
vollſtändigen erſten Verfahrens; Tripliken und Quadru-
pliken, ja ſelbſt Quintupliken und Sextupliken können aber
vorkommen, ſo oft das Bedürfniß oder die Laune der
Parteyen dazu führt, und der Richter ſie zu geſtatten
gut findet.
Obgleich nun alſo dieſe Ausdrücke unſres heutigen
Prozeſſes mit den oben erörterten Meynungen über den
Begriff der Exceptionen keinen innern und weſentlichen
Zuſammenhang haben, ſo kann doch nicht verkannt wer-
den, daß die Misverſtändniſſe über den Begriff der Ex-
ceptionen durch jene dem Prozeß angehörende Kunſtaus-
drücke ſehr befördert worden ſind.
§. 230.
Aufhebung des Klagrechts. Überſicht. I. Tod.
Das Klagrecht, als eine eigenthümliche Art von Rech-
ten, kann unter den Perſonen, unter welchen es urſprüng-
lich beſtand, auf verſchiedene Weiſe aufgehoben werden.
Es kann nämlich erſtens auf andere Perſonen übergehen,
alſo in dieſen fortdauern; zweytens kann es gänzlich un-
tergehen.
Die Fortdauer in anderen Perſonen kann bewirkt wer-
den erſtlich durch Ceſſion, zweytens durch den Tod. — Die
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§. 230. Aufhebung des Klagrechts. Tod.
Ceſſion gehört, ihrem juriſtiſchen Weſen nach, recht eigent-
lich der Lehre von den Klagen an, indem ſie ſich auf
Rechte der verſchiedenſten Art beziehen kann, und in die-
ſen überall die Klagbarkeit als ſolche zum Gegenſtand hat.
Faßt man ſie jedoch von ihrer praktiſchen Seite auf, näm-
lich nach dem überwiegenden Werth, den ſie für das wirk-
liche Leben hat, ſo gehört ſie vorzugsweiſe dem Obliga-
tionenrecht an, und kann nur in Verbindung mit demſelben
vollſtändig verſtanden werden. — Der Tod iſt nicht immer ein
Grund des Übergangs eines Klagrechts auf andere Per-
ſonen, indem durch ihn das Klagrecht in vielen Fällen
vielmehr ganz untergeht.
Der Untergang der Klagrechte kommt in folgenden Ab-
ſtufungen vor:
1) Indem das Recht ſelbſt vernichtet wird, welches der
Klage zum Grunde liegt, und durch ſie verfolgt werden konnte.
Beyſpiele: wenn das Thier zufällig ſtirbt, welches
bisher vindicirt werden konnte; wenn die Schuld, auf
welche bisher geklagt werden konnte, bezahlt wird, da
durch die Zahlung die Obligation ſelbſt vernichtet wird.
2) Indem der Anſpruch des Klägers, zu deſſen Schutz
das Klagrecht diente, auf andere Weiſe Befriedigung erhält.
Beyſpiel: Wenn die Sache, welche bisher vindicirt
oder condicirt werden konnte, durch Zufall in den Beſitz
des Eigenthümers zurück kehrt (a).
3) Indem, ohne Befriedigung des Klägers, die Verletzung
(a) L. 54 § 3 de furtis (47.2.).
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Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
aufhört, wodurch ein Anderer bisher in die Stellung eines
Beklagten kam.
Beyſpiel: Wenn der Beſitzer einer fremden Sache, die
bisher gegen ihn vindicirt werden konnte, den Beſitz der-
ſelben verliert.
4) Indem nur allein die Klagbarkeit aufhört, ohne daß
in dem Recht ſelbſt oder in der Verletzung irgend eine
Veränderung wahrzunehmen iſt.
Dahin gehört die Klagverjährung.
Alle dieſe Arten der Aufhebung beziehen ſich auf das
Klagrecht als ſolches, unter Vorausſetzung der bloßen
Verletzung, noch ohne hinzutretende Prozeßhandlungen
(§ 204), und von ſolchen allein kann an dieſer Stelle des
Werks die Rede ſeyn. Diejenigen Aufhebungen dagegen,
die erſt im Laufe des Rechtsſtreits eintreten können, z. B.
durch das Urtheil, werden weiter unten dargeſtellt werden.
Unter den hier berührten Aufhebungsarten des Klag-
rechts machen folgende eine beſondere Unterſuchung nöthig.
I. Der Tod.
II. Die Concurrenz der Klagen.
III. Die Klagverjährung.
I. Der Tod.
Von dem Tod des Klagberechtigten oder des Beklag-
ten iſt ſo eben bemerkt worden, daß er in manchen Fällen
den Übergang des Klagrechts auf andere Perſonen, in an-
deren die Vernichtung des bisher beſtehenden Klagrechts
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§. 230. Aufhebung des Klagrechts. Tod.
bewirkt. Es ſoll alſo nunmehr beſtimmt werden, unter
welchen Bedingungen der eine oder der andere Erfolg ein-
tritt. — Die Vererblichkeit der Klagen muß aber beſon-
ders unterſucht werden von Seiten des Klägers, und
von Seiten des Beklagten.
Von Seiten des Klägers (alſo activ) vererblich ſind
die allermeiſten Klagen, ſo daß die nicht vererblichen als
ſeltene Ausnahmen angeſehen werden können.
Nicht vererblich ſind die Klagen aus Familienverhält-
niſſen, weil dieſe Rechtsverhältniſſe ſelbſt ganz individuel-
ler Natur ſind, ſo daß mit dem Tode des Klagberechtigten
das Recht ſelbſt, welches durch die Klage bisher verfolgt
werden konnte, gänzlich aufhört. — Dieſes gilt jedoch
nur von den natürlichen Familienverhältniſſen, der Ehe,
väterlichen Gewalt, Verwandtſchaft. Denn bey manchen
künſtlichen, welche mit dem Eigenthum in Verbindung ſte-
hen, geht das Recht ſelbſt auf den Erben über, und dann
hat auch die Vererbung der Klage kein Bedenken (a¹).
Unvererblich ſind ferner die meiſten unter denjenigen
Rechten, welche oben als anomaliſche Rechte in Beziehung
auf die Rechtsfähigkeit ausführlich dargeſtellt worden
ſind (b). Denn da die Grundlage derſelben nicht in einem
Vermögensrecht, ſondern in einem ganz individuellen Ver-
hältniß beſteht, ſo kann das Recht ſelbſt, mithin auch die
zu deſſen Schutz eingeführte Klage, nicht auf die Erben
(a¹) Vgl. oben B. 1 § 57 S. 385.
(b) B. 2 § 71 — 74.
|0214 : 200|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
übergehen. Dahin gehört alſo namentlich die Injurien-
klage, deren Weſen in der Vindicta, das heißt in einem,
der beleidigten Perſon ausſchließend übertragenen Straf-
amt beſteht, wobey die Geldſtrafe blos als das zufällig
gewählte Strafmittel erſcheint, durch welches der Cha-
racter der Klage nicht beſtimmt werden kann (c). — Aber
eine ganz ähnliche Natur haben einige Klagen, welche
(vielleicht nur zufällig) nicht in der Reihe jener anomali-
ſchen Rechte aufgeführt werden. Dahin gehört: A) Die
actio in factum de calumnia. Wenn Geld oder Geldes-
werth gegeben wird, damit ein ungerechter Rechtsſtreit
geführt werde, oder unterbleibe, ſo kann der Gefährdete
von Dem, welcher dieſen unedlen Gewinn gemacht hatte,
die vierfache Summe als Strafe fordern. Dieſes iſt reine
Vindicta, und der Erbe des Gefährdeten hat darauf keinen
Anſpruch; wenn aber Dieſer ſelbſt das Geld gegeben
hatte, um ſich von dem Rechtsſtreit loszukaufen, ſo kann
auch der Erbe die gegebene Summe mit einer Condiction
zurück fordern, welche alſo von jener auf Vindicta gerich-
teten Klage völlig verſchieden iſt (d). — B) Wird Jemand
an der rechtmäßigen Beerdigung eines Todten mit Gewalt
verhindert, ſo hat er eine Klage auf das Intereſſe, die
aber nicht auf ſeinen Erben übergeht. Gajus, der dieſe
Regel als eine unzweifelhaft angenommene anführt, findet
ſie ſeltſam, weil ja doch die Klage auf eine bloße Geld-
(c) B. 2 § 73.
(d) L. 4 de calumniat. (3. 6.).
|0215 : 201|
§. 230. Aufhebung des Klagrechts. Tod.
entſchädigung gehe (e). Allein die Entſchädigung für das
anderwärts angekaufte Grabmal, die allerdings hier be-
achtet werden ſoll, iſt doch nur ein Stück (und wohl
nur ein untergeordnetes) des durch dieſe Klage verfolgten
Intereſſe (f). Die Hauptſache iſt die dem Andenken des
Verſtorbenen zugefügte Schmach (g), und daher geht in
der That dieſe Klage, eben ſo wie die eigentliche Inju-
rienklage, ihrem Hauptinhalt nach auf Vindicta (h). Die-
ſes wird noch beſtätigt durch eine ganz ähnliche Klage,
wobey dieſes Alles nur viel deutlicher geſagt iſt, die actio
sepulchri violati (i), und die auch ſchon oben unter den
anomaliſchen, auf Vindicta gerichteten, Rechten mit auf-
(e) L. 9 de relig. (11. 7.).
„Unde miror, quare constare
videatur, neque heredi neque
in heredem dandam actionem”..
Alſo das constare videri räumt
er ein.
(f) L. 9 de relig. (11. 7.).
„… per quam consequitur
actor, quanti ejus interfuerit,
prohibitum non esse: in quam
computationem cadit loci empti
pretium, aut conducti merces”
… Es iſt alſo in der Klage ent-
halten, aber keinesweges der ein-
zige oder auch nur wichtigſte Theil
ihres Inhalts.
(g) L. 6 C. de sepulchro viol.
(9. 19.). „Cum sit injustum …
injuriam fieri reliquiis defun-
ctorum ab his, qui debitorem
sibi esse mortuum dicendo …
sepulturam ejus impediunt: ne
in posterum eadem injuria pro-
cederet” …
(h) Vgl. mehrere der bey Glück
B. 11 S. 452 angeführten Schrift-
ſteller, und Kierulff Theorie I.
228.
(i) L. 3 § 8 de sepulchro viol.
(47. 12.). „Qui de sepulchri
violati actione judicant, aesti-
mabunt, quatenus intersit: sci-
licet ex injuria quae facta est
.. vel ex damno quod conti-
git” … Es iſt offenbar nur zu-
fällig, daß hier als Beſtandtheil
des zu beachtenden Intereſſe ſo-
wohl die Beleidigung, als der
Geldverluſt, angegeben wird, bey
jener Klage dagegen nur der letzte
(Note f). In der Sache ſelbſt
iſt zwiſchen beiden Klagen kein Un-
terſchied.
|0216 : 202|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
geführt worden iſt (§ 73). — C) Die Klage auf den Wi-
derruf einer Schenkung wegen Undankbarkeit ſoll gleich-
falls nicht auf die Erben des Gebers übergehen (§ 169. b.).
Auch dieſes läßt ſich auf den Begriff der Vindicta zurück
führen, wozu der eingeklagte Vermögenswerth nur als
Mittel gebraucht werden ſoll (k). — D) Eben ſo die (im
Juſtinianiſchen Recht verſchwundene) morum coercitio,
das heißt die actio de moribus und die retentio propter
mores im Fall der Sittenloſigkeit eines Ehegatten (l). Daß
dieſe Rechtsmittel auf reine Vindicta gehen, iſt unverkennbar.
Mit Unrecht zählt Gajus unter die poſitiven Ausnah-
men von der Vererblichkeit der Klagrechte, die dem Adſti-
pulator zuſtehende Klage (m). Denn da er ſelbſt ſagt,
daß das Verhältniß des Glaubigers zum Adſtipulator ſtets
auf einem Mandat beruhe (n), das Mandat aber niemals
auf die Erben des Bevollmächtigten übergeht, ſo folgt von
ſelbſt, daß die Erben des Adſtipulators den nur ihm ſelbſt
ertheilten Auftrag nicht durch Anſtellung der Stipulations-
klage beſorgen können, weshalb dieſer Fall der Unvererb-
lichkeit als eine beſondere Ausnahme von der Regel nicht
anzuſehen iſt.
Von Seiten des Beklagten iſt die Zahl der unver-
erblichen Klagen bedeutender als von Seiten des Klägers.
Die perſönlichen Klagen aus Contracten und Quaſi-
(k) Vgl. Kierulff Theorie I.
228.
(l) L. 15 § 1 sol. matr. (24. 3.).
(m) Gajus III. § 114, IV.
§ 113.
(n) Gajus III. § 111. 216.
|0217 : 203|
§. 230. Aufhebung des Klagrechts. Tod.
contracten ſind vererblich. — Die zweyſeitigen Strafkla-
gen ſind durchaus unvererblich. Die einſeitigen und ge-
miſchten Strafklagen ſind nur inſoweit vererblich, als der
Erbe außerdem durch das Delict bereichert bleiben würde
(§ 211.).
Die in rem actiones ſind von Seiten des Beklagten
nicht vererblich. Die Klagen aus Eigenthum, jus in re,
oder Erbrecht ſind es größtentheils deswegen nicht, weil
in der Perſon des Beklagten ein wirklicher, gegenwärtiger
Beſitz vorausgeſetzt wird, der Beſitz aber durch die bloße
Erwerbung eines Erbrechts nicht übergeht (o). Wenn alſo
der Erbe des Beſitzers nicht zufällig den Beſitz derſelben
Sache erworben hat, ſo geht gegen ihn die Klage gar
nicht; hat er aber den Beſitz erworben, ſo wird er nicht
als Erbe Beklagter, ſondern wegen ſeines eigenen Beſitz-
verhältniſſes. Nur wenn der Erblaſſer den Beſitz in un-
redlicher Abſicht aufgegeben hatte, wird die Klage ſo wie
eine einſeitige Strafklage gegen den Erben angeſtellt; hier
aber trägt ſie auch nur die Form und den Namen einer
in rem actio an ſich, in der That iſt ſie nun eine per-
ſönliche Klage aus einem Delict (p). — Die confeſſoriſche
und negatoriſche Klage ſetzen zwar nicht Beſitz in der
Perſon des Beklagten voraus, aber doch irgend eine Ver-
anlaſſung, die als Verletzung betrachtet werden kann, und
(o) Savigny Recht des Be-
ſitzes § 28.
(p) Dieſe Sätze ſind anerkannt
in L. 52. 55. 42 de rei vind.
(6. 1.).
|0218 : 204|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
auch von dieſer Veranlaſſung läßt ſich nicht annehmen,
daß ſie auf den Erben als ſolchen übergehe.
Die Klagen aus Familienverhältniſſen gehen auf den
Erben des Beklagten eben ſo wenig, als auf den Erben
des Klägers, über, weil das Rechtsverhältniß ſelbſt, zu
deſſen Schutz ſie dienen, mit dem Vermögen, alſo auch
mit deſſen Übergang auf Erben, keine Berührung haben.
Die aufgeſtellten Regeln werden großentheils modificirt,
ſobald zu dem Klagrecht die Litisconteſtation hinzutritt;
davon wird im folgenden Bande die Rede ſeyn.
Die ſo eben für die Klagen beantwortete Frage nach
der Vererblichkeit kann auch für die Exceptionen aufgewor-
fen werden, und ſie iſt ſchon oben bey den exc. personae
cohaerentes berührt worden (§ 227.). Auch hier bildet
die Vererblichkeit die vorherrſchende Regel, die Ausnahmen
aber laſſen ſich nicht ſo wie bey den Klagen auf allge-
meinere Regeln zurückführen.
§. 231.
Aufhebung des Klagrechts. II. Concurrenz. Einleitung.
Terminologie.
Donellus Lib. 21 Cap. 3.
Thibaut Concurrenz der Klagen. (Civiliſt. Abhand-
lungen 1814. Num. IX.)
|0219 : 205|
§. 231. Concurrenz der Klagen.
G. J. Ribbentrop zur Lehre von den Correal-Obli-
gationen Göttingen 1831. 8. (Gehört nur theilweiſe
und indirect hierher, iſt aber für die richtige Behand-
lung dieſer Lehre von großer Wichtigkeit).
Göſchen Vorleſungen I. § 156 — 159.
In der Lehre von der Concurrenz der Klagen weichen
neuere Schriftſteller von einander oft ſo ſehr ab, daß man
kaum glauben ſollte, es werde ein und derſelbe Gegenſtand
von ihnen behandelt. Die Verſchiedenheit betrifft hier nicht
blos, wie in den meiſten anderen Lehren, die Reſultate
der Unterſuchung, alſo die Löſung der Aufgabe, ſondern
den Sinn und Umfang der Aufgabe ſelbſt.
Die hier vorliegende Frage läßt ſich im Allgemeinen
ſo ausdrücken: Inwiefern kann die Coexiſtenz mehrerer
Klagen auf die Wirkſamkeit jeder einzelnen unter denſel-
ben Einfluß haben? Auf den erſten Blick iſt es einleuch-
tend, daß ein ſolcher Einfluß nur denkbar iſt unter Vor-
ausſetzung eines ſolchen Zuſammenhangs jener Klagen,
wodurch ſie ganz oder theilweiſe identiſch werden. Es
fragt ſich aber, was als eine Identität zu betrachten ſey,
woraus jener Einfluß hervorgehen könne. Hier bieten ſich
folgende Beziehungen mehrerer Klagen dar, die als Gründe
einer ſolchen einflußreichen Identität angeſehen werden könn-
ten: der gemeinſchaftliche Entſtehungsgrund der Klagen;
die durch den gemeinſamen Namen bezeichnete gleichartige
Natur derſelben; die gleichen Perſonen, unter welchen ſie
|0220 : 206|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Statt finden; der gemeinſchaftliche Gegenſtand. Als Ge-
genſatz würde ſich ergeben, daß bey Verſchiedenheit des
Entſtehungsgrundes, des Namens der Klagen, der Per-
ſonen, oder des Gegenſtandes, keine Identität unter dieſen
Klagen, alſo auch kein Einfluß der einen auf die Wirk-
ſamkeit der andern, anzunehmen wäre. Die Prüfung die-
ſer möglichen Beziehungen wird nun ergeben, daß die drey
erſten in der That ohne Einfluß ſind, aller Einfluß alſo
lediglich der letzten Beziehung, dem gemeinſamen Gegen-
ſtand der Klagen, zuzuſchreiben iſt.
I. Gleichheit oder Ungleichheit des Entſtehungsgrundes
mehrerer Klagen iſt für jenen Zweck gleichgültig (a).
Die Beleidigung einer Ehefrau enthält in einer und
derſelben Thatſache zwey juriſtiſche Beziehungen, eine In-
jurie gegen die Frau, und eine Injurie gegen den Ehe-
mann. Keine dieſer beiden Injurienklagen wird durch die
andere in ihrer Wirkſamkeit beſchränkt. — Derſelbe Dieb-
ſtahl erzeugt eine Condiction und die pönale furti actio;
beide beſtehen ungeſtört neben einander (b).
(a) Zuweilen iſt die Gleichheit
des Entſtehungsgrundes ſogar blos
ſcheinbar, nicht wirklich vorhanden.
Wenn ein gemiethetes Pferd von
dem Miether getödtet wird, ſo ent-
ſteht nur die a. L. Aquiliae aus
der Tödtung, die locati actio
entſteht aus dem früher geſchloſ-
ſenen Miethcontract; in Beziehung
auf ſie iſt die Tödtung nicht Ent-
ſtehungsgrund, ſondern eine That-
ſache, die den Miether von der
Verpflichtung zur Rückgabe nur
nicht befreyt.
(b) Auf dieſen Fall, derſelben
materiellen Thatſache mit verſchie-
denen juriſtiſchen Beziehungen, geht
L. 1 § 22 de tutelae (27. 3.)
„ut quis dicat plures esse ac-
tiones ejusdem facti.” (Dieſe
Worte ſollen nur eine mögliche,
von dem Verfaſſer misbilligte, An-
ſicht der Sache ausdrücken.). —
Ferner: L. 9 C. de accus. (9.2).
|0221 : 207|
§. 231. Concurrenz der Klagen.
Wenn umgekehrt ein Thier geſtohlen, und nachher von
dem Diebe getödtet wird, ſo haben die Klagen aus dieſen
beiden Delicten völlig verſchiedene Entſtehungsgründe (c);
ſoweit ſie aber auf Entſchädigung gehen, wird dennoch
eine durch die andere abſorbirt (d).
II. Eben ſo iſt es für jenen Zweck gleichgültig, ob die
neben einander beſtehenden Klagen gleichnamige oder un-
gleichnamige ſind.
In dem ſchon angeführten Fall der Beleidigung einer
Ehefrau heißt die Klage des Mannes und die der Frau
actio injuriarum, dennoch ſind beide von einander ganz
unabhängig.
Umgekehrt hat der Beſtohlene gegen den Dieb ſowohl
„Si ex eodem facto plura cri-
mina nascuntur, et de uno
crimine in accusationem fuerit
deductus, de altero non pro-
hibetur ab alio deferri.” Der
Sinn dieſer letzten Stelle tritt be-
ſonders klar hervor durch den Ge-
genſatz der L. 14 de accus.
(48. 2.). „Senatus censuit, ne
quis ob idem crimen pluribus
legibus reus fieret.” Hier iſt
die Rede von Einer materiellen
Handlung, die auch nur eine ein-
zige juriſtiſche Beziehung hat, wo-
für aber zu verſchiedenen Zeiten
verſchiedene Strafgeſetze erlaſſen
worden ſind; hier wird dem neue-
ſten Strafgeſetz die ſehr natürliche
Abſicht zugeſchrieben, eine neue
Strafe an der Stelle der früheren
einzuführen, nicht als Zuſatz zu
derſelben.
(c) Auf dieſen Fall, worin ſelbſt
ganz verſchiedene materielle That-
ſachen zum Grunde liegen, gehen
die Ausdrücke folgender Stellen.
L. 76 § 1 in f. de furtis (47. 2).
„.. quia ex diversis factis te-
nentur.” L. 32 § 1 ad L. Aqu.
(9. 2.). „.. duo enim sunt de-
licta.” L. 48 eod. „.. quia al-
terius et alterius facti hae res
sunt.”
(d) L. 2 § 3 de priv. delictis
(47. 1.). Nach der condictio
furtiva ſoll die a. L. Aquiliae
nur noch fortdauern wegen ihrer
möglichen höheren Schätzung; wor-
aus alſo folgt: 1) daß ſie auf den
einfachen Werth nicht mehr ange-
ſtellt werden kann, 2) daß umge-
kehrt, wenn die a. L. Aquiliae zu-
erſt angeſtellt wird, die Condiction
ganz wegfällt.
|0222 : 208|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
die Vindication, als die Condiction; aber obgleich dieſes
verſchiedenartige Klagen ſind, wird dennoch eine durch die
andere abſorbirt (e).
III. Die Gleichheit oder Ungleichheit der in mehreren
Klagen vorkommenden Perſonen iſt an ſich ſelbſt ohne
Einfluß.
Wenn dieſelben Perſonen einmal ein Darlehen, dann
wieder einen Kauf, endlich einen Miethcontract unter ſich
abſchließen, ſo beſtehen unter ihnen drey Contractsklagen
ohne allen Einfluß der einen auf die anderen.
Wenn umgekehrt Zwey gemeinſchaftlich einen Dritten
betrügen, ſo hat Dieſer gegen Jeden derſelben eine Ent-
ſchädigungsklage auf den ganzen Verluſt; aber eine dieſer
Klagen abſorbirt die andere, obgleich die Beklagten ver-
ſchiedene Perſonen ſind.
Indeſſen verdient doch die Verſchiedenheit der Perſonen,
ſo gleichgültig ſie für ſich allein iſt, eine beſondere Auf-
merkſamkeit, da wo ſie mit der wahren Identität der Kla-
gen zuſammentrifft, und unter dieſem Geſichtspunkt wird
ſie unten noch näher erwogen werden.
IV. Es bleibt alſo übrig, als das allein entſcheidende
Moment, der für mehrere Klagen gemeinſchaftliche juri-
ſtiſche Gegenſtand oder Zweck (f). Dieſer allein bildet
(e) Alſo iſt hier der Umſtand
ohne Einfluß, daß es diversum
genus actionis, oder aliud ge-
nus judicii iſt, wie es in L. 5
und L. 7 § 4 de exc. rei jud.
(44. 2.) bey einer anderen Veran-
laſſung genannt wird.
(f) Es iſt demnach hier nicht
die Rede von dem materiellen
Gegenſtand. Auf daſſelbe Haus
oder Pferd können Anſprüche und
Klagen ſo verſchiedener Art vor-
|0223 : 209|
§. 231. Concurrenz der Klagen.
eine ſolche Identität, wodurch die eine Klage auf die an-
dere Einfluß erhält. Der höchſt einfache Grundſatz, der
hier zur Anwendung kommt, läßt ſich in folgende For-
mel faſſen:
Das, was Jemand durch eine Klage bereits erhalten
hat, kann er nicht noch einmal mit einer andern
Klage fordern.
So einfach aber, und ſo gewiß, wie dieſer Grundſatz
hier lautet, war er bey den Römern nicht, und beſonders
nicht zu allen Zeiten. Erſtlich kann es in vielen Fällen
zweifelhaft ſeyn, ob der Gegenſtand beider Klagen auch
wirklich derſelbe iſt. Zweytens kam im älteren Römi-
ſchen Prozeß die Lehre von der Prozeßconſumtion in Be-
tracht, woraus die alte exceptio rei in judicium deductae
und rei judicatae entſprang, und welche in die Concurrenz
der Klagen mit hinein ſpielte. Durch dieſe zwey Umſtände
entſtanden unter den alten Juriſten ſelbſt große Contro-
verſen (g). Die Compilatoren giengen darauf aus, die
Spuren der untergegangenen Prozeßconſumtion, ſo wie
handen ſeyn, daß dieſe Klagen gar
keine Berührung mit einander ha-
ben. Wenn aber mehrere Klagen
die Entſchädigung, für denſelben
Verluſt, oder die Wiedererlangung
deſſelben Beſitzes, bezwecken, ſo ha-
ben ſie den juriſtiſchen Gegen-
ſtand mit einander gemein. Die-
ſer letzte wird in Stellen des R. R.
auf folgende Weiſe bezeichnet: § 1
J. de duob. reis (3. 16.) „in utra-
que tamen obligatione una res
vertitur.” L. 3 § 1 eod. (45. 2.)
„cum una sit obligatio, una et
summa est.”
(g) Eine unzweydeutige Spur
dieſer Controverſen, und der Art,
wie man ſich dagegen zu ſchützen
ſuchte, findet ſich in L. 18 § 3 de
pec. const. (13. 5.). „Vetus fuit
dubitatio … Et tutius est di-
cere” … Hierbey kam gerade die
Prozeßconſumtion in Betracht.
V. 14
|0224 : 210|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
jener Controverſen, ſo viel als möglich zu vertilgen, welches
ſie durch die Auswahl der aufzunehmenden Excerpte, auch
wohl durch manche Interpolationen, zu bewirken ſuchten.
So iſt es zu erklären, wenn daß in dieſer Lehre die Exegeſe
oft weniger reine und befriedigende Reſultate liefert, als
in den meiſten anderen Lehren.
Ehe aber der aufgeſtellte Grundſatz in ſeinen einzelnen
Anwendungen dargeſtellt wird, iſt es nöthig, die bey den
neueren Schriftſtellern gewöhnliche Auffaſſung dieſer Lehre,
nebſt der daraus entſprungenen Terminologie, zu erwäh-
nen, da dieſe Terminologie ſo allgemein verbreitet iſt, daß
ſie unwillkührlich in die folgende Darſtellung hinein getra-
gen und der Wirkung derſelben hinderlich werden würde,
wenn nicht dagegen ſchon hier vorgebaut wird.
Bey neueren Schriftſtellern finden ſich folgende zwey
Eintheilungen der Klagenconcurrenz als Grundlage dieſer
Lehre angegeben (h). Die Concurrenz iſt theils ſubjectiv
(unter denſelben Perſonen), theils objectiv (unter verſchie-
denen). Die objective iſt cumulativ, electiv, ſucceſſiv, je
nachdem alle Klagen nach und neben einander angeſtellt
werden können; oder nur eine von mehreren, ſo daß durch
ſie die übrigen ausgeſchloſſen werden; oder zwar alle, je-
doch nur in einer beſtimmten Reihenfolge. — Eine voll-
ſtaͤndige Darſtellung dieſer Lehre müßte demnach für
(h) Mühlenbruch I. § 140. Göſchen Vorleſungen I. S. 448
|0225 : 211|
§. 231. Concurrenz der Klagen.
jede dieſer Arten der Concurrenz beſondere Grundſätze
aufſtellen.
Die in dieſen Kunſtworten ausgedrückte Auffaſſung
kann ich aus folgenden Gründen nicht als richtig anneh-
men. Zuvörderſt muß ich die Haupteintheilung in ſub-
jective und objective Concurrenz ganz verwerfen. Es iſt
nämlich ſchon oben gezeigt worden, daß für den Einfluß
einer Klage auf eine andere der Umſtand, ob ſich dieſe
Klagen auf dieſelben oder auf verſchiedene Perſonen be-
ziehen, durchaus nicht entſcheidend iſt, daß unter denſelben
Perſonen ein Einfluß nicht vorhanden, unter verſchiedenen
dagegen ein ſolcher in der That vorhanden ſeyn kann.
Daher iſt dieſe, die Perſonen betreffende, Verſchiedenheit
zu einer Haupteintheilung der Concurrenz, als Grundlage
dieſer Lehre, durchaus nicht geeignet. Was über die Be-
ziehung der Concurrenz auf verſchiedene Perſonen zu ſagen
iſt, wird an ſeinem Orte eingeſchaltet werden. Man
könnte etwa ſagen: alle Concurrenz iſt ihrem Weſen nach
objectiv (in dem gemeinſchaftlichen Object gegründet), ſie
kann aber daneben zugleich ſubjectiv ſeyn; jedoch iſt es
beſſer, dieſe mehr verwirrenden als aufklärenden Ausdrücke
ganz zu vermeiden.
Mit der ſogenannten ſucceſſiven Concurrenz verhält es
ſich alſo. Manche Rechte ſtehen zu einander in einem
ſolchen Verhältniß, daß das eine durch das andere be-
dingt iſt, alſo die eine Klage zur Vorbereitung der ande-
ren dienen muß. So z. B. die actio ad exhibendum als
14*
|0226 : 212|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Vorbereitung der Vindication (i); die hereditatis petitio
vor der a. familiae herciscundae (k); die Vindication vor
der a. communi dividundo (l); die Vindication vor der
confessoria actio (m); die Klage gegen den Hauptſchuld-
ner vor der Klage gegen den Bürgen oder gegen den
Pfandbeſitzer (n). Ein ſolches Verhältniß mancher Kla-
gen zu einander kann ſehr verſchiedene Gründe haben, und
gemeinſame Regeln giebt es dafür nicht, da jeder Fall
dieſer Art eine individuelle Natur hat. Mit der hier ab-
gehandelten Klagenconcurrenz hat jenes Verhältniß gar kei-
nen innern Zuſammenhang, und die wahre Natur deſſelben
kann durch die Zuſammenſtellung mit der Concurrenz nur
verdunkelt werden.
Nach dieſer Abſonderung der ſubjectiven und ſucceſſi-
ven Concurrenz bleiben noch übrig die cumulative und die
elective. Aber auch dieſe beiden ſind nicht etwa als ſelbſt-
ſtändige Arten der Concurrenz anzuſehen, für deren jede
durch beſondere Regeln zu ſorgen wäre, ſondern die ganze
Frage geht eben nur darauf, ob mehrere gleichzeitig vor-
handene Klagen in einem ausſchließenden Verhältniß zu
einander ſtehen, oder nicht. Man kann dieſe Frage aller-
dings ſo ausdrücken: ſtehen zwey gegebene Klagen im Ver-
hältniß der electiven oder der cumulativen Concurrenz?
Um aber dieſen Ausdruck anzuwenden, muß man damit
(i) L. 23 § 5 de rei vind.
(6. 1.).
(k) L. 1 § 1 fam. herc.
(10. 2.).
(l) L. 18 de except. (44. 1.).
(m) L. 16 de except. (44. 1.).
(n) Wegen des ſogenannten be-
neficii excussionis.
|0227 : 213|
§. 231. Concurrenz der Klagen.
anfangen, den Begriff der Concurrenz ſo weit auszudeh-
nen, daß er mit dem der Coexiſtenz zuſammenfällt. Kla-
rer jedoch wird die Sache durch dieſen Ausdruck nicht,
vielmehr würde folgender Ausdruck durch Klarheit und
Einfachheit vorzuziehen ſeyn: ſtehen zwey gegebene Klagen
zu einander im Verhältniß der Concurrenz oder nicht?
Man würde wahrſcheinlich niemals auf jene Kunſtaus-
drücke gekommen ſeyn, wenn nicht viele Fälle vorkämen,
in welchen der bloße Schein einer Concurrenz vorhanden
iſt (o). Dieſe Fälle müſſen allerdings geprüft, und von
der Anwendung der für die Concurrenz geltenden Regeln
ausgeſchloſſen werden; allein es iſt nicht zu rechtfertigen,
wenn ſolche Fälle als eine beſondere Art der Concurrenz
dargeſtellt werden.
Endlich haben mehrere neuere Schriftſteller die wich-
tige Lehre von der Rechtskraft großentheils in Verbindung
(o) So z. B. die condictio
furtiva und die furti actio aus
demſelben Diebſtahl, die Injurien-
klagen des Ehemannes und der
Ehefrau, wenn die Frau beleidigt
iſt. Hätte man blos mit ſolchen
Fällen zu thun, wie wenn unter
denſelben Perſonen einmal ein Dar-
lehen, dann ein Kauf geſchloſſen
worden iſt, ſo würde man dabey
den Ausdruck Concurrenz ge-
wiß nicht angewendet haben, weil
nicht einmal der Schein eines in-
neren Zuſammenhanges beider Kla-
gen vorhanden iſt. In jenen Fäl-
len dagegen entſtand ein ſolcher
Schein daraus, daß beide Klagen
eine und dieſelbe Handlung zur
Grundlage hatten. Indem man
dieſe Fälle als cumulative Con-
currenz bezeichnete, wollte man da-
mit eigentlich ſagen: Klagen, de-
ren Concurrenz nur ſcheinbar, nicht
wirklich iſt, die alſo eben ſo unab-
hängig von einander ſind, als in
dem anderen Fall die Darlehens-
klage und die Kaufklage. Es iſt
aber nicht logiſch, den bloßen
Schein der Concurrenz (der aller-
dings erwogen und beſeitigt wer-
den muß) als eine eigene Art der-
ſelben zu bezeichnen.
|0228 : 214|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
mit der Klagenconcurrenz gebracht, weil nämlich die ex-
ceptio rei judicatae, ſo wie ſie im neueſten Römiſchen
Recht vorkommt, allerdings auch auf concurrirende Klagen
angewendet werden kann (p). Allein dieſe Anwendung iſt
doch nur eine Erweiterung derjenigen einfacheren Anwen-
dung, die bey der Wiederholung einer und derſelben Klage
vorkommt, und ſie kann nur in Verbindung mit dieſer rich-
tig verſtanden werden. Daher iſt es zweckmäßiger, hier
davon ganz zu ſchweigen, und die Wirkungen der Rechts-
kraft in ihrem wahren Zuſammenhang, als ein ungetrenn-
tes Ganze, darzuſtellen.
§. 232.
Aufhebung des Klagrechts. II. Concurrenz. Erſte Klaſſe
von Klagen. Vollſtändige Concurrenz.
Im § 231 wurde vorläufig folgender Grundſatz für
die Concurrenz der Klagen aufgeſtellt:
Das, was Jemand durch eine Klage bereits erhal-
ten hat, kann er nicht noch einmal mit einer andern
Klage fordern.
Dieſer Grundſatz iſt nun zuerſt an die oben (§ 230)
aufgeſtellten allgemeineren Regeln über die Aufhebung der
Klagrechte anzuknüpfen, dann aber in ſeinen mannichfalti-
gen Anwendungen darzuſtellen.
Es wurde oben die Regel aufgeſtellt, daß jedes Klag-
(p) So Thibaut in der am
Anfang dieſes §.angeführten Schrift.
Eben ſo Kierulff Theorie I. S.
241. fg.
|0229 : 215|
§. 232. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)
recht aufhöre, wenn der Kläger auf andere Weiſe, als
durch dieſe Klage, ſeine Befriedigung erlange. Dieſes iſt
nun ſtets der Fall, wenn eine andere, concurrirende Klage
dieſe Befriedigung bereits bewirkt hat. — Zuweilen aber
wird durch den Erfolg der einen Klage das Daſeyn der
concurrirenden anderen Klage noch unmittelbarer zerſtört,
wenn nämlich jener Erfolg zugleich als Vernichtung des
Rechts ſelbſt gelten kann, welches der andern Klage zum
Grund liegt. Dieſer, im Weſen der Rechtsverhältniſſe
gegründete, für den praktiſchen Erfolg nicht fühlbare, Un-
terſchied wird weiter unten (§ 236) genauer erörtert werden.
Die Anwendung jenes Grundſatzes führt alſo darauf,
in jedem einzelnen Fall zu unterſuchen, ob der ſchon ein-
getretene Erfolg einer Klage mit dem geſuchten Erfolg
einer andern Klage identiſch iſt oder nicht. Im erſten
Fall iſt die zweyte Klage durch die erſte abſorbirt, im
zweyten Fall kann ſie noch immer mit vollem Erfolg an-
geſtellt werden. Nach dem bisher üblichen Sprachgebrauch
(§ 231) würde im erſten Fall eine elective, im zweyten
eine cumulative Concurrenz beider Klagen anzunehmen ſeyn.
Ich halte es für richtiger, den Unterſchied ſo auszudrücken,
daß eine Concurrenz beider Klagen im erſten Fall ange-
nommen, im zweyten verneint wird.
Nun liegen aber viele Fälle zwiſchen jenen beiden in
der Mitte, indem der Erfolg der noch übrigen Klage mit
dem der ſchon benutzten Klage theilweiſe identiſch ſeyn
kann. In dieſen Fällen wird in der noch übrigen Klage
|0230 : 216|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
der identiſche Theil abſorbirt ſeyn, der nicht identiſche wird
noch ferner verfolgt werden können.
Es ergeben ſich hieraus drey Klaſſen aller überhaupt
coexiſtirenden Klagen:
Erſte Klaſſe. Vollſtändige Concurrenz. Die zweyte
Klage iſt durch den Erfolg der erſten ganz abſorbirt.
(Nach dem üblichen Sprachgebrauch: Elective Concurrenz.)
Zweyte Klaſſe. Partielle Concurrenz. Die zweyte
Klage iſt durch den Erfolg der erſten zum Theil abſorbirt.
Dritte Klaſſe. Keine Concurrenz. Die zweyte Klage
kann noch nach der erſten vollſtändig benutzt werden. (Cu-
mulative Concurrenz.)
Erſte Klaſſe. Vollſtändige Concurrenz.
Die Regel, daß hier die zweyte Klage durch die erſte
ganz abſorbirt iſt, wird anerkannt in folgender Stelle des
Ulpian (a):
Quotiens concurrunt plures actiones ejusdem rei
nomine, una quis experiri debet.
Die Worte ejusdem rei nomine ſind an ſich zweydeu-
tig. Sie könnten heißen: mehrere Klagen aus derſelben
Thatſache, oder auch: auf denſelben Gegenſtand.
Nähme man ſie nun in der erſten Bedeutung, ſo wäre der
dadurch bedingte Satz offenbar unrichtig (§ 231), alſo
bleibt nur die zweyte Bedeutung als die allein mögliche
übrig. Dieſe wird nun auch unterſtützt durch den inneren
(a) L. 43 § 1 de R. J. (50. 17) aus Ulp. lib. 28 ad ed.
|0231 : 217|
§. 232. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)
Zuſammenhang der ganzen Stelle, deren unmittelbar vor-
hergehende Worte ſo lauten: Nemo ex his, qui negant
se debere, prohibetur etiam alia defensione uti, nisi lex
impedit (b). Ulpian will hier augenſcheinlich auf einen
Unterſchied zwiſchen der Lage des Beklagten und des Klä-
gers aufmerkſam machen; Jener könne auch mehrere Ver-
theidigungsmittel zugleich (Verneinung und Exceptionen)
geltend machen; der Kläger dürfe unter mehreren, für
denſelben Zweck concurrirenden, Klagen nur Eine gebrau-
chen (c). Eine fernere Beſtätigung dieſer Erklärung liegt
in einer andern Stelle deſſelben Ulpian, worin mehrere
Klagen de eadem re für ſolche erklärt werden, die den-
ſelben Gegenſtand verfolgen (d).
Anwendungen dieſer Regel finden ſich in bedeutender
Anzahl, und zwar ſowohl bey Klagen unter denſelben,
als bey Klagen unter verſchiedenen Perſonen.
Unter denſelben Perſonen erſcheint dieſes Verhält-
(b) L. 43 pr. eod.
(c) Der hier von Ulpian be-
merkte Gegenſatz zwiſchen den
Rechtsmitteln des Beklagten und
des Klägers iſt inſofern mehr
ſcheinbar als wahr, daß auch der
Beklagte durch die verſchiedenſten
Vertheidigungsmittel ſeinen Zweck
(die Losſprechung) doch immer nur
einmal erreichen kann, eben ſo wie
der Kläger, welcher mehrere con-
currirende Klagen hat. Darin aber
iſt allerdings zwiſchen Beiden ein
praktiſcher Unterſchied, daß der
Kläger, wenn er mit einer der
concurrirenden Klagen abgewieſen
iſt, nicht mehr die andere gebrau-
chen kann, anſtatt daß der Beklagte
alle Vertheidigungen zugleich vor-
bringt, wobey es ihm nicht ſchadet,
wenn die meiſten als ungegründet
verworfen werden, und nur eine
als richtig anerkannt wird.
(d) L. 5 de exc. rei jud.
(44. 2.). „De eadem re agere
videtur, et qui non eadem ac-
tione agat … Recteque ita de-
finietur, eum demum de (eadem)
re non agere, qui prorsus rem
ipsam non persequitur” ….
|0232 : 218|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
niß beſonders in den vielen und mannichfaltigen Fällen,
worin eine Condiction (gewöhnlich die Condictio furtiva)
mit einer bonae fidei actio concurrirt, indem die beiden
Umſtände zuſammen treffen, daß Einer einen Contract un-
erfüllt gelaſſen, daneben aber ſich aus dem Vermögen des
Andern ohne Grund bereichert hat (e). In allen ſolchen
Fällen kann auf dieſe unrechtmäßige Bereicherung ſowohl
mit einer Condiction, als aus dem geſchloſſenen Contracte,
geklagt werden; iſt aber der Zweck durch die eine dieſer
Klagen erreicht, ſo iſt dadurch die andere abſorbirt. Dieſe
Concurrenz mit einer Condiction wird für folgende Con-
tractsklagen bemerkt, ſtets mit der Beſtimmung, daß nur
eine der concurrirenden Klagen wirklich gebraucht wer-
den könne:
1) Pro socio, mandati, negotiorum gestorum (f).
2) Locati (g).
3) Commodati (h).
Eben dahin aber gehören auch noch folgende Fälle der
Concurrenz:
4) Condictio furtiva mit der Vindication (i).
(e) Vgl. hierüber Beylage XIV.
Num. VI.
(f) L. 45. 47 pr. pro soc.
(17. 2.).
(g) L. 35 § 1 loc. (19. 2.), L.
34 § 2 de O. et A. (44. 7.).
(h) L. 34 § 1 de O. et A.
(44. 7.), L. 71 pr. de furtis.
In dieſer letzten Stelle iſt unter
furti actio die condictio furtiva
zu verſtehen (alſo furti condicti-
tia actio), in welcher Bedeutung
derſelbe Ausdruck auch in folgen-
den Stellen vorkommt: L. 14 § 16
de furtis (47. 2.), L. un. C.
quando civ. actio (9. 31.), Pau-
lus II. 31 § 34. Vgl. Cujacius
obs. XVII. 12, Donellus § 15.
(i) L. 9 § 1 de furtis (47. 2.).
|0233 : 219|
§. 232. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)
5) Desgleichen mit der a. rationibus distrahendis (k).
6) Tutelae und rationibus distrahendis (l).
7) Communi dividundo und pro socio, wegen der
Früchte und Auslagen (m).
8) Doli und quod metus causa (n).
Es iſt aber zu bemerken, daß die hier erwähnten Fälle
der Concurrenz nicht immer zu dieſer erſten Klaſſe, ſon-
dern oft zu der zweyten gehören, ſo daß ihre Behandlung
ſtets von den zufälligen Umſtänden des einzelnen Falles
abhängt. Wenn nämlich der Gegenſtand beider Klagen
genau denſelben Umfang hat, ſo gehört dieſer Fall zur er-
ſten Klaſſe (o); eben ſo wenn die umfaſſendere Klage zu-
erſt mit Erfolg angeſtellt worden iſt (p). Wurde dagegen
die beſchränktere Klage zuerſt angeſtellt, ſo gehört der Fall
(k) L. 2 § 1 tutelae (27. 3.),
L. 55 § 1 in f. de administr.
(26. 7.).
(l) L. 1 § 21 tutelae (27. 3.).
Die Stelle geht allerdings in ih-
rem urſprünglichen Sinn auf die
Prozeßconſumtion, im Juſtiniani-
ſchen Recht muß ſie auf dieſelbe
Weiſe, wie die übrigen hier zuſam-
mengeſtellten Fälle der Concurrenz,
gedeutet werden, d. h. man muß
zu der Anſtellung der Klage auch
noch den Erfolg hinzu denken. Vgl.
über dieſe Stelle Ribbentrop
S. 56 — 58, ferner über das Ver-
hältniß der beiden genannten Kla-
gen zu einander, oben § 212, und
über die Behandlung der ange-
führten Stelle im neueſten Recht
unten § 235. g.
(m) L. 38 § 1 pro soc. (17. 2.).
(n) L. 14 § 13 quod metus
(4. 2.). Der Widerſpruch dieſer
Stelle mit L. 1 § 4 de dolo
(4. 3.), woran ſich Viele verſucht
haben, gehört nicht hierher.
(o) So z. B. wenn der Mie-
ther eines Pferdes daſſelbe geſtoh-
len hat, und aus dem Miethcon-
tract gerade nichts Anderes ſchul-
dig iſt, als den Erſatz für das
Pferd, worauf auch die condictio
furtiva geht.
(p) So wenn in dem in der
Note o. erwähnten Fall auch noch
Miethgeld rückſtändig iſt, und durch
die zuerſt angeſtellte actio locati
Erſatz und Miethgeld zugleich er-
langt wurde.
|0234 : 220|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
unter die zweyte Klaſſe, indem die noch übrige Klage auf
denjenigen Theil des Gegenſtandes angeſtellt werden kann,
welchen der Kläger durch die erſte Klage noch nicht er-
langt hat (q).
Reiner und entſchiedener in dieſer Hinſicht erſcheint
dieſe Concurrenz bey ſolchen Klagen, die unter ver-
ſchiedenen Perſonen beſtehen (r), indem hier die Ge-
genſtände der einzelnen Klagen meiſt völlig congruent ſind.
Dieſe Fälle erſcheinen in verſchiedenen Graden der Ver-
wandſchaft der Klagen unter einander, welche ſich in fol-
gender Abſtufung darſtellen laſſen (s):
A) Identität der Obligation, ſo daß wahrhaft eine
und dieſelbe Obligation mehrere Glaubiger oder Schuld-
ner zugleich umfaßt (t). Dieſe Identität konnte bey den
Römern auf dreyerley Weiſe, und nur auf dieſe, will-
kührlich hervorgebracht werden. Erſtlich bey einer von
Mehreren gemeinſchaftlich und für daſſelbe Object geſchloſ-
ſenen Stipulation (duo rei), wohin auch der Fall der
fidejussio gehört. Zweytens bey jedem anderen gemein-
ſchaftlichen Contract, wobey Jeder genau für Daſſelbe
(q) So wenn in dem vorigen
Fall (Note p.) zuerſt die condic-
tio furtiva auf den bloßen Erſatz
angeſtellt worden iſt. Die actio
locati kann noch immer auf das
Miethgeld angeſtellt werden, ſo
daß nun der Fall zu der zweyten
Klaſſe der Concurrenz gehört.
(r) Es ſind Dieſes alſo Fälle,
worin der Concurs, nach dem ge-
wöhnlichen Sprachgebrauch, ein
ſubjectiver iſt.
(s) Ribbentrop S. 83. 258,
in welcher Schrift dieſe Fälle über-
haupt auf ſehr befriedigende Weiſe
abgehandelt ſind.
(t) Ribbentrop S. 106. 110.
117. 170 — 178. 258. — In dieſen
Fällen hatten beide Klagen eine
und dieſelbe Intentio.
|0235 : 221|
§. 232. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)
wie jeder Andere (alſo auch für die verletzenden Handlun-
gen dieſes Andern) ſich verpflichtet (u). Drittens durch
Teſtament. Für das heutige Recht verſchwindet der erſte
Fall, ſo daß alſo jetzt die Annahme eines ſolchen Rechts-
verhältniſſes ſtets von der Auslegung der Verträge ab-
hängt, anſtatt daß bey den Römern die wichtigſten Fälle
dieſer Art durch die hergebrachten Formen der Stipula-
tion völlig außer Zweifel geſetzt waren. — Dieſelbe Iden-
tität aber entſteht auch ohne eine hierauf gerichtete beſon-
dere Willkühr, in den Fällen der actio exercitoria, insti-
toria, de peculio, de in rem verso, quod jussu, indem
hier ſtets die Obligation des Unternehmers, des Vaters
u. ſ. w. mit der Obligation des Aufſehers oder des Sohnes
völlig identiſch iſt (v).
B) Bloße Solidarität (w). Wenn Mehrere gemein-
ſchaftlich ein Delict begehen, ſo macht ſich Jeder des gan-
zen, vollſtändigen Delicts ſchuldig. Jeder alſo iſt für ſich
ſelbſt Schuldner, und man kann nicht, wie bey den Cor-
reis, ſagen, daß eine und dieſelbe Obligation ſich auf
Mehrere beziehe. Da aber der erlittene Schade nur ein
einfaches Daſeyn hat, ſo iſt der Betrag der einzelnen
Schulden von gleicher Größe; und da durch den einmal
geleiſteten Erſatz das Daſeyn des Schadens vernichtet iſt,
ſo muß die von Einem geleiſtete Zahlung die Übrigen be-
(u) L. 9 de duobus reis
(45. 2.).
(v) Keller Litisconteſtation S.
420. fg.
(w) Ribbentrop S. 44. 56.
90. 121.
|0236 : 222|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
freyen (§ 211. c.). Daſſelbe Verhältniß findet ſich oft
zwiſchen Mitvormündern; ferner zwiſchen Mehreren, die
gemeinſchaftlich eine Sache als Commodat oder Depoſitum
empfangen haben, ohne ſich zu der unter A) erwähnten
vollſtändigen Identität der Leiſtung zu verpflichten (x).
C) Endlich giebt es noch einen Fall, worin nicht ein-
mal wahre Solidarität vorhanden iſt, und welcher daher
nur eine einſeitige und beſchränkte Concurrenz in ſich ſchließt.
Wenn nämlich Bürgſchaft in Form eines Mandats gelei-
ſtet wird, ſo erlangt dadurch der Glaubiger gleichfalls
zwey Schuldner, an welche er ſich halten kann. Klagt
er nun gegen den Hauptſchuldner, und erlangt von dieſem
Bezahlung, ſo wird der mandator frey, weil die Man-
datsklage kein Object mehr hat; dagegen befreyt die ge-
gen den mandator erzwungene Zahlung den Hauptſchuld-
ner nicht (y).
§. 233.
Aufhebung des Klagrechts. II. Concurrenz. Zweyte Klaſſe
von Klagen. Partielle Concurrenz.
Zweyte Klaſſe. Partielle Concurrenz. Hier kann
die zweyte Klage zwar noch angeſtellt werden, jedoch nur
entweder mit Abrechnung der ſchon erlangten Summe,
oder auch nach Rückgabe derſelben. Es läßt ſich Dieſes
(x) L. 1 § 43 depositi (16. 3.),
L. 9. 22 eod., L. 5 § 15 com-
mod. (13. 6.).
(y) L. 28 mandati (17. 1.).
Ribbentrop S. 84.
|0237 : 223|
§. 233. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)
auf verſchiedene Weiſe denken; bald indem die zweyte
Klage manche Gegenſtände umfaßt, die in der erſten gar
nicht vorkommen konnten (§ 232. q.); bald indem ſie zu-
fällige Nebenvortheile mit ſich führt, z. B. durch eine be-
ſondere Art der Schätzung (a); bald indem ſie, als mixta
actio, auf Entſchädigung und Strafe zugleich geht, anſtatt
daß durch die erſte blos die Entſchädigung erlangt wur-
de (b). Schon oben aber iſt bemerkt worden, daß es bey
vielen Klagen von den zufälligen Umſtänden jedes einzel-
nen Falls abhängt, ob ihre Concurrenz unter die erſte
oder zweyte Klaſſe gehört (§ 232. o. p. q.).
Das Princip dieſer Klaſſe iſt in folgender Stelle des
Paulus ausgeſprochen, deren Sinn ganz unzweifelhaft iſt,
wenngleich ein Theil derſelben augenſcheinlich durch eine
falſche Leſeart verdunkelt wird (c):
Si ex eodem facto duae competant actiones, postea
judicis potius partes esse, ut quo plus sit in reliqua
actione, id actor ferat: si tantundem, aut minus, id
consequatur.
Schlöſſe die Stelle mit den hier curſiv gedruckten Wor-
(a) Vgl. unten Note i.
(b) Iſt eine Sache geraubt
worden, ſo kann zuerſt mit der
condictio furtiva die Entſchädi-
gung eingeklagt werden; dann iſt
noch immer die a. vi bonorum
raptorum übrig, (L. 2 § 26 vi
bon. rapt. 47. 8), aber freylich
nicht mehr auf Entſchädigung, ſon-
dern auf den dreyfachen Werth
als Strafe. — Eben ſo, wenn erſt
die Contractsklage, nachher die a.
L. Aquiliae angeſtellt wird, welche
letzte durch die Art der Schätzung
eine Strafe in ſich ſchließen kann.
Von dieſem Fall wird unten aus-
führlich gehandelt werden.
(c) L. 41 § 1 de O. et A.
(44. 7.) aus Paulus lib. 22 ad ed.
|0238 : 224|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
ten, ſo bliebe kein Zweifel über den Inhalt möglich; aus
dieſen Worten aber folgt zugleich der Inhalt der Schluß-
worte mit ſolcher Nothwendigkeit, daß eine Berichtigung
des Textes derſelben von jeher als unvermeidlich anerkannt,
und ſelbſt von Denjenigen gebilligt worden iſt, welche
außerdem die größte Abneigung gegen Emendationen haben.
Die dem Sinne nach einfachſte Veränderung beſteht darin,
daß anſtatt id consequatur geleſen wird nihil (oder nil)
consequatur (d). Näher an den handſchriftlichen Text
ſchließt ſich dieſe Verbeſſerung an: id non sequatur (e).
Der Erfolg beider Verbeſſerungen iſt völlig derſelbe. —
Daß nun Paulus gerade den hier aufgeſtellten Grundſatz
ausdrücken will, iſt ganz unverkennbar. Das Weſen deſ-
ſelben führt aber darauf, als Bedingung das (ganz oder
theilweiſe) gemeinſchaftliche Object der beiden Klagen
anzuſehen, da nur unter dieſer Vorausſetzung conſequen-
terweiſe von einem plus oder minus oder tantundem die
Rede ſeyn kann. Paulus jedoch drückt als Bedingung
nicht das gemeinſame Object aus, ſondern den gemeinſa-
men Entſtehungsgrund (ex eodem facto), der zwar häufig
auch vorhanden, aber doch ganz unentſcheidend iſt (§. 231).
Dieſer unrichtige Geſichtspunkt, unter welchen er den
Grundſatz brachte, hatte die üble Folge, daß er ihn nicht
(d) Cujacius observ. III. 25.
(e) Pagenstecher admonito-
ria ad Pand. P. 6 § 289. Es
wird dann nur ein einziger Buch-
ſtab verändert. Man kann aber
auch noch eine Art von Gemina-
tion damit verbinden, und leſen:
id non consequatur, wodurch
der Ausdruck der Stelle unge-
zwungner wird.
|0239 : 225|
§. 233. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)
blos bey den hier angegebenen Klagen anwendete, wohin
er in der That gehört, ſondern auch bey verſchiedenen
Strafklagen aus demſelben Delict, wohin er nicht gehört.
Von dieſem Irrthum wird noch unten an ſeinem Orte die
Rede ſeyn (§ 234.). Die Wurzel deſſelben aber mußte
gleich hier nachgewieſen werden.
Sichere Anwendungen dieſes Grundſatzes finden ſich in
folgenden Fällen.
Es wird zuerſt die a. communi dividundo angeſtellt,
dann pro socio. Dieſe letzte iſt zuläſſig, aber nur mit
Abrechnung Desjenigen, was der Kläger durch die erſte
Klage ſchon erlangt hat (f).
Nach der condictio furtiva gilt die a. pro socio nur
inſofern ſie ein anderes, und daher höheres, Intereſſe ver-
folgt, als Das welches aus dem Diebſtahl entſprang (g).
Iſt der Nebenvertrag bey einem Verkauf durch eine
Conventionalſtrafe verſtärkt, ſo gilt die a. venditi und die
Stipulationsklage. Iſt aber die erſte ſchon gebraucht, ſo
gilt die zweyte nur dann, wenn die Strafe mehr beträgt
als das ſchon erlangte Intereſſe; umgekehrt gilt die a. ven-
diti nur, wenn das Intereſſe mehr beträgt, als die einge-
klagte Strafe; in beiden Fällen alſo nur auf den Über-
ſchuß (h).
(f) L. 43 pro soc. (17. 2.)
„.. hoc minus ex ea actione
consequitur, quam ex prima
actione consecutus est.”
(g) L. 47 pr. pro soc. (17. 2.).
„Sed si ex causa furtiva con-
dixero, cessabit pro socio ac-
tio, nisi si pluris mea intersit.”
(h) L. 28 de act. emti (19. 1.).
V. 15
|0240 : 226|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Wenn der Beſtohlene mit der condictio furtiva Ent-
ſchädigung erhalten hat, ſo kann er doch noch die Sache
von dem Diebe vindiciren; jedoch nur wenn er zurück
zahlt, was er durch die Condiction erlangt hat. Nun
muß der Dieb die Sache in Natur zurück geben, und
wenn er Dieſes verweigert, das jusjurandum in litem er-
dulden (i).
Die häufigſten und mannichfaltigſten Anwendungen fin-
den ſich bey der a. L. Aquiliae, die mit einer Contracts-
klage concurrirt. Wenn der Miether, der Commodatar
u. ſ. w. die Sache zerſtört oder verdirbt, ſo hat der Eigen-
thümer gegen ihn die beiden eben genannten Klagen. Da
aber jede derſelben zunächſt und hauptſächlich auf Ent-
ſchädigung geht, ſo wird meiſt die eine durch die andere
abſorbirt werden. Indeſſen kann zufällig die a. L. Aqui-
liae einträglicher ſeyn, wegen der bey ihr eintretenden
künſtlichen Schätzung. Iſt daher die Contractsklage zu-
erſt angeſtellt, ſo führt die conſequente Anwendung unſres
Grundſatzes darauf, daß die a. L. Aquiliae noch immer
angeſtellt werden darf, jedoch nur auf die aus der künſt-
lichen Schätzung hervorgehende Differenz, die eigentlich
eine Strafe iſt. Der einzige Zweifel könnte etwa daraus
entnommen werden, daß dieſer Strafzuſatz nicht, wie bey
(i) L. 9 § 1 de furtis (47. 2.).
„.. quod si ex condictione
ante damnatus reus litis aesti-
mationem sustulerit, ut aut
omnimodo absolvat reum, aut,
quod magis placet, si paratus
esset petitor aestimationem re-
stituere, nec restituetur ei ho-
mo: quanti in litem jurasset,
damnaretur ei possessor.”
|0241 : 227|
§. 233. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)
manchen anderen Strafklagen, in einer abgeſonderten
Summe beſteht, ſondern in einer erhöhten Schätzung des
Schadens, weshalb man ſie für untrennbar verbunden mit
der Entſchädigung ſelbſt halten könnte. Allein dieſes Be-
denken verſchwindet völlig, wenn man erwägt, daß der
Zweck durch bloße Abrechnung der geringeren (ſchon be-
zahlten) Geldſumme von der größeren leicht und ſicher er-
reicht werden kann, welches Mittel auch in den übrigen,
ſchon angeführten, Fällen in der That angewendet wird
(Note f. g. h.). — In unſren Rechtsquellen nun finden wir
über die hier aufgeſtellte Frage folgende Äußerungen.
Viele Stellen ſagen ganz allgemein, in ſolchen Fällen
werde jede der beiden Klagen von der andern abſorbirt,
ſo daß alſo überhaupt nur eine derſelben gebraucht wer-
den könne; damit ſcheint alſo die Anwendung unſres Grund-
ſatzes auf dieſe Fälle verneint zu werden. Stellen ſolcher
Art finden ſich von Ulpian (k), von Paulus (l), und von
Gajus (m). Indeſſen laſſen ſich dieſe Stellen auch ſo
verſtehen, daß ſie blos von dem gewöhnlichſten Fall reden
wollen, worin die Aquiliſche Klage gerade keinen höheren
Ertrag giebt, als die Contractsklage, weil die künſtliche
Schätzung auf keine höhere Geldſumme führt. Die Rich-
tigkeit dieſer Auslegung folgt unwiderſprechlich aus eini-
(k) L. 27 § 11 ad L. Aqu.
(9. 2.), L. 13 de rei vind. (6. 1.).
(l) L. 36 § 2 de her. pet.
(5. 3.), L. 18 ad L. Aqu. (9. 2.),
L. 50 pr. pro soc. (17. 2.), L.
43 loc. (19. 2.).
(m) L. 18 § 1 comm. (13. 6.).
In ähnlichen Ausdrücken redet Der-
ſelbe von der Concurrenz der a.
locati mit der a. arborum fur-
tim caesarum. L. 9 arb. furtim
caes. (47. 7.).
15*
|0242 : 228|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
gen Stellen gerade derſelben Juriſten, worin ſie die An-
wendung unſres Grundſatzes auch auf die Aquiliſche Klage
ausdrücklich anerkennen, und zwar zum Theil in Aus-
drücken, worin dieſe Anwendung als die ſeltner vorkom-
mende, leicht überſehene, gewöhnlich nicht erwähnte (alſo
auch nicht durch bloßes Stillſchweigen verneinte) bezeich-
net wird.
So ſagt Ulpian, indem er ſich auf Pomponius beruft,
wenn der Dieb den geſtohlenen Sklaven getödtet habe,
könne zuerſt die condictio furtiva, nachher die Aquiliſche
Klage gebraucht werden, weil dieſe durch ihre höhere
Schätzung einträglicher ſeyn könne (n). Noch entſcheiden-
der aber iſt eine Stelle deſſelben Ulpian über die Concur-
renz der a. commodati mit der Aquiliſchen Klage. An-
fangs ſagt er in eben ſo allgemeinen Ausdrücken, wie in
den oben angeführten Stellen (Note k), jede dieſer Klagen
werde durch die andere abſorbirt; dann aber fügt er be-
richtigend hinzu: man möchte denn ſagen wollen, die Aqui-
liſche Klage könne noch immer auf die Differenz angeſtellt
werden, und Dieſes ſey auch in der That das Rich-
tige (o).
(n) L. 2 § 3 de priv. delictis
(47. 1.). „… Et scripsit Pom-
ponius, agi posse, quia alte-
rius aestimationis est legis
Aquiliae actio, alterius condic-
tio ex causa furtiva: namque
Aquilia eam aestimationem
complectitur, quanti eo anno
plurimi fuit: condictio autem
ex causa furtiva non egreditur
retrorsum judicii accipiendi
tempus.”
(o) L. 7 § 1 commod. (12. 6.).
„… nisi forte quis dixerit,
agendo eum e L. Aquilia, hoc
minus consecuturum, quam ex
|0243 : 229|
§. 233. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)
Ganz in demſelben Sinn wird dieſe Frage behandelt
in einer Stelle des Paulus, die jedoch theils weniger deut-
lich, theils durch kritiſche Schwierigkeiten verdunkelt iſt.
Es iſt die Rede von einem Commodat an Kleidungsſtücken,
die der Commodatar zerriſſen hat; darüber drückt ſich Pau-
lus alſo aus (p):
et quidem post legis Aquiliae actionem, utique com-
modati finietur: post commodati, an Aquiliae rema-
neat in eo quod in repetitione triginta dierum am-
plius est, dubitatur. Sed verius est remanere(q),
quia simplo accedit, et simplo subducto locum non(r)
habet.
Nach den letzten, ſehr dunklen Worten könnte man glau-
ben, Paulus habe ſich den oben angeregten Bedenken
hingegeben, daß der Zuſatz der Aquiliſchen Klage von
ihrem Hauptinhalt ganz untrennbar ſey, und er habe des-
wegen die Aquiliſche Klage gänzlich verſagt; dann müßte
causa commodati consecutus
est: quod videtur habere ra-
tionem”
(p) L. 34 § 2 in f. de O. et
A. (44. 7.) aus Paulus lib. sing.
de concurrentibus actionibus.
(q) Glossa Accursii: „alias
non, alias sine non.” Beide
Leſearten alſo haben alte Beglau-
bigung; die zweyte, die oben im
Text ſteht, iſt die Florentiniſche. —
Non remanere las auch eine
alte Handſchrift der Leipziger Raths-
bibliothek, welche an Haubold ver-
liehen war, und aus Verſehen mit
deſſen Bibliothek nach Åbo ge-
ſchickt wurde, wo ſie mit der übri-
gen Bibliothek verbrannt iſt.
(r) Dieſe Leſeart findet ſich in
allen bekannten Handſchriften.
Zwar ſteht am Rande der Aus-
gabe des Baudoza: „in quibus-
dam deest haec etiam nega-
tio,” allein Dieſes iſt kein ganz
zuverläſſiges Zeugniß. — Cuja-
cius observ. III. 25 bemerkt blos,
das non müſſe entweder in beiden
Sätzen ſtehen, oder in beiden feh-
len, welches letzte er vorzieht.
|0244 : 230|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
man die, allerdings durch Handſchriften beglaubigte, Leſe-
art non remanere als richtig annehmen. Allein zwey
Gründe ſtehen dieſem Reſultat, und der damit verbunde-
nen Leſeart, entgegen. Erſtlich das im Anfang des ge-
genwärtigen Paragraphen (Note c) angegebene, von Pau-
lus aufgeſtellte Princip, welches er ſo feſthält, daß er es
auch da anwendet, wohin es nicht gehört; zweytens, daß
Paulus wenige Zeilen vor unſrer Stelle die Aquiliſche
Klage hinter der Injurienklage in id quod amplius com-
petit gelten läßt, welches alſo auf dieſelbe Weiſe auch
hinter der commodati actio möglich und richtig ſeyn muß. —
Die einfachſte Art, dieſen Sinn zu retten, beſteht darin,
daß man, nach dem Vorſchlag des Cujacius, und nach
einer, wenn auch zweydeutigen, handſchriftlichen Autorität
(Note r), die Leſeart: locum habet (ohne non) annimmt.
Nun iſt der Sinn dieſer: „die Aquiliſche Klage gilt auch
jetzt noch, weil ihr Erfolg (möglicherweiſe) über das Sim-
plum hinausgeht, ſo daß dann die Klage, auch nach Ab-
zug des ſchon bezahlten Simplum, noch immer ein Object
hat, für welches ſie denn auch wirklich zuläſſig iſt.“ —
Indeſſen kann man verſuchen, auch die vollſtändige Flo-
rentiniſche Leſeart durch folgende, den Gedanken ergän-
zende, Paraphraſe zu erhalten: „Die Aquiliſche Klage
bleibt übrig, aber nicht blos, wie es in der Frage aus-
gedrückt war, für das amplius, ſondern ganz (alſo rema-
nere für integram remanere), weil nämlich das amplius
in der Klage nur als ein Zuſatz zu dem Simplum er-
|0245 : 231|
§. 233. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)
ſcheint, alſo, wenn man das Simplum aus der Klage
weglaſſen wollte (simplo subducto), auch das amplius
nicht als Inhalt einer Klage möglich iſt (locum non ha-
bet.)“ Nach dieſer Wendung würde ſich die Stelle auf
die Faſſung der formula beziehen, deren Intentio freylich
nie auf das amplius, ſondern nur auf damnum decidi
oportere, alſo auf das Simplum und die Straferhöhung
zugleich, gerichtet ſeyn konnte. Im Hintergrund läge dann
der (nicht ausgedrückte) Gedanke, daß die Verfolgung des
ſchon erhaltenen Simplum, durch eine doli exceptio, per
Praetorem inhibenda est, wie es im princ. für einen ähn-
lichen Fall geſagt iſt (s). — Das Reſultat beider Erklä-
rungen iſt völlig daſſelbe, allerdings aber empfiehlt ſich
die erſte (wenn man einmal die Emendation locum habet
zulaſſen will) durch größere Einfachheit.
(s) Dieſe Erklärung findet ſich
bey A. O. Krug de condictione
furtiva Lips. 1830. p. 66. Dem
Gedanken nach übereinſtimmend,
aber mit ganz entgegengeſetztem
Text, iſt die Erklärung des Do-
nellus § 17; dieſer ließt non re-
manere und locum non habet,
und erklärt ſo, daß die Klage auf
das bloße amplius nicht gelte
(non remanere), weil eben nur
auf das Ganze geklagt werden
könnte. Im Hintergrund liegt nun
der (nicht ausgedrückte) Gedanke,
die Klage auf das Ganze (Sim-
plum und amplius) ſey wirklich
zuläſſig, werde aber durch doli
exceptio auf das amplius be-
ſchränkt. — Gezwungener und we-
niger befriedigend iſt die Erklärung,
die ſich bey Thibaut S. 191 und
Anderen findet, und zu deren Un-
terſtützung noch einigermaßen die
Emendation etsi simplo für et
simplo dienen kann. Vgl. Schul-
ting notae in Digesta, L. cit.
|0246 : 232|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
§. 234.
Aufhebung des Klagrechts. II. Concurrenz. Dritte Klaſſe
von Klagen. Keine Concurrenz.
Dritte Klaſſe. Keine Concurrenz.
In allen Fällen dieſer Klaſſe kann die zweyte Klage
ganz und mit vollſtändiger Wirkung angeſtellt werden, ob-
gleich die erſte Klage ſchon mit vollem Erfolg gebraucht
worden iſt.
Da dieſe Klaſſe einen blos negativen Charakter hat,
ſo können dahin unzählige Fälle gerechnet werden, welche
hier zu erwähnen Niemand den Gedanken haben wird;
namentlich alle gleichzeitig unter verſchiedenen Perſonen
beſtehende Klagen aus ganz verſchiedenen Rechtsgeſchäften.
Wenn alſo hier manche Fälle noch beſonders erwähnt
werden ſollen, ſo kann Dieſes nur bey ſolchen Bedürfniß
ſeyn, worin der täuſchende Schein einer Concurrenz vor-
handen iſt, welcher daher weggeräumt werden ſoll. Es
werden dahin ſolche Klagen gerechnet werden müſſen, die
einen gemeinſamen Entſtehungsgrund haben, unter denſel-
ben Perſonen beſtehen, oder denſelben Namen führen, bey
welchen aber dennoch eine Concurrenz nicht anzunehmen
iſt, weil ihnen ein gemeinſchaftliches Object fehlt (§ 231).
A) Dahin gehört zuerſt der Fall eines Delicts, wor-
aus neben einer Entſchädigungsklage eine reine Strafklage
entſpringt. Beide Klagen ſind von einander ganz un-
abhängig.
|0247 : 233|
§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)
So die condictio furtiva und die furti actio aus dem-
ſelben Diebſtahl, deren gegenſeitige Unabhängigkeit ſtets unbe-
ſtritten war (a). Eben ſo, nach der richtigeren Betrach-
tung, die Injurienklage und die Aquiliſche Klage, wenn
ein Sklave durch Schläge hart mishandelt war. Darin
lag eine Injurie gegen den Herrn, und eine Beſchädigung
des Eigenthums, die Injurienklage verfolgte eine Strafe,
die Aquiliſche den Schadenserſatz (b).
Es liegt alſo hierin daſſelbe Princip, wie bey den ge-
miſchten Pönalklagen. Die actio vi bonorum raptorum
geht auf den einfachen Erſatz, und daneben, auf den drey-
fachen Werth als Strafe (c). Wie hier durch eine und
dieſelbe Klage die Strafe noch außer der Entſchädigung
gefordert wird, ſo in jenen Fällen durch verſchiedene
Klagen.
B) Die Injurie gegen eine Ehefrau iſt zugleich eine
Injurie gegen den Mann. Hier entſtehen aus derſelben
Handlung zwey gleichnamige Strafklagen, deren jede von
(a) L. 7 § 1 de cond. furt.
(13. 1.), L. 45. 46. 47 pr. pro
soc. (17. 2.), L. 34 § 2 de O. et
A. (44. 7.), L. 54 § 3 de furtis
(47. 2.).
(b) L. 15 § 46 de injur. (47.
10.). So war es unbeſtritten, wenn
man in der Aquiliſchen Klage die
Entſchädigung als das Überwie-
gende betrachtete. Paulus freylich
ſieht ſie in L. 34 pr. de O. et A.
(44. 7.) vorzugsweiſe als Straf-
klage an, und wendet daher auf
dieſen Fall ganz unpaſſender Weiſe
das Princip des bloßen amplius
in der zweyten Klage an. Nach
Ulpians Meynung kann auch dieſe
Betrachtungsweiſe kein anderes
Reſultat geben, wie ſich unten in
dieſem §. zeigen wird.
(c) pr. J. de vi bon. rapt.
(4. 2.). — Unter den früheren Ju-
riſten freylich hatten Manche be-
hauptet, das Vierfache ſey hier
reine Strafe. Gajus IV. § 8.
|0248 : 234|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
dem Erfolg der andern ganz unabhängig iſt (d). Die Be-
ſtrafung jedes dieſer zwey Delicte iſt ein für ſich beſte-
hendes Object.
C) Wenn Mehrere zugleich ſtehlen, ſo begeht Jeder
den ganzen, vollen Diebſtahl, und der Umſtand, daß ihm
Andere dabey helfen, verändert oder vermindert die Straf-
barkeit ſeiner Handlung nicht. Daher geht gegen Jeden
die furti actio auf die volle Strafe, wenngleich die Übri-
gen ihre Strafe ſchon gezahlt haben, weil die Beſtrafung
eines jeden dieſer Delicte ein ſelbſtſtändiges Object iſt
(§ 211. b.).
D) Wenn Mehrere einen Sklaven gleichzeitig tödten,
ſo daß man nicht ſagen kann, welcher vorzugsweiſe der
Thäter ſey, ſo ſoll Jeder den vollen Betrag der Aquili-
ſchen Klage zahlen, wie wenn er allein gehandelt hätte;
hierin ſtimmten die Römiſchen Juriſten von alter Zeit her
überein (d¹). Auf den erſten Blick möchte man geneigt
ſeyn, hierin blos eine falſch angewendete Analogie der
furti actio anzunehmen, indem es ſcheint, die reine Ent-
ſchädigung dürfe nur einmal gefordert werden, die Straf-
erhöhung habe jeder Thäter ganz zu zahlen. Allein durch
folgende Betrachtung läßt ſich jene Entſcheidung der alten
(d) L. 1 § 9 de injur. (47. 10.)
(Ulpian), L. 18 eod. (Paulus)
L. 41 eod. (Neratius).
(d¹) L. 51 § 1 ad L. Aquil.
(9. 2.). Idque est consequens
auctoritati veterum: qui cum
a pluribus idem servus ita vul-
neratus esset, ut non appare-
ret cujus ictu perisset, omnes
lege Aquilia teneri judicave-
runt.” L. 11 § 2 eod.. Die erſte
Stelle iſt von Julian, die zweyte
von Ulpian, der ſich dabey auf
Julian beruft.
|0249 : 235|
§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)
Juriſten rechtfertigen. Das Geſetz erlaubt dem Beſchä-
digten, jeden einzelnen Thäter ſo zu behandeln, wie wenn
ſeine Handlung nicht jetzt, ſondern in irgend einer ver-
gangenen Zeit des letzten Jahres geſchehen wäre. Durch
dieſe zugelaſſene Fiction kommt man mit jedem einzelnen
Thäter auf einen Zeitpunkt, in welchem der Andere nicht
zugleich handelte, ſo daß deshalb er den vollen Betrag
unverkürzt zahlen muß.
E) Wenn eine geſtohlene Sache dem Diebe von einem
anderen Diebe wieder entwendet wird, ſo hat Jeder der-
ſelben den Herrn der Sache beſtohlen, welcher daher zwey
von einander unabhängige furti actiones erwirbt (e).
F) Wenn dieſelbe Perſon an derſelben Sache mehrere
Delicte zu verſchiedenen Zeiten begeht, ſo iſt gewiß die
(e) L. 76 § 1 de furtis (47.
2.). „… dominus igitur habe-
bit cum utroque furti actionem,
ita ut, si cum altero furti ac-
tionem inchoat, adversus alte-
rum nihilo minus duret: sed
et condictionem: quia ex di-
versis factis tenentur.” Zuerſt
muß bemerkt werden, daß hier die
Unabhängigkeit beider Klagen mit
Recht nur für die furti actio,
nicht für die Condiction, behaup-
tet wird; denn wenn Ein Dieb die
Entſchädigung bezahlt, wird auch
hier der andere frey, eben ſo wie
bey dem gemeinſchaftlichen Dieb-
ſtahl. Die Hauptſchwierigkeit liegt
aber in den Schlußworten, da ja
bey dem gemeinſchaftlichen Dieb-
ſtahl (idem factum) gleichfalls
gegen jeden Dieb die Klage geht,
und da beſonders bey jedem ein-
fachen Diebſtahl die Condiction
noch neben der furti actio be-
ſteht, obgleich es gewiß idem fac-
tum iſt. Der Gegenſatz, den hier
Pomponius ausſchließen will, iſt
die fortwährende, wiederholte Con-
trectation von Seiten deſſelben
Diebes. Dieſe gilt ſtets nur als
idem factum, und es entſtehen
daraus nie mehrere furti actiones
oder mehrere Condictionen. Im
Gegenſatz dieſes idem factum
werden in unſrer Stelle die di-
versa facta als entſcheidend an-
gegeben. Vgl. L. 9 pr. L. 67
§ 2 de furtis (47. 2.). Ähnliches
gilt bey damnum. L. 32 § 1
L. 48 ad L. Aquil. (9. 2.).
|0250 : 236|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Strafe eines jeden Delicts beſonders verwirkt, unabhän-
gig von den übrigen Strafen (f). Auch die Entſchädi-
gung für jedes einzelne Delict kann eine ganz ſelbſtſtän-
dige Natur haben (g). Wenn jedoch die eine Entſchädi-
gung ſchon den vollſtändigen Sachwerth umfaßt, ſo kann
daneben nicht noch eine andere partielle Entſchädigung
vorkommen (h). Nur macht auch hier wieder die Aqui-
liſche Klage durch ihre künſtliche Berechnung, worin eine
Strafe enthalten ſeyn kann, eine Ausnahme (i).
G) Die in dieſem §. vorgetragenen Sätze waren größ-
tentheils auch bey den Römiſchen Juriſten völlig unbeſtritten.
(f) L. 2 pr. § 1. 2. 4. 5. 6 de
priv. delictis (47. 1.), L. 27 pr.
ad L. Aquil. (9. 2.).
(g) L. 32 § 1 L. 48 ad L.
Aquil. (9. 2.). So z. B. wenn
Jemand an demſelben Hauſe zu-
erſt Fenſter einſchlägt, und zu einer
andern Zeit das Dach beſchädigt.
(h) Weil ſonſt durch die nur
zur Entſchädigung beſtimmte Klage
eine Bereicherung entſtehen würde;
dieſes gilt beſonders auch, wenn
mehrere mixtae actiones auf
dieſe Weiſe entſtehen, für den in
jeder derſelben enthaltenen blos
perſecutoriſchen Theil. Mit Recht
bemerkt Göſchen Vorleſungen I.
462. 463, die Worte der L. 2 de
priv. del. (Note f) ſeyen großen-
theils ſo allgemein gefaßt, daß
man ſie auch auf die Unabhängig-
keit des perſecutoriſchen Theils be-
ziehen könnte, ganz gegen die Ab-
ſicht Ulpians, wie Dieſes beſonders
aus dem § 3 derſelben Stelle klar
hevorgeht.
(i) L. 2 § 3 de priv. delictis
(47. 1.). Wird ein koſtbares Pferd
zuerſt lahm geſchlagen (wodurch
ſein Werth auf eine Kleinigkeit
herab ſinken kann), und dann vor
Ablauf eines Jahres getödtet, ſo
muß der Thäter beynahe das Dop-
pelte des urſprünglichen hohen
Werthes bezahlen, weil das Inte-
reſſe der Tödtung nach dem Werth
zur Zeit des unverletzten Zuſtan-
des berechnet wird. — Ganz eben
ſo iſt es nun auch, wenn Einer
einen Sklaven tödlich verwundet,
ſo daß er nicht gerettet werden
kann, ſpäter ein Anderer ihn wirk-
lich tödtet. Hier zahlt Jeder das
Ganze als einziger Todtſchläger,
nur mit etwas verſchiedener Zeit-
berechnung. L. 51 pr. § 2 ad L.
Aquil. (9. 2.), vgl. oben Note d1.
|0251 : 237|
§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)
Dagegen hat der nun folgende Fall mehr Streit unter
ihnen erregt, als irgend eine andere, die Klagenconcurrenz
betreffende, Frage.
Eine einfache Handlung kann ſo beſchaffen ſeyn, daß
verſchiedene Strafgeſetze durch ſie verletzt werden, ſo daß
dieſelbe Handlung materiell als einfach, formell aber, durch
ihre verſchiedenen Beziehungen, als mehrere Delicte in ſich
ſchließend, zu betrachten iſt. Nach allgemeinen Grund-
ſätzen müſſen wir in dieſem Fall jede wahre Concurrenz
verneinen, alſo die vollſtändige Anwendung aller einzelnen
Strafklagen neben einander behaupten. Denn das gleiche
Object mehrerer Klagen, welches der einzige Grund wah-
rer Concurrenz iſt (§ 231), findet ſich hier nicht, da die
Beſtrafung jedes einzelnen hier wirklich begangenen De-
licts ein ganz eigenthümlicher, für ſich beſtehender Zweck
iſt, alſo mit der durch mehrere Klagen zu verfolgenden
Entſchädigung keine wahre Ähnlichkeit hat. Eine Beſtäti-
gung dieſer Anſicht liegt auch darin, daß bey der Injurie
gegen eine Ehefrau die unbeſchränkte Zuläſſigkeit mehrerer
Strafklagen neben einander ganz allgemein anerkannt iſt
(Note d); es macht aber für die Natur und Strafbarkeit
der begangenen einfachen Handlung durchaus keinen Un-
terſchied, ob die in derſelben vereinigt enthaltenen Delicte
gegen mehrere Perſonen, oder gegen eine einzige, began-
gen worden ſind (vgl. Note bb).
Wenn dennoch manche Römiſche Juriſten hierüber an-
dere Anſichten haben, ſo liegt Dieſes an der häufigen,
|0252 : 238|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
aber ganz verwerflichen, Verwechslung des gleichen ma-
teriellen Entſtehungsgrundes mit dem gleichen Gegenſtand
der Klagen (§ 231), wodurch ſie dann ferner verleitet
worden ſind, für dieſen Fall eine Prozeßconſumtion anzu-
nehmen, die darin in der That nicht begründet iſt; ferner
wurden ſie getäuſcht durch die ſcheinbare Ähnlichkeit des
Verhältniſſes, worin mehrere Strafklagen zu einander ſte-
hen, mit dem zwiſchen mehreren Entſchädigungsklagen;
endlich auch durch die allerdings zweydeutige Natur der
gemiſchten Strafklagen, deren beide Beſtandtheile jedoch
ſtets mit Sicherheit unterſchieden werden können.
Über die wirklichen Meynungen der alten Juriſten ha-
ben wir folgende Nachrichten. Modeſtin behandelt die-
ſen Fall nach der für die erſte Klaſſe (§ 232) aufgeſtellten
Regel, läßt alſo ſtets nur eine der mehreren Strafklagen
zu. — Paulus behandelt ihn nach der Regel der zwey-
ten Klaſſe (§ 233), geſtattet alſo, wenn eine Strafklage
gebraucht iſt, auch noch eine zweyte, jedoch nur auf das
amplius. — Papinian und Ulpian nehmen gar keine
Concurrenz zwiſchen ſolchen Klagen an, laſſen alſo jeder
derſelben ihre volle Wirkung auch neben den übrigen. Die-
ſelbe Meynung hat Hermogenian, der zugleich die ſpä-
tere allgemeine Anerkennung derſelben berichtet.
I. Modeſtin. Seine Meynung kommt in keiner ein-
zelnen Anwendung vor, ſondern blos in folgender allge-
mein ausgedrückten Regel (k):
(k) L. 53 pr. de O. et A. (44.7.) aus Modestinus lib. 3 regularum.
|0253 : 239|
§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)
Plura delicta in una re plures admittunt actiones:
sed non posse omnibus uti probatum est: nam si
ex una obligatione plures actiones nascuntur, una
tantummodo, non omnibus, utendum est.
Die Worte ex una re heißen offenbar ſo viel als ex
eodem facto, wie der nachfolgende, abwechſelnd gebrauchte,
Ausdruck ex una obligatione zeigt, in welchem obligatio
die ſehr gewöhnliche Bedeutung der eine Obligation erzeu-
genden Handlung hat. Hier iſt nun die Verwechslung des
gemeinſamen Entſtehungsgrundes mit dem gemeinſamen ju-
riſtiſchen Object recht augenſcheinlich. — Man könnte noch
etwa glauben, Modeſtin habe ſich nur zu allgemein aus-
gedrückt, und ſey daneben nicht abgeneigt geweſen, ſo wie
Paulus, eine zweyte Klage auf das amplius zuzulaſſen.
Allein Paulus ſelbſt erwähnt das Daſeyn einer ſolchen
extremen Meynung, wie ſie hier dem Modeſtin zugeſchrie-
ben wird, die alſo ſeiner eigenen entgegengeſetzt war (l).
Modeſtin alſo hatte dieſelbe ohne Zweifel von älteren Ju-
riſten angenommen, auf welche hier Paulus anſpielt, ohne
ſie zu nennen.
II. Paulus. Es iſt ſchon oben (§ 233) erwähnt wor-
den, daß er den für die zweyte Klaſſe in der That gel-
tenden Grundſatz, nach welchem jede noch übrige Klage
(l) L. 34 pr. de O. et A.
(44. 7.). „.. sed quidam, al-
tera electa, alteram consumi;”
hier wird alſo geradezu die Pro-
zeßconſumtion als Entſcheidungs-
grund angeführt. Es iſt hier die
Rede von der Injurienklage neben
der Aquiliſchen, wegen eines ſchimpf-
lich gepeitſchten fremden Sklaven.
|0254 : 240|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
auf das amplius angeſtellt werden kann, in zu ausgedehn-
ter Weiſe ausdrückt; er faßt ihn nämlich ſo allgemein,
daß derſelbe auch auf die Strafklagen Anwendung findet,
wohin er in Wahrheit nicht paßt.
Er hat aber dieſe ſeine Meynung nicht blos in jenem
allgemeinen Princip ausgeſprochen, ſondern auch ganz con-
ſequent in folgenden einzelnen Anwendungen durchgeführt.
1) Wenn ein fremder Sklave ſchimpflich gepeitſcht
wird. Die Aquiliſche und die Injurienklage, jede von
ihm auf das amplius noch nach der anderen zugelaſſen (m).
2) Wenn eine Sache geraubt wird, ſo liegt darin ein
zweyfaches Delict: Raub und Diebſtahl. Nach der actio
furti nec manifesti ſoll die a. vi bonorum raptorum noch
gelten, aber nur auf das amplius (n).
3) Eben ſo bey abgehauenen Bäumen: die Aquiliſche
Klage und die a. arborum furtim caesarum (o).
In einer andern Stelle ſoll er, wie man gewöhnlich
annimmt, zwey Strafklagen vollſtändig neben einander
gelten laſſen: die furti actio und die a. de rationibus
distrahendis (p). Manche haben deshalb den Paulus als
inconſequent getadelt, Andere haben eine Interpolation an-
genommen. Beides ohne Grund, da die eben angeführte
Klage gegen den untreuen Vormund in der That nicht
(m) L. 34 pr. de O. et A.
(44. 7.). Es iſt dieſelbe Stelle,
worin er daneben noch fremde Mey-
nungen anführt (Note l.).
(n) L. 1 vi bon. rapt. (47. 8),
L. 88 de furtis (47. 2.).
(o) L. 1 arborum furtim
caes. (47. 7.), L. 11 eod.
(p) L. 2 § 1 de tutelae (27. 3.).
|0255 : 241|
§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)
als Strafklage von den alten Juriſten angeſehen wird
(§ 212).
III. Nach der richtigern Meynung, die auch bey den
Römern zuletzt geſiegt hat, können alle Strafen neben ein-
ander unvermindert zur Anwendung kommen.
Papinian ſpricht dieſe Meynung in folgender An-
wendung aus. Wenn eine fremde Sklavin ſtuprirt wird,
ſo gilt die Aquiliſche, die Injurienklage, und die a. servi
corrupti, und zwar alle neben einander (q).
Ulpian ſpricht dieſe Meynung theils als allgemeine
Regel aus, theils in einzelnen Anwendungen. Als allge-
meine Regel in folgenden zwey Stellen:
Nunquam actiones poenales de eadem pecunia con-
currentes alia aliam consumit(r).
In dieſer Stelle liegt der entſchiedenſte Widerſpruch
gegen die Meynung des Paulus über das amplius. Denn
wenn die mehreren Strafklagen auf eadem pecunia (gleiche
(q) L. 6 ad L. Jul. de adult.
(48. 5.). „.. nec propter plu-
res actiones parcendum erit in
hujusmodi crimine reo.” Gö-
ſchen Vorleſungen I. S. 459 hält
es für eine Eigenthümlichkeit
gerade dieſes ſchweren Vergehens,
da auch das Intereſſe unverkürzt
mehrmals bezahlt werden ſolle.
Das Letzte wird indeſſen nicht
geſagt, zwey dieſer Klagen konn-
ten auch wohl auf ein verſchieden-
artiges Intereſſe gehen (vgl. L. 11
§ 2 de servo corr. 11. 3.), und
das nec parcendum geht mehr
auf eine Häufung der Strafen,
als auf eine ſonſt ungewöhnliche
mehrfache Entrichtung des Inte-
reſſe. Die Worte in hujusmodi
crimine ſollen nicht ein beſonders
ſchweres Verbrechen bezeichnen (wel-
ches nach Römiſchen Begriffen in
jener Handlung gar nicht enthal-
ten war), ſondern eben nur den
Fall mehrerer Delicte, die in einer
und derſelben Handlung vereinigt
ſind.
(r) L. 60 de O. et A. (44. 7)
aus Ulpian. lib. 17 ad ed.
V. 16
|0256 : 242|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Summe) gehen, ſo muß jede derſelben durch den Gebrauch
der andern, nach Paulus, völlig ausgeſchloſſen werden. —
Der Ausdruck consumit könnte mit beſonderer Hinſicht auf
die Prozeßconſumtion gewählt ſeyn, die alſo hier verneint
werden ſollte, doch läßt ſich Dieſes mit Sicherheit nicht
behaupten, da derſelbe Ausdruck auch die materielle Con-
ſumtion, durch die vermittelſt der erſten Klage bewirkte
Zahlung, bezeichnen kann (s).
Die zweyte Stelle lautet ſo:
Nunquam actiones, praesertim poenales, de eadem
re concurrentes, alia aliam consumit(t).
Dieſe Stelle iſt, nach ihrem Wortlaut, der vorherge-
henden ſo auffallend ähnlich, daß man auch den Sinn für
völlig gleich halten möchte; und dennoch iſt dieſer ſehr
verſchieden. Denn da ſie von allen Klagen ſpricht, nicht
blos von den Strafklagen, ſo konnte Ulpian unmöglich ſa-
gen wollen, daß dieſe, wenn ſie auf daſſelbe Object
giengen, einander niemals conſumirten, da ja bey den Ent-
ſchädigungsklagen dieſer Art gerade das Gegentheil als
Regel anzunehmen iſt (§ 232). Selbſt dadurch wird die-
ſem Bedenken nicht abgeholfen, wenn man etwa das vor-
zügliche Gewicht auf die Prozeßconſumtion legen wollte,
die hier verneint werden ſollte, und auf welche das Wort
(s) Keller Litisconteſtation
S. 483. 494.
(t) L. 130 de R. J. (50. 17.),
aus Ulpian. lib. 18 ad ed., alſo
aus demſelben Werk wie die in
der Note r. angeführte Stelle, und
ſelbſt aus einem ganz nahe lie-
genden Abſchnitt dieſes Werks.
|0257 : 243|
§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)
consumit bezogen werden könnte (u). Denn aus der Cor-
realſtipulation entſtanden gerade zwey Klagen auf daſſelbe
Object, und bey ihr trat die Prozeßconſumtion ganz ent-
ſchieden ein. Daher müſſen die Worte: de eadem re er-
klärt werden von dem gemeinſamen Entſtehungs-
grund (wie ex eodem facto), und auch für dieſen iſt
Ulpians Behauptung nur ſo zu verſtehen, daß die gemein-
ſame Entſtehung für ſich allein niemals ein Grund der
Prozeßconſumtion ſeyn ſoll (v). Nun liegt der nicht aus-
gedrückte Gedanke im Hintergrund: die folgende Klage
werde nur ausgeſchloſſen bey gemeinſamen Object, und
auch dabey ſehr häufig nicht auf dem Wege der Prozeß-
conſumtion. Beſonders bekommt durch dieſe Erklärung der
Ausdruck praesertim poenales einen beſtimmten und guten
Sinn, denn von den Pönalklagen kann man ſagen, daß
ſtets eine noch nach der andern angeſtellt werden könne,
und namentlich nie die Prozeßconſumtion eintrete, von den
Entſchädigungsklagen iſt es nur theilweiſe wahr; die-
ſer Unterſchied beider Arten der Klagen wird durch das
Wort praesertim angedeutet (w). — Es iſt übrigens zu
(u) Die Unſicherheit dieſer Be-
ziehung iſt ſchon bey der vorher-
gehenden Stelle bemerkt worden.
Vgl. Keller Litisconteſtation S.
483. 494.
(v) Die Worte de eadem re
haben alſo hier einen ganz ande-
ren Sinn, als in der oben § 232 a.
angeführten Stelle deſſelben Ul-
pian die Worte ejusdem rei no-
mine. Dieſe verſchiedene Erklä-
rung ſo ähnlich lautender Worte,
wenn ſie auch auf den erſten Blick
auffallen mag, erſcheint doch des-
wegen als durchaus nothwendig,
weil Ulpian in beiden Stellen
ganz entgegengeſetzte Entſcheidungen
giebt.
(w) Die hier gegebene Erklä-
rung findet ſich im Weſentlichen
16*
|0258 : 244|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
bemerken, daß die hier erklärte Stelle des Ulpian wörtlich
in die Inſtitutionen aufgenommen worden iſt (x), und auch
dieſer Umſtand kann zur Unterſtützung der Behauptung
dienen, daß die von Ulpian über jene controverſe Frage
vorgetragene Meynung zugleich als die in unſren Rechts-
büchern gebilligte anzuſehen iſt.
Die einzelnen Fälle, worin Ulpian die von ihm aufge-
ſtellte allgemeine Regel zur Anwendung bringt, ſind fol-
gende:
1) Die Aquiliſche und die Injurienklage, wenn ein
fremder Sklave gepeitſcht, oder eine fremde Sklavin ſtu-
prirt worden iſt (y).
2) Die a. vi bonorum raptorum neben der furti actio
oder der Aquiliſchen Klage, wenn Sachen entweder ge-
raubt, oder durch eine Bande (coactis hominibus) beſchä-
digt worden ſind (z).
ſchon bey Göſchen Vorleſungen I.
S. 460.
(x) § 1 J. si quadrupes (4. 9.).
Die Regel wird hier angeführt,
um die Unabhängigkeit zweyer
Klagen aus derſelben Thatſache
zu begründen, unter welchen die
eine auf Entſchädigung, die andere
auf Strafe geht.
(y) L. 15 § 46 de injur. (47.
10.), L. 25 eod. — Weſentlich
dieſelbe Meynung führt Paulus an
in L. 34 pr. de O. et A. (44. 7.).
„alii … si ante injuriarum ac-
tum esset, teneri eum ex lege
Aquilia.” Daß die hier ange-
führten ungenannten Juriſten für
den umgekehrten Fall, wenn die
Aquiliſche Klage zuerſt angeſtellt
war, die Injurienklage ganz ver-
ſagten, beruhte bey ihnen nicht auf
einem Zweifel an dem Princip,
ſondern auf einem ganz indivi-
duellen Bedenken wegen der For-
mel der Injurienklage, worin die
Worte bonum et aequum ſtan-
den, von welchen Jene glaubten,
daß ſie dem Gebrauch der Klage
nach ſchon eingeklagter Entſchädi-
gung im Wege ſtänden.
(z) Zwar die L. 2 § 26 vi bon.
rapt. (47. 8) erwähnt nur die
Coexiſtenz dieſer und noch anderer
Klagen, ohne die Art ihrer Con-
|0259 : 245|
§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)
3) Die furti actio und die Aquiliſche Klage, wenn
einem Sklaven die Kleider geſtohlen wurden, und der Ent-
kleidete vor Kälte geſtorben iſt (aa).
4) Die furti actio und a. servi corrupti, wenn Jemand
einen fremden Sklaven zu einem Diebſtahl beredet (bb).
Hermogenian endlich erklärt ſich für die von Pa-
pinian und Ulpian vorgetragene Meynung in folgender
Stelle (cc):
Cum ex uno delicto plures nascuntur actiones, si-
cut evenit cum arbores furtim caesae dicuntur, om-
nibus experiri permitti, post magnas varietates ob-
tinuit.
Ich ſehe dieſe Stelle als ganz entſcheidend, gleichſam
als das letzte Wort der Juſtinianiſchen Geſetzgebung an;
currenz zu beſtimmen; allein L. 2
§ 10 eod. ſagt ausdrücklich: „Ce-
terum neque furti actio, neque
legis Aquiliae, contributae sunt
in hoc edicto” …, das heißt
ihre Strafen gelten noch außer
der durch dieſes Edict beſtimmten
Strafe.
(aa) L. 14 § 1 de praescri-
ptis verbis (19. 5.).
(bb) L. 11 § 2 de servo cor-
rupto (11. 3.). — Dieſer Fall
kann wieder zu einer beſondern
Unterſtützung der hier vertheidig-
ten Meynung dienen. Ulpian
ſcheint blos an den Fall zu den-
ken, da der Diebſtahl gegen den
eigenen Herrn des beredeten Skla-
ven begangen wird, ſo daß beide
Klagen in demſelben Kläger verei-
nigt ſind. Iſt nun aber der Dieb-
ſtahl gegen einen Dritten began-
gen, ſo wird wohl Niemand zwei-
feln, daß die beiden Klagen von
den zwey verſchiedenen Klägern
unverkürzt angeſtellt werden kön-
nen, eben ſo wie es bey den bei-
den Injurienklagen (Note d) von
Allen eingeräumt wird. Was je-
doch in dem Fall der zwey ver-
ſchiedenen Kläger gilt, kann nicht
ohne augenſcheinliche Inconſequenz
für den Fall deſſelben Klägers
verſagt werden.
(cc) L. 32 de O. et A. (44. 7)
aus Hermogenianus lib. 2 juris
epitom.
|0260 : 246|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
nicht, weil Hermogenian der neueſte unter allen hier an-
geführten Juriſten iſt, welches an ſich nicht entſcheidend
ſeyn würde, ſondern weil er die in den vorhergehenden
Stellen dargeſtellte große Controverſe ſelbſt erwähnt (post
magnas varietates), und nun die wichtige Thatſache hinzu-
fügt, daß zuletzt die (von Ulpian vertheidigte) ſtrengere
Meynung allgemein anerkannt worden ſey (obtinuit). Her-
mogenian erſcheint alſo hier nicht als eine einzelne Stimme
über jene Frage abgebend, ſondern als die Thatſache je-
nes Streites und der Beendigung deſſelben erzählend. In-
dem wir nun dieſe Stelle mit den vielen, oben angeführ-
ten, großentheils widerſprechenden, Stellen, als ein Gan-
zes zuſammen faſſen, ſo erſcheint dieſer Fall als ein ſolcher,
worin uns Juſtinian ein Stück Rechtsgeſchichte mittheilen
wollte, indem er nicht nur die aus langem Streit als ſie-
gend hervorgegangene Regel in ſeine Sammlung aufnahm,
ſondern auch die in früherer Zeit ſtreitenden Meynungen
ſelbſt, in einer bedeutenden Zahl von Zeugniſſen darſtellte,
woraus der Sinn der letzten Entſcheidung um ſo klarer
hervortreten mußte. Demnach ſind die oben angeführten
Stellen des Modeſtin und des Paulus blos als Mittel zu
hiſtoriſcher Belehrung über die allmälige Entwicklung der
vorliegenden Rechtsregel anzuſehen (dd).
(dd) Vgl. oben B. 1 § 44. s.,
wo dieſe Art der vereinigenden
Auslegung als Princip aufgeſtellt
iſt. — Eine etwas abweichende
Meynung über die hier vorliegen-
de beſondere Frage hat Göſchen
Vorleſungen I. S. 456. 460. 461.
Er legt der Stelle des Hermoge-
nian nicht die Wichtigkeit bey, die
ich ihr hier zuſchreibe, und hält
es für ganz zweifelhaft, welche
der beiden entgegengeſetzten Regeln
|0261 : 247|
§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)
Die Richtigkeit der hier aufgeſtellten Anſicht wird noch
durch folgende Umſtände beſtätigt.
Einen der Fälle, worin Ulpian ſeine Meynung aus-
ſprach (Note bb), nämlich die furti actio neben der a. servi
corrupti, hat Juſtinian ſelbſt, und zwar völlig auf dieſelbe
Weiſe wie Ulpian, entſchieden, nämlich dahin daß beide
Klagen unverkürzt nach einander angeſtellt werden kön-
nen (ee). Damit iſt alſo unverkennbar ausgedrückt, welche
unter den früher ſtreitenden Meynungen Juſtinian ſelbſt
als die richtige anſah.
Weſentlich dieſelbe Frage, wie bey den Privatſtrafen,
kommt auch bey den öffentlichen Strafen vor, wenn die-
ſelbe Handlung das Weſen verſchiedener öffentlicher Ver-
brechen in ſich vereinigt. Hier nun iſt ganz entſchieden,
und ſogar ohne Spur eines früheren Zweifels, die Regel
aufgeſtellt, daß alle verwirkte Strafen neben einander an-
gewendet werden ſollen (ff). Es würde aber eine augen-
ſcheinliche Inconſequenz ſeyn, hierin für die öffentlichen
Strafen eine andere Regel, als für die Privatſtrafen,
gelten laſſen zu wollen.
man als wahre Regel anzuſehen
habe. Wie man ſich aber auch
hierüber entſcheide, ſo müßten doch
die in entgegengeſetzten einzelnen
Entſcheidungen in den Digeſten,
als Ausnahmen neben der ange-
nommenen Regel anerkannt wer-
den. — Dieſes Letzte kann ich am
Wenigſten einräumen, da keine
einzige dieſer Stellen die Natur
einer Ausnahme an ſich trägt, ſon-
dern vielmehr jede nur dazu be-
ſtimmt iſt, die von ihrem Verfaſ-
ſer angenommene Regel auf einen
einzelnen Fall anzuwenden.
(ee) L. 20 C. de furtis (6. 2),
§ 8 J. de oblig. ex delicto (4. 1.).
(ff) L. 9 C. de accus. (9. 2.).
Die Stelle iſt oben abgedruckt
§ 231. b.
|0262 : 248|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Indeſſen muß doch zu der hier als richtig angenom-
menen Meynung folgende Beſchränkung hinzugefügt werden.
Wenn zwey Klagen aus demſelben Delict neben einander
vorkommen, deren jede aus Entſchädigung und Strafe ge-
miſcht iſt, ſo gilt die vollſtändige Cumulation nur für die
in jeder enthaltene reine Strafe; die Entſchädigung dage-
gen, die durch die erſte Klage bereits bewirkt worden iſt,
kann durch die zweyte nicht noch einmal gefordert werden.
Dieſes gilt namentlich von dem bey Hermogenian erwähn-
ten Fall, der Aquiliſchen Klage neben der a. arborum fur-
tim caesarum; das Intereſſe braucht nur einmal bezahlt
zu werden, aber die Straferhöhung kommt aus jeder der
beiden Klagen vollſtändig zur Anwendung. Hermogenian
hat Dieſes allerdings nicht ausgedrückt, es muß alſo ſei-
ner Regel die Einſchränkung hinzugefügt werden: inſo-
weit jede dieſer mehreren Klagen auf reine Strafe
geht. Daß Papinian und Ulpian dieſe Einſchränkung
nicht ausſprechen, erklärt ſich daraus, daß in den meiſten
Colliſionsfällen zwey gemiſchte Klagen gar nicht vorkom-
men, indem die eine Klage (wie die Injurienklage und die
furti actio) eine reine Strafklage iſt; zugleich auch dar-
aus, daß ſie ihre Aufmerkſamkeit nur auf Dasjenige rich-
teten, welches allein controvers geweſen war, nämlich die
Cumulation mehrerer Strafen. Ulpian überdem deutet
auf jene Einſchränkung vernehmlich genug hin, indem er
in der beſtimmteſten Stelle (Note r) nur von actiones
poenales ſpricht; und auch bey Hermogenian liegt eine
|0263 : 249|
§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)
Hindeutung darauf in der Erwähnung der großen Strei-
tigkeiten, die ſich, ſo viel wir wiſſen, nur auf die Colliſion
der Strafen bezog. — Die Richtigkeit der hier aufge-
ſtellten Beſchränkung folgt nothwendig aus allem Demje-
nigen, was bey der erſten und zweyten Klaſſe über die
Behandlung der wahren Concurrenz ausgeführt worden iſt
(§ 232. 233). Dort beruhte die totale oder partielle Aus-
ſchließung der nachfolgenden Klage nicht etwa auf einer
poſitiven, aus bloßer Schonung entſprungenen, Vorſchrift,
ſondern aus der natürlichen Regel, daß ein ſchon vergü-
teter Schade nicht mehr zu vergüten möglich iſt, daß alſo
eine wiederholte Bezahlung die der Entſchädigung ganz
fremde Natur einer Bereicherung, hier alſo zugleich einer
Strafe, annehmen würde. Dieſe natürliche Regel aber
kann nicht von der Anwendung durch den ganz zufälligen
Umſtand ausgeſchloſſen werden, daß manche Klagen neben
der Entſchädigung auch noch eine wahre Strafe verfol-
gen. Vielmehr muß alsdann jeder dieſer beiden Beſtand-
theile der Klage nach der ihm eigenthümlichen Regel be-
handelt werden. Ganz entſcheidend aber für die Richtig-
keit der hier aufgeſtellten Behauptung ſcheint mir der
Umſtand, daß bey der Concurrenz der Aquiliſchen mit einer
Contractsklage von allen alten Juriſten ohne Ausnahme
anerkannt wird, die Aquiliſche könne nach der andern
Klage höchſtens noch auf das amplius angeſtellt werden;
ſo weit ſie auf reine Entſchädigung gehe, ſey ſie abſor-
birt (§ 233). Was ſie nun für dieſen Fall als unzwei-
|0264 : 250|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
felhaft anerkennen, müſſen ſie nothwendig auch gelten laſ-
ſen, bey der Concurrenz der Aquiliſchen Klage mit der
a. vi bonorum raptorum oder arborum furtim caesarum,
für denjenigen Beſtandtheil der beiden concurrirenden Kla-
gen, welcher die reine Entſchädigung zum Gegenſtand hat.
— In dieſer Einſchränkung liegt gewiſſermaßen eine An-
näherung an die Meynung des Paulus, und zugleich eine
neue Erklärung der Entſtehung dieſer Meynung. Indem
nämlich Paulus bey ſeinen Gegnern dieſe Einſchränkung
nicht ausgedrückt ſah, und doch das Bedürfniß derſelben
empfand, kam er dahin, ſie nicht nur auszudrücken, ſon-
dern nun auch zu übertreiben, indem er ſie ſelbſt auf die
reine Strafe in zwey verſchiedenen Klagen anwendete,
wohin ſie allerdings nicht gehört.
Der in dieſem §. abgehandelte Fall der Colliſion zwi-
ſchen mehreren Strafgeſetzen darf nicht verwechſelt wer-
den mit einer anderen Colliſion dieſer Art, die mit je-
ner nur eine äußerliche Ähnlichkeit hat. Wir ſetzten
hier voraus das vereinigte Daſeyn mehrerer Delicte in
einer und derſelben materiellen Handlung. Nun kommt
es aber auch häufig vor, daß für daſſelbe Vergehen
oder Verbrechen mehrere Strafgeſetze aus verſchiedenen
Zeiten vorhanden ſind, und es entſteht, eben ſo wie bey
der Klagenconcurrenz, die Frage, ob die in jenen Geſetzen
enthaltenen Strafen vereinigt werden ſollen, oder ob nur
eine derſelben anzuwenden iſt. Das Princip, welches oben
|0265 : 251|
§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)
für die Concurrenz aufgeſtellt wurde, paßt auf dieſen Fall
gar nicht, ja es läßt ſich für denſelben gar kein Princip
aufſtellen, da Alles auf den wahren Sinn des neueſten
Strafgeſetzes ankommt, welcher ſehr verſchieden ſeyn kann.
Gewöhnlich wird das neueſte Geſetz dazu beſtimmt ſeyn,
an die Stelle der früheren zu treten, und alſo allein zu
gelten, ſo daß darin keine Colliſion mit älteren Geſetzen,
ſondern die Abſchaffung derſelben, enthalten iſt. Dieſer
Fall wird vorausgeſetzt in einem Senatsſchluß, welcher
verbot: ne quis ob idem crimen pluribus legibus reus
fieret (gg); daſſelbe kommt auch bey manchen Privatde-
licten vor (hh). — Bey mehreren Privatdelicten erſcheint da-
gegen der ganz andere Fall, daß ſpäterhin auch eine An-
klage auf öffentliche Strafe zugelaſſen wurde, jedoch ſo daß
nicht beide Strafen zugleich gelten ſollten, ſondern nur
eine derſelben, und zwar nach der Wahl des Verletzten (ii).
Dieſes ſehr zweckmäßige Wahlrecht wurde beſonders ge-
ſtattet bey dem Diebſtahl (kk), und bey der Injurie (ll). —
(gg) L. 14 de accus. (48. 2),
ſ. o. § 231. b.
(hh) Über körperliche Beſchädi-
gungen beſtanden ältere Geſetze,
die durch die Einführung der L.
Aquilia aufgehoben wurden. L 1
pr. ad L. Aquil. (9. 2.). — Das
furtum manifestum wurde nach
dem älteren Recht mit der Addi-
ction beſtraft; der Prätor führte
eine Privatſtrafe (des vierfachen
Werthes) ein, und dadurch wurde
jene harte Strafe aufgehoben. Ga-
jus III. § 189. IV. § 111.
(ii) Im Allgemeinen ſpricht von
dieſem Wahlrecht L. 3 de priv.
delictis (47. 1.).
(kk) L. 56 § 1 L. 92 de fur-
tis (47. 2.).
(ll) § 10 J. de injur. (4. 4),
L. 35. 45 de injur. (47. 10.). —
Schon früher galt im Fall des
libellus daſſelbe Wahlrecht zwi-
ſchen der Privatklage und dem für
dieſen Fall zuläſſigen publicum
judicium. L. 6 de injur. (47. 10.).
|0266 : 252|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Allein ganz allgemein war dieſes Wahlverhältniß zwiſchen
öffentlicher und Privatſtrafe nicht; die Publicanen ſollten
für ihre Delicte eine Privatſtrafe erleiden, und daneben
ſollte noch eine öffentliche Strafe eintreten (mm).
§ 235.
Aufhebung des Klagrechts. II. Concurrenz. Gemeinſame
Betrachtungen.
Bisher iſt die Regel ausführlich dargeſtellt worden,
daß, in den Fällen wahrer Concurrenz, eine früher ge-
brauchte Klage die ſpätere ausſchließt, und zwar bald
ganz (§ 232), bald nur theilweiſe (§ 233). Es iſt nun-
mehr zu unterſuchen, Was eigentlich in der früheren
Klage dieſe zerſtörende Kraft hat, und durch welche Rechts-
formen der Zweck dieſer Zerſtörung bewirkt wird. Bei-
des hatte im älteren Recht viele Verwicklungen und Schwie-
rigkeiten, iſt aber im neueſten Recht ſehr einfach geworden.
Die erſte Frage iſt leicht zu beantworten aus dem
oben für die Concurrenz aufgeſtellten Grundſatz, daß das
ſchon Erlangte nicht mehr mit einer Klage gefordert wer-
den kann (§ 231. 232).
— Im heutigen Recht iſt dieſe
Wahl noch weiter ausgedehnt auf
Abbitte, Ehrenerklärung, oder Wi-
derruf.
(mm) L. 9 § 5 de publicanis
(39. 4.). „Quod illicite .. ex-
actum est, cum altero tanto
passis injuriam exsolvitur: per
vim vero extortum cum poe-
na tripli restituitur: amplius
extra ordinem plectuntur. Al-
terum enim utilitas privatorum,
alterum vigor publicae disci-
plinae postulat.” Der Grund
lag alſo hier in dem beſonderen
Verhältniß, worin die Publicanen
zum Staate ſtanden.
|0267 : 253|
§. 235. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)
Hieraus folgt, daß die wirkliche Leiſtung jene zer-
ſtörende Kraft hat, wobey es ganz gleichgültig iſt, ob dieſe
Leiſtung erfolgte vermittelſt eines über die frühere Klage
geſprochenen rechtskräftigen Urtheils und der Exſecution,
oder aber freywillig; während des Prozeſſes, oder vor
demſelben, aber mit Rückſicht auf ihn, alſo zur Abwendung
der Klage und des Urtheils.
Dagegen iſt jene zerſtörende Kraft nicht beyzulegen der
Anſtellung der Klage, der Litisconteſtation, ja ſelbſt dem
rechtskräftigen Urtheil als ſolchem (a), ſo lange aus die-
ſem Allen die wirkliche Leiſtung noch nicht erfolgt iſt.
Die alten Juriſten drücken dieſen ſcharf beſtimmten Ge-
genſatz in folgenden Worten aus:
perceptione, non litiscontestatione; perceptione, non
(a) Manche haben für das Ju-
dicat das Gegentheil behauptet,
weil ja nun der Kläger durch die
actio judicati das ſichere Mittel
der Befriedigung habe, welches der
Befriedigung ſelbſt gleich gelte.
Donellus § 8. Dieſes iſt nun
offenbar unrichtig, wenn die con-
currente Klage gegen einen Andern
als den zuerſt Verurtheilten ange-
ſtellt wird, (z. B. wenn Zwey ge-
meinſchaftlich betrogen haben, wes-
halb die doli actio gegen Jeden
in solidum geht), da der Verur-
theilte inſolvent ſeyn kann. Aber
auch bey demſelben Beklagten iſt
kein Grund vorhanden, dem bloßen
Judicat jene Kraft zur Ausſchlie-
ßung einer concurrenten Klage ein-
zuräumen, da es in der Macht des
Verurtheilten ſteht, das Judicat
freywillig zu erfüllen, in welchem
Fall die Leiſtung zerſtörend wirkt.
Auch ſelbſt wo die alte Prozeß-
conſumtion eintrat, reichte doch
die exc. rei judicatae nicht wei-
ter, als ſchon vorher die exc. rei
in judicium deductae. Es gilt
alſo hierin durchaus derſelbe Grund,
aus welchem die Auflöſung des
Pfandrechts vermittelſt der Verur-
theilung des Schuldners verneint
wird. L. 13 § 4 de pign. act.
(13. 7.). „Nec per hoc videtur
satisfactum creditori, quod ha-
bet judicati actionem.” — Thi-
baut S. 156 vertheidigt auch die
hier aufgeſtellte Meynung, aber
mit einem nicht befriedigenden
Grund.
|0268 : 254|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
electione; solutione, non litiscontestatione; ut magis
eos perceptio, quam intentio liberet(b).
Der hier aufgeſtellte Grundſatz iſt jedoch nur unter
folgenden Einſchränkungen als wahr anzunehmen.
Erſtlich war er durch die alte Prozeßconſumtion ver-
drängt, da wo unter den Obligationen mehrerer Schuld-
ner wahre Identität vorhanden war, insbeſondere bey Cor-
realſchuldnern, wohin auch der Bürge neben dem Haupt-
ſchuldner gehörte (§ 232. t.). War in einem ſolchen Fall
der eine verklagt, ſo wurde durch die Litisconteſtation
dieſe ganze Obligation conſumirt, ſo daß weder gegen den-
ſelben Schuldner die Klage wiederholt, noch gegen den
Mitſchuldner die concurrente Klage (die ja auch nur die-
ſelbe war) angeſtellt werden konnte, ſelbſt wenn der zuerſt
Verklagte inſolvent ſeyn mochte, wodurch alſo dieſes Ver-
hältniß für den Glaubiger ſehr gefährlich werden konnte (c).
Gegen dieſe aller Billigkeit widerſtrebende Härte ſuchte
man ſich oft durch beſondere Verträge zu ſchützen (d); in
(b) L. 4 de his qui effud.
(9. 3.), L. 7 § 4 quod falso (27.
6.), L. 18 § 3 de pec. const.
(13. 5.), L. 32 pr. de pecul.
(15. 1.), L. 35 § 1 loc. (19. 2.).
(c) In dieſen Fällen alſo wurde,
im directen Widerſpruch mit den
oben im Text (bey Note b) mit-
getheilten Ausdrücken, geſagt: pe-
titione unius, tota solvitur ob-
ligatio; si ex altera earum
egerit, utramque consumet …
cum altera earum in judicium
deduceretur, altera consume-
retur. L. 2 de duob. reis (45. 2.),
L. 16 eod., L. 5 in f. de fide-
juss. (46. 1.). — Solche einzelne
Spuren des früheren Rechtszu-
ſtandes haben ſich in die Digeſten
freylich nur aus Unachtſamkeit der
Compilatoren verirrt.
(d) Z. B. indem der Bürge nicht
dieſelbe Summe wie der Haupt-
ſchuldner verſprach, ſondern in die-
ſer Formel verpflichtet wurde:
quanto minus ab illo consequi
potero, dare spondes? L. 116
de V. O. (45. 1.). Nun ſtanden
|0269 : 255|
§. 235. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)
anderen Fällen ſchützte dagegen der Prätor durch Reſtitu-
tionen und manche andere Mittel (e). Was aber ſo künſt-
liche Gegenwehr nöthig machte, zeigte ſich dadurch, auch
dem Princip nach, als mangelhaft. Und ſo verdient Ju-
ſtinian gewiß Lob, indem er das Princip für die Haupt-
fälle, nämlich für die Correalſchuldner, und eben ſo für
die Bürgen neben dem Hauptſchuldner, völlig aufhob (f).
Die übrigen Fälle identiſcher Obligationen hat er nicht
ausdrücklich erwähnt, es iſt aber kein Zweifel, daß bey
ihnen, eben ſo wie in jenen Fällen, die alte Strenge ver-
ſchwinden ſollte (g). Ja, wer etwa Dieſes aus buchſtäb-
licher Ängſtlichkeit bezweifeln wollte, weil es nicht aus-
drücklich geſagt iſt, müßte doch durch den Umſtand völlig
nicht beide in einer identiſchen Ob-
ligation.
(e) Keller Litisconteſtation
§ 61 fg.
(f) L. 28 C. de fidejuss. (8.
41.). Ganz conſequent heißt es
nunmehr in Juſtinians Inſtitu-
tionen: „alter debitum accipien-
do, vel alter solvendo, totam
perimit obligationem et omnes
liberat.” § 1 J. de duob. reis
(3. 16.). Daraus iſt auch in L. 8.
§ 1 de leg. 1. (30. un.), als au-
genſcheinliche Interpolation, der
Zuſatz entſtanden: „et solutum.”
Ribbentrop S. 42.
(g) In den Fällen bloßer So-
lidarität, und in den noch ent-
fernteren Fällen gemeinſchaftlicher
Haftung § 232, galt jenes ſtrenge
Princip auch in der früheren Zeit
niemals. L. 1 § 43 depos. (16. 3),
L. 52 § 3 de fidejuss. (46. 3),
L. 23 C. eod. (8. 41.). Bey der
constituta pecunia war die An-
wendbarkeit beſtritten (§ 231. g.). —
Übrigens kommt die auf wahre
Identität der Obligation gegrün-
dete Prozeßconſumtion zwar am
häufigſten und reinſten bey meh-
reren Schuldnern oder mehre-
ren Glaubigern vor, ſie findet ſich
aber doch auch zwiſchen denſelben
Perſonen, und hat dann dieſelbe
Wirkung der Prozeßconſumtion. So
z. B. in L. 1 § 21 tutelae (27. 3.).
„In tutela ex una obligatione
duas esse actiones constat” rel.
Es hat keinen Zweifel, daß auch
für dieſe Fälle die Prozeßconſum-
tion wegfallen muß. Vgl. oben
§ 232. l.
|0270 : 256|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
beruhigt werden, daß das Princip der Prozeßconſumtion
ſelbſt, worauf ſich die Aufhebung bezog, aus dem Juſti-
nianiſchen Recht durch bloßes Stillſchweigen vertilgt worden
iſt, ſo daß wir ſein früheres Daſeyn und ſeine wichtige
Bedeutung nur erſt durch Gajus erfahren haben.
Zweytens giebt es mehrere Rechtsverhältniſſe, in wel-
chen dem Berechtigten geradezu ein Wahlrecht zwiſchen
mehreren Klagen gegeben iſt, ſo daß in der That durch
die bloße Anſtellung der einen Klage, ohne Rückſicht auf
den Erfolg, die andere abſorbirt iſt. Dieſe Fälle haben
alſo eine äußere Ähnlichkeit, ſowohl mit der alten Pro-
zeßconſumtion, als mit der Klagenconcurrenz; dennoch ſind
ſie von beiden weſentlich verſchieden. Bey den allermeiſten
Fällen dieſer Art iſt die Grundverſchiedenheit ſchon da-
durch unverkennbar, daß die der Wahl überlaſſenen Kla-
gen auf ganz verſchiedene Objecte gerichtet ſind, ſo daß
es vielmehr eine Wahl zwiſchen mehreren Rechten, als
zwiſchen Klagen, genannt werden muß. Dieſe Fälle ha-
ben eine ganz iſolirte Natur, und beruhen auf keinem ge-
meinſamen Princip, namentlich nicht auf dem hier darge-
ſtellten Princip der Concurrenz. Sie hier zu erwähnen,
iſt deswegen nöthig, damit der nicht ſeltenen Einmiſchung
derſelben in die Lehre von der Concurrenz, wohin ſie nicht
gehören, vorgebeugt werde. Indem ich ſie hier in einer
Überſicht zuſammenſtelle, will ich für die Vollſtändigkeit
dieſer Aufzählung nicht einſtehen.
1) Wenn bey einem, unter der lex commissoria ge-
|0271 : 257|
§. 235. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)
ſchloſſenen Kauf, der Zahlungstag nicht eingehalten iſt, ſo
hat der Verkäufer die Wahl, mit der actio venditi ent-
weder das Kaufgeld einzuklagen, oder aus dem Neben-
vertrag die Sache zurück zu fordern. Stellt er die eine
dieſer Klagen an, ſo kann er nicht mehr zu der anderen
zurück kehren (h). — Hier iſt es ſogar die gleichnamige
Klage, womit er beide Anſprüche verfolgt; aber dieſe An-
ſprüche haben nicht nur einen verſchiedenen Inhalt, ſon-
dern ſie ſtehen zu einander in einem widerſprechenden, alſo
ausſchließenden, Verhältniß.
2) Ganz Daſſelbe gilt von der Wahl zwiſchen der
a. redhibitoria und quanti minoris (i).
3) Eben ſo, wenn Sklaven ihrem Herrn Geld ſtehlen,
und einem Dritten (der darum weiß) Auftrag geben, Sa-
chen dafür zu kaufen; der Herr hat die Wahl, entweder
die Klagen aus dem Diebſtahl gegen den Dritten anzu-
ſtellen, oder den Kauf zu genehmigen, und mit der ihm
durch ſeine Sklaven erworbenen a. mandati die gekauften
Sachen zu fordern (k).
4) Bey einem Teſtament mit der Codicillarclauſel hat
der Eingeſetzte die Wahl zwiſchen der hereditatis petitio
und der Fideicommißklage (l); auch hier ſind es zwey
Rechte, die ſich gegenſeitig ausſchließen.
5) Wer Geld zahlt, um ſich von einem ungerechten
(h) L. 7 de lege comm. (18. 3.).
(i) L. 18 pr. L. 19 § 6 de
aedil. ed. (21. 1), L. 25 § 1
de exc. rei jud. (44. 2.).
(k) L. 1 C. de furtis (6. 2.).
(l) L. ult. C. de codicillis
(6. 36.).
V. 17
|0272 : 258|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Prozeß loszukaufen, hat die Wahl zwiſchen der Condiction
auf das gegebene Geld, und der Strafklage auf den vier-
fachen Werth (m). Beide Objecte ſind völlig verſchieden
und könnten ſehr wohl neben einander beſtehen.
6) Wenn der Commodatar die geliehene Sache ſtehlen
läßt, ſo hat der Eigenthümer die Wahl zwiſchen der
a. commodati und der furti actio gegen den Dieb (n);
beide Objecte ſind hier völlig verſchieden.
7) Der Legatar hat die Wahl zwiſchen einer Klage
in rem und in personam (o); die Rechte ſelbſt ſind zu-
nächſt ganz verſchieden, obgleich der letzte Zweck und Er-
folg derſelbe iſt.
8) Wird einem Reiſenden eine Sache in einem Gaſt-
hauſe geſtohlen, ſo hat Derſelbe die Wahl zwiſchen der
a. de receptis und der Klage gegen die Thäter, ſo daß
durch die bloße Wahl ſowohl die Condiction, als die furti
actio ausgeſchloſſen iſt (p). Dieſes eigenthümliche Ver-
hältniß gründet ſich wohl darauf, daß die a. de receptis
nur als eine ſehr durchgreifende, über allgemeine Rechts-
(m) L. 5 § 1 de calumn. (3. 6.),
Eine andere Anomalie bey derſel-
ben Strafklage iſt ſchon oben be-
merkt worden § 230. d.
(n) L. 20 C. de furtis (6. 2),
§ 10 J. de obl. quae ex del.
(4. 1.).
(o) L. 76 § 8 de leg. 2 (31.
un.), L. 84 § 13 de leg. 1 (30.
un.).
(p) L. 3 § 5 L. 6 § 4 nautae
(4. 9), L. 1 § 3 furti adv. nau-
tas (47. 5.). Nach allgemeinen
Grundſätzen müßte die Klage ge-
gen den Wirth und die furti actio
neben einander gelten (§ 234); ihr
Verhältniß zu der Condiction ge-
gen den Dieb müßte von dem
Erfolg abhängen (§ 232.). — Nach
den oben angeführten Stellen kann
jedoch der Wirth, wenn er belangt
wird, Ceſſion der Klage gegen den
Thäter verlangen.
|0273 : 259|
§. 236. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)
grundſätze hinaus gehende, Maasregel zu betrachten
iſt (q).
§. 236.
Aufhebung des Klagrechts. II. Concurrenz. Gemeinſame
Betrachtungen. (Fortſetzung.)
Es iſt oben beſtimmt worden, in welchen Fällen und
bis zu welchen Gränzen eine Klage durch den Erfolg
einer andern Klage ausgeſchloſſen werden ſoll (§ 232. 233),
und es bleibt dabey noch übrig zu unterſuchen, durch
welche Rechtsformen jene Ausſchließung bewirkt werde.
Hierin iſt folgende Verſchiedenheit der Fälle zu beach-
ten. In der kleineren Zahl von Fällen, worin die Con-
currenz mehrerer Klagen auf einer wahren Identität der
Obligation beruht (§ 232), muß jede Erfüllung, ſie mag
freywillig, oder durch Klage erzwungen ſeyn, das Rechts-
verhältniß ſelbſt vernichten, und zwar in Beziehung auf
alle in demſelben ſtehende Perſonen; ohne Unterſchied, ob
ſie ſelbſt die Erfüllung bewirkt haben oder nicht, und ob
der Erfüllende an ſie dabey dachte oder nicht (a). Wenn
alſo ein Bürge zahlt, ſo iſt es genau ſo, als wenn der
Hauptſchuldner gezahlt hätte, und umgekehrt, weil nur
eine einzige Schuld auf Beide gemeinſchaftlich ſich bezog.
(q) L. 1 § 1 L. 3 § 1 nautae
(4. 9.).
(a) § 1 J. de duobus reis
(3. 16), L. 3 § 1 eod. (45. 2.).
— Es iſt daſſelbe Princip, nach
welchem auch eine einfache Schuld
und Klage ipso jure zerſtört wird,
ohne Unterſchied ob der Schuld-
ner ſelbſt, oder für ihn ein Ande-
rer, die Zahlung leiſtet. L. 23. 53
de solut. (46. 3.).
17*
|0274 : 260|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Hier iſt alſo das Recht ſelbſt vernichtet, welches beiden
Klagen zum Grunde lag, woraus die Vernichtung der
Klagen von ſelbſt folgt (§ 230), ſo daß es keiner künſt-
lichen Anſtalt bedarf, um die zweyte Klage abzuwenden,
wenn durch die erſte bereits die Erfüllung erzwungen wor-
den iſt.
Anders verhält es ſich in den zahlreicheren und man-
nichfaltigeren Fällen, worin zwey Klagen nicht auf einer
identiſchen Obligation beruhen, aber doch der Zweck der
einen durch den Erfolg der andern Klage ganz oder theil-
weiſe erreicht worden iſt. Hierin liegt eine indirecte Be-
friedigung des Berechtigten für die noch nicht gebrauchte
Klage (§ 230). Sollte dieſe nun dennoch angeſtellt wer-
den, blos weil die geleiſtete Erfüllung nicht unmittelbar
auf die dieſer Klage zum Grund liegende Obligation be-
zogen war, ſo würde der Kläger zwar den Buchſtaben
des Rechts für ſich haben, aber im Widerſpruch mit der
aequitas, und dieſen Misbrauch zu verhüten dient daſſelbe
Rechtsmittel, das auch in allen anderen Fällen zu dieſem
Zweck benutzt wird: eine Exception, die bald doli, bald in
factum genannt wird.
Dieſes iſt das Princip, welches folgende Stelle des
Gajus allgemein ausſpricht (b):
Bona fides non patitur, ut bis idem exigatur.
Mit Unrecht haben Daſſelbe Manche als das allge-
meine Princip aller Concurrenz angeſehen. Wo die gelei-
(b) L. 57 de R. J. (50. 17.).
|0275 : 261|
§. 236. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)
ſtete Erfüllung jede vorhandene Obligation an ſich ver-
nichtet hat, da bedarf es dieſer Zuflucht zu der bloßen
aequitas nicht; wo aber der Erfolg der ſchon gebrauchten
Klage für die noch übrige nur eine indirecte Befriedigung
darbietet, da iſt das angeführte Princip für die richtige
Behandlung der Klagenconcurrenz entſcheidend (c).
In der Anwendung dieſes Grundſatzes findet ſich fol-
gender, in der allgemeinen Natur der Klagen gegründeter
Unterſchied. Wenn die noch übrige Klage zu den ſtrengen
Klagen gehörte, ſo mußte die Exception in der Formel
ausgedrückt ſeyn, damit ſie der Judex berückſichtigen durfte;
war es dagegen eine freye Klage (arbitrium), ſo war die
Aufnahme der Exception zwar auch zuläſſig, auch ſtets
ſicherer, aber nicht nothwendig, indem der Arbiter auch
die nicht ausgedrückte Exception beachten durfte und muß-
te (d). In den Fällen dieſer letzten Art ſagen zuweilen
die alten Juriſten, hier wie anderwärts, daß die Wir-
kung ipso jure eintrete, welcher Ausdruck freylich für
ſolche Fälle nicht genau iſt, und eigentlich nur ſagen will,
ſie ſey unabhängig von der Thätigkeit oder Unthätigkeit
des Prätors, die bloße Überzeugung des Judex ſey dazu
völlig ausreichend.
Nach dieſen Erörterungen werden folgende Anwendun-
gen keine Schwierigkeit darbieten.
Bey der Concurrenz der a. venditi mit der Stipula-
(c) Dieſe Bemerkung iſt gut
ausgeführt von Göſchen Vorle-
ſungen I. § 158. 159.
(d) Beylage XIII. Num. IV.
|0276 : 262|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
tionsklage ſoll jene, wenn ſie zuletzt angeſtellt wird, ipso
jure ausgeſchloſſen ſeyn, dieſe in gleichem Fall nur per
exceptionem (e).
Ganz derſelbe Unterſchied wird gemacht wenn die con-
dictio furtiva mit der a. commodati concurrirt (f).
Über die Concurrenz der a. doli und quod metus causa
wird geſagt, daß jede derſelben, wenn ſie nach der ande-
ren gebraucht werde, durch eine facti exceptio auszu-
ſchließen ſey (g). Hier wird alſo der Gebrauch der Ex-
ception anerkannt, obgleich beide Klagen arbitria ſind.
Wenn in den Fällen einer ſolchen Concurrenz die freye
Klage zuerſt angeſtellt wurde, ſo entſtand die Gefahr, daß
bey der künftigen Anſtellung der ſtrengen Klage die Ex-
ception vergeſſen, und dadurch das Princip der aequitas
verletzt werden möchte. Deswegen wurde von den alten
Juriſten der Arbiter angewieſen, gleich bey der freyen
Klage nicht eher zu condemniren, als bis der Kläger auf
die noch übrige ſtrenge Klage verzichtete (h). Es iſt nur
ein anderer Ausdruck für dieſelbe Regel, wenn zuweilen
geſagt wird, der Kläger ſolle caviren, daß nicht Daſſelbe
(e) L. 28 de act. emti (19. 1.).
(f) L. 71 pr. de furtis (47. 2),
vgl. oben § 232. h. — L. 34 § 1
de O. et A. (44. 7.) „altera
actio alteram perimit, aut ipso
jure, aut per exceptionem,
quod est tutius.” Das heißt:
die Condiction iſt nur per ex-
ceptionem ausgeſchloſſen, die a.
commodati ipso jure, nämlich
auch ohne ausgedrückte doli ex-
ceptio; jedoch iſt es auch bey die-
ſer letzten ſicherer, die Exception
in der Formel auszudrücken.
(g) L. 14 § 13 quod metus
(4. 2.).
(h) L. 25 § 5 L. 43 loccti
(19. 2), L. 7 § 1 commod. (13. 6),
L. 9 § 1 de furtis (47. 2.).
|0277 : 263|
§. 236. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)
nochmals werde eingeklagt werden (i). Darunter iſt blos
eine Stipulation auf dieſe Unterlaſſung zu verſtehen; an
Bürgen oder Pfänder iſt bey jenem Ausdruck nicht zu
denken.
Die hier erwähnten formellen Unterſchiede und Schwie-
rigkeiten waren eigentlich ſchon zu Juſtinians Zeit weg-
gefallen, da keine formulae mehr vorkamen. Allein auch
ſchon in der früheren Zeit gab es ein einfaches Mittel,
jenen Nachtheilen vorzubeugen, wenn nämlich alle Klagen
zugleich angeſtellt wurden, da denn der Judex das Princip
der Concurrenz gleich bey der erſten Anſtellung der Klage
anzuwenden genöthigt war (k). — In unſrem heutigen
Prozeß findet ſich dieſe Auskunft von ſelbſt, wenn nur der
Kläger die Unvorſichtigkeit vermeidet, ſeinen Antrag mehr
als nöthig zu beſchränken; denn nun muß der Richter aus
allen etwa begründeten Klagen dasjenige Reſultat bilden,
welches aus dem oben vorgetragenen Princip der Concur-
renz hervorgeht.
Die Einſchränkungen, welche hier durch das Princip
der Concurrenz für die Klagen aufgeſtellt worden ſind,
laſſen ſich auch denken in Anwendung auf die Excep-
(i) L. 36 § 2 de her. pet.
(5. 3), L. 13 de rei vind. (6. 1.).
(k) Ganz ſo ſollte es auch
ſchon im alten Prozeß in dem ſehr
ähnlichen Fall gehalten werden,
wenn der Kläger ungewiß war,
ob von zweyen Klagen die eine
oder die andere begründet ſeyn
möchte. L. 1 § 4 quod legat.
(43. 3.). Vgl. Donellus § 7.
|0278 : 264|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
tionen, und es fragt ſich, ob ſie hier auf dieſelbe Weiſe
wie bey den Klagen behauptet werden können. Es ergiebt
ſich aber hier ſogleich der große Unterſchied, daß die bey
den Klagen eintretende Gefahr, die durch das Princip der
Concurrenz abgewendet werden ſollte, bey den Exceptionen
von ſelbſt verſchwindet. Dieſe Gefahr beſtand bey den
Klagen in der mehrfachen Erreichung deſſelben Zwecks,
der nur einfach eine rechtliche Begründung haben kann.
Bey den Exceptionen iſt dieſe Gefahr deshalb nicht vor-
handen, weil ſie ſtets nur einen und denſelben negativen
Zweck haben, die Abweiſung der Klage, welcher Zweck
ſeiner Natur nach nur einmal erreicht werden kann. Da-
her iſt es denn auch anerkannt, daß Exceptionen neben
anderen Exceptionen, ſo wie neben der abſoluten Vernei-
nung, allerdings zuläſſig ſind (l). Die Zweifel, die bey
manchen Fällen ſolcher gehäuften Vertheidigungsmittel ent-
ſtehen, haben einen ganz anderen Grund, nämlich die wi-
derſprechende Natur des Inhalts mancher dieſer Mittel.
Die Erörterung dieſer Frage aber gehört lediglich in die
Prozeßlehre, nicht in die Theorie des materiellen Rechts.
(l) L. 43 pr. de R. J. (50. 17), vgl. oben § 232. a. b. c. L. 5.8.9
de except. (44. 1.).
|0279 : 265|
§. 237. Klagverjährung. Einleitung.
§. 237.
Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Einleitung.
Quellen:
Inst. IV. 12.
Dig. XLIV. 3.
Cod. Iust. VII. 36—40.
Novellae Iust. IX. CXI. CXXXI. C. 6.
Gajus IV. § 110. 111.
Cod. Theod. IV. 14.
Schriftſteller:
Giphanii explanatio Codicis, ad L. 3 C. de praescr. XXX.
P. 2. p. 245—258.
Jac. Ravii princ. doctrinae de praescriptionibus ed. 3.
Halae 1790 (a), § 126—152. § 165.
Thibaut Beſitz und Verjährung Jena 1802 § 38—56.
Unterholzner Verjährungslehre B. 1. 2. Leipzig 1828.
Göſchen Vorleſungen B. 1 § 148—155.
Kierulff Theorie B. 1 S. 189—215.
Wenn ein Klagrecht dadurch untergeht, daß der Klag-
berechtigte daſſelbe innerhalb eines gewiſſen Zeitraums
auszuüben unterläßt, ſo heißt dieſe Aufhebung des Rechts
(a) Die erſte Ausgabe iſt von
1766. Das Buch iſt merkwürdig,
theils als ein Zeichen der in ſeiner Zeit
herrſchenden höchſt geſchmackloſen
und unkritiſchen Methode, theils
wegen des nicht geringen Einfluſ-
ſes, welchen es lange Zeit aus-
geübt hat.
|0280 : 266|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Klagverjährung. Der Römiſche Ausdruck: temporis
oder temporalis praescriptio bezeichnet unmittelbar nicht
dieſe Veränderung, oder den für den Berechtigten eintre-
tenden Verluſt, ſondern das dem Beklagten erworbene
Recht, jeden ferneren Verſuch der Ausübung dieſer Klage
durch Exception auszuſchließen. Der Begriff iſt hier ab-
ſichtlich auf hypothetiſche Weiſe aufgeſtellt worden, und
mit dieſer Auffaſſung wäre es gleich vereinbar, daß ihm
gar keine, oder eine ſeltene, eine häufige, vielleicht ſelbſt
eine allgemeine Anwendung auf Klagrechte zugeſchrieben
würde. Welche Anwendung ihm in der That zukommt,
wird durch die nachfolgende geſchichtliche Unterſuchung feſt-
geſtellt werden.
Die Klagverjährung ſteht mit vielen anderen Rechts-
inſtituten dadurch in Verwandtſchaft, daß in ihnen allen
das Zeitelement als Bedingung einer Rechtsänderung vor-
kommt. Es iſt aber dieſer Verwandtſchaft zu großem
Verderben der Theorie, wie der Praxis, eine ungebühr-
liche Ausdehnung gegeben worden, indem man alle durch
Zeit bedingte Änderungen der Rechtsverhältniſſe unter
einen gemeinſamen Gattungsbegriff zu bringen verſucht
hat. Man bezeichnete dieſen unkritiſcherweiſe angenomme-
nen Rechtsbegriff durch die Ausdrücke: Verjährung oder
Praescriptio, welche man dann weiter in acquisitiva und
exstinctiva eintheilte. Nicht nur dieſe Kunſtausdrücke,
ſondern auch die durch ſie bezeichneten Rechtsbegriffe, ſind
völlig verwerflich. Die gefährlichſte Geſtalt dieſer irrig
|0281 : 267|
§. 237. Klagverjährung. Einleitung.
angenommenen Begriffe aber beſteht darin, wenn man
ihnen nicht blos eine hypothetiſche Bedeutung beylegt, bey
welcher die wirkliche Anwendung einſtweilen dahin geſtellt
bleiben kann, ſondern ſie ſelbſt unvermerkt in den grund-
falſchen Rechtsſatz umwandelt, daß alle Rechte überhaupt
durch fortwährend verſäumte Ausübung untergehen ſol-
len (b). Die Vertheidiger dieſer irrigen Lehre pflegen
dann wohl einzelne, ſeltene Fälle als Ausnahmen ihrer
grundloſen Regel zu behandeln, zu deren Bezeichnung der
ganz entbehrliche Kunſtausdruck res merae facultatis er-
funden worden iſt (c).
Die Klagverjährung iſt ein ganz poſitives Rechtsinſti-
tut, ſo wie jede Umbildung der Rechtsverhältniſſe, zu de-
ren Bedingungen ein Zahlenverhältniß (hier der Ablauf
eines beſtimmten Zeitraums) gehört. Die Gründe ihrer
Einführung, die auf verſchiedene Weiſe angegeben werden,
ſpielen meiſt in einander über, und ſind großentheils der
Erſitzung mit der Klagverjährung gemein (d).
Der allgemeinſte und entſcheidendſte Grund, gleich an-
wendbar auf die Klagverjährung, wie auf die Erſitzung,
liegt in dem Bedürfniß, die an ſich ungewiſſen, des Strei-
tes und Zweifels empfänglichen, Verhältniſſe des Rechts
(b) Vgl. über dieſe in mannich-
faltiger Weiſe ausgebildeten Irr-
thümer oben B. 4 § 178.
(c) B. 4 § 199. S. 515.
(d) Von dieſen Gründen der
Einführung iſt ſchon oben im All-
gemeinen die Rede geweſen, B. 4
§ 177. S. 305—307. Es mußte
aber an dieſer Stelle genauer dar-
auf eingegangen werden.
|0282 : 268|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
und des Vermögens dadurch feſtzuſtellen, daß die Un-
gewißheit in beſtimmte Zeitgränzen eingeſchloſſen wird (e).
Ein zweyter Grund der Einführung liegt in der Prä-
ſumtion der Tilgung desjenigen Rechts, welches durch die
Klage verfolgt werden ſoll; jedoch kann dieſer an ſich
wahre und wichtige Grund leicht misverſtanden werden.
Der Sinn dieſer Präſumtion beſteht in der Unwahrſchein-
lichkeit, daß der Berechtigte ſeine Klage ſo lange verſäumt
haben würde, wenn nicht das Recht ſelbſt auf irgend eine,
jetzt nur nicht erweisliche, Art wirklich aufgehoben wor-
den wäre (f). Dieſe Unwahrſcheinlichkeit iſt nun eigentlich
nur für die mit langen Zeiträumen verſehenen Verjährun-
gen zu behaupten; ſie iſt recht paſſend eigentlich nur bey
perſönlichen Klagen, und zwar vorzugsweiſe bey Klagen
(e) Dieſer Grund hat zufällig
nicht bey der Klagverjährung, wohl
aber bey der Erſitzung, häufige
Anerkennung gefunden. Cicero
pro Caecina C. 26 „usucapio
fundi, h. e. finis solicitudinis
ac periculi litium.” Gajus II.
§ 44 „ne rerum dominia diu-
tius in incerto essent.” Eben
ſo derſelbe Gajus in L. 1 de
usurp. (41. 3.), und Neratius in
L. 5 pr. pro suo (41. 10.).
(f) Die Art dieſer Aufhebung
bleibt alſo völlig dahin geſtellt,
ſie kann in Zahlung, Compenſa-
tion, Novation u. ſ. w. beſtanden
haben, oder auch in einem Erlaß-
vertrag. Dieſe letzte Möglichkeit
kann als die ſehr beſchränkte, re-
lative Wahrheit in derjenigen An-
ſicht eingeräumt werden, nach wel-
cher die Dereliction Grund der
Verjährung ſeyn ſoll. Vgl. oben
B. 4 S. 307. — Eben wegen die-
ſer ſehr häufigen Unbeſtimmtheit
in den einzelnen Anwendungen der
Klagverjährung, und weil über die
Fortdauer des Rechtsverhältniſſes
der Beklagte ſelbſt völlig in Unge-
wißheit ſeyn kann (beſonders wenn
er der Erbe des urſprünglichen
Schuldners iſt), iſt es auch gar
nicht inconſequent, die Einrede der
Verjährung neben irgend einer an-
dern Art der Vertheidigung, ſelbſt
neben der abſoluten Verneinung,
geltend zu machen.
|0283 : 269|
§. 237. Klagverjährung. Einleitung.
auf Geldſchulden, weil hier die regelmäßige Tilgung in
einer ſpurlos vorübergehenden Handlung beſteht, deren
Beweis oft durch den Verluſt der Quittung unmöglich wird.
Schon aus dieſer eingeſchränkten Wahrheit der erwähnten
Präſumtion iſt es einleuchtend, daß ſie nicht wie andere,
gewöhnliche Präſumtionen behandelt werden darf, ſo daß
etwa der Kläger einen Gegenbeweis, z. B. durch Eides-
delation, unternehmen dürfte. Das Weſentliche und Wohl-
thätige der Klagverjährung beſteht vielmehr gerade darin,
daß es faſt immer ungewiß bleiben wird, ob die Schuld
bereits getilgt iſt, alſo blos der fehlende Beweis ergänzt
wird, oder ob gegenwärtig die Klagverjährung eine ſelbſt-
ſtändige Veränderung bewirkt. — Eine ähnliche Präſum-
tion kann auch bey der Erſitzung behauptet werden, indem
es unwahrſcheinlich iſt, daß ein anderer Eigenthümer, wenn
ein ſolcher vorhanden wäre, ſeine Vindication lange Zeit
verſäumt haben würde. Auch hier wird es oft ungewiß
bleiben, ob die Erſitzung Eigenthum aus einer Hand in
die andere gebracht, oder nur den fehlenden Beweis des
ſchon vorhandenen Eigenthums erſetzt hat. Dieſe Anſicht
findet vorzugsweiſe Anwendung bey der dreyßigjährigen
Erſitzung in Ermanglung des Titels, da nämlich der Ti-
tel oft wirklich vorhanden iſt, und nur zufällig nicht be-
wieſen werden kann.
Drittens wird die Strafe der Nachläſſigkeit als Grund
der Klagverjährung angegeben, und auch in unſren Rechts-
|0284 : 270|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
quellen wird darauf deutlich hingewieſen (g). Dennoch
darf dieſer Ausdruck nicht in dem gewöhnlichen Sinn
einer Strafe verſtanden werden, da die Nachläſſigkeit,
welche nicht anderen Perſonen ſchadet, überhaupt nicht
ſtrafbar iſt, und da beſonders die Klage oft aus ſchonen-
der Nachſicht gegen den Schuldner verſchoben wird, worin
doch gewiß Niemand eine Verletzung Deſſelben finden kann.
Jener Ausdruck iſt aber überhaupt nicht als poſitiver
Grund der Klagverjährung anzuſehen, ſondern als Recht-
fertigung derſelben gegen den Vorwurf der Härte und Un-
gerechtigkeit. Der im gemeinen Wohl liegende poſitive
Grund iſt bereits angegeben worden; daß man Dieſen
geltend machen darf, ohne dem Recht des Klägers zu nahe
zu treten, folgt aus der hinreichenden Zeit, die Demſelben
zur Ausübung ſeines Klagrechts geſtattet iſt. Es wird
alſo jedem Klagberechtigten zugemuthet, dem gemeinen
Wohl nicht ſein Recht zum Opfer zu bringen, ſondern nur
ſeine Unthätigkeit. Unterläßt er Dieſes, ſo hat er den
eintretenden Verluſt ſich ſelbſt zuzuſchreiben, welcher Her-
gang nun eben als Strafe ausgedrückt wird. Dieſer Zu-
ſammenhang der Gedanken wird in unſren Rechtsquellen
ſehr beſtimmt anerkannt bey der Erſitzung, deren Rechtfer-
tigung völlig auf dem gleichen Grunde beruht, alſo auch
(g) L. 2 C. de ann. exc. (7.
40.). „Ut … sit aliqua inter
desides et vigilantes differen-
tia” .. L. 3 C. eod. „cum con-
tra defides homines, et sui ju-
ris contemtores, odiosae ex-
ceptiones oppositae sunt.” L.
un. § 5 C. Th. de act. certo
temp. (4. 14.). „Verum ne qua
otioso nimis ac defidi queri-
monia relinquatur” …
|0285 : 271|
§. 237. Klagverjährung. Einleitung.
hier benutzt werden kann (h). — Obgleich nun alſo in
dieſer ſogenannten poena negligentiae nicht ſowohl der
poſitive Grund der Klagverjährung zu ſuchen iſt, als die
Abwehr eines möglichen Vorwurfs, ſo iſt ſie dennoch von
dem größten Einfluß auf die einzelnen Beſtimmungen die-
ſes Rechtsinſtituts, indem es ſich zeigen wird, daß überall
vorzügliche Rückſicht zu nehmen iſt auf die für den Be-
rechtigten vorhandene Möglichkeit, den Nachtheil der Ver-
jährung durch Aufmerkſamkeit zu vermeiden. Es iſt übri-
gens einleuchtend, daß dieſer Rechtfertigungsgrund vorzüg-
lich bey den langen Verjährungszeiten (z. B. von 30 Jahren)
durchgreifende Wahrheit hat; bey den prätoriſchen Annal-
klagen, ſo wie bey der einjährigen Uſucapion des ältern
Rechts, erſcheint er weniger überzeugend.
Ein wichtiger Grund der Klagverjährung, der bey der
Erſitzung nicht eben ſo vorkommt, liegt endlich darin, daß
die Anſtellung der Klage in der Willkühr des Klägers
liegt, daß er es alſo in ſeiner Macht hat, durch lange
Verzögerung derſelben, die Vertheidigung des Beklagten
zu erſchweren, indem die Beweismittel ohne des Beklag-
ten Schuld untergehen können, z. B. durch den Tod der
(h) L. 1 de usurp. (41. 3.)
„cum sufficeret dominis ad in-
quirendas res suas statuti tem-
poris spatium.” Eben ſo Ga-
jus II. § 44. — Dieſes Motiv ſteht
in weſentlichem Zuſammenhang mit
dem vorhergehenden. Denn die
Präſumtion der Tilgung iſt nicht
ſo zu denken, als ob die lange
Zeit an ſich ſelbſt die Tilgung
wahrſcheinlich machte, ſondern ſo
daß die große Nachläſſigkeit des
Berechtigten, in ſo langer Zeit die
Verfolgung des Rechts zu unter-
laſſen, wenn es ſtets fortgedauert
hätte, nicht vermuthet werden kann.
|0286 : 272|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
vorhandenen Zeugen. Die Beſchränkung dieſer einſeitigen
Macht des Klägers, die auf unredliche Weiſe misbraucht
werden kann, iſt vorzüglich zu beachten.
Endlich giebt man auch noch als Zweck der Klagver-
jährung an die Verminderung der Prozeſſe (i). So ma-
teriell nun, als ob die bloße Herabſetzung der Anzahl ein
wünſchenswerthes Gut wäre, darf dieſer Grund gewiß
nicht aufgefaßt werden, da die Abwendung gerechter Pro-
zeſſe gar nicht wünſchenswerth iſt. Das Wahre aber in
jenem Grunde liegt darin, daß allerdings durch die Ver-
jährung viele Klagen abgehalten werden, die entweder
ohnehin, aber mit mehr Mühe und Koſten, als unbegrün-
det anerkannt werden müßten, oder ſogar, welches das
größere Übel iſt, zu einer ungerechten Verurtheilung wegen
fehlender Beweiſe führen würden.
Die Klagverjährung gehört unter die wichtigſten und
wohlthätigſten Rechtsinſtitute (k). In ihr haben ſich die
Beſtimmungen des Römiſchen Rechts, vorzugsweiſe vor
vielen anderen Inſtituten, in vollſtändiger Übung erhalten,
und zwar nicht blos in den Ländern des gemeinen Rechts,
ſondern auch da wo neue Geſetzbücher eingeführt ſind.
(i) Eine Erwähnung davon,
nicht bey der Klagverjährung, aber
doch bey einem verwandten Inſti-
tut, findet ſich in L. 2 pr. de
aqua pluv. (39. 3.) „.. vetustas
quae semper pro lege habe-
tur, minuendarum scilicet li-
tium causa.”
(k) Cassiodori Var. V. 37
„Tricennalis autem humano ge-
neri patrona praescriptio” …
Sieht man von dem ſchülſtigen
Ausdruck ab, der freylich bey die-
ſem Schriftſteller nie fehlen kann,
ſo liegt darin eine wahre Aner-
kennung der praktiſchen Wichtigkeit
dieſer Anſtalt.
|0287 : 273|
§. 238. Klagverjährung. Geſchichte.
Denn in dieſen beſteht das Neue und Eigenthümliche meiſt
nur in der Beſtimmung abweichender Verjährungsfriſten
für viele Klagen, und Dieſes iſt für die Theorie gerade
der minder erhebliche Gegenſtand.
§. 238.
Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Geſchichte.
Dem Begriff der Klagverjährung, welcher bisher nur
auf hypothetiſche Weiſe aufgeſtellt wurde (§ 237), iſt nun-
mehr eine geſchichtliche Grundlage zu geben.
Lange Zeit war dieſes Inſtitut dem Römiſchen Recht
ganz fremd. Erſt als die Prätoren in dem Edict häufig
ganz neue Klagen einführten, knüpften ſie viele derſelben
an die Bedingung, daß ſie innerhalb eines Jahres ange-
ſtellt werden müßten (intra annum judicium dabo); darin
lagen alſo einzelne Ausnahmen von der alten Regel der
ewigen Dauer aller Klagrechte. Solche Ausnahmen wur-
den dann auch bey einzelnen Civilklagen angenommen.
Eine etwas allgemeinere Geſtalt erhielt dieſes Rechts-
inſtitut zuerſt in der longi temporis praescriptio. Gegen
die Klagen aus dem Eigenthum oder einem jus in re (spe-
ciales in rem actiones) ſollte eine Verjährung von zehen
(zuweilen zwanzig) Jahren gelten, wenn der Beſitzer die
Hauptbedingungen der Uſucapion (beſonders Titel und
bona fides) nachweiſen konnte, ohne doch uſucapirt zu ha-
ben; denn durch die Uſucapion wurde ihm freylich jede
Exception entbehrlich. — Eine Erweiterung erhielt dieſe
V. 18
|0288 : 274|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
longi temporis praescriptio unter Conſtantin, indem der
Mangel des Titels und der bona fides durch eine längere
Zeit des Beſitzes erſetzt werden ſollte; wie es ſcheint, war
die Beſtimmung der Zeit ſchwankend zwiſchen 30 und 40
Jahren. Eine Ausdehnung auf andere Arten von Klagen
lag jedoch hierin nicht, ſo daß namentlich die perſönlichen
Klagen in der Regel noch immer unverjährbar blieben (a).
Das erſte Verjährungsgeſetz von durchgreifender All-
gemeinheit wurde von Theodoſius II. im Jahre 424 erlaſ-
ſen, welches in beide Conſtitutionenſammlungen (mit einiger
Verſchiedenheit) übergegangen iſt (b). Der Inhalt dieſes
wichtigen Geſetzes, welches die Grundlage des ganzen
Verjährungsrechts bildet, iſt hier genauer anzugeben. Es
beſtätigt alle ſchon bisher geltende Klagverjährungen, ver-
ordnet aber da wo es bisher an ſolchen fehlte, eine drey-
ßigjährige Verjährung, nicht nur (wie ſchon bisher) für
die speciales in rem actiones, ſondern auch für die here-
ditatis petitio (de universitate), und zugleich, was das
Wichtigſte war, für die perſönlichen Klagen. — Ausdrück-
(a) Unterholzner I. § 17.
(b) L. un. C. Th. de act.
certo temp. fin. (4. 14.), L. 3
C. J. de praescr. XXX. (7. 39.).
Im Juſtinianiſchen Codex heißt
die Inſeription: Honorius et
Theodosius, welches unmöglich
iſt, da Honorius ſchon 423 ſtarb.
Im Theodoſiſchen Codex heißt es
blos: Theodosius, welches völlig
befriedigend ſeyn würde; allein
ein anderes Stück deſſelben Ge-
ſetzes (L. 7 C. Th. de cognitor.
2. 12.) iſt überſchrieben: Theod.
et Valent., welches auch zuläſ-
ſig iſt, da Valentinian III. im J.
424 bereits zum Mitregenten be-
ſtimmt war. In jedem Fall iſt
Theodoſius II. der einzige Urheber
des Geſetzes. Vgl. Unterholz-
ner I. § 18. Wenck ad L. un.
C. Th. cit. Zirardinus, Leges
novellae Theodosii rel. p. 278.
|0289 : 275|
§. 238. Klagverjährung. Geſchichte.
lich ausgenommen wurde die actio finium regundorum.
Dieſe Ausnahme iſt im Juſtinianiſchen Codex weggelaſſen,
weil Juſtinian ſie in einer ſeiner Conſtitutionen aufgeho-
ben hatte (c). — Auch die Hypothekarklage gegen den
Schuldner ſelbſt wurde indirect ausgenommen, und dieſe
Ausnahme iſt im Juſtinianiſchen Codex beybehalten (d),
weil dieſer Gegenſtand ſpäter auf eigenthümliche Weiſe
beſtimmt wurde. — Alle jetzt ſchon vorhandenen Klagen
ſollten gleichfalls der Vorſchrift der 30 Jahre unterworfen
ſeyn, jedoch mit der Milderung, daß ihre Verjährungszeit
wenigſtens Zehen Jahre, von der Verkündigung des Ge-
ſetzes an gerechnet, betragen ſollte. Dieſe blos tranſito-
riſche Beſtimmung wurde im Juſtinianiſchen Codex natür-
lich weggelaſſen. — Am zweifelhafteſten iſt das Verhältniß
der den perſönlichen Zuſtand betreffenden Präjudicialklagen.
Bey der Aufzählung derjenigen Klaſſen von Klagen, wo-
für die neue Verjährung gelten ſoll, ſind ſie nicht mit ge-
nannt (e), dagegen lautet der Schluß des Geſetzes ſo all-
gemein, daß er auch auf ſie zu beziehen iſt (f).
(c) L. 1 § 1 C de ann. exc.
(7. 40.), vgl. unten Note i.
(d) L. 3 C. cit. „Eodem etiam
jure in ejus persona valente,
qui pignus vel hypothecam
non a suo debitore, sed ab alio,
… possidente nititur vindicare.”
Hier iſt das ſogenannte argumen-
tum a contrario ganz unwider-
legbar. — Wahrſcheinlich lag bey
dieſer Ausnahme die Anſicht zum
Grunde, daß gar keine Verjährung
anfangen könne, weil der Schuld-
ner die verpfändete Sache mit dem
Willen des Glaubigers beſitze.
(e) L. 3 C. cit. „Sicut in rem
speciales, ita de universitate,
ac personales actiones …”
Keine dieſer Bezeichnungen paßt
auf die Präjudicialklagen.
(f) L. 3 C. cit. „si qua res
vel jus aliquod postuletur, vel
persona qualicunque actione
vel persecutione pulsetur.” Un-
18*
|0290 : 276|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Dieſes Geſetz wurde durch die Aufnahme in den Theo-
doſiſchen Codex auch im Occident eingeführt; Valenti-
nian III. ſchärfte die Befolgung deſſelben durch beſondere
Verordnungen ein, worin er namentlich gegen einſchrän-
kende Auslegungen warnte (g).
Hieran ſchließt ſich ein Geſetz des K. Anaſtaſius vom
J. 491, welches für alle Klagen, die bisher noch keine
Verjährung hatten, als letztes Supplement eine vierzig-
jährige vorſchreibt (h). Die eigentliche Abſicht dieſes in
den Juſtinianiſchen Codex aufgenommenen Geſetzes iſt nicht
ganz klar. Am Natürlichſten ſcheint es bezogen werden zu
müſſen auf die von Theodoſius beſonders ausgenommenen
Klagen, die alſo nun nicht mehr unverjährbar, ſondern
nur einer etwas längeren Verjährung unterworfen ſeyn
ſollten; allein ſelbſt dieſe Beziehung iſt nicht ohne Schwie-
rigkeit. Die ſicherſte Anwendung iſt wohl die auf die
actio finium regundorum, die in dem Geſetz von Theodo-
ſius ausgenommen worden war, jetzt alſo in 40 Jahren
verjähren ſollte; vielleicht war ſie auch ausdrücklich von
K. Anaſtaſius genannt, deſſen Geſetz wir ja nicht mehr
in ſeiner urſprünglichen Geſtalt beſitzen. Juſtinian hat
nachher für dieſe Klage die dreyßigjährige Verjährung
terholzner I. § 18 will dieſe
Worte auf Klagen über das Ver-
mögen einſchränken, wozu jedoch
in ihnen kein Grund wahrzuneh-
men iſt.
(g) Nov. Valent. Tit. 8. 12
(J. 449 und 452). Unterholz-
ner I. S. 446 Note 433 ſcheint
dieſes Geſetz ganz misverſtanden
zu haben.
(h) L. 4 C. de praescr. XXX.
(7. 39.). Vgl. über dieſes Geſetz
Unterholzner I. § 19.
|0291 : 277|
§. 238. Klagverjährung. Geſchichte.
vorgeſchrieben (i). — Die Hypothekarklage gegen den Schuld-
ner gehört dagegen nicht zu den aufgehobenen Ausnahmen,
denn K. Juſtinus, der für ſie die Verjährung von 40 Jah-
ren vorſchrieb, ſagte dabey ausdrücklich, ſie ſey bis zu
ſeiner Zeit ohne alle Verjährung geweſen (k). — Daneben
aber erwähnt nun der Kaiſer, daß bisher das Geſetz von
Theodoſius durch willkührliche Auslegungen eingeſchränkt
worden ſey. Er ſcheint Dieſes durch die von ihm ge-
brauchten Ausdrücke zu misbilligen (l), und man könnte
auch auf dieſe Fälle das neue Supplement der 40 Jahre
beziehen. Indeſſen iſt doch auch nicht einzuſehen, warum
der Geſetzgeber den Interpretationen, die er ſelbſt als
irrig anſieht, durch eine verlängerte Verjährungsfriſt ein
Zugeſtändniß machen ſollte. — Wenn in der That die
Präjudicialklagen in dem Geſetz von Theodoſius nicht ent-
halten ſeyn ſollten (wovon ſchon oben die Rede war),
oder wenn ſie etwa durch ſpätere Auslegungen davon
ausgeſchloſſen worden wären, ſo könnte die Vorſchrift von
Anaſtaſius auf ſie bezogen werden, worauf in der That
einige Ausdrücke hinzudeuten ſcheinen (m). Ja Dieſes
(i) L. 6 C. fin. reg. (3. 39.).
Daß dieſe Beſtimmung nicht von
Theodoſius I. herrührt, deſſen Na-
men ſie führt, ſondern von Juſti-
nian ſelbſt, zeigt die Vergleichung
mit L. 5 C. Th. fin. reg. (2. 26.).
— Vgl. oben Note c.
(k) L. 7 pr. C. de praescr.
XXX. (7. 39.).
(l) L. 4 C. cit. „.. si qua
sit actio, quae cum non esset
expressim supradictis tempo-
ralibus praescriptionibus con-
cepta, quorumdam tamen vel
fortuita vel excogitata inter-
pretatione saepe dictarum ex-
ceptionum laqueos evadere pos-
se videatur …”
(m) L. 4 C. cit. „.. quicun-
que super quolibet jure .., su-
|0292 : 278|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
würde in der That die einzige im Juſtinianiſchen Recht
anwendbare Beſtimmung des Geſetzes von Anaſtaſius ſeyn,
welches überhaupt wohl beſſer in unſren Codex gar nicht
aufgenommen worden wäre, da es doch nur Zweifel zu
erregen geeignet iſt.
So allgemein und durchgreifend nun die Worte der
Verordnung von Anaſtaſius lauten, ſo hat doch er ſelbſt
dafür geſorgt, ihre Allgemeinheit wieder wankend zu ma-
chen, indem er in ſpäteren Conſtitutionen für zweyerley
Klagen erklärt hat, ſie würden mit Unrecht unter jene
Verordnung bezogen, und ſie ſollten überhaupt gar keiner
Verjährung unterworfen ſeyn. Dieſes verordnete er erſt-
lich für die Klage einer Stadt gegen ſolche Perſonen, die
ſich ihrer Verpflichtung als Mitglieder der Curie entziehen
wollten (n); zweytens für alle Klagen des Fiscus auf öf-
fentliche Abgaben (o).
Zuletzt hat noch Juſtinian in einer eigenen Conſtitution
die allgemeine Beobachtung der dreyßigjährigen Klagver-
jährung eingeſchärft, und dabey als einzigen Fall für 40
Jahre die Hypothekarklage erwähnt (p), für welche ja ſein
Vorgänger ein ausführliches Geſetz erlaſſen hatte. Hierin
liegt eine Beſtätigung des eben ausgeſprochenen Tadels
gegen die Aufnahme des Geſetzes von Anaſtaſius, da für
perque sua conditione, qua per
idem tempus absque ulla judi-
ciali sententia simili munitione
potitus est, sit liber, et .... se-
curus.”
(n) L. 5 C. de praescr. XXX.
(7. 39.).
(o) L. 6 C de praescr. XXX.
(7. 39.).
(p) L. 1 § 1 C. de ann. ex-
cept. (7. 40.) vom J. 530.
|0293 : 279|
§. 238. Klagverjährung. Geſchichte.
die Anwendung deſſelben neben der zuletzt angeführten Ver-
ordnung von Juſtinian durchaus kein Raum übrig bleibt.
In dieſer Verordnung erwähnt Juſtinian namentlich fol-
gende Klagen, wofür die Anwendung der 30 Jahre mit
Unrecht bezweifelt worden ſey:
1) Familiae herciscundi, communi dividundo, finium re-
gundorum. Für die zwey erſten gründete ſich der Zweifel
wahrſcheinlich auf die Verwechslung des allerdings unver-
jährbaren Anſpruchs auf Theilung mit dem Anſpruch auf
beſtimmte Geldzahlung (§ 252). Für die dritte hatte erſt
Juſtinian ſelbſt die Verjährung eingeführt (Note i).
2) Pro socio. Auch hier mag wohl die Verwechslung
der unverjährbaren Aufkündigung mit der Klage auf Geld-
zahlung den Zweifel veranlaßt haben.
3) Furti und vi bonorum raptorum. Der Irrthum
gründete ſich hier darauf, daß Manche fälſchlich glaubten,
der Dieb oder Räuber begehe durch den fortgeſetzten Be-
ſitz der Sache immer wieder einen neuen Diebſtahl, für
welchen alſo auch die Verjährung der furti actio ſtets von
Neuem anfangen müſſe (q).
Aus dieſer hiſtoriſchen Zuſammenſtellung ergiebt es ſich,
daß urſprünglich alle Klagen unverjährbar, dann aus-
nahmsweiſe einzelne verjährbar waren, endlich aber alle
verjährbar geworden ſind. Damit hängt denn auch der
veränderte Sprachgebrauch zuſammen, indem der Ausdruck
(q) L. 1 § 1 cit. „ex quo .. se-
mel nata est, et non iteratis
fabulis saepe recreata, quem-
admodum in furti actione dice-
batur.” Vgl. L. 9 pr. L. 67 § 2
de furtis (47. 2.).
|0294 : 280|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
perpetua actio, dem eigentlichen Wortſinn gemäß, eine
unverjährbare Klage bezeichnete, jetzt aber, da es ſolche
nicht mehr giebt, zur Bezeichnung einer dreyßigjährigen
Klage, im Gegenſatz der kürzer dauernden, geworden iſt (r).
Die nun folgende Lehre von der im Juſtinianiſchen
Recht geltenden Klagverjährung wird folgende Stücke zu
unterſuchen haben: die Bedingungen der Verjährung, ihre
Wirkung, die Ausnahmen derſelben, und ihre Anwendung
auf Exceptionen.
Die Bedingungen aber laſſen ſich auf folgende Vier
Punkte zurückführen:
a) Actio nata.
b) Ununterbrochene Verſäumniß.
c) Bona fides.
d) Ablauf der Zeit.
§. 239.
Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Bedingun-
gen. a. Actio nata.
Unterholzner I. § 88. II. § 183. 260. 264—266.
Thon in Linde’s Zeitſchrift B. 8 S. 1—57. 1835 (a).
Die erſte Bedingung möglicher Klagverjährung fällt
zuſammen mit der Beſtimmung des Anfangspunktes der-
(r) pr. J. de perpetuis (4. 12.)
(a) Es wird ſich zeigen, daß ich
in den Hauptreſultaten mit dieſer
Schrift nicht einverſtanden bin; in-
deſſen hat ſie durch klare und gründ-
liche Behandlung des Gegenſtan-
des die Unterſuchung nicht wenig
gefördert.
|0295 : 281|
§. 239. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata.
ſelben. So lange kein Klagrecht vorhanden iſt, kann
daſſelbe nicht verſäumt, alſo auch nicht durch Verſäumniß
verloren werden. Es muß daher Actio nata ſeyn, wenn
eine Verjährung anfangen ſoll (b).
Jedes Klagrecht aber hat zwey Bedingungen (§ 205):
Erſtlich, ein wirkliches, gegenwärtiges, verfolgbares Recht,
und wo es an dieſem fehlt, iſt noch keine Verjährung
möglich. Darum kann ſie bey einer bedingten, oder auf
einen Zeitpunkt ausgeſetzten Obligation erſt anfangen, wenn
die Bedingung erfüllt, oder der Zeitpunkt eingetreten iſt (c).
— Zweytens eine Rechtsverletzung, eine Störung, welche
den Berechtigten zur Klage veranlaßt. Es kommt Alles
darauf an, dieſe, die Klage bedingende, Rechtsverletzung
richtig aufzufaſſen; die meiſten Streitigkeiten in dieſer Lehre
entſtehen aus Misverſtändniſſen über die Natur derſelben,
und wenn es gelingt, hierüber eine Verſtändigung her-
bey zu führen, ſo möchten wohl jene Streitigkeiten über
den Anfangspunkt der Verjährung verſchwinden.
Wird nun hier der Anfang der Verjährung in das
(b) L. 1 § 1 C. de ann. exc.
(7. 40.) „.. sed ex quo ab ini-
tio competit, et semel nata est
..”. L. 3 C. de praescr. XXX.
(7. 39.) „actiones XXX. anno-
rum jugi silentio, ex quo jure
competere coeperunt, vivendi
ulterius non habeant faculta-
tem.” L. 30 C. de j. dot. (5. 12.)
„ea mulieribus ex eo tempore
opponatur, ex quo possunt ac-
tiones movere.” In dieſer letzten
Stelle iſt von Uſucapion und
Klagverjährung zugleich die Rede.
(c) L. 7 § 4 C. de praescr.
XXX. (7. 39.) „… in omnibus
contractibus, in quibus sub ali-
qua conditione vel sub die …
pacta ponuntur, post conditio-
nis exitum, vel .. diei .. lap-
sum, praescriptiones XXX vel
XL annorum … initium acci-
piunt.”
|0296 : 282|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Daſeyn der Rechtsverletzung geſetzt, zu deren Bekämpfung
die Klage beſtimmt iſt, ſo hat dieſer Anfangspunkt eine
völlig objective Natur, und das Verhältniß einer ſolchen
verletzenden Thatſache zu dem Bewußtſeyn des Klagbe-
rechtigten kommt nicht in Betracht. Ob alſo dieſer von
der Klage weiß, die ihm zuſteht, oder nicht, iſt ganz gleich-
gültig, ſelbſt bey den kurzen, mit einem utile tempus ver-
ſehenen, Verjährungen; und es ſind bey dieſen letzten nur
ſeltene Ausnahmen, worin das Bewußtſeyn berückſichtigt
wird (d).
Schon von den Gloſſatoren an iſt eine Erweiterung dieſer Re-
gel verſucht worden, welche noch in der neueſten Zeit ihre Ver-
theidiger gefunden hat. Es ſoll nämlich die Verjährung ſchon
vor der Entſtehung des Klagrechts anfangen, vorausgeſetzt
daß es in der Willkühr des Berechtigten ſtand, dieſe Entſte-
hung herbey zu führen (e). Man drückt dieſe Regel alſo aus:
toties praescribitur actioni nondum natae, quoties nati-
vitas est in potestate creditoris. Durch welches Intereſſe die
Aufſtellung dieſer Regel veranlaßt worden iſt, kann erſt wei-
ter unten klar gemacht werden; ihre Unrichtigkeit aber läßt
ſich ſchon hier zeigen (f). Bey allen bedingten Obligatio-
nen ohne Ausnahme ſoll die Verjährung der Klage erſt
anfangen, wenn die Bedingung erfüllt iſt (Note c); und
(d) S. oben B. 3 Beylage VIII.
Num. XXV. XXVI. und B. 4
§ 190.
(e) Unterholzner II. S. 319,
Kind quaest. forenses Vol. 3
C. 35.
(f) Thon S. 2—6 hat dieſe
Regel gründlich geprüft und wi-
derlegt.
|0297 : 283|
§. 239. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata.
doch giebt es ächte Bedingungen, deren Erfüllung ganz in
der Willkühr des Berechtigten ſteht (g), und bey welchen
alſo, nach jener Regel, die Verjährung ſchon früher an-
fangen müßte. Eben ſo ſoll die Verjährung der Dotal-
klage allgemein anfangen mit der Auflöſung der Ehe (h),
und doch kann dieſe Auflöſung weit früher in der Will-
kühr der Frau ſtehen, wenn nämlich der Mann durch ſeine
Handlungen eine Scheidungsurſache herbeyführte (i). Noch
einleuchtender iſt Dieſes für die Zeit des ältern Rechts,
worin die Frau auch ohne Urſache die Scheidung ausſpre-
chen konnte; hätte nun damals ſchon eine Verjährung der
Dotalklage beſtanden, ſo würde dieſelbe nach jener Regel
vom Anfang der Ehe an zu berechnen geweſen ſeyn, wel-
ches doch gewiß Jeder für ganz widerſinnig erkennen wird.
Das Wichtigſte und Schwierigſte aber iſt die Anwen-
dung der von mir aufgeſtellten Regel auf einzelne Rechts-
verhältniſſe, und erſt dabei wird es möglich ſeyn, die Streit-
fragen klar zu machen, die in dieſer Lehre vorkommen.
Vor Allem müſſen unterſchieden werden die Klagen in
rem von den perſönlichen Klagen.
Bey den Klagen in rem iſt über den Anfang der Ver-
jährung weniger Streit als bey den perſönlichen. Die Ver-
jährung der Vindication und der mit ihr gleichartigen Kla-
gen (k) fängt an mit dem Beſitz, welchen ein Anderer
(g) S. o. B. 3 § 117.
(h) L. 7 § 4 C. de praescr.
XXX. (7. 39.), L. 30 C. de j.
dot. (5. 12.), vgl. Note b.
(i) Thon S. 14—16 S. 56.
(k) Dahin gehört die publi-
ciana, die a. vectigalis, die des
Superficiars und die Hypothekar-
|0298 : 284|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
ohne den Willen des Berechtigten erworben hat. Wenn
alſo der Eigenthümer einer beweglichen Sache dieſelbe an
einem entlegenen Orte verliert, und ſie da viele Jahre un-
bemerkt liegen bleibt, ſo kann von einer Klagverjährung
nicht die Rede ſeyn. Erſt wenn ein Anderer die Sache
findet und in Beſitz nimmt, iſt eine Verletzung des Eigen-
thums vorhanden, mit ihr auch ein Klagrecht, und die
Möglichkeit deſſen Ausübung zu verſäumen. Daß die Sache
dem Beſitzer abgefordert, und von dieſem verweigert werde,
iſt zum Anfang der Verjährung eben ſo wenig nöthig, als
daß der Eigenthümer die Beſitzergreifung wiſſe. —
Nicht nöthig zur Begründung dieſer Klagverjährung
iſt der Eigenthumsbeſitz des Gegners, ſo daß gegen den
Miether, Commodatar, oder Pfandglaubiger die Verjäh-
rung der Vindication nicht anfangen könnte (l); denn da
auch gegen dieſe Perſonen die Vindication angeſtellt wer-
den kann (m), ſo iſt kein Grund vorhanden, ihnen die Ver-
jährung derſelben zu entziehen. Das Wahre aber in je-
ner irrigen Behauptung beſteht darin, daß allerdings eine
Klagverjährung nicht anfangen kann, ſo lange der Mie-
klage, da dieſe alle nur gegen den
Beſitzer angeſtellt werden. Die
confessoria und negatoria wer-
den bedingt durch irgend eine Ver-
letzung, ſo daß der Anfang der
Verjährung eine weniger beſtimmte
Natur hat als bey jenen Klagen;
bey ihnen aber wird überhaupt die
Klagverjährung ſeltner zur Sprache
kommen, weil ſie meiſt durch die
Erſitzung der Servitut, oder durch
den Untergang wegen Nichtge-
brauch abſorbirt ſeyn wird.
(l) Dieſe Meynung hat Unter-
holzner II. § 183 264. Er ver-
wechſelt die Klagverjährung mit
der Uſucapion, bey welcher dieſer
Satz allerdings wahr iſt.
(m) L. 9 de rei vind. (6. 1.)
|0299 : 285|
§. 239. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata.
ther u. ſ. w. im Namen des Eigenthümers beſitzt, alſo deſ-
ſen Recht auf irgend eine Weiſe anerkennt (n).
Bey den perſönlichen Klagen iſt das Princip daſſelbe,
wie es für die Klagen in rem aufgeſtellt worden iſt. Die
Verjährung fängt an, wenn die Erfüllung der Obligation
unterbleibt ohne den Willen des Berechtigten, das heißt
gegen die durch die Natur des Rechtsverhältniſſes begrün-
dete Erwartung. Auch hier alſo kommt es nicht darauf
an, daß der Schuldner zur Erfüllung aufgefordert ſey und
dieſelbe verweigert habe (o). Eben ſo iſt ganz gleichgültig
das Daſeyn der beſonderen Bedingungen, an welche die
Annahme der Mora geknüpft iſt. Mora iſt dasjenige Ver-
hältniß des nicht erfüllenden Schuldners, welches für ihn
gewiſſe poſitiv beſtimmte Nachtheile zur Folge hat (Zinſen,
Verantwortlichkeit u. ſ. w.); hier wird in der Regel Mah-
nung gefordert, wodurch das Daſeyn oder der Vorwand
ſtillſchweigender Nachſicht mit Sicherheit beſeitigt werden
ſoll. Für die Möglichkeit einer Klage aber ſind dieſe Be-
dingungen nicht nöthig; gerade der Umſtand, daß der Glau-
biger die Mahnung unterläßt, gehört zu der Reihe von
Nachläſſigkeiten, deren endlicher Erfolg der Verluſt des
Klagrechts durch Verjährung iſt (p).
(n) Von dieſem Fall ſind zu
verſtehen L. 2 L. 7 § 6 C. de
praescr. XXX. (7. 39.) Die rich-
tige Anſicht hat Kierulff S. 198.
(o) In dieſer unrichtigen Weiſe
wird die Meynung Derjenigen,
welche eine Rechtsverletzung zum
Anfang der Verjährung fordern,
von Thon S. 37. aufgefaßt.
(p) Die richtige Anſicht hier-
über hat Kierulff S. 197.
|0300 : 286|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
In der Anwendung auf einzelne Obligationen ſind zu-
erſt diejenigen Fälle zu betrachten, worin die aufgeſtellte
Regel einer reinen und einfachen Anwendung empfänglich
iſt, indem keine factiſche Verwicklungen hinzutreten, wodurch
Zweifel oder auch wirkliche Abweichungen veranlaßt wer-
den könnten. Ich rechne dahin folgende Fälle:
1) Die Delictsobligationen. Sobald das Delict began-
gen iſt, hat der Verletzte augenblicklich die Zahlung der
Entſchädigung oder der Strafe zu erwarten, und jede
Verzögerung iſt eine neue Rechtsverletzung, wodurch eben
die Klage begründet wird (q). Daher fängt die Verjäh-
rung der Klage mit dem vollendeten Delict an, weil es
als Verſäumniß betrachtet werden muß, wenn der Ver-
letzte nicht ſogleich die Klage anſtellt.
2) Ganz dieſelbe Natur haben auch die Quaſicontracte.
Die Verjährung der tutelae actio fängt alſo an mit der geendig-
ten Tutel (r), die der condictio indebiti mit der irrigen Zah-
(q) Es iſt alſo unrichtig, wenn
Thon S. 36 behauptet, es ſey
etwas Eigenthümliches bey den
Delictsllagen, daß die Verjährung
von einer Rechtsverletzung anfange.
Er verwechſelt die in dem De-
lict ſelbſt enthaltene Rechtsverletz-
ung mit der unterlaſſenen Zahlung;
die erſte kommt allerdings nur bey
Delicten vor, die zweyte iſt den
Delicten mit anderen Obligatio-
nen gemein, und auf ſie allein be-
zieht ſich der Anfang der Klagver-
jährung.
(r) Nicht mit der Übernahme
der Tutel, die allerdings den ent-
fernteren Grund der Obligation
enthält, ſo daß ſie den auf die
Entſtehungszeit gegründeten Rang
des ſtillſchweigenden Pfandrechts
beſtimmt; auch nicht mit der ein-
zelnen Handlung, wenn z. B. der
Vormund während der Vormund-
ſchaft Geld unterſchlägt. Die ei-
gentliche Obligation, alſo die ac-
tio tutelae, entſteht erſt mit dem
Ende der Tutel. L. 4 pr. de tu-
telae (27. 3.) „Nisi finita tu-
tela sit, tutelae agi non potest.“
|0301 : 287|
§. 239. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata.
lung, die der Dotalklage mit dem Ende der Ehe (Note h).
Denn in dieſen Zeitpunkten hat der Glaubiger, nach der
Natur der erwähnten Rechtsverhältniſſe, die Zahlung zu
erwarten, und wenn er nicht augenblicklich darauf klagt,
ſo liegt darin der Anfang einer Verſäumniß, deren Ende
den Verluſt der Klage durch Verjährung herbeyführt (s).
3) Eben ſo aber ſind auch die meiſten Obligationen aus
Verträgen zu betrachten, nämlich alle diejenigen, in wel-
chen nur nicht die nachfolgenden beſonderen Verwicklungen
wahrzunehmen ſind. Es gehören alſo dahin bey den Rö-
mern alle Klagen aus einfachen, nicht durch Bedingung
oder Zeit beſchränkten, Stipulationen; bey uns wie bey
den Römern, alle Klagen auf einzelne Leiſtungen aus Ver-
trägen, wenn der Glaubiger von ſeiner Seite Nichts zu
leiſten, oder ſeine Verpflichtung ſchon erfüllt hatte, alſo
unter andern alle Klagen der Kaufleute und Handwerker
aus Rechnungen über gelieferte Waaren. Denn in dieſen
Fällen iſt die Erwartung augenblicklicher Leiſtung durch
die Natur des Rechtsverhältniſſes wohl begründet, es iſt
alſo auch eine unzweifelhafte Verſäumniß, wenn es der
Glaubiger unterläßt, dieſer Erwartung, inſofern ſie nicht
freywillig erfüllt wird, durch Anſtellung einer Klage Nach-
druck zu geben. Wollte man in dieſen Fällen nach 30 Jah-
ren dem Beklagten zumuthen, eine anfängliche Aufforderung
(s) Mit Unrecht behauptet Bur-
chardi Grundzüge des Rechtsſy-
ſtems der Römer S. 194 Note 11,
es liege hierin eine Eigenthümlich-
keit der Quaſicontracte, da eigent-
lich noch eine Verweigerung hinzu-
kommen müßte.
|0302 : 288|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
und Verweigerung zu beweiſen, ſo würde das wohlthätige
Inſtitut der Verjährung praktiſch faſt ganz vernichtet ſeyn;
denn gerade wenn es zu einer ſolchen ausgeſprochenen Ver-
weigerung gekommen iſt, wird faſt immer die Klage wirk-
lich angeſtellt werden, ſo daß nur die übrigen Fälle von
praktiſcher Erheblichkeit für die Verjährung ſind.
Es iſt wohl zu bemerken, daß dieſe Anwendung der
Klagverjährung für das wirkliche Leben die allerwichtigſte
iſt. Denn ſie betrifft die unzähligen Verhältniſſe des täg-
lichen Verkehrs, deren vorübergehende Natur und geringe
Erheblichkeit eine geringere Sorgfalt in Aufbewahrung der
Beweismittel zur unausbleiblichen Folge hat. Zugleich iſt
bey dieſen das Daſeyn der oben (§ 237) dargeſtellten Gründe
der Verjährung recht einleuchtend. Denn wenn die Erben
eines Kaufmanns oder Handwerkers nach mehr als 30 Jah-
ren aus den Büchern ihres Erblaſſers Klagen erheben, ſo
iſt gewiß die Wahrſcheinlichkeit vorhanden, daß die Rech-
nung längſt bezahlt ſey, und zugleich die Gewißheit einer
großen Nachläſſigkeit der Eintreibung für den Fall, daß
dennoch die Eintreibung unterblieben ſeyn ſollte.
Durch dieſe Betrachtung ſind neuere Geſetzgebungen be-
wogen worden, für die erwähnten Verhältniſſe des täglichen
Verkehrs ſehr kurze Verjährungsfriſten vorzuſchreiben (t), und
auch dieſe Beſtimmung iſt gewiß dem wahren Bedürfniß, und
beſonders auch dem richtig verſtandenen Intereſſe der Glaubi-
(t) Code civil art. 2271 und
fg. — Preußiſches Geſetz vom 31.
März 1838 über kürzere Verjäh-
rungsfriſten (Geſetzſammlung 1838
S. 249).
|0303 : 289|
§ 240. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. (Fortſ.)
ger, ſehr angemeſſen. Um ſo mehr aber müſſen wir uns
ſchon hüten, im gemeinen Recht die Schwierigkeit, die in dem
langen Zeitraum von 30 Jahren liegt, durch willkührliche
Forderungen für den Anfang der Verjährung faſt bis zur
Unmöglichkeit zu ſteigern.
§. 240.
Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Bedingungen.
a. Actio nata. (Fortſetzung.)
Es bleibt nun noch übrig, diejenigen Arten der perſön-
lichen Klagen zu erwägen, in welchen die Anwendung der
im § 239. aufgeſtellten Regel entweder ohne Grund bezwei-
felt worden iſt, oder in der That modificirt werden muß.
A) Wenn bey einem zweyſeitigen Vertrag, z. B. einem
Kauf, noch kein Theil erfüllt hat, ſo ſoll, wie Manche
glauben, die Verjährung keiner der beiden Klagen anfan-
gen, weil jede derſelben, wegen der entgegenſtehenden ex-
ceptio non impleti contractus, noch nicht actio nata ſey (a).
Wäre dieſe Behauptung richtig, ſo läge darin ein Nach-
theil für den gewiſſenhaften, pünktlichen Contrahenten, ein
Vortheil für den ſäumigen, indem dieſer keine Verjährung
für ſeine eigene Klage zu befürchten hätte, ſo lange er
mit ſeiner Leiſtung an den Gegner im Rückſtand wäre.
Daß ein ſo rechtswidriger Erfolg nicht zuzulaſſen iſt, wird
bey ruhiger Betrachtung leicht zugegeben werden; es fragt
ſich aber, wie ihm zu begegnen ſeyn möge. — Unterholzner
(a) Thibaut Pandekten § 1020.
V. 19
|0304 : 290|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
beruft ſich auch hier auf die Regel, daß die Verjährung einer
noch nicht vorhandenen Klage dennoch anfange, wenn nur
die Entſtehung derſelben durch die bloße Willkühr des
künftigen Klägers bewirkt werden könne (b); dieſe Regel
ſelbſt iſt jedoch ſchon oben (§ 239) widerlegt worden. —
In der That aber iſt es ganz unrichtig, die Entſtehung
des Klagrechts von der Möglichkeit oder Beſeitigung der
erwähnten Exception abhängig zu denken. Die Klagen
aus dem Vertrag ſind völlig begründet von der Zeit des
Abſchluſſes an; jeder Theil kann ſie ſogleich anſtellen, und
tritt alſo, wenn er es unterläßt, ſogleich in den Zuſtand
der Verſäumniß ein, durch deſſen hinreichende Fortdauer
die Verjährung bewirkt wird. Keine Exception ſchließt
das Daſeyn eines Klagrechts, und die Möglichkeit es aus-
zuüben oder zu verſäumen, aus; ſchon deswegen nicht,
weil es ganz ungewiß iſt, ob die Exception vorgebracht
werden, und ob ihr der Richter Erfolg geben wird; am
wenigſten aber eine Exception wie die hier erwähnte, die
einen ganz dilatoriſchen Character hat, und nie zur gänz-
lichen Freyſprechung des Beklagten führt (c), ſo daß alſo
in jedem Fall die Klage wenigſtens mit dem Erfolg ſicher
angeſtellt werden kann, daß dadurch die Verjährung un-
terbrochen wird (d).
(b) Unterholzner II. § 260.
(c) L. 13 § 8 de act. emti
(19. 1.) „ .. nondum est ex
emto actio: venditor enim,
quasi pignus, retinere potest
eam rem, quam vendidit.” Die
Worte: nondum est actio dürfen
hier nicht zu buchſtäblich genom-
men werden; man muß hinzufügen:
cum effectu.
(d) Die richtige Anſicht haben
Vangerow I. S. 170. 171. Kie-
|0305 : 291|
§ 240. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. (Fortſ.)
Die für dieſen Fall entſtandenen Zweifel ſind alſo ohne
Grund, und die im vorigen §. entwickelte Regel kommt
rein zur Anwendung. Denn mit dem Abſchluß des Kau-
fes iſt für jeden Theil die Erwartung entſtanden, daß der
Gegner ſogleich erfüllen werde, wie es der Natur des
Kaufs angemeſſen iſt; mit dieſer Erwartung aber entſteht
zugleich das Klagrecht, und die Möglichkeit, deſſen Aus-
übung zu verſäumen.
B) Schwieriger ſind diejenigen Fälle, worin das Rechts-
verhältniß ſelbſt zunächſt auf einen dauernden Zuſtand
führt, deſſen Ende jedoch in der Willkühr des Glaubigers
ſteht. Die perſönliche Klage, wodurch er die Änderung
jenes Zuſtandes bewirken kann, iſt wie jede andere Klage
der Verjährung unterworfen; aber der Anfangspunkt dieſer
Verjährung iſt es, welcher von jeher die größten Streitig-
keiten veranlaßt hat. Die wichtigſten Fälle, die hierher
gehören, ſind folgende: das unverzinsliche Darlehen (e);
das Depoſitum, Commodat, und Precarium (f); das Ein-
löſungsrecht wegen eines im Beſitz des Glaubigers befind-
rulff I. S. 193. 197. —
(e) Das unverzinsliche allein
kommt hier in Betracht, weil das
verzinsliche, durch die damit ver-
bundene periodiſche Leiſtung, zur
folgenden Klaſſe der Obligationen
gehört.
(f) Bey dem Precarium macht
es für den Anfang der Klagverjäh-
rung keinen Unterſchied, ob man
die ältere Römiſche Anſicht (des
auf ein Delict gegründeten Inter-
dicts) zum Grunde legt, oder die
neuere, nach welcher es als Ver-
trag behandelt wird. Denn nach
dieſer letzten Anſicht hat es ganz
dieſelbe Natur wie das Commodat;
nach der erſten kann von einem Mis-
brauch des Zutrauens, worin das
Weſen dieſes Delicts liegt, nicht
früher die Rede ſeyn, als der Ge-
ber die Sache zurückfordert, und
der Empfänger ſie verweigert.
19*
|0306 : 292|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
lichen Pfandes (a. pignoratitia directa); die a. venditi aus
einem Vertrag de retrovendendo. — Die vier erſten Fälle
ſind ganz gleichartiger Natur; bey den zwey letzten kom-
men noch beſondere Rückſichten in Betracht.
Ich betrachte zuerſt das unverzinsliche Darlehen, und
zwar dieſes in ſeiner einfachſten Geſtalt, wenn es ganz un-
beſtimmt gegeben iſt, ohne ausdrückliche Abrede über die
Art der Rückgabe. Hier hat der Glaubiger nach der Na-
tur des Rechtsverhältniſſes zunächſt die Rückgabe durchaus
nicht zu erwarten, da mit ſeinem ausgeſprochnen Willen
der Empfänger das geliehene Geld auf unbeſtimmte Zeit
hat und genießt. Fehlt es nun an dieſer natürlichen Er-
wartung, ſo giebt es auch noch keine Klage zu deren Un-
terſtützung, alſo iſt auch der Anfang einer Klagverjährung
unmöglich. Dieſe ſetzt Nachläſſigkeit voraus, und wo wäre
hier eine ſolche zu finden? Niemand wird ſagen, daß das
Darlehen an ſich ſchon eine Nachläſſigkeit in ſich ſchließe.
Alſo könnte dieſelbe nur darin gefunden werden, daß der
Glaubiger das Darlehen allzu lang beſtehen ließe, ohne es
entweder einzufordern oder durch einen neuen Schuldſchein
zu ſichern. Allein Dieſes müßte doch durch poſitives Ge-
ſetz vorgeſchrieben ſeyn, ſchon deswegen, weil es ſonſt an
einem beſtimmten Gränzpunkt der Nachläſſigkeit fehlen würde,
welcher zugleich den Anfang der Verjährung begründen
könnte. — Beſonders einleuchtend wird die Wahrheit die-
ſer Behauptung, wenn man den vorliegenden Fall mit den
im vorhergehenden §. betrachteten Fällen vergleicht. Auch
|0307 : 293|
§ 240. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. (Fortſ.)
der Kaufmann oder Handwerker, der eine Rechnung über-
giebt, kann mit der Einforderung warten, und wird es
meiſt thun; das iſt Connivenz, die der Natur des Rechts-
verhältniſſes völlig fremd iſt, und die eine verdoppelte Auf-
merkſamkeit nöthig macht, wenn ſie nicht den Character
der Nachläſſigkeit annehmen ſoll. Ganz anders bey dem
Darlehen, bey welchem der Schuldner das Geld hat und
behält, nicht aus Connivenz des Glaubigers, ſondern nach
dem weſentlichen Inhalt des Vertrags ſelbſt. Hier fängt
alſo die Verjährung von dem Empfang des Darlehens
nicht an, weil keine Veranlaſſung zur Klage, keine Ver-
letzung, vorhanden iſt. Dagegen würde es auch hier ganz
unrichtig ſeyn, eine Verweigerung zu fordern. Es iſt ge-
nug, wenn der Glaubiger das Geld zurückfordert, mag
auch der Schuldner dieſe Forderung unbeantwortet laſſen;
die Verjährung fängt an, weil der Wille des Glaubigers,
daß der Schuldner das Geld genieße, aufgehört hat.
Mit einigem Schein iſt gegen dieſe Anſicht folgende
Stelle des Römiſchen Rechts geltend gemacht worden (g):
Sin autem communes numos credam, aut solvam,
confestim pro parte mea nascetur et actio, et li-
beratio.
Alſo, ſagt man, fängt die Darlehnsklage augenblicklich
mit dem gegebenen Darlehen an, nicht erſt mit der Kün-
digung. Allein dieſe Worte erhalten ihre Erklärung aus
den vorhergehenden. Wenn mit fremdem Gelde ein Dar-
(g) L. 94 § 1 de solut. (46. 3.)
|0308 : 294|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
lehen gegeben, oder eine Zahlung geleiſtet wird, ſo ſind
dieſe Rechtsgeſchäfte zunächſt unwirkſam, weil der Eigen-
thümer das Geld vindiciren kann; ſie werden gültig durch
die Conſumtion von Seiten des Empfängers, weil dieſe
das Eigenthum zerſtört (h). Zu dieſer Regel fügt die oben
abgedruckte Stelle eine natürliche Beſchränkung hinzu, für
den Fall daß der Geber des Geldes zu einem idealen Theil
Eigenthümer deſſelben wäre: nun ſoll in Anſehung dieſes
Theils ſein Darlehen oder ſeine Zahlung ſogleich voll-
gültig ſeyn. Das confestim alſo bezeichnet hier augen-
ſcheinlich den Gegenſatz gegen die außerdem erforderliche
Conſumtion, nicht gegen die Kündigung des Darlehens,
von welchem letzten Gegenſatz in der ganzen Stelle gar
nicht die Rede iſt.
Der Fall des Darlehens kann aber noch in folgenden
zuſammengeſetzteren Geſtalten vorkommen. Zuerſt wenn daſ-
ſelbe gleich Anfangs für einen beſtimmten Zeitraum gege-
ben iſt. Nun fängt unzweifelhaft die Verjährung mit dem
Ablauf dieſes Zeitraums an; nicht früher, weil der Glau-
biger nicht früher klagen kann; nicht ſpäter, weil mit je-
nem Zeitpunkt die im Vertrag ausgeſprochene Einwilli-
gung des Glaubigers in des Schuldners Benutzung des
Geldes aufhört. Jetzt iſt alſo, nach dem Inhalt des Ver-
trags, die freywillige Rückgabe des Geldes augenblicklich
zu erwarten, und wenn der Glaubiger die Unterlaſſung
(h) L. 13 pr. § 1 de reb. cred. (12. 1.).
|0309 : 295|
§. 240. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. (Fortſetzung.)
derſelben ſtillſchweigend duldet, ſo iſt dieſes wieder bloße
Connivenz, dem Inhalt des Rechtsgeſchäfts fremd (h¹).
Manche glauben, das Darlehen erhalte eine beſondere
Natur, wenn der Schuldner ausdrücklich verſpreche, das
Geld nach Kündigung zurück zu geben; darin ſoll eine
Bedingung liegen, mit deren Eintritt erſt die Klage ent-
ſtehen könne, ſelbſt nach der Meynung Derjenigen, die in
dem bisher betrachteten einfachſten Fall die Klage gleich
bey dem Abſchluß des Darlehens entſtehen laſſen. Dieſe
Meynung iſt zu verwerfen, weil in jenen Worten nur die
überflüſſige Wiederholung einer Beſtimmung liegt, die ſich
nach der Natur des Darlehens ohnehin von ſelbſt verſteht,
ſo daß die Behandlung derſelben als einer Bedingung, ge-
zwungen und der Abſicht der Parteyen fremd ſeyn würde.
Gerade ſo iſt auch in einer Stipulation der Ausdruck cum
petiero weder als Bedingung, noch als dies zu betrach-
ten, ſondern blos als Einſchärfung der ohnehin vorhan-
denen Verpflichtung (i).
Selbſt wenn die bedungene Kündigung mit einer Friſt
verſehen iſt, z. B. Drey Monate nach Kündigung,
darf Dieſes nicht als Bedingung betrachtet werden, ſon-
dern blos als ein zum Schutz des Schuldners hinzugefüg-
ter dies, damit der Schuldner nicht von der Kündigung
(h¹) Ob durch den bloßen Ein-
tritt des bedungenen Tages von
ſelbſt die Mora entſteht, oder ob
dazu eine Mahnung erfordert wird,
iſt eine bekannte Streitfrage, die
aber nicht hierher gehört, da die
Bedingungen der Mora mit dem
Anfang der Verjährung Nichts
gemein haben (§ 239).
(i) L. 48 de V. O. (45. 1.), vgl.
oben B. 3 § 117 S. 129.
|0310 : 296|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
überraſcht werde, ſondern Zeit behalte, das Geld herbey
zu ſchaffen. Nur hat natürlich dieſe Beſtimmung den be-
ſondern Einfluß, daß die Verjährung nicht unmittelbar
mit der Kündigung anfängt, ſondern Drey Monate nach-
her, weil erſt in dieſem Zeitpunkt geklagt werden kann. —
Daſſelbe muß gelten, wenn eine ſolche Friſt nicht durch
den Vertrag, ſondern durch ein beſonderes Landesgeſetz
vorgeſchrieben iſt (k).
Die hier aufgeſtellten Regeln über den Anfang der
Klagverjährung bey unverzinslichen Darlehen ſind prak-
tiſch wenig wichtig und gefährlich. Unverzinsliche Dar-
lehen von bedeutenden Summen und auf lange Zeiten
kommen ſehr ſelten vor, und wenn ein ſolches einmal durch
ungewöhnliche Umſtände veranlaßt werden ſollte, ſo liegt
darin für alle Theile eine Aufforderung zu beſonderer Vor-
ſicht, wodurch ohnehin jeder Nachtheil abgewendet wer-
den kann.
Die eben erörterte Frage iſt übrigens ſehr beſtrit-
ten. Mehrere Schriftſteller nehmen die hier vertheidigte
Meynung an (l). — Andere behaupten im ſtrengſten Ge-
genſatz, daß die Verjährung anfange mit dem abgeſchloſ-
ſenen Darlehen, wobey ſie nur bey bedungener Kündi-
gungsfriſt die Dauer dieſer Friſt hinzu ſetzen (m). Dieſe
(k) Nach dem Preuſſiſchen Land-
recht I. 11 § 761. 762 gilt eine Friſt
von Drey Monaten, wenn das Dar-
lehen mehr als 50 Thaler beträgt,
außerdem Vier Wochen.
(l) Rave § 135. Kierulff S.
194. 195. 197.
(m) Unterholzner II. § 260.
Kind quaest. for. Vol. 3 C. 35.
|0311 : 297|
§. 240. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. (Fortſetzung.)
berufen ſich auf die oben widerlegte Regel, nach welcher
die Verjährung anfangen ſoll, wenn nur die Entſtehung
des (noch nicht vorhandenen) Klagrechts in der Macht
des Berechtigten ſtehe (§ 239). — Nach einer mittleren
Meynung ſoll die bedungene, und mit einer Friſt verſehene,
Kündigung als Bedingung angeſehen werden, mit deren
Eintritt das Klagrecht und die Verjährung deſſelben an-
fange; wenn dagegen der Vertrag eine Kündigung ohne
Friſt erwähnt, oder darüber ganz ſchweigt, ſo ſoll das
Klagrecht und die Verjährung anfangen mit dem abge-
ſchloſſenen Darlehen (n).
Die Regel, welche das preußiſche Landrecht über dieſe
Frage enthält, iſt von unſicherem Ausdruck (o). In der
Praxis wird die von Unterholzner vertheidigte Meynung
angenommen, nach welcher die Verjährung anfängt mit
dem abgeſchloſſenen Vertrag, nur etwa mit Hinzurechnung
der bedungenen Kündigungsfriſt (p).
(n) Thon S. 2. 9 — 16. 33—
54. Für den erſten Fall ſtimmt
er in dem Reſultat mit mir
überein; für den zweyten in dem
Reſultat mit Unterholzner, jedoch
auch nicht in den Gründen.
(o) A. L. R. I. 9 § 545 „Ge-
gen andere Rechte fängt die Ver-
jährung von dem Tage an, wo
die Erfüllung der Verbindlich-
keit zuerſt gefordert werden
konnte.“ Bey der Allgemeinheit
dieſer Regel iſt es nicht klar, ob
ſie auch auf ſolche Fälle, wie das
Darlehen, gehen ſoll, oder nur auf
die Fälle, worin die augenblick-
liche Zahlung ohnehin zu erwar-
ten iſt, wie bey gelieferten Waa-
ren. — Nach einem früheren
Entwurf von Kircheiſen ſollte die
Verjährung in der Regel anfan-
gen von dem Tage der Ausſtel-
lung des Inſtruments (d. h.
vom gegebenen Darlehen an);
nur wenn ausdrücklich eine Auf-
kündigung bedungen ſey, von der
Zeit dieſer Aufkündigung. Si-
mon und Stramff Zeitſchrift
B. 3 S. 442 § 912 — 914.
(p) Simon und Strampff
|0312 : 298|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Die für das unverzinsliche Darlehen aufgeſtellte Regel
iſt eben ſo anzuwenden bey dem Commodat, Depoſitum,
Precarium. Denn in dieſen drey Rechtsgeſchäften beſitzt
der Empfänger die Sache mit dem erklärten Willen des
Gebers, verletzt alſo nicht deſſen Recht, und der Vertrag
ſelbſt erregt auf keine Weiſe die Erwartung einer augen-
blicklichen Rückgabe. Die Verjährung fängt alſo erſt an,
wenn der Geber die Sache zurück fordert. Nach der Mey-
nung der Gegner ſoll ſie anfangen von dem erſten Empfang
an, weil der Geber die Sache ſogleich zurück fordern
kann, wovon dann die Entſtehung des Klagrechts die
Folge iſt. Nur wenige beſondere Bemerkungen ſind für
dieſe Fälle nöthig. — Bey dem Commodat wird häufig
nicht eine Zeit, wohl aber ein Ziel des Gebrauchs be-
ſtimmt, wenn z. B. ein Pferd oder ein Wagen zu einer
beſtimmten Reiſe geliehen wird. Mit der Beendigung die-
ſer Reiſe fängt die Klagverjährung an, weil nun der im
Vertrag ausgeſprochene Wille des Gebers, daß der Em-
pfänger die Sache gebrauche, aufhört. Der Fall iſt alſo
ganz ähnlich dem Fall des Darlehens, welches auf Ein
Jahr gegeben wird. — Bey dem Depoſitum hat man einen
Gegengrund aus einer Stelle hernehmen wollen, die viel-
mehr als Beſtätigung der hier vorgetragenen Meynung
anzuſehen iſt (q):
Entſcheidungen des Obertribunals B. 3 Num. 20 S. 165 fg.
(q) L. 1 § 22 depositi (16. 3.)
|0313 : 299|
§. 241. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. (Fortſetzung.)
Est .. scriptum, eum, qui rem deposuit, statim posse
depositi actione agere.
Nimmt man dieſe Worte außer ihrem Zuſammenhang,
ſo könnte man in dieſelben den Sinn legen, die Klage
(alſo auch der Anfang der Verjährung) entſtehe ſogleich,
nicht erſt im Augenblick der Rückforderung; allein die un-
mittelbar folgenden Worte zeigen deutlich, daß von dieſem
Gegenſatz gar nicht die Rede iſt:
hoc enim ipso dolo facere eum qui suscepit, quod
reposcenti rem non reddat.
Man pflegte nämlich die Regel aufzuſtellen, die actio
depositi werde nur durch den Dolus des Empfängers be-
gründet. Dieſer Ausdruck konnte zu dem Misverſtändniß
führen, als müſſe der Geber warten, bis der Empfänger
die Sache verbraucht oder veräußert habe. Dagegen wird
hier von Julian und Ulpian gewarnt, mit der Bemerkung
daß auch die bloße Verweigerung ein ſolcher Dolus ſey,
der die Klage erzeuge. Hier iſt ſogar ausdrücklich die
erfolgloſe Rückforderung als Entſtehung der Klage be-
zeichnet, nicht das urſprüngliche Hingeben der Sache.
§. 241.
Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Bedingungen.
a. Actio nata. (Fortſetzung.)
Wichtiger als die zuletzt erwähnten Fälle, aber mit
ihnen ganz gleichartig, iſt ein Fall, der ſchon vom zwölf-
ten Jahrhundert an die Aufmerkſamkeit der Schriftſteller
|0314 : 300|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
auf ſich gezogen hat. Wenn ein Schuldner dem Glaubi-
ger ein Pfand in Beſitz giebt, Dieſes aber ſpäter wieder
einlöſen will, ſo entſteht die Frage, von welchem Zeitpunkt
die Verjährung der hierauf zu richtenden actio pignorati-
tia anfange.
Nach der eben entwickelten Anſicht kann die Entſchei-
dung dieſer Frage nicht zweifelhaft ſeyn. Der Glaubiger
beſitzt mit des Schuldners Willen, verletzt alſo deſſen
Recht auf keine Weiſe, und es iſt keine Veranlaſſung zur
Klage vorhanden, da dem Glaubiger keine in der Natur
des Rechtsverhältniſſes liegende Erwartung getäuſcht wird.
Von einer Nachläſſigkeit des Schuldners kann nicht die
Rede ſeyn, da der gegenwärtige factiſche Zuſtand auf dem
übereinſtimmenden Willen beider Theile beruht, und viel-
leicht beiden gleich vortheilhaft und erwünſcht iſt. Ja es
iſt hier dieſe Entſcheidung noch weit einleuchtender, als in
den bisher betrachteten Fällen. Denn in dieſen kam es
blos auf den veränderten Willen des urſprünglichen Ge-
bers an, um das Klagrecht zu erzeugen; hier iſt der bloße
Wille nicht hinreichend, ſondern es muß eine wichtige, oft
ſehr ſchwierige, That hinzu kommen, wenn das Klagrecht
entſtehen ſoll: die Befriedigung des Glaubigers. Erſt wenn
dieſe That vollzogen iſt, kann die actio pignoratitia entſte-
hen, ja es bedarf nun nicht einmal einer ausdrücklichen
Rückforderung, da durch die bloße Befriedigung des Glau-
bigers der Rechtsgrund zerſtört wird, aus welchem er bis-
her das Pfand beſaß.
|0315 : 301|
§. 241. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. (Fortſetzung.)
Hier nun findet ſich ſogar eine ausdrückliche Anerken-
nung der aufgeſtellten Behauptung in folgender Stelle (a):
Omnis pecunia exsoluta esse debet, aut eo nomine
satisfactum esse, ut nascatur pignoratitia actio.
Iſt alſo vor der Befriedigung des Glaubigers noch
nicht actio nata, wie hier geradezu geſagt wird, ſo kann
auch, nach dem oben aufgeſtellten Grundſatz (§ 239), nicht
früher die Verjährung beginnen.
Eine Beſtätigung liegt auch in einer Beſtimmung des
Weſtphäliſchen Friedens. Die Einlöſung von verpfände-
ten Gütern iſt nämlich zu allen Zeiten ein wichtiger Ge-
genſtand ſtaatsrechtlicher Verhandlungen geweſen, indem
oft ganze Territorien mit übertragenem Beſitz verpfändet
wurden. Hierüber nun wird in jenem Friedensſchluß be-
ſtimmt, daß die Einlöſung der von einem Reichsſtand an
den andern gegebenen Pfandſchaften ſelbſt nicht durch un-
vordenklichen Beſitz ausgeſchloſſen ſeyn ſolle, woraus ge-
wiß um ſo mehr die Ausſchließung der gewöhnlichen Ver-
jährung folgt (b). Als Geſetz für das Privatrecht ſollte
dieſe Beſtimmung nicht gelten, aber ſie enthält wenigſtens
eine unzweydeutige Erklärung der Reichsſtaatsgewalt über
die vorliegende Frage überhaupt. Wenn dagegen in dem-
(a) L. 9 § 3 de pign. act.
(13. 7.).
(b) Instr. Pac. Osnabr. Art.
5. § 27. Allerdings wird hinzuge-
ſetzt, bey dem Antrag auf Einlö-
ſung ſollten die Exceptionen des
Gegners gehört werden; allein
dieſe beziehen ſich augenſcheinlich
nicht auf die Verjährung, ſondern
auf die Verwendungen des Pfand-
beſitzers für das verpfändete Gut,
auf die Richtigkeit der Einlöſungs-
ſumme wegen des oft veränderten
Münzfußes u. ſ. w.
|0316 : 302|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
ſelben Friedensſchluß, und eben ſo in der Wahlcapitula-
tion, beſtimmt wird, daß die vom Reich an einzelne Stände
gegebenen Pfandſchaften unwiderruflich ſeyn ſollen (c), ſo
hat dieſe Beſtimmung mit der vorliegenden Rechtsfrage
über die Verjährung ſchon deshalb keinen Zuſammenhang,
weil darin die längere oder kürzere Zeit des Beſitzes gar
nicht unterſchieden wird; ſie hat überhaupt keine juriſtiſche
Grundlage, und gehört vielmehr in die große Reihe von
Conceſſionen des Kaiſers an die Stände, wodurch die Macht
derſelben ſtets erweitert wurde, wie es einem Wahlkaiſer
gegenüber wohl zu erwarten war.
Die eben erörterte Frage über die Einlöſung ver-
pfändeter Sachen iſt ſchon unter den Gloſſatoren Gegen-
ſtand des lebhafteſten Streites geweſen (d). Späterhin
hat ſich eine überwiegende Zahl bedeutender Schriftſteller
für die hier vertheidigte Meynung erklärt, und ſie iſt durch
zahlreiche Urtheile angeſehener Gerichte beſtätigt worden (e).
Dennoch hat auch die entgegengeſetzte Meynung bis in die
neueſte Zeit Vertheidiger gefunden. Dieſe berufen ſich auf
die oben widerlegte Regel, nach welcher die Verjährung
einer noch nicht vorhandenen Klage dennoch anfangen ſoll,
wenn nur die Entſtehung derſelben ganz in der Macht des
(c) Instr. Pac. Osnabr. Art.
5. § 26. Cap. Caes. Art. 10 § 4.
(d) Dissensiones Dominorum
ed. Haenel p. 27. 78. 195.
477 — 480.
(e) Cujacii paratit. in Cod. 7.
39 und: Comm. in tit. D. de
usurp., L. 13. Giphanius p. 248.
Glück B. 14 S. 170—177. Thi-
baut Verjährung S. 123, Pan-
dekten § 1020. Thon S. 16 S.
20—26, wo die Einwürfe der
Gegner gut widerlegt werden.
|0317 : 303|
§. 241. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. (Fortſetzung.)
Klägers liege; Dieſes nun ſey hier ſtets anzunehmen, weil
das mögliche Hinderniß, wenn etwa der Schuldner kein
Geld zur Einlöſung habe, als ein blos factiſches, gar
nicht beachtet werde (f).
Bey dieſem wichtigen Fall ſind noch einige Nebenfra-
gen zu berückſichtigen. Von der Unverjährbarkeit des Ein-
löſungsrechts kann ſelbſt dann keine Ausnahme gelten, wenn
dem Schuldner die Schuld ohne Erfolg gekündigt iſt. Al-
lerdings iſt er nun nachläſſig zu nennen, aber nicht in der
Rückforderung des Pfandes (welches noch immer ſeinen
urſprünglichen Zweck vollſtändig erfüllt), ſondern in der
Bezahlung der Schuld; in dieſer Beziehung iſt er in Mora,
und es treffen ihn die mit dieſer verbundenen Nachtheile.
— Man könnte glauben, eine Ausnahme müſſe wenigſtens
dann gelten, wenn von der andern Seite die Schuldklage
verjährt ſey, weil ſonſt unbilligerweiſe der Schuldner das
Pfand zurück bekomme, ohne die Schuld zu bezahlen
Allein dieſer Fall kann nicht vorkommen, weil in dem Beſitz
des Pfandes eine ſtets wiederholte Anerkennung der Schuld
von Seiten des Schuldners liegt, wodurch die Verjäh-
rung der Schuldklage ausgeſchloſſen wird (g). — Endlich
iſt wohl zu bemerken, daß die Unverjährbarkeit der actio
pignoratitia nur auf die Einlöſung des Pfandes zu bezie-
hen iſt, nicht auf andere mögliche Gegenſtände. Wenn
alſo der Glaubiger die verpfändete Sache zerſtört oder
(f) Unterholzner II. § 264.
(g) L. 7 § 5 C. de praescr. XXX. (7. 39.).
|0318 : 304|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
beſchädigt, ſo erwirbt dadurch der Schuldner Geldforde-
rungen, die gleichfalls mit der actio pignoratitia verfolgt
werden; dieſe aber ſind der gewöhnlichen Klagverjährung
unterworfen, welche von dem Augenblick der verletzenden
Handlung anfängt.
Endlich der letzte zu dieſer Klaſſe von Obligationen
gehörende Fall iſt der des Wiederkaufs. Wenn ein Ver-
käufer durch Nebenvertrag das Recht vorbehält, die Sache
nach einſeitiger Willkühr zurück zu kaufen, ſo kann er
dieſes Recht durch die actio venditi geltend machen, und
es entſteht auch hier die Frage nach dem Anfang der Ver-
jährung dieſer Klage. Nach mehreren Schriftſtellern ſoll
die Verjährung anfangen von dem geſchloſſenen Vertrag,
oder wenigſtens von der Übergabe an, weil der Verkäu-
fer ſein Recht und die Klage zu deſſen Schutz ſogleich
gebrauchen könne (h). Nach dem von mir aufgeſtellten
Grundſatz fängt ſie erſt an, wenn der erſte Verkäufer die
Abſicht des Rückkaufs ausgeſprochen hat. Unmöglich kann
man ſagen, daß ſchon durch die Übergabe die Erwartung
begründet ſey, der Käufer werde die Sache ſogleich von
ſelbſt zurückgeben; darauf gieng gar nicht die Abſicht, ja
der Käufer wäre dazu nicht einmal berechtigt, da der Vor-
behalt dem Verkäufer ein einſeitiges Recht giebt. Der
factiſche Zuſtand bis zum erklärten Rückkauf gründet ſich
auf den Willen des Verkäufers, und giebt zu keiner Klage
Veranlaſſung; das Verhältniß iſt in dieſer Hinſicht ganz
(h) Thon S. 3. Vangerow I. S. 171.
|0319 : 305|
§. 241. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. (Fortſetzung.)
ähnlich dem auf unbeſtimmte Zeit und Benutzung gegebe-
nen Commodat (i).
Übrigens iſt dieſer Fall von geringer Erheblichkeit. Er
ſetzt voraus, daß der Rückkauf auf unbeſtimmte Zeit, alſo
für immer, vorbehalten ſey, und dieſer Fall iſt gewiß ſehr
ſelten. Faſt immer wird dafür eine beſtimmte Zeit, und
zwar meiſt eine ſehr kurze, ausbedungen ſeyn; iſt nun
dieſe unbenutzt abgelaufen, ſo hat das Recht ſelbſt aufge-
hört, und es iſt alſo keine Klage mehr übrig, von deren
Verjährung die Rede ſeyn könnte.
C) Es bleibt endlich noch eine dritte Klaſſe von Ob-
ligationen zu betrachten übrig, welche in Beziehung auf
den Anfang der Verjährung eine beſondere Natur haben:
die mit periodiſchen Leiſtungen verbundenen Obligationen.
Dieſer Fall aber kommt wieder in folgenden verſchiedenen
Geſtalten vor. Die periodiſche Leiſtung kann die Acceſſion
einer Hauptſchuld ſeyn, oder aber für ſich allein ſtehen,
als einziger Gegenſtand einer Obligation. Im erſten Fall
kann die Verjährung in Frage geſtellt werden entweder für
die Hauptſchuld, oder für einzelne periodiſche Leiſtungen.
1) Verjährung einer Hauptſchuld, wenn mit derſelben
periodiſche Leiſtungen als Acceſſionen verbunden ſind.
Der Hauptfall dieſer Art iſt das verzinsliche Gelddar-
lehen, und es iſt dabey gleichgültig, ob die Schuld gleich
Anfangs als Darlehen entſtanden war, oder ob irgend
(i) Glück B. 1 S. 116 B. 16 § 998. Thibaut Verjährung S.
124. Kierulff I. S. 194.
V. 20
|0320 : 306|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
eine andere Schuld zinstragend gemacht wurde, und da-
durch die Natur eines Darlehens annahm.
Hier gilt die Regel, daß die Verjährung der Haupt-
ſchuld anfängt mit dem Zeitpunkt, worin zuerſt eine Zins-
zahlung ausgeblieben iſt (k). Sie fängt nicht früher an,
weil in jeder geleiſteten Zinszahlung eine Anerkennung der
Hauptſchuld liegt, die bis zum nächſten Zinstermin fort-
wirkt (l); nicht ſpäter, weil in jeder unterlaſſenen Zins-
zahlung eine Verletzung des Rechts liegt, wodurch der
Glaubiger zur Klage veranlaßt werden muß. Man könnte
zwar annehmen, die Verletzung betreffe nur den einzelnen
Zinspoſten, nicht das Kapital, ſo daß auch nicht die Ka-
pitalklage, ſondern nur die Klage auf den fälligen Zins-
poſten zu verjähren anfange. Allein die natürlichere An-
ſicht iſt wohl die, daß der Glaubiger ſein Recht auf das
Kapital und die Zinſen als ein ungetrenntes Ganze denkt,
und daher in der partiellen Verletzung eine Veranlaſſung
findet, auch das Kapital einzuklagen, oder wenigſtens durch
beſondere Thätigkeit gegen Verjährung zu verwahren (m).
(k) Verſteht ſich, wenn von da
an die Unterlaſſung der Zinszah-
lung ſtets fortgedauert hat; denn
jede folgende Zinszahlung, wie
mangelhaft und unregelmäßig ſie
auch ſey, unterbricht wieder, als
neue Anerkennung der Hauptſchuld,
die ganze Verjährung.
(l) Mit Rückſicht hierauf giebt
Juſtinian dem Glaubiger das
Recht, eine antapocha zu verlan-
gen, um damit den Beweis zu
führen, daß er die Zinſen empfan-
gen habe. L. 19 C. de fide instr.
(4. 21.). Im wirklichen Leben
freylich ſind ſolche Gegenquittun-
gen ganz ungewöhnlich.
(m) Dieſes geſchieht unter an-
dern ſchon dadurch, daß er auch
nur dieſen einzelnen Zinspoſten
wirklich einklagt. Der Satz gilt
alſo in aller Strenge nur für den
|0321 : 307|
§. 241. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. (Fortſetzung.)
Möchte auch dieſe Anſicht an ſich bezweifelt werden, ſo
hat ſie doch in folgender Stelle des Römiſchen Rechts,
deren praktiſcher und wohlthätiger Sinn nicht zu verken-
nen iſt, beſtimmte Anerkennung gefunden (n):
Exceptionem etiam triginta vel quadraginta annorum
in illis contractibus, in quibus usurae promissae
sunt, ex illo tempore initium capere sancimus, ex
quo debitor usuras minime persolvit.
Indem hier der Zeitpunkt der ausgebliebenen Zinszah-
lung beſtimmt als Anfang der Verjährung bezeichnet wird,
liegt darin die ganze Reihe der aufgeſtellten Behauptun-
gen, das heißt die Ausſchließung ſowohl jedes früheren,
als jedes ſpäteren Anfangspunktes. Ganz unrichtig haben
Manche dieſe Beſtimmung des Anfangspunktes auf die
Verjährung der bloßen Zinsklage bezogen (o); dafür be-
durfte es keiner geſetzlichen Beſtimmung, und es iſt aus
der ganzen Faſſung des Geſetzes klar, daß der Kaiſer
einen Punkt geſetzlich beſtimmen will, über welchen ſich
wohl eine andere Meynung denken ließe. Er ſagt alſo:
Fall, wenn der Glaubiger, nach-
dem die Zinszahlungen ausgeblie-
ben ſind, ganz unthätig bleibt.
(n) L. 8 § 4 C. de praescr.
XXX. (7. 39.).
(o) Schon die Gloſſe zu L. 7
§ 4 C. eod. und D. Gothofredus
in L. 8 § 4 C. cit. äußern ſich in
dieſer Weiſe; noch beſtimmter aber
Kierulff S. 195, welcher den
Grund geltend macht, man müßte
ſonſt fälſchlich annehmen, in den
nicht bezahlten Zinſen liege eine
Leugnung der Kapitalſchuld. Dieſe
iſt niemals zum Anfang der Ver-
jährung nöthig (§ 239), und liegt
z. B. auch nicht darin, daß der
Käufer unterläßt, das Kaufgeld
zu bezahlen. Die richtige Mey-
nung über dieſen Punkt hat Thon
S. 29 — 31.
20*
|0322 : 308|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
bey zinstragenden Schulden ſollen die 30 Jahre für die
Klage aus dem contractus (d. h. auf die Kapitalſchuld)
anfangen, wenn zuerſt eine Zinszahlung ausbleibt.
Die aufgeſtellte Regel bedarf jedoch noch folgender
näheren Beſtimmungen. Sie iſt nur wahr für den Fall
eines auf ganz unbeſtimmte Kündigung gegebenen Darle-
hens, wie es ſich da, wo über das Ende gar Nichts ge-
ſagt iſt, ohnehin von ſelbſt verſteht. Iſt dagegen eine
Kündigungsfriſt ausbedungen, z. B. von Drey Monaten,
ſo fängt die Verjährung der Schuldklage erſt Drey Mo-
nate nach dem nicht eingehaltenen Zinstermin an, weil
ſelbſt im Fall einer ausdrücklichen, in jenem Zeitpunkt aus-
geſprochenen Kündigung, erſt nach Drey Monaten geklagt
werden konnte. — Iſt für das ganze Darlehen ein beſtimm-
ter Zeitraum, z. B. von Zehen Jahren, ausbedungen, ſo
fängt die Verjährung erſt am Ende der Zehen Jahre an,
ſelbſt wenn früher Zinſen ausgeblieben ſind, weil vor je-
nem Zeitpunkt in keinem Fall das Kapital eingeklagt wer-
den konnte. Es kann aber auch in dieſem Fall die Ver-
jährung einen ſpäteren Anfang haben. Iſt nämlich der
Schuldner nach Ablauf der Zehen Jahre im Beſitz des
Geldes geblieben und hat fernere Zinſen gezahlt, ſo liegt
darin eine ſtillſchweigende Erneuerung des Darlehens, nun
aber auf unbeſtimmte Kündigung. — Es kann geſchehen,
daß weder die geleiſtete, noch die ausgebliebene Zinszah-
lung bewieſen werden kann, ja daß vielleicht beide Theile
über dieſe Thatſache ſelbſt ungewiß ſind, z. B. wenn nach
|0323 : 309|
§. 241. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. (Fortſetzung.)
dem Tode des Glaubigers und des Schuldners die Erben
keine Kenntniß von den Geſchäften ihrer Erblaſſer haben,
auch keine Urkunden vorfinden. Man möchte glauben, da
die Zahlung eine Thatſache ſey, ſo müſſe von Anfang an
die Nichtzahlung angenommen werden, wenn die Zahlung
nicht bewieſen werden könne; dieſes wäre ſehr hart für
den Glaubiger, der wegen der Ungewöhnlichkeit der Ge-
genquittungen (Note l) ſehr ſchwer den Beweis der em-
pfangenen Zahlung führen kann. In der That aber muß
der Schuldner den Beweis führen (p), weil die negative
Thatſache der ausgebliebenen Zahlung geſetzlich als An-
fangspunkt der Verjährung ausgedrückt iſt (Note n). Ja
ſelbſt wenn man auf dieſen Ausdruck kein Gewicht legen
wollte, ſo würde doch weder für die Zahlung noch für
die Nichtzahlung zu präſumiren ſeyn; dann wäre das
Zinsverhältniß gar kein Moment für den Anfang der Ver-
jährung, und der Fall wäre ſo zu behandeln wie der eines
unverzinslichen Darlehens, wobey die erweisliche Kündi-
gung den Anfangspunkt der Verjährung beſtimmt (§ 240).
Dem verzinslichen Darlehen ähnlich iſt der Pacht-
und Miethvertrag. Auch hier iſt jede geleiſtete Miethzah-
lung Anerkennung der Hauptſchuld, alſo ein Hinderniß für
die Verjährung der locati actio. Eben ſo aber muß auch
die unterlaſſene Zahlung als Anfangspunkt der Verjäh-
rung dieſer Klage angeſehen werden, ganz nach der Ana-
(p) Dieſes kann unter andern
dadurch geſchehen, daß wiederholte
Mahnbriefe wegen unterlaſſener
Zinszahlung vorgezeigt werden.
|0324 : 310|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
logie der Darlehenszinſen (q). Man könnte dagegen die
geſetzliche Beſtimmung anführen, nach welcher die locati
actio auf Rückgabe der Sache niemals verjähren ſoll;
allein dabey iſt augenſcheinlich der Fall vorausgeſetzt, daß
in der Zwiſchenzeit das Pachtverhältniß ſelbſt auf irgend
eine Weiſe anerkannt worden iſt, ſo daß deswegen die
Verjährung auf die Klagen wegen der einzelnen Zahlun-
gen beſchränkt bleiben muß (r). — Iſt der Pacht- oder Mieth-
vertrag für ein Grundſtück auf beſtimmte Zeit geſchloſſen,
ſo tritt folgender Unterſchied von dem gleichartigen Geld-
darlehen ein. Wenn die Zahlung des Pachtgeldes zwey
Jahre ausgeblieben iſt, ſo darf der Verpächter den Päch-
ter entſetzen (s); unterläßt er Dieſes, ſo fängt von dieſem
Zeitpunkt die Verjährung der locati actio an.
Die Emphyteuſe iſt eigentlich gar keiner Kündigung
unterworfen, ſo daß die unterlaſſene Zahlung des Ca-
nons keinen Einfluß auf die Klagverjährung wegen des
Grundſtücks ſelbſt zu haben ſcheint. Allein wenn die Zah-
(q) Eine Beſtätigung dieſer glei-
chen Behandlung liegt darin, daß
dem Verpächter, eben ſo wie dem
Glaubiger aus einem verzinslichen
Darlehen, das Recht eingeräumt
wird, eine antapocha zu fordern,
ſo oft er ſelbſt eine Quittung aus-
ſtellt. L. 19 C. de fide instr.
(4. 21.), „in praefatis casibus,
vel aliis privatis similibus …”
ſ. o. Note l.
(r) L. 7 § 6 C. de praescr.
XXX. (7. 39.) verb. „vel con-
ductori.” — Daß es ſo iſt, folgt
unter andern aus L. 14 C. de fun-
dis patr. (11. 61.), nach welcher
ſelbſt bey Patrimonialgütern des
Kaiſers das ademti canonis be-
neficium durch Klagverjährung ge-
wonnen werden kann. — Allerdings
wird aber die Sache für die lo-
cati actio nun verändert durch
die im canoniſchen Recht für Fälle
dieſer Art geforderte bona fides;
davon wird weiter unter die Rede
ſeyn.
(s) L. 54 § 1 L. 56 locati
(19. 2.), L. 3 C. eod. (4. 65.).
|0325 : 311|
§. 241. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. (Fortſetzung.)
lung des Canons und der Steuern Drey volle Jahre un-
terbleibt, ſo darf der Erbpächter entſetzt werden (t), und
unterbleibt Dieſes, ſo fängt nun die Verjährung der Haupt-
klage an, indem jetzt die Emphyteuſe hierin auf gleiche
Linie mit dem Vertrag über Zeitpacht tritt. — Man könnte
glauben, dieſe Klage ſey überhaupt aller Verjährung ent-
zogen (u); dieſe Behauptung aber iſt auf dieſelbe Weiſe
zu beſeitigen, wie es ſo eben bey dem Zeitpachtvertrag ge-
ſchehen iſt.
2) Verjährung der periodiſchen Leiſtungen ſelbſt, die
eine acceſſoriſche Natur haben.
Wenn die Kapitalforderung durch Verjährung verlo-
ren wird, ſo ſind zugleich die Klagen auf alle rückſtändige
Zinſen mit verjährt, ſelbſt wenn dieſe aus ſehr neuer Zeit
herrühren ſollten (v). Der Grund dieſer ſcheinbaren Ano-
malie liegt in der acceſſoriſchen Natur dieſer Leiſtungen,
womit die Verfolgung derſelben nach verlorner Hauptklage
im Widerſpruch ſtehen würde. Dazu kommt der mehr
praktiſche Grund, daß gerade bey Geldſchulden die Klag-
verjährung auch auf der Präſumtion der Tilgung beruht
(§ 237); iſt aber wirklich die Tilgung erfolgt, ſo iſt da-
durch auch jeder fernere Anſpruch auf Zinſen aufgehoben.
Wenn aber die Klage auf die Hauptſchuld der Ver-
jährung entzogen iſt, z. B. durch erneuerte Anerkennung,
(t) L. 2 C. de jure emph.
(4. 66.).
(u) L. 7 § 6 C. de praescr.
XXX. (7. 39.) verb. „ei, qui
jure emphyteutico rem aliquam
.. detinuerit” …, ſ. o. Note r.
(v) L. 26 C. de usuris (4. 32.)
Cujacius paratit. in Cod. 7. 39.
|0326 : 312|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
ſo verjährt die Klage auf jeden einzelnen Zinspoſten für
ſich, von der Zeit an, wo derſelbe fällig geworden iſt;
eben ſo iſt es auch bey den Forderungen wegen Mieth-
und Pachtgeld (w).
3) Die Klagen auf periodiſche Leiſtungen, die keine
acceſſoriſche Natur haben, wie z. B. die durch Legat ge-
ſtifteten ewigen Renten, verjähren, eben ſo wie in dem
zuletzt erwähnten Fall, jede für ſich, von der Zeit an,
worin jede Leiſtung fällig wurde (x), ſo daß dieſe Ver-
jährung auf das Recht im Allgemeinen keinen Einfluß
hat. Wenn jedoch der Schuldner das Recht ſelbſt ver-
neint, und deshalb die periodiſche Leiſtung unterläßt, ſo
hat der Glaubiger Veranlaſſung, in ſeiner Klage auch
dieſe allgemeine Grundlage ſeiner einzelnen Forderungen
geltend zu machen. Unterläßt er nun dennoch jede Klage
überhaupt, ſo geht ihm nach 30 Jahren das Klagrecht
auch für alle ſpätere Leiſtungen verloren, wie wenn in
gleichem Fall von den Zinſen eines Kapitals die Rede
geweſen wäre (y).
§ 242.
Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Bedingun-
gen. b. Ununterbrochene Verſäumniß.
Die Verſäumniß, worauf das Weſen der Klagverjäh-
(w) L. 7 § 6 C. de praescr.
XXX. (7. 39.).
(x) Die L. 7 § 6 C. de prae-
scr. XXX. (7. 39.) umfaßt offen-
bar auch dieſen Fall der ſelbſt-
ſtändigen periodiſchen Leiſtungen.
(y) Unterholzner II. § 260.
|0327 : 313|
§. 242. Klagverjährung. Bedingungen. Ununterbrochen.
rung beruht, muß ſich durch einen ganzen Zeitraum gleich-
mäßig hindurch ziehen. Iſt ſie alſo in irgend einem, zu
jenem Zeitraum gehörenden, Zeitpunkt nicht vorhanden,
ſo iſt die Verjährung unterbrochen, und Dasjenige, wo-
durch bisher der Weg zu ihr gebahnt wurde, iſt ſpurlos
vernichtet. Es kann vielleicht ſpäter eine neue Verjährung
anfangen, dieſe iſt aber von der früher angefangenen ganz
unabhängig, und kann an dieſelbe auf keine Weiſe ange-
knüpft werden.
Die Unterbrechung kann geſchehen auf dreyerley Weiſe:
durch Aufhebung der Verletzung, durch Anerkenntniß des
Rechts von Seiten des Gegners, durch Anſtellung der
Klage.
I. Aufhebung der Verletzung.
Sie zerſtört immer das bisher beſtehende Klagrecht
(§ 230), alſo auch die auf dieſes bezügliche Verjährung,
ſo daß künftig nur etwa eine neue, der früheren ähnliche,
Klage entſtehen kann, deren Verjährung dann aber mit
der früheren keinen Zuſammenhang hat.
Es iſt in dieſer Beziehung gleichgültig, ob jene Auf-
hebung kurz oder lang dauerte; imgleichen ob zugleich der
Verletzte den Genuß ſeines Rechts wieder erhielt oder
nicht. Daher iſt die Verjährung der Eigenthumsklage
gleichmäßig unterbrochen, der Beſitz mag wieder an den
Eigenthümer zurück gekehrt, oder an einen Dritten durch
deſſen eigenmächtige Handlung (nicht durch ein Rechtsge-
ſchäft) gelangt ſeyn.
|0328 : 314|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Die Natur einer ſolchen Unterbrechung hat bey einer
Schuldklage der Fall, wenn der Glaubiger den Beſitz der
ihm verpfaͤndeten Sache erlangt (a). Man kann dieſen
Beſitz betrachten als den Genuß der Forderung ſelbſt, näm-
lich ihres Geldwerths, wegen der in dem Pfandrecht ent-
haltenen Befugniß, das Pfand zu verkaufen, und ſich mit
dem erlöſten Gelde bezahlt zu machen (b).
II. Anerkenntniß des Rechts von Seiten des Gegners;
dadurch iſt ſowohl die Nachläſſigkeit des Berechtigten, als
die Präſumtion der Tilgung, die aus der bisherigen Ver-
ſäumniß entſtand, aufgehoben, und es kann eine neue Ver-
jährung nur von dem Zeitpunkt des Anerkenntniſſes an-
fangen. Jedoch kann dieſe wichtige Wirkung nicht jeder
blos mündlichen oder ſchriftlichen Rede, ſondern nur einer
ſolchen Handlung beygelegt werden, welche die Natur eines
Rechtsgeſchäfts hat. Dieſe Regel läßt ſich aus folgenden,
(a) L. 7 § 5 C. de praescr.
XXX. (7. 39.) „si quis eorum,
quibus aliquid debetur, res sibi
suppositas sine violentia te-
nuerit, per hanc detentionem
interruptio fit praeteriti tem-
poris …” Es ſoll ſtärker wir-
ken, als die Anſtellung der Klage,
ganz wie eine litis contestatio.
— Die Beſchränkung in den Wor-
ten sine violentia gründet ſich
darauf, daß der gewaltſame Beſitz
ſogleich wieder durch ein Interdict
abgefordert werden kann, ja daß
er, nach den neueren Regeln über
die Selbſthülfe, den Verluſt des
Rechts ſelbſt herbey führt.
(b) Donellus Lib. 16 C. 8
§ 23. — Wenn der Beſitz des
Pfandes durch den Willen des
Schuldners erworben wurde, oder
doch mit deſſen Wiſſen und Dul-
dung, ſo liegt darin zugleich ein
Anerkenntniß der Schuld, alſo eine
Unterbrechung der folgenden Art;
dieſer Grund der Unterbrechung iſt
alſo hier weniger allgemein und
durchgreifend, als der oben im
Text aufgeſtellte.
|0329 : 315|
§. 242. Klagverjährung. Bedingungen. Ununterbrochen.
in unſren Rechtsquellen erwähnten, Fällen einer ſolchen
Unterbrechung abſtrahiren.
Es gehört dahin die Ausſtellung eines neuen Schuld-
ſcheins (c); jede Zinszahlung (d); eben ſo die Zahlung
eines Theils der Hauptſchuld ſelbſt, vorausgeſetzt daß ſie
als Abſchlagszahlung ausdrücklich bezeichnet wird (e); die
Beſtellung eines früher nicht verabredeten Pfandes (f); die
Beſtellung eines Bürgen (g); endlich das wiederholte Ver-
ſprechen einer ſchon beſtehenden Schuld (constitutum) (h).
Wenn ſich eine Schuld auf zwey Glaubiger oder zwey
Schuldner gemeinſchaftlich bezieht (duo rei), ſo wirkt das
von einem der beiden Mitſchuldner, oder gegen einen der
beiden Mitglaubiger, erklärte Anerkenntniß auf beide zu-
gleich (i).
Dagegen darf die bloße Mahnung des Schuldners als
(c) L. 7 § 5 C. de praescr.
XXX. (7. 39.).
(d) L. 8 § 4 C. de praescr.
XXX. (7. 39.), L. 19 C. de fide
instr. (4. 21.), vgl. oben § 241.
(e) L. 5 C. de duobus reis
(8. 40.).
(f) Dafür beweißt die Analogie
des Beſitzerwerbes an einem ſchon
beſtellten Pfand (Note a); ferner
die neu entſtandene Hypothekarkla-
ge, die dem Schuldner auf einem
andern Wege zu derſelben Befrie-
digung hilft, wie die Schuldklage;
endlich die Analogie des neuen
Schuldſcheins (Note c), in Ver-
gleichung mit welchem die Beſtel-
lung eines Pfandes eine eben ſo
entſchiedene, und nur noch viel
wirkſamere Anerkennung iſt.
(g) Dafür gilt ein Theil der
in der Note f bey dem Pfande an-
geführten Beweiſe. Ohne Grund
beſtreitet dieſen Satz Giphanius
p. 250.
(h) L. 18 § 1 de pec. const.
(13. 5.). Aus dieſem Geſchäft ent-
ſpringt eine neue Klage, die con-
stitutoria actio; außerdem aber
liegt darin auch die Anerkennung
der früheren Obligation, und ſo-
mit die Unterbrechung der Ver-
jährung.
(i) L. 5 C. de duobus reis
(8. 40.).
|0330 : 316|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Unterbrechung der Verjährung nicht betrachtet werden;
eben ſo wenig die Ceſſion, wodurch der Glaubiger ſeine
Forderung an einen Dritten überträgt (k). Beides ſind
einſeitige Handlungen des Berechtigten, in welchen ein
Anerkenntniß von Seiten des Gegners durchaus nicht ge-
funden werden kann.
III. Die wirkliche Anſtellung der Klage.
Vor Allem iſt hier der eigentliche Zeitpunkt der Unter-
brechung genauer zu beſtimmen.
Im früheren Recht war es die Litisconteſtation, weil
erſt dieſe die Klage in litem deducirte (l); dieſe Regel war
für den Kläger nicht drückend, ſo lange eine Citation als
Privathandlung geſtattet, und deren ſicherer und raſcher
Erfolg theils durch eine Entſchädigungsklage, theils durch
Bürgſchaft geſchützt war.
Fänden wir dieſe Regel unverändert in unſren Rechts-
quellen und in unſrer Praxis, ſo würde eine geſetzliche
Änderung dringendes Bedürfniß ſeyn, da für den Beklag-
ten Nichts leichter wäre, als durch Verzögerung der Litis-
conteſtation die Unterbrechung zu verhindern. Allein ſchon
im neueren Römiſchen Recht waren andere, den unſrigen
ähnliche, Verhältniſſe eingetreten, wodurch folgende neue
Beſtimmungen herbeygeführt worden ſind. Anfangs wurde
(k) Unterholzner II. § 262.
(l) L. 8 in f. de fid. et no-
min. (27. 7.), L. 9 § 3 de jure-
jur. (12. 2.). Keller Litisconte-
ſtation S. 82. Untcrholzner I.
§ 124. — So war es namentlich
auch bey der longi temporis prae-
scriptio. L. 10 C. de praescr.
longi temp. (7. 33.), L. 26 C.
de rei vind. (3. 32.).
|0331 : 317|
§. 242. Klagverjährung. Bedingungen. Ununterbrochen.
die litis denunciatio, ein beſonderes Prozeßinſtitut der mitt-
leren Zeit, als Unterbrechung der Verjährung angenom-
men (m). Zuletzt aber iſt dafür die in Folge des ſchrift-
lichen Klaglibells vom Richter erkannte, und dem Beklagten
inſinuirte, Citation beſtimmt worden, welche auch in unſrer
Praxis gilt, und unſren Bedürfniſſen völlig entſpricht (n).
Daß nun Dieſes wirklich die Meynung des Juſtinianiſchen
Rechts iſt, könnte man etwa noch bezweifeln nach dem
zweydeutigen Ausdruck einer Stelle (o), worin es heißt:
quae in judicium deductae sunt, et cognitionalia acce-
perunt certamina; allein folgende Stellen laſſen keinen
Zweifel übrig. Es wird geſagt, die Unterbrechung ge-
ſchehe etiam per solam conventionem (p); ferner: subse-
cuta per executorem conventio (q); dann wird der Beſitz
des Pfandes der Litisconteſtation gleichgeſtellt, und dabey
geſagt: multo magis quam si esset interruptio per con-
ventionem introducta (r), ſo daß alſo hierin die Unter-
brechung durch die von der Litisconteſtation ſelbſt wörtlich
unterſchiedene Anſtellung der Klage ausdrücklich aner-
kannt wird. Die entſcheidendſte Stelle aber enthält fol-
gende Beſtimmung (s):
qui obnoxium suum in judicium clamaverit, et libel-
(m) Hollweg Handbuch des
Prozeſſes B. 1 S. 249.
(n) Hollweg B. 1 S. 253.
(o) L. 1 § 1 C. de ann. exc.
(7. 40.).
(p) L. 7 pr. C. de praescr.
XXX. (7. 39.).
(q) L. 3 C. de praescr. XXX.
(7. 39.).
(r) L. 7 § 5 C de praescr.
XXX. (7. 39.) vgl. oben Note a.
(s) L. 3 C. de ann. exc.
(7. 40.).
|0332 : 318|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
lum conventionis ei transmiserit … videri jus suum
omne eum in judicium-deduxisse, et esse interrupta
temporum curricula.
Hier iſt für die Inſinuation des Klaglibells zweyerley
anerkannt: erſtlich, daß dieſelbe alle laufende Klagverjäh-
rungen (temporum curricula) unterbreche; zweitens daß in
ihr nunmehr die wahre deductio in judicium enthalten ſey.
Dieſe letzte Beſtimmung giebt denn zugleich der oben an-
geführten zweydeutigen Stelle (Note o) ihre ſichere Be-
deutung.
Die hier vorgetragene Lehre gilt in der Praxis un-
zweifelhaft, und hat auch in der Theorie wenig Wider-
ſpruch gefunden (t). Unterholzner hält die eben darge-
ſtellte Abänderung des älteren Rechts für zweifelhafter als
ſie in der That iſt; wegen des praktiſchen Bedürfniſſes
will er der Litisconteſtation, die er noch im neueſten Recht
als die eigentliche Unterbrechung anſieht, eine rückwirkende
Kraft zuſchreiben, und zwar ſogar bis zur Anſtellung der
Klage (u). Andere machen einen ganz grundloſen Unter-
ſchied zwiſchen der dreyßigjährigen Verjährung und den
früheren; jene ſoll durch die Inſinuation unterbrochen wer-
den, dieſe durch die Litisconteſtation (v).
(t) Glück B. 3 § 236 verwirrt
die Sache ſo daß er weder als
Anhänger noch als Gegner der
hier aufgeſtellten Lehre gelten kann.
(u) Unterholzner I. § 124.
(v) Dahin gehören die älteren
Schriftſteller, gegen die ſich Gi-
phanius p. 248. 249 erklärt; in
neuerer Zeit Vangerow I. S. 182.
Die Veranlaſſung dieſer Mey-
nung liegt darin, daß die älteren
Stellen, in welchen die Litisconte-
ſtation als Unterbrechung betrach-
tet wird, allerdings nur von kür-
|0333 : 319|
§ 243. Klagverjährung. Bedingungen. Ununterbrochen. (Fortſ.)
§. 243.
Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Bedingungen.
b. Ununterbrochene Verſäumniß. (Fortſetzung.)
Es ſind jedoch einige Surrogate zu bemerken, wodurch
die Klagverjährung eben ſo ſicher, wie durch die Inſinua-
tion der angeſtellten Klage, unterbrochen werden ſoll.
Wenn Der, gegen welchen die Klage gerichtet werden
müßte, durch Abweſenheit, Kindesalter, Wahnſinn unfähig
iſt, die Inſinuation ſelbſt zu empfangen, und wenn es zu-
gleich an einem Vertreter deſſelben fehlt, ſo kann der Be-
rechtigte die Verjährung dadurch unterbrechen, daß er die
Klagſchrift der richterlichen Obrigkeit, oder wo ihm dieſe
nicht zugänglich iſt, dem Biſchoff oder dem Defenſor des Orts
übergiebt, oder im Nothfall an dem Wohnort des Gegners
öffentlich anſchlägt (a).
Bey Correalklagen iſt es hinreichend, daß Einer klage,
oder Einer verklagt werde, um die Verjährung in Be-
zeren Verjährungen reden, weil
damals keine andere vorhanden
waren. Will man aber jetzt durch
dieſe diſtinguirende Vereinigung
jenen Stellen eine fortdauernde
Gültigkeit verſchaffen, ſo ſteht das
im Widerſpruch mit den angeführ-
ten, ganz allgemein redenden, Ju-
ſtinianiſchen Geſetzen. Auch würde
es ganz inconſequent ſeyn, die Un-
terbrechung der kurzen Verjährun-
gen beſonders zu erſchweren, die
gewiß eher eine Erleichterung ver-
diente, wenn hierin überhaupt ein
Unterſchied gelten ſollte.
(a) L. 2 C. de ann. exc.
(7. 40.). Unterholzner I. § 129.
Daß im heutigen Recht von dem
Defenſor und dem Biſchoff nicht
die Rede ſeyn kann, verſteht ſich;
es wird aber überhaupt nicht leicht
mehr dieſes außerordentliche Hülfs-
mittel zur Anwendung kommen.
|0334 : 320|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
ziehung auf Alle zu unterbrechen (b). — Wenn der Glau-
biger die perſönliche Klage gegen den Schuldner anſtellt,
ſo iſt dadurch zugleich die Verjährung der Hypothekarklage
unterbrochen, und eben ſo auch im umgekehrten Fall (c).
— Wenn unter denſelben Perſonen mehrere Rechtsverhält-
niſſe ſtreitig ſind, und der Klaglibell ſo unbeſtimmt iſt, daß
es ungewiß bleibt, welchen Rechtsſtreit er zum Gegenſtand
hat, ſo ſoll die Unterbrechung für alle dieſe Klagen gel-
ten (d). — Auch iſt nicht zu bezweifeln, daß die ange-
ſtellte Klage auf einen einzelnen Zinspoſten zugleich die
Verjährung der Kapitalklage unterbricht, da bey dieſem
beſchränkten Rechtsſtreit auch das Daſeyn der Hauptſchuld
zur Sprache kommen kann.
Wenn die Parteyen ein Compromiß eingehen, ſo gilt
die Übergabe der ſchriftlichen Klage vor dem Schiedsrich-
ter als Unterbrechung der Verjährung (e).
Dagegen ſind folgende Thatſachen nicht als Unterbre-
chungen der Verjährung zu betrachten.
Die Anſtellung der Klage unterbricht nur für und wi-
der dieſe beſtimmte Perſonen, und deren Succeſſoren, nicht
(b) L. 5 C. de duobus reis
(8. 40.).
(c) L. 3 C. de ann. exc.
(7. 40.).
(d) L. 3 C. de ann. exc.
(7. 40.). Nach dieſer Analogie
könnte man annehmen, daß die
(ohne Erfolg) angeſtellte Klage
aus dem Beſitz zugleich die Ver-
jährung der Vindication unterbre-
che; Unterholzner I. S. 445
will zwar nicht dieſe Unterbrechung
gelten laſſen, wohl aber der Ver-
jährungszeit der Vindication die
durch fruchtloſe Beſitzklage verlorne
Zeit hinzurechnen.
(e) L. 5 § 1 C. de rec. arbi-
tris (2. 56.). Früher war dieſer
Satz ſehr beſtritten.
|0335 : 321|
§. 243. Klagverjährung. Bedingungen. Ununterbrochen. (Fortſ.)
für und wider fremde Perſonen, zwiſchen welchen dieſelbe,
oder eine verwandte Klage angeſtellt werden könnte. Da-
her unterbricht die Anſtellung der Schuldklage nicht die
dem dritten Pfandbeſitzer zu gut kommende Verjährung (f).
Die Aufſtellung einer Exception unterbricht nicht die
Verjährung der aus demſelben Rechtsverhältniß abzulei-
tenden Klage. Zwar wenn die Exception rechtskräftig an-
erkannt oder verworfen wird, ſo wird dadurch ſehr häufig
die Frage nach der Verjährung für dieſes Rechtsverhält-
niß abſorbirt ſeyn (g). Allein der Satz iſt wichtig für die
Fälle, worin der erſte Prozeß liegen bleibt, oder worin
der Richter die Exception unentſchieden läßt, weil er aus
anderen Gründen entſcheidet (h).
Die Übergabe der Klagſchrift an den Kaiſer, wenn-
gleich darauf eine rescriptio erfolgt iſt. Dieſe ſollte bey
den prätoriſchen Annalklagen als Unterbrechung gelten,
für alle andere Verjährungen, namentlich die dreyßigjäh-
rige nicht (i). Für das heutige Recht hat dieſe Art der
Unterbrechung gar keine Bedeutung.
Die vor einem incompetenten Richter angeſtellte Klage
unterbricht die Verjährung nicht (k).
(f) Thon S. 5. Daß es bey
Correalklagen anders iſt, wurde
ſchon oben bemerkt, Note b.
(g) So z. B. wenn die als Com-
penſation geltend gemachte Forde-
rung als unbegründet verworfen
wird, ſo hat deshalb der Kläger,
wenn er ſpäter aus derſelben For-
derung verklagt wird, eine excep-
tio rei judicatae.
(h) Unterholzner I. § 128.
(i) L. 2 C. quando lib. (1. 20.),
L. 3 C. de praescr. XXX. (7.
39.). Unterholzner I. § 130.
(k) L. 7 C. ne de statu (7. 21.).
V. 21
|0336 : 322|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Die Wirkung der durch Anſtellung der Klage herbey
geführten Unterbrechung iſt verſchieden, je nachdem die
Klage zu einem rechtskräftigen Urtheil geführt hat, oder
vorher der Rechtsſtreit liegen geblieben iſt. Im erſten Fall
iſt das Urtheil allein beſtimmend für das Rechtsverhältniß,
ſo daß daneben von der früheren Klage und ihrer Verjäh-
rung nicht mehr die Rede iſt. Im zweiten Fall war nach
kurzer Zeit, durch die von der Klagverjährung ganz ver-
ſchiedene Prozeßverjährung, das Klagrecht für immer ver-
loren (l). Abgeſehen aber von dieſer Prozeßverjährung,
das heißt wo ſie nicht anwendbar war (m), erhielt nun-
mehr die Klage eine endloſe Dauer (n), indem die früher
laufende Verjährung zerſtört, und eine neue für dieſen Fall
nicht angeordnet war. Als nun die immerwährenden Kla-
gen überhaupt in dreyßigjährige umgewandelt wurden,
war es ganz conſequent, die nicht zu Ende geführte Klage
nun auch einer dreyßigjährigen Verjährung zu unter-
werfen (o).
Hierin hat Juſtinian folgende wichtige Neuerung ein-
geführt. Die unbeendigte Klage ſoll, von der letzten ge-
richtlichen Handlung an, Vierzig Jahre lang wieder auf-
(l) Gajus IV. § 104, 105.
(m) Alſo nach ihrer Aufhebung,
oder auch, nach Manchen, außer
der Stadt Rom, indem ſie über-
haupt nur in der Stadt gegolten
haben ſoll.
(n) L. 139 pr. de R. J. (50. 17).
(o) L. un. § 1 C. Th. de act.
certo temp. fin. (4. 14.). Dieſer
Theil der Stelle iſt in der L. 3
C. Just. de praescr. XXX. (7.
39.) natürlich weggelaſſen worden,
wegen der gleich folgenden Abän-
derung.
|0337 : 323|
§. 243. Klagverjährung. Bedingungen. Ununterbrochen. (Fortſ.)
genommen werden können, und erſt am Ende dieſes Zeit-
raums durch Verjährung verloren ſeyn (p).
Ohne Grund hat man verſucht, die Anwendung dieſes
Geſetzes auf mancherley Weiſe zu beſchränken. So ſoll es
blos auf perſönliche Klagen zu beziehen ſeyn, bey welcher
Behauptung das Misverſtändniß einiger Ausdrücke des Ge-
ſetzes zum Grunde liegt (q). — Andere beziehen die vier-
zig Jahre nur auf den Fall, wenn es bis zur Litisconte-
ſtation gekommen iſt; brach der Prozeß zwar nach der Ci-
tation, aber vor der Litisconteſtation ab, ſo ſollen dreyßig
Jahre gelten (r). Dieſe Unterſcheidung gehört zu den ganz
fruchtloſen Beſtrebungen, die ältere Beſtimmung von der
Litisconteſtation mit der neueren von der Citation, als un-
terbrechender Thatſache, zu vereinigen (s). — Manche wol-
len die vierzig Jahre nur gelten laſſen für die urſprüng-
lich dreyßigjährigen Klagen; bey den kürzer dauernden
Klagen ſollen, von der letzten Prozeßhandlung an, dreyßig
Jahre gerechnet werden (t). Dieſe Beſchränkung ſteht im
Widerſpruch mit der allgemeinen Vorſchrift des Juſtinia-
(p) L. 9 C. de praescr. XXX.
(7. 39.) „ex quo novissima pro-
cessit cognitio.” L. 1 § 1 C. de
ann. exc. (7. 40.). Iſt es nicht
einmal bis zur Citation gekom-
men, ſo iſt die Verjährung gar
nicht unterbrochen, ſ. o. § 242.
(q) L. 9. C. cit. „Sed licet
personalis actio ab initio fuerit
instituta, eam tamen in qua-
dragesimum annum extendi-
mus.“ Das bezieht ſich darauf,
daß die Hypothekarklage ſchon
früher eine vierzigjährige Dauer
(auch wenn ſie nicht angeſtellt war)
bekommen hatte. Unterholzner
I. S. 446.
(r) Donellus Lib. 16 C. 8
§ 23.
(s) Vgl. oben § 242. Note v.
(t) Cujacius observ. XVIII.
29, Unterholzner I. S. 447.
21*
|0338 : 324|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
niſchen Geſetzes, und muß daher als willkührlich verworfen
werden (u). Noch weniger Grund hat es, wenn Manche,
bey den urſprünglich vierzigjährigen Klagen, nunmehr funf-
zig Jahre annehmen wollen (v). Gegen beide abweichende
Meynungen ſpricht, außer der uneingeſchränkten Vor-
ſchrift des Geſetzes, noch folgende allgemeinere Betrach-
tung. Wenn die angeſtellte Klage hinterher liegen blieb,
ſo iſt die Lage des Klägers eine ganz andere als die,
worin er ſich vor Anfang des Rechtsſtreits befand, ſo daß
die Gründe, welche urſprünglich bald kürzere, bald längere
Verjährungsfriſten veranlaßten, nun nicht mehr eingreifen.
Die nunmehr ganz veränderte Lage des Klägers erhellt
beſonders aus der Betrachtung, daß es jetzt gar nicht
mehr ermittelt werden kann, wie viel bey der Verzögerung
der Sache dem Kläger, wie viel dem Beklagten oder dem
Richter zur Laſt fällt. Hierin aber ſtehen alle Klagen ein-
ander gleich, ſie mögen urſprünglich eine kurze oder eine
lange Verjährungsfriſt gehabt haben, und es iſt daher
auch kein Grund vorhanden, unter dieſen neuen Verhält-
niſſen bey manchen Klagen eine größere Strenge, als bey
anderen, gegen den Kläger eintreten zu laſſen.
Dagegen darf in folgenden Fällen der Zeitraum von
Vierzig Jahren nicht zur Anwendung gebracht werden:
I. Nach der rechtskräftigen Verurtheilung. Zwar hat
es auf den erſten Blick vielen Schein, daß die Lage des
(u) Thibaut Verjährung S.
120. Göſchen I. S. 447. Van-
gerow I. S. 181.
(v) Dieſer Meynung widerſpricht
auch Unterholzner I. S. 446.
|0339 : 325|
§ 243. Klagverjährung. Bedingungen. Ununterbrochen. (Fortſ.)
Klägers jetzt nicht ungünſtiger werden dürfe, als vor dem
Urtheil, wo das Recht des Klägers noch ungewiß war (w).
Dennoch müſſen jetzt dreyßig Jahre gelten (x). Denn das
rechtskräftige Urtheil enthält der Sache nach eine wahre
Novation, da es ſogar den urſprünglichen Anſpruch ganz
umbilden kann; es führt auch geradezu den Namen nova-
tio (y). Daher iſt denn auch die urſprüngliche Klage, von
deren modificirter Verjährung etwa die Rede ſeyn könnte,
gar nicht mehr vorhanden, es iſt eine neue Klage aus dem
Urtheil ſelbſt entſtanden, und dieſe iſt der gewöhnlichen
Verjährung, wie jede andere Klage, unterworfen. Fol-
gende, mehr practiſche, Betrachtung führt zu demſelben
Erfolg. Solange die Sache liegen blieb, konnte der Klä-
ger dadurch entſchuldigt werden, daß er über der Been-
digung derſelben ermüdete und daran verzweifelte. Wenn
aber Alles zu ſeinem Vortheil klar entſchieden iſt, fällt
dieſe Entſchuldigung gänzlich hinweg.
II. Im Fall der Beendigung eines Rechtsſtreits durch
Vergleich treten dieſelben Gründe, und ſelbſt noch unzwei-
felhafter, ein. Denn es iſt jetzt nicht mehr die urſprüng-
liche Klage vorhanden, der Vertrag iſt ein neuer Rechts-
grund geworden, und die Klage aus demſelben verjährt
wie jede andere, in dreyßig Jahren.
III. Der letzte Fall einer Ausnahme von der Regel
(w) Unterholzner I. § 125.
S. 444, II. § 267.
(x) Pufendorf T. 1 Obs. 117.
(y) L. 3 pr. C. de usuris rei
jud. (7. 54.).
|0340 : 326|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
der vierzig Jahre hat einen weniger allgemeinen Grund,
als die eben angeführten Fälle; der Grund deſſelben iſt
ein hiſtoriſcher, und ein ſolcher, der auf die Juſtizverfaſ-
ſung des deutſchen Reichs ein trauriges Licht wirft. Wenn
an den Reichsgerichten Prozeſſe bis zum Spruch geführt,
nun aber liegen geblieben waren, ſo lag es nicht in der
Macht des Klägers, den Spruch zu erzwingen. Obgleich
nun die Behandlung dieſes Gegenſtandes beſtritten war,
ſo war doch aus einleuchtender Billigkeit die Meynung
vorherrſchend geworden, daß jetzt gar keine Verjährung,
auch nicht die von vierzig Jahren, eintreten dürfe. Nach
der Auflöſung des deutſchen Reichs ſind die bey den Reichs-
gerichten vorräthigen Prozeſſe an die höchſten Gerichte der
einzelnen deutſchen Staaten übergegangen. Ein Preußi-
ſches Geſetz hat die angeführte Regel ausdrücklich als gül-
tig anerkannt (z).
§. 244.
Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Bedingun-
gen. c. Bona fides (a).
Möllenthiel Natur des guten Glaubens bey der
Verjährung. Erlangen 1820 § 19 — 31 (Ausführ-
liche und gründliche Behandlung dieſer Streitfrage).
Wie es ſich mit dieſer Bedingung der Verjährung im
Römiſchen Recht verhielt, darüber iſt kein Streit. Die
(z) Preußiſches Geſetz vom 18.
May 1839, Geſetzſammlung 1839
S. 175.
(a) Dieſe Frage iſt ſchon oben
kurz berührt worden, B. 3 Beylage
VIII. Num. XXIII; hier muß ge-
nauer darauf eingegangen werden.
|0341 : 327|
§. 244. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides.
Uſucapion erforderte bona fides für den Anfang des Be-
ſitzes, nicht für deſſen Fortſetzung. Der Klagverjährung
an ſich war dieſes Erforderniß fremd, indem nur auf die
Verſäumniß des Klägers geſehen wurde. Nur die longi
temporis praescriptio ſchloß ſich in ihren Bedingungen
ganz an die Uſucapion an, ſo daß auch die bona fides
dazu gerechnet werden mußte. Wenn ſpäter Juſtinian
auch für den dreyßigjährigen Beſitz bona fides forderte (b),
ſo geſchah dieſes nur, inſofern hier der Beſitzer auf die
Vortheile der Erſitzung Anſpruch machen, alſo über die
Klagverjährung hinaus gehen wollte; für dieſe letzte lag
darin gar keine Neuerung. — Auch die longi temporis
praescriptio iſt als ein ſelbſtſtändiges Rechtsinſtitut aus
dem Juſtinianiſchen Recht verſchwunden, und ſo kann man
ſagen, daß im neueſten Römiſchen Recht die bona fides als
Bedingung der Klagverjährung gar nicht mehr vorkommt.
Dieſer Zuſtand des Rechts hat ſich bis zu Ende des
zwölften Jahrhunderts unverändert erhalten, und Gratian
ſtellt ihn, um die Mitte deſſelben, ſo dar, wie wir ihn in
den Quellen des Römiſchen Rechts finden (c).
Wichtige Neuerungen aber wurden eingeführt durch
zwey Decretalen, deren wahrer Sinn von jeher in hohem
Grade beſtritten geweſen iſt, und deren Text hierher ge-
ſetzt werden ſoll, ſoweit er zur Feſtſtellung dieſer Lehre
nöthig iſt (d):
(b) L. 8 § 1 C. de praescr.
XXX. (7. 39.).
(c) c. 15. C. 16. q. 3.
(d) Ausführlicher handelt von
beiden Stellen Möllenthiel a.
a. O., und Unterholzner I. § 92.
|0342 : 328|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
C. 5. X. de praescript. (2. 26.). Alexander III.
Vigilanti studio cavendum est … ne malae fidei pos-
sessores simus in praediis alienis: quoniam nulla an-
tiqua dierum possessio juvat aliquem malae fidei
possessorem, nisi resipuerit, postquam se noverit
aliena possidere, quum bonae fidei possessor dici
non possit …”(e).
C. 20. X. de praescript. (2. 26.) Innocentius III.
Quoniam omne, quod non est ex fide, peccatum
est, synodali judicio diffinimus, ut nulla valeat abs-
que bona fide praescriptio tam canonica quam civi-
lis, quum generaliter sit omni constitutioni atque
consuetudini derogandum, quae absque mortali pec-
cato non potest observari. Unde oportet, ut, qui
praescribit, in nulla temporis parte rei habeat con-
scientiam alienae.
In beiden Decretalen iſt die Abſicht einer Änderung
des Römiſchen Rechts, und zwar aus ſittlich-religiöſen
Gründen, deutlich ausgeſprochen; der Inhalt und Umfang
der Neuerung iſt es, worauf ſich Streit und Zweifel
beziehen.
Nun ſind darin zwey Abweichungen vom Römiſchen
Recht ſogleich erkennbar, und über dieſe iſt kein Streit;
erſtlich in den Gegenſtänden, zweytens in der geforderten
(e) Der letzte Theil der Stelle
ſagt in der Sache nichts Neues,
drückt aber deutlich die Abſicht aus,
das Römiſche Recht abzuändern.
|0343 : 329|
§. 244. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides.
Dauer der bona fides. Das Römiſche Recht erkennt eine
Uſucapion, wozu auch die bona fides erfordert wird, le-
diglich bey dem Eigenthum an; bey den Servituten findet
ſich etwas Ähnliches, nicht Daſſelbe, und namentlich an
die Stelle der bona fides treten hier andere, obgleich ver-
wandte, Erforderniſſe. Hier wird, in den Worten: prae-
scriptio tam canonica quam civilis, darauf hingewieſen,
daß jetzt neue, aus den kirchlichen Verhältniſſen entſprun-
gene, Rechte, eben ſo wie nach Römiſchem Recht das Eigen-
thum (quam civilis), dem Erwerb durch bonae fidei pos-
sessio unterworfen ſind, wohin die Diöceſanrechte, Zehen-
ten u. ſ. w. gehören, welche mehr Analogie mit dem Eigen-
thum haben als die Servituten, großentheils auch mit
einem Grundeigenthum, als Acceſſionen deſſelben, verknüpft
ſind (f). Dieſe erweiterte Anwendung der Erſitzung iſt
auch nach vielen anderen Stellen unzweifelhaft, aber ſie
iſt nicht hier neu eingeführt; ſie war durch Gewohnheits-
recht entſtanden, wird aber hier gelegentlich anerkannt,
und denſelben Regeln, wie die Römiſche Uſucapion, unter-
worfen.
Die zweyte Abweichung vom Römiſchen Recht iſt hier
neu vorgeſchrieben, ſie iſt der augenſcheinliche Zweck bei-
der Decretalen. Die bona fides ſoll nicht blos im Anfang
des Beſitzes vorhanden ſeyn, wie nach Römiſchem Recht,
ſondern während der ganzen Dauer deſſelben. Dieſes liegt
in den Worten des erſten Geſetzes: postquam se noverit
(f) Möllenthiel § 20 S. 113. 115 § 24. 25.
|0344 : 330|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
aliena possidere, und noch deutlicher in denen des zwey-
ten: in nulla temporis parte rei habeat conscientiam
alienae.
So weit iſt kein Streit. Die fernere Frage aber
iſt die, auf welche Rechtsinſtitute die zweyte Abweichung
bezogen werden ſoll: ob blos auf die Uſucapion, oder auch
auf die Klagverjährungen. Nimmt man die erſte Mey-
nung an, ſo beſchränkt man die Neuerung auf den ſo eben
angegebenen Inhalt. Nach der zweyten Meynung würde
eine fernere Neuerung darin beſtehen, daß die bona fides
auch für die Klagverjährung erfordert würde, worin ſie
dem Römiſchen Recht fremd iſt, und hier natürlich auch
in derſelben ſtrengeren Geſtalt, welche für die Uſucapion
unzweifelhaft vorgeſchrieben iſt.
Der leichteren Überſicht wegen habe ich vorläufig nur
zwey entgegengeſetzte Meynungen erwähnt; in der That
aber hat ſich der Widerſtreit in folgenden Vier Stufen
ausgebildet:
1) Jene Decretalen beziehen ſich nur allein auf die Uſu-
capion (g);
2) Sie beziehen ſich außerdem auch auf die Verjäh-
rung der in rem actiones, weiter nicht (h);
3) Außerdem auch auf perſönliche Klagen, jedoch nur
wenn dieſe auf Reſtitution einer unrechtmäßig beſeſſenen
(g) Vertheidiger dieſer Mey-
nung: Boden de praescriptione
ex solo temporis lapsu proce-
dente Halae 1750 § 13 —22.
Seuffert Erörterungen Abth. 1
S. 134. Kierulff S. 206—209.
(h) Vertheidiger dieſer Mey-
nung: Giphanius p. 255. 256.
|0345 : 331|
§. 244. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides.
Sache gehen (i), welche Meynung ich für die richtige
halte;
4) Außerdem auch auf die übrigen perſönlichen Kla-
gen (k), alſo auf die Klagverjährung überhaupt, in ihrem
uneingeſchränkten Umfang (l).
Es iſt jedoch zu bemerken, daß Viele, beſonders ans
älterer Zeit, auf dieſe genauere Abſtufung nicht eingehen,
ja daß wohl die Meiſten ſich damit begnügen, über den
Gegenſatz zwiſchen der dritten und vierten Meynung zu
ſtreiten, von welchem auch ſogleich gezeigt werden wird,
daß er wichtiger iſt, als alle übrigen Gegenſätze. Man
hat dieſen Gegenſatz, nicht unpaſſend, oft ſo ausgedrückt:
ob die bona fides nöthig ſey, blos bey der Klage gegen
(i) Alſo z. B. auf actio com-
modati, depositi, pignoratitia,
locati, wenn dieſe auf Rückgabe
der Sache gerichtet werden, nicht auf
Miethgeld, oder Erſatz für einzelne
Beſchädigungen. — Vertheidiger
dieſer Meynung, die zum Theil
auch die entſchiedene Praxis meh-
rerer Gerichte bezeugen: Wernher
obs. for. T. 1 P. 1 obs. 183.
(Präjudicien Num. 67 sq.). Böh-
mer Jus eccl. prot. Lib. 2 Tit. 26
§ 52 — 58. Cocceji Lib. 41 T. 3
quaest. 30. Möllenthiel a. a.
O. Unterholzner I. § 92. Gö-
ſchen § 153.
(k) Alſo auf alle Condictio-
nen, z. B. aus Darlehen, auf die
actio emti, venditi, conducti,
mandati, pro socio, die meiſten
Delictsklagen, kurz auf die aller-
meiſten perſönlichen Klagen über-
haupt.
(l) Vertheidiger dieſer Meynung
ſind faſt alle ältere Praktiker, aber
auch neuere Schriftſteller. Lau-
terbach Lib. 44 T. 3 § 17.
Stryk Lib. 44 T. 3 § 2. Struv.
exerc. 43 thes. 21. Pufendorf
T. 1 Obs. 115. Höpfner § 1182.
Hofacker § 870. Thibaut Ver-
jährung S. 82. 106. Pandekten
§ 1008. (Brauns Erörterungen
S. 873.). Es wird von ihnen
eine ſehr ausgedehnte Praxis, ins-
beſondere auch die der Reichsge-
richte, bezeugt.
|0346 : 332|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
den debitor rei alienae, oder auch gegen den debitor rei
propriae (m).
Für die erſte Meynung, nach welcher die mitgetheilten
Decretalen nur allein auf die Uſucapion bezogen werden
ſollen, iſt als eigenthümlicher Grund (n) nur die Be-
hauptung geltend gemacht worden, daß im canoniſchen
Recht ſchon der Ausdruck praescriptio lediglich die Uſuca-
pion, nicht die Klagverjährung, bezeichne. Das Wahre
hieran iſt, daß allerdings praescriptio, ganz abweichend
vom Römiſchen Sprachgebrauch, die Uſucapion mit um-
faßt (o); daß aber unter dieſem Ausdruck nur allein die
Uſucapion, und gar nicht die Klagverjährung, verſtanden
werden ſollte, iſt ſogar faſt unmöglich. Denn Niemand
wird behaupten, daß das canoniſche Recht die Klagver-
jährung nicht auch anerkenne; da es nun ganz ſicher kei-
nen anderen, eigenthümlichen, Ausdruck dafür hat, ſo
mußte es wohl den aus dem Römiſchen Recht hergenom-
menen dafür beybehalten (p). Auch findet ſich eine De-
cretale von Alexander III., worin jener Ausdruck geradezu
auf die Ausſchließung der Klage bezogen wird (q).
(m) Nämlich debitor rei alie-
nae iſt der Depoſitar, weil er eine
fremde Sache zurück geben ſoll,
debitor rei propriae der Dar-
lehensſchuldner, welcher ſein eige-
nes Geld, nicht das früher em-
pfangene, bezahlen ſoll.
(n) Die meiſten Gründe, die
für jene Meynung geltend gemacht
werden, ſollen blos die vierte Mey-
nung widerlegen, ſind alſo der er-
ſten mit der zweyten und dritten
Meynung gemeinſchaftlich.
(o) Vgl. oben B. 4 S. 315.
(p) Unterholzner I. S. 12.
(q) C. 6 X. de praescr. (2. 26.)
„… quadragenalis praescriptio
omnem prorsus actionem ex-
cludit.” In dem vorliegenden
Fall war freylich von beſeſſenen
|0347 : 333|
§. 244. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides.
Der ſcheinbarſte Grund für jene beſchränkte Bedeutung
von praescriptio liegt in folgender Stelle der Sammlung
von Bonifaz VIII. (r):
Sine possessione praescriptio non procedit.
Da nun dieſer Satz nur für die Uſucapion allgemein
wahr ſey, für die Klagverjährung größtentheils nicht
wahr, ſo folge daraus, daß das canoniſche Recht unter
dem Ausdruck praescriptio die Klagverjährung gar nicht
mit begreife.
Der ganze Titel des Sextus, woraus jene Stelle her-
rührt, enthält Rechtsregeln, die faſt ganz aus dem Rö-
miſchen Recht herüber genommen ſind, um der Sammlung
ein gelehrtes Anſehen zu geben; er iſt wahrſcheinlich von
Dinus verfaßt, welcher Legiſt, nicht Canoniſt war (s).
Jene Stelle iſt entſtanden aus folgendem Ausſpruch des
Licinius Rufinus (t):
Sine possessione usucapio contingere non potest.
Daß hier praescriptio anſtatt usucapio geſetzt wurde,
kam daher, daß jener Ausdruck dem Ende des dreyzehen-
ten Jahrhunderts, worin der Sextus erſchien, weit geläu-
figer war, als der Ausdruck usucapio. Bey ſorgfältiger
Zehenten die Rede, worin die Klag-
verjährung mit der Uſucapion zu-
ſammen fiel; allein der Ausdruck
der zum Beweis der einzelnen Ent-
ſcheidung angeführten allgemeinen
Rechtsregel geht auf die Verjäh-
rung der Klage, und müßte alſo
auch anwendbar ſeyn auf die we-
gen dieſer Zehenten angeſtellte lo-
cati actio.
(r) C. 3 de reg. juris in VI.
(s) Savigny Geſchichte des
R. R. im Mittelalter B. 5 S. 399.
400. 405.
(t) L. 25 de usurp. (41. 3.).
|0348 : 334|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Überlegung würde ſich Dinus geſagt haben, daß nun der
Ausdruck zu allgemein ſey, indem er z. B. die Verjährung
der Darlehensklage ausſchließe. Indem man aus der Stelle
einen beſtimmten und ausſchließenden Sprachgebrauch des
canoniſchen Rechts beweiſen will, ſetzt man jene ſorgfäl-
tige Überlegung, die Abwägung jedes Wortes, voraus;
aber jeder Unbefangene wird einräumen, daß durch dieſe
Vorausſetzung dem Dinus eine ganz übertriebene Ehre er-
wieſen wird. Vollends wenn man dieſe Stelle dazu ge-
brauchen will, um daraus einen conſtanten, durch alle Zei-
ten durchgehenden, Sprachgebrauch des canoniſchen Rechts
zu begründen, wie es geſchehen muß, wenn daraus die
älteren Decretalen von Alexander III. und Innocenz III. er-
klärt werden ſollen, ſo iſt dieſes Verfahren völlig verwerf-
lich. Wir nehmen für die drey Rechtsbücher von Juſti-
nian eine gewiſſe Solidarität an, und nicht ohne Grund,
obgleich auch hier nicht ohne Einſchränkung, und mehr für
den Inhalt der Rechtsſätze, als für den Sprachgebrauch (u);
aber für die der Zeit nach weit aus einander liegenden
Quellen des canoniſchen Rechts würde eine ähnliche An-
nahme ganz bodenlos ſeyn.
Für die zweyte Meynung ſind eigenthümliche Gründe
nicht vorgebracht worden. Ihr Vertheidiger ſucht eigent-
lich nur die vierte Meynung zu bekämpfen, und in dieſem
Beſtreben trifft er mit den Vertheidigern der dritten zu-
(u) Vgl. oben B. 1 § 43.
|0349 : 335|
§. 245. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides. (Fortſetzung.)
ſammen, ſo daß man die zweyte, als eine ſelbſtſtändige,
von der dritten verſchiedene, füglich aufgeben kann.
§. 245.
Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Bedingun-
gen c. Bona fides. (Fortſetzung.)
Es bleibt alſo nur noch der Widerſtreit der zwey letz-
ten Meynungen zu betrachten übrig, welcher ſich in der
Frage ausdrucken läßt, ob die bona fides nur allein bey
denjenigen perſönlichen Klagen erfordert werde, die ſich
auf Reſtitution eines Beſitzes beziehen, oder auf alle per-
ſönliche Klagen überhaupt; oder, nach einem ſchon oben
angewendeten Ausdruck: ob ſie blos gegen den debitor rei
alienae in Betracht kommt, oder auch gegen den debitor
rei propriae.
Dieſe Differenz der Meynungen iſt von der höchſten
praktiſchen Wichtigkeit, ohne Vergleichung wichtiger als
die unter den drey erſten Meynungen. Denn die wahre
Bedeutung der vierten Meynung kann keine andere ſeyn
als die, daß die Verjährung ausgeſchloſſen ſeyn ſoll, wenn
der Schuldner in irgend einem Augenblick das Bewußtſeyn
der Schuld hatte, indem man nun annehmen müſſe, daß
er mala fide unterlaſſen habe, den Glaubiger zu befriedi-
gen. Es iſt aber einleuchtend, daß dadurch das höchſt
wohlthätige Inſtitut der Klagverjährung faſt ganz vernich-
tet wird. Denn alle Schuldner aus Verträgen oder De-
licten haben wenigſtens im Anfang das beſtimmte Bewußt-
|0350 : 336|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
ſeyn ihrer Schuld, und es giebt überhaupt nur ſehr ſeltene
Fälle der Obligationen, worin der Schuldner zu allen
Zeiten ohne dieſes Bewußtſeyn geblieben ſeyn kann. Da-
hin würden z. B. folgende Fälle gehören: wenn der Erbe
durch Codicill zur Entrichtung eines Legats verpflichtet
wird, dieſer Codicill aber durch Zufall dreyßig Jahre lang
verborgen bleibt; oder wenn ein Anderer meine Geſchäfte
ohne Auftrag beſorgt, und dabey Auslagen für mich macht,
von welchen ich nichts erfahre; oder wenn bey einem
empfangenen Indebitum der Irrthum erſt nach Dreyßig
Jahren entdeckt wird. Nur in ſolchen höchſt ſeltenen Fäl-
len würde überhaupt noch von einer Klagverjährung die
Rede ſeyn können.
Die Vertheidiger dieſer extremen Meynung führen Drey
Gründe für dieſelbe an: den allgemeinen Ausdruck der
Decretalen, den allgemeinen ſittlichen Beweggrund, und
die natürliche Billigkeit. Die genauere Betrachtung dieſer
drey Gründe wird zugleich dazu dienen, die dritte Mey-
nung gegen die Einwürfe zu vertheidigen, die ihr von den
Anhängern der erſten und zweyten gemacht werden.
1) Der Ausdruck der Decretalen lautet allerdings ſehr
allgemein, und es heißt darin namentlich: nulla praescri-
ptio. Allein in beiden Decretalen iſt doch ſtets nur von
Beſitzern fremder Sachen die Rede, ſo wie von der
conscientia rei alienae, welche Ausdrücke unmöglich von
nicht zahlenden Schuldnern gebraucht werden können. Auf
eben dieſelbe Beſchränkung führt auch ſchon der aus dem
|0351 : 337|
§. 245. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides. (Fortſetzung.)
Römiſchen Recht entlehnte Ausdruck mala fides, mit ſei-
nem Gegenſatz, der bona fides. Denn dieſe Ausdrücke be-
zeichnen bey den Römern nicht etwa die Redlichkeit oder
Unredlichkeit in jeder möglichen Anwendung, ſondern nur
in der beſondern Anwendung auf den unredlichen Beſitz;
wo aber in anderen Anwendungen das unredliche Bewußt-
ſeyn bezeichnet werden ſoll, da wird regelmäßig der Aus-
druck dolus gebraucht.
Nur durch Misverſtändniß könnte man verſuchen, dieſe
Gründe auch gegen die dritte Meynung geltend zu machen,
indem in den Fällen, worauf ſie die Nothwendigkeit der
bona fides bezieht, oft gar kein juriſtiſcher Beſitz (mit ani-
mus possidendi) vorhanden ſeyn wird. Allein deſſen Da-
ſeyn iſt auch ganz gleichgültig; denn gerade in der Lehre
von der Eigenthumsklage, worin doch vorzugsweiſe die
Unterſcheidung der b. f. und m. f. possessores von großer
Wichtigkeit iſt (a), wird der Ausdruck possessor in der
größten Ausdehnung genommen, ſo daß er da auch die
bloße Dentention, ohne animus possidendi, mit umfaßt (b).
Von einer andern Seite dagegen darf allerdings der
Ausdruck conscientia rei alienae nicht zu eng aufgefaßt
werden, indem man darunter ausſchließend das Bewußt-
ſeyn des fremden Eigenthums verſtehen möchte, ſo daß
das unredliche Bewußtſeyn über des Gegners Pfandrecht,
Emphyteuſe, Interdictenbeſitz u. ſ. w. gleichgültig wäre.
Es iſt aber vielmehr jede, irgend ein Beſitzverhältniß des
(a) L. 22 C. de rei vind. (3. 32.).
(b) L. 9 de rei vind. (6. 1.).
V. 22
|0352 : 338|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Beklagten betreffende, Unredlichkeit, das heißt die ſich auf
eine an ihn geforderte Reſtitution bezieht, unter jenem Aus-
druck zu verſtehen (c).
2) Der in den Decretalen ausgedrückte ſittliche Beweg-
grund, die Sorge für die Abwendung der Sünde, die in
allen ſolchen Fällen dieſelbe ſey.
Gerade dieſes Letzte aber muß gänzlich verneint wer-
den, da in beiden Fällen die Lage des Beklagten weſent-
lich verſchieden iſt. Wenn eine Schuld unbezahlt bleibt,
ſo wird Dieſes in unzähligen Fällen geſchehen ohne allen
böſen Willen; oft aus wirklicher oder vermeyntlicher Con-
nivenz von Seiten des Glaubigers, oder weil der Schuld-
ner jetzt kein Geld vorräthig hat (wobey gar nicht immer
an Armuth und Inſolvenz zu denken iſt), oder indem eine
übergebene Rechnung verlegt und dann vergeſſen wird.
In allen dieſen Fällen kann zu keiner Zeit eine Unredlich-
keit und Sünde behauptet werden; ganz anders bey dem
abgeforderten Beſitz, deſſen Unrechtmäßigkeit dem Beſitzer
bekannt iſt, und deſſen Reſtitution ihm nicht wohl aus zu-
fälligen Gründen unmöglich ſeyn wird. Hier ſind die
Fälle der Schuldloſigkeit eben ſo ſelten, als ſie dort häu-
fig vorkommen werden.
Dagegen liegt in dem angeführten ſittlichen Motiv ein
(c) Göſchen § 153. Für dieſe
Behauptung beweißt der ganze Zu-
ſammenhang der Stellen, welcher
wichtiger iſt als der ganz einzelne
Ausdruck aliena, obgleich dieſer
mehrmals vorkommt. Als Beſtä-
tigung kann auch dienen L. 7 C.
de rebus alienis (4. 51.), worin
der Ausdruck alienatio gleichfalls auf
die freyeſte Weiſe ausgelegt wird.
|0353 : 339|
§. 245. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides. (Fortſetzung.)
wichtiger Grund, der dritten Meynung vor der erſten und
zweyten den Vorzug einzuräumen. Denn wenn z. B. der
Miether gegen die locati actio die Verjährung geltend
macht, obgleich er irgend einmal wußte, daß er die Sache
heraus geben müſſe, ſo iſt ſein Verhalten völlig eben ſo
ſündlich, als wenn ein unredlicher Beſitzer uſucapiren, oder
die Vindication des Eigenthümers durch Klagverjährung
entkräften will; alle dieſe Fälle ſtehen, ſittlich betrachtet,
ganz auf gleicher Linie. Es wäre aber eine unbegreifliche
Beſchränktheit des Pabſtes geweſen, die Seele des Be-
ſitzers in einem dieſer Fälle durch ſein Geſetz retten zu
wollen, in dem andern ganz ruhig verloren gehen zu laſ-
ſen; ja es würde Niemand den kleinlichen Gedanken er-
tragen können, als dürfte in einem ſolchen ſittlich religiö-
ſen Verhältniß, der juriſtiſchen Klaſſifikation der Klagen
irgend ein Einfluß eingeräumt werden.
3) Die natürliche Billigkeit wird von den Anhängern
der vierten Meynung ſo verſtanden, daß alle Verjährung
ein Inſtitut des poſitiven Rechts, alſo dem Naturrecht
entgegen ſey.
Allein die allerdings poſitive Natur der Verjährung
darf uns nicht hindern, ſie für ein höchſt wohlthätiges
Rechtsinſtitut anzuerkennen, und nicht beſtimmen, ihre wohl-
thätige Wirkſamkeit durch grundloſe Einſchränkungen zu
ſchwächen, ja faſt zu vernichten.
Ganz entſcheidend aber gegen die vierte Meynung iſt
die Vergleichung derſelben mit den allgemeinen Gründen,
22*
|0354 : 340|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
wodurch die Einführung der Verjährung bewirkt worden
iſt. Unter dieſen nimmt die Präſumtion der Tilgung eine
beſonders wichtige Stelle ein (§ 237). Sie iſt ganz vor-
züglich anwendbar auf die Fälle, worin die vierte Mey-
nung die Nothwendigkeit der bona fides (im Widerſpruch
mit den drey erſten Meynungen) behauptet, da in dieſen
Fällen meiſtens von Geldſchulden die Rede ſeyn wird,
worauf ſich jene Präſumtion vorzugsweiſe bezieht. Wenn
nun etwa nach mehr als 30 Jahren eine Kaufmannsrech-
nung eingeklagt wird, ſo wird vielleicht durch alte Briefe
bewieſen werden können, daß der Beklagte Anfangs dieſe
Schuld gekannt hat; dadurch aber wird durchaus nicht
die Wahrſcheinlichkeit vermindert, daß dieſe Rechnung in
ſo vielen Jahren irgend einmal bezahlt ſeyn werde. Ja
man kann ſogar beſtimmt behaupten, daß Diejenigen,
welche die Nothwendigkeit der bona fides bey allen Kla-
gen behaupten, die Präſumtion der Tilgung als Grund
der Verjährung eigentlich ganz aufgeben. Denn die Til-
gung einer Schuld geſchieht, mit ſehr ſeltenen Ausnahmen,
durch freywillige Handlungen des Schuldners (d), dieſe
nun ſind nicht möglich ohne Bewußtſeyn der Schuld, wo-
durch aber nach jener Meynung, die Verjährung gehin-
dert werden ſoll. — Ganz anders verhält es ſich mit den
(d) Allerdings kommen auch
Tilgungen ohne Handlungen des
Schuldners, ſelbſt ohne deſſen Be-
wußtſeyn vor, z. B. wenn ein An-
derer für ihn zahlt, ohne es ihm
auch nur hinterher anzuzeigen, oder
wenn der Schuldner ohne ſein
Wiſſen eine Gegenforderung er-
wirbt; aber dieſe Fälle ſind ſo ſel-
ten, daß ſie gar nicht in Betracht
kommen können.
|0355 : 341|
§. 245. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides. (Fortſetzung.)
Klagen auf Reſtitution des Beſitzes, worauf die erſten
Meynungen das Erforderniß der bona fides beſchränken.
Daß hier eine unmittelbare Tilgung nicht Statt gefunden
hat, erhellt aus dem noch jetzt in den Händen des Be-
klagten befindlichen Beſitz; eine indirecte Tilgung aber,
etwa durch Geldabfindung, würde ein neues Rechtsgeſchäft
vorausſetzen, für deſſen Annahme unmöglich eine ähnliche
Präſumtion behauptet werden kann, wie für die Annahme
der in der natürlichen Entwicklung der Geldſchulden lie-
genden baaren Zahlung.
Die hier aufgeſtellte Behauptung iſt noch durch fol-
gende nähere Beſtimmungen zu ergänzen.
Das Daſeyn des redlichen Bewußtſeyns wird dadurch
nicht ausgeſchloſſen, daß ein Rechtsirrthum zum Grund
liegt (e).
Man hat früher über die Frage geſtritten, ob die Klag-
verjährung auch dadurch geſtört werde, daß nach Ablauf
der Verjährungszeit das Bewußtſeyn des fremden Rechts
eintrete (f). In neueren Zeiten aber iſt allgemein aner-
kannt worden, daß dieſer Umſtand die Wirkung der Klag-
verjährung nicht hindere (g). Der Grund liegt darin, daß
die Verjährung ſelbſt ein neues Recht erzeugt, oder we-
nigſtens erzeugen kann, weshalb nun jeder Gedanke in Be-
(e) Vgl. oben B. 3 Beylage
VIII. Num. XXIII.
(f) Gilken de usucap. P. 2
Membr. 3 C. 8 unterſcheidet ganz
willkührlich zwiſchen einer Verjäh-
rung aus causa lucrativa oder
onerosa.
(g) Giphanius p. 258. Müller
ad Leyser. Obs. 726. Möllen-
thiel S. 120.
|0356 : 342|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
ziehung auf das frühere Rechtsverhältniß gleichgültig iſt.
Ganz verſchieden von der ſpäteren mala fides iſt es, wenn
durch ein neues Rechtsgeſchäft auf die Vortheile der Ver-
jährung verzichtet wird; von der Wirkung eines ſolchen
Vertrags wird weiter unten die Rede ſeyn (h).
Der hier widerlegten vierten Meynung liegt jedoch
eine relative Wahrheit zum Grunde, die nun noch aner-
kannt werden muß. Wenn ein Geldſchuldner nicht blos
weiß, daß er Schuldner iſt, ſondern durch unredliche Hand-
lungen den Ablauf der Verjährung herbey führt, indem
er etwa den Glaubiger durch täuſchende Verſicherungen
von der Klage abhält, ſo kann man, blos auf den ma-
teriellen Erfolg geſehen, ſagen, daß die Verjährung durch
mala fides gehindert werde. Genau richtig aber iſt dieſer
Ausdruck nicht; vielmehr muß man behaupten, daß die frühere
Klage durch Ablauf der Verjährung wirklich verloren wor-
den iſt, daß jedoch der vorige Glaubiger durch eine ganz
neue Klage, die doli actio, vollſtändige Entſchädigung er-
langen kann (i).
§. 246.
Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Bedingun-
gen. c. Bona fides. (Fortſetzung.)
In der Reihe der Meynungen, welche das Erforderniß
der bona fides betreffen, iſt bisher eine nicht erwähnt
(h) So behandelt die Sache
auch das Preußiſche allg. Land-
recht I. 9 § 564.
(i) L. 1 § 6 de dolo (4. 3.)
„ .. nisi in hoc quoque dolus
malus admissus sit, ut tempus
exiret.”
|0357 : 343|
§. 246. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides. (Fortſetzung.)
worden, welche von allen im § 244 und 245 geprüf-
ten weſentlich abweicht, auch an ſich gar keine Auf-
merkſamkeit verdienen würde, und nur zufällig eine ge-
wiſſe Bedeutung erlangt hat.
Rave handelt zuerſt von den oben dargeſtellten ent-
gegengeſetzten Meynungen, die er wohl kennt, und erklärt
ſich zuletzt ganz entſchieden für die vierte Meynung, nach
welcher bey allen perſönlichen Klagen ohne Unterſchied die
mala fides ein Hinderniß der Verjährung ſeyn ſoll (a).
Dann aber giebt er plötzlich der Sache folgende unerwar-
tete Wendung (b). Die Klagverjährung, ſagt er, bewirkt
nur eine ſehr ſtarke Präſumtion der Tilgung. Wenngleich
alſo die eigenhändige Urkunde des Schuldners vorgebracht
wird, ſo iſt dadurch die Vermuthung nicht entkräftet, daß
in der langen nachfolgenden Zeit die Schuld getilgt ſeyn
werde. Dieſe Vermuthung wird nur durch den, zwey
Thatſachen zugleich umfaſſenden, Beweis des Klägers ent-
kräftet: erſtlich, daß die Schuld wirklich noch fortdaure,
alſo nicht getilgt ſey, zweytens daß der Schuldner Dieſes
wiſſe (c). Hierin ſoll der Beweis der mala fides liegen,
die der Richter aus den Umſtänden zu erkennen habe, un-
ter andern aus folgenden Thatſachen: aus dem außerge-
richtlichen Geſtändniß, aus dem Verſuch die Beweisurkun-
(a) Rave § 19. 93. 131. 132.
(b) Rave § 133.
(c) Rave l. c. „Magis itaque
requiritur etiam hoc, ut actor
probet, scire reum, hanc obli-
gationem nondum esse extin-
ctam, sed iisdem terminis ad-
huc post hos triginta annos
durare, quibus antea [ – 2 Zeichen fehlen]cepit.”
|0358 : 344|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
den zu unterdrücken, endlich aus Mittheilungen, die er
darüber von anderen Perſonen empfangen haben kann.
Es iſt nicht leicht, ſich aus dieſer Confuſion der Be-
griffe heraus zu finden. Zuerſt giebt Rave die von ihm aus-
führlich vertheidigte Lehre von der zu allen Klagverjäh-
rungen nöthigen bona fides in der That auf, indem er
der eigenhändigen Schuldurkunde die Wirkſamkeit verſagt;
denn aus dem Daſeyn dieſer Urkunde folgt unwiderſprech-
lich, daß der Schuldner, wenigſtens Anfangs, das Bewußt-
ſeyn der Schuld gehabt hat, und darin eben liegt für
Fälle dieſer Art die mala fides, ſo wie ſie alle Andere
verſtehen. Wie er hinterher die mala fides wieder ein-
zuſchwärzen ſucht, wird ſogleich gezeigt werden. — Ferner
verwandelt er die Präſumtion der Tilgung, die blos ein
legislatives Motiv iſt, und ſelbſt als ſolches nur eine ein-
geſchränkte Wahrheit hat (§ 237), in die praktiſche Natur
der Verjährung ſelbſt, wodurch die Art und der Umfang
ihrer Wirkung beſtimmt werden ſoll, welches ein völlig
grundloſes Verfahren iſt. Wollte er aber dieſe Auffaſſung
conſequent durchführen, ſo mußte er die Bedingung der
bona fides ganz fallen laſſen, und den zugelaſſenen Ge-
genbeweis lediglich auf die wirkliche Fortdauer der
Schuld, das heißt auf ihre Nichttilgung richten, wo-
durch allerdings die Präſumtion entkräftet ſeyn würde.
Freylich würde für dieſe negative Thatſache kaum ein an-
derer Beweis verſucht werden können, als die Eidesdela-
tion, und deren Anwendung würde hier mannichfaltige
|0359 : 345|
§. 246. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides. (Fortſetzung.)
Bedenken haben. — Allein Rave wollte nun auch noch
die mala fides anbringen, für deren allgemeine Wirkſam-
keit er ſich, vielen älteren Schriftſtellern folgend, ausge-
ſprochen hatte. Er verlegte daher dieſe in die Zeit nach
abgelaufener Verjährung, wohin ſie gar nicht mehr ge-
hört, und vereinigte ſie mit der Widerlegung der Prä-
ſumtion der Tilgung in der Art, daß dieſelben Thatſachen
dazu dienen ſollten, zugleich die Nichttilgung, und das un-
redliche Bewußtſeyn, zu erweiſen. Alle dieſe von ihm
beyſpielsweiſe angeführte Thatſachen aber ſind dazu durch-
aus nicht genügend. Das außergerichtliche Geſtändniß be-
weißt nur die Meynung des Beklagten über Fortdauer
der Schuld, welche aber irrig ſeyn kann, ſo daß die wirk-
liche Tilgung daneben dennoch möglich, alſo die durch die
lange Zeit begründete Präſumtion nicht widerlegt iſt. Mit
der verſuchten Zerſtörung der Beweisurkunden für die Ent-
ſtehung der Schuld verhält es ſich eben ſo; auch wird
der Schuldner, welcher ſich von Rave’s Theorie durch-
drungen hat, nicht ſo thöricht ſeyn, durch einen ſolchen
Verſuch Verdacht zu erregen, da ja das Daſeyn der un-
verſehrten Urkunden die Präſumtion der Tilgung nicht
entkräften ſoll. Endlich die Mittheilung fremder Perſonen
kann gewiß noch weniger bewirken, als das eigene Ge-
ſtändniß des Schuldners.
So erſcheint alſo dieſe ganze Lehre von allen Seiten
unhaltbar und inconſequent. Kein neuerer Schriftſteller
iſt darauf eingegangen, und es würde keine Veranlaſſung
|0360 : 346|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
geweſen ſeyn, hier davon mehr als im Vorübergehen Mel-
dung zu thun, wenn ſich nicht eine ſehr bedeutende prak-
tiſche Wirkſamkeit daran geknüpft hätte, woran gewiß
jener Schriftſteller am wenigſten gedacht hat.
Das Preußiſche Allgemeine Landrecht nimmt zweyerley
Verjährung an: durch Beſitz und durch Nichtgebrauch.
Die erſte umfaßt die Römiſche Uſucapion, aber auch zu-
gleich die auf dem Beſitz beruhenden Fälle der Römiſchen
Klagverjährung: die zweyte enthält unter andern, aber
als den wichtigſten Beſtandtheil, diejenigen Fälle der Rö-
miſchen Klagverjährung, wobey von einem Beſitz des Be-
klagten gar nicht die Rede iſt, alſo gerade die Fälle, für
welche nach der oben dargeſtellten vierten Meynung die
bona fides nöthig ſeyn ſoll, anſtatt daß die anderen Mey-
nungen ſie hier nicht erfordern (d).
Bey der Vorbereitung des Landrechts gieng Suarez
von folgenden klar und beſtimmt gedachten Sätzen aus.
Die Verjährung durch Nichtgebrauch iſt bloße Strafe der
Nachläſſigkeit des Berechtigten (e); daher kommt es hier auf
das Verhalten des Schuldners, alſo auch auf deſſen bona
fides, gar nicht an (f). Es war eine Folge dieſer Anſicht,
(d) Dieſe allgemeinen Begriffe
der Verjährung und ihrer zwey
Hauptarten erhellen aus: A. L. R.
I. 9 § 500 — 503. Die beſondere
Lehre von der Verjährung durch
Nichtgebrauch ſteht § 535 fg., die
von der Verjährung durch Beſitz
§ 579 fg.
(e) Simon und Strampff
Zeitſchrift des Preuß. Rechts B. 3
S. 421. 482. 512.
(f) Ebendaſ. S. 426. 508. 527.
532.
|0361 : 347|
§. 246. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides. (Fortſetzung.)
daß der gedruckte Entwurf des Geſetzbuches die bona fides
ganz mit Stillſchweigen übergieng.
Als Suarez über die vielen eingegangenen Erinnerun-
gen zu jenem Entwurf einen Vortrag an den Großcanzler
Carmer hielt, zur Vorbereitung für die definitiven Re-
daction, gieng er einen Schritt weiter, und trug auf eine
ausdrückliche Beſtimmung an, wodurch die bona fides für
nicht erforderlich erklärt werden ſollte (g). Unglücklicher-
weiſe aber muß Carmer das Buch von Rave geleſen, und
davon einen tiefen Eindruck empfangen haben; denn hinter
jenem Antrag bemerkt Suarez eine entgegengeſetzte Ent-
ſcheidung in folgenden Worten:
„Conclusum. Es findet der Beweis ſtatt, daß der
Verpflichtete gegen beſſeres Wiſſen von ſeiner noch
fortwährenden (Verbindlichkeit) der Erfüllung ſeiner
Verbindlichkeit ſich entziehen wolle.“
Hieraus ſind nun folgende Stellen unſres Landrechts
hervorgegangen:
Th. 1 Tit. 9 § 568. Die vollendete Verjährung durch
Nichtgebrauch wirkt die rechtliche Vermuthung, daß
die ehemals entſtandene Verbindlichkeit in der Zwi-
ſchenzeit auf eine oder die andere Art gehoben worden.
§ 569. Dieſe Vermuthung kann nur durch den voll-
(g) Ebendaſ. S. 532, aus Vol.
71 num. 42 fol. 71 v. der hand-
ſchriftlichen Materialien. Die von
ihm vorgeſchlagenen §§ lauten ſo:
„Die vollendete Verjährung durch
Nichtgebrauch wirkt eine gänzliche
Befreiung des Verpflichteten von
ſeiner bisherigen Verbindlichkeit.
Dieſe Wirkung wird durch den
Einwand, daß der Verpflichtete
ſeine Verbindlichkeit gewußt habe,
nicht gehindert.“
|0362 : 348|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
ſtändigen Beweis, daß der andere unredlicher Weiſe,
und gegen beſſeres Wiſſen von ſeiner noch fortwäh-
renden Verbindlichkeit, ſich der Erfüllung derſelben
entziehen wolle, entkräftet werden.
In dieſen Worten ſollte augenſcheinlich die Lehre von
Rave ausgedrückt werden (h). Die Aufnahme derſelben
wäre, bey ihrer gänzlichen Unhaltbarkeit, unter allen Um-
ſtänden ein Übel geweſen; ſie war es aber in noch höhe-
rem Grade, da dieſe Stellen unvorbereitet, wie ein frem-
der Körper, eingeſchoben wurden, während die Bearbeitung
der ganzen übrigen Verjährungslehre von anderen Anſich-
ten ausgeht (i).
Daß nun in dieſer Stelle nicht die mala fides in dem
gewöhnlichen Sinne, nämlich das während der laufenden
Verjährung irgend einmal vorhandene Bewußtſeyn der
(h) Wollte man hieran noch
zweifeln, ſo würde man überzeugt
werden durch folgende Bemerkung
von Suarez, womit er jene §§.
(damals mit den Nummern 573.
574.) im verſammelten Staatsrath
vortrug (Simon u. Strampff
a. a. O., S. 580, genommen aus
den Materialien Vol. 88. fol. 48):
„Nach der Praxis wird zwar, ſo-
bald die Friſt abgelaufen iſt, nach
der b. f. nicht mehr gefragt; der
Theorie aber iſt dieſes nicht ge-
mäß. Denn lapsus temporis be-
gründet nur eine praesumtionem
juris für den Präſcribenten, welche
den Beweis des contrarii niemals
ausſchließt“. Die letzten Worte
ſind faſt ganz überſetzt aus dem
Schluß von Rave § 132. — Sua-
rez trat hier als Organ des Groß-
kanzlers auf, trug alſo deſſen theo-
retiſche Meynung vor, nicht ſeine
eigene.
(i) Die hieraus für die Wir-
kung der Verjährung hervorgehen-
den Zweifel und Widerſprüche wer-
den unten bemerkt werden. Zu
dem oben § 245. h. angeführten
Satz des A. L. R. paßt die neue
Beſtimmung nicht. Es findet ſich
vielleicht nur noch eine einzige an-
dere Stelle, worin auf die beiden
oben abgedruckten §§. Beziehung
genommen wird, nämlich A. L. R.
I. 20 § 245.
|0363 : 349|
§. 246. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides. (Fortſetzung.)
Schuld, für ein Hinderniß der Verjährung erklärt werden
ſoll, iſt einleuchtend; denn es wird hier, ganz übereinſtim-
mend mit Rave, die hindernde Unredlichkeit in die gegen-
wärtige Zeit, die Zeit des über die Verjährung geführten
Rechtsſtreits, welcher nur nach Ablauf der von dem
Schuldner behaupteten Verjährung denkbar iſt, geſetzt.
Auch folgt Dieſes aus der andern Vorſchrift des Land-
rechts, nach welcher ſelbſt dem rechtskräftig verurtheilten
Schuldner der Anfang einer neuen Verjährung durch Nicht-
gebrauch geſtattet wird (k), in welchem Fall der Schuldner
ganz unfehlbar das Bewußtſeyn des Daſeyns einer Schuld
gehabt haben muß. Endlich folgt es auch ſchon daraus,
daß der § 568 die Präſumtion der Tilgung geradezu für
das Weſen der Verjährung erklärt; da nun die Tilgung
faſt nie ohne das Bewußtſeyn des Schuldners von dem
Daſeyn der Schuld geſchieht (§ 245. d), ſo kann nicht das
Landrecht dieſes Bewußtſeyn für ein Hinderniß der Ver-
jährung anſehen.
Welches aber der eigentliche Sinn der Stelle iſt, und
wie ſie zur Anwendung gebracht werden ſoll, das iſt nicht
ſo leicht zu ſagen. Die erfahrenſten Praktiker, die ich
darüber befragte, haben mir die verſchiedenſten Antworten
gegeben; darin aber waren ſie Alle einverſtanden, daß jene
Stelle nicht häufig zur Anwendung komme, nur unnöthige
(k) A. L. R. I. 9 § 558. Bey
der Verjährung durch Beſitz iſt
gerade das Gegentheil vorgeſchrie-
ben, eben weil hier bona fides
erfordert wird; I. 9 § 592.
|0364 : 350|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Zweifel errege, und beſſer nicht vorhanden wäre. Damit
ſtimmen auch die meiſten Schrifſteller überein; ſie ſuchen
der Stelle den Sinn unterzulegen, daß die Verjährung
ausgeſchloſſen werde durch unredliche Handlungen des
Schuldners, wodurch er die Anſtellung der Klage verhin-
dere, alſo den Ablauf der Verjährung ſelbſt herbey führe (l).
Dieſe Behauptung iſt, was den praktiſchen Erfolg be-
trifft, unbedenklich zuzugeben, und auch ſchon im Römiſchen
Recht als wahr anerkannt (§ 245. i); aber in der beſtritte-
nen Stelle des Landrechts iſt dieſer Satz nicht enthalten.
Denn der Dolus, an welchen jene Schriftſteller denken,
fällt immer wieder in die Zeit der noch laufenden Verjäh-
rung, anſtatt daß die Stelle des Landrechts die hindernde
Unredlichkeit in die ſpätere Zeit verſetzt. — Ein einziger
Schriftſteller hat jene Stelle des Landrechts, jedoch nur
theilweiſe, in Schutz genommen, ihr aber zugleich einen
Sinn untergelegt, der nicht wohl darin gefunden werden
kann (m).
(l) Rönne Anmerk. zu Klein’s
Preuß Civilrecht B. 1 § 222 (1830).
Temme Preuß. Civilrecht § 346
(1832). Thöne Preuß. Privatrecht
B. 2 § 299. 300 (1835). In demſel-
ben Sinn ſprach ſich im J. 1789
die Geſetzcommiſſion aus (Klein’s
Annalen B. 6 S. 311); zur In-
terpretation des weit neueren Land-
rechts kann dieſer Ausſpruch na-
türlich nicht benutzt werden.
(m) Bornemann Preuß. Ci-
vilrecht B. 2 § 120. 128. 129.
(1834). Er wendet eine bisher
ganz unbekannte, auch dem Sinn
des Landrechts fremde, Diſtinction
an, zwiſchen Obligationen aus ei-
nem ſpeciellen Titel (wie Kauf
oder Darlehen) und aus einem
allgemeinen Rechtsgrund (wie Ge-
währ für Fehler einer erkauften
Sache, oder Beſchädigung); bey
den letzten ſoll die bona fides
nicht nöthig ſeyn, wohl aber bey
den erſten, jedoch auch hier in ei-
nem ganz andern Sinn, als ſie
bis jetzt allgemein verſtanden wor-
den iſt. Ich halte dieſe Unter-
|0365 : 351|
§. 246. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides. (Fortſetzung.)
In den gedruckten Vorarbeiten zur Geſetzreviſion wird
darauf angetragen, ausdrücklich zu erklären, daß die bona
fides kein Erforderniß der Klagverjährung ſey. — Bey
Gelegenheit des Preußiſchen Geſetzes über kürzere Ver-
jährungsfriſten (§ 239. t) war davon die Rede, die §§.
568. 569. ſchon jetzt, vor der vollendeten Reviſion, auf-
zuheben, ohne etwas Anderes an ihre Stelle zu ſetzen.
Es unterblieb blos deswegen, weil dieſe §§. zugleich die
Wirkung der Berjährung angeben, worüber nicht ohne
eine erſchöpfende Erwägung aller Beziehungen dieſes Rechts-
inſtituts entſchieden werden kann; über die gänzliche Ver-
werflichkeit jener Stelle zeigte ſich durchaus keine Verſchie-
denheit der Meynungen.
Das Franzöſiſche Geſetzbuch behandelt dieſen Gegen-
ſtand auf etwas durchgreifende, aber einfache und prak-
tiſche Weiſe. Bey der regelmäßigen, dreyßigjährigen Klag-
verjährung ſoll es auf bona fides gar nicht ankommen (n).
Bey den beſonderen, kurzen Verjährungsfriſten kann der
Glaubiger dem Schuldner den Eid über wirklich geleiſtete
Zahlung zuſchieben (o). Hier wird alſo geradezu die Prä-
ſumtion der Tilgung als einziger Grund und Bedingung
der Klagverjährung angenommen, wodurch die Frage nach
ſcheidung in der Theorie für un-
begründet, praktiſch kaum durchzu-
führen, nnd kann nicht glauben,
daß ſie von Anderen überzeugend
gefunden werden wird. — Übri-
gens bezeugt er, daß das Kam-
mergericht von jeher gar keine bona
fides zur Klagverjährung gefor-
dert habe.
(n) Code civil art. 2262.
(o) Code civil art. 2275.
|0366 : 352|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
der Redlichkeit gewiſſermaßen umgangen oder abſorbirt
wird. Bey ſo kurzen Friſten, wobey die Erinnerung meiſt
beſtimmte Auskunft geben wird, iſt dieſe Beſtimmung aus-
führbar, bey langen Friſten würde ſie unſichere und oft
harte Erfolge herbey führen.
§. 247.
Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Bedingungen.
d. Ablauf der Zeit.
Die regelmäßige Zeit, welche zur Vollendung der Ver-
jährung erfordert wird, beträgt dreyßig Jahre (§ 238).
Von dieſer Regel giebt es eine große Zahl von Aus-
nahmen für einzelne Klagen, welche meiſt weniger, ſelten
mehr als dreißig Jahre dauern; dieſe gehören dem ſpeciel-
len Theile des Rechtsſyſtems an. Hier aber ſind diejeni-
gen Ausnahmen darzuſtellen, welche eine allgemeinere Na-
tur haben, alſo ganze Klaſſen von Klagen umfaſſen, und
daher keine eigenthümliche Stelle an irgend einem Punkte
des ſpeciellen Syſtems finden können.
I. Longi temporis praescriptio von Zehen oder Zwan-
zig Jahren. Sie hat eine umfaſſende Natur, indem ſie
ſich auf alle speciales in rem actiones bezieht, das heißt
auf alle Klagen, die aus dinglichen Rechten entſpringen.
Sie kann hier nicht dargeſtellt werden, ſondern nur im
Zuſammenhang mit der Uſucapion, mit welcher ſie durch
ihre Entſtehung und Ausbildung unzertrennlich verbun-
den iſt.
|0367 : 353|
§. 247. Klagverjährung. Bedingungen. Zeitablauf.
II. Die prätoriſchen Klagen.
Gajus und die Inſtitutionen ſtellen die Sache ſo dar,
als gelte für alle dieſe Klagen die einjährige Verjährung
als Regel, wovon es nur einzelne Ausnahmen gebe (a).
Nach der genaueren Angabe des Paulus und Ulpian gilt
die Regel nur für die Pönalklagen aus dem Edict, nicht
für die das Vermögen erhaltenden Klagen (b). Noch ſpe-
cieller iſt Dieſes dahin zu beſtimmen, daß ſowohl die ein-
ſeitigen als die zweyſeitigen Strafklagen der einjährigen
Verjährung unterworfen ſind (c). Daher ſind einjährig
die doli actio (d), desgleichen die poſſeſſoriſchen Inter-
dicte (e), obgleich dieſe Klagen niemals den Kläger berei-
chern, jedoch oft den Beklagten, wie durch eine Strafe,
(a) Gajus IV. § 110. 111, pr.
J. de perpetuis (4. 12.). Als
Ausnahmen werden hier genannt:
die Klagen des prätoriſchen Erben
(gegen die Schuldner des Erblaſ-
ſers) und die actio furti mani-
festi. Dieſe letzte iſt eine wahre
Ausnahme von der richtig gefaß-
ten Regel, und beruht als Aus-
nahme auf gutem Grunde. — Vgl.
über die Verjährung der prätori-
ſchen Klagen Unterholzner I.
§ 12, II. § 269. 270. 272.
(b) L. 35 pr. de O. et A. (44.
7.), L. 3 § 4 nautae (4. 9.), L.
21 § 5 rer. amot. (25. 2.).
(c) Offenbar unrichtig ſagt Pau-
lus in L. 35 pr. cit., nachdem
er die Regel aufgeſtellt hat, die
prätoriſchen Klagen auf rei per-
secutio ſeyen perpetuae: „Illae
autem rei persecutionem con-
tinent, quibus persequimur, quod
ex patrimonio nobis abest.”
Wäre dieſe Beſtimmung richtig,
ſo müßten die einſeitigen Strafkla-
gen perpetuae ſeyn, die doch in
der That einjährig ſind (Note d. e.)
(d) Nämlich nach dem prätori-
ſchen Edict; ſpäter wurde dieſer
annus utilis in ein biennium
continuum verwandelt. L. 8 C.
de dolo (2. 21.). — Die ein-
jährige Verjährung der Injurien-
klage (L. 5 C. de injur. 9. 35.)
iſt gleichfalls eine reine Anwen-
dung der allgemeinen Regel, be-
zieht ſich aber auf eine zweyſei-
tige Strafklage.
(e) L. 1 pr. de vi (43. 16.),
L. 1 pr. uti poss. (43. 17.)
V. 23
|0368 : 354|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
poſitiv ärmer machen. — Vielleicht die einzige wahre
Ausnahme der ſo gefaßten Regel findet ſich bey der actio
furti manifesti (Note a). Die von Paulus angedeutete
zweyte Ausnahme, wenn die publiciana actio auf der Re-
ſtitution gegen eine vollendete Uſucapion gegeben wird (f),
kann als Ausnahme nicht zugegeben werden. Denn hier
bezieht ſich die Verjährung gar nicht auf die Klage, ſon-
dern auf die von einer Klage ganz verſchiedene Reſtitu-
tion; bey dieſer aber iſt die einjährige Verjährung ſtets
wirkſam, ohne Unterſchied ob die Reſtitution zu einer
Klage, oder einer Exception, oder irgend einem anderen
Rechtsverhältniß den Weg bahnen ſoll.
Man könnte zweifeln ob die einjährigen Verjährungen,
eben ſo wie die längeren, unter der Form einer Exception
geltend gemacht wurden, weil bey jenen der Name prae-
scriptio oder exceptio ſelten vorkommt. In einigen Stel-
len jedoch erſcheint derſelbe wirklich (g), und der ſeltnere
Gebrauch erklärt ſich aus dem Umſtand, daß bey dieſen
kurzen Verjährungen, bey welchen alle Thatſachen noch in
friſchem Andenken ſind, der Prätor ſelbſt meiſt über dieſe
Einwendung unmittelbar entſcheiden konnte, ohne dieſelbe
in Geſtalt einer Exception an den Judex zu verweiſen.
III. Die den Kirchen nnd milden Stiftungen zuſtehen-
(f) L. 35 pr. de O. et A.
(g) L. 30 § 5 de peculio (15.
1.) „Si annua exceptione sit
repulsus a venditore creditor
..” L. 15 § 5 quod vi (43. 24.)
causa cognita annuam excep-
tionem remittendam ..” S. o.,
B. 4 S. 299. — Wie dieſer Um-
ſtand von Donellus überſehen
worden iſt, ſ. u. §. 248.
|0369 : 355|
§. 247. Klagverjährung. Bedingungen. Zeitablauf.
den Klagen (h).
Die verwickelte und theilweiſe beſtrittene Geſchichte die-
ſer Ausnahme beruht auf folgenden Thatſachen.
Im Jahre 528 erließ Juſtinian ein Geſetz (i), worin
er für die Klagen der Kirchen und milden Stiftungen aus
Erbſchaften, Legaten, Schenkungen, und Kaufcontracten,
eine hundertjährige Verjährung vorſchrieb. Daſſelbe Recht
ſollte gelten für ſolche Klagen der Stadtgemeinden; außer-
dem auch für Erbſchaften, Vermächtniſſe, und Schenkun-
gen zum Loskauf von Gefangenen. Bey allen dieſen Be-
ſtimmungen ſollte es keinen Unterſchied machen, ob die
Klagen in rem oder in personam wären; auch wurde
keine Ausnahme für die auf kurze Verjährungsfriſten an-
gewieſene Klagen hinzugefügt. — Nach den Worten könnte
man das Geſetz auf die oben angedeuteten ſpeciellen Kla-
gen der Kirchen und Städte beſchränken; es iſt jedoch
wahrſcheinlicher, daß es ganz allgemein auf alle Klagen
jener juriſtiſchen Perſonen angewendet werden ſollte, und
daß jene Ausdrücke nur auf die gewöhnlichſte Entſtehung
des Vermögens derſelben hinzudeuten beſtimmt waren. Für
dieſe ausgedehnte Auslegung ſpricht der Umſtand, daß ſpä-
tere Geſetze, die ſich theils an jenes Geſetz anſchließen,
theils den Inhalt deſſelben angeben (k), eine Beſchränkung
auf gewiſſe Klaſſen von Klagen durchaus nicht erwähnen (l).
(h) Sehr gut handelt von die-
ſem Gegenſtand Unterholzner I.
§ 40—44.
(i) L. 23. C. de SS. eccles.
(1. 2.)
(k) Die Nov. 9 und Nov. 111
prooem.
(l) Unterholzner I. § 40. 41.
23*
|0370 : 356|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Die Novelle 9 (J. 535) wendete dieſes, zunächſt für
die Kirchen des Orients eingeführte Privilegium unver-
ändert auf ſämmtliche Kirchen des Occidents an, die hier
unter dem collectiven Namen der ecclesia Romana aufge-
führt waren. Es ſollte keinen Unterſchied machen, ob das
Vermögen dieſer Kirchen im Occident oder Orient läge.
Hierauf folgte die Novelle 111 (J. 541). Sie be-
ſchränkte die 100 Jahre der Kirchen und Stiftungen auf
40 Jahre, ſo daß ſie nur noch eine Verlängerung von
Zehen Jahren gegen die gewöhnliche Verjährungsfriſt ge-
nießen ſollten; dieſe ſollte aber nur ihnen allein zukommen,
für alle andere Perſonen und Rechtsſachen ſollte die Re-
gel der 30 Jahre gelten (m). Auch bey den Kirchen ſoll-
ten die bisher beobachteten Ausnahmen von dem Privile-
gium, unter andern die dreyjährigen Verjährungen, noch
ferner beybehalten werden (n).
Die Novelle 131 Kap. 6 iſt blos eine kurze Wieder-
holung des eben erwähnten Geſetzes. Sie enthält nur die
beſtimmtere Vorſchrift, daß die 40 Jahre da gelten ſollten,
wo außerdem 10 oder 20 oder 30 Jahre gegolten haben
würden. Als Abänderung war Dieſes nicht gemeynt, ſon-
(m) Damit ſollte augenſchein-
lich die hundertjährige Verjährung
der Stadtgemeinden aufgehoben
ſeyn.
(n) Mit dem triennium iſt die
Uſucapion gemeynt. Die übrigen,
nicht näher bezeichneten, Ausnah-
men, gehen ohne Zweifel auf alle
Verjährungen unter Zehen Jahren.
Alle dieſe Ausnahmen werden in
der L. 23 C. de SS. eccl. (1. 2.)
nicht erwähnt, wahrſcheinlich hatte
ſie der Gerichtsgebrauch eingeführt.
Bey Gratian (c. 16 C. 16. q. 3.)
und in der Auth. Quas actiones
C. de SS. eccl. (1. 2.) werden
Drey und Vier Jahre als Aus-
nahmen genannt.
|0371 : 357|
§. 247. Klagverjährung. Bedingungen. Zeitablauf.
dern nur als beſtimmtere Bezeichnung der ſchon in der No-
velle 111 vorbehaltenen Ausnahmen von dem Privile-
gium (o).
Die Richtigkeit der hier angegebenen geſetzlichen Be-
ſtimmungen wird durch mehrere Stellen des canoniſchen
Rechts beſtätigt. So wird im fünften Jahrhundert an-
erkannt, daß unter Kirchen die allgemeine dreyßigjährige
Verjährung gleichfalls gelte (p), weil damals noch nicht
das erſt von Juſtinian herrührende Privilegium eingeführt
war. Im J. 591 aber wurde anerkannt, daß auch der
Pabſt nur eine Verjährungsfriſt von 40 Jahren zu genie-
ßen habe (q), weil Juſtinian das Privilegium von 100 Jah-
ren ganz allgemein aufgehoben hatte.
In der Folge bildete ſich jedoch durch Gerichtsgebrauch
folgende Regel aus. Die Kirchen überhaupt haben 40 Jahre,
die ecclesia Romana aber, das heißt die Kirche des Pab-
ſtes ſelbſt, hat ausnahmsweiſe 100 Jahre. Veranlaßt war
ohne Zweifel dieſe neue Ausnahme durch den Buchſtaben
der Novelle 9, welche jedoch ganz aus ihrem hiſtoriſchen
Zuſammenhang geriſſen werden mußte, um zu einem ſol-
chen Erfolg zu führen; denn theils war nun der Ausdruck
(o) Dieſe Behauptung wird er-
klärt und gerechtfertigt durch die
in der vorhergehenden Note ent-
haltene Bemerkung. Zur Beſtäti-
gung dient das Verfahren, wel-
ches hierin Julian eingeſchlagen
hat. Er excerpirt in ſeiner Const.
104, als geltendes Recht, lediglich
die Nov. 111; in ſeiner Const. 8.
führt er die Nov. 9 zwar auf,
aber ohne ſie zu excerpiren, weil
ſie aufgehoben ſey; die Nov. 131
K. 6 übergeht er ganz mit Still-
ſchweigen.
(p) c. 1 C. 16 q. 3.
(q) c. 2 C. 16 q. 4.
|0372 : 358|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
ecclesia Romana in einem ganz neuen, willkührlichen Sinn
genommen, da er urſprünglich blos den Gegenſatz gegen
die orientaliſchen Kirchen bezeichnen ſollte: theils war die
gänzliche Aufhebung der Novelle 9, die der Zeitgenoſſe
Julian ausdrücklich bezeugt, überſehen.
Die erſte Anerkennung jenes neuen Rechtsſatzes findet
ſich um das J. 878 (r). Nachher hat Irnerius denſelben
Satz ausgeſprochen (s). Er wurde endlich beſtätigt durch
Decretalen von Innocenz III. (t) und Bonifacius VIII. (u).
Aus dieſer geſchichtlichen Überſicht ergiebt ſich zugleich,
für welche Fälle das Privilegium der 40 Jahre gelten
ſoll. Es tritt an die Stelle der außerdem geltenden 10,
20, 30 Jahre, iſt alſo, im Sinn von Juſtinian, gewiß
auch anwendbar auf die Uſucapion der Immobilien. Da-
gegen bleiben unverändert, alſo von dem Privilegium un-
berührt, alle kürzere Klagverjährungen, und neben dieſen
(r) c. 17 C. 16 q. 3, von P.
Johannes VIII.
(s) Auth. Quas actiones C.
de SS. eccl. (1. 2.) „Quas actio-
nes alias decennalis, alias vi-
cennalis, alias tricennalis prae-
scriptio excludit: hae, si loco
religioso competant, quadra-
ginta annis excluduntur: usu-
capione triennii, vel quadrien-
nii praescriptione, in suo ro-
bore durantibus: sola Romana
ecclesia gaudente centum an-
norum spatio vel privilegio.”
— Mit Unrecht hat Irnerius we-
gen dieſer Stelle viel leiden müſ-
ſen als Verfälſcher des Römiſchen
Rechts. Allerdings ſteht in der
Überſchrift als Quelle nur Nov.
131 C. 6, er hat aber dieſe aus
der Nov. 111 und dem längſt un-
zweifelhaften Gerichtsgebrauch er-
gänzt, ſo daß man ihm nicht den
Vorwurf machen darf, er ſelbſt
habe die Nov. 9 misverſtanden und
unrichtig angewendet. Vgl. Sa-
vigny Geſchichte des R. R. im
Mittelalter B. 2 § 70.
(t) C. 13. 14. 17 X. de prae-
script. (2. 26.) um 1206.
(u) C. 2 X. de praescr. in
VI, (2. 13.) um 1300.
|0373 : 359|
§ 247. Klagverjährung. Bedingungen. Zeitablauf.
auch die von Juſtinian ausdrücklich erwähnte dreyjährige
Uſucapion der beweglichen Sachen (v).
IV. Die Klagen der Städte ſollten, nach Juſtinians
erſtem Geſetz, eben ſo wie die der Kirchen, 100 Jahre
dauern (Note i). Durch eines ſeiner ſpäteren Geſetze hat
er dieſes Privilegium ganz aufgehoben, alſo die Städte
unter die Regel der 30 Jahre zurück geführt (Note m).
Weil aber hier die Städte nicht ausdrücklich genannt ſind,
ſo glauben Manche irrigerweiſe, die 100 Jahre dauerten
bey ihnen fort; Andere, ſie ſeyen in das neuere Privile-
gium der Kirchen (40 Jahre) ſtillſchweigend mit einge-
ſchloſſen, und auch die Gerichte haben ſich von dieſen Irr-
thümern nicht immer frey erhalten (x).
V. Die Klagen des Fiscus. Bey dieſem Gegenſtand
hat man weniger über ſtreitende Meynungen, als über
gänzlichen Mangel an ernſter, gründlicher Unterſuchung
zu klagen.
Vor Allem müſſen unterſchieden werden die Klagen aus
den eigenthümlichen Rechten des Fiscus, wie Strafen
(v) Unterholzner I. § 41.
Durch dieſe Beſchränkung ver-
ſchwindet denn auch der Vorwurf
der Unausführbarkeit, der ſonſt bey
manchen kurzen Klagverjährungen
eintreten würde. Denn allerdings
wäre es widerſinnig, wenn z. B.
die actio redhibitoria oder
quanti minoris von einer Kirche
40 Jahre lang angeſtellt werden
könnte.
(x) Bülow und Hagemann
practiſche Erörterungen B. 4 Num. 5.
Unterholzner I. § 45. — Das
Dictatum de consiliariis be-
trachtet das Privilegium der Städte
als gültig. Savigny Geſchichte
des R. R. im Mittelalter B. 2
§ 70, Zeitſchrift für geſchichtliche
Rechtswiſſ. B. 5 S. 343. 344.
|0374 : 360|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
u. ſ. w., und die dem Fiscus zuſtehenden gemeinrechtlichen
Klagen.
A) Die beſonderen Fiskalklagen werden verjährt in
20 Jahren, und dieſe Regel iſt ſogar entſtanden in einer
Zeit, worin noch alle Klagen in der Regel ganz ohne Ver-
jährung waren (y).
Daneben aber finden ſich wieder zwey ſpeciellere Aus-
nahmen. Der Anſpruch des Fiscus auf erbloſes Vermö-
gen verjährt ſchon in Vier Jahren (z). Dagegen ſind die
Steuerforderungen für ganz unverjährbar noch in dem
neueſten Recht erklärt (aa).
B) Die gemeinrechtlichen Klagen, worin der Fiscus,
ſo wie jede andere Perſon, als Eigenthümer, Glaubiger
u. ſ. w. auftritt, ſind der gewöhnlichen Verjährung von
30 Jahren unterworfen. Man beruft ſich zwar auf ein
Geſetz von Anaſtaſius, welches eine vierzigjährige Ver-
jährung vorſchreibe; allein dieſes Geſetz ſpricht von einer
ganz einzelnen Klage, der Vindication von Patrimonial-
grundſtücken (bb). Es beruft ſich dabey gar nicht etwa
auf ein allgemeines Privilegium des Fiscus, welches ſchon
deswegen nicht möglich iſt, weil es hierin den Fiscus mit
(y) L. 13 pr. de div. temp.
praescr. (44. 3.), L. 2 § 1 L. 3
L. 4 de requirendis (48. 17.),
L. 1 § 3 de j. fisci (49. 14.).
(z) L. 1 C. de quadr. prae-
scr. (7. 37.).
(aa) L. 6 C. de praescript.
XXX. (7. 39.), vgl. oben § 238. o.
— In dem Preußiſchen Geſetz vom
18. Jun. 1840. (Geſetzſammlung
1840 S. 140) haben gerade die
Steuerforderungen ſehr kurze Ver-
jährungen erhalten.
(bb) L. 14 C. de fundis pa-
trim. (11. 61.); dieſe Verjährung
ſollte gelten ſowohl für den Beſitz
mit Entrichtung eines Canons, als
für die Befreyung vom Canon.
|0375 : 361|
§. 247. Klagverjährung. Bedingungen. Zeitablauf.
den Tempeln gleichſtellt, zu einer Zeit, wo an eine vier-
zigjährige Verjährung der Kirchen noch gar nicht gedacht
wurde. Dieſe beſondere Art von Domänengütern aber
kommen im heutigen Recht nicht mehr vor. — Dagegen
findet ſich eine unzweydeutige Beſtätigung der 30 Jahre
in folgender Beſtimmung. Wenn im Namen der res pri-
vata des Kaiſers auf flüchtige Colonen geklagt wird, ſo
gilt die gewöhnliche Verjährung von 30 Jahren (cc). An-
derwärts aber iſt ausdrücklich anerkannt, daß die res pri-
vata alle Vorrechte des Fiscus genieße (dd). — Höchſtens
kann man zugeben, daß vielleicht dieſe gewöhnlichen Kla-
gen des Fiscus unter diejenigen gehörten, für welche die
dreyßigjährige Verjährung durch willkührliche Auslegungen
außer Anwendung blieb (§ 238). Eine wirkliche Anerken-
nung aber hat dieſe Exemtion in unſren Rechtsquellen nicht
gefunden.
Neuere Schriftſteller verſichern, einer nach dem andern,
daß 40 Jahre nach der Praxis entſchieden ſeyen (ee). Sie
pflegen aber nicht Präjudicien anzugeben, welche Gegen-
ſtand einer genaueren Prüfung ſeyn könnten; auch ſprechen
ſie ſo allgemein, daß man ihre Behauptung ſelbſt auf die
eigenthümlichen Fiscalklagen beziehen möchte, im Wider-
ſpruch mit den klarſten Ausſprüchen des Römiſchen Rechts.
(cc) L. 6 C. de fundis rei
priv. (11. 65.).
(dd) L. 6 § 1 de j. fisci
(49. 14.).
(ee) Thibant Verjährung S.
97. 129. Unterholzner I. § 46.
II. § 259. Göſchen I. S. 437.
Bangerow I. S. 173.
|0376 : 362|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Bey dem Ablauf der Zeit ſind noch folgende allgemei-
nere Fragen zu beantworten:
Zuerſt die Art der Berechnung. Bey den Verjährun-
gen von Einem Jahr oder weniger gilt utile tempus, bey
längeren continuum. — Bey allen Klagverjährungen wird
die civile Zeitrechnung in der Art angewendet, daß die
Verjährung erſt vollendet iſt mit dem Ablauf des Kalen-
dertages, in deſſen Umfang der natürlich berechnete End-
punkt (das momentum temporis) liegt (ff).
Wichtiger iſt die Frage, ob der Ablauf der Zeit nur
unter denſelben Individuen eintreten kann, unter welchen
die Klagverjährung angefangen hat, oder ob in den Lauf
derſelben auch andere Individuen durch accessio temporis
eintreten können. Nach allgemeinen Grundſätzen kann die
Beantwortung dieſer Frage nicht zweifelhaft ſeyn. Die
Rechtsform, unter welcher die Klagverjährung bewirkt
wird, iſt die einer Exception; Exceptionen aber gehen in
der Regel von beiden Seiten auf Erben und Singular-
ſucceſſoren über, mit Ausnahme der ſeltneren Fälle, worin
die Exception auf einem ganz individuellen Verhältniß be-
ruht (§ 227). Daß nun der Fall dieſer Ausnahme bey
der temporalis praescriptio nicht vorhanden iſt, wird Je-
der zugeben. Von dieſem Standpunkt aus müſſen wir
ſagen: der Vortheil der Verjährung gebührt dem urſprüng-
lichen Beklagten, dem Erben deſſelben, dem Käufer, Do-
natar u. ſ. w., aber nicht denjenigen Perſonen, die ohne
(ff) Vgl. oben B. 4 § 185. 189. 190.
|0377 : 363|
§. 247. Klagverjährung. Bedingungen. Zeitablauf.
Succeſſion den Beſitz der Sache (bey einer in rem actio)
erlangt haben. Der Nachtheil der Verjährung trifft den
urſprünglichen Kläger, den Erben deſſelben, und eben ſo
den Ceſſionar, bey Klagen ſowohl in rem als in perso-
nam. — Eine Beſtätigung dieſer Annahme liegt auch darin,
daß in den Geſetzen meiſt nur davon die Rede iſt, ob die
Klage zu rechter Zeit angeſtellt worden iſt oder nicht,
wobey die Perſonen in den Hintergrund treten; es kommt
alſo, bey veränderten Perſonen, immer nur darauf an,
ob es dieſelbe Klage iſt, deren Verjährung früher an-
gefangen hatte, und jetzt als vollendet behauptet wird.
Fragen wir nach den Ausſprüchen unſrer Rechtsquel-
len. Die angefangene, unvollendete Uſucapion wurde zu
allen Zeiten fortgeſetzt in der Perſon des Erben, der mit
dem Erblaſſer nach jus civile identiſch iſt (gg); nicht aber
in der Perſon eines Käufers oder Beſchenkten. Der Grund
lag in der ſtreng civilen Natur der Uſucapion; eben da-
her aber wurde von jeher bey der longi temporis prae-
scriptio, die auf freyer aequitas beruhte, die accessio tem-
poris ohne Einſchränkung zugelaſſen (hh). Allmälig wurde
ſie auch in einzelnen Fällen der Uſucapion angewendet, bis
endlich Juſtinian ſie hier ganz allgemein vorſchrieb (ii).
(gg) L. 30 pr. ex quib.
caus. (4. 6.).
(hh) L. 14. 15 de div. temp.
praescr. (44. 3), L. 76 § 1 de
contr. emt. (18. 1.), welche Stelle
offenbar nur von der l. t. prae-
scriptio, nicht von der Uſucapion
ſpricht. — Dieſelbe accessio galt
bey dem Interdict utrubi, wo ſie
jedoch nicht eine Klagverjährung
zu vermitteln beſtimmt war. Auf
dieſe Anwendung bezieht ſich L. 13
de adqu. poss. (41. 2.).
(ii) § 12. 13 J. de usuc. (2. 6.),
|0378 : 364|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Als nun die umfaſſende dreyßigjährige Klagverjäh-
rung eingeführt wurde, in einer Zeit worin ohnehin die
Strenge des alten Civilrechts faſt nur noch als hiſtoriſche
Erinnerung übrig war, konnte wohl Niemand daran zwei-
feln, daß hier dieſelbe accessio temporis, wie bey der
longi temporis praescriptio, angewendet werden müſſe;
es konnte hier um ſo weniger zweifelhaft ſeyn, weil nur
ſelten 30 Jahre unter den unveränderten urſprünglichen
Perſonen ablaufen werden. Wahrſcheinlich haben es des-
wegen die Kaiſer nicht einmal der Mühe werth erachtet,
über eine ſo unzweifelhafte Frage eine ausdrückliche Be-
ſtimmung zu geben. Wenn aber auch früher noch irgend
ein Zweifel an der unbeſchränkten Anwendbarkeit der ac-
cessio auf die Klagverjährung möglich geweſen wäre, ſo
hätte dieſer wenigſtens ganz verſchwinden müſſen, ſeitdem
Juſtinian ſie für die weit ſtrengere Uſucapion vorgeſchrie-
ben hatte (Note ii).
Blos beyläufig kommen im neueſten Recht folgende
Äußerungen vor, welche ganz misbraucht werden würden,
wenn man aus den nicht völlig beſtimmten Ausdrücken
einiger derſelben, allgemeine Regeln bilden wollte, die mit
den hier aufgeſtellten Grundſätzen im Widerſpruch ſtänden.
Eine reine Anwendung dieſer Grundſätze iſt es, wenn
für die vierzigjährige Verjährung der Hypothekarklage der
Schuldner ſelbſt mit ſeinem Erben als identiſch behan-
L. un. C. de usuc. transform. (7. 31.).
|0379 : 365|
§. 247. Klagverjährung. Bedingungen. Zeitablauf.
delt wird (kk). — Etwas zweydeutiger aber ſind folgende
Stellen.
Juſtinian ſagt, wenn nach vollendeter Verjährung der
Eigenthumsklage der Beſitz an einen neuen Beſitzer komme,
ſo könne gegen dieſen der Eigenthümer wieder vindiciren;
natürlich wird dabey ſtillſchweigend vorausgeſetzt, daß der
neue Beſitzer den Beſitz durch Gewalt oder Zufall erlangte,
nicht durch Kauf von Demjenigen, der die temporis prae-
scriptio erworben hatte (ll). — Umgekehrt ſagt eine Ver-
ordnung von Anaſtaſius, bey den 40 Jahren für die Vin-
dication der Patrimonialgüter dürfe der gegenwärtige Be-
ſitzer die Zeit ſeines Vorbeſitzers hinzu rechnen (mm); auch
dabey iſt ſtillſchweigend vorausgeſetzt, daß zwiſchen beiden
Beſitzern ein Succeſſionsverhältniß Statt fand, und es
würde hier eben ſo unrichtig ſeyn, wie bey jenem Geſetz
von Juſtinian, aus der Unbeſtimmtheit des Ausdrucks eine,
allen Rechtsgrundſätzen widerſprechende, Folgerung zu
ziehen.
(kk) L. 7 § 1 C. de praescr.
XXX. (7. 39.).
(ll) L. 8 § 1 C. de praescr.
XXX. (7. 39.) verb. „Sin vero
nullum jus in eadem re quo-
cunque tempore habuit” etc.
So würde nicht von einem neuen
Beſitzer geſprochen werden, der die
Sache von dem verjährenden Be-
ſitzer gekauft hätte, und eben ſo
wenig würde derſelbe in den fol-
genden Worten ein injustus pos-
sessor genannt werden; für den
Käufer alſo iſt der Anſpruch auf
die temporis praescriptio hier
nicht verneint. Außerdem aber
ſpricht auch die Stelle nicht von
dem, welcher vor vollendeter Ver-
jährung in den Beſitz eintritt; be-
ſonders aber gar nicht von der
Verjährung der perſönlichen Klagen.
(mm) L. 14 C. de fundis
patr. (11. 61.) „.. possessione
scilicet non solum eorum qui
nunc detinent, verum etiam
eorum, qui antea possederant,
computanda.”
|0380 : 366|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Dennoch hat es auch in der neueſten Zeit an Misver-
ſtändniſſen über dieſe ſehr ſicheren Rechtsſätze nicht gefehlt,
und dabey haben die eben angeführten Stellen zur Ver-
anlaſſung gedient (nn).
§. 248.
Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Wirkung.
Francke civiliſtiſche Abhandlungen (1826) Num. 2.
v. Löhr, Archiv B. 10 S. 72—84 (1827).
Guyet, Archiv B. 11 Num. 5 (1828).
Heimbach, Linde’s Zeitſchrift B. 1 Num. 22 (1828).
Vermehren, Linde’s Zeitſchrift B. 2 Num. 9 (1829).
Büchel, Erörterungen Heft 1. Marburg 1832.
Die Unterſuchung dieſer Frage, welche in neuerer Zeit
ein ſehr beliebtes Thema geweſen iſt, wurde von Anfang
an erſchwert und verwirrt durch eine falſche Stellung der
zu beantwortenden Frage. Man fragte nämlich ſtets, ob
durch die Verjährung das Recht ſelbſt, oder nur die
Klage verloren werde, und durch dieſen Ausdruck wurde
man in den wichtigſten und ſchwierigſten Fällen unver-
(nn) Reinhardt Usucapio
und praescriptio Stuttgart 1832
S. 263, und Kierulff S. 200,
verneinen die accessio bey der
Klagverjährung wegen L. 8 C. de
pr. XXX. (Note ll), und ſie thun
Dieſes in ſo allgemeinen Aus-
drücken, daß man glauben möchte,
ſie wollten ſelbſt den Erben aus-
ſchließen. Der zweyte bezieht die
L. 76 § 1 de contr. emt. (No-
te hh) ganz unrichtig auf die Er-
ſitzung, da die longi temporis
praescriptio, wovon ſie redet,
eben ſo eine Klagverjährung iſt,
wie die dreyßigjährige.
|0381 : 367|
§. 248. Klagverjährung. Wirkung.
merkt von den im Römiſchen Recht herrſchenden Begriffen
entfernt. Vor aller Unterſuchung iſt es einleuchtend, daß
der Gegenſatz jener Ausdrücke dazu dienen ſollte, eine ſtär-
kere und eine ſchwächere Wirkung der Verjährung zu
unterſcheiden; und in der That haben ſich hiernach die
Schriftſteller größtentheils in Zwey Parteyen geſondert,
nur noch mit einigen untergeordneten Modificationen.
Fragen wir zuerſt nach der Wirkung der Klagverjäh-
rung bey den Klagen in rem, als deren Repräſentanten
wir die Eigenthumsklage betrachten wollen. Hier gerade
hat jener Ausdruck der Frage eine ſehr beſtimmte Bedeu-
tung, aber hier kann auch die Antwort gar nicht zweifel-
haft ſeyn für Den, welcher nicht vorgefaßte Meynungen,
von den perſönlichen Klagen her, mit herüber bringt.
Zuvörderſt iſt es einleuchtend, daß die Fälle der Er-
ſitzung ganz abgeſondert werden müſſen, da durch dieſe die
Klagverjährung vollkommen und unzweifelhaft abſorbirt
wird. Hat alſo z. B. der Beſitzer durch redlichen dreyßig-
jährigen Beſitz (ohne Titel) Eigenthum erworben (a), ſo
iſt gewiß dem vorigen Eigenthümer das Recht ſelbſt ver-
loren, eben weil es auf einen Anderen übergegangen iſt,
und das Eigenthum derſelben ganzen Sache nicht zugleich
in der Hand von Zwey Perſonen ſeyn kann. Von Klag-
verjährung iſt nicht mehr die Rede, weil das Recht ſelbſt
(a) L. 8 § 1 C. de praescr. XXX. (7. 39.). Es iſt die von
neueren Schriftſtellern ſo genannte usucapio extraordinaria.
|0382 : 368|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
abſolut zerſtört iſt (b). Um alſo bey der Vindication die
Klagverjährung in ihrer eigenthümlichen Natur anwenden
zu können, müſſen wir den Fall ſo denken, daß der Beſitzer
das Eigenthum nicht erwirbt, und dieſer Fall tritt in der
That ein, wenn er einen unredlichen Beſitz hatte (c). In
dieſem Fall aber iſt es auch ganz gewiß, daß nicht das
Recht ſelbſt, ſondern nur die Klage, dem urſprünglichen
Eigenthümer verloren geht. Denn es iſt ausdrücklich an-
erkannt, daß wenn nun der Beſitz durch Zufall an einen
Dritten, ganz Unberechtigten, kommt, der vorige Eigen-
thümer gegen Dieſen vindiciren kann (d), welches bey ver-
lornem Recht ganz undenkbar ſeyn würde. Wäre aber
Dieſes auch nicht anerkannt, ſo würde dennoch die An-
nahme, daß der Eigenthümer ſein Recht (das Eigenthum)
verlöre, zu einem ganz abſurden Erfolg führen. Die Sache
wäre nun herrenlos geworden, und da der unredliche Be-
ſitz noch immer fortdauert, ſo würde in demſelben Augen-
blick der Beſitzer durch Occupation das Eigenthum dieſer
herrenloſen Sache erwerben, alſo auf einem anderen Wege
gerade den Vortheil erlangen, den ihm Juſtinian durchaus
verſagt (e). — Nicht glücklich iſt die Wendung, womit
ein Vertheidiger der ſtärkeren Wirkung dieſen Einwürfen
zu entgehen verſucht, indem er ſagt, das Recht ſelbſt
(b) Vgl. oben § 230 S. 197
Num. 1.
(c) L. 8 § 1 C. de praescr.
XXX. (7. 39.).
(d) L. 8 § 1 C. cit., verb.
„tunc licentia sit priori domi-
no … eam vindicare …”
(e) Dieſe gute Bemerkung macht
Guyet S. 89. 90. Ganz unbe-
friedigend iſt die Erwiederung von
Vermehren S. 358.
|0383 : 369|
§. 248. Klagverjährung. Wirkung.
werde vernichtet, aber nur per exceptionem (f). Damit
wird eigentlich der innere Widerſpruch dieſer Meynung
geradezu eingeſtanden, denn per exceptionem aufheben,
heißt gerade: nicht das Recht ſelbſt vernichten, ſondern
nur die Klage entkräften, alſo dem Recht denjenigen Schutz
entziehen, den ihm bis dahin die Klage gewährt hat.
(§ 225. 226). — Weit beſonnener iſt es daher, wenn ein
anderer Vertheidiger der ſtärkeren Wirkung bey den Kla-
gen in rem die Vernichtung des Rechts ganz aufgiebt,
und ſie nur noch für die perſönlichen Klagen behaup-
tet (g). Dadurch werden wir unmittelbar auf das eigent-
liche Gebiet dieſes großen Streites geführt.
Wenden wir uns nun zu den perſönlichen Klagen, ſo
iſt ſogleich einleuchtend, daß durch dieſe nicht der ganze
Umkreis der Obligationen erſchöpft iſt. Denn es giebt
auch naturales obligationes, Obligationen ganz ohne Klage.
Bey dieſen ſind Alle darüber einig, daß für ſie gar keine
Verjährung eintritt. Diejenigen nun, welche die ſchwä-
chere Wirkung behaupten, alſo die Verjährung blos auf
die Klage beziehen, müſſen dieſelbe ohnehin verwerfen bey
ſolchen Rechten, welche gar keine Klage haben. Wer die
Vernichtung des Rechts ſelbſt als Folge der Verjährung
anſieht, könnte dieſe ohne Inconſequenz auf die naturalen
Obligationen anzuwenden verſuchen; wirklich behauptet
hat ſie bey ihnen Niemand (h).
(f) v. Löhr S. 81. 82.
(g) Büchel S. 37 fg.
(h) Es ließe ſich denken, daß
man für dieſen Fall auch eine po-
V. 24
|0384 : 370|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Es bleiben demnach nur die civilen Obligationen, das
heißt die perſönlichen Klagen, als Gegenſtand der fer-
neren Unterſuchung übrig, und eben in dieſem wichtigſten
Theil der ganzen Unterſuchung zeigt ſich der oben ange-
gebene Ausdruck der Streitfrage ganz verderblich. Denn
gerade auf dieſem Gebiet finden wir im Römiſchen Recht
ſehr beſtimmte Begriffe, und zu deren Bezeichnung genaue
Kunſtausdrücke; der hierdurch dargebotene Vortheil der
Sicherheit in der Unterſuchung geht aber durch jenen will-
kührlich gewählten Ausdruck großentheils verloren, und
gewiß liegt hierin ein Hauptgrund, warum in dieſer Lehre
bisher durch den Streit ſo wenig Fortſchritt zur Einigung
bewirkt worden iſt.
Im Römiſchen Recht kommen bey der Entkräftung
einer früher wirkſamen civilen Obligation folgende ver-
ſchiedene Fälle vor:
1) Aufhebung der Obligation ipso jure. Beyſpiele:
Erfüllung, Confuſion, Novation.
2) Aufhebung per exceptionem, ſo daß zugleich auch
die naturalis obligatio zerſtört wird. Beyſpiele: exceptio
pacti, jurisjurandi. — Dieſer Fall nähert ſich in der Wir-
kung dem erſten, bleibt aber doch von demſelben weſentlich
verſchieden (§ 225).
3) Aufhebung per exceptionem, ſo daß die Obligation
ſitive Anſtalt zur Zerſtörung durch
Verſäumniß getroffen hätte, wel-
ches nur nicht Klagverjährung ge-
weſen wäre; daß daran kein Ge-
ſetzgeber gedacht hat, erklärt ſich
aus der Seltenheit und praktiſchen
Unwichtigkeit der bloßen naturales
obligationes.
|0385 : 371|
§. 248. Klagverjährung. Wirkung.
dennoch als naturalis obligatio wirkſam bleibt. Beyſpiel:
exceptio rei judicatae (i).
Bringen wir mit dieſen wirklichen, unzweifelhaften, Ge-
genſätzen des Römiſchen Rechts den oben angegebenen Aus-
druck der Streitfrage in Verbindung, ſo müßte ſich eigent-
lich Folgendes ergeben. Diejenigen, welche die Wirkung
der Verjährung in die Zerſtörung des Rechts ſelbſt
ſetzen, müßten behaupten, die Obligation werde ipso jure
aufgehoben; die, welche die Klage als zerſtört anſehen,
müßten die Aufhebung per exceptionem behaupten, wobey
dann das Schickſal der naturalis obligatio noch unentſchie-
den bliebe. So verſteht aber die Streitfrage Niemand,
wenigſtens in neuerer Zeit, ſeitdem überhaupt ſo viel die
Rede davon iſt; man konnte es auch nicht im Allgemeinen
ſo verſtehen, weil ja im Römiſchen Recht beſtändig von
der temporis praescriptio oder exceptio die Rede iſt.
Zwar hat ein älterer Schriftſteller dieſen Weg wirk-
lich betreten, wenn auch nur theilweiſe. Donellus ſtellt
folgende Unterſcheidung auf (k): die Klagen ſind theils
durch das Geſetz ſelbſt, welches ſie einführte, der Verjäh-
rung unterworfen (wie die prätoriſchen Annalklagen), theils
(i) Dieſelben Gegenſätze kom-
men auch vor bey dem urſprüng-
lichen Zuſtand einer Obligation.
Auch hier kann ſie ſeyn: 1) Ipso
jure nulla 2) Per exceptionem
ungültig, mit unwirkſamer natura-
lis obligatio 3) Per exc. mit wirk-
ſamer naturalis obligatio. Bey-
ſpiele dieſer drey Fälle: 1) Ver-
ſprechen von Seiten eines Un-
mündigen 2) Exceptio doli oder
metus. 3) Exceptio Sc. Mace-
doniani. — Über das von der
exc. rei judicatae hergenommene
Beyſpiel vgl. unten § 249 c.
(k) Donellus Lib. 16 C. 8 §
21. 22., Lib. 22 C. 2 § 18.
24*
|0386 : 372|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
erſt durch ſpätere Geſetze. Die erſten gehen durch die
Verjährung ipso jure unter, die anderen per exceptionem.
Sein Hauptgrund liegt darin, daß bey jenen Klagen das
Edict zu ſagen pflegt: intra annum actionem dabo, wor-
aus Donellus ſchließt, daß nach Ablauf des Jahres nulla
actio vorhanden, alſo die bis dahin geltende ipso jure
aufgehoben ſey (l). Wie wenig dieſer Ausdruck entſcheidet,
zeigt das Beyſpiel von zwey Senatusconſulten, worin die
Ungültigkeit mit demſelben Ausdruck bezeichnet wird, und
doch Niemand zweifeln kann, daß es eine bloße Ungültig-
keit per exceptionem iſt (m). Die Sache ſelbſt aber wird
völlig widerlegt durch den Umſtand, daß gerade auch bey
den prätoriſchen Annalklagen die Verjährung durch eine
annua exceptio geltend gemacht wird (§ 247. g.). Und geſetzt
(l) Einen anderen Grund ſetzt Do-
nellus in die L. 6 de O. et A. (44. 7.):
„In omnibus temporalibus ac-
tionibus, nisi novissimus totus
dies compleatur, non finit obli-
gationem.” Zuerſt iſt aber auf
den Ausdruck finit obligationem
gar nicht das Gewicht zu legen,
als ob er eine Aufhebung ipso
jure bezeichnete. Zweytens erklärt
Donellus ganz willkührlich tem-
poralis actio für die von ihm
bezeichnete Klaſſe von Klagen, da
doch dieſer Ausdruck vielmehr ur-
ſprünglich eine überhaupt verjähr-
bare Klage bezeichnete, im neue-
ſten Recht auf eine kürzere als
dreyßigjährige zu beziehen iſt (pr.
J. de perpet. 4. 12.). Die rei
vindicatio war lange Zeit ganz
unverjährbar geweſen, und erſt
ſpät wurde dafür die longi tem-
poris praescriptio eingeführt;
ſeitdem iſt ſie gewiß eine tempo-
ralis actio geweſen, obgleich der
von Donellus willkührlich ange-
nommene Sinn dieſes Kunſtaus-
drucks auf ſie nicht paßt. Bey
ihr hätte alſo nach L. 6 de O. et
A. (die Erklärung von Donellus
bey dieſer Stelle vorausgeſetzt) die
Verjährung ipso jure wirken müſ-
ſen, welches doch augenſcheinlich
nicht der Fall iſt.
(m) L. 2 § 1 ad Sc. Vell. (16.
1.) „… ne eo nomine ab his
petitio, neve in eas actio detur
…” Eben ſo heißt es in L. 1
pr. de Sc. Mac. (14. 6.) ne cui
.. actio petitioque daretur.”
|0387 : 373|
§. 248. Klagverjährung. Wirkung.
auch, die Anſicht von Donellus wäre richtig, ſo wäre
damit für den wichtigſten und häufigſten Fall, die dreyßig-
jährige Verjährung, Nichts entſchieden; der Zweifel wäre
nicht gelöſt, ſondern nur auf ein etwas engeres Gebiet
eingeſchränkt.
Die Meynung des Donellus hat keine Anhänger gefun-
den. Die neueren Schriftſteller gehen davon aus, daß die
Klagverjährung nicht ipso jure, ſondern per exceptionem
wirke, und der wahre Sinn ihrer Streitfrage geht dahin,
ob die naturalis obligatio zerſtört werde, oder beſtehen
bleibe. Für dieſe Frage aber iſt der oben erwähnte Aus-
druck des Gegenſatzes (Recht ſelbſt, oder Klage zer-
ſtört) ganz unpaſſend; ich werde denſelben fortan vermei-
den, und die Frage in ihrem nunmehr beſtimmten wahren
Sinn behandeln, dafür aber auch den nun unzweydeutigen
kürzeren Ausdruck gebrauchen,
ob die ſtärkere oder die ſchwächere Wirkung der
Klagverjährung anzunehmen ſey (n)?
(n) Die ſtärkere Wirkung be-
haupten, unter den oben ange-
führten Schriftſtellern: v. Löhr
Heimbach, Vermehren, Bü-
chel; außerdem Vangerow I. S.
175. 176. 180. Kierulff S.
210—214. — Die ſchwächere
Wirkung: Francke, Guyet; au-
ßerdem: Weber natürliche Ver-
bindlichkeit § 92, und: Beyträge
S. 54 fg. Glück B. 13 S. 100.
380, B. 15 S. 65, B. 20 S. 162.
Unterholzner Verjährung II.
§ 258, Schuldverhältniſſe B. 1
§ 247. Mühlenbruch II. § 481.
Puchta Lehrbuch § 77. Göſchen
§ 154. Ich erkläre mich für dieſe
zweyte Meynung. — Außer die-
ſen regelmäßigen Parteymeynun-
gen ſtehen iſolirt folgende Schrift-
ſteller: Donellus, welcher zwi-
ſchen kurzen und langen Verjäh-
rungen unterſcheidet (Note k),
Rave, deſſen Meynung mit ſei-
ner beſonderen Lehre von der bona
fides zuſammenhängt (§ 246), und
|0388 : 374|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
§. 249.
Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Wirkung.
(Fortſetzung.)
Die Entſcheidung der aufgeſtellten Streitfrage iſt oft durch
Äußerungen in unſren Rechtsquellen verſucht worden, welche
entweder von einer verlornen actio, oder aber von einer
aufgehobenen obligatio ſprechen. Stellen der erſten Art
wurden für die ſchwächere, Stellen der zweyten für die
ſtärkere Wirkung als Beweiſe angeführt. Dieſes Verfah-
ren iſt nicht etwa deswegen zu tadeln, weil den alten Ju-
riſten, deren Ausſprüche wir in den Digeſten leſen, die
dreyßigjährige Verjährung unbekannt war; denn was
ſie von der Wirkung der damals als Ausnahme geltenden
Klagverjährung, z. B. der prätoriſchen Annalklagen, be-
haupten, können wir ohne Bedenken auch auf die erſt im
neueren Recht eingeführte dreyßigjährige Verjährung an-
wenden. Der Fehler in jenem Verfahren liegt vielmehr
darin, daß jene ſchwankenden, unbeſtimmten Ausdrücke
ohne Grund als Entſcheidungen für die vorliegende Frage
gelten ſollen. Denn mit der Behauptung einer verlornen
actio, wie einer (durch Exeeption) aufgehobenen obligatio,
iſt die Fortdauer oder Zerſtörung der naturalis obligatio
Thibaut, der im Lauf der Zeit
drey verſchiedene Meynungen an-
genommen hat: zuerſt die hier ver-
theidigte, zuletzt die der Gegner,
in einer mittleren Zeit den Unter-
gang des Rechts ſelbſt, bey der
dreyßigjährigen, der bloßen Klage
bey den kürzeren. Verjährung
S. 118. Pandekten Ausg. 7 § 1056.
1062. Ausg. 8 § 1019. 1025.
Braun’s Erörterungen zu § 1056.
|0389 : 375|
§. 249. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)
gleich vereinbar, ſo daß über dieſen allein wichtigen Ge-
genſatz durch jene Ausdrücke Nichts entſchieden wird (a).
Wichtiger iſt es, die Regel aufzuſuchen, nach welcher
überhaupt, und auch in anderen Fällen, einer per excep-
tionem aufgehobenen Klage, die Fortdauer oder Aufhebung
der naturalis obligatio ſich richtet. Eine ſolche Regel nun
wird ausdrücklich aufgeſtellt von Pomponius, Marcian und
Ulpian. Die Exceptionen, welche odio creditorum einge-
führt ſind, ſollen die ſchwächere Wirkung hervorbringen,
die zum Vortheil des Schuldners eingeführten die ſtärkere (b).
Aber wie ſicher und beſtimmt auch dieſe Regel ausſe-
hen mag, ſo ſind wir doch wenig dadurch gefördert. Zu-
erſt ſchon deswegen, weil die Anwendung derſelben ſo ſehr
ſchwankend und unſicher iſt, wie ſich denn in der That
beide ſtreitende Parteyen darauf berufen. Die Vertheidi-
ger der ſchwächeren Wirkung, indem ſie ſagen, die Ver-
jährung ſey eine Strafe der Nachläſſigkeit; worauf aber
(a) Dieſen Punkt hat gründ-
lich, und mit Angabe vieler Bey-
ſpiele, behandelt Heimbach S.
437—440. Nur iſt er ſich nicht
treu geblieben, indem er S. 448
den Ausdruck tempore liberari
als Beweis anſieht, daß durch die
Verjährung „das ganze Recht auf-
gehoben“ werde, da dieſer Aus-
druck „deutlich die Befreyung von
aller Verbindlichkeit anzeigt.“ —
Liberari wird gebraucht für ipso
jure, wie für per exceptionem
(L. 1 § 2 quae in fraud. 42. 8,
L. 3 § 3 de lib. leg. 34. 3); und
in dem letzten Fall auch für die
ſchwächere Wirkung, mit fortdau-
ernder naturalis obligatio. L. 60
de fidej (46. 1.) „Ubicunque
reus ita liberatur a creditore,
ut natura debitum maneat,
teneri fidejussorem respondit:
cum vero genere novationis
transeat obligatio, fidejussorem
aut jure aut exceptione libe-
randum.”
(b) L. 19 pr. de cond. ind.
(12. 6.), L. 40 pr. eod., L. 9 § 4
de Sc. Mac. (14. 6.).
|0390 : 376|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
nicht unrichtig erwiedert wird, daß Dieſes weniger der
Grund des verhängten Nachtheils, als deſſen Entſchuldi-
gung iſt (§ 237). Die Vertheidiger der ſtärkeren Wirkung,
indem ſie den Schutz des Beklagten als Grund der Ver-
jährung angeben; wogegen aber zu bedenken iſt, daß die-
ſelbe mehr im Intereſſe der allgemeinen Ordnung, als
zum Schutz einer beſonderen Menſchenklaſſe (wie das Sc.
Vellejanum) angewendet wird.
Noch weit mißlicher aber ſteht es um die Wahrheit
jener angeblichen Regel, die ſich in mehreren anderen Fäl-
len der Anwendung, und zwar gerade den unzweifelhafte-
ſten, durchaus nicht bewährt. So hat die exceptio rei
judicatae die ſchwächere Wirkung (c), wobey doch gewiß
Niemand ſagen wird, daß ſie odio creditoris gegeben
werde; ganz eben ſo verhält es ſich mit der im älteren
Recht auf Prozeßverjährung gegründeten Einrede (d). Ge-
(c) Es gilt bey ihr das solu-
tum non repetere, alſo die Fort-
dauer einer naturalis obligatio.
L. 28 L. 60 pr. de cond. indeb.
(12. 6.). Dieſes beſtätigt ſich auch
durch die gewöhnlich überſehene
Weiſe, wie die verſchiedenen Ex-
ceptionen in dem Inſtitutionentitel
de exceptionibus (4. 12.) ange-
führt werden. § 1—4 ſtehen die
exc. metus, doli, pacti, jurisju-
randi, und bey jeder derſelben
wird ihre Herleitung aus dem jus
gentium (iniquum est condem-
nari) ſorgfältig bemerkt. Dage-
gen ſteht bey der exc. rei judi-
catae im § 5 nicht dieſe Bemer-
kung, ſondern es heißt hier blos:
debes per exc. r. j. adjuvari. —
Übrigens iſt dieſe Frage von alter
Zeit her ſehr controvers, und der
neueſte Schriftſteller erklärt ſich ge-
gen die hier vertheidigte Meynung.
Pfordten im Archiv B. 24 S. 108
fg. (1841).
(d) L. 8 § 1 ratam rem (46.
8.) „quia naturale debitum ma-
net.” In dieſem Fall dauert na-
mentlich auch das Pfandrecht fort.
(§ 250. v.) Vgl. Keller Litisconte-
ſtation S. 158.
|0391 : 377|
§. 249. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)
rade umgekehrt aber iſt es bey keiner Exception ſo gewiß,
daß ſie odio creditoris gegeben wird, als bey der dem
Betrüger oder dem Gewaltthätigen entgegenſtehenden doli
oder metus exceptio; und doch iſt es gerade bey dieſen
eben ſo gewiß, daß keine naturalis obligatio zurückbleibt,
alſo das (aus Irrthum) Gezahlte zurückgefordert werden
kann (e). — Hieraus geht nun klar hervor, wie es ſich
mit der Bildung jener Regel zugetragen hat. Den ange-
führten drey alten Juriſten (unter welchen ſtets Einer dem
Andern hierin gefolgt zu ſeyn ſcheint) ſtanden blos zwey
einzelne Fälle von verſchiedenem praktiſchen Erfolg vor
Augen, die exceptio Sc. Macedoniani und Vellejani. Sie
ſuchten aus dieſen eine allgemeine Regel durch Abſtraction
zu bilden, und hielten ſich dabey an die Eigenſchaften der-
ſelben, welche zunächſt in die Augen fallen, unbekümmert
um die Anwendbarkeit der ſo gefundenen Regel auf an-
dere, ganz ungleichartige Fälle. Und ſo liegt hierin eine
neue Beſtätigung der ſchon öfter vorgetragenen Bemer-
kung, mit wie vielem Mistrauen ſolche abſtract gefaßte
Regeln der alten Juriſten behandelt werden müſſen (f).
Finden wir uns nun genöthigt, die eben erörterte Re-
gel, ungeachtet ihres quellenmäßigen Scheins, ganz aufzu-
geben, ſo läßt ſich anſtatt derſelben eine andere aufſtellen,
(e) L. 65 § 1 de cond. ind.
(12. 6.) „.. Sin autem evidens
calumnia detegitur, et transac-
tio imperfecta est, (et) repe-
titio dabitur.” L. 7. L. 8 de
cond. ob turp. (12. 5.)
(f) Vgl. oben B. 1 § 14 S. 47,
§ 41 S. 276. B. 3 Beylage VIII.
Num. VIII. S. 346. 347.
|0392 : 378|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
die ich in der That für richtig halte. Naturalis obligatio
iſt überhaupt diejenige, welche im jus gentium ihre Wur-
zel hat (g). Daher müſſen wir conſequenterweiſe erwarten,
daß diejenigen Exceptionen, welche ſich lediglich auf Rö-
miſches jus civile gründen, für eine fortwirkende naturalis
obligatio Raum laſſen werden, anſtatt daß die ſchon im
jus gentium wurzelnden Exceptionen auch die Zerſtörung
der naturalis obligatio mit ſich führen werden. — Und
dieſe ſo unterſcheidende Regel findet ſich denn in der That,
faſt ohne Ausnahme, durch unzweifelhafte Anwendungen
im Einzelnen beſtätigt.
Folgende Exceptionen gründen ſich lediglich auf das
poſitive Recht, und laſſen in der That Raum für eine na-
turalis obligatio, ſo daß bey ihnen, ſelbſt im Fall der
irrigen Zahlung, die condictio indebiti ausgeſchloſſen iſt
(solutum non repetitur):
Sc. Macedoniani (Note b).
Rei judicatae (Note c).
Als Retorſion wegen jus iniquum (h).
Wegen des ſogenannten beneficii competentiae (i).
Wegen Prozeßverjährung (Note d).
Dagegen ſind folgende Exceptionen ſchon auf das jus
gentium gegründet, und bey ihnen iſt es zugleich unzwei-
(g) L. 84 § 1 de R. J. (50. 17.)
„Is natura debet, quem jure
gentium dare oportet, cujus
fidem secuti sumus.”
(h) L. 3 § 7 quod quisque ju-
ris (2. 2.) „superesse enim na-
turalem causam quae inhibet
repetitionem.”
(i) L. 8. 9 de cond. indeb.
(12. 6.).
|0393 : 379|
§. 249. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)
felhaft, daß keine fortwirkende naturalis obligatio übrig
bleibt, daß alſo das irrig Gezahlte zurückgefordert wer-
den kann:
Exc. pacti(k),
Doli (Note e),
Jurisjurandi(l).
Es findet ſich eine einzige Ausnahme in der exceptio
Sc. Vellejani, die einen ganz poſitiven Urſprung hat, und
dennoch die naturalis obligatio zerſtört (Note b). Hier
alſo fand man einen durchgreifenderen Schutz der Frauen,
mit Aufopferung der Rechtsanalogie, nöthig, und dieſe be-
ſtimmte Abſicht wird auch in den Worten des Senats-
ſchluſſes angedeutet (m). Dieſe einzelne, mit Bewußtſeyn
vorgeſchriebene, Ausnahme kann alſo die Wahrheit der
aufgeſtellten Regel nicht zweifelhaft machen.
Legen wir nun dieſe Regel zum Grund, ſo können
wir über die Behandlung der temporalis exceptio nicht
zweifelhaft ſeyn. Dieſe gehört ganz dem poſitiven Recht,
nicht dem jus gentium, an, und es muß daher neben ihr
eine fortwirkende naturalis obligatio übrig bleiben. Als
unmittelbare Beſtätigung dafür dient noch die ſo nahe lie-
gende Analogie der alten Prozeßverjährung (Note d), in-
dem es in der That ganz willkührlich und unnatürlich
(k) L. 34 § 11 de sol. (46. 3.),
L. 32 § 1 L. 40 § 2 de cond. ind.
(12. 6.)
(l) L. 43 de cond. ind. (12. 6.)
(m) L. 2 § 1 ad Sc. Vell. (16.
1.). Nachdem das Verbot der
Klage, gleichlautend mit dem Sc.
Macedonianum, ausgeſprochen
war, (§ 248. m) wird der eigen-
thümliche Zuſatz gemacht: „cum
eas … ejus generis obligatio-
nibus obstringi non sit aequum.”
|0394 : 380|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
wäre, wenn dieſe beide, ſo nahe verwandte, Rechtsinſti-
tute eine völlig verſchiedene praktiſche Behandlung erfah-
ren ſollten (n).
Folgende allgemeine Betrachtungen können noch als
entferntere Beſtätigungen der hier vertheidigten, ſchwäche-
ren Wirkung der Verjährung dienen.
Alle ſind darüber einverſtanden, daß für die urſprüng-
liche naturalis obligatio eine Verjährung niemals eintreten
kann (§ 248). Es wäre aber ganz grundlos und unnatür-
lich, denjenigen Glaubiger, welcher durch Verjährung ſeine
Klage verloren hat, in eine nachtheiligere Lage zu ver-
ſetzen als Den, welcher niemals eine Klage hatte. Soll
dieſe Inconſequenz vermieden werden, ſo iſt dazu kein an-
deres Mittel übrig, als die naturalis obligatio noch nach
der vollendeten Verjährung fortdauern zu laſſen (o).
Da ferner die Verjährung der Klagen in rem dem
Berechtigten nicht Alles entzieht, was er hatte, ſondern
nur den Schutz durch Klage, wodurch er freylich mit ſei-
nen Hoffnungen auf eine ſehr zufällige, unſichere Zukunft
verwieſen wird, ſo iſt es ganz conſequent, genau denſelben
Erfolg auch bey den verjährten perſönlichen Klagen ein-
treten zu laſſen.
Beide Betrachtungen können insbeſondere dazu dienen,
die zu weit getriebene Conſequenz der Gegner in ihrer
(n) Francke S. 74 — 78 hat
die Wichtigkeit dieſer Analogie be-
merklich gemacht.
(o) Dieſer Grund wird geltend
gemacht von Göſchen § 154.
|0395 : 381|
§. 249. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)
Unhaltbarkeit darzuſtellen. Allerdings iſt im Allgemeinen
ihre Behauptung zuzugeben, daß die Verjährung den be-
ſtehenden factiſchen Zuſtand durch Ablauf einer gewiſſen
Zeit unanfechtbar machen ſoll. Allein ſie ſoll es doch nur,
indem ſie die gefährlichſte Störung jenes Zuſtandes, das
Klagrecht, hinwegräumt. Da nun bey den urſprünglichen
naturales obligationes, ſo wie bey den Klagen in rem,
ein Keim möglicher künftiger Streitigkeiten, ungeachtet des
Ablaufs ſehr langer Zeit, zurück bleiben darf, ſo kann es
nicht mit der angegebenen Beſtimmung der Verjährung im
Widerſpruch ſtehen, wenn für die civilen Obligationen ge-
nau derſelbe Erfolg gefordert wird.
Die Gegner ſuchen die ſtärkere Wirkung der Verjäh-
rung, auf etwas künſtliche Weiſe, aus einer Stelle des
Ulpian zu erweiſen (p). Bekanntlich wird die actio doli,
weil ſie den Verurtheilten infamirt, nur da zugelaſſen, wo
dem Betrogenen nicht auf eine ſchonendere Weiſe zur Ab-
wendung des Schadens geholfen werden kann. Sie wird
daher ausgeſchloſſen durch jede denſelben Zweck erfüllende
(p) L. 1 § 4. 6 de dolo (4. 3.).
Heimbach S. 440—442. — Al-
lerdings werden noch mehrere Stel-
len, bald für die eine, bald für
die andere Meynung geltend ge-
macht, die aber Nichts beweiſen,
worauf auch meiſt weniger Gewicht
gelegt wird, und auf die ich hier
nicht beſonders eingehen will, um
nicht die Aufmerkſamkeit von den
Hauptpunkten abzuziehen. Dahin
gehören folgende: L. 19 pr. de
neg. gestis (3. 5.), L. 24 de m.
c. don. (39. 6.) (geht gewiß nicht
auf Klagverjährung), L. 5. 6 C.
de except. (8. 36.). Von dieſen
letzten, ſo wie von der wichtigen
L. 5 § 6 de doli exc. (44. 4.),
welche Guyet S. 78 fg. mit Un-
recht als entſcheidend für die ſchwä-
chere Wirkung anſieht, wird unten
bey der Verjährung der Exceptio-
nen die Rede ſeyn (§ 255).
|0396 : 382|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
andere Klage oder Exception. Wenn alſo durch Betrug
eine Stipulation bewirkt worden iſt, ſo hat der Betrogene
deswegen nicht die doli actio, weil er durch die doli ex-
ceptio vollkommenen Schutz gegen die Stipulationsklage des
Betrügers, die ihm allein ſchaden könnte, erhält (q). So-
gar wenn er zu ſeinem Schutz eine andere Klage hatte,
dieſe aber durch Verjährung untergehen ließ, wird ihm
die doli actio verſagt, weil es nun ſeine eigene Schuld
iſt, wenn er ohne Schutz bleibt (r). Nur in dem Fall
erhält er dennoch die doli actio, wenn er durch des Geg-
ners Betrug verleitet wird, die Verjährungsfriſt ablaufen
zu laſſen (§ 245. i), weil nun die Urſache des Verluſts
nicht in der Nachläſſigkeit, ſondern eben in dem Betrug
liegt (s). Nun argumentiren die Gegner alſo: Wäre bey
dieſer verjährten Klage eine naturalis obligatio übrig ge-
blieben, welche immer eine Exception zur Folge hat (t),
(q) L. 1 § 4 de dolo (4. 3.)
„.. si interdictum sit, quo quis
experiri, vel exceptio, qua se
tueri possit, cessare hoc edi-
ctum.” Allerdings iſt hier ganz
beſonders auch die doli exceptio
gemeynt, nur nicht dieſe allein, da
viele andere Exceptionen denſelben
Dienſt leiſten können, und ſogar
noch viel bequemer, weil bey ihnen
der ſchwierige Beweis des Be-
trugs vermieden wird. Wird z. B.
eine Frau durch Betrug zu einer
Bürgſchaft verleitet, ſo braucht ſie
weder die actio noch die exceptio
doli, weil ſie ohne alle Beweis-
führung durch die exc. Sc. Vel-
lejani geſchützt iſt. Eben ſo kann
es ſich verhalten mit der exc. Sc.
Macedoniani, L. Cinciae, L.
Plaetoriae, rei judicatae u. ſ. w.
(r) L. 1 § 6 de dolo (4. 3.)
„… et si alia actio tempore
finita sit, hanc competere non
debere: sibi imputaturo eo, qui
agere supersedit.”
(s) L. 1 § 6 de dolo (4. 3.)
unmittelbar hinter den in der Note r
abgedruckten Worten: „nisi in hoc
quoque dolus malus admissus
sit, ut tempus exiret.”
(t) Dieſes iſt inſofern wahr,
als einige der poſitiven Folgen
der naturalis obligatio allerdings
|0397 : 383|
§. 249. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)
ſo würde der Betrogene durch dieſe Exception gegen Nach-
theil geſchützt ſeyn, alſo die doli actio nicht haben; da
er ſie in der That haben ſoll, ſo folgt daraus, daß eine
Exception, alſo auch eine naturalis obligatio, nicht vor-
handen ſeyn kann. — Bey dieſer Beweisführung liegt aber
folgende Verwechslung zum Grunde. Wenn der Prätor
die doli actio wegen einer concurrirenden Exception ver-
ſagt, ſo meynt er damit eine Exception die wirklich ſchützt,
„qua se tueri possit,” und von dieſer Art ſind auch wirk-
lich die oben (Note q) angegebenen Fälle; dagegen haben
dieſe Natur durchaus nicht die Exceptionen, welche höchſt
zufälligerweiſe in Folge einer naturalis obligatio vielleicht
einmal künftig gebraucht werden können. Geſetzt alſo, der
Glaubiger, welcher durch des Gegners Betrug verleitet
worden war, eine Verjährung ablaufen zu laſſen, hatte
wirklich noch (ſo wie wir es behaupten) eine naturalis ob-
ligatio übrig, ſo konnte ihm doch unmöglich der Prätor
die doli actio verſagen, indem er ihn darauf vertröſtete,
der Zufall werde vielleicht einmal eine Compenſation her-
beyführen, oder der Schuldner werde vielleicht aus Irr-
thum Zahlung leiſten, in welchem Fall ihm dann auch
durch Exceptionen geltend gemacht
werden, namentlich die Compenſa-
tion. Ausdrücklich geſagt wird es
für die naturalis obligatio im
Allgemeinen nicht, ſondern nur für
die nuda pactio, und hier hat
der Satz eine beſtimmte praktiſche
Bedeutung dadurch, daß unter
pactio oder pactum vorzugs-
weiſe ein Erlaßvertrag verſtan-
den wird, deſſen unvollſtändige
Wirkung eben in einer Exception
gegen die Stipulationsklage des
Glaubigers beſtand. L. 7 § 4 de
pactis (2. 14.) „Igitur nuda pa-
ctio obligationem non parit,
sed parit exceptionem.”
|0398 : 384|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
gewiß die condictio indebiti abgeſchlagen werden ſolle.
Vielmehr mußte in einem ſolchen Fall der Prätor die doli
actio wirklich zulaſſen, obgleich eine naturalis obligatio
noch nach dem Ablauf der Verjährung übrig geblieben war.
§ 250.
Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Wirkung.
(Fortſetzung.)
Bisher iſt die Frage nach der Fortdauer der naturalis
obligatio blos von dem Standpunkt allgemeiner Gründe
aus erörtert worden. Ich wende mich jetzt zu der Unter-
ſuchung der einzelnen Wirkungen, und dieſe enthalten nicht
nur das praktiſch wichtigſte Moment der Frage, ſondern
es iſt auch in ihnen vorzugsweiſe die letzte Entſcheidung
des Streites zu ſuchen.
Es kommen überhaupt folgende poſitive Wirkungen der
naturalis obligatio vor (a):
Solutum non repetere, d. h. die Ausſchließung der
condictio indebiti im Fall einer irrig geleiſteten
Zahlung.
Compenſation.
Novation.
(a) Nämlich der unterſcheidende
Character derſelben, in Verglei-
chung mit der civilis obligatio,
iſt blos negativ, die Abweſenheit
der Klage; davon kann hier nicht
die Rede ſeyn. — Ich werde die
hier aufgezählten poſitiven Wir-
kungen in anderer Ordnung vor-
tragen, indem ich diejenigen Fälle
voran ſtelle, die theils für das
wirkliche Leben wichtiger, theils
durch reichhaltige Ausſprüche der
Rechtsquellen fruchtbarer für unſre
Einſicht ſind.
|0399 : 385|
§. 250. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)
Fidejuſſion.
Conſtitutum.
Pfandrecht.
Die vier letzten Wirkungen laſſen ſich auf den gemein-
ſamen Begriff von Acceſſionen der Obligation zurück führen.
Voraus iſt noch zu bemerken, daß die Auslegung meh-
rerer hierher gehörenden Stellen dadurch unſicher wird,
daß in denſelben der Ausdruck tempore liberari vorkommt.
Dieſer iſt ſchon an ſich ſelbſt vieldeutig, indem er außer
der Klagverjährung auch die Prozeßverjährung, oder auch
den durch eine L. Furia verordneten Untergang mancher
Bürgſchaften durch zweyjährige Dauer (b) bezeichnen kann.
Er wird aber für unſre Einſicht in den wahren Sinn je-
ner Stellen dadurch doppelt hinderlich, daß die zwey letz-
ten unter den erwähnten Rechtsinſtituten im Juſtinianiſchen
Recht nicht mehr gelten, weshalb die von ihnen urſprüng-
lich redenden Stellen der alten Juriſten manche für uns
unbeſtimmbare Interpolationen erhalten haben mögen.
Die Vertheidiger der ſtärkeren Wirkung müſſen conſe-
quenterweiſe die Möglichkeit aller jener Rechtsverhältniſſe
nach abgelaufener Verjährung verneinen; die Anderen müſ-
ſen dieſe Möglichkeit behaupten (c).
(b) Gajus III. § 121. Dieſer,
durch einen Volksſchluß bewirkte
Untergang der Obligationen des
Sponsor und des fidepromissor
trat ohne Zweifel ipso jure ein
(da eine Exception dabey nicht
erwähnt wird), zerſtörte alſo die
Subſtanz des Rechts ſelbſt, nicht
die bloße Klage, und war daher
in der Art der Einwirkung von
der Verjährung ganz verſchieden.
(c) Dieſes geſchieht nun im
Ganzen wirklich, ſo daß die bei-
den oben bezeichneten Parteyen
V. 25
|0400 : 386|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
I. Pfandrecht.
Dieſe Wirkung der bloßen naturalis obligatio iſt unter
allen die wichtigſte, ſchon deshalb, weil in den meiſten
Fällen ihr Einfluß unbedingt eintritt, nicht erſt von zufäl-
ligen Umſtänden abhängig iſt.
Es hat aber die Möglichkeit dieſes Rechts (wenn ſie
vorhanden iſt) eine zwiefache Anwendung. Erſtlich, in-
dem für eine bereits verjährte Schuldklage ein Pfand neu
errichtet werden kann; zweytens, indem das vorher errich-
tete Pfand fortdauert und wirkſam bleibt, auch nachdem
die perſönliche Schuldklage verjährt iſt. Die erſte An-
wendung iſt weder häufig noch wichtig, und wird daher
auch in unſren Rechtsquellen nicht erwähnt; deſto häufiger
und wichtiger iſt die zweyte Anwendung, ja man kann
ſagen, daß in ihr eigentlich das Intereſſe, ſo wie die Ent-
ſcheidung, der ganzen Streitfrage liegt.
Nach allgemeinen Grundſätzen kann ein Pfandrecht nur
anfangen, wenn eine wahre, gültige Obligation vorhan-
den iſt, es mag jedoch dieſelbe civilis oder naturalis ſeyn,
worauf es nicht ankommt (d). Eben ſo kann es nur fort-
dauern ſolange als eine Obligation fortdauert; aber die
Fortdauer auch blos des naturalen Beſtandtheils der Ob-
ligation iſt für die Erhaltung des Pfandrechts völlig hin-
(§ 248. n) auch in dieſen Anwen-
dungen einander gegenüber ſtehen.
Kleine Inconſequenzen, welche hier
und da mit unterlaufen, werden
im Einzelnen bemerkt werden.
(d) L. 5 de pign. (20. 1.)
„Res hypothecae dari posse
sciendum est pro quacunque
obligatione … et vel pro ci-
vili obligatione, vel honoraria,
vel tantum naturali …”
|0401 : 387|
§. 250. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)
reichend (e). Hieraus folgen dieſe zwey Regeln: Wenn
nach verjährter Schuldklage eine naturalis obligatio fort-
dauert, ſo wird auch das Pfandrecht fortdauern müſſen;
und wenn umgekehrt ſich beweiſen läßt, daß nach ver-
jährter Schuldklage ein Pfandrecht fortdauert, ſo wird
daraus rückwärts auf die Fortdauer einer naturalis obli-
gatio geſchloſſen werden dürfen, da es ohne dieſe gar nicht
fortdauern könnte. — Ehe ich den Beweis unternehme,
daß wirklich ein Pfandrecht nach verjährter Schuldklage
fortdauert, will ich verwandte Rechtsinſtitute mit in die
Betrachtung ziehen, wodurch die eben aufgeſtellten Regeln
theils Beſtätigung, theils größere Anſchaulichkeit finden
werden.
Wenn eine Obligation zwar nur per exceptionem
aufgehoben wird, aber ſo daß zugleich die naturalis obli-
gatio untergeht, hört ſtets auch das Pfandrecht gänzlich
auf; ſo geſchieht es bey der exc. pacti und jurisjurandi (f).
Wenn dagegen bey der Aufhebung per exceptionem eine
naturalis obligatio fortdauert, ſo bleibt auch das Pfand-
recht gültig; ſo findet es ſich bey der exc. rei judicatae,
nach einem ungerecht freyſprechenden Urtheil (§ 249. c).
Dieſer wichtige Satz findet Anerkennung in folgender Ent-
ſcheidung eines Rechtsfalls. Ein Schuldner, der ſeinen
Sklaven verpfändet hatte, tödtet oder verſtümmelt denſel-
(e) L. 14 § 1 de pign. (20. 1.)
„Ex quibus casibus naturalis
obligatio consistit, pignus per-
severare constitit.”
(f) L. 11 § 2 de pign. act.
(13. 7.), L. 13 quib. modis pign.
(20. 6.), L. 40 de jurej. (12. 2.).
Vgl. oben § 249 k. l.
25*
|0402 : 388|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
ben, und vernichtet alſo oder vermindert den dem Pfand-
glaubiger haftenden Kaufwerth; hier ſoll gegen den
Schuldner die actio L. Aquiliae gelten. Zwar in den mei-
ſten Fällen wird kein Intereſſe vorhanden ſeyn, da der
Glaubiger dieſelbe Summe, die er mit dieſer Delictsklage
einfordern könnte, auch ſchon durch die Schuldklage er-
halten kann, in welchem Fall er durch die Tödtung des
Sklaven gar keinen Nachtheil erleidet. Die Entſcheidung
wird alſo nur in ſolchen Fällen von praktiſchem Werth
ſeyn, wenn die Schuldklage nicht mehr wirken kann, weil
ſie durch ungerechtes Urtheil oder einen Prozeßfehler ver-
loren worden iſt (g). Damit iſt alſo anerkannt, daß, durch
(g) L. 27 de pign. (20. 1.)
„.. Fingamus nullam crediti
nomine actionem esse, quia forte
causa ceciderat.” Causa cadere
kann auf jeden zufälligen Pro-
zeßverluſt (bey hier vorausgeſetz-
tem wirklichen Recht) gehen; alſo
auf ungerechte Freyſprechung ſo-
wohl, als auf Verluſt wegen plus
petere, welcher Verluſt auch nur
durch Freyſprechung eintritt. — Die
entgegengeſetzte Meynung, nämlich
die Befreyung des Pfandes durch
Abweiſung der Schuldklage, ſoll
nach den Meiſten aus folgender
Stelle hervorgehen. L. 13 quib.
modis pign. (20. 6.) „… si a
judice, quamvis per injuriam,
absolutus sit debitor, tamen
pignus liberatur.” Allein libe-
rare bezeichnet nicht nur das ipso
jure, ſondern auch das per ex-
ceptionem (§ 249. a). Durch die
Freyſprechung von der Schuldklage
erwirbt der Schuldner unſtreitig
auch gegen die Hypothekarklage
die exc. rei judicatae, da zur
Begründung dieſer Klage unter
andern auch das Daſeyn der Schuld
behauptet und bewieſen werden
muß. (L. 10 C. de pign. act.
4. 24. L. 1 C. si pign. conv.
8. 33.). Allein wenn nun die ver-
pfändete Sache an einen dritten
Beſitzer kommt, der nicht von dem
Schuldner geerbt oder gekauft hat,
ſo hat dieſer keinen Anſpruch auf
die exc. rei judicatae, und nun
wirkt das Pfandrecht unbeſchränkt
fort; Das iſt durch den Ausdruck
der zuletzt angeführten Stelle auf
keine Weiſe ausgeſchloſſen. Die
in dieſer letzten Stelle angeſtellte
Vergleichung mit dem Eid darf
alſo nur nicht zu unbedingt durch-
geführt werden, ſie iſt nur wahr
|0403 : 389|
§. 250. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)
die Freyſprechung von der Schuldklage, die fortdauernde
Wirkſamkeit des Pfandrechts nicht gehindert wird.
Ich gehe nach dieſer Vorbereitung auf die Hauptfrage
ſelbſt ein: Wirkt das Pfandrecht fort, nachdem die Schuld-
klage verjährt iſt? Allerdings, und zwar nach dem Zeug-
niß mehrerer einzelnen Stellen, noch weit entſchiedener
aber nach den ganz unbeſtrittenen Regeln über die eigen-
thümliche Verjährung der Hypothekarklage. Nachdem näm-
lich die dreyßigjährige Verjährung aller Schuldklagen ein-
geführt war, blieb dennoch die Hypothekarklage gegen den
Schuldner und deſſen Erben lange Zeit ganz unverjähr-
bar; dann wurde ſie zwar der Verjährung unterworfen,
aber doch nur einer vierzigjährigen (§ 238). So giebt
es alſo noch im heutigen Recht Zehen volle Jahre nach
verjährter Schuldklage, in welchen das Pfandrecht nicht
nur überhaupt fortdauert, ſondern ſelbſt auf die aller-
ſtärkſte Weiſe, durch Klage gegen den beſitzenden Schuld-
ner, geltend gemacht werden kann. Denn das Recht, die
verpfändete Sache zu verkaufen, und ſich mit dem Kauf-
geld bezahlt zu machen, knüpft ſich von ſelbſt als noth-
wendige Folge an jene Klage.
Dieſes Argument iſt nicht nur der entſcheidendſte Be-
weis in dem ganzen Gebiet der vorliegenden Streitfrage,
ſondern es enthält auch an ſich ſelbſt ſchon das wichtigſte
praktiſche Moment in dieſem Streit. Sehen wir zu, wie
die Gegner demſelben zu begegnen ſuchen.
für das Verhältniß zwiſchen Glaubiger und Schuldner.
|0404 : 390|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Man ſagt, jene vierzigjährige Verjährung gehe nur
auf Pfänder für Schulden, die urſprünglich bloße natura-
les obligationes waren, alſo ſelbſt keiner Verjährung un-
terlagen (h). Ich will dieſem Einwurf nicht mit der Be-
hauptung Derjenigen begegnen, welche meynen, ein ſolches
Pfand gebe überhaupt keine Klage, ſondern eine bloße
Retention, wenn der Glaubiger zufällig beſitze (i); denn
dieſe Behauptung ſelbſt halte ich für ganz verwerflich.
Aber der erwähnte Einwurf iſt deswegen unhaltbar, weil
die urſprünglichen naturales obligationes in ſo ſeltnen,
für den Zuſammenhang des ganzen Verkehrs ganz unbe-
deutenden Verhältniſſen beſtehen, daß für ſie eine ſo aus-
führliche, ſehr in’s Einzelne gehende Geſetzgebung, wie die
über die Verjährung der Hypothekarklage, gewiß nicht
nöthig gefunden worden wäre. Und hätte auch ein Kaiſer
an der mühſamen Behandlung einer ſo unpraktiſchen Spitz-
findigkeit Vergnügen gefunden, ſo würde er doch die Eigen-
thümlichkeit dieſes aus Liebhaberey gewählten Objects be-
ſtimmt ausgedrückt haben, wovon aber in jenen Verjäh-
rungsgeſetzen keine Spur zu finden iſt. Bey ſo unbeſtimmt
allgemeinen Ausdrücken mußte jeder Richter dieſe Ver-
jährungsgeſetze ganz allgemein anwenden, alſo auch auf
die Pfänder für Civilobligationen, ganz gegen die in jener
Meynung vorausgeſetzte Abſicht der Geſetzgeber.
Ein zweyter Verſuch, jenes Hauptargument zu ent-
(h) Heimbach S. 457—460.
(i) Weber natürliche Verbind-
lichkeit § 107. Glück B. 14 S. 43
B. 18 § 1076. Vgl. dagegen
Francke S. 66 S. 80—85.
|0405 : 391|
§. 250. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)
kräften, beſteht darin. Es ſoll in jenen Verjährungsge-
ſetzen vorausgeſetzt ſeyn eine Schuldklage, deren Verjäh-
rung verhindert worden iſt, entweder durch Ausſtellung
eines neuen Schuldſcheins, oder durch Anſtellung der
Schuldklage (k). Beides aber iſt ganz verwerflich; denn
der neue Schuldſchein unterbricht die Verjährung nicht
nur der perſönlichen, ſondern auch der Hypothekarklage (l);
und eben ſo verhält es ſich auch mit der Anſtellung der
Schuldklage, wodurch gleichfalls die Verjährung beider
Klagen zugleich unterbrochen wird (m).
Etwas ſcheinbarer iſt ein neuer Verſuch, wodurch die
Fortdauer des Pfandrechts nach verjährter Schuldklage
(alſo das wichtigſte praktiſche Moment) zugegeben wird,
und nur der Rückſchluß auf die fortdauernde naturalis
obligatio bekämpft werden ſoll (n). Hier geht man davon
aus, daß auch in mehreren anderen Fällen eine Fort-
dauer des Pfandrechts, abweichend von allgemeinen Grund-
ſätzen, angenommen werde, blos mit Berufung auf den
Buchſtaben des Servianiſchen Edicts: nisi solutum vel
(k) Donellus Lib. 16 C. 26
§ 8—10, und Comm. in Codi-
cem in L. 2 C. de luit. p. 372.
(l) L. 7 § 5 C. de praescr.
XXX. (7. 39.). Kierulff S. 214
ſucht dieſer Erklärung einen neuen
Halt zu geben durch die Voraus-
ſetzung, in dem neuen Schuldſchein
könne dem Pfandrecht ausdrücklich
widerſprochen worden ſeyn. Daß
die ganze wichtige Geſetzgebung
über Verjährung der Hypothekar-
klage blos mit Rückſicht auf einen
ſo verwickelten, vielleicht noch nie
vorgekommenen, Fall erlaſſen wor-
den ſey, iſt durchaus undenkbar;
es gilt in dieſer Hinſicht Alles,
und in noch höherem Grade, was
oben gegen Heimbach (Note h)
bemerkt worden iſt.
(m) L. 3 C. de ann. except.
(7. 40.).
(n) Büchel S. 40—61.
|0406 : 392|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
satisfactum sit; die Hypothekarklage ſollte nach dieſen Wor-
ten ſolange fortdauern, bis der Glaubiger entweder Zah-
lung empfangen, oder in die Aufhebung eingewilligt hätte.
Da nun nach eingetretener Klagverjährung keine dieſer
beiden Thatſachen behauptet werden könne, ſo werde, mit
Hülfe des bloßen Buchſtabens jenes Edicts, die Hypothe-
karklage aufrecht erhalten, obgleich gar keine Schuld,
nicht einmal eine naturalis obligatio, mehr vorhanden ſey.
— Hierauf iſt Folgendes zu antworten. Es kommen
allerdings einige Fälle vor, worin jenes etwas ſubtile Ver-
fahren angewendet wird. Dieſe Fälle aber ſind insgeſammt
ſo beſchaffen, daß darin, dem ſubtilſten Buchſtaben des
Civilrechts gegenüber, eine ganz einleuchtende aequitas ge-
ſchützt werden ſoll. Ein ſolcher Schutz würde im Nothfall
durch außerordentliche Rechtsmittel, z. B. durch Reſtitu-
tion, gewährt werden, und nur um dieſe entbehrlich zu
machen, wenden die alten Juriſten jene ſubtile Behand-
lung des Edicts an. Dieſe Art von Nothwehr wird ge-
braucht gegen die Confuſion (o); ferner bey dem Sc. Vel-
(o) L. 30 § 1 de exc. rei jud. (44.
2) „… In proposita autem quaes-
tione magis me illud movet,
numquid pignoris jus extinctum
sit dominio adquisito: neque
enim potest pignus perseverare
domino constituto creditore.
Actio tamen pigneraticia com-
petit: verum est enim, et pi-
gnori datum, et satisfactum
non esse …”. Der Grund der
aequitas liegt hier darin, daß es
ganz unnatürlich ſeyn würde, wenn
der Pfandglaubiger, durch Erwerb
eines neuen Rechts (des Eigen-
thums), den nachſtehenden Pfand-
glaubigern gegenüber, deterioris
conditionis werden ſollte, indem
er die bisherigen Vortheile ſeiner
Priorität verlöre.
|0407 : 393|
§. 250. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)
lejanum (p); endlich auch wenn ein Pfandglaubiger von
ſeinem Schuldner zum Erben eingeſetzt wird, aber die
ganze Erbſchaft als Fideicommiß reſtituirt. Eigentlich iſt
hier ſowohl die Schuld, als das Pfand, durch Confuſion
erloſchen, aber offenbar gegen die aequitas, weil nach der
Abſicht der Fideicommißgeſetze in einem ſolchen Fall alle
Folgen des Erbſchaftserwerbs für den Erben vertilgt wer-
den ſollten; daher wird unter andern die Hypothekarklage,
mit Hülfe des Buchſtabens jenes Edicts, aufrecht erhal-
ten, aber auch ausdrücklich bemerkt, daß hieraus die Fort-
dauer einer naturalis obligatio zu erkennen ſey, indem ja
ohne Obligation kein Pfand beſtehen kann (q). Vergleichen
(p) L. 13 § 1 ad Sc. Vell.
(16. 1.) „De pignoribus prioris
creditoris non est creditori
nova actione opus: cum quasi
Serviana, quae et hypothecaria
vocatur, in his utilis sit, quia
verum est, convenisse de pigno-
ribus, nec solutam esse pecu-
niam.” Wenn eine Frau expro-
mittirt, ſo iſt ſie ſelbſt durch die
exc. Sc. Vellejani geſchützt, da-
gegen bekommt der Glaubiger ge-
gen den alten Schuldner eine actio
restitutoria (L. 1 § 2 L. 8 § 11.
12. 13 eod.). Dieſe künſtliche Her-
ſtellung, ſagt die abgedruckte Stelle,
ſoll für die Hypothekarklage nicht
nöthig ſeyn, weil hier ſchon die
buchſtäbliche Anwendung des Edicts
aushelfe; außerdem würde auch
hier die Reſtitution nicht verſagt
worden ſeyn.
(q) L. 59 pr. ad Sc. Treb.
(36. 1.) „.. et hic Serviana
actio tenebit: verum est enim,
non esse solutam pecuniam …
Igitur non tantum retentio, sed
etiam petitio pignoris nomine
competit, et solutum non re-
petetur. Remanet ergo pro-
pter pignus naturalis obliga-
tio.” Das: propter pignus darf
nicht ſo verſtanden werden, als ob
bey einer Schuld ohne Pfand keine
naturalis obligatio übrig bleiben
würde, und als ob dieſe Obliga-
tion in dem vorliegenden Fall keine
andere Wirkung, als die Erhal-
tung des Pfandes hätte. Der Un-
tergang der Obligation durch Con-
fuſion gründet ſich blos auf das
ſubtile Civilrecht, und bleibt daher
ohne Einfluß auf den naturalen
Beſtandtheil der Obligation. —
Dieſe Stelle beſonders hat Büchel
(Note n) für ſeine Anſicht zu be-
|0408 : 394|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
wir damit den Fall der eingetretenen Klagverjährung, ſo
hat dieſer eine ganz verſchiedene, ja entgegengeſetzte Na-
tur. Unſere Gegner behaupten ja gerade, daß durch die
Verjährung auch die naturalis obligatio aufgehoben werde,
welches nichts Anderes ſagen will, als daß die Aufhe-
bung nicht nur zum allgemeinen Beſten, ſondern ſelbſt im
Einverſtändniß mit dem jus gentium, der aequitas, ge-
ſchehe. Wenn aber Dieſes, ſo iſt gar kein Grund vor-
handen, den Buchſtaben des Edicts gegen die vollſtändige
Ausführung dieſer aequitas in’s Feld zu führen, ein Ver-
fahren, welches ohnehin höchſtens als Abwehr des ſub-
tilſten Civilrechts erträglich gefunden werden kann. Hier
wäre es vielmehr natürlich geweſen, der aequitas ihren
freyen Lauf zu laſſen, und die gänzliche Aufhebung der
Schuld und des Pfandrechts auf keine Weiſe zu ſtören. —
Muß nun auch dieſer Verſuch für mislungen erkannt wer-
den, ſo bleibt es bey unſrer urſprünglichen Behauptung,
daß die Fortdauer der Hypothekarklage nach verjährter
Schuldklage ein unwiderleglicher Beweis für die fort-
dauernde naturalis obligatio iſt.
Ich füge nun noch die einzelnen, hier in Betracht kom-
nutzen geſucht. Befriedigend han-
delt von derſelben, den richtigen
Standpunkt feſthaltend, Francke
S. 86 — 107. Er macht unter an-
dern S. 103 die gute Bemerkung,
daß jene Worte des Edicts (nisi
solutum) ohne Zweifel in die
Faſſung der Intentio bey der Hy-
pothekarklage aufgenommen zu wer-
den pflegten. Dadurch bekommt
dieſe buchſtäbliche Anwendung eine
recht praktiſche Beziehung auf das
Verfahren des Arbiter, welcher nach
dem Inhalt dieſer Intentio zu ur-
theilen angewieſen war.
|0409 : 395|
§. 250. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)
menden, Stellen hinzu, von welchen ich voraus bemerke,
daß keine derſelben eine ſo überzeugende und entſcheidende
Kraft hat, wie das eben durchgeführte allgemeinere Ver-
hältniß.
Ein Reſcript des K. Gordian lautet alſo (r):
Intelligere debes, vincula pignoris durare personali
actione submota.
Ich zweifle nicht, daß hier beſonders an den Fall der
Klagverjährung gedacht iſt (s), aber ſie kann doch eben
ſo gut auch auf die Prozeßverjährung oder die Klagecon-
ſumtion bezogen werden, und iſt ſchon deshalb kein ſicherer
Beweis für unſre Behauptung. Dazu kommt aber der wich-
tigere Grund, daß der Satz nicht in buchſtäblicher Allge-
meinheit wahr iſt. Actio submota heißt Wegräumung
des bloßen Klagrechts, Aufhebung durch Exception. Wird
nun etwa eine Stipulation durch bloßes Pactum aufge-
hoben, ſo iſt auch actio submota, aber: vincula pignoris
non durant (Note f). Alſo will das Reſcript, nach einer
oft vorkommenden Ausdrucksweiſe, nur ſagen: es kann
zuweilen das Pfandrecht fortdauern ungeachtet der actio
submota (t), oder actio submota iſt nicht allgemein und
nothwendig Grund der Zerſtörung eines Pfandrechts (u).
(r) L. 2 C. de luitione (8. 31.).
(s) In der That wird dafür
submovere actionem gebraucht.
L. 21 C. de evict. (8. 45.). Vgl.
Averanius II. 12 § 20.
(t) So daß alſo durare ſteht
für; durare posse.
(u) Ich glaube daher, daß auf
dieſe Stelle von beiden Parteyen
mehr Gewicht gelegt wird, als ihr
zukommt. Donellus (Note k)
glaubt, die von ihm vertheidigte
Meynung gegen dieſe Stelle nicht
anders retten zu können, als in-
|0410 : 396|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Paulus ſagt, wenn ein verpfändeter Sklave von einem
Dritten getödtet werde, ſo könne außer dem Eigenthümer
auch der Pfandglaubiger die Aquiliſche Klage anſtellen,
inſofern er ein Intereſſe bey dem Tod des Sklaven habe;
dieſes Intereſſe aber könne er haben, erſtlich wenn der
Schuldner inſolvent ſey, zweytens „quod litem tempore
amisit” (v). Hier iſt nun unzweifelhaft anerkannt, daß
der Verluſt der Schuldklage durch Zeitablauf das Pfand-
recht nicht zerſtört, die Stelle iſt aber deswegen nicht ganz
entſcheidend, weil es ungewiß bleibt, ob Paulus dabey an
die Klagverjährung oder an die alte Prozeßverjährung ge-
dacht hat; ich glaube jedoch, daß ſeine Entſcheidung für
beide Fälle gleich richtig und anwendbar iſt (§ 249. d).
Pomponius erzählt folgenden Fall. Zehen Tage vor
Ablauf der Verjährung einer Schuldklage expromittirt ein
Minderjähriger, und wird nachher gegen dieſe Handlung
reſtituirt. Hier ſoll auch der Glaubiger ganz in ſeine frü-
here Lage zurück verſetzt werden. Daraus folgt erſtlich,
daß ihm die noch übrigen Zehen Tage zur Anſtellung der
Klage verſtattet werden; zweytens, daß das vom erſten
Schuldner beſtellte Pfand wiederum gültig wird und nun
für immer gültig bleibt (x).
dem er höchſt gewaltſam, anſtatt
durare, ließt: non durare. Un-
richtig iſt es, die Stelle durch Ver-
bindung mit L. 1 eod. erklären zu
wollen. Vgl. Cujacius observ.
V. 32, und über die Stelle im
Allgemeinen, Franke S. 78—80.
(v) L. 30 § 1 ad L. Aquil.
(9. 2.).
(x) L. 50 de minor. (4. 4.)
„.. ideoque et pignus, quod
dederat prior debitor, manet
obligatum.” Eigentlich nämlich
war durch die Expromiſſion des
|0411 : 397|
§. 251. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)
§. 251.
Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Wirkung.
(Fortſetzung.)
II. Bürgſchaft.
Hierbey kommen dieſelben zwey Fragen vor, wie bey
dem Pandrecht (§ 250); Gültigkeit der für eine ſchon ver-
jährte Schuldklage geleiſteten Bürgſchaft; Fortdauer der
Bürgſchaft, die vor Ablauf der Verjährung, etwa gleich-
zeitig mit der Entſtehung der Hauptſchuld geleiſtet wurde.
Auch hier wird wieder die zweyte Frage größere Wichtig-
keit haben. Beide Fragen werden, nach der von mir ver-
theidigten Meynung, für die Gültigkeit der Bürgſchaft be-
antwortet werden müſſen; von den Gegnern in entgegen-
geſetzter Weiſe.
In dieſem Fall vorzüglich tritt die oben (§ 250) be-
merkte Vieldeutigkeit der von der Befreyung durch Zeit
redenden Stellen hindernd in den Weg; nicht eine einzige
der hier einſchlagenden Stellen giebt für unſre Frage ein
ſicheres Reſultat.
Folgender Ausſpruch des Paulus iſt der wichtigſte; er be-
Minderjährigen, ſo wie durch jede
Novation, das Pfandrecht ganz
zerſtört (L. 18 de nov. 45. 2.),
und es wird nur in Folge der Re-
ſtitution wieder hergeſtellt. Indem
aber hier dieſe Herſtellung für das
Pfand ohne alle Einſchränkung
anerkannt wird, folgt daraus, daß
der nahe Ablauf der Zehen Tage
nur auf die Schuld, nicht auf das
Pfand, Einfluß haben ſoll. —
Dieſe Stelle übrigens handelt un-
zweydeutiger, als die übrigen, von
der Klagverjährung: „.. qui tem-
porali actione tenebatur tunc,
cum adhuc supererant decem
dies ..”. So konnte man von
der Prozeßverjährung unmöglich
ſprechen.
|0412 : 398|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
zieht ſich auf den oben angegebenen erſten Fall, da nach
Ablauf der Zeit die Bürgſchaft geleiſtet wird (a):
Si quis, postquam tempore transacto liberatus est,
fidejussorem dederit, fidejussor non tenetur: quo-
niam erroris fidejussio nulla est.
Die Stelle läßt ſich am einfachſten von der Klagver-
jährung, und zwar von dem Standpunct unſrer Meynung
aus, erklären. Der durch Verjährung bereits befreyte
Schuldner giebt einen Bürgen; dieſer iſt an ſich (ipso jure)
wohl verpflichtet, da er aber die Exceptionen des Haupt-
ſchuldners mit genieſt (b), ſo macht er ſich durch die tem-
poris praescriptio deſſelben frey (non tenetur, nämlich
cum effectu). Dabey wird jedoch vorausgeſetzt, daß er
die abgelaufene Verjährung nicht kannte; denn wenn er
ſie kannte, ſo hat er ohne Zweifel gerade mit Rückſicht
auf ſie die Bürgſchaft geleiſtet, und dann muß ſeine tem-
poris praescriptio durch die doli replicatio ausgeſchloſſen
werden. — Wären nicht die letzten Worte, ſo könnte die
Stelle eben ſo ungezwungen aus der Meynung der Geg-
ner erklärt werden; nun würde nämlich das non tenetur
ſo zu verſtehen ſeyn: ipso jure non tenetur, wegen der
zerſtörten naturalis obligatio. Dieſer Erklärung aber ſte-
hen die letzten Worte entgegen, da unter dieſer Voraus-
ſetzung der Irrthum durchaus ohne Einfluß ſeyn würde (c).
(a) L. 37 de fidej. (46. 1.).
(b) L. 7 pr. § 1 de exc. (44.
1.), vgl. oben § 227.
(c) Aus demſelben Grund kann ich
auch nicht die Erklärung einräumen,
nach welcher die Stelle von einem
auf eine gewiſſe Zeit beſchränkten
Vertrag ſprechen ſoll. (Unter-
|0413 : 399|
§. 251. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)
— Die Stelle läßt ſich aber eben ſowohl von der Prozeß-
verjährung, als von der Klagverjährung erklären, und iſt
deswegen für unſre Meynung nicht ganz entſcheidend. —
Dagegen kann ſie nicht bezogen werden auf die L. Fu-
ria (d), weil im Fall derſelben wieder der Irrthum ganz
gleichgültig ſeyn müßte.
Nicht im Widerſpruch mit der hier gegebenen Erklä-
rung ſteht folgende Stelle des Scävola, die übrigens die
Verjährung nicht beſonders erwähnt (e):
Ubicumque reus ita liberatur a creditore, ut natura
debitum maneat, teneri fidejussorem respondit: cum
vero genere novationis transeat obligatio, fidejusso-
rem aut jure, aut exceptione liberandum.
Wenn eine naturalis obligatio zurück bleibt, ſo iſt ſtets
der Bürge ipso jure fortwährend verpflichtet (teneri re-
spondit). Damit iſt aber wohl vereinbar, daß er bald
doch per exceptionem befreyt werde, ſo wie ich es für
den Fall der Klagverjährung annehme (f), bald auch nicht,
wenn nämlich die Exception eine ganz individuelle Natur
holzner II. S. 113.) Denn nach
Ablauf dieſer Zeit iſt es inanis
obligatio geworden, und die nach-
her übernommene Bürgſchaft iſt
unwirkſam ohne Rückſicht auf Irr-
thum.
(d) Dieſes wäre ſo zu denken,
daß ein Sponsor oder Fidepro-
missor, nach Ablauf der ihm durch
die L.Furia beſtimmten zwey Jahre,
einen fidejussor geſtellt hätte.
(e) L. 60 de fidej. (46. 1.).
Dieſe Stelle iſt ſchon oben, § 249.
a, zu einem andern Zweck benutzt
worden.
(f) Das teneri wird alſo hier
in einem anderen Sinn genom-
men, als in der vorhergehenden
Stelle; aber beide Bedeutungen
kommen überhaupt vor, ſo daß
jede derſelben vorausgeſetzt werden
darf, wie es gerade das Bedürf-
niß der Erklärung einer Stelle
mit ſich bringt.
|0414 : 400|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
hat, wie z. B. bey dem ſogenannten beneficium competen-
tiae (g). — Die Stelle wird dadurch undeutlich, daß ſie
aus dem Zuſammenhang geriſſen iſt. So z. B. fehlt zwi-
ſchen beiden hier genannten Fällen ein dritter, in der Mitte
liegender, wenn die Befreyung zwar nur per exceptionem,
aber mit Zerſtörung der naturalis obligatio, eingetreten iſt;
in dieſem Fall iſt der Bürge gewiß nicht mehr verpflichtet,
ſo z. B. wenn die durch Stipulation entſtandene Haupt-
ſchuld durch Pactum aufgehoben wird.
Bey einigen anderen Stellen, die hier angeführt zu
werden pflegen, muß an dieſer Stelle der Beweis genü-
gen, daß ſie gewiß nicht von der Klagverjährung zu ver-
ſtehen ſind (h).
III. Conſtitutum.
Auch für die Wirkſamkeit des Conſtitutum kommen die-
(g) L. 7 pr. § 1 de exc. (44. 1.)
(h) L. 38 § 4 de solut. (46. 3.).
Sie geht nicht auf Klagverjährung,
ſondern entweder auf Prozeßver-
jährung, oder auf die L. Furia.
Denn Africanus könnte doch un-
möglich an eine andere Klagver-
jährung denken, als an die der
prätoriſchen Annalklagen; dieſe aber
hatten utile tempus, wobey die
Zeit der Abweſenheit ipso jure
abgerechnet wurde, alſo nicht zu
einer Reſtitution Veranlaſſung gab.
Bey jenen beiden Inſtituten dagegen
wurde nach tempus continuum ge-
rechnet. Vgl. oben B. 4. § 190. S.
441. 442. — L. 29 § 6 mand.
(17. 1.), L. 69 de fidej. (46. 1.),
L. 71 § 1 de sol. (46. 3.). Dieſe
drey Stellen ſprechen von einem
fldejussor tempore liberatus,
und ſie könnten nur dadurch hier-
her gezogen werden, daß man dieſe
Befreyung auf die für den Haupt-
ſchuldner eingetretene Klagverjäh-
rung bezöge, womit aber ſchon
die Ausdrücke theilweiſe nicht zu
vereinigen ſeyn würden. Von ei-
ner Verjährung der Bürgſchafts-
klage können ſie nicht verſtanden
werden, weil dieſe zur Zeit der al-
ten Juriſten gar keine Verjährung
hatte. Sie gehen ganz ohne Zwei-
fel urſprünglich auf die L. Furia,
und ſind nur durch Interpolation et-
was unverſtändlich gemacht worden.
|0415 : 401|
§. 251. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)
ſelben zwey Fragen vor wie bey dem Pfandrecht, je nach-
dem daſſelbe nach oder vor Ablauf der Verjährung ge-
ſchloſſen worden iſt. Nach meiner Meynung iſt in beiden
Fällen das Conſtitutum gültig, weil dieſes überhaupt nur
eine naturalis obligatio als Grundlage erfordert (i). Nach
der entgegengeſetzten Meynung, wenn ſie conſequent durch-
geführt werden ſoll, müßte es in beiden Fällen ungül-
tig ſeyn.
Ulpian ſcheint dieſe Fragen zu behandeln in folgender
Stelle, worin ſogar einmal ausdrücklich der Ausdruck tem-
poralis actio vorkommt, und die ich deshalb zuerſt von
der Verjährung zu erklären verſuchen will (k). Damit
das Conſtitutum gültig ſey, ſagt er, muß die zum Grund
liegende Obligation gültig ſeyn, aber es iſt hinreichend
daß ſie es ſey zu der Zeit, worin das Conſtitutum ge-
ſchloſſen wird. Iſt alſo die Gültigkeit der Obligation auf
Zeit beſchränkt, und wird conſtituirt vor Eintritt des Zeit-
punkts, ſo bleibt das Conſtitutum auch nachher gültig. Ja
ſelbſt wenn in dem Conſtitutum die Zahlung ausdrücklich
(i) L. 1 § 7 de pec. const. (13.
5.) „Debitum autem vel natura
sufficit.”
(k) L. 18 § 1 de pec. const.
(13. 5.). Zunächſt möchte man
an eine Vergleichung dieſer Stelle
mit der von der Bürgſchaft han-
delnden (Note a) denken. Hier iſt
aber der Hauptunterſchied der, daß
bey der Bürgſchaft immer zwey
Schuldner vorkommen, anſtatt daß
in unſrer Stelle von dem ſ. g. con-
stitutum debiti proprii die Rede
iſt, alſo von einem Schuldner, der
nicht eine fremde Schuld übernimmt,
ſondern ſeine eigene beſtärkt oder
modificirt. Proinde temporali
actione obligatum constituendo
.. teneri debere;” alſo der obli-
gatus iſt zugleich der, welcher con-
ſtituirt.
V. 26
|0416 : 402|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
verſprochen wird auf einen nach dem Untergang der erſten
Obligation fallenden Zeitpunkt, ſo iſt und bleibt es den-
noch gültig. Damit ſchließt Ulpians Ausſpruch; es liegt
aber unwiderſprechlich im Hintergrund der nicht ausge-
drückte Satz, daß das Conſtitutum ungültig ſey, wenn es
geſchloſſen werde erſt nach dem Zeitpunkt, mit welchem
die erſte Obligation aufgehört hat. Verſteht man alſo
die Stelle überhaupt von der Verjährung, ſo würde ſich
Ulpian in dieſer beſondern Anwendung halb für die eine,
halb für die andere der ſtreitenden Parteyen erklären (l).
Schon dieſes iſt ein Grund, weshalb ich die Stelle
gar nicht von der Klagverjährung verſtehe. Es kommt
aber der andere Grund hinzu, daß in der zweyten Hälfte
der Stelle Ausdrücke gefunden werden, die niemals ein
alter Juriſt von der bloßen Verjährung der Klagen ge-
braucht hat (m). Ich glaube daher, daß die Stelle gar
nicht hierher gehört, und daß darin Ulpian geradezu von
einem Fall der L. Furia geſprochen hat. Die Dunkelheit
der Stelle iſt dann dadurch entſtanden, daß die Compila-
toren die von einem verſchwundenen Rechtsinſtitut redende
Stelle aufgenommen, und daß ſie Dieſes durch Interpola-
tionen zu verſtecken geſucht haben, ſo daß namentlich die
Worte temporali actione und temporalis actionis an die
(l) Daher nimmt denn einer
der eifrigſten Vertheidiger der ſtär-
keren Wirkung der Klagverjährung
hier eine Ausnahme an, indem er
einräumt, daß das vor Ablauf der
Verjährung geſchloſſene Conſtitu-
tum auch nachher wirkſam fort-
dauere. Büchel S. 72. 73.
(m) L. 18 cit. „post tempus
obligationis” und: „eo tempore
constituit, quo erat obligatio.”
|0417 : 403|
§. 251. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)
Stelle derjenigen Ausdrücke eingeſchoben worden ſind, wo-
durch urſprünglich Ulpian ſeinen ganz anderen Gedanken
bezeichnet hatte.
IV. Compenſation.
Darüber haben wir keine Äußerungen der alten Juri-
ſten; es ſind aber folgende Fälle zu unterſcheiden.
Wenn ich Etwas ſchuldig werde Demjenigen, gegen
welchen ich eine noch unverjährte Klage auf dieſelbe Summe
habe und dann die Verjährung abläuft, ſo werden jetzt
Alle annehmen, daß ſich die beiden Forderungen ſogleich
ipso jure zerſtört haben, ſo daß von einer Verjährung
nicht weiter die Rede ſeyn kann. Für die Zeit vor Juſti-
nian aber, als die Compenſation nur per exceptionem
wirkte, müſſen ſich auch in dieſer Anwendung die beiden
Meynungen über die ſtärkere oder ſchwächere Wirkung der
Klagverjährung ſtreitend gegenüber ſtehen. Ob jedoch dieſer
Zuſtand nicht noch im heutigen Recht fortdauert, und ob
Juſtinians Ausſpruch von der ipso jure eintretenden Wirkung
der Compenſation ſo buchſtäblich zu nehmen iſt, oder nicht
— das iſt eine Frage, die an dieſem Ort auf ſich beruhen
muß.
Es bleibt noch der andere Fall übrig, wenn ich meine
Schuldklage habe verjähren laſſen, und nun aus einem
andern Grunde meinem bisherigen Schuldner dieſelbe
Summe ſchuldig werde; auch hier begegnen ſich wieder
die ſtreitenden Meynungen. Nach der von mir vertheidig-
ten muß ich gegen die Schuldklage des Andern meine Ge-
26*
|0418 : 404|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
genforderung im Wege der Compenſation geltend machen
können, weil ſie als naturalis obligatio fortdauert, und
Dieſes für die Compenſation hinreicht (n); es ſind jedoch
einige Anhänger dieſer Meynung ihr in dieſer beſondern
Anwendung nicht treu geblieben, haben alſo hier eine
Ausnahme der von ihnen außerdem anerkannten Regel an-
genommen (o). Nach der entgegengeſetzten Meynung wird
hier ganz conſequenter Weiſe die Möglichkeit der Compen-
ſation verneint.
V. Novation.
Hier ſtellt ſich die Frage einfacher, als in den bisher
abgehandelten Fällen. Wird nämlich vor Ablauf der Ver-
jährung die Novation vorgenommen, ſo iſt die alte Obli-
gation ganz vernichtet, und von Verjährung kann nicht
weiter die Rede ſeyn.
Es bleibt alſo nur die Frage übrig, ob eine nach Ab-
lauf der Klagverjährung vorgenommene Novation wirkſam iſt.
Hierüber haben wir keine Ausſprüche unſrer Rechtsquel-
len, es muß alſo der allgemeine Widerſtreit nur auf die-
ſen beſonderen Fall conſequent angewendet werden; dieſes
(n) L. 6 de compens. (16. 2.)
Etiam quod natura debetur,
venit in compensationem.”
(o) Unterholzner II. S. 314.
315. Seine Gründe ſind: erſtlich
die Zweckmäßigkeit (die aber, wenn
ſie da wäre, auch in anderen An-
wendungen gelten möchte), zwey-
tens L. 14 de compens. (16. 2.)
„Quaecumque per exceptionem
perimi possunt, in compensa-
tionem non veniunt.” Ich glaube,
daß dieſe Stelle durch L. 6 eod.
(Note n) beſchränkt werden müſſe,
Unterholzner nimmt das entgegen-
geſetzte Verhältniß an. — Vgl.
dagegen Puchta Lehrbuch § 77,
und Glück B. 15 S. 64. 65, wo
viele Schriftſteller für beide Mey-
nungen angeführt ſind.
|0419 : 405|
§. 251. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)
jedoch mit folgender Modification. Wenn die Novation
von dem alten Schuldner ſelbſt nach Ablauf der Verjäh-
rung vorgenommen wird, und dieſer es weiß, daß die
Verjährung vollendet iſt, dann können ſelbſt die Gegner
die Gültigkeit der Novation, unbeſchadet der Conſequenz,
einräumen. Denn nun liegt in derſelben augenſcheinlich
ein Verzicht auf den Vortheil der Verjährung; von deſſen
ſelbſtſtändiger Natur aber wird noch in der Folge geſpro-
chen werden. Daſſelbe muß bey der von einem Dritten
vorgenommenen Expromiſſion gelten, wenn dabey der Schuld-
ner mitgewirkt hat, wie es meiſtens geſchehen wird.
VI. Solutum non repetere.
Hier iſt die Frage eben ſo einfach, wie bey der No-
vation. Die vor Ablauf der Verjährung geleiſtete Zah-
lung zerſtört die Schuld gänzlich, und macht jeden Fort-
gang einer Verjährung unmöglich. Es bleibt alſo nur die
Frage übrig, ob die nach abgelaufener Verjährung aus
Irrthum geleiſtete Zahlung Grund einer condictio indebiti
iſt oder nicht. Dieſe Frage muß nach dem allgemeinen
Grundſatz von beiden ſtreitenden Parteyen auf entgegen-
geſetzte Weiſe beantwortet werden; einen ſicheren Ausſpruch
unſrer Rechtsquellen beſitzen wir über dieſe Frage nicht (p).
(p) L. 25 § 1 ratam rem
(46. 8.), beurtheilt folgenden Fall.
Ein debitor tempore liberatus
hatte vor eingetretenem Zeitpunkt
an einen unbevollmächtigten Pro-
curator Zahlung gegen Caution
geleiſtet, der Glaubiger genehmigt
nach jenem Zeitpunkt; dieſe Ge-
nehmigung ſoll unwirkſam ſeyn,
offenbar weil zur Zeit ihrer Er-
|0420 : 406|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Zum Schluß ſind noch die Vorſchriften neuerer Ge-
ſetzgebungen über die Wirkung der Verjährung darzu-
ſtellen.
Das Preußiſche Landrecht nimmt nach vielen Stellen
den Untergang des Rechts ſelbſt, alſo eine Zerſtörung der
Obligationen ipso jure, als Folge der vollendeten Verjäh-
rung an (q). Ja es kann eigentlich keine andere Anſicht
geltend machen, da es die Klagverjährung nicht, wie das
Römiſche Recht, als ein eigenthümliches Rechtsinſtitut be-
handelt, ſondern blos als einen einzelnen Fall der allge-
meinen Verjährung durch Nichtgebrauch (§ 246). Eine Be-
ſtätigung findet ſich in einer der oben unterſuchten prakti-
ſchen Anwendungen, indem beſtimmt iſt, daß eine verjährte
Forderung nicht zur Compenſation taugen ſoll (r). Bey
dem Pfandrecht kommt, für die wichtigſte Geſtalt deſſelben,
die Regel in Betracht, daß gegen alle in ein Hypotheken-
buch eingetragene Rechte gar keine Verjährung zugelaſſen
wird, weder durch Beſitz noch durch Nichtgebrauch (s).
Ganz fremdartig, und ohne eigentlichen Einfluß, ſtehen
theilung die Schuld untergegan-
gen war. Wäre eine naturalis
obligatio übrig geweſen, ſo hätte
in Beziehung auf dieſe die Ge-
nehmigung Kraft haben müſſen. —
Allein wir haben durchaus keinen
Grund, die Stelle auf die Verjäh-
rung zu beziehen; ſie iſt ganz be-
friedigend von einem auf beſchränkte
Zeit geſchloſſenen Vertrag zu er-
klären, oder auch von der L. Fu-
ria, deren nähere Bezeichnung durch
Interpolation verwiſcht ſeyn mag.
Das erkennen ſelbſt die Gegner
an. Heimbach S. 449.
(q) A. L. R. I. 9 § 501. 502
(das Recht verloren), § 564 (ver-
loſchenes Recht), I. 16 § 7
(Rechte erlöſchen durch Verjäh-
rung).
(r) A. L. R. I. 16 § 377.
(s) A. L. R. I. 9 § 511.
|0421 : 407|
§. 251. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)
daneben die zwey Paragraphen, die, in Übereinſtimmung
mit Rave, der Verjährung eine bloße Praeſumtion der
Tilgung zuſchreiben (§ 246).
Dieſelbe Behandlung der Sache findet ſich auch im
Öſterreichiſchen Geſetzbuch (t) und eben ſo im Franzöſi-
ſchen (u); überall wird gänzlicher Untergang des verjährten
Rechts ſelbſt angenommen. In Sachſen iſt Dieſes durch
ein beſonderes Landesgeſetz anerkannt (v).
Man könnte noch fragen, welche Beſtimmung in dieſer
Hinſicht für die Zukunft räthlich ſey; hierauf aber iſt an
dieſem Ort eine befriedigende Antwort unmöglich. Wird
überhaupt die Römiſche Anſicht von einer naturalis obli-
gatio, als einem abgeſonderten Rechtsinſtitut, anerkannt,
ſo ſcheint mir auch für die Wirkung der Klagverjährung
die hier dargeſtellte Regel des Römiſchen Rechts die allein
conſequente. Wird jene Anſicht überhaupt aufgegeben, ſo
hat es kein Bedenken, die Sache ſo einfach und durchgrei-
fend zu behandeln, wie es in den neueren Geſetzgebungen
geſchehen iſt. Praktiſch erheblich iſt eigentlich nur die An-
wendung auf die Compenſation und auf das Pfandrecht;
und auch dieſe letzte nur, inſofern für die Hypothekarklage
gegen den Schuldner eine ganz eigenthümliche Klagverjäh-
rung, abweichend von allen übrigen, beybehalten wird.
(t) Oeſterreich. Geſetzbuch § 1479.
1499 (Erlöſchung der Rechte).
(u) Code civil art. 1234 „Les
obligations s’éteignent .. par
la préscription.” Art. 2219 „La
préscription est un moyen
d’acquérir ou de se libérer ..”
(v) Haubold Sächſiſches Pri-
vatrecht § 276.
|0422 : 408|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
§. 252.
Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Ausnahmen.
Es giebt ausgenommene Fälle, worin die Klagverjäh-
rung entweder ganz wegfällt, oder nach anderen, als den
hier vorgetragenen, Regeln beurtheilt wird.
I. Stillſtand der Verjährung. Dieſer kann begründet
werden gleich Anfangs, oder auch während der laufenden
Verjährung; im erſten Fall fängt ſie erſt ſpäter an, im
zweyten wird ihr Lauf gehemmt, ſo lange als der that-
ſächliche Grund des Stillſtands dauert, dann wird ſie
fortgeſetzt, gleich als ob dieſer Zwiſchenzuſtand nicht ein-
getreten wäre.
Eine ſolche Suspenſion iſt daher wohl zu unterſchei-
den von der Unterbrechung, wodurch die früher angefan-
gene Verjährung für immer vernichtet wird, und nie wie-
der fortgeſetzt werden kann (§ 242. 243.). Die Fälle der
Suspenſion ſind folgende:
A. Wenn der Klagberechtigte der Inhaber eines ſ. g.
peculii adventitii iſt, oder ein Unmündiger, oder ein Min-
derjähriger; bey dieſem letzten mit Ausnahme der dreyßig-
jährigen Verjährung (a).
B. Wenn bey einjährigen oder noch kürzeren Verjäh-
rungen die Klage durch ein zufälliges Hinderniß nicht an-
geſtellt werden kann (b).
C. In einigen beſonderen Fällen, worin eine Rechts-
(a) Vgl. oben B. 3 Beylage VIII.
Num. XXVII. XXVIII.
(b) Wegen des utile tempus.
Vgl. oben B. 4 § 189. 190.
|0423 : 409|
§. 252. Klagverjährung. Ausnahmen.
regel die Klage hemmt, ohne das Recht zu zerſtören, wel-
ches unſre Juriſten durch die Regel ausdrücken: Agere
non valenti non currit praescriptio (c). Dahin gehören
dieſe Fälle: die Vindication von Baumaterialien, ſo lange
dieſelben Beſtandtheile eines ſtehenden Gebäudes ſind (d);
die Schuld, welche durch ein Moratorium der Klage ent-
zogen iſt (e); die Erbſchaftsklagen während der Verferti-
gung eines Inventarii, oder während einer laufenden De-
liberationsfriſt (f).
II. An ſich unverjährbare Rechtsverhältniſſe. Alle Verjäh-
rung ſoll blos dahin führen, einen gegenwärtigen factiſchen Zu-
ſtand ſo zu fixiren, als ob er ein rechtlicher wäre, ſo z. B. ei-
nen Beſitz, die Unterlaſſung einer geforderten Zahlung u.ſ.w.(g).
Dabei wird die rechtliche Möglichkeit eines ſolchen unabänder-
lichen Zuſtandes vorausgeſetzt, welche auch in den allermei-
ſten Fällen gar nicht zu bezweifeln iſt. Es giebt jedoch ei-
nige Fälle, worin wegen dieſer fehlenden Möglichkeit auch
die Klagverjährung für unzuläſſig erklärt werden muß.
Dahin gehören in gewiſſer Beziehung die Theilungsklagen.
Gegen die a. communi dividundo oder familiae erciscun-
dae gilt keine Verjährung zu dem Zweck, daß das gemein-
ſchaftliche Gut nun für immer ungetheilt bleiben müßte;
(c) Dieſe Regel iſt nur eine
conſequente Fortbildung der für
den Anfang der Verjährung auf-
geſtellten Grundbedingung: actio
nata. Vgl. Göſchen S. 439.
(d) § 29 J. de rer. div. (2. 1.),
L.7 § 10 de adqu. rer. dom. (41.1.).
(e) L. 8 in f. C. qui bonis
(7. 71.)
(f) L. 22 § 11 C. de j. delib.
(6. 30.).
(g) L. 4 C. de praescr. XXX
(7. 39.) „sed quicunque super
quolibet jure .. sit securus ..”
|0424 : 410|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
gegen die a. finium regundorum ſo, daß die verwirrten,
unſicheren Gränzen nie feſt beſtimmt. werden dürften.
Wohl aber gilt die Verjährung, wenn mit dieſen Klagen
entweder eine Zahlung als Ausgleichung und Entſchädi-
gung gefordert wird, oder auch ein feſter Beſitz, welchen
der Beklagte, über die richtigen Gränzen hinaus, 30 Jahre
lang gehabt hat (h).
Etwas Ähnliches läßt ſich behaupten, wenn der Be-
klagte gegen das Interdict uti possidetis nicht etwa eine
Servitut, ſondern die dreyßigjährige Gewohnheit einer
bloßen Störung und Beunruhigung des Eigenthums be-
haupten wollte, die als ein rechtloſer Zuſtand durch keine
Verjährung geſchützt werden kann (i).
III. Bey vielen einzelnen Klagen gelten abweichende
Verjährungsfriſten, welche jedoch zweckmäßiger im beſon-
deren Theil des Syſtems vorgetragen werden.
Hier will ich nur diejenigen Klagen zuſammenſtellen,
die von aller Verjährung gänzlich ausgenommen ſind,
wobey jedoch ſogleich bemerkt werden muß, daß dieſelben
für das heutige Recht theils gar nicht mehr vorkommen
können, theils (bey den Steuern) als ganz unverjährbar
nicht mehr anerkannt ſind:
(h) Auf ſolche Fälle ſind zu be-
ziehen L. 1 § 1 C. de ann. exc.
(7. 40.), L. 6 C. fin. reg. (3. 39.)
Vgl. überhaupt Rave § 147—150.
Thibaut Verjährung S. 123.
126. Göſchen I. S. 426. 429.
(i) Man kann dieſen Fall, mit
demſelben Erfolg, noch von einer
andern Seite auffaſſen. Jede ein-
zelne Beſitzſtörung iſt eine ſelbſtſtän-
dige Thatſache, unabhängig von
früheren Handlungen, woraus alſo
auch wieder eine ganz neue Beſitz-
klage entſteht.
|0425 : 411|
§. 252. Klagverjährung. Ausnahmen.
1) Die Klage auf Steuerreſte (k).
2) Die Klage einer Stadt gegen Curialen, die ſich ihren
Standespflichten entziehen (l).
3) Die vindicatio in libertatem, wenn ein angeblich
Freyer bisher im Sklavenſtand gelebt hat (m).
4) Die Vindication eines Colonen von Seiten des
Grundherrn (n).
IV. Vertrag.
Ein Vertrag, wodurch die Verjährung ganz ausge-
ſchloſſen, oder in ihren Bedingungen oder Wirkungen mo-
dificirt werden ſoll, kann auf zweyerley Weiſe gedacht
werden: vor oder nach Ablauf der Verjährung.
Vor Ablauf der Verjährung, unter andern gleich bey
Abſchluß des Rechtsgeſchäfts, worauf ſich künftig eine Klag-
verjährung beziehen könnte, halte ich einen ſolchen Vertrag
für ganz unwirkſam. Die Verjährung iſt in dem Sinn
juris publici, daß ſie der Privatwillkühr entzogen iſt (o),
auf dieſelbe Weiſe wie die ihr nicht unähnlichen Regeln
und Formen des Prozeſſes, und wie die Natur des Eigen-
thums, welches auch nicht durch Vertrag zu einem unver-
äußerlichen Recht gemacht werden kann (p). Jedoch wird
dieſe Meynung von mehreren Schriftſtellern beſtritten (q);
(k) L. 6 C. de praescript.
XXX. (7. 39.), vgl. oben § 238.
(l) L. 5 C. de praescr. XXX.
(7. 39.), vgl. oben § 238.
(m) L. 3 C. de longi temp.
pr. quae pro lib. (7. 22.). Selbſt
60 Jahre ſollen nicht im Wege
ſtehen.
(n) L. 23 pr. C. de agric.
(11. 47.).
(o) L. 38 de pactis (2. 14.),
L. 45 § 1 de R. J. (50. 17.).
(p) L. 61 de pactis (2. 14.).
(q) Rave § 167 iſt meiner
|0426 : 412|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
der Grund, der dagegen hauptſächlich geltend gemacht
wird, beruht auf folgender Beſtimmung des Römiſchen
Rechts. Wenn ein Käufer das Recht willkührlicher Auf-
löſung des Kaufcontracts ausbedingt, ſo kann er dieſes
ausdrücklich auf unbeſchränkte Zeit vorbehalten. Wird
aber über die Zeit gar Nichts geſagt, ſo ſoll es ſo ange-
ſehen werden, als wäre dieſer Vorbehalt auf 60 Tage ge-
ſchehen (r). Dieſe Stelle beweißt deswegen nicht den von
den Gegnern behaupteten Satz, weil ſie überhaupt nicht
von der Klagverjährung ſpricht, ſondern von der bloßen
Interpretation eines unbeſtimmten Vertrags, die dann na-
türlich einer ausdrücklichen Erklärung weichen muß (s).
Dagegen iſt es nach Ablauf der Verjährung durchaus
geſtattet, dieſelbe durch Vertrag aufzuheben, das heißt auf
die durch dieſelbe erlangten Vortheile ganz oder theilweiſe
zu verzichten. Dieſes müſſen auch Diejenigen einräumen,
welche nach abgelaufener Verjährung die Fortdauer einer
naturalis obligatio verneinen. Denn auch Dieſe geben zu,
daß die Verjährung nur per exceptionem wirke, das Recht
einer Exception aber iſt jeder neuen Modification durch
Rechtsgeſchäfte empfänglich (§ 225).
Mit der hier für das Römiſche Recht vorgetragenen
Meynung; Eichmann in einer
Note zu dieſer Stelle hat die ent-
gegengeſetzte Meynung; eben ſo
auch Unterholzner I. § 28.
(r) L. 31 § 22 de aedil ed.
(21. 1.).
(s) Als Verjährung kann es
ſchon deswegen nicht betrachtet
werden, weil hier aus dem Ver-
trag noch nicht eine actio nata
abgeleitet werden kann, eben ſo
wie bey dem Nebenvertrag über
Rückverkauf (§ 241).
|0427 : 413|
§. 253. Verjährung der Exceptionen.
Anſicht ſtimmt völlig überein das Franzöſiſche Geſetzbuch,
welches auch nur den Verzicht auf eine ſchon erworbene
Verjährung anerkennt (t). Eben ſo auch das Oeſter-
reichiſche (u). Anders das Preußiſche, welches außer dem
Verzicht auf die erworbene Verjährung (§ 245. h) auch
die Ausſchließung einer künftigen durch Vertrag geſtattet,
jedoch nur unter ganz beſonderen Beſchränkungen (v).
§. 253.
Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Anwendung
auf Exceptionen.
Die Verjährung der Klagen iſt nunmehr vollſtändig dar-
geſtellt, und es bleibt zum Schluß dieſer Lehre nur noch
die Frage zu beantworten übrig, ob von dieſer Art der
Aufhebung auch irgend eine Anwendung auf Exceptionen,
alſo zum Vortheil des Klägers, zu machen iſt. Da die
bisher dargeſtellte Verjährung auf die Klagen vermittelſt
einer praescriptio oder exceptio angewendet wurde, ſo
läßt ſich dieſe Frage auch ſo ausdrücken: Iſt es zuläſſig,
die Verjährung in Geſtalt einer temporis replicatio gel-
tend zu machen?
Bevor dieſe wichtige und ſehr beſtrittene Frage ſelbſt
unterſucht werden kann, iſt es nöthig, aus dem Gebiet
(t) Code civil art. 2220—2222.
(u) Oeſterreich. Geſetzbuch §
1502.
(v) A. L. R. I. 9 § 565—567.
669. Der Vertrag darf nur ein
beſtimmtes Recht oder eine be-
ſtimmte Sache betreffen, auch muß
er bey Strafe der Nichtigkeit ge-
richtlich verlautbart, und, wenn er
ein Grundſtück zum Gegenſtand
hat, in das Hypothekenbuch einge-
tragen ſeyn.
|0428 : 414|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
derſelben zwey Fälle zu entfernen, deren Einmiſchung die
Löſung der Aufgabe nicht wenig erſchwert hat.
Erſtlich giebt es Fälle, in welchen eine Exception nicht
anders erlangt werden kann, als mit Hülfe einer Reſtitu-
tion. Da nun jede Reſtitution urſprünglich an die Friſt
eines utilis annus gebunden war (jetzt Vier Kalenderjahre),
ſo pflegt man wohl zu ſagen, daß in dieſen Fällen die
Exception einer kurzen Verjährung unterworfen ſey. Bey-
ſpiele ſind dieſe: Wenn ein Minderjähriger Bürgſchaft
leiſtet, ſo bedarf er einer Reſtitution, um ſich gegen die
Stipulationsklage durch Exception zu ſchützen (a). Wenn
die Sache eines Abweſenden uſucapirt wird, ſo bedarf er
in der Regel einer Reſtitution zum Behuf einer rescissoria
in rem actio; hat er jedoch durch Zufall den Beſitz wie-
der erlangt, ſo genügt ihm eine Exception gegen des An-
dern Vindication, die aber nicht weniger an alle Bedin-
gungen und Formen der Reſtitution geknüpft iſt, alſo auch
an die kurze Verjährungsfriſt, indem das Eigenthum durch
Uſucapion wahrhaft verloren war (b). — Es iſt jedoch
eine ganz falſche Auffaſſung, hier die Verjährung auf die
Exception zu beziehen, da ſie vielmehr lediglich zur Reſti-
tution als ſolcher gehört, bey welcher es dann ganz gleich-
gültig iſt, ob ſie zur Vermittlung einer Klage, Exception,
Replication dienen ſoll, oder irgend eines andern Rechts,
(a) L. 7 § 3 de minor. (4. 4.).
(b) L. 28 § 5 ex quib. cau-
sis maj. (4. 6.) „Exemplo re-
scissoriae actionis etiam ex-
ceptio ei, qui reipublicae causa
afuit, competit: forte si res ab
eo possessionem nancto vindi-
centur.”
|0429 : 415|
§. 253. Verjährung der Exceptionen.
z. B. des Erwerbs einer unvorſichtig ausgeſchlagenen Erb-
ſchaft, oder der Befreyung von einer unvorſichtig angetre-
tenen, da ſie überall dieſelbe Natur hat, nämlich die einer
durchgreifenden Veränderung des vorhandenen Rechtszu-
ſtandes aus exceptionellen Gründen (c). Wie wenig ſelbſt
in den angeführten Beyſpielen die Verjährung mit der
durch Reſtitution vermittelten Exception zuſammen hängt,
zeigt ſich deutlich darin, daß es in ihnen zur Zeit des
alten Prozeſſes ganz zufällig war, ob es zur Ertheilung
einer Exception kam. Denn wenn der Prätor die That-
ſachen völlig überſah, alſo nicht erſt zu deren Feſtſtellung
eines Judex bedurfte, ſo entſchied er die Sache ſogleich
definitiv, und es kam dann weder eine actio, noch eine
exceptio oder replicatio vor; dennoch war auch hier die
Friſt der Reſtitution nicht weniger unerläßlich (d).
(c) Hieraus erhellt die völlige
Verſchiedenheit der Reſtitution von
den Actionen und Exceptionen,
welche nur Schutzmittel für ein
wirklich vorhandenes Recht ſind,
jene zum Angriff, dieſe zur Ver-
theidigung zu gebrauchen.
(d) Dieſes erhellt ſehr deutlich
aus L. 9 § 4 de jurejur. (12. 2.).
Ein Minderjähriger hatte als Klä-
ger einen Eid deferirt, nun be-
kommt er gegen die exceptio ju-
risjurandi, durch Reſtitution, eine
Replication. Überſieht jedoch der
Prätor die Thatſachen völlig, ſo
giebt er keine Replication, ſondern
ſchlägt ſogleich ſelbſt die Exception
ab, und giebt die Klage als ju-
dicium purum. „Ego autem
puto, hanc replicationem non
semper esse dandam, sed ple-
rumque ipsum Praetorem de-
bere cognoscere an captus sit,
et sic in integrum restituere …
Praeterea exceptio ista, sive
cog nitio, statutum tempus post
annum vicesimum quintum non
debet egredi.” Was hier zuletzt
exceptio genannt wird, iſt nichts
Anderes, als die früher genannte
replicatio (vgl. § 229. a), und
Ulpian ſagt hier ganz deutlich, die
Reſtitutionsfriſt ſey gleich uner-
läßlich, es möge zu einer förmli-
chen replicatio kommen, oder
durch des Prätors cognitio dieſe
|0430 : 416|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Zweytens wird in unſre Frage ungehörig eingemiſcht
die exceptio non numeratae pecuniae. Wenn über ein
Darlehen ein Schuldſchein ausgeſtellt iſt, ſo ſoll dieſer
zwey Jahre lang (früher Fünf Jahre) nicht als Beweis
gebraucht werden können. Das nennt man die Verjäh-
rung der exceptio non numeratae pecuniae (e), und glaubt
alſo damit wenigſtens für Eine Exception die Verjährung
bewieſen zu haben, deren Möglichkeit dann auch wohl auf
andere Exceptionen angewendet werden könne. Allein dieſe
Friſt, die übrigens in unſren Quellen nirgend mit der
Klagverjährung zuſammen geſtellt wird, bezieht ſich in der
That gar nicht auf die Exception als ſolche, ſondern ledig-
lich auf dieſe ganz eigenthümliche Regel über den Gebrauch
von Beweisurkunden. Dieſe Behauptung läßt ſich von
zwey Seiten her rechtfertigen. Geſetzt, es wäre in einem
ſolchen Fall kein Schuldſchein ausgeſtellt, und es würde
aus der mit dem angeblichen Darlehen verbundenen Sti-
pulation geklagt, ſo wäre von dem Beklagten ganz die-
ſelbe doli exceptio, wie in jenem Fall, zu gebrauchen,
nur könnte keine Rede von einer Friſt ſeyn, weil keine
eigenthümliche Beweisregel zur Anwendung käme. Wenn
Jucidentfrage gleich unmittelbar
erledigt werden.
(e) Daß dieſes Rechtsmittel
überhaupt eine Exception genannt
wird, erklärt ſich blos aus der
Römiſchen Sitte, mit dem Darle-
hen eine Stipulation zu verbinden.
Aus der Stipulation wurde ge-
klagt, deren Daſeyn war nicht ab-
zuleugnen, und ſo bedurfte der Be-
klagte eine doli exceptio, die in
dieſer beſonderen Anwendung non
numeratae pecuniae heißt. Ge-
gen die reine Darlehensklage hätte
eine abſolute Verneinung genügt,
die Beweisregeln aber blieben die-
ſelben. § 2 J. de except. (4. 13.).
|0431 : 417|
§. 253. Verjährung der Exceptionen.
dagegen umgekehrt ein Schuldſchein ausgeſtellt iſt, ſo kann
jene eigenthümliche Beweisregel nicht blos im Wege einer
Exception, ſondern auch einer Klage, zur Anwendung ge-
bracht werden, wobey dann dieſelbe Friſt wie bey der Ex-
ception gilt (f). Dieſe Klage iſt keine andere, als die ge-
wöhnliche condictio sine causa oder ob causam datorum,
und wollte man dabey jene Friſt gleichfalls als Verjäh-
rung anſehen, ſo müßte man dieſe Condictionen ſchon ſehr
frühe als temporales actiones behandeln, da doch ganz
gewiß alle Condictionen bis zum J. 424 perpetuae waren
(§ 238). Es geht hieraus hervor, daß die erwähnte Friſt
lediglich in Beziehung ſteht mit jener ganz beſonderen Regel
vom Urkundenbeweis, nicht mit der allgemeinen Lehre von
der Verjährung der Rechtsmittel, daß ſie alſo mehr Ver-
wandſchaft hat mit den Prozeßfriſten, als mit der Klag-
verjährung. Daher darf denn auch von dieſer Friſt durch-
aus keine Anwendung gemacht werden bey der nunmehr
anzuſtellenden allgemeinen Unterſuchung über die Verjähr-
barkeit der Exceptionen.
Nachdem dieſe zwey Fälle von unſrer Unterſuchung
ganz ausgeſchieden worden ſind, ſoll die Frage nach der
Verjährbarkeit der Exceptionen ſelbſt beantwortet werden.
Um dabey auch nicht vorübergehend einem Zweifel Raum
zu laſſen, will ich mich gleich im Eingang dahin aus-
(f) L. 14 § 4 L. 8. 9 C. de non num. pec. (4. 30.). Vgl.
unten § 254. g. h.
V. 27
|0432 : 418|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
ſprechen, daß ich alle Exceptionen ohne Ausnahme für
ganz unverjährbar halte.
Es ſind hierbey Drey Klaſſen möglicher Fälle zu un-
terſcheiden, und es iſt für jede dieſer Klaſſen die Zuläſſig-
keit der Verjährung beſonders zu unterſuchen.
I. Exception ohne Klage.
II. Exception und Klage neben einander.
III. Klage ohne Exception.
Erſte Klaſſe. Exception ohne Klage.
Die Beurtheilung dieſer Fälle macht am Wenigſten
Schwierigkeit, iſt auch niemals Gegenſtand eines Streites
geweſen. Denn es wäre widerſinnig, Demjenigen die
Strafe einer Nachläſſigkeit aufzubürden, welcher gar nicht
thätig ſeyn konnte, da es ganz in der Willkühr des Geg-
ners ſteht, die Klage anzuſtellen oder zu unterlaſſen (g).
Dieſe Fälle übrigens ſind die ſeltneren, und daher auch
für den praktiſchen Erfolg der ganzen Unterſuchung von
geringerer Erheblichkeit. Ein ſicherer Fall dieſer Klaſſe
iſt folgender. Wenn der Beſitzer eines Grundſtücks mit
einer Vindication belangt, und rechtskräftig freygeſprochen
wird, ſo erwirbt er gegen den Kläger eine exceptio rei
(g) Man könnte ſagen, es ſtehe
bey ihm, durch eine Provocation
den Gegner zur Klage zu zwin-
gen; allein dieſes außerordentliche
Rechtsmittel, welches die neuere
Praxis als bloße Nothhülfe, und
zugleich als eine bloße Wohlthat
für den Provocanten, eingeführt
hat, kann nicht auf ſolche Weiſe
in den Rechtsverkehr eingreifen,
daß der unterlaſſene Gebrauch deſ-
ſelben als Nachläſſigkeit angeſehen
und beſtraft werden könnte, indem
dadurch jene Wohlthat eine ſehr
gefährliche Seite erhalten würde.
Unterholzner II. § 157.
|0433 : 419|
§. 254. Verjährung der Exceptionen. (Fortſetzung.)
judicatae, aber keine Klage, weil der Inhalt des Urtheils
nur das Recht des Klägers verneinte, dem Beklagten aber
kein poſitives Recht zuſprach (h). Dieſe Exception kann
unſtreitig der Beklagte gebrauchen, auch wenn nach mehr
als 30 Jahren dieſelbe Klage von dem vorigen Kläger
oder einem Succeſſor deſſelben wiederholt wird.
§. 254.
Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Anwendung
auf Exceptionen. (Fortſetzung.)
Zweyte Klaſſe. Exception und Klage neben ein-
ander.
Für dieſen Fall, den häufigſten und wichtigſten unter
allen, iſt zuvörderſt der Begriff genau feſtzuſtellen.
Gewöhnlich denkt man ihn ſo, daß der Berechtigte
zwiſchen dieſen beiden Rechtsmitteln die Wahl habe, und
daß er durch jedes denſelben Zweck erreichen könne; des-
wegen, glauben Manche, müſſe die Vernachläſſigung der
Klage auch den Verluſt der damit identiſchen Exception
mit ſich führen.
Allein dieſe Auffaſſung iſt aus mehreren Gründen ver-
werflich. Zuerſt können niemals Klage und Exception
gleichzeitig anwendbar ſeyn, als Gegenſtände freyer Wahl
(h) L. 15 de exc. rei jud.
(44. 2.). Gewöhnlich rechnet man
hierher auch den Fall der doli
exceptio (L. 5 § 6 de doli exc.
44. 4.), weil durch deren Daſeyn
die doli actio ausgeſchloſſen werde
(§ 249. q); für dieſe aber wird
weiter unten eine andere Anſicht
aufgeſtellt werden (§ 255).
27*
|0434 : 420|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
des Berechtigten. Denn der Gebrauch der Exception kann
ſtets nur durch den Entſchluß des Gegners zur Klage
herbeygeführt werden, iſt alſo vorher gar nicht möglich.
Der wahre Sinn jener ſcheinbaren Concurrenz liegt nur
darin, daß neben meinem wirklich vorhandenen Klagrecht,
welches jeden Augenblick nach Willkühr gebraucht werden
kann, zugleich alle factiſche Bedingungen für eine Klage
des Gegners, und für meine Exception, wenn dieſe Klage
angeſtellt werden ſollte, vorhanden ſind (a). Es iſt alſo
ein großer Unterſchied zwiſchen einem ſolchen Fall, und
der Concurrenz der Klagen (§ 231 fg.); bey dieſer hatte
der Berechtigte wirklich die Wahl zwiſchen zwey gleichar-
tigen Thätigkeiten; hier hat er nur die Wahl zwiſchen
Thätigkeit und unthätigem Abwarten. — Zweytens iſt
auch die angebliche Identität des Zwecks nur ungefähr
wahr, nämlich nur wenn man auf den letzten äußeren Er-
folg ſieht, nicht auf die wahre juriſtiſche Wirkung. Denn
dieſe beſteht (wenn ich den Prozeß gewinne) bey der Klage
in Verurtheilung des Gegners, bey der Exception in mei-
(a) Wenn mir durch Drohung
eine Veräußerung abgezwungen
wird, und ich die Sache zufällig
wieder in Beſitz bekomme, ſo iſt
der gegenwärtig beſchriebene Fall
vorhanden, da alle Bedingungen
vorhanden ſind für eine Vindica-
tion des Gegners (welcher wirk-
lich Eigenthümer iſt) und meine
Vertheidigung durch metus ex-
ceptio. Wenn dagegen der Geg-
ner im Beſitz iſt, ſo habe ich eine
Klage aber keine Exception, da
der Gegner jetzt nicht die Möglich-
keit einer Klage gegen mich hat.
Es muß alſo erſt eine neue That-
ſache eintreten (Verluſt des Be-
ſitzes an mich), damit der Gegner
eine Klage erlange, und ich (für
den Fall ihrer Anſtellung) eine
Exception. Daher gehört dieſer
letzte Fall zur dritten Klaſſe.
|0435 : 421|
§. 254. Verjährung der Exceptionen. (Fortſetzung.)
ner eigenen Freyſprechung, alſo in zwey juriſtiſch ganz
verſchiedenen Ereigniſſen. Nur kann oft der Erfolg dieſer
Ereigniſſe für den Umfang und die Sicherheit meines
Vermögens ziemlich derſelbe ſeyn; ob er Dieſes ſey oder
nicht, Das iſt von ſehr ungleichen und zufälligen Umſtän-
den abhängig.
Ehe ich die Beurtheilung dieſer Klaſſe von Fällen un-
ternehme, will ich dieſelbe durch eine Reihe von Beyſpie-
len anſchaulich zu machen ſuchen, damit über die Natur
und die Gränzen der Klaſſe ſelbſt keine Unklarheit übrig
bleibe. In jedem dieſer Fälle kommt es darauf an, ob
die Verjährung der Klage zugleich den Verluſt der (in
dem oben beſtimmten Sinn) concurrirenden Exception nach
ſich zieht, oder nicht; denn dahin haben ſich die beiden
Meynungen in dieſer Lehre ausgebildet.
1) Es wird im J. 1841 ein Landgut verkauft, ſo daß
die Tradition ſogleich, die Zahlung des Kaufgeldes im
J. 1843 erfolgen ſoll; von beiden Seiten unterbleibt die
Erfüllung. Hier verjährt die a. emti im J. 1871, die
a. venditi im J. 1873 (weil ſie erſt 1843 angeſtellt wer-
den konnte). In dieſer ganzen Zeit aber hatte auch jeder
Theil die exceptio non impleti contractus, wenn es etwa
dem Gegner einfiel zu klagen. Wird nun die a. venditi
im J. 1872 angeſtellt, ſo fragt es ſich, ob der Käufer,
deſſen eigene Klage ſchon ſeit einem Jahr verjährt iſt,
dennoch die erwähnte Exception gebrauchen kann (b).
(b) Ich bejahe dieſe Frage, Unterholzner II. § 159 verneint
|0436 : 422|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
2) Ein gekauftes Pferd ſtirbt bald nach dem Kauf an
einem heimlichen Fehler, noch vor gezahltem Kaufgeld.
Hier hat der Käufer eine redhibitoria actio auf Befreyung
von ſeiner Schuld, die in Sechs Monaten verjährt; da-
neben, wenn der Verkäufer auf das Kaufgeld klagt, auch
eine Exception (c). Es fragt ſich aber, ob dieſe Exception,
ungeachtet der Verjährung der Klage, noch gebraucht wer-
den kann, wenn die actio venditi nach Ablauf der Sechs
Monate angeſtellt wird (d).
3) Bey einer erzwungenen Stipulation hat der Schuld-
ner die Wahl, ob er mit der a. quod metus causa auf
Acceptilation klagen, oder die Stipulationsklage abwarten,
und ſich dann mit der exceptio metus vertheidigen will (e).
Nach dreyßig Jahren iſt die Klage gewiß verjährt; es
fragt ſich, ob nun auch die Exception verloren iſt (f).
4) Wenn einem Schuldner von ſeinem Glaubiger die
ſie. — Hier iſt ſelbſt der materielle
Erfolg der Rechtsmittel ſehr ver-
ſchieden; durch die Klage wird Er-
füllung bewirkt, durch die Excep-
tion Nichterfüllung (wenn nicht
etwa der Kläger die Erfüllung
anbietet, welches in dieſer Lage
ganz bey ihm ſteht). Nach Um-
ſtänden kann es dem Käufer ganz
gleichgültig ſeyn, ob von beiden
Seiten erfüllt oder nicht erfüllt
wird; vielleicht auch iſt ihm die
Erfüllung ſehr wichtig.
(c) L. 59 pr. § 1 de aedil. ed.
(21. 1.).
(d) Auch dieſe Frage, die ich
bejahe, wird von Unterholz-
ner II. § 159 verneint. — Hier
iſt der materielle Erfolg der Klage
und der Exception ganz gleich.
Eben ſo in allen folgenden Fällen.
(e) L. 9 § 3 quod metus (4. 2.).
(f) In den meiſten Fällen frey-
lich wird dieſe Frage deswegen
nicht vorkommen können, weil die
Stipulationsklage zu gleicher Zeit
mit der a. quod metus causa
verjährt ſeyn wird. Es giebt aber
Fälle, worin ihre Verjährung erſt
ſpäter anfängt, z. B. wenn die er-
zwungene Stipulation in diem
geſchloſſen war. Dieſe Bemer-
kung paßt auch auf die zwey fol-
genden Fälle.
|0437 : 423|
§. 254. Verjährung der Exceptionen. (Fortſetzung.)
Befreyung von der Schuld legirt wird, ſo hat er die
Wahl, entweder gegen den Erben auf Acceptilation zu
klagen, oder die Schuldklage abzuwarten und ſich durch
Exception zu ſchützen (g). Es entſteht dieſelbe Frage, wie
in dem vorhergehenden Fall.
5) Wenn eine Geldſumme durch Stipulation verſpro-
chen wird aus einem irrig angenommenen Rechtsgrund,
etwa wegen eines vorausgeſetzten, aber nicht wirklich em-
pfangnen Darlehens, ſo kann der Schuldner mit einer
condictio sine causa auf Acceptilation klagen (h). Er
kann aber auch die Stipulationsklage abwarten, und dann
die doli exceptio entgegenſetzen (i).
6) Iſt ein ohne gehörigen Grund enterbter naher Ver-
wandter zufällig im Beſitz der Erbſchaft, ſo kann er den-
noch die querela inofficiosi anſtellen, weil ein an ſich gül-
tiges Teſtament vorhanden iſt, welches er durch Klage
anzufechten hat. Er kann aber auch die hereditatis pe-
titio des eingeſetzten Erben abwarten, und dann ſeine Be-
ſchwerde als Exception vorbringen (k).
(g) L. 3 § 3 de liberatione
leg. (34. 3.).
(h) L. 1 pr. L. 3 de cond.
sine causa (12. 7.), L. 31 de
cond. indeb. (12. 6.). Vgl. oben
§ 253. f.
(i) L. 5 § 1 de act. emti
(19. 1.), L. 3 C. de cond. indeb.
(4. 5.). — Es iſt weſentlich die-
ſelbe Exception, welche oben als
exceptio non numeratae pecu-
niae erwähnt worden iſt, nur hier
in ihrer reinen Geſtalt, ohne Ein-
wirkung der beſonderen Regel über
den Urkundenbeweis.
(k) L. 8 § 13 de inoff. test.
(5. 2.). In dieſem Fall, wie in
dem unter Num. 2 angeführten,
war die Klage auch ſchon zur Zeit
der alten Juriſten einer Verjäh-
rung unterworfen; in den übrigen
hier zuſammengeſtellten Fällen war
ſie es damals nicht.
|0438 : 424|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Ich wende mich jetzt zur Beurtheilung der zu dieſer
zweyten Klaſſe gehörenden Fälle, deren Natur durch eine
Reihe von Beyſpielen dargeſtellt worden iſt.
Man kann dabey zuerſt verſuchen, die oben behandelte
Streitfrage von der Wirkung der Klagverjährung (§ 249)
zur Anwendung zu bringen. Nimmt man nach Ablauf
derſelben eine fortdauernde naturalis obligatio an, ſo folgt
daraus nothwendig die Unverjährbarkeit der Exception, da
Jeder zugeben wird, daß dieſe aus dem früher vorhande-
nen Klagrecht noch übrige unvollſtändige Obligation allein
ſchon hinreichen würde, eine Exception zu begründen. Aus
der entgegengeſetzten Meynung möchte man geneigt ſeyn,
auch unſre jetzt vorliegende Frage auf entgegengeſetzte
Weiſe zu entſcheiden; dennoch folgt daraus dieſe Entſchei-
dung nicht nothwendig. Denn man kann die bisher vor-
handene Exception auch als ein ſelbſtſtändiges Recht, un-
abhängig von der daneben ſtehenden Klage, betrachten,
und dann haben die verſchiedenen Meynungen über die
Wirkung der Klagverjährung darauf gar keinen Einfluß.
Wir ſind dann vielmehr veranlaßt zu unterſuchen, ob das
Inſtitut der Klagverjährung an ſich ſelbſt, nach ſeinem
eigenen Geiſt und Zweck (§ 237), zu einer analogen An-
wendung auf die Exceptionen geeignet iſt, und dieſen
Standpunkt halte ich in der That für den einzigen, von
welchem aus eine befriedigende Löſung der vorliegenden
Streitfrage zu erwarten iſt.
Auf den erſten Blick möchte man glauben, die Nach-
|0439 : 425|
§. 254. Verjährung der Exceptionen. (Fortſetzung.)
läſſigkeit, die den allgemeinſten Grund der Verjährung
bildet, ſey auch hier wahrzunehmen, da in der That der
Berechtigte klagen konnte und zu klagen unterlaſſen hat.
Allein bey genauerer Betrachtung verſchwindet dieſer Schein.
Die Nachläſſigkeit, woraus die Klagverjährung entſpringt,
beſteht darin, daß der Berechtigte unterläßt, den ihm ent-
zogenen Genuß eines Rechts durch Klage wieder zu ge-
winnen. Derjenige aber, von welchem hier die Rede iſt,
hat im Weſentlichen den Genuß ſeines Rechts, und die
Klage, die er verjähren ließ, hätte ihm für dieſen Genuß
eigentlich nur eine andere und vollſtändigere Rechtsform
verſchaffen können, ohne ſeinen Zuſtand weſentlich zu ver-
beſſern. — Und auf denſelben Erfolg führt die genauere
Betrachtung der Lage, worin ſich der Gegner befindet.
Der erſte und allgemeinſte Zweck der Klagverjährung geht
dahin, daß der factiſche Zuſtand, ſo wie er viele Jahre
hindurch ohne Anfechtung beſtanden hat, vollkommene
Rechtsſicherheit erlange. In den Fällen aber, von wel-
chen hier die Rede iſt, hat Der, welcher jetzt die Verjäh-
rung der Exception in Anſpruch nehmen möchte, den ruhi-
gen Genuß eines ſolchen factiſchen Zuſtandes noch gar
nicht gehabt; es war ſtets ein zweydeutiges, unentſchie-
denes Verhältniß geweſen, welches auch ihn veranlaſſen
konnte, ſchon früher mit einer Klage aufzutreten, wenn
auch die Verjährungszeit dieſer Klage jetzt noch nicht ab-
gelaufen ſeyn mag (Note f).
Soll nun ferner als Grund der Verjährung auch die
|0440 : 426|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Verminderung der Prozeſſe gelten, inſofern dieſe nicht zum
Schutz eines ſicheren Rechts unentbehrlich ſind, ſo handelt
ja Der, von welchem hier die Rede iſt, ganz im Sinn der
Verjährungsgeſetze. Er unterläßt aus Liebe zum Frieden
die Klage, die ihm meiſt nur eine größere formelle Sicher-
heit gewährt hätte, indem er ſich mit dem ihn befriedigen-
den materiellen Zuſtand begnügt.
Endlich iſt ein beſonders wichtiger Grund der Ver-
jährung, die durch lange Zögerung für den Beklagten oft
ſehr erſchwerte Vertheidigung, worauf der Kläger ſogar
mit unredlicher Abſicht hinwirken kann. Die hieraus ent-
ſtehende Gefahr aber trifft in unſrem Fall gerade Den-
jenigen ſelbſt, welchen wir noch nach der Verjährungszeit
zum Gebrauch der Exception zulaſſen wollen; er ſelbſt lei-
det darunter, nicht ſein Gegner, ſo daß dadurch Niemand
unbillig verletzt wird. Zwar könnte man ſagen, der Geg-
ner habe vielleicht eine Replication, deren Gebrauch ihm
nun durch die Länge der Zeit erſchwert werde. Allein
theils iſt der Fall der Replicationen an ſich weit ſeltner
und unerheblicher, als die ſehr mannichfaltige erſte Ver-
theidigung des Beklagten; theils hatte der Gegner, nach
unſrer Vorausſetzung, auch ſelbſt ſtets ein Klagrecht, und
er hat es alſo ſich ſelbſt zuzuſchreiben, wenn zu ſeinem
Nachtheil die Erledigung des ſtreitigen Rechtsverhältniſſes
ſo lange verzögert worden iſt.
Das Gewicht dieſer allgemeinen Gründe wird recht
einleuchtend durch die nähere Betrachtung der beiden erſten
|0441 : 427|
§. 254. Verjährung der Exceptionen. (Fortſetzung.)
Fälle, die oben als Beyſpiele angegeben worden ſind.
Wenn bey dem gekauften Landgut beide Contractsklagen
ſo viele Jahre verſäumt wurden, ſo lag es ohne Zweifel
daran, daß bey genauerer Erwägung kein Theil ein großes
Intereſſe an der Erfüllung des Vertrags fand. Sie un-
terließen die Aufhebung deſſelben, weil jeder Theil noch
im Genuß ſeines urſprünglichen Zuſtandes war, und die
weitere Entwicklung äußerer Umſtände abwarten wollte,
um einen letzten Entſchluß zu faſſen. Wenn nun dieſer
Zuſtand gegenſeitiger Zögerung und Unſchlüſſigkeit bis
zum J. 1872 fortdauert, ſo wäre es doch die größte Un-
gerechtigkeit, den Käufer das Geld und das Landgut zu-
gleich verlieren zu laſſen, blos weil zufälligerweiſe im Ver-
trag verſchiedene Zeitpunkte der gegenſeitigen Leiſtungen
ausbedungen waren.
Nicht anders verhält es ſich mit dem gekauften und
bald nachher geſtorbenen Pferd. Vielleicht hat der Käufer
dem Verkäufer den Tod ſogleich angezeigt, und da dieſer
keine Einwendung machte (ohne doch ausdrücklich auf das
Kaufgeld zu verzichten), ſich damit begnügt, daß noch kein
Geld bezahlt ſey. Die Annahme einer Verjährung der
Exception wäre ohne Vergleichung härter, als die Ver-
jährung der redhibitoriſchen Klage auf das ſchon bezahlte
Kaufgeld ſeyn würde.
Dritte Klaſſe. Klage ohne Exception.
Dieſer Fall iſt ſo zu denken, daß der in ſeinem Recht
Verletzte, welcher ein Klagrecht hat, in einer ſolchen Lage
|0442 : 428|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
ſich befindet, worin der Gegner keine Klage gegen ihn,
alſo auch er keine Exception gegen Jenen, anwenden kann.
Erſt nach vollendeter Klagverjährung ändern ſich die That-
ſachen ſo, daß der Gegner eine Klage gegen ihn erwirbt,
und nun von ſeiner Seite eine Exception gedacht werden
könnte, deren Verjährung jetzt in Frage kommt.
Ein Beyſpiel iſt dieſes. Der Eigenthümer eines Grund-
ſtücks wird durch Drohungen zur Veräußerung eines Land-
gutes beſtimmt, und der Gegner erhält ſich fortwährend
im Beſitz. Hier hat er die actio quod metus causa, aber
zu einer Exception fehlt es an allen factiſchen Bedingun-
gen, da der Andere weder das Bedürfniß noch die Mög-
lichkeit hat, gegen ihn zu klagen. Nachdem die Klage
verjährt iſt, erhält der Gezwungene durch Zufall den Beſitz,
der Andere ſtellt gegen ihn die Eigenthumsklage an, und es
fragt ſich ob er die exceptio metus vorſchützen kann, oder
ob dieſe zugleich mit der gleichnamigen Klage verjährt iſt.
Die Fälle dieſer Klaſſe ſind weniger häufig und wich-
tig, als die der vorhergehenden.
Hier hängt, wie ich glaube, die Entſcheidung der
Frage lediglich von der Meynung ab, die von der Wir-
kung der Klagverjährung gefaßt wird. Wer eine fort-
dauernde naturalis obligatio nach vollendeter Verjährung
annimmt, ſo wie ich, muß die Verjährung der Exception
verwerfen, da dieſe Obligation hinreicht, um eine Excep-
tion zu erzeugen, wozu erſt jetzt das Bedürfniß entſtanden
iſt, und in deren Gebrauch daher keine Verſäumniß Statt
|0443 : 429|
§. 255. Verjährung der Exceptionen. (Fortſetzung.)
finden konnte. Wer die naturalis obligatio verneint, wird
damit zugleich die Grundlage für die Entſtehung jener
Exception leugnen (l). Die praktiſchen Gründe aber, welche
in den Fällen der zweyten Klaſſe das Verfahren des
Verletzten gegen den Vorwurf der Nachläſſigkeit rechtferti-
gen, und dadurch dem Verluſt der Exception, unabhän-
gig von jener Streitfrage, entgegen ſtanden — dieſe
Gründe fallen hier allerdings hinweg.
§. 255.
Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Anwendung
auf Exceptionen. (Fortſetzung.)
Bisher iſt dieſe Streitfrage blos von dem Standpunkt
allgemeiner Gründe betrachtet worden; es bleibt übrig zu
unterſuchen, was darüber in den Quellen des Römiſchen
Rechts zu finden iſt.
Die einzige Stelle, die mit Grund für dieſe Frage be-
nutzt werden kann, iſt in folgenden Worten des Paulus
enthalten (a).
Non sicut de dolo actio certo tempore finitur, ita
etiam exceptio eodem tempore danda est: nam haec
perpetuo competit: cum actor quidem in sua potes-
tate habeat, quando utatur suo jure: is autem cum
(l) Hier fällt alſo die Frage
zuſammen mit der ſchon oben auf-
geworfenen, wegen der Möglichkeit
der Compenſation; vorausgeſetzt,
daß ich meine Klage habe verjäh-
ren laſſen, und die Forderung des
Gegners, welche ich durch Com-
penſation beſtreiten will, erſt nach
vollendeter Verjährung entſtanden
iſt. Vgl. § 251. Num. IV.
(a) L. 5 § 6 de doli exc.
(44. 4.).
|0444 : 430|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
quo agitur, non habeat potestatem, quando conve-
niatur.
Von Mehreren iſt dieſe Stelle als Beweis für die
Verjährbarkeit der zur zweyten Klaſſe gehörenden Excep-
tionen durch folgende Auslegung geltend gemacht worden (b).
Wenn ich durch Betrug zu einer Stipulation verleitet wor-
den bin, ſo ließe ſich ein zwiefacher Schutz für mich den-
ken, durch doli actio, und durch doli exceptio gegen die
Stipulationsklage des Betrügers. Da mich aber dieſe
letzte hinreichend ſchützt, ſo ſoll mir die erſte, zur Scho-
nung der Ehre des Gegners, verſagt werden (c). Daher
gehört dieſer Fall zur erſten Klaſſe, indem der Betrogene
lediglich eine Exception und keine Klage hat. Dazu paßt
auch der am Schluß der Stelle angegebene Grund, wel-
cher die Abweſenheit aller Nachläſſigkeit vorausſetzt; und
eben dieſer Grund beweiſt für die entgegengeſetzte Behand-
lung der Fälle zweyter Klaſſe, weil in dieſen in der That
eine Klage möglich war, deren Verſäumniß alſo eine Nach-
läſſigkeit in ſich ſchließt. — So weit dieſe Auslegung, die
ich aus folgenden Gründen verwerfen muß.
In dem angeführten Fall hat der betrogene Schuldner
allerdings auch eine Klage, nur nicht die infamirende, auf
kurze Zeit eingeſchränkte doli actio, ſondern eine actio in
factum, welche dem Betrogenen in ſo weit Entſchädigung
verſchafft, als der Betrüger außerdem reicher ſeyn
(b) Rave § 165. Unterholz-
ner II. § 157.
(c) L. 1 § 4. L. 40 de dolo
(4. 3.).
|0445 : 431|
§. 255. Verjährung der Exceptionen. (Fortſetzung.)
würde, alſo gerade ſo weit als auch die doli exceptio
reicht (d). Dieſe Klage ſogleich anzuſtellen kann für den
Betrogenen zuweilen ſehr wichtig ſeyn, weil er vielleicht
jetzt den Beweis des Betrugs mit Sicherheit führen wird,
der ihm in ſpäterer Zeit durch den Tod der Zeugen ent-
gehen kann. Mithin gehört dieſer Fall in der That nicht
zur erſten ſondern zur zweyten Klaſſe (e), und ſpricht alſo
vielmehr für unſre Meynung. Ja auch der am Schluß
angeführte Grund iſt, genauer angeſehen, unſrer Meynung
günſtig. Denn obgleich der Betrogene nach der hier auf-
geſtellten Anſicht jeden Augenblick klagen könnte, ſo iſt es
doch wörtlich wahr, was hier Paulus ſagt, daß er im
Gebrauch der Exception gar keinen eignen Willen
hat, ſondern ganz von der Willkühr des Gegners abhängt,
der zur Anſtellung ſeiner Klage die Zeit wählen kann, die
ihm die vortheilhafteſte ſcheint. Daher würde es unge-
recht ſeyn, die Exceptionen als ſolche irgend einer Verjäh-
rung zu unterwerfen, und davon allein iſt hier die Frage.
— Ich glaube alſo, daß dieſe Stelle, durch die in ihr
ausgeſprochene Rechtsanſicht, die Unverjährbarkeit der Ex-
ceptionen zweyter Klaſſe unterſtützt. Nur kann ich ſie
freylich nicht für eine unmittelbare Entſcheidung der vor-
liegenden Streitfrage halten. Damit ſie Dieſes ſeyn könnte,
müßte Paulus in der That an die Concurrenz einer Ex-
ception mit einer verjährbaren Klage denken, und er
(d) L. 28. 29 de dolo (4. 3.).
(e) Der Fall iſt alſo ganz
ähnlich dem oben erwähnten von
der metus exceptio (§ 254. e).
|0446 : 432|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
müßte die Fortdauer der Exception nach Ablauf der Klag-
verjährung behaupten. Die wirklich concurrirende actio
in factum aber war zu ſeiner Zeit perpetua im ſtrengſten
Sinn des Wortes, ohne alle Verjährung, der Fall, der
ihm vorſchwebte, war alſo von unſren Fällen der zweyten
Klaſſe verſchieden, und Paulus begnügte ſich, Dasjenige
zu verneinen, was in ſeiner Zeit allein in Frage geſtellt
werden konnte, nämlich die Beſchränkung der doli excep-
tio auf die kurze Dauer der gleichnamigen doli actio, von
welcher die Gegner mit Recht behaupten, daß ſie mit der
doli exceptio nicht concurrirt, da ſie durch dieſe letzte viel-
mehr ausgeſchloſſen iſt.
Die übrigen Stellen greifen in unſre Streitfrage noch
weniger ein, als die eben erklärte, und ich will ſie nur
deswegen erwähnen, damit nicht ein dunkler Raum übrig
bleibe, welcher ſtets ein Gefühl von Unſicherheit zu erre-
gen pflegt (f).
Ein Reſcript von Diocletian lautet alſo (g):
(f) Einige derſelben, die wohl
auch angeführt werden, laſſen ſich
mit wenigen Worten abthun. Die
L. 9 § 4 de jurejur. (12. 2.),
worauf Unterholzner II. § 158
Gewicht legt, ſpricht von Verjäh-
rung der Reſtitution, nicht der Ex-
ception. Vgl. § 253. d. — L. 8
§ 13 de inoff. (5. 2.) ſpricht we-
der für noch gegen die Verjäh-
rung der Exception, ſondern nur
im Allgemeinen von ihrer Zuläſ-
ſigkeit. Vgl. § 254. i. — Die
L. 30 § 6 de peculio (15. 1.)
kann man nur dadurch auf die
Verjährung der Exceptionen bezie-
hen, daß man ſich durch die Worte:
in dolo objiciendo und nachher
objici täuſchen läßt. In der That
ſpricht ſie von der a. de peculio
gegen den qui dolo fecit quo
minus quid esset in peculio
(L. 21 eod.), und dieſe Klage
ſoll dieſelbe Verjährung haben,
wie die doli actio, von welcher
ſie in der That nur eine einzelne
Anwendung iſt.
(g) L. 5 C de except. (8. 36).
|0447 : 433|
§. 255. Verjährung der Exceptionen. (Fortſetzung.)
Licet unde vi interdictum intra annum locum ha-
beat, tamen exceptione perpetua succurri ei, qui per
vim expulsus post retinuit possessionem, auctoritate
juris manifestatur.
Man möchte glauben, dieſe Stelle enthalte folgenden
hierher gehörenden Satz: das Interdict iſt als Klage ein-
jährig, als Exception unverjährbar; dann würde ſie un-
mittelbar für unſre Meynung entſcheiden. Allein darauf iſt
mit Grund geantwortet worden, die Exception könne ohne-
hin nur ungerechte Bereicherung des Klägers abwehren, in
dieſer Beſchränkung aber ſey auch das Interdict als Klage
unverjährbar geweſen (h). So richtig dieſe Antwort an ſich
iſt, ſo bleibt dabey die Hauptſchwierigkeit ungelöſt, wie
man ſich die Klage des Gegners zu denken hat, gegen
welche dieſe Exception gebraucht werden ſoll. Man wird
zunächſt an eine Vindication denken; allein der Eigen-
thumsklage kann im Allgemeinen keine Exception aus dem
bloßen Beſitz entgegengeſetzt werden. Daher hat man mit
vielem Schein die Strafe der Selbſthülfe mit hinzu genom-
men; der Gegner, ſagt man, habe ſein Eigenthum durch
Selbſthülfe verloren, und dieſer Verluſt werde durch die
erwähnte Exception geltend gemacht (i). Allein dieſes wäre
keine Exception, ſondern Verneinung des Eigenthums; es
würde auch über die (oben als unverjährbar erkannte)
(h) L. 1 pr. § 48 L. 3 § 1
de vi (43. 16.).
(i) Unterholzner II. S. 24.
V. 28
|0448 : 434|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Abwehr der Bereicherung hinaus gehen, und eine reine
Strafe enthalten; ganz beſonders aber iſt der Verluſt des
Eigenthums in Folge der Selbſthülfe weit neuer als Dio-
cletian (k). — Die Sache iſt aber wohl ſo zu denken.
Zwiſchen mir und Gajus iſt das Eigenthum eines Grund-
ſtücks ſtreitig; er verdrängt mich gewaltſam aus dem Be-
ſitz, es kommen aber ſpäter wieder Thatſachen vor, die
den Beſitzſtand zweifelhaft machen, und da Gajus die
Sache zur Entſcheidung zu bringen wünſcht, ſo ſtellt er
gegen mich das Interdict uti possidetis an, um mich dem-
nächſt zur Anſtellung der Vindication zu nöthigen. Gegen
dieſes Interdict habe ich die exceptio violentae posses-
sionis (l), und Dieſe iſt, wie das vorliegende Reſcript
ſagt, nicht ſo, wie das Interdict de vi an eine kurze Ver-
jährung gebunden. — Dieſer Ausſpruch nun wird aller-
dings ſchon durch den oben angegebenen Grund völlig ge-
rechtfertigt, und es iſt daher in dieſer Stelle eine entſchie-
dene Anerkennung der gänzlichen Unverjährbarkeit aller
Exceptionen nicht enthalten.
Ein anderes Reſcript deſſelben Kaiſers drückt ſich ſo
aus (m):
Si pactum intercessit, in exceptione sine temporis
praefinitione de dolo replicare potes.
(k) Die L. 7 C. unde vi (8.
4.) iſt vom J. 389.
(l) L. 1 pr. § 5. 9 uti poss.
(43. 17.).
(m) L. 6 de except. (8. 36.).
|0449 : 435|
§. 255. Verjährung der Exceptionen. (Fortſetzung.)
Der Schuldner aus einer Stipulation hatte vermittelſt
eines Betrugs den Erlaß durch bloßes Pactum bewirkt.
Gegen die Stipulationsklage wird die pacti exceptio ge-
braucht werden; allein dieſe wird durch die doli replica-
tio entkräftet, welche nach dem Ausſpruch des Kaiſers nicht
an die Verjährung der gleichnamigen doli actio gebunden
iſt. Dieſe Entſcheidung könnte höchſtens die Unverjähr-
barkeit der Replicationen beweiſen, nicht die der Exceptio-
nen; ſie beweiſt aber auch jene nicht, weil dieſe Replica-
tion, eben ſo wie im vorigen Fall die Exception, blos die
ungerechte Bereicherung abwehren ſoll, in welcher Bezie-
hung auch ſchon die Klage jener kurzen Verjährung ent-
zogen war. — Übrigens paßt dieſe Stelle nicht mehr in
den Zuſammenhang des Juſtinianiſchen Rechts. Denn
wenn jetzt ſeit dem betrüglichen Erlaßvertrag die 30 Jahre
abgelaufen ſind, durch welche man die doli replicatio für
verjährt halten könnte, ſo muß ſchon früher die Stipula-
tionsklage verjährt ſeyn; dann aber ſteht derſelben die
temporalis praescriptio entgegen, und die pacti exceptio,
worauf allein die doli replicatio ſich hätte beziehen kön-
nen, kommt gar nicht zur Sprache.
Die Schriftſteller haben die eben behandelte Streitfrage
gewöhnlich in einem engeren Sinn aufgefaßt, als hier ge-
ſchehen iſt. Über die Fälle der erſten Klaſſe iſt gar kein
Streit; dabey erkennen Alle die Unverjährbarkeit der Ex-
28*
|0450 : 436|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
ception an. Die Fälle der dritten Klaſſe werden gewöhn-
lich nicht in dieſem Zuſammenhang unterſucht, ſondern
in Verbindung mit der früher abgehandelten Streitfrage
wegen der Wirkung der Klagverjährung. Der Streit iſt
alſo faſt ausſchließend auf die Fälle der zweyten Klaſſe
gerichtet, die auch ohnehin die häufigſten und wichtig-
ſten ſind.
Hierüber nun hat in neueren Zeiten die Mehrzahl nam-
hafter Schriftſteller die richtige Meynung angenommen (n).
In früherer Zeit war die entgegengeſetzte faſt allgemein
herrſchend, und es hat ihr auch in der neueſten Zeit nicht
an einzelnen Vertheidigern gefehlt (o).
Die Praxis der Gerichte iſt bis auf die neueſte Zeit
eben ſo verſchieden geweſen, als die Lehre der Schriftſtel-
ler (p). An eine Entſcheidung der Frage durch gleich-
(n) Claproth de rebus me-
rae facultatis Götting. 1752 §
2—7 (gründlich und gut), We-
ber Beyträge von Klagen S.
6—14, Glück B. 20 S. 161. 162.
Mühlenbruch II. § 481, Gö-
ſchen S. 471. Eigentlich gehört
dahin auch Büchel Erörterungen
Heft 1. S. 8—21, der nur in der
Auffaſſung abweicht. Er legt das
Hauptgewicht darauf, daß die
Klage und die Exception juriſtiſch
verſchiedene Objecte haben, wel-
ches ich zwar auch oben anerkannt
habe, jedoch ohne es für das ent-
ſcheidende Moment zu halten.
(o) Ältere Schriftſteller ſind an-
geführt bey Claproth l. c. § 2
not. 2. — Neuere: Rave § 165,
Unterholzner II. § 156—160,
Pfeiffer praktiſche Ausführungen
B. 3 S. 73—82. — Thibaut
hat auch hier ſehr verſchiedene
Meynungen vertheidigt, welches
mit ſeinem Schwanken über die
Wirkung der Klagverjährung zu-
ſammen hängt (§ 248. n.). Ber-
jährung S. 150. 151., Pandekten 7te
Ausg. § 1062, 8te Ausg. § 1025.
(p) Für die richtige Meynung
(ſowohl nach gemeinem, als nach
Preußiſchem Recht) iſt das Berli-
ner Obertribunal: Simon und
Strampff Entſcheidungen des
Obertribunals B. 1. Berlin 1837.
S. 120—136. — Für die entge-
|0451 : 437|
§. 255. Verjährung der Exceptionen. (Fortſetzung.)
förmige Praxis iſt alſo nach keiner Richtung hin zu
denken.
Ein Ausſpruch neuerer Geſetzgebung über dieſe Frage
iſt mir nicht bekannt; es wird alſo wohl überall diejenige
Meynung zur Anwendung kommen, die für das gemeine
Recht als richtig angeſehen wird.
gengeſetzte das Oberappellations-
gericht zu Caſſel: Pfeiffer a. a.
O., wo jedoch die Verjährung der
Exceptionen, und die ganz verſchie-
dene Verjährung der Reſtitution,
ſehr durcheinander geworfen werden.
|0452 : [438]|
|0453 : [439]|
Beylagen.
XII. XIII. XIV.
|0454 : [440]|
|0455 : [441]|
Beylage XII.
Quanti res est.
(Zu § 216. Note u) (a).
I.
Der Gegenſtand ſehr vieler Klagen wird ausgedrückt
durch die Worte: quanti res est, und dieſe Worte wur-
den daher ſehr gewöhnlich in die Condemnatio, das heißt
in den letzten Theil der formula im älteren Römiſchen
Prozeß, geſetzt. Eben ſo kamen dieſe Ausdrücke in manchen
Stipulationen vor, aus welchen ſie dann gleichfalls, wenn
es zur Klage kam, in die Condemnatio übergiengen.
Welches war nun der Sinn jener Worte?
Es giebt wenige Ausdrücke in der Römiſchen Sprache,
die ſo viele Bedeutungen anzunehmen fähig ſind, wie das
Wort res, und dieſer Umſtand macht auch die Beantwor-
(a) Man könnte glauben, die
Beſeitigung einer möglichen fal-
ſchen Anſicht über die formula in
factum concepta ſey zu unbe-
deutend, um eine beſondere Unter-
ſuchung über den hier bezeichneten
Gegenſtand zu rechtfertigen. Allein
die Bedeutung der Ausdrücke quanti
res est iſt für die Natur und
Wirkung vieler einzelnen Klagen
wichtig, und es iſt ganz zufällig,
daß jene Veranlaſſung ſchon hier
eine Unterſuchung herbeyführt, die
außerdem an anderen Stellen ohne-
hin unentbehrlich ſeyn würde.
|0456 : 442|
Beylage XII.
tung der hier aufgeworfenen Frage zweifelhaft. Da näm-
lich res ſowohl einen ſichtbaren, handgreiflichen Gegenſtand
bezeichnet, als auch ein Geſchäft, eine Angelegenheit, ſo
bieten ſich ſogleich zwey mögliche Erklärungen der ange-
gebenen Ausdrücke dar. Sie können erſtlich heißen: ſo
viel die ſtreitige Sache nach gewöhnlichen Preiſen werth
iſt (Sachwerth); zweytens: ſo weit der Berechtigte bey
dem vorliegenden Rechtsſtreit, oder bey der vorgefallenen
Verletzung, intereſſirt iſt (Intereſſe).
In vielen Fällen wird der Sachwerth mit dem In-
tereſſe völlig übereinkommen. — In anderen Fällen wird
das Intereſſe mehr betragen als der Sachwerth. Wenn
ich ein Pferd, das 100 werth iſt, vermiethe, dann aber
an einen Dritten verkaufe, und dieſem eine Conventional-
ſtrafe von 150 für den Fall der fehlenden Ablieferung
verſpreche, der Miether nun ſich das Pferd ſtehlen läßt
und mich dadurch außer Stand ſetzt, den Kaufcontract zu
erfüllen, ſo beträgt das Intereſſe, welches mir der Mie-
ther vergüten muß, 150, mithin mehr als der Sach-
werth (a). — Wenn dagegen die Exhibition einer Sache
gefordert und verweigert wird, ſo hat der Beklagte in
Geld das Intereſſe der verweigerten Exhibition zu vergü-
ten, welches oft weit weniger als der Sachwerth betragen
wird (b). Eben ſo geht die condictio furtiva auf das
(a) Ein ſolcher Fall (nur bey
der furti actio) wird erwähnt in
L. 67 § 1 de furtis (47. 2.) ſ. u.
Num. V. c.
(b) L. 9 § 8 ad exhib. (10. 4.).
|0457 : 443|
Quanti res est. II.
Intereſſe des erlittenen Diebſtahls für jeden Beſtohlenen.
Iſt nun der Kläger Eigenthümer der geſtohlenen Sache,
ſo wird dieſes Intereſſe wenigſtens dem Sachwerth gleich
kommen, vielleicht ihn überſteigen (c); iſt er aber nur
Pfandglaubiger, Uſufructuar oder Uſuar, ſo wird dieſes
Intereſſe ſtets geringer, und oft viel geringer ſeyn als der
Sachwerth (d). — Dieſe verſchiedene Natur der möglichen
Fälle wird auch ſchon von den alten Juriſten ſehr be-
ſtimmt anerkannt (Num. III.).
II.
Die Erklärung jener Worte vom Sachwerth iſt die
buchſtäblichere, die von dem Intereſſe ſchließt ſich mehr
dem Sinn und inneren Weſen der Rechtsverhältniſſe an,
und ſo wird man ſchon im Allgemeinen geneigt ſeyn an-
zunehmen, daß die erſte in der älteren Zeit, ſpäter aber
die zweyte, geherrſcht haben möchte.
Dieſe Annahme läßt ſich am vollſtändigſten durchfüh-
ren bey der actio Legis Aquiliae. Beide noch im Juſti-
nianiſchen Recht übrige Kapitel derſelben enthalten die
Ausdrücke: quanti id fuit, quanti ea res erit (a). Dieſes
wurde urſprünglich von dem bloßen Sachwerth verſtan-
den; ſpäter aber erkannte man zwar auch noch an, daß
die Worte des Geſetzes nicht weiter als auf den Sach-
(c) L. 3 de cond. furt. (13. 1.).
(d) L. 12 § 2 de cond. furt.
(13. 1.), L. 22 § 2 de pign. act.
(13. 7.).
(a) L. 2 pr. L. 27 § 5 ad L.
Aquil. (9. 2.).
|0458 : 444|
Beylage XII.
werth giengen, man erweiterte jedoch durch Interpretation
den Inhalt der Klage auf das ganze, noch außer dem
Sachwerth erweisliche, Intereſſe (b), und dieſe Erweite-
rung wird als das geltende neueſte Recht bezeichnet (c).
III.
Das Interdict uti possidetis hatte der Prätor mit den
Worten quanti res erit angekündigt (a). Der Juriſt Ser-
vius nahm Dieſes buchſtäblich, von dem Sachwerth, Ul-
pian aber verwirft dieſe Meynung mit großer Entſchieden-
heit. Die merkwürdige Stelle lautet vollſtändig ſo:
L. 3 § 11 uti poss. (43. 17.).
In hoc interdicto condemnationis summa refertur ad
rei ipsius aestimationem.
Den Worten nach (ſagt Ulpian) wird die Condem-
natio auf den Sachwerth bezogen.
Quanti res est, sic accipimus, quanti uniuscujusque
interest, possessionem retinere.
Indeſſen faſſen wir die im Edict gebrauchten Aus-
(b) § 10 J. de L. Aquilia
(4. 3.) „Illud non ex verbis le-
gis, sed ex interpretatione
placuit, non solum peremti cor-
poris aestimationem habendam
esse, sed eo amplius, quidquid
praeterea, peremto eo corpore,
damni vobis allatum fuerit” rel.
(c) L. 21 § 2 ad L. Aquil.
(9. 2.) „Sed utrum corpus ejus
solum aestimamus quanti fue-
rit, cum occideretur, an potius,
quanti interfuit nostra non esse
occisum? Et hoc jure utimur,
ut ejus quod interest fiat aesti-
matio.” Die in den Worten des
Geſetzes vorgeſchriebene künſtliche
Zurückrechnung hat mit dieſem Ge-
genſatz gar Nichts zu ſchaffen, und
läßt ſich auf den bloßen Sach-
werth, wie auf das Intereſſe, gleich-
mäßig anwenden. L. 23 § 6 eod.
(a) L. 1 pr. uti poss. (43. 17.).
|0459 : 445|
Quanti res est. IV.
drücke nicht ſo buchſtäblich auf, ſondern verſtehen
ſie vielmehr von dem Intereſſe, welches der Kläger
bey der Erhaltung des Beſitzes hat.
Servii autem sententia est existimantis tanti posses-
sionem aestimandam, quanti ipsa res est.
Servius freylich wollte jene Ausdrücke buchſtäblich
erklären, von dem Eigenthumswerth der Sache
ſelbſt.
Sed hoc nequaquam opinandum est: longe enim
aliud est rei pretium, aliud possessionis.
IV.
Ganz dieſelbe Behandlung tritt auch ein bey dem In-
terdict de vi, und die hierauf bezügliche Stelle des Paulus
hat noch mehr praktiſche Ausführlichkeit als die eben an-
geführte des Ulpian.
L. 6 de vi (43. 16.).
In interdicto unde vi tanti condemnatio facienda est,
quanti intersit possidere: et hoc jure nos uti Pompo-
nius scribit, id est, tanti rem videri, quanti actoris in-
tersit: quod alias minus esse, alias plus: nam saepe
actoris pluris interesse hominem retinere, quam
quanti is est: veluti cum quaestionis habendae, aut
rei probandae gratia, aut hereditatis adeundae, in-
tersit ejus eum possideri.
In den erhaltenen Worten des Edicts (a) ſteht zwar
(a) L. 1 pr. de vi (43. 16.).
|0460 : 446|
Beylage XII.
das quanti res est nicht; daß es aber dennoch im Edict
vorhanden war, erhellt aus den Worten unſrer Stelie:
tanti rem videri, die offenbar als Interpretation der
Edictsworte quanti res est gelten ſollen. — Daß auch
hier früher eine abweichende buchſtäblichere Erklärung ver-
ſucht wurde, wird nicht ausdrücklich geſagt, doch wird
darauf hingedeutet in den Worten: hoc jure nos uti
(Num. II. c.), indem hierin auf die praktiſche Anerkennung
des Satzes Gewicht gelegt, und dafür das Zeugniß des
Pomponius angeführt wird.
V.
Schwieriger und beſtrittener ſteht die Sache bey der
furti actio. Hier wird bald der zweyfache, bald der drey-
fache oder vierfache Werth gefordert, als reine Strafe,
und es fragt ſich, welches Simplum dieſen Multiplicatio-
nen zum Grunde zu legen iſt. Da die Klage aus den
Zwölf Tafeln herkam, iſt es nicht unwahrſcheinlich, daß
die Art ihrer Anwendung dieſelbe Entwicklung erfahren
hat, wie die der actio Legis Aquiliae (Num. II.).
Daß auch hier die Ausdrücke quanti res est irgendwo
gebraucht worden waren, ſey es in den Zwölf Tafeln,
oder im Edict bey Einführung der actio furti manifesti,
oder in den Klagformularen, wird faſt gewiß durch fol-
gende Stelle des Javolenus:
L. 9 de in litem jur. (12. 3.).
|0461 : 447|
Quanti res est. V.
Cum furti agitur, jurare ita oportet, tanti rem fuisse,
cum furtum factum sit.
Dieſe Worte haben nur Sinn, wenn man ſie auf das
im Geſetz oder Edict ſtehende quanti res est bezieht, wel-
ches durch den Eid auf den einzelnen Fall angewendet
werden ſollte.
Über die praktiſche Deutung jener Worte nun ſind fol-
gende Stellen zu bemerken. Zuerſt muß unterſchieden wer-
den, ob der Beſtohlene, welcher die Klage anſtellt, Eigen-
thum oder ein bloßes jus in re an der geſtohlenen Sache
hat. Im letzten Fall iſt es unzweifelhaft, daß das Sim-
plum blos in des Klägers Intereſſe beſtehen kann, wel-
ches hier ſtets geringer ſeyn wird als der Sachwerth (a).
Im erſten Fall dagegen, wenn der beſtohlene Eigenthümer
klagt, kann gezweifelt werden, ob das Simplum in dem
reinen Sachwerth, oder in dem, vielleicht höheren, viel-
leicht geringeren Intereſſe beſteht. Auch hier nun iſt, der
richtigeren Meynung nach, das Intereſſe anzunehmen.
Ich will zuerſt einige Entſcheidungen einzelner Rechts-
fälle anführen, die ſtets unzweydeutiger ſind, als abſtracte
Regeln.
Wenn einem Glaubiger Schuldurkunden geſtohlen wer-
den, ſo glaubten Einige, das Simplum beſtehe blos in
dem unbedeutenden Sachwerth der mit Wachs überzoge-
(a) L. 80 § 1 de furtis (47. 2.)
von Papinian: „.. Quia itaque
tunc sola utilitas aestimationem
facit, cum cessante dominio
furti actio nascitur, in istis
causis ad aestimationem cor-
poris furti actio referri non
potest.”
|0462 : 448|
Beylage XII.
nen Holztafeln; Paulus aber nimmt als Simplum das
volle Intereſſe an, welches nach Umſtänden der ganzen
Schuldſumme, worauf die Urkunde geſtellt war, gleich
kommen kann (b).
Wenn der Beſtohlene unter einer Conventionalſtrafe
verſprochen hatte, die Sache an einem beſtimmten Tage
einem Dritten zu übergeben, welches ihm durch den Dieb-
ſtahl unmöglich wurde, ſo daß er nun die Strafe zahlen
mußte, ſo gehört dieſe Strafe gewiß nicht zum Sachwerth,
ſondern zu dem Intereſſe; dennoch wird dieſelbe, nach
Celſus, in das Simplum mit eingerechnet (c).
Wenn ein geſtohlener Sklave zum Erben eingeſetzt
war, und der Herr durch den Diebſtahl den Erwerb der Erb-
ſchaft einbüßte, ſo ſoll der Werth dieſer Erbſchaft mit in
das Simplum eingerechnet werden, und es iſt gleich hier
wohl zu bemerken, daß Ulpian Dieſes behauptet (d).
VI.
Ich gehe nun über zu den Stellen, welche über unſre
Frage abſtractere Regeln aufſtellen. Dahin gehört zuerſt
folgende Stelle des Papinian.
L. 80 § 1 de furtis (47. 2.).
Cum autem jure dominii defertur furti actio, quam-
(b) L. 32 pr. § 1 de furtis
(47. 2.), vgl. L. 10 § 3 de eden-
do (2. 13.).
(c) L. 67 § 1 de furtis (47. 2.).
„Si tibi subreptum est, quod
nisi die certa dedisses, poenam
promisisti, ideoque sufferre
eam necesse fuit, furti actione
hoc quoque coaestimabitur.”
(d) L. 52 § 28 de furtis
(47. 2.).
|0463 : 449|
Quanti res est. VI.
vis non alias nisi nostra intersit competat(a): tamen
ad aestimationem corporis, si nihil amplius intersit,
utilitas mea referenda est.
Auf den erſten Blick ſcheinen ganz entſcheidend die
Worte: si nihil amplius intersit. Der Inhalt
ſcheint nämlich folgender: das Simplum beſteht
jederzeit wenigſtens in dem Sachwerth, vielleicht
aber in einer höheren Summe, wenn noch ein hö-
heres Intereſſe neben dem Sachwerth nachgewieſen
werden kann (si nihil amplius intersit). — Allein
nach dem ganzen Zuſammenhang geht das amplius
nicht auf die Erweiterung des Gegenſtandes,
ſondern auf deſſen zeitliche Fortdauer (b), ſo daß
der Sinn vielmehr folgender iſt: Wenn das zur
Zeit des Diebſtahls vorhandene Intereſſe hinterher
völlig verſchwunden iſt, ſo bleibt Nichts übrig, als
den reinen Sachwerth als Simplum anzunehmen,
weil ein anderes Intereſſe nicht mehr ermittelt wer-
den kann. — Dieſes wird nun erläutert und beſtä-
tigt durch die folgenden Worte:
Idque et in statuliberis, et in legato sub condicione
(a) Das heißt: wenn der be-
ſtohlene Eigenthümer bey dem
Diebſtahl, ſchon zur Zeit deſſelben,
kein Intereſſe hat, z. B. weil er
die Sache vermiethet hatte, ſo daß
ihm der Miether, deſſen Nachläſ-
ſigkeit allein den Diebſtahl mög-
lich machen konnte, für den Verluſt
einſtehen muß, ſo hat der Eigen-
thümer die Klage nicht. § 13. 15.
J. de obl. quae ex del. (4. 1.).
(b) Vgl. Schulting notae in
Dig., L. 50 pr. de furtis (47. 2.).
V. 29
|0464 : 450|
Beylage XII.
relicto probatur. Alioquin diversum probantibus
statui facile quantitas non potest(c).
Wenn der einem Erben geſtohlene Sklave unter
einer Bedingung frey gelaſſen oder einem Dritten
legirt war, ſo betrug das Intereſſe weniger als
der Sachwerth, weil das Eigenthum an dem Skla-
ven durch die Bedingung unſicher war. Wenn nun
zur Zeit der Klage die Bedingung noch unentſchie-
den ſchwebt, ſo ſoll das Intereſſe (als Simplum)
dadurch ermittelt werden, daß man den Sklaven
mit der auf dem Eigenthum haftenden Gefahr ver-
kauft; der ſo erlangte Kaufpreis ſoll als Intereſſe
des Diebſtahls, folglich als Simplum der Klage,
gelten (d). Iſt aber zur Zeit der Klage die Be-
dingung ſchon erfüllt, alſo das Eigenthum für den
Kläger verſchwunden, ſo zeigt ſich jene Auskunft
als unmöglich, und nun bleibt Nichts übrig, als
den reinen Sachwerth zum Grund zu legen, ohne
Rückſicht auf den Einfluß der Bedingung.
(c) Hier folgt nun unmittelbar
der oben Num. V. a. abgedruckte
letzte Theil der Stelle.
(d) Dieſes Verfahren wird aus-
drücklich vorgeſchrieben von Ulpian
in L. 53 § 29 de furtis (47. 2.)
„Pendente autem condicione
(nämlich si agatur), tanti aesti-
mandus est, quanti emtorem
potest invenire.” Der vorherge-
hende Fall geht auf eine Entwen-
dung vor angetretener Erbſchaft,
wobey auch noch vor dem Antritt
die Bedingung eingetreten iſt.
Denn gegen die Erbſchaft kann
kein Diebſtahl begangen werden,
und zur Zeit des Antritts war der
Sklave nicht mehr Stück der Erb-
ſchaft. War dagegen die Bedin-
gung noch ſchwebend zur Zeit des
Antritts, ſo wurde durch fortge-
ſetzte Contreetation gegen den Er-
ben das furtum begangen.
|0465 : 451|
Quanti res est. VII.
Wenngleich nun die in jener Stelle enthaltenen Worte:
si nihil amplius intersit unſere Frage nicht entſcheiden, ſo
läßt dennoch die ganze Stelle darüber keinen Zweifel übrig.
Ganz entſcheidend nämlich ſind die Worte: ad aestima-
tionem corporis … utilitas mea referenda est. Papinian
will alſo ſagen: das wahre Simplum beſteht überall in
der utilitas des Beſtohlnen, das heißt in ſeinem In-
tereſſe (e), und es liegt blos in den beſonderen Umſtänden
des vorliegenden Falles, daß hier das Intereſſe mit dem
Sachwerth identiſch iſt. Dieſe Erklärung wird völlig be-
ſtätigt durch die Schlußworte, nach welchen Papinian
auch im vorliegenden Fall ein vom Sachwerth verſchiede-
nes Intereſſe annehmen würde, wenn es nur möglich wäre,
ein ſolches zu ermitteln.
VII.
Zweifelhafter iſt folgende Stelle des Ulpian, welche
von jeher die verſchiedenſten Meynungen über unſre ganze
Frage veranlaßt hat.
L. 50 pr. de furtis (47. 2.).
In furti actione non, quod interest, quadruplabitur
vel duplabitur, sed rei verum pretium. Sed et si
res rebus humanis esse desierit cum judicatur, ni-
hilominus condemnatio facienda est, idemque etsi
nunc deterior sit, aestimatione relata in id temps,
(e) Utilitas iſt der eigentliche Name für das Intereſſe. Vgl.
L. 21 § 3 de act. emti (19. 1.), und viele andere Stellen.
29*
|0466 : 452|
Beylage XII.
quo furtum factum est. Quod si pretiosior facta
sit, ejus duplum quanti tunc, cum pretiosior facta
sit, fuerit, aestimabitur: quia et tunc furtum ejus
factum esse verius est.
Hier ſcheint geradezu das Intereſſe als Simplum ne-
girt, der Sachwerth angenommen, wodurch die Stelle mit
allen vorher zuſammengeſtellten in Widerſpruch treten
würde. Manche haben nun in der That eine Controverſe
unter den alten Juriſten über dieſe Frage behauptet, und
man könnte verſuchen, dieſe mit der wahrſcheinlichen Ent-
wicklung der Rechtsregel (Num. V.) in Verbindung zu
ſetzen. Indeſſen muß dieſe Meynung gänzlich verworfen
werden, weil gerade derſelbe Ulpian in einer der beſtimm-
teſten einzelnen Entſcheidungen (Num. V. d) das Intereſſe
als Simplum anerkennt.
Sieht man auf die in unſrer Stelle enthaltenen ein-
zelnen Anwendungen, ſo iſt Ulpians Meynung offenbar
dieſe. Wenn der Werth, welcher zur Zeit des Diebſtahls
gefordert werden konnte, in der Folge vermindert worden
oder ganz verſchwunden iſt, ſo wird dadurch die im Ur-
theil auszuſprechende Summe nicht geringer; iſt jener Werth
geſtiegen, ſo wird die Summe größer. Der Gegenſatz
alſo, der ihm hier vorſchwebt, betrifft die verſchiedenen
Zeitpunkte möglicher Schätzung, nicht den Unterſchied des
Sachwerths vom Intereſſe; wenn nun dennoch ſeine Aus-
drücke mehr auf dieſen letzten Gegenſatz zu gehen ſcheinen,
ſo hat er dieſelben allerdings nicht ſorgfältig gewählt.
|0467 : 453|
Quanti res est. VIII.
Die Gedankenverbindung, woraus dieſe ungenaue Rede zu
erklären, zugleich alſo ihre Vorausſetzung zu rechtfertigen
iſt, mag etwa folgende ſeyn. Ulpian dachte an einen Fall,
worin (wie in den allermeiſten) das Intereſſe mit dem
Sachwerth identiſch war, der Sachwerth aber, durch eine
in der Sache ſelbſt vorgegangene Veränderung ſich ver-
mindert hatte, etwa von 100 auf 60. Nun drückte Ul-
pian ſeine Meynung in folgender Weiſe aus: Es iſt eine
Sache im Werth von 100 geſtohlen worden, und es muß
daher die Summe von 100 als Simplum behandelt wer-
den, obgleich das gegenwärtige Intereſſe des Klägers
(zur Zeit der Klage) nur 60 beträgt, ſo daß es ihm nur
einen fühlbaren Unterſchied von 60 in ſeinem Vermögen
macht, wenn man annimmt, die Sache wäre ihm nicht
geſtohlen worden.
VIII.
In mehreren anderen ſpeciellen Fällen hat es gar kei-
nen Zweifel, daß das quanti res est völlig gleichbedeu-
tend iſt mit quanti interest. So ſtanden jene Worte in
der Condemnationsformel der doli actio (a), und es war
ſo wenig zweifelhaft, dieſelben von dem Intereſſe zu ver-
ſtehen, daß ſogar der Eid in litem dabey geſtattet wurde,
der doch auf die ausgedehnteſte Leiſtung des Intereſſe
führt (b).
(a) L. 17 pr. L. 18 pr. de dolo (4. 3.).
(b) L. 18 pr. § 1. 4 de dolo (4. 3.).
|0468 : 454|
Beylage XII.
Ganz derſelbe Fall tritt ein bey den prätoriſchen Sti-
pulationen, deren Formel die Worte quanti res est ent-
hielt, und deren Folge eine Klage auf das vollſtändige
Intereſſe war (c).
IX.
Noch wichtiger und entſcheidender aber, als jene ein-
zelne Beſtimmungen, iſt folgende ſehr weit greifende allge-
meine Regel. Alle Klagen in rem und in personam, die
auf Reſtitution einer Sache gerichtet ſind, ja ſelbſt die
auf Reſtitution gehende Interdicte, haben in ihrer Con-
demnationsformel die Worte quanti res est, und dieſe be-
deuten hier überall nicht mehr und nicht weniger, als das
Intereſſe, welches jene Reſtitution für den Kläger hat (a).
Hierin liegt denn zugleich die unmittelbarſte Beſtätigung
der Behauptung, wodurch die gegenwärtige Unterſuchung
zunächſt veranlaßt worden iſt, daß der Judex bey der
formula in factum concepta zu einer eben ſo freyen Prü-
fung und Feſtſtellung des Intereſſe berufen war, wie bey
der formula in jus concepta (b).
(c) L. 11 de stipul. praetor.
(46. 5.), L. 3 pr. L. 8 § 2 ra-
tam rem (46. 8.). — Eben ſo
wird auch bey freywilligen Stipu-
lationen das quanti res est und
quanti interest als gleichbedeu-
tend angeſehen. L. 38 § 2 de
V. O. (45. 1.), vgl. mit L. 81
pr. eod.
(a) L. 68 de rei vind. (6. 1.)
„.. non pluris quam quanti
res est, id est quanti adversa-
rii interfuit, condemnandus
est.” — L. 71 eod. „quanti res
sit.”
(b) Vgl. Syſtem § 216. Note u.
|0469 : 455|
Quanti res est. X. XI.
X.
Es dürfen jedoch einige einzelne Fälle nicht mit Still-
ſchweigen übergangen werden, worin theils die Beurthei-
lung ſelbſt, theils der Sprachgebrauch, von den hier auf-
geſtellten Regeln abweicht; die genauere Betrachtung die-
ſer Fälle iſt nicht dazu geeignet, die als regelmäßig dar-
geſtellte Behandlung des Gegenſtandes zweifelhaft zu
machen.
Die entſchiedendſte Abweichung vom regelmäßigen
Sprachgebrauch findet ſich bey der actio ad exhibendum.
Dieſe geht auf das Intereſſe, welches der Kläger bey
der Exhibition hat, nicht auf den Sachwerth, und dieſer
Gegenſatz wird hier ganz ungewöhnlicherweiſe ſo ausge-
drückt: die Klage gehe nicht auf quanti res est (a). Die
Stelle ſelbſt rührt zwar von Ulpian her, allein ſie enthält
doch blos ein Allegat aus Neratius, und ſo iſt alſo Die-
ſes als ein ſingulärer Sprachgebrauch des Neratius an-
zuſehen.
XI.
Einige Vergehen, die im Prozeß gegen die obrigkeitliche
Gewalt begangen werden konnten, hatten zur Folge eine
Strafklage, welche nicht auf das (oft ganz unbedeutende)
(a) L. 9 § 8 ad exhib. (10. 4.)
„Et ideo Neratius ait, utilita-
tem actoris venire in aestima-
tionem, non quanti res sit:
quae utilitas, inquit, interdum
minoris erit quam res.”
|0470 : 456|
Beylage XII.
Intereſſe gerichtet war, ſondern auf eine Geldſtrafe, die
dem Geldwerth des Prozeßgegenſtandes gleich kam. Die-
ſer Gegenſatz wurde ſo ausgedrückt: die Klage gehe nicht
auf das Intereſſe, ſondern auf quanti res est (a). Auch
dieſer Sprachgebrauch iſt von dem ſonſt gewöhnlichen
verſchieden, jedoch iſt er demſelben nicht ſo direct entge-
gengeſetzt, wie es auf den erſten Blick wohl ſcheinen
möchte. Denn das, was hier, als verſchieden vom In-
tereſſe, durch quanti res est bezeichnet wird, iſt nicht,
wie in den oben zuſammengeſtellten Fällen, der Sachwerth,
ſondern der Streitgegenſtand, ſo daß alſo hier und dort
Gegenſätze von ganz verſchiedener Art auszudrücken waren.
XII.
Die actio vi bonorum raptorum geht auf den vier-
fachen Werth der geraubten Sache mit Einſchluß des Sim-
plum, alſo auf den dreyfachen Werth als reine Strafe.
Die Behandlung iſt aber hier eine ganz andere, als die
welche oben für die furti actio nachgewieſen worden iſt
(Num. V—VII.); denn das Simplum iſt nicht, wie bey
der furti actio, das Intereſſe des Beraubten, ſondern viel-
mehr der reine Sachwerth (a). Wir kennen den Grund
(a) L. 1 § 4 si quis jus dic.
(2. 3.). „Hoc judicium non ad
id quod interest, sed quanti
ea res est, concluditur.” — L. 5
§ 1 ne quis eum (2. 7.) „quo
non id continetur, quod in ve-
ritate est, sed quanti ea res
est ab actore aestimata, de
qua controversia est.”
(a) L. 2 § 13 vi bon. rapt.
(47. 8.). „In hac actione intra
annum utilem verum pretium
rei quadruplatur, non etiam
quod interest.”
|0471 : 457|
Quanti res est. XIII.
des Unterſchieds nicht, aber auf den hier unterſuchten
Sprachgebrauch hat derſelbe keine Beziehung, da nirgend
geſagt wird, daß bey jener Klage die Worte quanti res
est gebraucht worden wären.
Dieſe letzte Bemerkung gilt eben ſo auch von der actio
de rationibus distrahendis, wodurch der Vormund, welcher
Sachen des Mündels unterſchlagen hat, auf den doppel-
ten Werth belangt wird. In dieſem doppelten Werth iſt
das Simplum mit enthalten, und das Simplum beſteht
nicht in dem Intereſſe, ſondern in dem reinen Sach-
werth (b). Hier aber läßt ſich der Grund dieſer eigen-
thümlichen Behandlung angeben. Das Duplum ſelbſt war
nicht als eigentliche Strafe gedacht, ſondern als ein prä-
ſumtives, ſehr hoch beſtimmtes Intereſſe, deſſen ſchwieriger
Beweis dadurch entbehrlich gemacht werden ſollte. Eben
daher konnte nicht auch das Simplum auf das Intereſſe
geſtellt werden (c).
XIII.
Das größte Bedenken endlich erregen folgende zwey
Stellen des Ulpian, die in ihrer ſcheinbaren Allgemeinheit
alles bisher Dargeſtellte wankend zu machen ſcheinen.
L. 179 de V. S. (50. 16.). Ulp. lib. 51 ad Sabinum.
(b) L. 1 § 20 de tutelae
(27. 3.). Considerandum est in
hac actione, utrum pretium rei
tantum duplicetur, an etiam
quod pupilli intersit? Et magis
esse arbitror, in hac actione
quod interest non venire, sed
rei tantum aestimationem.”
(c) Vgl. Syſtem § 212 Note
k. l. m. n.
|0472 : 458|
Beylage XII.
Inter haec verba, quanti ea res erit, vel quanti eam
rem esse paret, nihil interest: in utraque enim clau-
sula placet veram rei aestimationem fieri.
L. 193 eod. Ulp. lib. 38 ad Ed.
Haec verba, quanti eam rem paret esse, non ad
quod interest, sed ad rei aestimationem referuntur.
Es hilft wenig, daß beide Stellen zunächſt nicht die
Bedeutung von quanti res est, ſondern von esse paret,
angeben wollen, denn ſie erklären beide Ausdrücke für
gleichbedeutend, und ſagen für beide, daß ſie den Sach-
werth, nicht das Intereſſe bezeichnen. Auch die häufig
vorkommenden Varianten apparet und patet helfen der
hier bemerkten Schwierigkeit nicht ab.
Es bleibt alſo kaum etwas Anderes übrig, als auf
das allgemeine Verhältniß zwiſchen ganz abſtract gefaßten
Regeln, und concreten Entſcheidungen zurück zu gehen,
unter welchen die letzten, im Fall eines Widerſpruchs,
vorzugsweiſe vor den erſten, den wahren Sinn des Rechts
in ſich ſchließen werden (a). Ja wir müſſen hier noch
einen Schritt weiter gehen, und nicht ſowohl die mislun-
gene Regelfaſſung des Ulpian anklagen, als die fehlerhafte
Weiſe, in welcher dieſe Stellen von den Compilatoren aus
ihrem urſprünglichen Zuſammenhang losgeriſſen ſeyn mö-
gen. Kennten wir dieſen Zuſammenhang, ſo würde wahr-
ſcheinlich jede Spur eines Widerſpruchs verſchwinden,
indem dieſer ohne Zweifel nur durch den falſchen Schein
(a) Syſtem Band 1 § 44 S. 276.
|0473 : 459|
Quanti res est. XIII.
von Allgemeinheit entſteht, welcher dieſen Ausſprüchen
durch ihre abgeriſſene Stellung in den Digeſten zu Theil
geworden iſt. Einige entferntere Vermuthungen werden
durch die Überſchriften beider Stellen herbeygeführt. Die
L. 179 cit. iſt aus einem Buch des Ulpian ad Sabinum,
welches vorzugsweiſe von der Jurisdiction handelte (b);
die hier excerpirte Stelle möchte alſo wohl von einer
der prätoriſchen Strafklagen zu verſtehen ſeyn, die aus
der Verletzung der Jurisdictionsrechte entſtanden, und
bey welchen, wie wir von einigen beſtimmt wiſſen, in
der That dieſer abweichende Sprachgebrauch herrſchte
(Num. XI.). — L. 193 cit. aber iſt aus einem Buch ad
edictum genommen, welches vorzugsweiſe die mit der furti
actio verwandten, zum Theil ſehr alten, Klagen abhan-
delte (c); es iſt nun leicht möglich, daß bey einer derſelben
der Ausdruck quanti res est gebraucht war, jedoch in dem
ungewöhnlichen Sinn des reinen Sachwerthes, ſo wie wir
ohnehin von der vi bonorum raptorum actio wiſſen, daß
bey ihr der Sachwerth, nicht das Intereſſe, als Simplum
angeſehen wurde (Num. XII.).
Manche werden erwiedern, dieſe Vermuthungen, ſelbſt
wenn ſie gegründet wären, ſeyen dennoch für uns un-
fruchtbar, weil einmal Juſtinian jenen Stellen durch deren
Aufnahme in den Titel de verborum significatione, die
Kraft allgemeiner Interpretationsregeln unabänderlich mit-
(b) Hommel palingenesia librorum juris T. 3 p. 588. 589.
(c) Vgl. die Titel 4—7 im 47. Buch der Digeſten.
|0474 : 460|
Beylage XII. Quanti res est. XIII.
getheilt habe. Wie weit man nun auch dieſen unbeding-
ten Gehorſam gegen jedes einzelne, auch erweislich irrige,
Stück der Compilation treiben möge, ſo würde derſelbe
wenigſtens im vorliegenden Fall ohne Erfolg bleiben. Denn
für alle wichtige Fälle der Anwendung beſitzen wir ganz
anders lautende ſpecielle Interpretationsregeln für jene
Ausdrücke (Num. II—IX.). Dieſe ſpeciellen Regeln aber
müſſen in den Fällen, worauf ſie ſich beziehen, jenen allge-
meinen Regeln ſicherlich vorgehen.
|0475 : 461|
Beylage XIII. Stricti juris, bonae fidei actiones. I.
Beylage XIII.
Stricti juris, bonae fidei actiones.
(Zu § 218—220.)
I.
Bevor dieſe Eintheilung der Klagen ſelbſt unterſucht
wird, iſt über die Bezeichnung derſelben Folgendes zu
bemerken.
Der Name bonae fidei actio iſt ſehr häufig, und die Ent-
ſtehung deſſelben wird weiter unten beſonders erklärt werden.
Dagegen iſt der Name stricti juris actio, genau in
dieſer Form, ſelten. Die einzige ganz ſichere Stelle dafür
iſt die der Inſtitutionen, welche überhaupt am Meiſten
Aufſchluß über die ganze Eintheilung giebt.
§ 28 J. de act. (4. 6.).
Actionum autem quaedam bonae fidei sunt, quaedam
stricti juris. Bonae fidei sunt hae: rel.
Gleich nachher (§ 30 eod.) heißen ſie stricta judicia,
und in einer Conſtitution von Juſtinian wird von einer
Klage geſagt: ex stipulatu actionem stricto jure esse val-
latam, et non ex b. f. descendere (a). Marcian nennt
(a) L. un. § 2 C. de rei ux. act. (5. 13.).
|0476 : 462|
Beylage XIII.
es actio stricti judicii (b). Zweifelhaft wegen der Leſeart
endlich iſt folgende Stelle des Ulpian.
L. 3 § 2 commod. (13. 6.).
In hac actione sicut in ceteris b. f. judiciis … rei
judicandae tempus .. observatur: quamvis in stricti,
litis contestatae tempus spectetur.
Dieſes iſt die Florentiniſche Leſeart, ohne Zweifel feh-
lerhaft. Käme es darauf an, durch eine Emendation zu
helfen, ſo wäre in strictis für in stricti die gelindeſte Ver-
änderung; judiciis ließe ſich aus den vorhergehenden Wor-
ten ohne alle Härte hinzu denken, und stricta judicia iſt
durch die oben angeführte zweyte Inſtitutionenſtelle völlig
beglaubigt. Allein die Vulgata lieſt, noch vollſtändiger,
in stricti juris judiciis (c), und bey dieſer Autorität kön-
nen wir uns völlig beruhigen. Haloanders Leſeart: in
stricti juris, iſt zwar auch an ſich befriedigend, es bleibt
aber zweifelhaft, ob er dieſe Leſeart in Handſchriften ge-
funden, oder nur als eine unnoͤthige Vermittlung zwiſchen
der Florentina und der Vulgata verſucht hat.
Der ſeltene Gebrauch jenes Kunſtausdrucks erklärt ſich
aus dem Umſtand, daß für dieſelbe Klaſſe von Klagen
noch ein anderer Ausdruck vorkommt, nämlich condictio
(Beylage XIV.); dieſer iſt außerordentlich häufig, ja er
wird überall gebraucht, wo es nicht gerade, wie in den
(b) L. 5 § 4 de in litem jur.
(12. 3.).
(c) So leſen nämlich folgende
alte Ausgaben des Dig. vetus:
Venet. Jenson s. a., Norimb.
Koberger 1483, Venet. 1484,
und gewiß eben ſo noch viele an-
dere.
|0477 : 463|
Stricti juris, bonae fidei actiones II.
oben angeführten Stellen, darauf ankommt, zwey Arten
von actiones einander wörtlich entgegen zu ſetzen, das heißt
den Begriff als Glied einer Eintheilung unmittelbar zu be-
zeichnen.
II.
Um nun den Unterſchied dieſer zwey Arten der Klagen auf
eine erſchöpfende Weiſe zu behandeln, iſt es nöthig zwey
an ſich verſchiedene Fragen zu beantworten. Die erſte be-
trifft die praktiſche Bedeutung jenes Unterſchieds, alſo das
Intereſſe, welches an die Bezeichnung irgend einer Klage
als einer str. j. oder b. f. actio geknüpft iſt. Die zweyte
Frage bezieht ſich auf die Gränzſcheidung beider Arten,
alſo auf die Beſtimmung, welche Klagen überhaupt zu
der einen oder andern Art zu rechnen ſind.
Die Frage nach der praktiſchen Bedeutung des Unter-
ſchieds führt zurück auf den viel allgemeineren Gegenſatz
der ſtrengen und freyen Klagen (Syſtem § 218), welcher
hier nur in einer einzelnen Anwendung erſcheint, die aber,
weil ſie vorzugsweiſe häufig und wichtig war, genauer
als andere Anwendungen ausgebildet worden iſt.
Im Allgemeinen nun läßt ſich der Unterſchied dahin
beſtimmen, daß dem urtheilenden Richter bey der b. f. ac-
tio eine freyere Macht eingeräumt war (a), welche am
(a) L. 7 de neg. gestis (3. 5.)
„quia tantundem in b. f. judi-
ciis officium judicis valet, quan-
tum in stipulatione nominatim
ejus rei facta interrogatio”.
|0478 : 464|
Beylage XIII.
häufigſten durch den Ausdruck officium judicis bezeichnet
wird. Es würde unrichtig ſeyn, Dieſes im einſeitigen In-
tereſſe, ſey es des Klägers oder des Beklagten, aufzufaſ-
ſen, nach welcher Annahme man glauben könnte, die eine
oder die andere Art der Klagen ſey ausgeſonnen worden,
um Eine Partey vor der andern vorzugsweiſe zu begün-
ſtigen. Vielmehr kann man ſagen, daß nach Umſtänden
jene freyere Macht bald dem Kläger, bald dem Beklagten
zum Vortheil gereichen konnte (b).
III.
Der Kläger konnte aus der freyeren Macht des Rich-
ters Vortheil ziehen, indem dieſer angewieſen war, bey
Verträgen auch auf alles Dasjenige zu ſprechen, was
zwar nicht im Vertrag ausgedrückt, wohl aber bey Ver-
trägen dieſer Art allgemein üblich war, ſo daß man an-
nehmen konnte, die Parteyen hätten es ſtillſchweigend hin-
zugedacht (a).
(b) Bey jeder b. f actio ſoll
der Richter auch für ungewiſſe,
erſt in der Zukunft zu erwartende,
Verpflichtungen, Cautionen aufle-
gen, und dieſe Vorſorge gilt nach
beiden Seiten hin. L. 38 pr. pro
socio (17. 2.) L. 41 de jud. (5.
1.). — Seneca ſagt zwar, der
Erfolg einer guten Sache ſey mehr
geſichert bey dem judicium, als
bey dem arbitrium, welches auf
eine Begünſtigung des Klägers
gedeutet werden könnte (Syſtem
§ 218. d.). Dieſes iſt aber zu ver-
ſtehen theils von dem beſchränkte-
ren Gebrauch der Exceptionen in
der str. j. actio, theils von dem
möglichen Misbrauch, welcher in den
b. f. actiones von einer vermeynt-
lichen Billigkeit gemacht werden
konnte.
(a) L. 31 § 20 de aed. ed.
(21. 1.) „… ea enim, quae sunt
moris et consuetudinis, in bo-
nae fidei judiciis debent venire.”
|0479 : 465|
Stricti juris, bonae fidei actiones. III.
Die wichtigſte Anwendung dieſes Grundſatzes beſteht
darin, daß der Richter nicht blos auf den urſprünglichen
Gegenſtand der Obligation, ſondern auch auf deſſen hin-
zugetretene Erweiterungen (omnis causa) ſprechen ſoll.
Insbeſondere ſoll er bey Geldſchulden auf Zinſen des Gel-
des ſprechen, von dem Zeitpunkt an, worin der Schuld-
ner vergeblich zur Zahlung aufgefordert worden war (b),
welche Zinszahlung bey den stricti juris actiones nicht
eintritt (c). Nur für den Zeitraum, worin der Rechts-
ſtreit geführt wird, das heißt von der Litisconteſtation an,
treten auch dieſe Klagen mit den b. f. actiones großentheils
auf gleiche Linie, ſo daß für dieſe Zeit auch bey ihnen
die omnis causa mit in das Urtheil aufgenommen wird (d);
jedoch auf Geldzinſen iſt dieſe Wirkung der Litisconteſta-
tion bey den str. j. actiones nicht auszudehnen (e).
(b) L. 32 § 2 de usuris (22.
1.) „In bonae fidei contracti-
bus ex mora usurae debentur.”
L. 24 depos. (16. 3.) „Et est
quidem constitutum, in bonae
fidei judiciis, quod ad usuras
attinet, ut tantundem possit
officium arbitri, quantum sti-
pulatio.” Man darf dieſes nicht
ſo verſtehen, als hätten die Kai-
ſer dieſen Satz erfunden; er war
nur auch in Reſcripten der Kaiſer
anerkannt und dadurch beſtätigt
worden.
(c) Dieſes liegt ſchon in dem
natürlichen Gegenſatz der in der
Note b. für die b. f. actiones an-
geführten Stellen. Die Zinsver-
pflichtung wird aber auch aus-
drücklich bey mehreren str. j. ac-
tiones verneint. L. 24 depos.
(16. 3.) bey Gelddarlehen, L. 1
C. de cond ind. (4. 5.) bey con-
dictio indebiti.”
(d) L. 2 L. 3 § 1 L. 10 L. 38
§ 7 de usuris (22. 1.), L. 31 pr.
de reb. cred. (12. 1.), L. 51 pr.
fam. herc. (10. 2.), L. 91 § 7 de
leg. 1 (30. un.), L. 8 de re jud.
(42. 1.), L. 35 de V. S. (50. 16.)
(e) Entſcheidend hierüber iſt
Gajus IV. § 52, und L. 23 C. de
usuris (4. 32.). Vgl. Madai
Mora S. 369, Liebe Stipula-
tion S. 52. — Nur ſcheinbar
könnte man darin eine Zurückſetz-
V. 30
|0480 : 466|
Beylage XIII.
Eben ſo ſollte bey der b. f. actio der verurtheilende
Richter jegliches Intereſſe des Klägers in Anſchlag brin-
gen können, auch dasjenige, welches auf ganz individuel-
len Verhältniſſen deſſelben beruht (Affectionswerth) (f);
bey der str. j. actio ſollte das Intereſſe dieſer Art außer
Anſchlag bleiben (g).
IV.
Auf der anderen Seite konnte die freyere Macht des
Richters auch dem Beklagten zu großem Vortheil gereichen.
Wenn der Anſpruch des Klägers durch Exceptionen
ausgeſchloſſen, oder auf eine geringere Summe beſchränkt
werden konnte, ſo hatte dieſe der Richter in der str. j. ac-
tio nur dann zu berückſichtigen, wenn ſie der Prätor in
der formula ausgedrückt hatte; für die b. f. actio galt
dieſe Beſchränkung nicht, ſo daß der Richter ſie beachten
ung des Klägers bey Geldſchulden
finden wollen, denn für deſſen In-
tereſſe war durch die sponsio ter-
tiae partis ſehr reichlich geſorgt.
(f) L. 54 pr. Mand. (17. 1.)
„.. placuit enim prudentiori-
bus, affectus rationem in bo-
nae fidei judiciis habendam.”
(g) Dieſer Satz liegt augen-
ſcheinlich in der für die b. f. ju-
dicia ausgeſprochenen entgegenge-
ſetzten Regel (Note f). Er iſt aber
auch in folgender Stelle unmittel-
bar anerkannt. L. 33 ad L. Aquil.
(9. 2.) „Si servum meum occi-
disti, non affectiones aestiman-
das esse puto .. sed quanti
omnibus valeret. S. quoque
Pedius ait, pretia rerum non
ex affectione, nec utilitate sin-
gulorum, sed communiter fun-
gi.” Nun darf zwar der a. L.
Aquiliae der Name stricti juris
actio nicht beygelegt werden, aber
unter die ſtrengen Klagen gehört
ſie eben ſo gut als die, welche je-
nen Namen führen, und die Re-
gel der Beurtheilung war für den
Richter völlig dieſelbe. Alles Die-
ſes wird weiter unten dargethan
werden.
|0481 : 467|
Stricti juris, bonae fidei actiones. IV.
durfte und ſollte, auch wenn erſt während des Prozeſſes
der Beklagte das Daſeyn der Exception, z. B. den von
dem Gegner verübten Betrug, entdeckt hatte (a). — Eine
wichtige Anwendung dieſes Satzes war es, daß in den
b. f. actiones die Compenſation zur Anwendung kam, auch
wenn ſie nicht in der formula erwähnt war (b). In der
(a) L. 3 de rescind vend.
(18. 5.) „.. bonae fidei judicio
exceptiones pacti insunt.” L.
21 sol. matr. (24. 3.) „.. cum
enim doli exceptio insit de
dote actioni, ut in ceteris bo-
nae fidei judiciis” .. L. 84 § 5
de leg. 1 (30. un.) „.. quia hoc ju-
dicium fidei bonae est, et con-
tinet in se doli mali exceptio-
nem.” Am ausführlichſten wird
dieſe Regel dargeſtellt in L. 7 § 5.
6 de pactis (2. 14.). In dieſen
Stellen iſt ausdrücklich nur von
der doli und pacti exceptio die
Rede, und man könnte dadurch
verleitet werden, die aufgeſtellte
Regel auf die aus dem jus gen-
tium entſpringenden Exceptionen
zu beſchränken, ſo daß diejenigen
davon ausgeſchloſſen wären, wel-
che einen mehr poſitiven Urſprung
haben, wie rei judicatae, Sc. Vel-
lejani exceptio u. ſ. w. Allein
dieſer Beſchränkung widerſpricht
die andere Regel, nach welcher
jede Exception zugleich die doli
exceptio in ſich ſchließt, indem
der Kläger wenigſtens „nunc pe-
tendo facit dolose.” L. 2 § 5
de doli exc. (44. 4.), vgl. L. 36
de V. O. (45. 1.) Darauf geht die
Formel der doli exceptio: si in
ea re nihil dolo malo factum
sit, neque fiat. Gajus IV. § 119.
Der vollſtändige Zuſammenhang
iſt nun ſo zu denken. Die Beach-
tung der doli exceptio war dem
arbiter durch die Worte ex fide
bona unmittelbar aufgetragen. Um
nun auch die übrigen Exceptionen
mit herein zu ziehen, ſtellte man
die Regel auf, daß die Klage ſelbſt
einen dolus in ſich ſchließe, wenn
ſie angeſtellt werde, ungeachtet ihr
irgend eine Exception entgegen
ſtehe.
(b) Gajus IV. § 61. 63, § 30
J. de act. (4. 6.), L. 18 § 4 com-
mod. (13. 6.). — Es iſt Dieſes
jedoch keine einfache, reine Anwen-
dung der vorher aufgeſtellten Pro-
zeßregel, vielmehr tritt dabey ein
neues, erſt allmälig ausgebildetes,
materielles Rechtsprincip hinzu.
Dieſes zeigt ſich ganz deutlich
darin, daß zur Zeit des Gajus
die Compenſation nur ex eadem
causa, alſo auf höchſt beſchränkte
Weiſe, gelten ſoll, welche Be-
ſchränkung im Juſtinianiſchen Recht
gewiß nicht mehr behauptet wer-
den kann. Vgl. Band 1. § 45. d.
30*
|0482 : 468|
Beylage XIII.
str. j. actio ſollte ſie früher gar nicht gelten; Marc Aurel
ließ ſie zu, wenn ſie in die formula als Exception aufge-
nommen war. Inſtinian dehnte ſie auch auf alle übrige
Arten der Klagen aus (c). — Eine andere Anwendung
zeigte ſich darin, daß unſittliche Anſprüche bey der str. j.
actio nur durch eine ausdrücklich gegebene Exception aus-
geſchloſſen wurden (d), anſtatt daß die b. f. actio ſchon an
ſich ſelbſt zu einer Verurtheilung dieſes Inhalts nicht füh-
ren konnte (e). — Eben ſo iſt das Retentionsrecht eine
bloße Anwendung der doli exceptio, und es bedurfte da-
her bey den Retentionen gegen die rei uxoriae actio kei-
ner ausdrücklichen Inſtruction des Prätors.
War die Klage darauf gegründet, daß ſich der Be-
klagte einer Culpa ſchuldig gemacht habe, ſo trat in der
b. f. actio eine mildere Beurtheilung ein, inſofern von ei-
nem ſolchen Geſchäft die Rede war, aus welchem der
Beklagte keinen Vortheil für ſich zu erwarten hatte (f).
V.
Die freyere Macht des Judex, die hier als das Un-
(c) § 30 J. de act. (4. 6.).
(d) L. 8 de cond. ob turpem
(12. 5.) „Si ob turpem causam
promiseris Titio, quamvis, si
petat, exceptione doli mali,
vel in factum summovere eam
possis” …
(e) L. 5 de usuris (22. 1.)
„Generaliter observari conve-
nit, bonae fidei judicia non re-
cipere praestationem quae con-
tra bonos mores desideretur.”
(f) L. 108 § 12 de leg. 1 (30.
un.) „.. sicut in contractibus
fidei bonae servatur, ut si qui-
dem utriusque contrahentis
commodum versetur, etiam
culpa, sin unius solius, dolus
malus tantummodo praestetur.”
Vgl. L. 5 § 2 commod. (13. 6.).
|0483 : 469|
Stricti juris, bonae fidei actiones. V.
terſcheidende der bonae fidei actio dargeſtellt worden iſt,
hat nicht überall dieſelbe Natur. In den meiſten Anwen-
dungen bezieht ſie ſich auf die feſt beſtimmten Rechte der
Parteyen, woran auch der Prätor im einzelnen Rechts-
ſtreit Nichts ändern konnte; ſo verhält es ſich mit den
nur in der b. f. actio geltenden Verzugszinſen (III. b.);
eben ſo mit der milderen Beurtheilung der Culpa (IV. f.).
In Einer Anwendung dagegen (IV. a.) bezieht ſie ſich le-
diglich auf das Verhältniß des Judex zum Prätor, alſo
auf die mehr oder minder buchſtäbliche Befolgung der vor-
geſchriebenen formula, wozu der Judex verpflichtet ſeyn
ſollte.
Dieſe freyere oder beſchränktere Macht aber ſtand hier,
ſo wie bey allen ſtrengen oder freyen Klagen überhaupt
(Syſtem § 218), im Zuſammenhang mit der perſönlichen
Beſchaffenheit des urtheilenden Richters, indem dieſer für
die str. j. actio nur aus dem album der judices genommen
werden durfte, welche Beſchränkung für den arbiter in der
b. f. actio wegfiel. Offenbar lag nun darin ein größeres
Vertrauen, welches dem arbiter der b. f. actio gewährt
wurde. Jedoch würde es unrichtig ſeyn, dieſes Vertrauen
auf eine allgemeine, klaſſenweiſe eintretende, Vermuthung
größerer Zuverläſſigkeit zurückführen zu wollen, da es ja
widerſinnig geweſen wäre, die Einſicht oder Redlichkeit ei-
nes Richters blos deswegen geringer zu ſchätzen, weil ſein
Name im album der judices ſtand. Vielmehr ſcheint je-
nes größere Vertrauen daraus erklärt werden zu müſſen,
|0484 : 470|
Beylage XIII.
daß beide Parteyen auf die Wahl des arbiter einen mehr
unmittelbaren und poſitiven Einfluß ansübten, als auf die
Wahl des judex der str. j. actio, ſo daß der arbiter ganz
eigentlich als der Mann ihrer Wahl angeſehen werden
konnte, deſſen freyere Macht daher beiden Theilen als un-
gefährlich erſcheinen mußte (Syſtem § 218. f).
VI.
Die zweyte oben aufgeworfene Frage (Num. II.) be-
trifft die Klagen, welche unter die eine oder die andere
jener beiden Klaſſen zu rechnen ſind.
Der Grundfehler, welcher von jeher eine klare Einſicht
in dieſe Begriffe verhindert hat, beſtand darin, daß die
Eintheilung meiſt für eine allgemeine, alle Klagen über-
haupt umfaſſende, gehalten wurde, da ſie doch nur auf
die Klagen eines gewiſſen engeren Gebietes zu beſchrän-
ken iſt (Syſtem § 218). Sie geht nämlich:
1) nur auf die ordinaria judicia;
2) unter dieſen nur auf Civilklagen;
3) unter dieſen nur auf Klagen in personam;
4) unter dieſen nur auf Klagen aus Contracten oder
contractähnlichen Verhältniſſen (§ 218. i); mit anderen
Worten auf Klagen aus Rechtsgeſchäften, nicht aus De-
licten.
Auf irgend eine engere Beſchränkung des Gegenſatzes
deutet ſchon der Eingang der Inſtitutionenſtelle:
|0485 : 471|
Stricti juris, bonae fidei actiones. VI.
§ 28 J. de act. (4. 6.) „Actionum autem quaedam
bonae fidei sunt, quaedam stricti juris …
beſonders wenn man dieſe Stelle mit einer vorhergehenden
vergleicht:
§ 1 J. eod. „Omnium actionum, quibus inter aliquos
apud judices arbitrosve de quacumque quaeritur,
summa divisio in duo genera deducitur: aut enim
in rem sunt, aut in personam.”
Der eigentliche Beweis aber muß geführt werden in
Beziehung auf die Klaſſen von Klagen, die nach meiner
Behauptung aus jener Eintheilung gänzlich heraus fallen,
und die ich nun der Reihe nach durchgehen will.
Es fallen alſo zuerſt aus die civilen Delictsklagen, die
überhaupt nicht in großer Anzahl vorkommen; namentlich
furti und Legis Aquiliae actio. In dem Verzeichniß der
bonae fidei actiones kommen ſie nicht vor, daß ſie aber
auch nicht den Namen von stricti juris actiones führten,
kann erſt weiter unten, bey den Condictionen, dargethan
werden.
Es fallen ferner aus alle in rem actiones. Der Be-
weis liegt in folgenden Stellen.
a) L. 5 pr. § 4 de in litem jur. (12. 3.).
„In actionibus in rem, et in ad exhibendum, et in
bonae fidei judiciis, in litem juratur.... Plane inter-
dum et in actione stricti judicii in litem jurandum
est.”
Hier werden offenbar ſämmtliche in rem actiones ſo-
|0486 : 472|
Beylage XIII.
wohl den b. f., als den str. j. actiones, dem Begriff
nach, völlig entgegen geſetzt, und nur in ihrer Bezie-
hung auf den Eid mehr oder weniger gleich geſtellt.
b) § 30 J. de act. (4. 6.). Der Gedankengang iſt dieſer.
Die Compenſation ſollte zuerſt nur beachtet werden bey
den b. f. judiciis, bey dieſen aber allgemein. Dann hat ſie
Marc Aurel auf die stricta judicia vermittelſt der doli
exceptio ausgedehnt. Endlich hat Juſtinian ihre Anwen-
dung faſt ganz allgemein gemacht: „ut actiones ipso jure
minuant sive in rem, sive in personam, sive alias quas-
cunque: excepta sola depositi actione.” — Der Sinn
dieſer Stelle iſt ſo zu ergänzen. Früher waren von der
Compenſation ausgeſchloſſen alle in rem actiones, und
vielleicht noch manche andere. Jetzt gilt ſie allgemein,
ohne Unterſchied der in rem und in personam actio, und
auch bey den übrigen bisher etwa ausgeſchloſſenen Klagen.
c) § 31 J. de act. (4. 6.). Nachdem hier der Begriff
der arbitraria actio aufgeſtellt iſt, fährt die Stelle ſo fort:
„Sed istae quidem actiones, tam in rem, quam in perso-
nam inveniuntur,” mit ſichtbarer Hindeutung auf die un-
mittelbar vorher abgehandelten b. f. und stricti juris actio-
nes, unter welchen keine in rem actiones zu finden waren.
Dann fallen noch ferner aus alle prätoriſche Klagen.
Dieſes hängt damit zuſammen, daß der Character der b.
f. actio ausgedrückt wurde durch den in die Intentio ein-
gerückten Zuſatz ex fide bona, welcher aber nur bey der
Intentio in jus concepta Sinn und Zweck hatte, als Mil-
|0487 : 473|
Stricti juris, bonae fidei actiones. VI.
derung des ſtreng lautenden dare facere oportet, nicht bey
der Intentio in factum concepta, ſo wie es alle prätori-
ſche Klagen ohne Ausnahme waren (a). Eine ſcheinbare
Einwendung gegen dieſe Behauptung könnte auf eine Stelle
der Digeſten gegründet werden, nach welcher bey einer
prätoriſchen Klage, die alſo in factum war, dennoch der
bona fides Erwähnung geſchehen konnte (b). Allein dieſe
(a) Sehr anſchaulich wird die-
ſes aus der doppelten formula der
depositi actio bey Gajus IV.
§ 47. Die in jus heißt: Quid-
quid dare facere oportet ex
fide bona, und hier erſcheint der
Zuſatz als Modification des au-
ßerdem unbedingten oportet. Da-
gegen heißt die in factum: Si
paret Agerium mensam argen-
team deposuisse, und bey dieſer
reinen Thatſache hätte die Modi-
fication ex fide bona gar keinen
Sinn gehabt, wie ſie denn in der
That dabey nicht ausgedrückt iſt.
In der Macht des Richters ſollte
darum für dieſe beiden Formeln
kein Unterſchied ſeyn; die wörtliche
Vorſorge aber wurde nur neben
dem gefährlichen Wort oportere
nöthig gefunden. Dasjenige nun,
was hier ausnahmsweiſe bey ei-
nigen wenigen Civilklagen galt,
war bey den prätoriſchen Klagen
(die insgeſammt in factum con-
cipirt waren) als allgemeine Re-
gel zu betrachten, ohne daß in je-
nen oder dieſen Fällen die freye
Macht des urtheilenden arbiter durch
den Zuſatz ex fide bona in der
Formel geſichert zu werden brauchte.
(b) L. 11 § 1 de dolo (4. 3.).
Die actio de dolo, ſagt Ulpian,
ſoll nicht gegeben werden den Kin-
dern gegen die Eltern, dem Frey-
gelaſſenen gegen ſeinen Patron u.
ſ. w. „Quid ergo est? in horum
persona dicendum est, in factum
verbis temperandam actionem
dandam, ut bonae fidei mentio
fiat.” Das heißt: die Intentio
ſoll nicht, wie gewöhnlich ſo lau-
ten: Si paret, dolo malo Negi-
dii factum esse rel. Wie ſie
nun vielmehr gefaßt werden konnte,
ſagt uns, übereinſtimmend mit Ul-
pian, Cicero ad Att. VI. 1 med.
„si ita negotium gestum est ut
eo stari non oporteat ex fide
bona,” oder in anderen ähnlichen
Worten, wodurch nur der Begriff
des dolus bezeichnet, und doch der
Ausdruck umgangen wurde. (Vgl.
Heffter observ. in Gaji Comm.
IV. p. 79). Die Worte ex fide
bona dienten nun zur Characte-
riſtik der bloßen Thatſache, wie
denn auch das daneben ſtehende
opoteat einen blos factiſchen Sinn
hat, nicht den ſtreng juriſtiſchen,
wie in der Intentio in jus con-
cepta.
|0488 : 474|
Beylage XIII.
Erwähnung iſt von der die b. f. actiones characteriſiren-
den Clauſel weſentlich verſchieden, indem ſie nur dazu die-
nen ſollte, das ſchimpfliche Wort dolus zu umgehen, ohne
doch dem Sinn Etwas zu vergeben. Es gehörte alſo hier
die bona fides zur näheren Beſtimmung der Thatſache
der Intentio in factum concepta, nicht zur Milderung des
ſtrengen oportere, ſo daß die hier angeführte Klage mit
dem eigenthümlichen Begriff der bonae fidei actio Nichts
gemein hat, als den Gebrauch des Ausdrucks bona fides.
Endlich fallen aus jener Eintheilung heraus die extra-
ordinariae actiones, und dieſe Behauptung wird wohl am
Wenigſten Widerſpruch finden, da bey denſelben überhaupt
kein Judex vorkam, deſſen Stellung doch bey jener Ein-
theilung das wichtigſte Moment war.
VII.
Bey den zahlreichen Klagen, die hier von der Bezeich-
nung als str. j. oder b. f. actiones ausgeſchloſſen worden
ſind, muß darum nicht weniger unterſucht werden, ob ſie
ſich in ihrer Natur und gerichtlichen Behandlung der einen
oder der andern Art annäherten. Denn der Gegenſatz der
ſtrengen und freyen Klagen iſt in der That ein allgemei-
ner, und in ihm muß daher auch jeder der oben ausge-
ſchloſſenen Klagen ihre beſtimmte Stelle angewieſen wer-
den. Es iſt alſo für alle Arten der ausgeſchloſſenen Kla-
gen die Frage zu beantworten, ob ſie von einem judex
oder einem arbiter entſchieden wurden, und hiernach wird
|0489 : 475|
Stricti juris, bonae fidei actiones. VIII.
es ſich zugleich richten müſſen, ob die freyere Macht des
Richters, die hier für die b. f. actiones nachgewieſen wor-
den iſt, auch bey ihnen eintrat oder nicht. Hieraus er-
giebt es ſich aber, daß die hier durchgeführte engere Be-
gränzung jener Eintheilung, alſo auch die Ausſchließung
ſo vieler Klagen von derſelben, mehr eine terminologiſche
als eine reale Bedeutung hat.
VIII.
Die civilen Delictsklagen halte ich für ſtrenge Klagen,
oder eigentliche judicia. Ich ſchließe Dieſes erſtlich daraus,
daß ihre Intentio auf damnum decidere oportere gerich-
tet war (a), alſo überhaupt auf ein oportere, und zwar
ohne hinzugefügte Milderung, genau ſo wie die str. j. ac-
tiones. Von der actio L. Aquiliae insbeſondere wiſſen wir,
daß bey ihr der Affectionswerth nicht gefordert werden
konnte (Num. III. g), daß ſie alſo hierin anders behandelt
wurde, als die b. f. actiones; hierin mag eine einzelne Be-
ſtätigung der aufgeſtellten allgemeinen Anſicht gefunden
werden. Von großer Erheblichkeit war wohl die ſtrenge
Natur dieſer Klagen nicht, weil die meiſten Verhältniſſe,
die einen praktiſch wichtigen Unterſchied zwiſchen den str.
j. und b. f. actiones mit ſich führten (Num. III. IV.), bey
ihnen ſeltner zur Sprache kommen konnten.
Die hier aufgeſtellte Regel mußte alſo gelten für fol-
gende Klagen: actio furti nec manifesti, oblati, con-
(a) Gajus IV. § 37. 45.
|0490 : 476|
Beylage XIII.
cepti (b), de tigno juncto (c), arborum furtim caesa-
rum (d), Legis Aquiliae, injuriarum ex Lege Cornelia (e).
Bey weitem die meiſten Delictsklagen gehören nicht dahin,
weil ſie prätoriſche Klagen waren: Dieſes gilt namentlich
von der äſtimatoriſchen Injurienklage und von der actio
furti manifesti (f). Auf alle dieſe Klagen alſo war zwar
der Name stricti juris actio nicht eigentlich anwendbar,
allein ſie wurden ohne Zweifel nach der Analogie der für
dieſe aufgeſtellten Regeln beurtheilt (g).
IX.
Von den civilen in rem actiones muß im Allgemeinen
behauptet werden, daß ſie freye Klagen oder arbitria wa-
ren, und daher ganz nach Art der b. f. actiones behandelt
wurden, obgleich dieſer Name freylich ihnen nicht beyge-
legt werden darf.
Ich fange an mit dem Eigenthum. Aus dieſem konnte,
zur Zeit des ausgebildeten Formularprozeſſes, in drey ver-
ſchiedenen Formen geklagt werden: mit einer Sacramenti
Legis actio vor den Centumvirn, per sponsionem, und
durch eine petitoria formula (a). Die erſte Form wurde
(b) Gajus III. § 190. 191.
(c) Digest. XLVII. 3.
(d) Digest. XLVII. 7.
(e) L. 5 L. 37 § 1 de injur.
(47. 10.), § 8 J. eod. (4. 4.).
(f) Gajus IV. § 189.
(g) So hatte Marc Aurel die
Anwendung der Compenſation auf
die stricti juris actiones (ver-
mittelſt einer doli exceptio) ge-
ſtattet (Num. IV. c). Daß nun
dieſe Anwendung, ſchon zur Zeit
der alten Juriſten, auch bey den
Delictsklagen gemacht wurde, zeigt
L. 10 § 2 de compens. (16. 2.).
(a) Gajus IV. § 91 — 95.
|0491 : 477|
Stricti juris, bonae fidei actiones. IX.
wahrſcheinlich durch den höheren Werth des Gegenſtandes
mit Nothwendigkeit herbeygeführt, zwiſchen den Zwey letz-
ten Formen hatte wahrſcheinlich der Kläger die Wahl.
Die Centumviralklage nun fällt gar nicht in das Ge-
biet unſrer Frage, da ſie ganz außer dem ordo judiciorum
lag (Syſtem § 213). Wie ſtreng oder frey die Behand-
lung war, muß aus Mangel an Nachrichten dahin geſtellt
bleiben. Im Juſtinianiſchen Recht iſt davon keine Spur
mehr übrig. — Die Sponſionsklage war gar nicht in rem;
vielmehr wurde hier durch eine erzwungene Stipulation
der Streit zwiſchen dem Eigenthümer und dem Beſitzer
künſtlicherweiſe in ein Contractsverhältniß verwandelt, und
nun war freylich die Klage aus dieſer Stipulation eine
stricti juris actio, die allerdings im letzten Reſultat die
Entſcheidung über das ſtreitige Eigenthum herbeyführte. —
Die petitoria formula alſo war die einzige, aus dem
Eigenthum entſpringende, reine in rem actio; ſie iſt die
Klage, welche wir in unſren Rechtsquellen als rei vindi-
catio vorfinden. Dieſe nun war eine freye Klage, ein
arbitrium, worin der arbiter völlig eben ſo freye Hand
hatte, wie in einer bonae fidei actio. Es zeigt ſich dieſe
freye Macht zuerſt darin, daß der Richter den Kläger ab-
zuweiſen hatte, wenn der Beklagte nicht beſaß, obgleich
davon Nichts in der formula ſtand (b). Sie zeigt ſich
(b) L. 9 de rei vind. (6. 1.).
„Officium autem judicis in hac
actione in hoc erit, ut judex
inspiciat, an reus possideat.”
Daß davon Nichts in der Formel
ſtand, folgt nicht blos aus dieſen
Worten ſelbſt, ſondern es erhellt
auch unmittelbar aus den vorhan-
|0492 : 478|
Beylage XIII.
aber auch in dem möglichen Umfang der Verurtheilung,
der ganz eben ſo ausgedehnt war, wie in irgend einer
b. f. actio (c).
Die Servituten waren, eben ſo wie das Eigenthum,
durch eine petitoria formula geſchützt, und die confessoria
actio iſt in der That dieſe Klage. Dabey nun wird das
völlig freye officium judicis gleichfalls bezeugt (d).
Das Erbrecht wurde in denſelben Drey Klagformen
geſchützt, wie das Eigenthum. Die Sacramenti Legis actio
und die Sponſionsklage werden von Cicero erwähnt (e).
Die petitoria formula iſt hier die Klage, welche in Juſti-
nians Rechtsbüchern als hereditatis petitio bezeichnet wird.
Hier nun gieng das officium judicis gleichfalls auf Unter-
ſuchung des Beſitzes des Beklagten (f); eben ſo war der
arbiter angewieſen, manche Exceptionen zu berückſichtigen,
auch wenn ſie nicht in der Formel ausgedrückt waren (g).
Sie hatte alſo eine eben ſo freye Natur, wie die b. f.
actiones. Juſtinian ſagt, es ſey darüber geſtritten worden,
denen Formeln. Gajus IV. § 92.
Cicero in Verrem II. 12. (Vgl.
Syſtem § 209. c).
(c) L. 68 de rei vind. (6. 1.),
L. 91 pr. de V. O. (45. 1.).
„.. in vindicatione hominis,
si neglectus a possessore fue-
rit, culpae hujus nomine tene-
tur possessor …”; bey der
Klage aus der Stipulation gelte
dieſe Verpflichtung nicht.
(d) L. 7 si servitus (8. 5.).
(e) Cicero in Verrem I. 45.
Da er die petitoria formula da-
neben nicht erwähnt, ſo möchte
man annehmen, dieſe ſey hier erſt
ſpäter anerkannt worden.
(f) L. 10 § 1 de her. pet.
(5. 3.).
(g) L. 58 de her. pet. (5. 3.).
„… Respondi, et si non ex-
ciperetur, satis per officium
judicis consuli.” Es iſt hier die
doli exceptio gemeynt, vgl.
oben Num. IV. a.
|0493 : 479|
Stricti juris, bonae fidei actiones. IX.
ob ſie ſelbſt eine b. f. actio ſey, und er ſpricht ihr dieſen
Character zu (h). Welche Bedeutung der von ihm er-
wähnte frühere Streit hatte, wiſſen wir nicht, und die
Beylegung des Namens einer b. f. actio müſſen wir nach
der Analogie anderer Klagen für unpaſſend halten. Viel-
leicht iſt jener Streit und dieſe Benennung darauf zu be-
ziehen, daß die hereditatis petitio, verglichen mit anderen
in rem actiones, eine eigenthümliche Natur durch die be-
ſchränktere Beſchaffenheit der Perſon des Beklagten hat
(Syſtem § 208. k), wodurch ſie einige Ähnlichkeit mit den
Klagen in personam bekommt. Es kommt hinzu, daß die
perſönlichen Leiſtungen, die in allen Klagen in rem neben
dem Hauptgegenſtand vorkommen können, bey dieſer Klage
ausgedehnter zu ſeyn pflegen als bey anderen, namentlich
als bey der Eigenthumsklage, weshalb ſie auch einmal
geradezu eine mixta personalis actio genannt wird (i),
obgleich jener blos factiſche und relative Unterſchied den
eigentlichen Character der Klage nicht ändern kann. Ganz
beſonders aber tritt der Umſtand hinzu, daß nach dem
Senatusconſult vom J. Chriſti 129 dieſe Klage ſehr häufig
Statt finden konnte, obgleich alle Erbſchaftsſachen bereits
veräußert, oder auch durch pro herede usucapio in das
Eigenthum des Beſitzers übergegangen waren (k), in wel-
(h) L. 12 § 3 C. de pet. her.
(3. 31.), § 28 J. de act. (4. 6.).
(i) L. 7 C. de pet. her. (3. 31.).
(k) L. 20 § 6 de her. pet.
(5. 3.), Gajus II. §. 57.
|0494 : 480|
Beylage XIII.
chen Fällen freylich nur noch mit Hülfe von Fictionen die
Klage als eine in rem actio angeſehen werden konnte.
Unter den in rem actiones, welche ein Familienver-
hältniß zum Gegenſtand haben, iſt nur allein das liberale
judicium eine Civilklage; bey den übrigen, welche präto-
riſche Klagen ſind, kann die hier verhandelte Frage gar
nicht vorkommen (§ 216. a). Das liberale judicium nun
ſcheint vorzugsweiſe vor dem Centumviralgericht verhan-
delt worden zu ſeyn; vor einem einzelnen Richter verhan-
delt, möchte es wohl ein ſtrenges judicium geweſen ſeyn.
X.
Die ſehr zahlreichen honorariae actiones waren ohne
Zweifel insgeſammt freye Klagen oder arbitria, ſo gut als
die bonae fidei judicia. Sie führen nicht dieſen Namen,
weil ſich bey ihnen die freye Behandlung von ſelbſt ver-
ſtand, und nicht erſt durch die Clauſel ex fide bona ge-
ſichert zu werden brauchte (Num. VI.).
Was endlich die extraordinariae actiones betrifft, ſo
iſt nicht zu zweifeln, daß in ihnen dieſelbe Freyheit der
Beurtheilung galt, wie in den b. f. actiones. Wenigſtens
von einer Beſchränkung der Macht des Judex konnte bey
ihnen unmöglich die Rede ſeyn, da hier die richterliche
Obrigkeit ſelbſt die Function des Judex übernahm.
XI.
Iſt nun bisher der gemeinſchaftliche Umfang der stricti
|0495 : 481|
Stricti juris, bonae fidei actiones. XI.
juris und bonae fidei actiones nach außen hin, im Ver-
hältniß zu den ihnen fremden Klagen, begränzt worden
(Num. VI—X.), ſo bleibt jetzt noch übrig unter ihnen
ſelbſt die rechte Gränze zu ziehen, alſo zu beſtimmen,
welche einzelne Klagen unter die eine, welche unter die
andere dieſer beiden Klaſſen gehörten.
Für die stricti juris actiones oder condictiones kann
dieſe Beſtimmung hier nur vorläufig, und in einer allge-
meinen Überſicht, verſucht werden, die genauere Unter-
ſuchung ſelbſt muß der beſonderen Abhandlung über die
Condictionen (Beylage XIV.) vorbehalten bleiben.
Die Fälle, in welchen dieſelben zur Anwendung kamen,
laſſen ſich auf Drey Klaſſen zurück führen: Datum, ex-
pensum latum, stipulatum (a).
Unter das Datum gehört zuerſt das Darlehen; dann aber
auch viele andere Thatſachen, welche einer andern Perſon
Stücke unſres Vermögens irrigerweiſe, ohne wahren Rechts-
grund, zuführen. Hieraus entſpringen die condictio inde-
(a) Cicero pro Roscio Com.
C. 5. „Pecunia petita est cer-
ta … Haec pecunia necesse
est, aut data, aut expensa
lata, aut stipulata sit.” Vor-
her (C. 4) wird geſagt: „Adnume-
rasse sese negat: expensum
tulisse non dicit, cum tabulas
non recitat: reliquum est, ut
stipulatum se esse dicat. Prae-
terea enim, quemadmodum
certam pecuniam petere pos-
sit, non reperio.” — L. 9 § 3
de R. C. (12. 1.). „.. ex om-
nibus contractibus haec certi
condictio competit, sive re fue-
rit contractus factus, sive ver-
bis, sive conjunctim” .. Es iſt
ausgelaſſen sive litteris, weil
dieſe Form des Vertrags zu Ju-
ſtinians Zeit verſchwunden war.
— Allerdings ſprechen beide ange-
führte Stellen nur von der certi
condictio, die auf eine beſtimmte
Summe in baarem Geld gieng;
allein die ausſchließende Beſchaf-
fenheit der drey Entſtehungsgründe
war allen str. j. actiones gemein.
V. 31
|0496 : 482|
Beylage XIII.
biti, sine causa, ob causam datorum, ob turpem vel in-
justam causam, furtiva, welche alle unzweifelhaft unter die
str. j. actiones gehören.
Expensum latum iſt der alte Literalcontract, deſſen
ſtreng wirkende Natur keinem Zweifel unterworfen iſt.
Das Stipulatum endlich, als gleichfalls unzweifelhafter
Entſtehungsgrund von stricti juris Klagen, iſt unter allen
dieſen Fällen der wichtigſte. Schon hier aber iſt es nöthig,
auf zwey, an ſich verſchiedene, Beziehungen der Stipula-
tion aufmerkſam zu machen. Sie war nämlich erſtens
Entſtehungsgrund von stricti juris actiones, und dieſe Be-
ziehung hat ihre gegenwärtige Erwähnung veranlaßt.
Sie war aber auch zweytens die einzige, im Römiſchen
Recht enthaltene, ganz allgemeine Vertragsform, wodurch
jeder beliebige Inhalt die Natur einer klagbaren Obliga-
tion erhalten konnte, und dieſe ihre wichtige Eigenſchaft
wäre an ſich auch mit einer aus ihr entſpringenden b. f.
actio vereinbar geweſen; von dieſer Bemerkung wird ſo-
gleich noch weiterer Gebrauch gemacht werden. — Durch
dieſe zweyte Beziehung unterſchied ſich die Stipulation
von allen anderen Verträgen; der Kauf z. B., die Socie-
tät, das Mandat u. ſ. w. haben ſtets nur einen einzelnen
Zweck und Inhalt: die expensilatio aber, obgleich durch
die Unbeſtimmtheit der Zwecke mit der Stipulation ver-
wandt, war wenigſtens darin beſchränkter, daß ſie nur
auf Geſchäfte in Geld angewendet werden konnte, nicht
auf Sachen anderer Art, noch auf Arbeit.
|0497 : 483|
Stricti juris, bonae fidei actiones. XII.
Der ausgedehnte und mannichfaltige Gebrauch der
Stipulation zur Begründung privatrechtlicher Anſprüche,
die außerdem gar nicht vorhanden geweſen wären, zeigt
ſich ſehr deutlich in folgender merkwürdigen Erzählung.
Im Jahr der Stadt 512 erfochten die Römer einen großen
Sieg über die Flotte der Karthager, weshalb dem Conſul
Lutatius der Triumph geſtattet wurde. Der Prätor Va-
lerius behauptete, daß Er das größere Verdienſt bey der
Schlacht gehabt habe, und um darüber einen Richter-
ſpruch zu erhalten, veranlaßte er den Conſul zu einer
Sponſion, worauf ein gewöhnlicher Judex über die Streit-
frage entſchied (b).
Dieſe dreyerley Entſtehungsgründe der str. j. actiones
laſſen ſich wiederum auf ein einfaches Princip zurück füh-
ren, welches erſt in der nachfolgenden Abhandlung von den
Condictionen gezeigt werden kann.
XII.
Für die Anwendung der b. f. actiones finden wir kein
allgemeines Princip aufgeſtellt, wohl aber ein Verzeichniß
(b) Valer. Max. II. 8. 2. Ohne
Zweifel war die Sponſion auf
eine Geldſumme gerichtet, wahr-
ſcheinlich nur zum Schein, alſo
inſofern ähnlich einer sponsio
praejudicialis (wie bey Gajus
IV. § 94.). Es kam nur auf
einen Ausſpruch über den Ehren-
punkt an. — Wir drücken dieſes
Verfahren, hier wie bey den ge-
richtlichen Sponſionen, gewöhnlich
als eine Wette aus, und das
war auch jede gegenſeitige Stipu-
lation (sponsio mit restipulatio)
allerdings; allein das juriſtiſche
Weſen ſolcher Wetten beſtand doch
31*
|0498 : 484|
Beylage XIII.
in den Inſtitutionen (a), welches offenbar nicht blos Bey-
ſpiele angeben, ſondern die Fälle ſelbſt vollſtändig aufzäh-
len will. Cicero giebt mehrere, damit faſt ganz überein-
ſtimmende, Beyſpiele an (b). Die entſprechende Stelle des
Gajus enthielt auch ein vollſtändiges Verzeichniß, ſie iſt
aber lückenhaft geblieben, und außerdem durch Schreib-
fehler entſtellt (c). Alle an dieſen Orten vorkommende
Fälle halten ſich in den, für die b. f. actiones oben ange-
gebenen Gränzen (Num. VI.). Die in den Inſtitutionen
vorkommenden Fälle lauten ſo:
§ 28. Bonae fidei sunt hae: ex empto vendito, lo-
cato conducto, negotiorum gestorum (d), mandati,
depositi, pro socio, tutelae, commodati, pigneraticia,
familiae erciscundae, communi dividundo (e), prae-
immer in den dazu angewendeten
Stipulationen.
(a) § 28. 29 J. de act. (4. 6.).
(b) Cicero top. C. 17, de
officiis III. C. 15. 17, de natura
deorum III. 30, in welcher letzten
Stelle ſehr fein unterſchieden wer-
den die judicia de fide mala
(welche infamiren wie tutelae
u. ſ. w.), und reliqua quae con-
tra fidem fiunt (wie emti u. ſ. w.)
(c) Gajus IV. § 62.
(d) In dieſer Klage iſt nun zu-
gleich mit begriffen die funeraria
actio, die ſich ja von ihr über-
haupt nur durch eine noch ausge-
dehntere Macht des Judex unter-
ſcheidet. L. 14 § 13 de relig.
(11. 7.).
(e) Man hat geglaubt, Dieſes
habe zur Zeit des Gajus noch
nicht gelten können, wegen der
ſtrengen Formel: quantum adju-
dicari oportet, judex Titio ad-
judicato (IV. § 42.). Vgl. Heff-
ter observ. in Gajum Comm.
IV. Allein daneben konnte noch
ſehr wohl ſtehen: quidquid dare
facere oportet ex fide bona,
condemnato. Schon Julian er-
klärt jene Klage für eine b. f.
actio. L. 24 pr. comm. div.
(10. 3.). Die Zeugniſſe des Ul-
pian und Paulus (L. 4 § 2 L. 14
§ 1 eod.) würden in dieſer Hin-
ſicht allerdings Nichts beweiſen. —
Die actio finium regundorum
ſcheint nicht aus Verſehen, ſondern
abſichtlich übergangen, und der
Grund möchte wohl darin liegen,
|0499 : 485|
Stricti juris, bonae fidei actiones. XII.
scriptis verbis quae de aestimato proponitur, et ea
quae ex permutatione competit(f), et hereditatis pe-
titio(g). Im § 29 wird noch hinzugefügt die actio
rei uxoriae, an deren Stelle jetzt eine actio ex sti-
pulatu, gleichfalls als b. f. actio, geſetzt worden ſey.
daß ſie im älteren Recht überhaupt
keine gewöhnliche actio, ſondern
ein ganz eigenthümliches, den Agri-
menſoren zuſtehendes, arbitrium
war, wobey übrigens ein ähnlich
freyes Ermeſſen wie bey einer b. f.
actio gelten mochte. Manche
ſetzen den Grund darin, daß dieſe
Klage quasi ex maleficio ge-
weſen ſey (Marezoll bey Linde
X. S. 290.), was jedoch nicht
richtig ſcheint; denn daß der Rich-
ter auch auf zufällig verübten do-
lus dabey Rückſicht nehmen ſoll,
iſt nichts Beſonderes, da es auch
bey den zwey anderen Theilungs-
klagen gilt; eigentlicher Klagegrund
iſt hier der dolus niemals.
(f) Manche haben angenommen,
nur dieſe zwey Fälle der actio
praescriptis verbis ſeyen b. f.,
weil nur ſie hier genannt ſeyen;
es iſt jedoch kaum denkbar, daß
irgend ein anderer Fall derſelben,
ſo wie ſie in L. 5 praescript.
verbis (19. 5.) zuſammengeſtellt
ſind, stricti juris ſeyn ſollte.
Namentlich ſteht damit ganz im
Widerſpruch die ſehr allgemeine
Äußerung Ulpians in L. 1 pr. de
aestim. (19. 3.) „quotiens enim
de nomine contractus alicujus
ambigeretur, … dandam aesti-
matoriam praescriptis verbis
actionem: est enim negotium
civile gestum, et quidem bona
fide. Quare omnia et hic lo-
cum habent, quae in bonae
fidei judiciis diximus.” Eben ſo
entſcheidend iſt folgender Umſtand.
Die Klage gegen Den, cui rem
inspiciendam dedi, geht nur auf
dolus, nicht auf culpa, wenn er
von dem Geſchäft keinen Vortheil
hat. L. 17 § 2 de praescr. verb.
(19. 5.), L. 10 § 1 L. 12 pr.
commod. (13. 6.). Gerade Die-
ſes aber iſt eine Eigenthümlichkeit
der b. f. contractus. L. 108
§ 12 de leg. 1. (30 un.). Im
Sinn Juſtinians ſind daher jene
zwey Fälle augenſcheinlich blos
Beyſpiele; vielleicht hatte der alte
Juriſt, von welchem ſie herrühren,
ſie ſchon eben ſo gemeynt: viel-
leicht waren es aber auch zu ſei-
ner Zeit erſt die einzigen aner-
kannten Fälle überhaupt, worin
eine actio praescriptis verbis
gelten ſollte; ganz gewiß hat er
nicht ſagen wollen, dieſe Klage
gelte auch in den übrigen Fällen
aber als stricti juris actio, ſon-
dern wenn er die beiden Fälle in
einem ausſchließenden Sinn er-
wähnte, ſo wollte er für die übri-
gen Fälle jede Civilklage verneinen.
(g) Vgl. oben Num. IX.
|0500 : 486|
Beylage XIII.
Cicero und Gajus fügen noch übereinſtimmend hinzu
die actio fiduciae (h), die mit der Mancipation in Ver-
bindung ſtand, und deshalb zu Juſtinians Zeit gänzlich
verſchwunden war. — In den Inſtitutionen hätten noch
hinzugefügt werden müſſen die Klagen aus dem emphy-
teuticarius contractus; denn da dieſer blos deswegen
für einen eigenen Contract erklärt wurde, weil ge-
zweifelt wurde, ob der Begriff der emtio oder der
conductio auf ein ſolches Geſchäft anwendbar ſey, ſo
konnte er nicht weniger, als dieſe beide Contracte, bonae
fidei ſeyn. Er mag wohl deshalb nicht genannt ſeyn,
weil zu der Zeit des K. Zeno, der ihn einführte (i), die
Unterſcheidung der b. f. actiones weniger wichtig war als
früher, oder auch weil man ſich damit begnügte, die bey
einem alten Juriſten zuſammengeſtellten Contractsklagen
abzuſchreiben.
Das hier aufgeſtellte ausſchließende Verzeichniß der
b. f. actiones beruhte nicht auf Willkühr; es enthielt alle
diejenigen Rechtsverhältniſſe, welche, nach der Erfahrung,
auf Treue und Glauben gegründet zu werden pflegten,
ohne daß man die Vorſicht ſtrenger Rechtsformen anzu-
wenden für nöthig hielt. Es war alſo damit ſo gemeynt,
daß man in allen anderen, etwa ſeltner vorkommenden,
(h) Cicero de officiis III. 15.
17, ad familiares VII. 12, Ga-
jus IV. § 62. Vgl. Beylage XIV.
Num. V. — Daher gab es denn
auch eine contraria fiduciae actio.
Paulus II. 13 § 7.
(i) L. 1 C. de j. emphyt.
(4. 66.).
|0501 : 487|
Stricti juris, bonae fidei actiones. XIII.
Verhältniſſen, die Form der Stipulation anwenden, ſonſt
aber gar nicht durch Klage geſchützt ſeyn ſollte.
XIII.
Das Verhältniß dieſer beiden Arten der Klagen zu
einander ſcheint man gewöhnlich ſo zu denken, als ob die
str. j. actiones exceptionelle oder privilegirte Klagen ge-
weſen wären, wodurch man dem Kläger in manchen Fäl-
len einen ſtrengeren Schutz gewährt hätte, in ähnlicher
Weiſe etwa wie es bey uns mit der Wechſelklage un-
zweifelhaft geſchieht. Dieſe Anſicht aber muß ſchon des-
wegen verworfen werden, weil bey dieſer Art der Klagen
Vortheile und Nachtheile des Klägers ſehr gemiſcht waren
(Num. II—IV.). Ferner wird dieſe Anſicht auch wider-
legt durch die Faſſung der angeführten Inſtitutionenſtelle.
In dieſer werden die Fälle der str. j. actiones gar nicht
angegeben, wohl aber die der b. f., und zwar dieſe nicht
durch ein allgemeines Princip, ſondern durch beſondere
Aufzählung. Dieſes Verfahren deutet darauf hin, daß
vielmehr die str. j. actiones die Regel bilden, die b. f., die
daneben ſtehenden einzelnen Ausnahmen.
Und in der That muß dieſes Verhältniß von Regel
und Ausnahme als das wahre anerkannt werden. Wir
müſſen, als Grundlage des urſprünglichen Obligationen-
rechts, einen ſtrengen Rechtsbegriff annehmen, nach welchem
überhaupt keine andere Klagen aus Rechtsgeſchäften zu-
läſſig waren, als die welche wir jetzt str. j. actiones nen-
|0502 : 488|
Beylage XIII.
nen. Sie reichten für das ſtrenge Bedürfniß hin, weil
die Stipulation eine ſo allgemeine Form war, daß jede
Art eines Vertrags, mochte es Kauf, Societät, Man-
dat u. ſ. w. ſeyn, in dieſelbe eingekleidet werden konnte.
In den Fällen ſolcher Rechtsgeſchäfte alſo wurde eine
Forderung durch den im Namen des Staats richtenden
Judex geſchützt, außer dieſen Fällen wurde ein Judex
verſagt.
Nun mochte es aber im täglichen Verkehr beſtändig
vorkommen, daß viele Geſchäfte auf Treue und Glauben
geſchloſſen wurden, ohne daß man die feyerliche Form der
Stipulation hinzufügte; die große Mehrzahl ſolcher Ver-
träge wurden, wie es auch bey uns geſchieht, erfüllt, ohne
daß man an die Hülfe eines Richters dachte. Wenn aber
in einzelnen Fällen über die Art der Erfüllung Streit ent-
ſtand, oder wenn der eine Theil ſich darauf berufen wollte,
daß er zu gar Nichts verpflichtet ſey, weil die Stipula-
tion fehle, ſollte dann die richterliche Hülfe verſagt wer-
den? Es lag ſehr nahe, dieſe zu geſtatten, und zwar mit
Rückſicht auf die unter rechtlichen Männern ohnehin herr-
ſchende Sitte und das darauf gegründete gegenſeitige Ver-
trauen (bona fides, ut inter bonos). Indem man aber
nicht ſowohl eine ſtrenge Verpflichtung nach Civilrecht,
als die Anerkennung der guten Sitte, zum Grund legte,
ſchien es zweckmäßig, auch die Art der Ausführung durch
dieſen Grund beſtimmen zu laſſen. Der Prätor nöthigte
die Parteyen, ſich über einen Richter in einer ähnlichen
|0503 : 489|
Stricti juris, bonae fidei actiones. XIV.
Weiſe zu vereinigen, wie es wohl auch ohne Richter zu
geſchehen pflegte (arbiter), und trug dieſem auf, den Streit
ſo zu entſcheiden, wie es dem unparteyiſchen Rechtsge-
fühl angemeſſen war, ohne Rückſicht auf die buchſtäblichen
Vorſchriften des Civilrechts.
Der hier aufgeſtellten Genealogie der Begriffe und
Rechtsverhältniſſe könnte man nun auch noch eine hiſto-
riſche Bedeutung beylegen, in folgender Weiſe. Man
könnte ſagen, es habe eine, vielleicht lange, Zeit gegeben,
worin die str. j. actiones die einzigen Contractsklagen
überhaupt geweſen wären; ſpäterhin ſeyen auch noch die
b. f. actiones zugelaſſen worden, alſo in Fällen, worin
früher gar nicht geklagt werden konnte. Dieſe hiſtoriſche
Behauptung iſt von der von mir hier aufgeſtellten völlig
verſchieden, indem es mit der meinigen völlig vereinbar
wäre, eine gleichzeitige Entſtehung der str. j. und b. f.
actiones, gleich bey der erſten Bildung des ordo judicio-
rum, das heißt des Formularprozeſſes, anzunehmen. Ich
enthalte mich hier über dieſe hiſtoriſche Frage jeder be-
ſtimmten Behauptung oder Verneinung (a).
XIV.
Die eben angegebene Behandlung der Sache bewährt ſich
in folgender Faſſung der Formeln. In den ſtrengen Kla-
gen (str. j. actiones) lautete die Intentio ſo:
(a) Vgl. Beylage XIV. Num. XLVII, wo dieſe Frage beſonders
erörtert wird.
|0504 : 490|
Beylage XIII.
Si paret Negidium Centum (oder hominem) dare
oportere
oder: Quidquid Negidium dare facere oportet.
Dieſe letzte Intentio behielt man in den freyen Klagen
bey, gab ihr aber einen Zuſatz:
Quidquid Negidium dare facere oportet ex fide bona.
Dieſer Zuſatz drückte zwey in ſich zuſammenhängende
Gedanken zugleich aus; erſtlich, daß überhaupt das opor-
tere nicht auf die ſtrenge, formelle Regel des Civilrechts
gegründet ſey, ſondern auf die Sitte und das Vertrauen,
welche unter rechtlichen Menſchen herrſchen; zweytens, daß
eben deshalb die Verpflichtung nach freyer Erwägung
aller Umſtände, mit gleicher Billigkeit gegen beide Par-
teyen, zu beurtheilen ſey.
Der Zuſatz ex fide bona war der häufigſte, und von
ihm erhielt dieſe ganze Klaſſe von Klagen den Namen
bonae fidei actiones. Bey einigen Klagen waren andere
Ausdrücke gebräuchlich, jedoch in demſelben Sinn. So
bey der actio fiduciae der Ausdruck: ut inter bonos bene
agier oportet (a). Daß man dieſen Ausdruck für gleich-
bedeutend hielt mit ex fide bona, erhellt aus den Stellen
des Cicero und des Gajus, worin dieſelbe Klage unter
die b. f. actiones gezählt wird (b).
Eben ſo war bey der actio rei uxoriae herkömmlich
(a) Cicero de off. III. 15. 17,
ad fam. VII. 12, top. C. 17. In
der erſten Stelle hat die Formel noch
den Zuſatz: et sine fraudatione.
(b) Cicero de off. III. 17,
Gajus IV. § 62.
|0505 : 491|
Stricti juris, bonae fidei actiones. XIV.
der Ausdruck aequius melius (c); darum wurde nicht we-
niger dieſe Klage unter die b. f. actiones gerechnet (d).
Bey dieſem letzten Ausdruck jedoch (aequius melius)
iſt zu bemerken, daß er noch eine eigenthümliche Bedeu-
tung hatte. Er bezeichnete nämlich überall eine, nicht ſo-
wohl in der Natur der Klage, als in den beſonderen
Bedürfniſſen einiger Rechtsverhältniſſe gegründete ſo freye
richterliche Beurtheilung, wie ſie ſelbſt bey den gewöhn-
lichen b. f. actiones nicht vorzukommen pflegte. Daher
wurde dieſer Zuſatz ſelbſt bey einigen prätoriſchen Klagen
nöthig gefunden, die niemals den Zuſatz ex fide bona
führten, weil ſich bey ihnen das den b. f. actiones zu-
kommende freye Ermeſſen ohnehin von ſelbſt verſtand, an-
ſtatt daß auch bey ihnen dieſer noch höhere Grad der
freyen Macht einer beſonderen Hindeutung bedurfte. Die
wenigen Klagen, in welchen dieſes ungewöhnlich freye Er-
meſſen eintrat, hießen in bonum et aequum conceptae (e).
(c) Cicero de off. III. 15,
top. C. 17. — Wörtliche Anſpie-
lungen darauf noch in den Dige-
ſten. L. 66 § 7 sol. matr. (24. 3.),
L. 82 de solut. (46. 3.).
(d) § 29 J. de act. (4. 6.),
L. 36 de pec. (15. 1.). „In b. f.
contractibus .. ut est in actione
de dote agitatum … hoc et in
ceteris b. f. judiciis accipien-
dum esse,” L. 21 sol. matr.
(24. 3.). „.. si .. de dote age-
ret .. ut in ceteris b. f. judi-
ciis.” Dieſe Stellen rühren aus
denſelben Zeiten her, worin doch
auch noch der Ausdruck aequius
melius im Gebrauch war (Note c).
(e) Vgl. Syſtem Band 2 § 71,
beſonders Note d—k. — Der
Name actiones in bonum et
aequum conceptae drückt aus,
daß in der formulae conceptio
die Ausdrücke bonum aequum,
oder aequius melius vorkamen.
|0506 : 492|
Beylage XIII.
XV.
Um die hier dargeſtellte Natur der str. j. und b. f.
actiones vollſtändig aufzufaſſen, iſt es jedoch nöthig, auch
noch die verſchiedenen Arten von Übergängen zu betrach-
ten, die zwiſchen jenen Klaſſen der Klagen Statt fanden.
Das freye Ermeſſen des arbiter zeigte ſich in den b. f.
actiones faſt durchaus in gleicher Ausdehnung (a); dage-
gen erſcheint bey den str. j. actiones die geringere Frey-
heit des judex in ſehr verſchiedenen Graden. Bey der
Formel: Si paret Centum dare oportere hatte der Judex
nur die Wahl, entweder 100 zuzuſprechen oder ganz zu
abſolviren. Bey der Formel: Si paret fundum dare opor-
tere hatte er, außer jener Wahl, auch noch die Sache in
Geld abzuſchätzen. Endlich bey der Formel: Quidquid
dare facere oportet war das Ermeſſen in der Beſtimmung
der Geldſumme nothwendig noch weit freyer. In dieſer
Abſtufung iſt es einleuchtend, daß die Fälle der letzten Art
ſich den b. f. actiones ſehr annäherten, wie ſie denn auch
in der Abfaſſung der Intentio mit denſelben faſt ganz über-
einſtimmten, und nur durch den fehlenden Zuſatz ex fide
bona von ihnen unterſchieden wurden.
(a) Nämlich nur mit Ausnahme
der wenigen actiones in bonum
et aequum conceptae, für welche
eine noch freyere Macht des Ar-
biter galt (Num. XIV.).
|0507 : 493|
Stricti juris, bonae fidei actiones. XVI.
XVI.
Noch wichtiger aber iſt es, daß die Rechtsgeſchäfte,
welche eigentlich dazu beſtimmt waren, Klagen von einer
dieſer Klaſſen ausſchließend hervorzubringen, durch will-
kührliche Handlungen in die andere Klaſſe der Klagen
hinüber geleitet werden konnten. Dieſes konnte geſchehen
bald durch den Willen der Parteyen, bald durch den des
Prätors.
Der Wille der Parteyen konnte jedem, ſeiner Natur
nach freyen, Rechtsgeſchäft, die ſtrenge, buchſtäbliche Na-
tur dadurch mittheilen, daß ſie daſſelbe in eine Stipula-
tion, oder in gegenſeitige Stipulationen, einkleideten, und
zwar entweder gleich Anfangs, oder auch durch eine ſpä-
terhin umwandelnde Novation. Dieſes lag in der Natur
der Stipulation als der allgemeinſten und unbeſtimmteſten
Form der Verträge überhaupt, für jeden beſonderen In-
halt gleich empfänglich, und daher auch für das in ſie
eingekleidete Geſchäft ausſchließend die Norm abgebend,
auch wenn dieſes Geſchäft außerdem eine andere Klage,
ſey es von einer gleich ſtrengen, oder von einer freyeren,
Natur zur Folge gehabt haben würde. Wurde daher ein
Darlehen in eine Stipulation eingekleidet, ſo entſprang
daraus eine einfache verborum obligatio (a). Eben ſo bey
(a) L. 126 § 2 de V. O. (45. 1.).
„.. quotiens pecuniam mutuam
dantes eandem stipulamur, non
duae obligationes nascuntur,
sed una verborum.” L. 6 § 1
L. 7 de novat. (46. 2.).
|0508 : 494|
Beylage XIII.
einer Societät (b), einem Kauf, einem Miethcontract u. ſ. w.,
worin ſtipulirt worden war; hier wurde überall die b. f.
actio von der ſtrengen Stipulationsklage abſorbirt, und
zwar weil es die Parteyen ſo gewollt hatten, die ja be-
ſondere Gründe haben konnten, die ſtrenge Klage der
freyen vorzuziehen (c). Ganz beſonders aber wurde zum
Zweck einer ſolchen Umwandlung die literarum obligatio
gebraucht (d).
(b) Wurde zuerſt die Societät
als ſolche ſchriftlich abgeſchloſſen,
und unmittelbar nachher auf den-
ſelben Inhalt ſtipulirt, ſo war An-
fangs eine consensu contracta
(alſo b. f.) obligatio vorhanden,
die gleich nachher durch eine No-
vation völlig abſorbirt wurde.
L. 71 pr. pro socio (17. 2.).
„.. si quidem pacto convento
inter eos de societate facto
ita stipulati essent: haec ita
dari fieri spondes? futurum
fuisse, ut si novationis causa
id fecissent, pro socio agi non
possit, sed tota res in stipula-
tionem translata videretur.”
Anders wäre es geweſen, wenn
man nicht erſt ein pactum con-
ventum de societate abgeſchloſ-
ſen, ſondern die Bedingungen der
Societät gleich Anfangs in Frage
und Antwort gefaßt hätte; dann
war nur ein einziger Vertrag, die
Stipulation, vorhanden, keine No-
vation. So wird die Sache aus-
drücklich in Beziehung auf das
Darlehen angegeben in den Stel-
len der Note a. — Viele Beyſpiele
von Schenkungen und Kauſcon-
tracten mit der Stipulationsclau-
ſel am Schluß ſ. bey Spangen-
berg tabulae negotiorum Num.
22. 23. 26. 49. 50. 52. 52a. 54.
55. 57. — Es war nämlich auch ſehr
gewöhnlich, alle genauere Beſtim-
mungen in der Geſtalt einer nuda
pactio abzufaſſen, und die beſtäti-
gende Stipulationsformel vorher
oder hintenan zu ſtellen. L. 7 § 12
de pactis (2. 14.), Paulus II. 22
§ 2, L. 27 C. de pactis (2. 3.).
Man hätte eben ſo gut den gan-
zen Inhalt der Verabredung un-
mittelbar in die Frage aufnehmen
können, wodurch nur die Rede un-
behülflicher und weniger verſtänd-
lich geworden wäre.
(c) Daß die Stipulation ſogar
dazu gebraucht wurde, publieiſtiſche
Fragen vor einen Privatrichter zu
bringen, iſt ſchon oben bemerkt
worden (Num. XI.).
(d) S. u. Beylage XIV. Num.
IX.
|0509 : 495|
Stricti juris, bonae fidei actiones. XVII.
XVII.
Umgekehrt konnten die Parteyen wünſchen, der Stipu-
lation, ohne welche in vielen Fällen überhaupt keine klag-
bare Obligation begründet werden konnte (Num. XI.),
doch zugleich die Natur einer freyen Obligation und Klage
mitzutheilen. Dieſes geſchah dadurch, daß ſie eine dahin
führende Beſtimmung in die Worte der Stipulation ſelbſt
aufnahmen, ſo daß der Schuldner ausdrücklich dazu ver-
pflichtet wurde, irgend Etwas nach Art der bona fides
zu leiſten. Zu dieſem Zweck konnten gewiß geradezu die
Worte bona fide gebraucht werden; eben ſo aber auch
recte, fide (a); ja ſogar dem bloßen Worte recte wurde
dieſe Kraft zugeſchrieben (b). Am Häufigſten aber ge-
brauchte man die Formel, welche als doli clausula be-
zeichnet wird, und alſo lautet: dolum abesse abfuturum-
que (c).
In ſolchen Fällen nun war die Klage als ſolche keine
b. f. actio; ſie wurde nicht von einem arbiter, ſondern
(a) L. 122 § 1 de V. O. (45. 1.)
„recte dari fieri fide.” Vgl.
Huschke de actionum formulis
p. 31.
(b) L. 73 de V. S. (50. 16.).
„Haec verba in stipulatione
posita: eam rem recte resti-
tui fructus continent. Recte
enim verbum pro viri boni ar-
bitrio est.” Viele Beyſpiele ſol-
cher Stipulationen mit dem Wort
recte ſind zuſammen getragen von
Brissonius selectae ant. I. 9.
(c) L. 38 § 13, 121 pr. L. 22,
53, 119 de V. O. (45. 1.), L. 4
§ 16 in f. de doli exc. (44. 4.).
L. 31 de receptis (3. 8.), L. 3
C. eod. (2. 56.). — Mehrere Bey-
ſpiele dieſer Formel finden ſich in
den Urkunden bey Spangenberg
ſ. o. Num. XVI. b.
|0510 : 496|
Beylage XIII.
von einem judex beurtheilt. Der judex aber war ſelbſt durch
den Buchſtaben der ihm vorgelegten Stipulation angewie-
ſen, genau ſo zu urtheilen, wie er als arbiter in einer
b. f. actio hätte urtheilen müſſen; Dieſes galt nicht nur
in Anſehung der Zinſen und Früchte, ſondern auch eben
ſo in Anſehung der in der formula nicht ausgedrückten Ex-
ceptionen (d).
Hieraus erklären ſich zwey aus ſehr verſchiedenen Zei-
ten herrührende Geſetze, worin Klagen aus fingirten Sti-
pulationen vorgeſchrieben werden, jedoch mit Berückſichti-
gung der bona fides, welches bey neueren Schriftſtellern
unnöthigen Anſtoß erregt hat. Das erſte iſt die Lex Gal-
liae cisalpinae, welche, im Fall der verweigerten damni
infecti repromissio oder satisdatio, Klagen aus einer fin-
girten Stipulation in folgenden Worten vorſchreibt:
C. 20 vers. 26. 27 „quicquid eum Q. Licinium ex
ea stipulatione Sejo dare facere oporteret ex fide
bona”
und eben ſo wiederholt (für die Satisdation) in den Zei-
(d) Cujacius in L. 53 de V.
O., opp. T. 1 p. 1198. Zim-
mern Rechtsgeſchichte B. 3 S. 184.
275. Huschke de actionum for-
mulis p. 31. Dieſer Letzte nimmt
es nur darin zu ſubtil, daß er be-
hauptet, das Object ſey nun nach
b. f. beurtheilt worden, die Obli-
gation ſelbſt nicht; zu dem Object
rechnet er Mora, Culpa, Zinſen,
zu der Obligation die nicht aus-
gedrückten Exceptionen. Allein es
wird ausdrücklich geſagt, daß die
doli clausula auch wirke gegen
den stipulator qui dolo fecit.
(Vgl. die zwey letzten Stellen in
Note c). Dieſes iſt nun aber ge-
rade die der bona fides eigen-
thümliche Gegenſeitigkeit, wodurch
eben die Beachtung der in der
formula nicht ausgedrückten Ex-
ceptionen zuläſſig und nöthig wird.
|0511 : 497|
Stricti juris, bonae fidei actiones. XVII.
len 35. 36. Es fällt allerdings auf, in der Intentio einer
Stipulationsklage die Worte ex fide bona zu leſen; ſie
wären überflüſſig geweſen, wenn der Judex den Text einer
wirklich mit dieſer Clauſel abgeſchloſſenen Stipulation vor
ſich gehabt hätte, und ſie wurden hier aus Vorſicht hin-
zugefügt, weil die Stipulationen, woraus geklagt werden
ſollte, blos fingirt waren.
Eben ſo ſetzte Juſtinian an die Stelle der alten actio
rei uxoriae eine auf fingirter Stipulation beruhende actio
ex stipulatu, lediglich um die Klage vererblich zu machen.
Dieſer neuen Klage theilt er ganz die Natur der alten,
als einer b. f. actio, mit, und er verfährt hierin ganz im
Geiſt des älteren Rechts, indem er offenbar eine Stipula-
tion mit der doli clausula fingiren will, ganz wie es ſchon
die Lex Galliae cisalpinae gethan hatte. Nur darin iſt
ſein Ausdruck dem älteren Recht nicht gemäß, daß er die
neu eingeführte Klage geradezu eine b. f. actio nennt (e).
Dieſer Ausdruck wäre zur Zeit des älteren Rechts erheb-
lich geweſen, indem nun ein arbiter anſtatt eines judex
hätte urtheilen müſſen. In Juſtinians Zeit war Dieſes,
wegen der allgemeinen extraordinaria judicia, gleichgültig,
indem es nur noch auf den Erfolg der Klage und den
Inhalt des Urtheils ankommen konnte.
(e) § 29 J. de act. (4. 6.)
„ex stipulatu actio, quae pro
ea introducta est, naturam bo-
nae fidei judicii tantum in ex-
actione dotis meruit, ut bonae
fidei sit.” In dem urſprünglichen
Geſetz, welches im Codex ſteht, iſt
der Ausdruck vorſichtiger. L. un.
§ 2 C. de rei ex. act. (5. 13.)
„accommodetur ei natura rei
uxoriae, et bonae fidei benefi-
cium.”
V. 32
|0512 : 498|
Beylage XIII.
Derſelbe Erfolg, welchen die doli clausula einer Sti-
pulation herbeyführte, konnte auch noch auf einem ande-
ren Wege bewirkt werden, wenn nämlich als Inhalt der
Stipulation ausgedrückt wurde die Geſammtheit der Ver-
pflichtungen, welche bisher aus einem b. f. contractus ent-
ſprungen waren, z. B. wenn ein Verpächter von dem
Pächter ſtipulirte: quidquid te mihi dare facere opor-
tet (f). Denn durch dieſe Faſſung wurde gerade derjenige
Inhalt in die Stipulation gelegt, den außerdem die locati
actio gehabt haben würde.
XVIII.
Es geſchah aber nicht blos durch den Willen der Par-
teyen, daß freye Klagen in ſtrenge verwandelt wurden,
ſondern auch der Prätor pflegte nicht ſelten eine ſolche
Verwandlung zu bewirken. Wo er es jedoch aus eigenem
Antriebe that, da lag nicht ſowohl die Abſicht zum Grunde,
die ſtrenge Prozeßart der freyen vorzuziehen, als vielmehr
beſtimmte Strafen vertragsmäßig herbeyzuführen, wozu die
Stipulation die einzige Form darbot (Num. XI.).
Die actio constitutae pecuniae war vom Prätor neu
eingeführt, alſo ein arbitrium; um aber ihre Wirkung zu
verſtärken, zwang der Prätor den Beklagten zu einer Sti-
pulation, worin er dem Kläger eine Succumbenzſtrafe
(f) L. 89 de V. O. (45. 1.), L. 1 § 4 quar. rer. actio (44. 5.),
L. 27 de novat. (46. 2.).
|0513 : 499|
Stricti juris, bonae fidei actiones. XIX.
von Fünfzig Prozenten der eingeklagten Summe ver-
ſprach (a).
Die prohibitoriſchen Interdicte (wie uti possidetis)
waren prätoriſche Klagen; mit ihnen aber wurden ſtets
erzwungene Strafſtipulationen verbunden (b). In der Re-
gel verhielt es ſich eben ſo mit den reſtitutoriſchen und
exhibitoriſchen Interdicten; nur konnte hier ſowohl der
Kläger, als der Beklagte, dieſen Zuſtand dadurch ändern,
daß er eine arbitraria formula verlangte (c).
Bey dem Streit über Eigenthum ſtand es wohl in der
Wahl des Klägers, ob die ſtrenge Sponſionsklage, oder
die freye petitoria formula angewendet werden ſollte (Num.
IX.). Der einzige Zweck dieſer Wahl beſtand, wie es
ſcheint, gerade in der erwähnten Verſchiedenheit des Ver-
fahrens. Zwar war die Sponſion auf eine Geldſumme
gerichtet, aber nur zum Schein, da das Geld gar nicht
eingefordert wurde; ohnehin war die Summe ſo klein,
daß ſie ſchon deshalb nicht als ein ernſtlicher Zweck ge-
dacht ſeyn konnte (d).
XIX.
Umgekehrt kam es auch ſehr oft vor, daß durch den
(a) Gajus IV. § 171.
(b) Gajus IV. § 141.
(c) Gajus IV. § 141. 162—165.
Es iſt hier meiſt nur von dem
Beklagten die Rede, weil es et-
was Beſonderes war, daß dieſer
dem Antrag des Klägers auf Spon-
ſion ausweichen konnte. Der Klä-
ger hatte, wie ſich von ſelbſt ver-
ſtand, die Wahl zwiſchen beider-
ley Anträgen gleich Anfangs in
ſeiner Macht.
(d) Gajus IV. § 93. 94.
32*
|0514 : 500|
Beylage XIII.
Willen des Prätors ſolche Klagen, die an ſich str. j. actio-
nes waren, die Natur von freyen Klagen mitgetheilt be-
kamen, ja es läßt ſich wohl annehmen, daß dieſes überall
geſchah, wo vom Prätor eine Stipulation erzwungen
wurde, die nicht gerade auf eine Strafe gerichtet war
(XVIII.). Die Rechtsform, wodurch dieſe Modification
bewirkt wurde, war dann dieſelbe, wie wenn der Wille
der Parteyen eine ſolche Veränderung herbeyführte (XVII.).
Es wurde nämlich in die erzwungene Stipulation die doli
clausula aufgenommen, wodurch der str. j. actio, die nun
allerdings (vor einem judex) eintreten mußte, derſelbe Er-
folg geſichert war, der bey einer b. f. actio (vor einem
arbiter) eingetreten ſeyn würde.
Ich will hier die Fälle erzwungener Stipulationen zu-
ſammen ſtellen, von welchen wir beſtimmt wiſſen, daß ſie
die doli clausula in ſich ſchloſſen.
Die Stipulation von Bürgen, wodurch jeder Fructuar
dem Eigenthümer Sicherheit beſtellen muß (a).
Die Bürgſchaft, wodurch die Wirkung einer operis
novi nunciatio abgewendet wird (b).
Die Stipulationen wegen damnum infectum (c).
(a) L. 5 pr. usufr. quemadm.
cav. (7. 9.).
(b) L. 21 § 2 de op. novi
nunc. (39. 1.).
(c) Hier haben wir kein ſo wört-
liches Zeugniß, wie für die übri-
gen Fälle, allein die in L. 28
L. 40 pr. de damno inf. (39. 2.)
anerkannte freye Beurtheilung läßt
keinen Zweifel, daß auch da die
doli clausula eingerückt zu wer-
den pflegte. Huschke de actio-
num formulis p. 31. — Es war
hier übrigens bald eine bloße re-
promissio, bald eine satisdatio.
|0515 : 501|
Stricti juris, bonae fidei actiones. XIX.
Verſchiedene Bürgſchaften in Beziehung auf Legate (d).
Die prozeſſualiſche Bürgſchaft judicatum solvi (e); des-
gleichen ratam rem haberi (f).
Außerdem aber, und was noch wichtiger war, kamen
vielleicht ſolche Stipulationen mit doli clausula bey jeder
Litisconteſtation vor, ſolange der ordo judiciorum beſtand,
ſo daß nur durch deſſen Untergang zugleich die Nachricht
von jenen Stipulationen aus unſren Rechtsquellen ver-
ſchwunden ſeyn möchte. Dadurch allein läßt ſich auf un-
gezwungene Weiſe die ſchon oben mitgetheilte Thatſache
erklären, daß für jede stricti juris obligatio, von der Zeit
der Litisconteſtation an, ähnliche Wirkungen eintraten,
wie ſie außerdem nur bey den bonae fidei contractus
wahrgenommen werden, ſo daß von dieſer Zeit an die
omnis causa geleiſtet werden mußte (Num. III. d. e.).
Endlich auch, von allen dieſen Modificationen abge-
ſchen, brachte der Prätor in jedem einzelnen Fall ſchon
dadurch die ſtrengen Klagen den freyen näher, daß er
eine doli exceptio gab, ſo oft ſich dazu hinreichende Ver-
anlaſſung darbot. Denn die Beachtung der etwa vorhan-
denen Exceptionen war nur inſofern ein eigenthümlicher
Vorzug der b. f. actiones, als der Richter aus eigener
Macht bey ihnen darauf Rückſicht nehmen ſollte; der Prä-
(d) L. 1 pr. § 3 si cui plus
(35. 3.), L. 1 pr. ut legat.
(36. 3.). (Eine Folge aus dieſer
Natur der Stipulation im § 13
eod.).
(e) L. 17 — 19 judic. solvi
(46. 7.), L. 45 de her. pet.
(5. 3.).
(f) L. 22 § 7 ratam rem
(46. 8.).
|0516 : 502|
Beylage XIII. Stricti juris, bonae fidei actiones.
tor aber war an dieſen Unterſchied auf keine Weiſe ge-
bunden (Num. V.).
XX.
Faſſen wir die hier dargeſtellten Übergänge, welche
zwiſchen beiden Klaſſen von Klagen wahrgenommen wer-
den (Num. XVI — XIX.) zuſammen, ſo erſcheint darin das
Beſtreben, den ſtrengen Klagen eine freyere Natur mitzu-
theilen, vorherrſchend vor dem entgegengeſetzten Verfahren.
Wir dürfen alſo wohl annehmen, daß man die Eigenthüm-
lichkeit der stricti juris actiones nicht etwa als das an
ſich Beſſere, Wünſchenswerthe anſah, ſondern nur als die
aus der älteren Zeit als vorherrſchend betrachtete Regel,
von deren Feſſeln man ſich allmälig frey zu machen ſuchte.
Es geſchah aber Dieſes auf dieſelbe Weiſe, die wir auch
in der Entwicklung anderer Inſtitute des Römiſchen Rechts
wahrnehmen; nicht plötzlich, vermittelſt eines durchgreifen-
den Acts der Geſetzgebung, ſondern durch eine Nachhülfe
in einzelnen Fällen, die ſich der älteren Rechtsform unge-
zwungen und fortbildend anſchloß, ſo daß die ſtrengere
und freyere Form lange Zeit neben einander beſtanden,
und auch der individuellen Willkühr ein weiter Spielraum
hierin gelaſſen wurde.
|0517 : 503|
Beylage XIV. Die Condictionen. I.
Beylage XIV.
Die Condictionen.
(Zu § 218 — 220.)
I.
Schon oben iſt die Behauptung aufgeſtellt worden, der
Ausdruck condictio ſey völlig gleichbedeutend mit stricti
juris actio, und hierin eben liege der Grund, weshalb die-
ſer letzte Ausdruck ſo ſelten in unſren Rechtsquellen ge-
braucht werde (a). Der Sinn dieſer Behauptung wird
nun durch die in der vorhergehenden Beylage geführte
Unterſuchung näher dahin beſtimmt, daß unter condictio
zu verſtehen iſt die perſönliche Civilklage aus einem Rechts-
geſchäft, inſofern dieſe Klage zugleich ſtrenger Natur, das
heißt nicht durch den Zuſatz ex fide bona in das freyere
Ermeſſen des Judex geſtellt war. Durch dieſe Beſtim-
mungen ſind demnach von dem Gebiet der Condictionen
ausgeſchloſſen: alle honorariae actiones, alle Klagen in
rem, alle Delictsklagen, alle b. f. actiones.
Ein unmittelbares Zeugniß für die völlig gleiche Be-
deutung beider Kunſtausdrücke läßt ſich hier noch nicht
(a) Beylage XIII. Num. 1.
|0518 : 504|
Beylage XIV.
angeben, da die Stellen des Gajus, die allerdings als Zeug-
niſſe dafür gelten können, erſt noch mancher Vorbereitung
bedürfen, um völlig verſtanden zu werden. An dieſer Stelle
kann ich mich nur erſt darauf berufen, daß in der That
alle bekannte Condictionen stricti juris ſind, und daß die
ſo eben von dem Gebiet der Condictionen ausgeſchloſſenen
Klagen auch in der That den Namen condictio nicht füh-
ren (b). Allerdings wäre es denkbar, daß der Ausdruck
condictio in zufälliger Abwechslung mit actio, und ohne
feſte Gränze nach dieſer Seite hin, gebraucht würde. So
iſt es jedoch nicht, vielmehr wird der Ausdruck außer
dem angegebenen Gebiet ſorgfältig vermieden, ja, was
ganz entſcheidend iſt, es wird in einzelnen Fällen genau
unterſucht, ob die Klage ex empto (welche bekanntlich bo-
nae fidei iſt), oder vielmehr die condictio gelte? Die
Entſcheidung fällt dahin aus, daß beide Klagen völlig
begründet ſeyen, daß alſo der Kläger zwiſchen beiden die
Wahl habe (c). Die Frage ſowohl, als die Entſcheidung,
(b) Man könnte gegen dieſe
letzte Behauptung einwenden: 1)
Aus Delicten entſtehe die condic-
tio furtiva und zuweilen eine
condictio ex L. Aquilia (L. 9
§ 1 de R. C. 12. 1.). Es wird
aber unten gezeigt werden, daß
dieſe Klagen nicht aus Delicten,
ſondern aus contractsähnlichen
Rechtsgeſchäften entſtehen. 2) L.
19 § 2 de prec. (43. 26.) „in-
certi condictione, id est prae-
scriptis verbis,” da nämlich die
zuletzt genannte Klage bonae fidei
iſt; allein in dieſer Stelle muß
nach Handſchriften geleſen werden:
incerta actione. Vgl. Syſtem
§ 217 o.
(c) L. 11 § 6 de act. emti
(19. 1.) „.. qua actione agen-
dum est? utrum condicatur,
quasi ob causam datus sit, et
causa finita sit: an vero ex
empto agendum sit? Et Julia-
nus diceret, ex empto agi posse:
certe etiam condici poterit,
quia jam sine causa apud ven-
ditorem est anulus.”
|0519 : 505|
Die Condictionen. II.
ſetzt einen ſcharfen Gegenſatz zwiſchen beiden ſo bezeichne-
ten Arten der Klagen voraus, und zwar einen ſolchen
Gegenſatz, woran ſich ein practiſches Intereſſe geknüpft
haben muß, da über den leeren Namen ſchwerlich ein ern-
ſter Streit geführt worden wäre.
Es iſt kaum glaublich, und zeugt von der höchſten Un-
klarheit, die in dieſer Lehre herrſcht, daß gerade umgekehrt
von namhaften Schriftſtellern behauptet worden iſt, alle
Condictionen ſeyen b. f. actiones (d); eine beſondere Wi-
derlegung dieſer Behauptung iſt nicht zu verlangen, es iſt
nur dafür zu ſorgen, daß die Möglichkeit derſelben Jedem,
der die gegenwärtige Unterſuchung bis zu Ende verfolgt,
unbegreiflich erſcheine.
II.
Obgleich nun alſo die Condictionen auf ein genau be-
gränztes Gebiet eingeſchränkt waren, ſo ſtanden ſie doch,
als einzelne Art, unter der allgemeinen Gattung der ac-
tiones. Dieſes zeigt ſich in folgenden Varietäten ihrer
Bezeichnung:
Actio quae vocatur condictio. pr. J. quib. mod. re
(3. 14.). Actio condictionis L. 1 C. de cond. ind. (4. 5.)
L. 2 C. de cond. ob causam dat. (4. 6.) Condictitia
actio. L. 24 de R. C. (12. 1.), § 1 J. quib. m. re
(3. 14.) L. 7 de cond. causa data (12. 4.), L. 3 C.
(d) Glück B. 13 S. 8 und §
835. Dieſer Irrthum hängt mit
einem anderen zuſammen, der wei-
ter unten erwähnt werden wird.
Num. III. e.
|0520 : 506|
Beylage XIV.
de don. quae sub mod. (8. 55.) Condictitia § 24 J. de
act. (4. 6.) L. 55 de don. int. vir. (24. 1.). L. 13 § 2
de jurej. (12. 2.).
Ja ſogar wird zuweilen in den Fällen unſtreitiger Con-
dictionen der bloße Name actio, ohne den Zuſatz condic-
tio, gebraucht (a). Dieſes geſchieht jedoch nur da, wo die
Condictionennatur ohnehin ſo unzweifelhaft iſt, daß die
genauere Bezeichnung als überflüſſig erſcheint; dagegen
wird dieſe gewiß nie fehlen, wo es auf die Unterſcheidung
einer Condiction von einer Klage anderer Art ankommt (b).
Die eben behauptete gleiche Bedeutung der Ausdrücke
condictio und stricti juris actio iſt jedoch nur wahr für
den ſeit der Einführung des ordo judiciorum, oder des For-
mularprozeſſes, herrſchenden Sprachgebrauch. Zur Zeit der
alten Legis actiones hatte der Ausdruck eine engere Bedeutung,
indem er nur von zwey einzelnen Klagen gebraucht wurde (c).
Es wird jedoch unten gezeigt werden, in welchem hiſtori-
ſchen Zuſammenhang auch dieſe ältere Bedeutung mit der
in unſren Rechtsquellen herrſchenden neueren gedacht wer-
den muß; dieſe letzte übrigens iſt allein der Gegenſtand
der hier aufzuſtellenden Unterſuchung.
(a) Actio pecuniae creditae.
L. 70 de proc. (3. 3.), L. 12 § 1
de distr. (20. 5.). — Actio cer-
tae creditae pecuniae. Gajus IV.
§ 13.
(b) Es erſcheint alſo hier eine
ähnliche Zweydeutigkeit wie bey
dem Ausdruck judex, welcher bald
den ſtrengen Gegenſatz gegen ar-
biter bezeichnet, bald den Gat-
tungsbegriff, unter welchem dieſe
beide Arten gemeinſchaftlich ent-
halten ſind. Vgl. Syſtem § 218.
(c) Gajus IV. § 18 — 20.
|0521 : 507|
Die Condictionen. III.
III.
In der Lehre von den Condictionen ſind nunmehr Zwey
gleich wichtige und ſchwierige Fragen zu beantworten:
Erſtlich, welche Rechtsgeſchäfte ſind dazu geeignet, Con-
dictionen (stricti juris actiones) hervorzubringen, oder:
welches ſind die Bedingungen zuläſſiger Condictionen?
Zweytens, welche verſchiedene Arten der Condictio-
nen kommen vor, und wie unterſcheiden ſich dieſelben durch
eigenthümliche Wirkungen?
Bey der erſten Frage, nach den Bedingungen der Con-
dictionen, muß vor Allem an Dasjenige erinnert werden,
was darüber ſchon vorläufig, bey der Unterſuchung der
b. f. actiones, bemerkt worden iſt (a). Dieſe letzten werden
uns in einer langen Reihe einzelner Fälle aufgezählt, ohne
Zurückführung auf ein Princip; von den Fällen, worin die
str. j. actiones gelten ſollen, wird daneben gar Nichts ge-
ſagt. Dürfen wir nun mit Wahrſcheinlichkeit annehmen,
daß dieſe verſchiedene Behandlung nicht auf gedankenloſer
Willkühr, ſondern auf inneren Gründen, beruht, ſo läßt
ſich aus dieſer unmittelbaren Wahrnehmung ſchließen, daß
die Fälle, worin die Condictionen gelten ſollen, aus ei-
nem einfachen, gemeinſchaftlichen Princip abzuleiten ſind,
welches nur ſtillſchweigend vorausgeſetzt, nicht ausgeſpro-
chen wird.
(a) Beylage XIII. Num. XI. XII.
|0522 : 508|
Beylage XIV.
Neuere Schriftſteller haben ein ſolches Princip aufge-
ſtellt, das ſich auf den erſten Blick dadurch empfiehlt, daß
es zugleich auf beide Arten der Klagen anwendbar ſeyn
würde (b). Sie ſetzen das Weſen des Unterſchieds in die
Einſeitigkeit und Gegenſeitigkeit der Rechtsgeſchäfte, ſo
daß die einſeitigen stricti juris, die gegenſeitigen bonae
fidei ſeyn ſollen. Allein wenn wir auf die natürlichen,
ungekünſtelten Anſichten und Erwartungen der Parteyen
ſehen, ſo iſt das Darlehen nicht einſeitiger, als das Com-
modat und das Depoſitum (c). Jedes dieſer drey Rechts-
geſchäfte fängt damit an, daß Einer Etwas hingiebt, und
endigt damit, daß der Andere Etwas zurück geben ſoll
und darauf verklagt werden kann, wenn er es nicht frey-
willig thut; dieſen Zuſammenhang denken ſich die Parteyen
ganz deutlich. Außerdem aber kann allerdings bey den
(b) So unter andern Gans
Obligationenrecht S. 15—18, wo
jedoch dieſes Princip noch mit an-
deren gemiſcht erſcheint.
(c) Die Zweydeutigkeit der
Ausdrücke verbirgt und erhält hier
die Unklarheit der Begriffe. Man
kann nämlich die Ausdrücke bezie-
hen: 1) Auf die materiellen Zwecke
und Folgen, den einſeitigen und
gegenſeitigen Vortheil, der bezweckt
wird. In dieſer Hinſicht iſt (mit
ſehr ſeltnen Ausnahmen) das Com-
modat einſeitig zum Vortheil des
Empfängers, das Depoſitum ein-
ſeitig zum Vortheil des Gebers,
der Kauf, der Miethcontract, die
Societät, der Tauſchvertrag, ge-
genſeitig, das Darlehen bald ein-
ſeitig, bald gegenſeitig, je nach-
dem es verzinslich iſt oder nicht.
Hierin alſo kann gewiß nicht das
Unterſcheidende der b. f. contrac-
tus liegen. 2) Auf die juriſti-
ſchen Folgen der Rechtsgeſchäfte d.
h. die daraus entſpringenden Kla-
gen; davon allein kann hier die
Rede ſeyn. — Wenn man auf
das Weſen der Rechtsgeſchäfte
ſieht, ſo muß man eine ſehr eigen-
thümliche Klaſſe in denjenigen er-
kennen, die einen tauſchartigen
Character haben, d. h. worin Je-
der Etwas leiſtet, um gegenſeitig
Etwas zu empfangen, wie in dem
Kauf; allein die Gränze dieſer Ge-
ſchäfte fällt mit der Gränze der b. f.
contractus keinesweges zuſammen.
|0523 : 509|
Die Condictionen. III.
Zwey letzten Geſchäften auch noch eine contraria actio
eintreten, bey dem erſten nicht (d); an dieſen ſeltenen Er-
folg werden die Parteyen, wenn ſie nicht gerade Juriſten
ſind, ſchwerlich denken, er hängt von zufälligen, dem Ge-
ſchäft ſelbſt ganz fremden Umſtänden ab, und es erklärt
ſich alſo dieſe Verſchiedenheit der Behandlung durchaus
nicht aus den gewöhnlichen und wahrſcheinlichen Abſichten
der Parteyen, ſondern aus derſelben freyen Behandlung
der b. f. contractus, wodurch auch der arbiter berechtigt
wird, auf die in der formula nicht ausgedrückten Excep-
tionen Rückſicht zu nehmen. So allein iſt die Gegenſei-
tigkeit in den b. f. contractus zu verſtehen; wollte man alſo
in ihr den Grund und die Gränze der b. f. actiones ſuchen,
ſo würde ſich dieſer Gedanke auch in folgender Formel
ausdrücken laſſen: die freye Beurtheilung eines Rechtsge-
ſchäfts (wovon die Gegenſeitigkeit nur ein einzelnes Stück
(d) Man darf nicht glauben,
die contraria actio ſey an ſich
bey dem Darlehen nicht denkbar.
Bey dem Commodat und Depo-
ſitum freylich bezieht ſie ſich auf
Auslagen für die zurück zu ge-
bende individuelle Sache, wovon
bey dem Darlehen nicht die Rede
ſeyn kann. Wenn aber eine Summe
Geldes als Darlehen gegeben wird,
ſo können darunter erſtlich falſche
Geldſtücke ſeyn, zweytens gute,
aber fremde, die nur mit Verluſt
in gangbares Geld umgeſetzt wer-
den können. Der Empfänger braucht
hier nur gleichartige Stücke zurück
zu geben, und er wird in dem an-
geführten Fall am Sicherſten ge-
hen, wenn er die falſchen oder
fremden Geldſtücke in specie zu-
rück giebt, aber eine contraria ac-
tio hat er in keinem Fall, die ſich
doch, wenn er das Geld mit
Verluſt verwechſelte, wohl denken
ließe. Liegt freylich ein Betrug
zum Grunde, ſo kann er die doli
actio haben, allein dieſe Delicts-
klage hat mit dem Rechtsgeſchäft
keinen inneren Zuſammenhang.
|0524 : 510|
Beylage XIV.
iſt) tritt ein bey denjenigen Rechtsgeſchäften, bey welchen
eine freye Beurtheilung eintritt.
Es iſt auch noch ein anderer Verſuch gemacht worden,
die Unterſcheidung der Condictionen von den b. f. actiones
auf ein Princip zurück zu führen, der aber weit weniger
Schein für ſich hat, als der eben erwähnte. Bonae fidei
ſollen alle Klagen ſeyn, deren Grund ſchon auf der na-
türlichen Billigkeit (dem jus gentium) beruht, stricti juris die,
welche durch willkührliche Vorſchriften des poſitiven Rechts
eingeführt ſind (e); dieſe Behauptung muß bey ernſtlicher
Betrachtung ſogleich verworfen werden. Nichts iſt mehr
in der natürlichen Billigkeit gegründet, als daß das gelie-
hene Geld von dem Schuldner zurückgezahlt werde (f),
und doch iſt die Darlehnsklage ſehr gewiß stricti juris.
Selbſt aus dem nudum pactum entſteht eine Verpflichtung
nach jus gentium (g), und es iſt nicht einzuſehen, warum
dieſe durch die Hinzufügung der Stipulationsform verhin-
dert oder geſchwächt werden ſollte; dennoch iſt die Stipu-
lationsklage stricti juris. Ja wir würden, bey genauer
Erwägung, kaum andere str. j. Klagen nach dieſer Lehre
übrig behalten, als die Klagen auf Geldſtrafen; und ge-
rade dieſe führen wenigſtens den Namen stricti juris ac-
tiones oder condictiones niemals.
(e) Glück B. 13 S. 8.
(f) Gajus III. § 132. Eben ſo
wird für die condictio sine causa
u. ſ. w. die Entſtehung aus dem
jus gentium ausdrücklich aner-
kannt. L. 25 de act. rer. amot.
(25. 2.).
(g) L. 84 § 1 de R. J. (50. 17.),
L. 5 § 2 de solut. (46. 3.), L. 7
§ 4 de pactis (2. 14.).
|0525 : 511|
Die Condictionen. IV.
IV.
Betrachten wir die Fälle, in welchen Condictionen un-
zweifelhaft anwendbar ſind, ſo erſcheinen uns dieſe auf
den erſten Blick höchſt mannichfaltig; dennoch laſſen ſich
dieſelben auf ein ſehr einfaches Princip zurück führen,
welches ſich durch bloße organiſche Bildungskraft zu jener
Mannichfaltigkeit entfaltet hat, faſt ohne Eingriff der Ge-
ſetzgebung. Es finden ſich nur ſehr wenige, aus dem Prin-
cip nicht abzuleitende, alſo ganz poſitive Zuſätze; dieſe
aber ſind nicht nur ſo unbedeutend, ſondern auch als bloße
Ausnahmen ſo beſtimmt und deutlich in unſren Rechtsquel-
len anerkannt, daß ſie die Wahrheit des Princips viel-
mehr beſtätigen, als zweifelhaft machen.
Um jenes Princip zu finden, gehe ich von der Zerglie-
derung eines einzelnen Rechtsgeſchäfts aus, woraus ſicher-
lich eine Condiction entſpringt, nämlich des Darlehens,
welches ich daher als Ausgangspunkt der ganzen Unter-
ſuchung behandeln will. Ich muß erwarten, daß dieſes
Verfahren als einſeitig und willkührlich getadelt werden
möge; dieſer Vorwurf wird durch die Wahrnehmung wi-
derlegt, daß unſre Rechtsquellen genau denſelben Weg
einſchlagen, indem auch ſie das Darlehen an die Spitze
der geſammten Lehre von den Condictionen ſtellen.
In den Digeſten iſt der erſte Titel des zwölften Buchs
überſchrieben: de rebus creditis, si certum petetur, et de
|0526 : 512|
Beylage XIV.
condictione (a). Schon aus dieſer Überſchrift erhellt die
innige Verbindung der Condictionen im Allgemeinen mit
dem beſonderen Vertrag des Darlehens. Beynahe der
ganze Titel handelt von dem Darlehen, und zwar (mit
geringen Ausnahmen) von dem Gelddarlehen. Dazwiſchen
aber ſtehen einige Stellen, welche die allgemeine Natur
der Condictionen zum Gegenſtand haben. An dieſen ein-
leitenden Titel ſchließt ſich in zwey Büchern die ganze
Lehre von den Condictionen an.
Eben ſo iſt im Codex der zweyte Titel des vierten
Buchs der Anfang der geſammten Condictionenlehre. Die
Überſchrift lautet: Si certum petatur, und der ganze Titel
enthält nur Conſtitutionen über das Gelddarlehen.
Indem ich alſo das Darlehen als die Grundlage der
Condictionen anſehe, und aus ihm das Weſen derſelben
zu erkennen ſuche, ſchließe ich mich ganz an das Verfah-
ren an, welches in den Quellen des Römiſchen Rechts un-
mittelbar wahrzunehmen iſt.
V.
Unterſuchen wir nun, was wirklich vorgeht, wenn Geld
als Darlehen gegeben wird. Als Weſen dieſes Geſchäfts
wird durch den Namen pecunia credita ein beſonderer
(b)
(a) Die Varianten ſind bey
dieſer Rubrik nicht von Erheblich-
keit, wenigſtens nicht für die hier
vorliegende Frage. Das Dig. ve-
tus ed. Jenson s. a. und cd. Ko-
berger 1482 leſen petatur et de
certi condictione. Ed. Ven. 1484
lieſt petatur ohne certi.
(b) L. 9 L. 24 de reb. cred.
(12. 1.).
|0527 : 513|
Die Condictionen. V.
Grad des Glaubens oder Vertrauens bezeichnet, woher
auch der Geber den Namen creditor erhalten hat (a); ja
die Natürlichkeit dieſer Anſicht bewährt ſich darin, daß
auch in unſrer Sprache der Name Glaubiger allgemein
anerkannt worden iſt, und zwar im gemeinen Leben nicht
weniger als unter den Juriſten. Daher fängt auch der
oben angeführte Digeſtentitel ſehr characteriſtiſch mit einer
Unterſuchung über die Bedeutung des Worts credere an,
deſſen Weſen darin geſetzt wird, daß wir uns der Zuver-
läſſigkeit eines Andern anvertrauen (b). Was iſt nun der
eigentliche Inhalt dieſes Vertrauens?
Vertrauen im Allgemeinen liegt bey allen Geſchäften
des täglichen Verkehrs zum Grunde; da aber hier ſo vor-
(a) Die urſprüngliche Bedeu-
tung von creditor und creditum
geht auf die aus einem Gelddar-
lehen entſtandene Forderung; von
da iſt der Ausdruck auf den
abſtracten Begriff der Forderun-
gen überhaupt, wofür man keinen
andern Namen hatte, übertragen
worden, und dieſer ausgedehnte
Sprachgebrauch iſt dann der vor-
herrſchende geworden. L. 10 de
V. S. (50. 16.) „.. Sed et si
non sit mutua pecunia, sed
contractus, creditores accipiun-
tur.” L. 11 eod. Creditorum ap-
pellatione non hi tantum ac-
cipiuntur, qui pecuniam credi-
derunt: sed omnes, quibus ex
qualibet causa debetur.” L. 12.
pr. eod. Die Gegenſätze weiſen
ſichtbar darauf hin, daß die aus-
ſchließende Beziehung des Aus-
drucks auf das Gelddarlehen die
eigentliche, urſprüngliche war, und
daß man nur durch das Bedürf-
niß dahin geführt wurde, die wei-
tere Bedeutung anzunehmen, und
dieſe nun als die regelmäßige zu
behandeln. — Eben ſo in L. 5
§ 3 de O. et A (44. 7.), ſ. u.
Num. VII. b. — Derſelbe Ge-
danke, nur in anderer Art ausge-
drückt, liegt zum Grunde in L. 20
de jud. (5. 1.) „Omnem obli-
gationem pro contractu haben-
dam existimandum est … quam-
vis non ex crediti causa debe-
atur.”
(b) L. 1 de reb. cred. (12. 1.)
„.. credendi generalis appel-
latio est … nam cuicumque
rei adsentiamur, alienam fidem
secuti, mox recepturi quid ex
hoc contractu, credere dicimur.”
V. 33
|0528 : 514|
Beylage XIV.
zügliches Gewicht auf das Vertrauen gelegt wird, ſo muß
wohl ein Vertrauen von beſonderer Art gemeynt ſeyn;
deſſen Natur nun wird durch folgende Betrachtung klar
werden.
Wird eine Geldſumme in verſiegeltem Beutel in fremde
Verwahrung gegeben, ſo vertraut der Eigenthümer der
Redlichkeit des Andern; Dieſe aber vorausgeſetzt, kann
ihm das Schickſal des Vermögens des Empfängers gleich-
gültig ſeyn. Denn wenngleich Derſelbe verarmt, wird
noch immer der verſiegelte Beutel bey ihm gefunden, und
durch Vindication dem Eigenthümer gerettet werden. Nicht
ſo, wenn dieſelbe Geldſumme als Darlehen gegeben war;
denn wenn nun der redliche Empfänger inſolvent wird, ſo
iſt das Geld für den Geber verloren. Die höhere Ge-
fahr alſo, der ſich der Geber bey dem Darlehen unter-
wirft, unabhängig von der redlichen Geſinnung des Em-
pfängers, gründet ſich darauf, daß der Geber das Eigen-
thum des Geldes veräußert, alſo den in der Vindication
enthaltenen Schutz aufgegeben hat.
Daß in der That dieſe Veränderung Grund und Be-
dingung der condictio iſt, läßt ſich durch folgende Anwen-
dungen außer Zweifel ſetzen. Da wo dem Empfänger
kein Eigenthum des Geldes verſchafft wird, entſteht auch
keine condictio (c). Iſt der Übergang des Eigenthums
(c) L. 2 § 2 de R. C. (12. 1.).
— Damit hängt auch der Aus-
druck aes alienum zuſammen.
L. 213 § 1 de V. S. (50.
16.). „Aes alienum est, quod
nos aliis debemus;” näm-
lich das Geld, welches aus frem-
dem Vermögen in unſer Eigenthum
|0529 : 515|
Die Condictionen. V.
durch den Willen des Gebers auf einen ſpäteren Zeitpunkt
als den der Tradition verſchoben, ſo entſteht auch die
condictio erſt in dieſer ſpäteren Zeit (d). Wird der An-
fangs fehlende Erwerb des Eigenthums durch die ſpätere
Conſumtion des Geldes ergänzt, ſo entſteht in demſelben
Augenblick auch die condictio (e). Überall alſo erſcheint
die condictio als der Erſatz, der anſtatt der verlornen
Vindication eintritt (f), und daſſelbe ausſchließende, alter-
native Verhältniß zwiſchen dieſen beiden Klagen findet ſich
auch in anderen Rechtsverhältniſſen, außer dem Darlehen,
wieder (g).
Dieſer Zuſammenhang der Rechtsverhältniſſe wird noch
beſtätigt durch die Ausdrücke in der formula. Bey dem
Darlehen lautet die Intentio auf dare oportere, das heißt
Übertragung des Eigenthums; ſo lange aber der Geber
aus irgend einem Grunde das Eigenthum noch nicht ver-
loren hat, iſt es unmöglich, ihm Dieſes zu verſchaffen,
weshalb er in dieſer Lage auch nicht auf dare oportere
klagen, das heißt keine Condiction haben kann (h). Es iſt
gekommen iſt, und wieder einmal
in des Gebers Eigenthum zurück
kehren ſoll.
(d) L. 8 L. 9 § 9 de R. C.
(12. 1.).
(e) L. 13 pr. § 1 de R. C.
(12. 1.), L. 29 de cond. ind.
(12. 6.), § 2 J. quib. alien. (2. 8.).
(f) L. 11 § 2 de R. C. (12. 1.).
L. 29 de cond. ind. (12. 6.),
§ 2 J. quib. alien. (2. 8.).
(g) L. 22 § 2 de pign. act.
(13. 7.), L. 15 de cond. causa
data (12. 4.), L. 3 C. de cond.
ex lege, (4. 9.), L. 5 § 18 de
don. int. vir. (24. 1.).
(h) Gajus IV. § 4, § 14 J. de
act. (4. 6.). In Juſtinians Inſti-
tutionen iſt freylich dieſe Bemerkung
ſehr unpaſſend, die blos für die
längſt verſchwundene formularum
conceptio Sinn hatte. — Von
33*
|0530 : 516|
Beylage XIV.
derſelbe Grund, welcher die Stipulation in der Formel
dare mihi spondes? unmöglich machte, wenn der Glaubi-
ger das Eigenthum der verſprochnen Sache bereits hatte (i).
Der Anſchaulichkeit wegen iſt bisher blos von dem
Gelddarlehen geſprochen worden; alles hier Geſagte gilt
aber eben ſo von dem Darlehen in anderen verbrauchba-
ren Sachen, wie Weizen, Wein, Oel u. ſ. w. Die Fälle
ſind nur weit ſeltener und für den Verkehr unbedeutender,
und kommen daher auch in unſren Rechtsquellen nicht häu-
fig vor; wo ein praktiſches Bedürfniß auf ſolche Geſchäfte
führen könnte, wird daſſelbe weit häufiger durch Kauf
(etwa durch Gelddarlehen vermittelt), als durch Darlehen
in Sachen ſolcher Art befriedigt werden. Bey den Rö-
der Ausnahme bey der condictio
furtiva wird weiter unten die
Rede ſeyn.
(i) Gajus III. § 99, § 2 J. de
inut. stip. (3. 19.), L. 1 § 10 de
O. et A. (44. 7.), L. 82 pr. de
V. O. (45. 1.). Dieſes hängt da-
mit zuſammen, daß im ſtreng ju-
riſtiſchen Sinn, namentlich bey
Stipulationen und in der Intentio
einer Klage, der Ausdruck rem
dare die unmittelbare Übertragung
des Römiſchen Eigenthums be-
zeichnet, welche bey einer dem Sti-
pulator ſchon gehörenden Sache
nicht möglich iſt. L. 75 § 10 de
V. S. (50. 16.), L. 167. pr. de
R. J. (50. 17.). Eben ſo bezeichnet
auch usumfructum und servitu-
tem dare die vollſtändige Errich-
tung der Servitut durch in jure
cessio. L. 19 de S. P. R. (8. 3.),
L. 126 § 1, L. 136 § 1 de V. O.
(45. 1.), L. 3 pr. de O. et A.
(44. 7.). Neben dieſem techniſchen
Sinn des Worts beſteht, hier wie
in vielen anderen Fällen, ein vul-
gärer Sprachgebrauch (juris ver-
ba und factum in L. 38 § 6 de
V. O. 45. 1.), nach welchem dare
ein jedes Verſchaffen bezeichnet.
So kommt ſehr oft operas dare
vor, ſelbſt in Stipulationen. (Ma-
rezoll in Linde’s Zeitſchrift X.
250.). In dieſem freyen Sinn
wurde in einem Teſtament das
dare usumfructum an einem Pro-
vinzialgrundſtück ausgelegt, wobey
nun die Verpflichtung des Erben
auf Übergabe der Sache gieng.
L. 3 pr. de usufr. (7. 1.).
|0531 : 517|
Die Condictionen. V.
mern war übrigens auch die juriſtiſche Behandlung ver-
ſchieden, welches aber erſt weiter unten klar gemacht wer-
den kann.
Es muß aber gleich hier ein möglicher Einwurf ent-
fernt werden. Mit dem Darlehen kommt die fiducia darin
überein, daß dem Andern Eigenthum anvertraut wird,
welches er künftig wieder geben ſoll (k). Nach der hier
aufgeſtellten Lehre alſo müßte aus der fiducia eine Con-
diction entſpringen, und dennoch entſpringt daraus eine
bonae fidei actio (Beyl. XIII. Num. XII.). Es läßt ſich
dieſem Einwurf auf folgende Weiſe begegnen; die fiducia
muß zwey Klagen, zur freyen Wahl des Klägers, erzeugt
haben; eine Condiction, nach dem hier aufgeſtellten Prin-
cip: eine b. f. actio, die dann zugleich arbitraria war, weil
dieſe das einzige Mittel darbot, dem Kläger die Natural-
reſtitution zu verſchaffen (§ 221), worauf er doch, wenn
er ſie vorzog, den natürlichſten und billigſten Anſpruch
hatte. Es iſt ein ähnlicher Fall wie bey einer Ehefrau,
welche die von ihr ſelbſt gegebene Dos zurückfordert; auch
Dieſe hat die Wahl zwiſchen einer Condiction (l), und der
actio rei uxoriae, welche bonae fidei iſt.
(k) Gajus II. § 59. 60.
(l) L. 67 de j. dot (23. 3.).
Eben ſo hat auch jeder fremde
Geber einer Dos die Condiction,
wenn er durch Pactum die ſonſt
als regelmäßig anzunehmende
Schenkung an die Frau ausſchließt.
L. 43 § 1 eod., L. 10 C. de pa-
ctis (2. 3.), L. 1 C. de pactis
conv. (5. 14.).
|0532 : 518|
Beylage XIV.
VI.
In unmittelbarer Entwicklung ſchließen ſich an das
Darlehen diejenigen Fälle an, worin dem Andern eine
Sache ohne Übertragung des Eigenthums anvertraut wor-
den iſt, er aber das Eigenthum des Gebers eigenmächtig
zerſtört, und ſich dadurch bereichert hat. Seine wider-
rechtliche Handlung bewirkt hier eine condictio, eben ſo
wie dort das höhere Vertrauen des Gegners, da es un-
natürlich wäre, wenn er durch ſeine Unredlichkeit in eine
günſtigere Lage kommen ſollte, als diejenige, welche ihm
das höhere Vertrauen des Gebers verſchafft hätte.
In vollſtändigſter Entwicklung iſt dieſe Regel ausge-
ſprochen bey dem ſchon oben (Num. V.) erwähnten Fall
des Depoſitum. Wer eine Sache in Verwahrung giebt,
hat zunächſt noch die Vindication, weshalb er eine Con-
diction weder bedarf noch bekommt. Wenn aber der Em-
pfänger das deponirte Geld ausgiebt, den deponirten Wei-
zen aufzehrt oder verkauft, ſo hat er des Gebers Vindi-
cation zerſtoͤrt, und nun tritt an ihre Stelle die Condic-
tion (a).
(a) L. 13 § 1 depos. (16. 3.).
„Competit etiam condictio de-
positae rei nomine, sed non
antequam quid dolo admissum
sit: non enim quemquam hoc
ipso, quod depositum accipiat,
condictione obligari, verum
quod dolum malum admise-
rit.” Der dolus iſt hier die
Handlung, wodurch der Depoſitar
die Vindication des Gegners un-
möglich macht, indem er ſich ſelbſt
bereichert; er iſt hier nur bey-
ſpielsweiſe genannt, weil eine ſolche
Veränderung ſelten ohne dolus
Statt finden wird, nöthig iſt er
nicht. Wenn ein Bankier einen
verſiegelten Beutel mit Geld als
|0533 : 519|
Die Condictionen. VI.
Daſſelbe, nur in weniger beſtimmten Ausdrücken, wird
in vielen ähnlichen Fällen anerkannt, wobey wir ohne
Zweifel die nähere Beſtimmung aus der für das Depoſi-
tum gegebenen Vorſchrift ergänzen müſſen. So heißt es,
auch das Commodat und das Pfand enthalte ein cre-
dere (b), welches nichts Anderes ſagen will, als es ent-
ſpringe daraus gleichfalls eine Condiction; verſteht ſich,
wenn der Empfänger die ſo gegebene Sache zerſtört hat,
denn ſonſt dauert die urſprüngliche Vindication fort, wo-
durch die Condiction ausgeſchloſſen wird.
Eben ſo ſoll eine Condiction entſtehen können bey Ge-
legenheit eines Mandats, einer Societät und ähnlicher
Geſchäfte, ſo wie auch einer Tutel (c); wobey immer wie-
Depoſitum erhält, dieſer Beutel
aber aus Verſehen erbrochen und
das Geld in die eigne Kaſſe ge-
worfen wird, ſo entſteht gewiß
eine condictio, und doch iſt hier
kein dolus vorhanden. Es iſt da-
her irrig, wenn Manche dieſe con-
dictio ſtets für furtiva halten
wollen. — Eben ſo iſt in L. 33
cod. nur von einer Vindication
die Rede, nicht von einer Con-
diction, weil die Sache noch vor-
handen iſt. — L. 24 § 2 de reb.
auct. jud. (42. 5.) „aliud est
enim credere, aliud deponere;”
das heißt, das deponere iſt zu-
nächſt, und an ſich ſelbſt, kein
credere, folglich nicht Grund einer
Condiction; es kann aber dazu
werden, theils durch die in der an-
geführten Stelle enthaltenen beſon-
deren Umſtände der Übereinkunft,
theils in allen Fällen durch die
unredliche Handlung des Depoſi-
tars. — Dieſelbe ſcharfe Entge-
genſetzung des credere und de-
ponere findet ſich auch in L. 4
de R. C. (12. 1.).
(b) L. 1 de R. C. (12. 1.).
„.. ideo sub hoc titulo Prae-
tor et de commodato, et de
pignore edixit.” L. 4 § 1 eod.
„Res pignori data, pecunia so-
luta condici potest ..” nämlich
wenn die allgemeine Bedingung
der Condiction vorhanden iſt, ſo
daß alſo die Stelle aus der be-
ſtimmteren über das Depoſitum
(Note a) ergänzt werden muß
(vgl. unten Num. XX. c).
(c) L. 28 § 4 de jurejur.
(12. 2.). „.. forte si actionem
|0534 : 520|
Beylage XIV.
der hinzu gedacht werden muß, daß der Andere das Geld
oder die Waaren, welche ihm aus ſolchen Veranlaſſungen
anvertraut wurden, veruntreut, alſo eigenmächtig und wi-
der des Glaubigers Willen aus Deſſen Eigenthum ge-
bracht hat (d).
Daſſelbe ſoll gelten auch bey der negotiorum gestio
(Note c); dieſer Fall unterſcheidet ſich von den vorherge-
henden noch dadurch, daß der vorige Eigenthümer gar
Nichts anvertraut hat, nicht einmal den Beſitz, ſo daß der
Geſchäftsführer Alles eigenmächtig an ſich zog, den Beſitz
wie das (durch ihn zerſtörte) Eigenthum; der Grund der
Condiction iſt derſelbe wie in den vorhergehenden Fällen.
Man ſieht das gewöhnlich ſo an, als habe nun der
Kläger die Wahl zwiſchen mehreren auf denſelben Zweck
gerichteten Klagen; für genau aber kann dieſe Auffaſſung
nicht gelten. Zwar der äußere Erfolg kann zuweilen bey
beiden Klagen ganz derſelbe ſeyn; oft aber wird die Con-
diction nur einen kleinen Theil Desjenigen verfolgen, Was
mandati, negotiorum gestorum,
societatis, ceterasque similes,
jusjurandum exactum sit, dein-
de ex iisdem causis certum con-
dicatur: quia per alteram actio-
nem altera quoque consumi-
tur.” Für das Mandat iſt die
Möglichkeit der condictio aner-
kannt auch in L. 5 de exc. rei
jud. (44. 2.). Neben der actio
depositi, commodati, tutelae in
L. 5 de tutelae (27. 3.). Neben
der a. pro socio, mandati, neg.
gestorum, tutelae, und ähnlichen
b. f. actiones in L. 45, 46, 47
pr. pro socio (17. 2.). Neben
der a. locati. L. 34 § 2 de O.
et A. (44. 7.), L. 46 pro socio
(17. 2.).
(d) Es würde alſo ganz irrig
ſeyn, wenn man gegen den Man-
datar oder Socius, der uns durch
Nachläſſigkeit oder durch Leichtſinn
und Übereilung ſchadet, eine con-
dictio geſtatten wollte; hier gilt
blos die Contractsklage.
|0535 : 521|
Die Condictionen. VII.
mit der b. f. actio eingeklagt werden kann, und in jedem
Fall iſt der Entſtehungsgrund beider Obligationen völlig
verſchieden (vgl. § 232.).
VII.
Eine fernere Stufe der Entwicklung des Rechtsſatzes
findet ſich in den zahlreichen Fällen, worin wir dem An-
dern Eigenthum übertragen, nicht in der Abſicht ihm Et-
was anzuvertrauen, ſondern in einer andern Abſicht, die
aber entweder gleich Anfangs auf Irrthum beruht, oder
hinterher ihren Grund, alſo ihre Wahrheit verliert, und
in Irrthum übergeht. Die wichtigen Fälle dieſer Art laſ-
ſen ſich unter den gemeinſamen Namen des Datum ob
causam bringen, wobey die causa als eine irrige, unge-
gründete gedacht werden muß (a). Dahin gehören die
Fälle der condictio indebiti, ob causam datorum, sine
causa, ob injustam causam.
In allen dieſen Fällen tritt der Irrthum an die Stelle
des, dem Darlehen zum Grunde liegenden, Vertrauens;
dadurch wird auch auf ſie der Begriff des Creditum, und
die aus demſelben entſpringende condictio, anwendbar.
Dieſer innere Zuſammenhang iſt nicht etwa willkührlich
angenommen, zur Unterſtützung des von mir aufgeſtellten
(a) So iſt es nämlich in der
Regel; eine abweichende Natur
hat die condictio ob turpem
causam, worin der Irrthum in
der causa zur Begründung der
Condiction in manchen Fällen nicht
hinreicht, in anderen entbehrlich
iſt; jenes, wenn dem Geber eine
turpitudo vorgeworfen werden
kann, Dieſes, wenn Derſelbe ſchuld-
los iſt.
|0536 : 522|
Beylage XIV.
Grundſatzes für die Anwendung der Condictionen; er wird
vielmehr bey dem Indebitum, dem häufigſten unter den
erwähnten Fällen, ausdrücklich, und an mehreren Orten
unſrer Rechtsquellen, anerkannt (b).
Dieſe wichtige Klaſſe von Anwendungsfällen der Con-
diction iſt zugleich Grundlage einer ganz neuen Entwick-
lung geworden. Eine ſolche irrige Übertragung nämlich
aus unſrem Vermögen in ein fremdes läßt ſich nicht nur
bey dem Eigenthum denken, ſondern auch bey allen ande-
ren Arten von Vermögensrechten. Es läßt ſich Dieſes
am Leichteſten anſchaulich machen durch folgende, von der
condictio indebiti hergenommene, Beyſpiele, die ſich jedoch
eben ſo auch auf die anderen hier genannten Condictionen
anwenden laſſen. So kann die irrige Vorausſetzung einer
Verbindlichkeit die Errichtung eines Niesbrauchs oder einer
Prädialſervitut, oder auch die Aufhebung ſolcher Rechte,
veranlaſſen, worauf die Condiction gebraucht werden kann,
um die Herſtellung des früheren Zuſtandes zu bewirken.
Eben ſo wenn Jemand eine eigene Schuld contrahirt, oder
eine Forderung überträgt, oder eine Schuld erläßt, ent-
weder weil er zu dieſen Handlungen unmittelbar verpflich-
tet zu ſeyn glaubt, oder weil er damit eine vermeyntliche
(b) L. 5 § 3 de O. et A.
(44. 7.). „Is quoque qui non
debitum accipit per errorem
solventis, obligatur quidem
quasi ex mutui datione, et ea-
dem actione tenetur, qua de-
bitores creditoribus ..” Eben
ſo Gajus III. § 91, § 1 J. quib.
modis re (3. 14.), § 6 J. de ob-
lig. quasi ex contr. (3. 27.).
Alle dieſe Stellen rühren urſprüng-
lich von Gajus her.
|0537 : 523|
Die Condictionen. VIII.
Geldſchuld tilgen will (c). Ja ſogar eine Arbeit, die ge-
leiſtet wird, weil man dazu irrigerweiſe ſchuldig zu ſeyn
glaubte, kann die Condiction begründen, inſofern ſich dieſe
Arbeit auf einen beſtimmten Geldwerth zurückführen, alſo
mit einer gezahlten Geldſumme vergleichen läßt, die nun
zurück gefordert werden kann (d).
VIII.
Auch Dasjenige aber kann condicirt werden, was aus
meinem Vermögen anders als durch meinen Willen in
fremdes Eigenthum übergeht, ſey es daß der Andere durch
ſeine Handlung, oder durch zufällige Umſtände, auf meine
Koſten bereichert werde. Folgende Fälle ſind dahin zu
rechnen.
Gegen den Beſitzer meiner Sache habe ich zunächſt die
Vindication, nach verlornem Beſitz in der Regel keine Klage.
Wenn er jedoch die unentgeldlich erworbene Sache verkauft und
ſich dadurch bereichert hat, die Sache aber untergegangen
iſt, ſo daß ich ſie auch nicht mehr gegen einen Dritten
vindiciren kann, ſo habe ich gegen Jenen eine Condiction
auf die Summe, um welche er reicher geworden iſt (a).
Eben ſo, wenn die Bereicherung nicht durch Verkauf,
ſondern durch Verzehren meiner Sache entſtanden iſt, z. B.
(c) L. 4. 10 de cond. causa
data (12. 4.), L. 1 pr. § 1. 2 de
cond. sine causa (12. 7.), L. 5
§ 1 de act. emti (19. 1.).
(d) L. 26 § 12 de cond. indeb.
(12. 6.).
(a) L. 23 de R. C. (12. 1.).
|0538 : 524|
Beylage XIV.
wenn der unredliche Beſitzer meines Landgutes die Früchte
verzehrt hat (b).
Die für dieſe Zwecke anwendbare condictio sine causa
umfaßt demnach verſchiedenartige Fälle: ſolche, die auf
dem freyen Willen des gegenwärtigen Klägers, alſo einem
Datum, beruhen (Num. VII.), und ſolche, die durch bloßen
Zufall, oder auch durch die Handlung des Beklagten, her-
beygeführt ſind (c).
Faſſen wir die bisher dargeſtellten Fälle der Condic-
tionen in einem gemeinſamen Überblick zuſammen, ſo er-
ſcheint darin folgende ſtufenartige Entwicklung des Grund-
(b) L. 4 § 2 fin. reg. (10. 1.),
L. 22 § 2 de pign. act. (13. 7.),
L. 18 de except. (44. 1.), L. 55
in f. de cond. ind. (12. 6.), L. 4
§ 1 de reb. cred. (12. 1.), L. 3
C. de cond. ex lege (4. 9.). —
Eben ſo, wenn mein Purpur in
ein fremdes Kleid eingewirkt und
dadurch als ſelbſtſtändige Sache
zerſtört wird; gegen den Dieb habe
ich die condictio furtiva, gegen
den redlichen Beſitzer, der ſich auf
dieſe Weiſe bereicherte, gleichfalls
eine condictio (sine causa).
§ 26 J. de rer. div. (2. 1.), Ga-
jus II. § 79; (Theophilus giebt
unbegreiflicherweiſe auch gegen Den,
welcher nicht Dieb iſt, die cond.
furtiva. Die Worte: a quibus-
dam aliis possessoribus erklä-
ren ſich aus den in dieſer Num-
mer des Textes vorgetragenen
Sätzen; quidam ſind eben die
sine causa Bereicherten). — Fer-
ner L. 4 § 2 de R. C. (12. 1.).
„Ea quae vi fluminum impor-
tat sunt, condici possunt.”
Verſteht ſich, wenn die Sachen
nicht mehr als ſelbſtſtändig vor-
handene vindicirt werden können,
zugleich aber auch den Grundbe-
ſitzer bereichert haben.
(c) Darauf deutet L. 1 § 3 de
cond. sine causa (12. 7.). „Con-
stat id demum posse condici
alicui, quod vel non ex justa
causa ad eum pervenit, vel re-
dit ad non justam causam.”
Der Ausdruck iſt ſo allgemein
gefaßt, daß es ganz dahin geſtellt
bleibt, ob das pervenire durch
den Willen des urſprünglichen
Eigenthümers herbeygeführt wurde
oder nicht. Eben ſo auch in L. 6
de cond. ob turpem (12. 5.),
und in L. 25 in f. de act. rer.
amot. (25. 2.).
|0539 : 525|
Die Condictionen. VIII.
begriffs. Der urſprüngliche Fall der Condiction beſteht
darin, daß der Eigenthümer durch anvertrautes Eigenthum
das Vermögen des Empfängers erweitert (Num. V.). —
Daran reiht ſich der Fall, da zwar nur der Beſitz dem
Empfänger anvertraut wird, dieſer aber die Erweiterung
ſeines Vermögens durch eigenmächtige Handlung bewirkt
(Num. VI.). — Ferner der Fall, worin die Erweiterung
des Vermögens zwar durch den Willen des vorigen Eigen-
thümers herbeygeführt wird, aber nicht aus Vertrauen,
ſondern aus Irrthum, welcher nun gleiche Wirkung mit
jenem Vertrauen haben ſoll (Num. VII.). — Endlich aber
wird die gleiche Wirkung auch auf die grundloſe zufäl-
lige Bereicherung des Einen aus dem Eigenthum des An-
deren übertragen (Num. VIII.) (d).
Alle dieſe Fälle alſo haben mit einander gemein die
Erweiterung eines Vermögens durch Verminderung eines
andern Vermögens, die entweder ſtets ohne Grund war,
oder ihren urſprünglichen Grund verloren hat. Da die
meiſten und wichtigſten derſelben auf einer freyen Hand-
lung des urſprünglichen Eigenthümers beruhen, woran ſich
die übrigen Fälle blos als Erweiterungen aus innerer
(d) Es iſt hierin eine ſehr re-
gelmäßige Entwicklung der Begriffe
unverkennbar. An die Condiction
aus anvertrautem Eigenthum (Num.
V.) ſchließt ſich die aus dem De-
poſitum, worin der Empfänger das
Eigenthum durch einſeitige Will-
kühr an ſich zieht (Num. VI.).
Ganz eben ſo an die condictio
sine causa aus irrigem Geben
(Num. VII.) die auf der einſeiti-
gen Willkühr des Bereicherten,
ohne vorhergegangenes Geben,
beruhende cond. sine causa
(Num. VIII.).
|0540 : 526|
Beylage XIV.
Verwandtſchaft anſchließen, ſo kann man die bisher be-
trachteten Entſtehungsgründe der Condictionen als Datum
bezeichnen. Man kann darauf auch den Ausdruck einer
grundloſen Bereicherung des Andern aus unſrem Vermö-
gen anwenden, wenn nur der Begriff der Bereicherung
auf eine, gerade dieſem Verhältniß angemeſſene, Weiſe be-
gränzt wird. Es kommt nämlich darauf an, daß dem
Übergang eines Rechts aus einem Vermögen in ein an-
deres die causa entzogen ſey, oder ſtets gefehlt habe; ſo
iſt es bey dem Darlehen nach der Kündigung, oder bey
dem irrig bezahlten indebitum. Anders bey einem wohl-
feilen Kauf, wobey zwar auch der Käufer auf Koſten des
Verkäufers bereichert wird, jedoch ohne daß irgend ein
Mangel in der causa wahrzunehmen iſt, indem der hier
obwaltende Irrthum gar nicht die causa, d. h. den Rechts-
grund der Veränderung, betrifft, ſondern nur die materielle
Werthſchätzung, die ganz außer dem Rechtsgebiet liegt.
Noch ſichtbarer iſt Dieſes bey der Schenkung, die ſtets
eine Bereicherung in ſich ſchließt, und dabey auf bloßer
Laune und Willkühr, oder auf irrigen Beweggründen be-
ruhen kann, weshalb man ſie für ein datum sine causa
(grundloſe Bereicherung) halten könnte. Allein das Ju-
riſtiſche dabey iſt lediglich die Abſicht zu ſchenken, die do-
nationis causa, in welcher ſelbſt unter jenen Vorausſetzun-
gen kein Mangel erſcheint, da jene an ſich mangelhaften
Beweggründe mit dem Rechtsgebiet keine Berührung haben.
Eben ſo iſt es aber auch nöthig, daß Dasjenige, welches
|0541 : 527|
Die Condietionen. IX.
dem Andern zur Bereicherung diente, vorher ſchon wirk-
lich einmal zum Vermögen Deſſen gehört habe, welcher
darauf eine Condiction gründen will (e).
IX.
Ein fernerer Fall, worin die Anwendung einer con-
dictio keinem Zweifel unterliegt, iſt die alte literarum ob-
ligatio oder die expensilatio. Juſtinian weißt darauf
deutlich hin, indem er der an die Stelle derſelben, freylich
nicht ſehr paſſend, eingeſchobenen neuen literarum obliga-
tio gleichfalls die Wirkung einer condictio zuſchreibt, wo-
durch er offenbar eine gleiche Wirkung beider Rechtsinſti-
tute behaupten, und ſo den Rang rechtfertigen will, den
er dem neu erfundenen Inſtitut zuſchreibt (a). — Eben ſo
wird die expensilatio von Cicero mit dem Gelddarlehen
und der Stipulation in ſolcher Weiſe auf gleiche Linie ge-
ſtellt, daß er dieſen drey Rechtsgeſchäften die ausſchließende
Kraft zuſchreibt, eine certi petitio hervor zubringen, wel-
ches gerade dieſelbe Klage iſt, die in unſren Rechtsquellen
certi condictio genannt wird (b). — In einer anderen
Stelle erzählt Cicero die Geſchichte eines Kaufcontracts,
worin der Verkäufer den Käufer betrogen hatte. Dem
Käufer war hier nicht zu helfen, ſagt Cicero, weil damals
(e) L. 55 de cond. ind. (12.
6.), worin dieſer Gegenſatz beſon-
ders ſcharf hervorgehoben iſt; am
beſtimmteſten in den letzten Wor-
ten der Stelle.
(a) pr. J. de lit. oblig. (3. 21.).
„.. Sic fit, ut hodie .. scri-
ptura obligetur, et ex ea na-
scitur condictio …”
(b) Beylage XIII. Num. XI. a.
|0542 : 528|
Beylage XIV.
Aquillius noch nicht die doli actio eingeführt hatte. Man
begreift nicht, warum nicht dem Käufer ſchon durch
die bonae fidei Natur der actio emti (wenn er klagte)
oder venditi (wenn er verklagt wurde) geholfen werden
konnte. Allein Cicero ſagt, nachdem er den Kauf ſelbſt
erzählt hat: „Nomina facit, negotium conficit.” Nun
alſo wurde gegen den Käufer nicht mehr mit der actio
venditi, ſondern aus der Expenſilation, mit der Condiction
geklagt, und dieſe war stricti juris (b¹). — Endlich hat
ſich auch in den Digeſten eine unverkennbare Spur dieſer
Wirkung des alten Rechtsinſtituts erhalten (c).
Dieſer Fall nun ſcheint auf den erſten Blick mit dem
Darlehen, welches oben für die Grundlage der Condictio-
nen erklärt worden iſt, in gar keinem Zuſammenhang zu
ſtehen. Denn bey dem Darlehen verſchafft der Glaubiger
dem Schuldner Eigenthum einer Geldſumme, um künftig
an einer gleich großen Summe Eigenthum zurück zu be-
kommen; bey der expensilatio wird kein Eigenthum gege-
ben, kann alſo auch ein ſolches nicht zurück verlangt wer-
den, vielmehr iſt das künftig zu Leiſtende etwas ganz
(b¹) Cicero de officiis III. 14.
— Vgl. Beylage XIII. Num. XVI.
(c) L. 1 de ann. leg. (33.
1.). „Cum in annos singulos
quid legatum sit … sicuti ex
stipulatione, aut nomine
facto petatur.” Aus Stipu-
lationen und Legaten aber ent-
ſprangen unzweifelhaft Condictio-
nen. Die Erwähnung der alten
nomina in dieſer Stelle kann
übrigens nur als ein Verſehen
der Compilatoren angeſehen wer-
den. Vgl. auch die unten Num.
X. h. angeführte Stelle aus L. 3
§ 3 de Sc. Mac. (14. 6.).
|0543 : 529|
Die Condictionen. IX.
Neues, deſſen Nothwendigkeit blos auf dem in gewiſſer
Form ausgeſprochenen Willen der Parteyen beruht.
Und dennoch iſt gerade hier der innere Zuſammenhang
ganz unläugbar.
Gajus beſchreibt die expensilatio, als Entſtehungsform
einer beſonderen Art von Obligationen, alſo. Wenn ich
in meinem Hausbuch, welches alle meine Geldgeſchäfte
enthält (d), einem Anderen eine Summe Geldes als ex-
pensum, das heißt als an ihn gezahlt, eintrage, ſo liegt
dabey entweder ein wirkliches Darlehen zum Grunde oder
nicht. Im erſten Fall hat die Eintragung gar keine eigen-
thümliche Wirkung, vielmehr entſteht hier aus dem Dar-
lehen ſelbſt dieſelbe Obligation, die auch ohne Eintragung
entſtanden ſeyn würde (e). Anders im zweyten Fall, in
welchem die bloße Eintragung als ſolche, Entſtehungs-
grund einer ſelbſtſtändigen Obligation iſt, nämlich derſel-
ben ſchon oben nachgewieſenen condictio, die auch aus
dem Darlehen und aus der Stipulation entſteht (f). Die-
ſes geſchah nun zu zweyerley Zwecken. Erſtlich, um ir-
gend einer anderen Schuld, die aus Kauf, Miethe, So-
cietät u. ſ. w. entſtanden ſeyn mochte, dieſe ſtrengere Natur
mitzutheilen, oder mit anderen Worten, um die b. f. actio
(d) Vgl. über die alten Haus-
bücher (codices expensi, ac-
cepti) beſonders Cicero pro
Roscio Com. C. 2. 3. 5, in Ver-
rem I. 23. 36, pro Cluentio C.
14. 30. Eine genauere Darſtel-
lung dieſes Rechtsgeſchäfts ent-
hält: Savigny Literalcontract,
Memoiren der Berliner Akademie
vom J. 1816.
(e) Gajus III. § 131.
(f) Gajus III. § 128.
V. 34
|0544 : 530|
Beylage XIV.
in eine condictio umzuwandeln (g). Zweytens, um eine
Schuld von Einem Schuldner auf einen andern zu über-
tragen, indem alſo dem neuen Schuldner (mit deſſen Ein-
willigung) eine Summe Geldes als an ihn baar gezahlt,
eingetragen wird, die er in der That nicht empfangen
hat (h).
Was iſt nun das Weſentliche in dieſen Geſchäften, die
uns zunächſt als leere Formen erſcheinen? Hätte ich dem
Andern die Summe, die ich ihm blos als gegeben einge-
tragen habe, wirklich gegeben, und zwar nicht um zu
ſchenken, oder eine Schuld abzutragen, ſondern um eine
gleiche Summe von ihm künftig zu fordern, ſo würde das
Geſchäft unzweifelhaft ein Gelddarlehen geweſen ſeyn.
Indem nun das Geld nicht wirklich gegeben, ſondern nur
als gegeben eingetragen iſt, ſo liegt dem ganzen Hergang
die unzweifelhafte Abſicht zum Grunde,
irgend ein Rechtsverhältniß, durch den bloßen Wil-
len der Parteyen, ſo zu behandeln, als ob es ein
Gelddarlehen wäre.
Indem nun aber die eigenthümliche Wirkung der ex-
pensilatio eine condictio war, und dieſe Wirkung allein
das Intereſſe darbieten konnte, um deſſen Willen dieſer
künſtliche Weg eingeſchlagen wurde, ſo liegt hierin eine
(g) Gajus III. § 129. „A re
in personam transscriptio fit,
veluti si id, quod modo ex
emptionis causa, aut conductio-
nis, aut societatis mihi debeas,
id expensum tibi tulero.”
(h) Gajus III. § 130. „A per-
sona in personam transscriptio
fit, veluti si id, quod mihi Ti-
tius debet, tibi id expensum
tulero, id est si Titius te de-
legaverit mihi.”
|0545 : 531|
Die Condictionen. IX.
einleuchtende Beſtätigung der oben aufgeſtellten Behaup-
tung, daß das Darlehen recht eigentlich als Grund und
Bedingung einer anwendbaren Condiction angeſehen wer-
den muß.
Nach dieſer Entwicklung kann man die expensilatio
nicht treffender bezeichnen, als indem ſie ein fingirtes Geld-
darlehen nennt.
In Juſtinians Recht iſt die expensilatio verſchwun-
den, und wenn er ſcheinbar eine neue literarum ob-
ligatio (nämlich den gewöhnlichen Schuldſchein nach ver-
jährter exceptio non numeratae pecuniae) an ihre Stelle
ſetzt, und auch dieſer eine Condiction als Folge beylegt
(Note a), ſo darf Dieſes dennoch nicht als ein neues, die
Anwendung der Condictionen wirklich erweiterndes, Rechts-
inſtitut angeſehen werden. Denn in allen Fällen dieſer
Art iſt ohnehin von Anfang an eine Condiction (meiſt aus
einem Darlehen) vorhanden, und das Neue, welches aus
der eben erwähnten Verjährung folgt, betrifft nicht die
Natur der Rechtsverhältniſſe ſelbſt, ſondern nur den Be-
weis der ſtreitigen Thatſachen. Es wäre daher eine eben
ſo gezwungene, als unfruchtbare Anſicht, wenn man, von
jener Verjährung an, die alte Condiction (aus dem Dar-
lehen) als untergegangen, und eine neue (aus der Schrift)
als an ihre Stelle tretend, anſehen wollte. Eine ſo buch-
ſtäbliche Behandlung der Worte Juſtinians iſt überall nicht
zu rechtfertigen.
34*
|0546 : 532|
Beylage XIV.
X.
Noch wichtiger iſt die Stipulation, das heißt der auf
der Übereinſtimmung mündlicher Frage und Antwort be-
ruhende Vertrag, deſſen Anwendung das einzige allgemein
zureichende Mittel für die Römer war, jedem beliebigen
Stoff vollſtändige Wirkſamkeit vor Gericht zu verſchaffen
(Beyl. XIII. Num. XI.). Daß nun in der That jede Sti-
pulation eine Condiction zur Folge hatte, iſt unzweifel-
haft (a). Hierin ſcheint aber eine Widerlegung der oben
aufgeſtellten Grundanſicht für die Condictionen zu liegen,
indem die Stipulation auf eine verſprochene neue Leiſtung,
nicht auf ein Zurückgeben, gerichtet iſt, alſo gar keine
Analogie mit dem Darlehen zu haben ſcheint.
Dennoch halte ich auch hier denſelben Zuſammenhang
mit dem Darlehen für gewiß, welcher ſo eben für die lit-
terarum obligatio nachgewieſen worden iſt. Wie nämlich
dieſe letzte nichts Anderes iſt, als die freywillige ſchrift-
liche Unterwerfung unter die Folgen, die außerdem in
der Natur des Darlehens gegründet ſind, ſo iſt die Sti-
pulation eine freywillige mündliche Unterwerfung ganz
gleicher Art. Durch beide Handlungen wird alſo die dem
Darlehen natürliche Wirkung mit Willkühr und künſtlich
herbeygeführt, und man kann beide als die Fiction eines
(a) L. 9 § 3 L. 24 de R. C. (12.
1.), pr J. de V. O. (3. 15.). — Der
Einwurf, den man dagegen aus
dem Namen der actio ex stipu-
latu verſuchen möchte, wird weiter
unten beſeitigt werden.
|0547 : 533|
Die Condictionen. X.
Darlehens bezeichnen. Dieſe Behauptung iſt nunmehr zu
beweiſen.
Paulus ſagt in L. 2 § 5 de R. C. (12. 1.):
Verbis quoque credimus, quodam actu ad obligatio-
nem comparandam interposito, veluti stipulatione(b).
Dieſe Bemerkung ſteht am Ende einer Reihe von Be-
trachtungen (L. 1. 2 eod.) über den Begriff von Credere,
als Grundlage der Condictionen. Was heißt nun hier
verbis credimus? Man könnte es verſtehen von einem
allgemeinen Vertrauen in des Andern Zuverläſſigkeit, wel-
ches freylich bey keinem Vertrag gänzlich fehlen wird.
Allein dieſes allgemeine, unbeſtimmte Vertrauen findet ſich
ja auch bey dem Kauf und der Miethe, und doch heißt
es niemals: consensu credimus, ja es iſt Nichts gewiſſer,
als daß auf die Erfüllung dieſer Contracte keine Condic-
tionen möglich waren. Noch mehr perſönliches Vertrauen
findet ſich bey dem Depoſitum, und doch wird hier, ſo
lange nicht Conſumtion eintritt, die Condiction verſagt, ja
es heißt ausdrücklich: aliud est enim credere, aliud de-
ponere (Num. VI. a.). Alſo will offenbar Paulus der
Stipulation ein Credere im höheren Sinn, wodurch ſie
dem Darlehen verwandt, und von den Conſenſualcontrac-
ten unterſchieden wird, zuſchreiben; Dieſes iſt aber nur
(b) Neuerlich iſt folgende Er-
klärung dieſer Stelle verſucht wor-
den, die ich als gezwungen gänz-
lich verwerfen muß: das credere
ſey hier nicht die Handlung des
Stipulator, ſondern die des Pro-
missor, welcher ſich durch die
Stipulation zum Schuldner mache,
alſo dieſes nomen aus ſeinem
Vermögen weggebe, und dem Geg-
ner anvertraue. Liebe Stipula-
tion S. 364.
|0548 : 534|
Beylage XIV.
möglich unter Vorausſetzung der oben aufgeſtellten Be-
hauptung. Der Sinn der Stelle, welchen ich hier darzu-
legen geſucht habe, wird noch anſchaulicher, wenn man
ſich etwa den Verfaſſer in folgenden Worten fortfahrend
denkt: Literis quoque credimus, si id quod ex emptionis
causa, aut conductionis, aut societatis nobis debeatur,
expensum tulerimus (c).
Eine Beſtätigung erhält dieſe Erklärung durch folgende
von Scävola und Ulpian herrührende Stellen. Das Sc.
Macedonianum hatte wörtlich verordnet, es ſolle Keiner
eine Klage erhalten „qui filiofamilias mutuam pecuniam
dedisset” (d). Daraus hatten die Juriſten dieſe Regel
formulirt: „filiofamilias credi non licere.” Nun ſagt Scä-
vola, wenn die Stipulation noch während der väterlichen
Gewalt geſchloſſen, das Geld aber erſt nach deren Auflö-
ſung ausgezahlt werde, ſo ſey das Senatusconſult den-
noch nicht anwendbar, obgleich der in jener Regel vor-
kommende Ausdruck credi auch ſchon auf die Stipulation
bezogen werden könnte (e). — Daſſelbe ſagt, nur noch
ausführlicher, Ulpian (f), deſſen Stelle folgenden Gedan-
ken ausdrückt: Das Senatusconſult darf nicht angewen-
det werden auf Schulden überhaupt, wie Kauf oder Miethe;
(c) So lautet, mit Verände-
rung weniger Worte, Gajus III
§ 129.
(d) L. 1 pr. de Sc. Mac.
(14. 6.).
(e) L. 4 de Sc. Mac. (14. 6.).
„Quia, quod vulgo dicitur,
filiofamilias credi non licere,
non ad verba referendum est,
sed ad numerationem,” verbun-
den mit dem vorhergehenden L. 3
§ 5 eod.
(f) L. 3 § 3 de Sc. Mac.
(14. 6.).
|0549 : 535|
Die Condictionen. X.
ja nicht einmal auf alle Fälle, welche unter den wahren
Begriff des Credere fallen; vielmehr erkannte der Senat
nur in dem den Söhnen gegebenen baaren Geld eine Ge-
fahr für das Leben der Väter (g). Wenn daher eine durch
Kauf entſtandene Schuld des Sohnes vermittelſt einer ex-
pensilatio in ein creditum verwandelt wird, ſo iſt das
Senatusconſult dennoch nicht anwendbar, und eben ſo
wenn dieſe Verwandlung durch eine Stipulation ge-
ſchieht (h); denn obgleich in dieſen beiden Fällen eine
wahre Darlehensſchuld entſteht, ſo geſchieht es
doch nicht durch gegenwärtige Baarzahlung (i), welches
Geſchäft allein dem Senat ſo gefährlich erſchien.
Daß die Handlung des Stipulator ein wahres Credere,
im techniſchen Sinn des Worts, war, ſagt auch unmittel-
bar Quinctilian (k), und indirect Gajus; denn Dieſer er-
wähnt die stipulatio tertiae partis bey der Klage de pe-
cunia certa credita (l); wir wiſſen aber aus Cicero, daß
dieſe Sponſion die drey Fälle, adnumeratio, expensilatio,
(g) „nam pecuniae datio per-
niciosa parentibus eorum visa
est.”
(h) „et ideo et si in credi-
tum abii filiofamilias vel ex
causa emptionis, vel ex alio
contractu in quo pecuniam non
numeravi, et si stipulatus sim
… cessat Senatusconsultum.”
(i) „licet coeperit esse mutua
pecunia, tamen quia pecuniae
numer atio non concurrit, ces-
sat Senatusconsultum.
(k) Quinctilian. Lib. 4 C. 2
p. 319 ed. Burmann. „certam
creditam pecuniam peto ex
stipulatione.” Über die verſchie-
dene Art, wie hierbey die Formel
gefaßt ſeyn konnte, ſ. u. Num.
XXXII.
(l) Gajus IV. § 171 „ex qui-
busdam causis sponsionem fa-
cere permittit, velut de pecu-
nia certa credita … sed cer-
tae quidem creditae pecuniae
tertiae partis.” Vgl. IV. § 13.
|0550 : 536|
Beylage XIV.
stipulatio, gleichmäßig umfaßte (m), welche alſo insgeſammt
unter dem Ausdruck credita pecunia verſtanden waren. —
In einer anderen Stelle (III. § 124) ſagt derſelbe Gajus,
eine L. Cornelia verbiete höhere Bürgſchaften als auf 20000
Seſterze: „vetatur in ampliorem summam obligari credi-
tae pecuniae, quam in XX. milium.” Zur Erläuterung
dieſes Verbots macht er zwey Bemerkungen. Erſtlich:
„pecuniam autem creditam dicimus non solum eam, quam
credendi causa damus, sed omnem, quam certum est de-
bitum iri,” und namentlich gehöre alſo dahin auch die
durch Stipulation verſprochene pecunia. Zweytens:
„Appellatione autem pecuniae omnes res in ea lege si-
gnificantur;” als Beyſpiele giebt er an: Wein, Weizen,
ein Grundſtück, ein Sklave. Hier iſt nun ganz augen-
ſcheinlich, daß er die ausgedehnte Bedeutung von pecunia
als eigenthümlichen Sprachgebrauch dieſes Geſetzes an-
giebt, dagegen die Bedeutung von credere, da es nicht
auf das bloße Geben beſchränkt iſt, ſondern die Stipula-
tion mit umfaßt, als den regelmäßigen juriſtiſchen Sprach-
gebrauch.
Durch die hier nachgewieſene Bedeutung des Ausdrucks
credere erhalten ein ganz eigenthümliches Licht Zwey
Stellen der Lex Galliae cisalpinae Cap. XXI. XXII., in
welchen zuerſt die Rede iſt von der pecunia certa credita
signata forma publica populi Romani, und nachher von:
quid praeter pecuniam certam creditam signatam forma
(m) Cicero pro Roscio Comoedo C. 4. 5.
|0551 : 537|
Die Condictionen. X.
publica populi Romani. Wäre blos geſagt worden: pe-
cunia certa credita, ſo hätte darunter, nach den ſo eben
angeführten Stellen, auch jede aus Expenſilation oder
Stipulation entſtandene Geldſchuld verſtanden werden müſ-
ſen. Die Abſicht gieng aber dahin, lediglich die aus einem
Darlehen in baarem, gemünztem Geld entſtandene Schuld
von allen übrigen Forderungen in der Behandlung zu un-
terſcheiden, und dieſe Abſicht wurde durch die hinzugefüg-
ten Worte ausgedrückt, in welchen der Gedanke auf das
ſinnlich wahrnehmbare Object, das der Obligation zum
Grunde liegt, gelenkt wird. Das Bedürfniß einer ſo um-
ſtändlichen Bezeichnung zeigt deutlich, daß die techniſche
Bedeutung des Ausdrucks credita pecunia umfaſſender war,
als der hier ausſchließend gemeynte Fall. Der hier ge-
wählte Zuſatz hatte alſo denſelben Zweck wie der Ausdruck
adnumerata pecunia bey Cicero, im Gegenſatz der ex-
pensa lata und stipulata, welcher von ihm abſichtlich an-
ſtatt des Ausdrucks credita gewählt war.
Ja ſogar der öfter vorkommende Ausdruck pecunia certa
credita kann ſchon zum Beweiſe dienen, daß unter credita pe-
cunia neben dem Darlehen auch zugleich die Stipulation ver-
ſtanden werden muß. Bey dem Darlehen allein wäre jener
Ausdruck völlig pleonaſtiſch, da das geliehene Geld ſtets
eine gewiſſe Summe iſt (n). Der Zuſatz certa bekommt
(n) Man wende nicht ein, daß
im Vertrauen auf die Redlichkeit
des Empfängers auch ungezähltes
Geld ausgeliehen werden könne.
Kann der Creditor gar keine Sum-
me angeben, auch nicht einmal als
|0552 : 538|
Beylage XIV.
nur Bedeutung durch die Beziehung auf die Stipulation,
da dieſe bald certa, bald incerta pecunia zum Gegenſtand
haben kann.
Einige andere Beſtätigungen der hier aufgeſtellten An-
ſicht von der Stipulation will ich nur kurz andeuten, da
ich ſie ſchon an einem andern Ort weiter ausgeführt
habe (o). Die älteſte und wahrſcheinlichſte Etymologie
von Stipulatio iſt die von Stips, Geld (p), ſo daß Stipu-
latio wörtlich ein Geldgeſchäft heißt, welches ſich unge-
zwungen nur dann rechtfertigen läßt, wenn man in ihr
zugleich die Fiction einer durch Gelddarlehen entſtandenen
Verpflichtung anerkennt. — Damit ſtimmt aber auch ganz
beſonders die wahrſcheinliche Entſtehung der Stipulation
zuſammen. Die Zwölf Tafeln hatten im Allgemeinen dem
Nexum eine bindende Kraft beygelegt, und damit die nexi
obligatio begründet, welche nichts Anderes war, als ein
ſymboliſches Gelddarlehen, wie die Mancipation ein ſym-
boliſcher Kauf, beide mit ſcheinbar zugewogenem Geld.
Als ſpäter die nexi obligatio durch die Lex Poetelia ab-
geſchafft wurde, und doch eine allgemeine Contractsform
nicht entbehrt werden konnte, ließ man aus der nexi ob-
ligatio die ſymboliſche Handlung weg, behielt aber die
mündliche Frage und Antwort bey. Das ſo entſtandene
ein Minimum, ſo hat er keine
Klage, und muß ſich mit dem Er-
folg ſeines Vertrauens begnügen.
(o) Savigny über das alt-
römiſche Schuldrecht, Abhandlun-
gen der Berliner Akademie von
1833.
(p) Varro de lingua lat. Lib.
5 § 36, Festus v. stipem.
|0553 : 539|
Die Condictionen. X.
Geſchäft war die Stipulation, deren juriſtiſcher Character
nun durch ihren Urſprung beſtimmt wurde. Daher er-
ſcheint ſie als ein dem Darlehen verwandtes, aus ihm
entſprungenes, Geſchäft, und ſie hat mit demſelben die Er-
zeugung der Condiction eben ſo gemein, wie die expensi-
latio. Eine nicht undeutliche Hinweiſung auf dieſen hiſto-
riſchen Zuſammenhang der Stipulation, und dieſen Grund
des in ihr enthaltenen credere, finde ich in den Worten
der oben abgedruckten L. 2 § 5 de R. C. „quodam actu
ad obligationem comparandam interposito, veluti stipula-
tione.” Die allgemein lautenden Worte quodam actu, ſo
wie das verbindende veluti, weiſen darauf hin, daß die
Stipulation nicht der einzige Fall dieſer Art war, dann
aber bleibt uns neben derſelben kein anderer Fall voraus-
zuſetzen übrig, als die alte nexi obligatio, von deren Auf-
hebung wir beſtimmte Nachricht haben, und die in der ur-
ſprünglichen Stelle des Paulus (ehe ſie unter die Hände
der Compilatoren kam) noch deutlicher bezeichnet geweſen
ſeyn mag.
Mit dem hier dargeſtellten hiſtoriſchen Zuſammenhang
iſt aber noch ein zweyter wohl vereinbar. Es iſt möglich,
daß ſchon vor der L. Poetelia die eben beſchriebene Um-
bildung der nexi obligatio in die Stipulation, zum Ge-
brauch der Peregrinen in Rom, vorgenommen wurde.
War Dieſes der Fall, ſo hatte die L. Poetelia, indem ſie
für die Römer die nexi obligatio aufhob, blos die Folge,
daß die bisher von den Peregrinen angewendete freyere
|0554 : 540|
Beylage XIV.
Geſchäftsform nun auch von den Römern angenommen
wurde. Das Andenken der alten Verſchiedenheit erhielt
ſich in der ſtets fortdauernden Regel, daß die Formel
dari spondes? spondeo nur von Römiſchen Bürgern an-
gewendet werden könne (q).
XI.
Endlich findet ſich noch eine, von den bisher erklärten
ganz verſchiedene, Veranlaſſung der Condiction in dem le-
gatum per damnationem. Daß hier in der That eine
Condiction zuläſſig war, iſt nach mehreren Stellen un-
zweifelhaft (a). Eben dahin deutet die ſehr häufige Ver-
bindung, worin die Klagen aus einer Stipulation und
aus einem Teſtament neben einander genannt werden (b).
Auch dieſe Anwendung ſcheint wiederum der oben auf-
geſtellten Grundlage der Condictionen zu widerſprechen,
da der Legatar keinesweges Dasjenige, Was er früher
gehabt hat, wieder bekommen, ſondern vielmehr etwas
ganz Neues erwerben will. Allein dieſer Einwurf läßt
ſich auf ähnliche Weiſe, wie der aus der Stipulation ent-
(q) Gajus III. § 93.
(a) L. 9 § 1 de R. C. (12. 1.)
„Competit haec actio (nämlich
die certi condictio) etiam
ex legati causa.” — Gajus II.
§ 204 „legatarius in personam
agere debet, id est intendere,
heredem sibi dare oportere;”
daß Dieſes eine Haupiform der
Condiction war, wird noch unten
gezeigt werden.
(b) L. 23 de V. O. (45. 1.),
L. 6 de in litem jur. (12. 3.),
L. 27 de solut. (46. 3.) u. ſ. w.
Vgl. Gans Obligationenrecht
S. 31.
|0555 : 541|
Die Condictionen. XI.
nommene, und vielleicht ſelbſt mit noch größerer Entſchie-
denheit, beſeitigen.
Die Grundlage des alten Civilteſtaments war das
Nexum, und aus ihm war die Kraft jeder im Teſtament
enthaltenen Beſtimmung abzuleiten. Der Erbe wurde da-
her angeſehen, als hätte er durch nexi obligatio contra-
hirt, und indem der Legatar aus dieſem, auch für ihn ge-
ſchloſſenen, Contract klagte, mußte ſeine Klage, eben ſo
wie die aus einer Stipulation entſpringende, die Natur
einer Darlehensklage, alſo einer Condiction, annehmen.
Dieſer Zuſammenhang läßt ſich hier ſogar unmittelbar
nachweiſen. Die nexi liberatio war die Auflöſung einer
durch nexi obligatio gegründeten Verpflichtung (c). Nun
aber war für den Legatar, der den Erben von einem dam-
nationis legatum frey geben wollte, die nexi liberatio die
eigentliche Rechtsform (d); daher mußte auch die ur-
ſprüngliche Verpflichtung des Erben gegen ihn auf einer
nexi obligatio beruht haben.
Allerdings paßt nun dieſe Herleitung der aus den Le-
gaten entſpringenden Condictionen unmittelbar nur auf
das Civilteſtament, und doch haben wir keinen Grund, bey
prätoriſchen Teſtamenten die Zuläſſigkeit jener Condic-
tion in Zweifel zu ziehen. Allein auch in anderen Stü-
(c) Gajus III. § 173.
(d) Gajus III. § 175. Nach
dieſer Stelle war es ſtreitig, in
welchen Fällen des Legats die
nexi liberatio anwendbar ſey;
vielleicht bezog ſich dieſer Streit
auch auf die Natur der anzuwen-
denden Condictionen (certi oder
incerti).
|0556 : 542|
Beylage XIV.
cken wurden die aus der Natur des Civilteſtaments ent-
ſprungenen Rechtsregeln ohne Weiteres auf das präto-
riſche Teſtament übertragen; ſo namentlich die Nothwen-
digkeit der testamenti factio in der Perſon des Teſtators,
des Erben, der Legatare, und der Zeugen, obgleich dieſe
urſprünglich auch nur in der Form der Mancipation ihren
Grund hatte.
XII.
Die bisher dargeſtellten Fälle der Anwendung ſind ins-
geſammt auf das allgemeine Princip der Condictionen zu-
rückgeführt worden. Es bleiben jetzt noch Zwey Fälle
übrig, die von dieſem Princip nicht abzuleiten ſind, und
daher als Anomalieen angeſehen werden müſſen. Der
ſehr geringe Umfang der darin enthaltenen Abweichungen
würde allein ſchon den Zweifel beſeitigen, der hieraus ge-
gen die Richtigkeit des Princips ſelbſt erhoben werden
könnte; es kommt aber hinzu, daß in dem wichtigſten die-
ſer Fälle die Ausnahmenatur von den Römern ſelbſt aus-
drücklich anerkannt wird, wodurch derſelbe vielmehr zur
Beſtätigung als zur Widerlegung des Princips dient.
Dieſe beiden Fälle ſind die condictio ex lege und die con-
dictio furtiva.
Die Natur der condictio ex lege wird von den Rö-
mern ſelbſt ſo angegeben:
L. 1 de cond. ex lege (13. 2.). (Paulus.)
Si obligatio lege nova introducta sit, nec cautum
|0557 : 543|
Die Condictionen. XII.
eadem lege quo genere actionis experiamur, ex
lege agendum est.
Die letzten Worte ſprechen freylich nicht ausdrücklich
von einer Condiction; in Verbindung mit der Überſchrift
des Titels muß aber unzweifelhaft eine ſolche Klage un-
ter den Worten agendum est verſtanden werden.
Es iſt nicht zu ſagen, welcher Misbrauch von manchen
neueren Schriftſtellern mit dieſem Namen getrieben wor-
den iſt. Wo man nur ein Klagrecht fand, das man nicht
auf anerkannte Rechtsregeln zurück zu führen wußte, theilte
man ihm jenen Namen mit, und ſetzte etwa die Zahl und
Rubrik der Digeſtenſtelle bey, woraus das Daſeyn des
Klagrechts bewieſen werden ſollte (a). Es war nun ein
höchſt bequemer Name geworden, um alle Klagen zu be-
zeichnen, wofür man gerade keinen anderen Namen kannte,
und es war ganz conſequent, dieſen Namen mit dem der
actio in factum abwechſlend zu gebrauchen (b), obgleich
kaum im ganzen Römiſchen Recht ein ſtärkerer Wider-
ſpruch zu finden iſt, als zwiſchen dieſen beiden Arten von
Klagen. Indem man dieſe Bequemlichkeit auf neueres
Recht übertrug, ſprach man auch von einer condictio ex
canone, ex statuto, ex moribus. — Es wird jetzt kaum
mehr nöthig ſeyn zu bemerken, daß Paulus nur an Kla-
gen aus Volksſchlüſſen dachte, alſo nicht an ſolche, die
(a) So z. B. condictio ex L.
32 de reb. cred., auch wohl
condictio Juventiana genannt.
Vgl. oben B. 3 § 136. f.
(b) Glück B. 13 S. 238.
|0558 : 544|
Beylage XIV.
aus dem Edict oder durch die fortbildende Interpretation der
Juriſten entſtanden waren; dagegen iſt es ganz in ſeinem
Sinn, wenn wir auch diejenigen Klagen mit hinzu rech-
nen, die erſt nach der Zeit des Paulus durch kaiſerliche
Edicte eingeführt wurden, und es wird ſich ſogleich zeigen,
daß Juſtinian dieſe Conſequenz in mehreren Fällen aus-
drücklich anerkannt hat.
XIII.
Paulus verlangt aber ferner zur Anwendung der con-
dictio ex lege, daß die Klage lege nova eingeführt ſey;
welches iſt nun hier die Gränze der alten und neuen leges,
und worin liegt der Grund dieſer Einſchränkung?
Manche haben geſagt, Paulus meyne alle Volksſchlüſſe,
die nach den Zwölf Tafeln erlaſſen waren (a); dann wä-
ren ausgeſchloſſen die in den Zwölf Tafeln eingeführten
furti actiones, dagegen müßte die actio L. Aquiliae eine
condictio ex lege genannt werden, die doch durchaus keine
Condiction war, welches unten dargethan werden wird (b).
Paulus dachte ohne Zweifel an die wichtige Veränderung,
die in Folge der L. Aebutia vorgegangen war, indem da-
(a) Glück B. 13 S. 252.
(b) Ich darf kaum erwarten,
daß Jemand die Einwendung ver-
ſuchen möge, die L. Aquilia gebe
deswegen nicht Veranlaſſung zu
einer condictio ex lege, weil ſie
ja das anzuwendende genus ac-
tionis ausdrücklich beſtimmt habe,
nämlich eben die bekannte actio
Legis Aquiliae. Wenn Dieſes
als Beſtimmung des genus actio-
nis gelten dürfte, ſo wäre, nach
der Angabe des Paulus, überhaupt
keine condictio ex lege möglich
geweſen, da es keinen Römiſchen
Volksſchluß gab, der nicht mit
einem ſolchen perſönlichen Namen
hätte bezeichnet werden können.
|0559 : 545|
Die Condictionen. XIII.
mals durch das Edict des Prätors für alle gangbare Kla-
gen eigene formulae aufgeſtellt wurden. Solche formulae
waren nun gewiß für alle aus früheren Volksſchlüſſen ent-
ſpringende Klagen gegeben; wenn aber nachher ein Volks-
ſchluß eine neue Klage einführte, ohne ihr zugleich eine
Klagform anzuweiſen, ſo gab man ihr ohne Weiteres die
condictio ex lege, das heißt die Intentio: dare (oder dare
facere) oportere, ohne Rückſicht darauf, ob das allgemeine
Condictionenprincip dieſe Anwendung rechtfertigte oder
nicht. Dem Princip nach konnte nur in der oben ent-
wickelten Reihe von Fällen ein oportere, das heißt das
Daſeyn einer wahren Obligation nach jus civile, behaup-
tet werden; allein wenn ein Volksſchluß (oder ſpäterhin
ein Kaiſergeſetz) eine ſolche Obligation neu einführte, ſo
war natürlich ihr Daſeyn nicht weniger gewiß, als wenn
ſie aus jenem Princip hätte abgeleitet werden können.
Hierin liegt der Erklärungsgrund der Anomalieen, die
etwa in der Anwendung der condictio ex lege wahrge-
nommen werden mögen. Welchen ſparſamen Gebrauch
die Römer davon gemacht haben, wird ſich gleich zeigen.
Die eben verſuchte chronologiſche Beſtimmung führt
nun allerdings nicht weit, da wir das Jahr der L. Aebu-
tia eben ſo wenig kennen, als das der meiſten älteren
Volksſchlüſſe.
Ich will jetzt die wenigen ſicheren Anwendungen der
condictio ex lege angeben.
Nur ein einziger Volksſchluß kann dahin gerechnet wer-
V. 35
|0560 : 546|
Beylage XIV.
den. Nach der L. Julia de adulteriis ſollte, im Fall der
Freyſprechung, dem Eigenthümer der durch die Folter ge-
tödteten oder beſchädigten Sklaven Erſatz gegeben wer-
den; wenn der Sklave blos Zeuge war, einfacher Erſatz,
wenn er ſelbſt des Ehebruchs beſchuldigt war, doppelter
Erſatz. Dabey wird ausdrücklich hinzugeſetzt: per con-
dictionem quae ex lege descendit (c). Dieſe Anwendung
der Condictionen liegt völlig außer dem Condictionenprin-
cip, da der Werth des verletzten Sklaven gar nicht in
das Vermögen Desjenigen gekommen war, welcher jetzt
den einfachen oder doppelten Erſatz leiſten ſollte.
Wenn ein Kläger ſeine Forderung übertreibt, und da-
durch dem Beklagten unnöthige Prozeßkoſten zuzieht, ſo
ſoll er nicht nur Entſchädigung zahlen, ſondern auch noch
die zweyfache Summe derſelben als Strafe zulegen, und
bey dieſer Vorſchrift Juſtinians heißt es ausdrücklich: ex
lege condicticiam emanare (d). Auch dieſe Klage liegt
ganz außer dem Princip der Condictionen.
Ein ähnlicher Ausdruck wird gebraucht, wenn der Klä-
ger mit der hereditatis petitio abgewieſen wird, nachdem
er vorher Erbſchaftsſchulden aus ſeinem Vermögen ausbe-
zahlt hatte. Dieſe ſoll er von dem wahren Erben (gegen
welchen er ohne Erfolg geklagt hatte) wieder fordern kön-
nen „negotiorum gestorum, vel ex lege condictione” (e).
(c) L. 27 § 15, 16 L. 28 ad
L. J. de adult. (48. 5.).
(d) § 24 J. de act. (4. 6.).
(e) L. 12 § 1 in f. C. de pet.
hered. (3. 31.). — Außerdem kann
ohne Zweifel der abgewieſene Klä-
ger die gezahlte Summe von dem
Empfänger zurück fordern mit der
|0561 : 547|
Die Condictionen. XIV.
Hier möchte jedoch die gewöhnliche condictio sine causa
ausreichen, da unſtreitig der wahre Erbe den Werth die-
ſes ausgelegten Geldes in ſein Vermögen bekommen hat,
ſo daß in dieſer Stelle der Name unrichtig angewendet
zu ſeyn ſcheint.
Kein Bedenken hat ferner die Anwendung der con-
dictio ex lege, wenn durch nudum pactum, ohne Stipu-
lation, entweder eine Dos verſprochen wird (f), oder eine
Schenkung (g). Für beide Fälle nämlich ſind durch die
hier angeführten Kaiſergeſetze Klagen neu eingeführt wor-
den, die ſich auf das allgemeine Condictionenprincip nicht
zurückführen laſſen, und es iſt ganz zufällig, daß der Name
condictio ex lege in dieſen Stellen nicht gebraucht wird.
Eben ſo iſt die Klage, womit die Schenkung wegen
Undankbarkeit des Beſchenkten zurückgefordert wird, als
eine condictio ex lege anzuſehen. (Syſtem § 169.)
XIV.
Für ungewiß halte ich die Anwendung der condictio
ex lege bey der Klage ex lege Cornelia de injuriis (a);
wir wiſſen nämlich nicht, ob dieſer Volksſchluß in dem
condictio indebiti, welches hier
nur nicht erwähnt iſt, und in welchem
Fall der wahre Erbe gar nicht
befreyt wird (L. 19 § 1 de cond.
indeb. 12. 6.). Es wird alſo hier
vorausgeſetzt, daß es der Zahlende
vorzieht, die Zahlung als gültig
anzuerkennen, und ſeinen Regreß
an den wahren Erben zn nehmen.
(f) L. 6 C. de dotis promiss.
(5. 12.).
(g) L. 35 § 5 C. de don. (8.
54.). Vgl. oben B. 4 § 169.
S. 231.
(a) L. 5 de injur. (47. 10.).
35*
|0562 : 548|
Beylage XIV.
oben beſtimmten Sinn eine lex nova war (welches ich je-
doch für wahrſcheinlich halte), und eben ſo wenig, ob er
nicht das genus actionis ſelbſt beſtimmt hatte.
In folgenden Fällen endlich halte ich die Anwendung
der condictio ex lege entſchieden für verwerflich.
Zuerſt bey dem damnationis legatum. Die hier un-
ſtreitig geltende Condiction (Num. XI.) könnte man für
eine condictio ex lege XII. tabularum halten, um dadurch
die oben verſuchte, vielleicht zu künſtlich ſcheinende, Erklä-
rung der Condiction des Legatars zu beſeitigen, wenn ir-
gend ein Sprachgebrauch denkbar wäre, nach welchem
jenes Geſetz als lex nova bezeichnet werden könnte.
Ferner konnte Derjenige, welcher ſich gegen die Vor-
ſchriften der L. Cincia verpflichtet, und hieraus gezahlt
hatte, das gezahlte Geld zurück fordern, und zwar ohne
Zweifel mit einer Condiction (b); dennoch halte ich die An-
wendung einer condictio ex lege Cincia für ungegründet.
Zwar ob das erwähnte Geſetz als eine lex nova in dem
oben beſtimmten Sinn bezeichnet werden konnte, will ich
dahin geſtellt ſeyn laſſen; allein in jenem Fall möchte wohl
die condictio sine causa, oder ob injustam causam, alſo
das gewöhnliche Condictionenprincip, ausgereicht haben,
ſo daß zur Ergänzung durch die condictio ex lege kein
Bedürfniß vorhanden war.
Endlich, was wichtiger iſt, darf durchaus nicht die
actio L. Aquiliae für eine condictio ex lege, oder über-
(b) Vatic. Fragm. § 266. S. o. Syſtem B. 4 § 165. d1.
|0563 : 549|
Die Condictionen. XIV.
haupt für eine Condiction, gehalten werden (vgl. Num. XX).
Schon eine lex nova im Sinn des Paulus dürfte die
L. Aquilia ſchwerlich geweſen ſeyn, doch läßt ſich darüber
Nichts unmittelbar beweiſen, da wir über ihr Zeitalter
faſt gar Nichts wiſſen; aber daß ſie keine Condiction war,
muß jedem Unbefangenen einleuchten, der die Digeſtentitel
de condictione furtiva und ad Legem Aquiliam hinter ein-
ander durchlieſt; denn dort iſt faſt in jeder Stelle von
condictio und condicere die Rede, hier in keiner einzigen
Stelle, ſo oft auch die Klagen in den verſchiedenſten
Wendungen und Modificationen erwähnt werden. Die-
ſelbe durchgeführte Verſchiedenheit des Ausdrucks, die hier
bey der Vergleichung ganzer Titel zur unverkennbaren
Anſchauung kommt, findet ſich kürzer zuſammen gedrängt
in einer einzelnen Stelle, worin beide Klagen mit einander
verglichen werden (c).
Ein ſehr ſcheinbarer Zweifel allerdings könnte herge-
nommen werden aus einer in einem andern Digeſtentitel
befindlichen Stelle (d), worin von der certi condictio, das
heißt von der auf eine beſtimmte Geldſumme gerichteten
Condiction, geradezu geſagt wird:
Competit haec actio etiam ex legati causa, et ex
lege Aquilia.
(c) L. 2 § 3 de priv. delictis
(47. 1.). „Quaesitum est, si
condictus fuerit ex causa fur-
tiva, an nihilo minus L. Aqui-
lia agi possit. Et scripsit Pom-
ponius, agi posse, quia alte-
rius aestimationis est L. Aqui-
liae actio, alterius condictio ex
causa furtiva” etc.
(d) L. 9 § 1 de R. C. (12. 1.).
|0564 : 550|
Beylage XIV.
Der Fall der Anwendung wird nicht hinzugeſetzt, und
wir haben daher einen ſolchen Fall aufzuſuchen, aus wel-
chem ſich einestheils die Anwendung der Condiction nach
unſrem Condictionenprincip, anderntheils die ſo äußerſt
ſeltene Erwähnung derſelben, befriedigend erklärt.
Das Weſen des damnum injuria datum beſteht darin,
daß der Beſchädigte durch die verletzende Handlung eines
Andern ärmer wird; gewöhnlich gewinnt dabey der Ver-
letzer gar Nichts, zuweilen jedoch geſchieht Dieſes aller-
dings, und dann hat dieſer hinzutretende ſeltene Umſtand
manche eigenthümliche Folgen (e). Unter dieſe beſonderen
Folgen kann denn auch die Entſtehung einer Condiction
neben der actio L. Aquiliae gehören, die dem juriſtiſchen
Entſtehungsgrund nach von ihr ganz verſchieden iſt, den
Erfolg aber (die Entſchädigung) mit ihr großentheils ge-
mein hat. Wenn z. B. mein Schuldner den von ihm aus-
geſtellten Schuldſchein über geliehenes baares Geld zer-
ſtört, und mir dadurch den Verluſt der Schuldklage zu-
zieht, ſo habe ich gegen ihn wegen der Zerſtörung die
actio L. Aquiliae (f), wegen ſeiner Bereicherung eine con-
dictio sine causa, die hier allerdings eine certi condictio
ſeyn wird. Eben ſo, wenn mein adstipulator den Schuld-
ner eigenmächtig von der Schuld befreyte, ſo hatte ich
wegen dieſer Beſchädigung gegen ihn eine actio L. Aqui-
(e) L. 23 § 8 ad L. Aquil.
(9. 2.), vgl. Syſtem § 212. g.
(f) L. 40. 41. 42 ad L. Aquil.
(9. 2.), L. 27 § 3 L. 3 § 1 de
furtis (47. 2.).
|0565 : 551|
Die Condictionen. XV.
liae (g); wenn er ſich ſelbſt aber dadurch bereicherte,
z. B. indem er nachher des Schuldners Erbe wurde, ſo
hatte ich wegen dieſer Bereicherung gegen ihn gleichfalls
eine certi condictio sine causa auf die Summe der mir
entzogenen Forderung (h). Gerade daß dieſe Fälle ſo
ſelten und verwickelt ſind, paßt vollkommen zu dem ſonſt
räthſelhaften Umſtand, daß die Condiction hier zwar als
unzweifelhaft erwähnt wird, aber nur ein einzigesmal im
ganzen Umfang unſrer Rechtsquellen, und nur ganz bey-
läufig bey der certi condictio, um die große Mannich-
faltigkeit der Fälle bemerklich zu machen, welche zu dieſer
Klage Anlaß geben können.
Es tritt alſo hier ein ganz ähnliches Verhältniß ein
wie bey dem Diebſtahl. Dieſer erzeugt zwey ganz ver-
ſchiedenartige Klagen: aus dem Delict entſteht die furti
actio, aus der grundloſen Bereicherung die condictio fur-
tiva, welches Verhältniß durch die gleich folgende Be-
trachtung deutlicher hervor treten wird. Der Unterſchied
liegt nur darin, daß bey dem damnum die Bereicherung
äußerſt ſelten, bey dem Diebſtahl dagegen jedesmal eintritt.
XV.
Es bleibt nun noch übrig, die condictio furtiva zu be-
trachten, als die zweyte unter den Klagen, welche von
der regelmäßigen Natur der Condictionen abweichen (Num.
(g) Gajus III. § 215. 216.
(h) Dieſen Fall bezieht hierauf
richtig Heffter Observ. in Gajum
L. 4 p. 66.
|0566 : 552|
Beylage XIV.
XII.). Die genaueſte und häufigſte Bezeichnung derſelben
iſt condictio ex causa furtiva (a); der Name condictio
furtiva findet ſich weit ſeltener (b), und iſt eigentlich nur
eine bequeme Abkürzung jenes erſten Ausdrucks.
Es würde ganz unrichtig ſeyn, wenn man das Daſeyn
dieſer Klage überhaupt, ſo wie die häufigſten Anwendun-
gen derſelben, als Abweichung von dem allgemeinen Con-
dictionenprincip halten wollte. Wenn der Dieb geſtohlenes
Geld in ſeinen Nutzen verwendet, oder den geſtohlenen
Weizen aufzehrt, ſo bereichert er ſich ohne Rechtsgrund
auf Koſten des Beſtohlenen, der ſein Eigenthum durch Zer-
ſtörung der Sache verliert, und für Fälle dieſer Art iſt
die allgemeine condictio sine causa völlig ausreichend
(Num. VIII.). Selbſt wenn der Dieb die Sache wieder
verliert, iſt er zwar ohne Bereicherung dennoch verpflichtet,
aber Dieſes iſt nur eine Folge der den Diebſtahl ſtets be-
gleitenden Mora (c), enthält alſo keine Abweichung von
den für die condictio sine causa als ſolche geltenden
Rechtsregeln.
So iſt alſo dieſe Klage eigentlich nur eine einzelne
Anwendung der condictio sine causa, und ſie würde über-
(a) L. 2, 3, 5, 8 § 1, 9, 16,
18 de cond. furt. (13. 1.), L. 2
§ 3 de priv. del. (47. 1.), und
viele andere Stellen.
(b) Der Ausdruck kommt vor in
der Titelrubrik der Digeſten (13.
1.) und des Codex (4. 8.), ferner
in L. 3 § 2, L. 21 § 5 rer. amot.
(25. 2.), vielleicht auch ſonſt noch,
aber gewiß nicht häufig. In der
zuletzt angeführten Stelle iſt noch
die Leſeart zweifelhaft, da die Vul-
gata lieſt: ex causa furtiva.
(c) L. 17, 20, 8 pr. de cond.
furt. (13. 1.).
|0567 : 553|
Die Condictionen. XV.
haupt nicht als eine beſondere Klage behandelt, und mit
einem eigenen Namen belegt worden ſeyn, wenn nicht fol-
gender Umſtand dieſe Behandlung nöthig gemacht hätte.
Das Bedürfniß und die Möglichkeit der Condiction iſt nach
allgemeinen Regeln dadurch bedingt, daß der Beklagte
nicht mehr die Sache ſelbſt beſitzt, weil außerdem die Vin-
dication ausreicht, und das dare, als Gegenſtand der Con-
diction, unmöglich iſt. (Num. V.) Eigentlich alſo müßte
der Beſtohlene zuerſt genau unterſuchen, ob das geſtohlene
Geld noch unvermiſcht vorhanden iſt, und wenn er es
hierin verſieht, ſo wird er wegen der unrichtig gewählten
Klage abgewieſen werden; ja die größte Vorſicht kann
ihn hierin nicht ſichern, da es in der Willkühr des Diebes
ſteht, das Geld noch jetzt augenblicklich auszugeben oder
mit anderem Geld zu vermiſchen. Da es nun ſehr billig
iſt, den Beſtohlenen, dem Diebe gegenüber, von dieſer
Verlegenheit und Gefahr zu befreyen, ſo iſt für dieſen
Fall, ausnahmsweiſe, die Condiction geſtattet worden,
auch wenn die Sache noch vorhanden iſt, ſo daß deshalb
auch die Vindication möglich geweſen wäre (d). In dieſer
(d) Gajus IV. § 4. „… certum
est, non posse nos rem nostram
ab alio ita petere: si paret
eum dare oportere, nec enim,
quod nostrum est, nobis dari
potest … Plane odio furum,
quo magis pluribus actionibus
teneantur, effectum est, ut …
ex hac actione etiam tenean-
tur: si paret eos dare opor-
tere: quamvis sit etiam ad-
versus eos haec actio, qua rem
nostram esse petimus.” § 14
J. de act. (4. 6.), L 1 § 1 de
cond. trit. (13. 3.). — Der Vor-
theil, der dem Beſtohlenen durch
die Zulaſſung dieſer Klage zuge-
wendet werden ſoll, muß auf die
oben im Text entwickelte Weiſe ge-
dacht werden, nicht als ob es ihm,
|0568 : 554|
Beylage XIV.
Anwendung allein iſt alſo jene Klage als eine von der
allgemeinen Regel der Condictionen abweichende anzuſehen,
und die Abweichung iſt nur darin zu ſetzen, daß in dieſem
Fall das außerdem geltende alternative Verhältniß der
Condiction zur Vindication (Num. V. f. g.) zum Vortheil
des Klägers aufgegeben wird.
XVI.
Die Condiction, in der hier erklärten abweichenden
Natur, iſt dann auch angewendet worden auf den an ſich
verſchiedenen, aber verwandten, Fall, wenn dem Eigen-
thümer der Beſitz eines Grundſtücks mit Gewalt entzogen
wird; auch hier ſoll er ausnahmsweiſe die eigene Sache
condiciren, alſo zwiſchen der Condiction und Vindication
wählen dürfen. Anfangs war dieſe Ausdehnung beſtritten,
wenn wirklich die Sache unzweifel-
haft vorhanden iſt, von beſonderem
Werth ſeyn könnte, gerade auch
eine Condiction, vorzugsweiſe vor
der Vindication, zu erhalten: denn
die eine dieſer Klagen giebt ihm
in einem ſolchen Fall nicht mehr
als die andere. — Es iſt alſo
wohl zu bemerken, daß die ganze
Schwierigkeit und die dadurch nö-
thig befundene Anomalie lediglich
durch die hergebrachten Klagfor-
mulare herbeygeführt wurde. Da-
her iſt es eigentlich ſehr unpaſſend,
daß in Juſtinians Inſtitutionen
die Sache noch ſo, wie bey Gajus,
vorgetragen wird, da man doch zu
ſeiner Zeit die alten formulae
ſchon längſt bey Seite gelegt hatte,
alſo auch nicht mehr mit dare
oportere intendirte. Auch ſchon
zu des Gajus Zeit wäre bey dem
Gebrauch der Formel dare facere
oportere gar keine Schwierigkeit
geweſen, da dieſe auch das bloße
restituere in ſich ſchloß; wahr-
ſcheinlich wollte man aber dem
Beſtohlenen auch die eigenthüm-
lichen Vortheile der Formel dare
oportere nicht entgehen laſſen,
von welchen noch unten die Rede
ſeyn wird. Die Ungewißheit frey-
lich, mit ihren prozeſſualiſchen Ge-
fahren, blieb immer übrig.
|0569 : 555|
Die Condictionen. XVI.
ſpäterhin iſt ſie beſtimmt anerkannt worden (a); es iſt
aber nicht zu läugnen, daß dazu weniger dringender Grund
vorhanden iſt, als bey der geſtohlenen Sache, indem ein
Grundſtück nicht zerſtört, und auch der gegenwärtige Be-
ſitzer leicht erforſcht werden kann.
Andere Ausdehnungen der Condiction ſind nur ſchein-
bar, indem die Fälle, worauf ſie bezogen werden, ſchon
unter dem urſprünglichen Begriff derſelben unmittelbar
enthalten ſind.
So gilt zwar unzweifelhaft die Condiction im Fall des
gewaltſamen Raubes (b); aber Dieſes iſt nicht Ausdeh-
nung, da der Raub, eben ſo wie der heimliche Diebſtahl,
ein wahres, eigentliches furtum iſt (c).
Eben ſo gilt die Condiction bey der Entwendung unter
Ehegatten (d); aber auch dieſe Handlung iſt ein wahres,
eigentliches furtum, deſſen Folgen nur, aus Schonung des
ehelichen Verhältniſſes, etwas gemildert werden ſollen (e).
(a) Labeo war dagegen, Sa-
binus, Celſus, Ulpian dafür, und
ihre Meynung iſt von Juſtinian
durch die Aufnahme folgender Stel-
len anerkannt. L. 25 § 1 de
furtis (47. 2.), L. 2 de cond.
trit. (13. 3.).
(b) L. 2 § 26 vi bon. rapt.
(47. 8.), L. 1 § 1 de cond. trit.
(13. 3.).
(c) L 1, L. 2 § 10. 26 vi bon.
rapt. (47. 8.).
(d) L. 17 § 2 rer. amot. (25. 2.).
Nur darüber kann man zweifelhaft
ſeyn, ob die actio rerum amo-
tarum ſelbſt eine condictio iſt
(L. 26 eod..), oder ob neben ihr
die davon verſchiedene condictio
furtiva gilt (L. 21 § 5 eod.).
Doch iſt es nicht ſchlechthin nöthig,
zwiſchen dieſen Stellen einen Wider-
ſpruch anzunehmen. Das allge-
meine Princip der condictio sine
causa paßt hier, wie bei jedem
anderen Diebſtahl (Num. XV.).
(e) L. 1 L. 29 rer. amot.
(25. 2.).
|0570 : 556|
Beylage XIV.
XVII.
Nach der hier gegebenen Darſtellung iſt alſo die con-
dictio furtiva keine Delictsklage, indem ſie nicht, ſo wie
die furti und doli actio, aus einem Delict entſteht; ſie
entſteht vielmehr, eben ſo wie jede andere condictio sine
causa, aus des Gegners grundloſer Bereicherung durch
unſer Eigenthum, alſo aus einem als Quaſicontract zu
bezeichnenden Rechtsgeſchäft. Daneben ſoll jedoch nicht be-
ſtritten werden, daß ſie bey Gelegenheit eines Delicts ent-
ſteht, ja daß das Daſeyn deſſelben die nothwendige Vor-
ausſetzung iſt, ohne welche ſie, mit der oben dargeſtellten
eigenthümlichen Natur, gar nicht entſtehen kann.
Dieſe Meynung aber iſt keinesweges allgemein aner-
kannt, vielmehr iſt die Natur dieſer Klage, und namentlich
die Frage, ob ſie ex delicto entſteht oder nicht, ſeit Jahr-
hunderten Gegenſtand einer großen Controverſe unter den
Rechtslehrern (a). Für die Richtigkeit der hier aufgeſtellten
Lehre von den Condictionen iſt aber dieſe Frage ſehr wichtig.
Denn wenn jene Condiction wirklich eine Delictsklage iſt,
ſo iſt damit jene Lehre ſchwer zu vereinigen. Selbſt die
(a) Einer der neueſten Verthei-
diger der Delictsnatur dieſer Klage
iſt Francke Beyträge S. 28—33.
Schriftſteller über dieſe Streitfrage
finden ſich reichlich angeführt bey
Glück B. 13 § 839. Die Ablei-
tung aus einem quasicontractus
findet ſich ſchon bey Anderen, z. B.
Lyclama benedictor. Lib. 1 C.
1—8. — Krug de condict. furt.
Lips. 1830 p. 8—12 hält ſie zwar
für eine Delictsklage, will aber
ihre Entſtehung (ohne hinreichende
Gründe) aus der Fiction eines
Abfindungsvertrags ableiten, und
daraus ihre Eigenthümlichkeiten
erklären, z. B. den Übergang auf
die Erben des Diebes.
|0571 : 557|
Die Condictionen. XVII.
exceptionelle Natur der condictio furtiva würde dagegen
wenig Schutz gewähren, da ich ſelbſt darzuthun geſucht
habe, daß dieſe Natur keinesweges der Klage überhaupt,
ſondern nur einer einzelnen Anwendung derſelben zuzu-
ſchreiben iſt (Num. XV.). Durch folgende Gründe nun
glaube ich die Delictsnatur der Klage völlig widerlegen
zu können.
Zuerſt ſetzt ſie Ulpian in folgender Stelle wörtlich und
ganz beſtimmt allen Klagen ex maleficio entgegen, indem er
jedoch bemerkt, daß die Compenſation auf ſie, eben ſo wie
auf jene Klagen (zu welchen ſie alſo nicht gehört) an-
wendbar ſey (b):
Quotiens ex maleficio oritur actio, utputa ex causa
furtiva, ceterorumque maleficiorum, si de ea pecu-
niarie agitur, compensatio locum habet. Idem est
et si condicatur ex causa furtiva.
Es giebt alſo nach dieſer Stelle, aus Veranlaſſung des
Diebſtahls (ex causa furtiva), zwey verſchiedene Klagen.
Die eine iſt ex maleficio (unzweifelhaft die furti actio);
die andere (die alſo nicht ex maleficio oritur) iſt die con-
dictio furtiva.
Das in dem Diebſtahl enthaltene Delict wird ganz auf
gleiche Weiſe angenommen bey dem Diebe ſelbſt, und bey
deſſen Gehülfen und Rathgebern, und dieſe alle werden
von derſelben Strafe betroffen, wie der Dieb (c). Die
(b) L. 10 § 2 de compens.
(16. 2.).
(c) § 11 J. de oblig. ex del.
(4. 1.).
|0572 : 558|
Beylage XIV.
Condiction aber geht gegen ſie nicht (d), und dieſe Ver-
ſchiedenheit iſt nur daraus zu erklären, daß die Condiction
gar nicht aus dem Delict entſpringt, ſondern aus der
Thatſache der grundloſen Bereicherung, einer Thatſache,
die von dem zugleich vorhandenen Delict völlig verſchieden,
und dagegen mit vielen anderen Fällen der Bereicherung,
die keine Beziehung auf ein Delict haben, ganz gleich-
artig iſt.
Ganz entſcheidend ſind ferner die Rechtsverhältniſſe,
welche eintreten, wenn der Diebſtahl von einem Sklaven,
(oder auch von einem filiusfamilias) begangen wird. Hier
ſind die allgemeinen Rechtsregeln über die verpflichtenden
Handlungen ſolcher abhängigen Menſchen folgende (e):
1) Verhältniſſe zu fremden Perſonen.
a) Der Herr des Sklaven kann belangt werden bald
mit der actio de peculio, bald mit der actio noxalis, und
zwar ſo, daß dieſe beide Klagen in einem ausſchließenden
Verhältniß zu einander ſtehen. Aus Contracten (und Quaſi-
contracten) entſteht eine actio de peculio, niemals actio
noxalis: aus Delicten actio noxalis, niemals de peculio (f).
b) Der Sklave ſelbſt kann nach der Freylaſſung be-
langt werden aus Delicten, nicht aus Contracten; oder
mit andern Worten, ſeine Obligationen aus Delicten ſind
nun civiles, die aus Contracten naturales (g).
(d) L. 6 de cond. furt. (13. 1.).
(e) Die Beweiſe dieſer Sätze
ſind ſchon oben zuſammen geſtellt
worden in der Beylage IV, Bd. 2
S. 424—428, und im Syſtem
§ 211. a.
(f) L. 49 de O. et A. (44. 7.).
(g) L. 1 § 18 depos. (16. 3.).
|0573 : 559|
Die Condictionen. XVII.
2) Verhältniſſe zu dem eigenen Herrn.
Aus Contracten entſpringen naturales obligationes,
welche während der Gewalt und nach der Freylaſſung
wirkſam ſind. Aus Delicten entſpringen hier gar keine
Obligationen, weder civiles noch naturales, weder im
Sklavenſtand, noch nach der Freylaſſung.
In allen dieſen Beziehungen nun zeigt ſich die condictio
furtiva durchaus als eine Contractsklage (h), alſo in einer,
der furti actio gänzlich entgegengeſetzten, Weiſe.
1) Wenn der Sklave oder Sohn einen Dritten be-
ſtiehlt, ſo geht:
a) Gegen den Herrn oder Vater die Klage de peculio,
alſo nicht noxalis, und auch de peculio nur, inſofern der
Herr oder Vater durch den Diebſtahl reicher geworden
iſt (i). Dieſe Beſchränkung aber iſt ſo zu erklären. Wenn
das geſtohlene Geld ſogleich verſchwendet wird, ſo daß
kein Werth im Vermögen zurück bleibt, ſo müßte auch
gegen den gewöhnlichen Dieb eigentlich keine Klage gelten,
(h) Nämlich eigentlich quasi ex
contractu, ganz wie die condictio
indebiti, sine causa u. ſ. w., die
durchaus denſelben allgemeinen
Charaeter an ſich tragen, wie die
wahren Contractsklagen.
(i) L. 3 § 12 de peculio (15. 1.)
„… et est verius, in quan-
tum lecupletior factus esset …
actionem de peculio dandam”
(nämlich die condictio, nach deren
Zuläſſigkeit vorher gefragt worden
war). — L. 30 pr. de act. emti
(19. 1.) „… si jam traditus
furtum mihi fecisset (nämlich
wenn mich mein geweſener Sklave
beſtahl, nachdem ich ihn veräußert
hatte), aut omnino condictionem
eo nomine de peculio non ha-
berem, aut eatenus haberem,
quatenus ex re furtiva auctum
peculium fuisset.” — L. 4 de
cond. furt. (13. 1.) „quod ad
eum pervenit” ſ. u. Num. XVIII,
wo dieſe Stelle erklärt werden wird.
|0574 : 560|
Beylage XIV.
weil er nicht mehr bereichert iſt; daß ſie gegen ihn dennoch
gilt, kommt nur daher, daß er als Dieb beſtändig in
Mora iſt. Iſt nun der Dieb ein Sklave, ſo geht die Klage
gegen den Herrn als actio de peculio, aber ohne dieſe
ſchärfende Modification; denn da der Herr nicht Dieb iſt,
ſo iſt er auch nicht in Mora, und kann alſo auch nur
verklagt werden, inſofern er eine gegenwärtige Bereiche-
rung hat. Genauer muß man Dieſes ſo ausdrücken: gegen
den Herrn geht zwar die condictio, aber nicht als furtiva,
ſondern als die gewöhnliche, unmodificirte, sine causa (k).
b) Gegen den ſtehlenden Sklaven ſelbſt geht die Con-
diction nach der Freylaſſung gar nicht, weil die ihr zum
Grund liegende Obligation, als contractliche, nur natu-
ralis iſt, während die furti actio, als Delictsklage, aller-
dings gegen ihn geht (l).
(k) L. 30 pr. de act. emti
(19. 1.) „ .. condictio eo no-
mine mihi adversus te compe-
tat, quasi res mea ad te sine
causa pervenerit.” Genau ge-
nommen iſt es hier auch deswegen
keine eigentliche actio de peculio,
weil dieſe Klage wegen Bereiche-
rung des Herrn aus dem Diebſtahl
ſeines Sklaven ſelbſt dann gelten
muß, wenn der Sklave gar kein
Peculium hatte. Darauf geht
vielleicht der ſchwankende Ausdruck
(aut omnino … non haberem)
der L. 30 cit. in Note i, und
eben ſo auch der ſonſt zu unein-
geſchränkte Ausdruck der L. 5 de
cond. furt. (13. 1.) „… num-
quam enim ea condictione alius,
quam qui fecit, tenetur, aut
heres ejus.” Gewiß iſt durch
dieſe Worte auch die Möglichkeit
verneint, die Condiction als actio
noxalis anzuſtellen.
(l) L. 15 de cond. furt. (13.
1.) „Quod ab alio servus sub-
ripuit, ejus nomine liber furti
tenetur: condici autem ei non
potest, nisi liber contrectavit.”
Dieſe Stelle iſt eigentlich die ent-
ſcheidendſte unter allen, und mit
ihr läßt ſich die Delictsnatur der
condictio furtiva durchaus nicht
vereinigen, da die Regel: noxa
caput sequitur allgemein und
durchgreifend für alle Delictsklagen
|0575 : 561|
Die Condictionen. XVII.
2) Wenn der Sklave den eigenen Herrn beſtiehlt, ſo
entſteht daraus die der Condiction eigene Obligation als
naturalis, ſo daß durch ſie das Peculium ipso jure ver-
mindert wird, und ſie wirkt als ſolche auch nach der
Freylaſſung fort (m).
Endlich liegt ein entſcheidender Grund gegen die Delicts-
natur der Condiction auch in dem Umſtand, daß ſie un-
bedingt gegen den Erben des Diebes geht (n). Wäre ſie
eine Delictsklage, ſo würde der Erbe nur inſoweit ver-
pflichtet ſeyn, als er durch den Diebſtahl bereichert wäre (o);
ſie hat aber eine contractliche Natur, und ihre Unabhän-
gigkeit von fortdauernder Bereicherung gründet ſich bey
dem Diebe ſelbſt auf deſſen ſtete Mora: contractliche Klagen
aber gehen regelmäßig gegen die Erben, und eben ſo wirkt
die einmal begründete Mora von ſelbſt fort (p), weshalb
ſie weder durch des Glaubigers, noch durch des Schuld-
ners Tod unterbrochen wird (q).
gilt. — Die Schlußworte machen
keine Schwierigkeit, denn die nach
der Freylaſſung wiederholte Con-
trectation iſt ein neuer Diebſtahl,
welcher, unabhängig von den vor-
hergegangenen Handlungen, die
gewöhnlichen Folgen nach ſich zieht.
(m) L. 30 pr. de act. emti
(19. 1.) „… ipso jure ob id
factum minutum esse peculium,
eo scilicet, quod debitor meus ex
causa condictionis sit factus.”
(n) L. 5 L. 7 § 2 de cond.
furt. (13. 1.).
(o) Syſtem § 211. h.
(p) L. 87 § 1 de leg. 2. (31. un.).
(q) L. 27 de usuris (22. 1.).
V. 36
|0576 : 562|
Beylage XIV.
XVIII.
Es dürfen jedoch Zwey Stellen nicht verſchwiegen
werden, die gegen die Wahrheit der hier vorgetragenen
Lehre Zweifel erregen könnten.
Die eine, von Ulpian herrührend, lautet alſo (a):
Si servus vel filiusfamilias furtum commiserit, con-
dicendum est domino id, quod ad eum pervenit: in
residuum, noxae servum dominus dedere potest.
Auf den erſten Blick ſcheint dieſe Stelle die Condiction für
eine Delictsklage zu erklären, die als actio noxalis gegen
den Herrn angeſtellt werden könne. Da ſie aber, ſo ver-
ſtanden, allen vorher angeführten Beweisſtellen geradezu
widerſprechen würde, ſo muß vermittelſt einer andern Er-
klärung die Vereinigung geſucht werden. Ulpian warf ſich
die Frage auf, inwieweit das Vermögen eines Herrn durch
den von ſeinem Sklaven begangenen Diebſtahl gefährdet
werden könne, und er beruhigt den Herrn damit, daß er
niemals unbedingt für die durch den Diebſtahl herbeyge-
führten Obligationen zu haften brauche; durch die Con-
diction könne er gar Nichts verlieren, da ſie ihn nur
nöthigen könne, Dasjenige heraus zu geben, Was ihm
durch den Diebſtahl als Bereicherung zugekommen ſey;
dann ſey nur noch die furti actio übrig, die er allerdings
als actio noxalis übernehmen, und wodurch er den noch
übrigen Werth des Diebſtahls (ſogar erhöht, durch die
(a) L. 4 de cond. furt. (13. 1.).
|0577 : 563|
Die Condictionen. XVIII.
Strafe) herauszahlen müſſe; davon aber könne er ſich in
jedem Fall durch noxae datio frey machen, ſo daß alſo
der Werth des Sklaven das Äußerſte ſey, welches er aus
ſeinem Vermögen durch den Diebſtahl einbüßen könne. —
Allerdings wird hier Manches in die Stelle hinein getra-
gen, wovon ſie Nichts ſagt, und dieſes Verfahren kann
hier nur durch die Nothwendigkeit der Vereinigung ge-
rechtfertigt werden. Ohne Zweifel iſt der Schein eines
Widerſpruchs nur durch die ungeſchickte Art entſtanden,
wie die Compilatoren die Stelle excerpirt haben (b).
Die zweyte Stelle iſt ein Reſcript von Diocletian (c),
nach welchem mehrere zugleich Stehlende mit der Con-
diction ſo belangt werden können, daß der Beſtohlene von
jedem Einzelnen nach freyer Auswahl das Ganze fordern
darf, jedoch ſo daß die Zahlung des Einen die Andern
befreyt. Dieſes ſcheint auf eine Delictsklage, nämlich eine
einſeitige Strafklage, wie etwa die doli actio zu deuten,
bey welcher Art der Klagen in der That dieſe Regel
gilt (d). Wenn dagegen die Condiction, nach meiner Be-
hauptung, durch die Bereicherung des Beklagten begründet
wird, ſo ſcheint es, ſie müſſe ausſchließend gegen Den-
jenigen unter den Dieben gelten, der allein das Geld an
ſich genommen hat, oder, wenn ſie es getheilt haben, gegen
Jeden für ſeinen Antheil. — Dieſer allerdings ſcheinbare
(b) Weſentlich dieſelbe Erklä-
rung giebt Pothier Pand. Just.
XIII. 1. Art. 1. Num. VIII. not. f.
(c) L. 1 C. de cond. furt.
(4. 8.). Die Stelle iſt oben ab-
gedruckt, Syſtem § 211. b.
(d) Syſtem § 211. c.
36*
|0578 : 564|
Beylage XIV.
Einwurf verſchwindet durch dieſelbe Betrachtung, wodurch
dem Eigenthümer geſtattet worden iſt, ſeine noch vorhan-
dene Sache mit der Condiction einzuklagen (Num. XV.).
Denn wenn der Beſtohlene genöthigt ſeyn ſollte zu unter-
ſuchen, wie viel jeder einzelne Dieb von dem geſtohlenen
Gut erhalten hat, ſo würde für ihn dieſelbe Verlegenheit
und Prozeßgefahr entſtehen, von welcher er dort befreyt
werden ſollte. Es erfordert alſo auch hier die einleuch-
tendſte, unabweislichſte Billigkeit, von der Strenge des
Grundſatzes abzugehen, und dem Beſtohlenen die freye Wahl
des Beklagten unter allen einzelnen Dieben zu überlaſſen.
XIX.
Ich faſſe das bisher im Einzelnen Dargeſtellte zu einem
allgemeinen Überblick zuſammen. Grund und Bedingung
der Condictionen iſt die mit der Entſtehung einer Obliga-
tion verknüpfte Bereicherung des gegenwärtigen Schuld-
ners aus dem Vermögen des Glaubigers, welche jetzt
wieder rückgängig gemacht werden ſoll (a): und zwar bald
(a) Alſo nicht jede Bereicherung
des Andern aus meinem Ver-
mögen giebt mir ein Recht zur
Rückforderung, ſondern wenn ich
für die eingetretene Bereicherung
ein Recht zur Rückforderung habe,
ſo iſt die darauf zu richtende Klage
eine Condiction. Dieſes Recht
zur Rückforderung wird hauptſäch-
lich begründet durch den vorbehal-
tenen Willen (Darlehen), durch
Irrthum (Indebitum u. ſ. w.), durch
des Andern Eigenmacht (c. sine
causa und furtiva). Entſteht aber
die Bereicherung aus Liberalität
(Schenkung), oder als Äquivalent
für eine Gegenleiſtung (Kaufgeld,
Miethgeld u. ſ. w.), ſo iſt über-
haupt keine Rückforderung zuläſſig,
alſo auch nicht durch eine Con-
diction.
|0579 : 565|
Die Condictionen. XIX.
wirkliche Bereicherung, wie bey dem Darlehen, oder dem
gezahlten Indebitum (Num. IV—VIII.), bald eine fingirte,
wie bey der expensilatio, der Stipulation, dem Legat
(Num. IX—XI.). Dazu kommen noch einige, nicht be-
deutende, ganz poſitive Erweiterungen, die auf jenen Grund-
begriff nicht zurück geführt werden können (Num. XII—
XVIII.). Damit aber der Sinn dieſer Regel ſchärfer
hervor trete, iſt es nöthig, nun noch die entgegengeſetzten
Fälle von Obligationen in’s Auge zu faſſen, die eben durch
jenen Grundbegriff von der Anwendung der Condictionen
ausgeſchloſſen, und auf andere Actionen verwieſen wer-
den ſollen.
Dieſe ausgeſchloſſenen Obligationen laſſen ſich auf Zwey
Klaſſen zurück führen. Das Recht nämlich, deſſen Genuß
der Kläger durch eine Klage ſucht, kann entweder noch
jetzt in ſeinem Vermögen ſich befinden, oder es kann noch
niemals zu ſeinem Vermögen gehört haben. In beiden
Fällen kann der Kläger nicht behaupten, daß er ein Stück
ſeines Vermögens an den Gegner verloren habe, welches
eben als Grundbedingung der Condictionen oben aufge-
ſtellt worden iſt.
Die erſte Klaſſe von Fällen iſt ſchon oben erwähnt
worden, und ſie macht am Wenigſten Schwierigkeit. Es ge-
hört dahin das Darlehen, ſolange das Geld aus irgend einem
Grund noch nicht in des Empfängers Eigenthum überge-
gangen iſt; hier wird vindicirt, nicht condicirt, denn beide
Klagen ſtehen zu einander in einem ausſchließenden Ver-
|0580 : 566|
Beylage XIV.
hältniß (Num. V.). Eben ſo das Depoſitum, Commodat,
Pfand, vorausgeſetzt, daß die Sache noch unzerſtört bey
dem Empfänger vorhanden iſt; in dieſen Fällen gelten,
außer der Vindication, auch b. f. actiones, aber zu einer
Condiction iſt kein Grund vorhanden (b). Durch die Con-
ſumtion der Sache kann allerdings eine Bereicherung ent-
ſtehen, und nun concurrirt die b. f. actio mit einer Con-
diction, ſo wie ſie vorher mit der Vindication concurrirte
(Num. VI.).
Auf gleiche Weiſe müßte eigentlich die condictio fur-
tiva nicht gelten, ſolange der Dieb die geſtohlene Sache
in ſeinem Beſitz behält, und es geſchieht blos als Ano-
malie, daß ſie hier dennoch zugelaſſen wird (Num. XV.).
XX.
Die zweyte Klaſſe von Fällen, worin die Anwendung
der Condiction durch das aufgeſtellte Princip ausgeſchloſſen
wird, beruht darauf, daß der Gegenſtand der Forderung
niemals zu des Klägers Vermögen gehört hat, folglich
(b) Man könnte einwenden, bey
dem Pfandcontract wenigſtens werde,
wenn auch nicht Eigenthum, doch
wenigſtens ein jus in re, an den
Empfänger veräußert, auf deſſen
Rückgabe alſo eine Condiction an-
geſtellt werden könne. Allein ſo-
lange die Schuld unbezahlt iſt,
kann das Pfand mit keiner Klage
zurück gefordert werden; wird ſie
aber bezahlt, ſo iſt in demſelben
Augenblick auch das jus in re
von ſelbſt erloſchen, ohne daß es
dazu einer Rückübertragung be-
darf. Anders war es bey der
Fiducia, und auf deren Rückgabe
(durch Remaneipation) nach be-
zahltem Geld konnte ohne Zweifel
mit einer Condiction geklagt wer-
den, weil hier übertragenes Eigen-
thum zurück gefordert wurde (Num.
V.). Vielleicht bezog ſich urſprüng-
lich auf eine Fiducia die L. 4 § 1
de R. C. (12. 1.), ſ. v. Num. VI. b.
|0581 : 567|
Die Condictionen. XX.
als etwas ganz Neues geleiſtet, nicht zurück gegeben wer-
den ſoll; denn dieſes Zurückfordern des aus unſrem
Vermögen Ausgegangenen iſt eben der wahre Grund aller
regelmäßigen Condietionen, wie es in Stellen des Römi-
ſchen Rechts ausdrücklich anerkannt wird (a).
Dahin gehören zwey wichtige Arten der Obligationen;
zuerſt der größte Theil der bonae fidei contractus. In
dieſen, wie bey Kauf und Miethe, kommen ganz gleich-
artige Gegenſtände der Forderung vor, wie bey den
Condictionen, denn überall iſt es ein dare oder facere,
welches verlangt wird, zuweilen ſogar ein reines dare (b),
das doch ſonſt als der vorzüglichſte und älteſte Gegenſtand
der Condictionen gilt. Dasjenige nun, was hier gefordert
wird, iſt etwas ganz Neues, wie die Zahlung des Kauf-
und Miethgeldes, die Tradition der verkauften Sache, die
Beſorgung und Vertretung von Geſchäften bey der So-
cietät und dem Mandat.
Aus demſelben Grunde aber iſt noch eine zweyte Art
der Obligationen von der Anwendung der Condiction aus-
geſchloſſen: die Civilklagen aus Delicten (c), ſie mögen
nun auf Geldſtrafe, oder auf Entſchädigung gerichtet ſeyn.
(a) L 1 de R C. „mox re-
cepturi quid ex hoc contractu,
credere dicimur” (ſ. v. Num. V.
b.). L. 2 pr. eod. „Mutuum
damus recepturi non eandem
speciem, … sed idem genus”
etc. — Liebe Stipulation S. 364
erklärt das recipere vom Empfang
einer Gegenleiſtung; aber dann
wäre auch der Kauf ein credere,
und Grundlage von Condictionen.
(b) L. 11 § 2 de act. emti
(19. 1.) „Emtor autem numos
venditoris facere cogitur.” Die-
ſes iſt aber das eigentliche dare,
im ſtrengſten Sinn des Worts
(Num. V. i.).
(c) Ich ſage Civilklagen,
|0582 : 568|
Beylage XIV.
Bey der furti actio kommt Vieles zuſammen, welches
uns geneigt machen könnte, ihr den Character einer Con-
diction beyzulegen: ſie entſpringt aus dem jus civile, aus
einer lex, ja aus derjenigen lex, die als die Grundlage
des jus civile betrachtet wird, ſie wurde endlich ohne
Zweifel nicht vor einem arbiter, ſondern vor einem judex
verhandelt. Daß ſie dennoch in der That keine Condiction
war, folgt unwiderſprechlich aus den unzähligen Stellen,
worin ſie erwähnt wird, ohne jemals den Namen con-
dictio zu führen: noch mehr aus den Stellen, worin ſie
neben der condictio (furtiva) genannt, und ſtets von dieſer
unterſchieden, ihr entgegengeſetzt wird (d). Es erklärt ſich
Dieſes aber lediglich daraus, daß die mit dieſer Klage
eingeforderte Geldſtrafe niemals in des Beſtohlenen Ver-
mögen war, ſondern erſt jetzt dazu dienen ſoll, Denſelben
zu bereichern.
denn bey den prätoriſchen Delicts-
klagen verſteht es ſich ſchon wegen
dieſer ihrer Entſtehung von ſelbſt,
daß ſie nicht Condictionen ſeyn
konnten.
(d) Vgl. oben Num. XVII. 1,
ferner L. 7 § 1 de cond. furt.
(13. 1.) „Furti actio poenam
petit legitimam, condictio rem
ipsam.” L. 14 de cond. causa
data (12. 4.) „… cum quo non
tantum furti agi, sed etiam con-
dici ei posse.” L. 13 § 2 de jurej.
(12. 2.) „et ideo neque furti,
neque condicticia tenetur.” L. 17
§ 2 de praescr. verb. (19. 5.)
„furti agere possum, vel con-
dicere.” — Es iſt jedoch zu be-
merken, daß in einigen wenigen
Stellen für die condictio furtiva
der Name furti actio gebraucht
wird, während gewiß in keiner
einzigen Stelle die wahre furti
actio den Namen condictio führt.
Dieſer abweichende Sprachgebrauch
erklärt ſich, wenn man das Bey-
wort: condictitia zu actio ſtill-
ſchweigend hinzu denkt. Der Aus-
druck iſt alſo nicht ſowohl falſch,
als unvollſtändig, und dadurch
allerdings zweydeutig, zu Misver-
ſtändniſſen verleitend und tadelns-
werth. Die Stellen hierüber ſind
ſchon oben angeführt § 232. h.
|0583 : 569|
Die Condictionen. XX.
Eben ſo könnte man die actio L. Aquiliae für eine
Condiction halten wollen, da ſie gleichfalls aus einer lex
alter Zeit herrührt, dennoch iſt ſie es nicht, man mag
nun in ihr auf die Straferhöhung ſehen, oder auf die
reine Entſchädigung. Der Strafzuſatz nämlich hat, eben
ſo wie die Strafe des Diebſtahls, niemals zu dem Ver-
mögen des Beſchädigten gehört. Die Entſchädigung, das
heißt der Werth der zerſtörten Sache, gehörte zwar zu
dieſem Vermögen, geht aber in den meiſten Fällen nicht
in das Vermögen des Thäters über. In den ſeltenen
Fällen, worin dennoch ein ſolcher Übergang erfolgt, ent-
ſpringt auch wirklich aus der That eine Condiction; allein
dieſe iſt dann keinesweges mit der actio L. Aquiliae iden-
tiſch, vielmehr ſteht ſie neben ihr, und der Beſchädigte
hat zwiſchen beiden die Wahl (Num. XIV.).
Der hier erklärte durchgreifende Unterſchied der Con-
dictionen von den civilen Delictsklagen wird in den For-
meln dadurch ausgedrückt, daß die Intentio in jenen lau-
tete: dare, oder dare facere oportere, in dieſen: damnum
decidere oportere.
Dieſe letzte Formel, da ſie in ſolcher Allgemeinheit
nicht angenommen zu werden pflegt, bedarf einer genaueren
Eroͤrterung.
Als Intentio der furti actio kommt bey Gajus die
Formel vor: pro fure damnum decidi oportere (e), und
mit dieſen Ausdrücken ſtimmen mehrere Digeſtenſtellen völ-
(e) Gajus IV. § 37. 45.
|0584 : 570|
Beylage XIV.
lig überein (f). Damnum decidere heißt hier: dem Be-
ſtohlenen gerecht werden, genug thun, ſich mit ihm abfin-
den, und daher wird derſelbe Ausdruck auch für den Ver-
gleich, das heißt die Abfindung ohne Prozeß, gebraucht (g).
Ja ſogar kommt er vor, um die Handlung des Beſtohle-
nen, der die Abfindung erhält, zu bezeichnen (h). Die re-
gelmäßige Beziehung aber war die, in der angegebenen
Formel enthaltene, auf die Verpflichtung des Diebes, und
hier hatte der Ausdruck offenbar eine allgemeinere Bedeu-
tung als der Ausdruck dare, da er auch die Addiction des
fur manifestus in ſich zu ſchließen fähig war, wofür doch
unmöglich das Wort dare gebraucht werden konnte.
Von der Aquiliſchen Klage haben wir keine Formel
übrig, ich halte aber für ihre Formel den Ausdruck dam-
num decidi oportere ohne allen Zuſatz. Denn damnum
war der eigenthümliche Name gerade dieſes Delicts (i),
und die umſtändliche Formel pro fure damnum decidere
erklärt ſich am Natürlichſten aus der Abſicht, den Ausdruck
damnum decidere auf einen Fall zu übertragen, für wel-
chen derſelbe nur durch einen individuellen Zuſatz brauch-
bar und verſtändlich werden konnte. Man könnte gegen
dieſe Behauptung einwenden, daß in der L. Aquilia ſelbſt
zweymal der Ausdruck vorkam: tantum aes dare damnas
(f) L. 61 § 1. 2. 5 de furtis
(47. 2.), L. 7 pr. de cond. furt.
(13. 1.); daneben auch noch das
unbeſtimmtere damnum praestare
in L. 61 cit. § 3. 5.
(g) L. 9 § 2 de minor. (4. 4.),
L. 13 C. de furtis (6. 2.).
(h) L. 46 § 5 de furtis (47. 2.).
(i) Gajus III. § 210—219, be-
ſonders § 116 „damni nomine.”
|0585 : 571|
Die Condictionen. XX.
esto (alſo nicht damnum decidere) (k). Allein wenn man
aus den erhaltenen Worten des Geſetzes die Formel
conſtruiren wollte, ſo würde Dieſes die Condemnatio ſeyn
müſſen, und die Intentio müßte ſo lauten: Si paret, ho-
minem Agerii a Negidio occisum esse, welche factiſche
Faſſung für eine alte Civilklage doch unmöglich anzuneh-
men iſt. Ich denke mir die ganze Formel der Aquiliſchen
Klage etwa ſo: 1) (Demonstratio:) Quod Negidius ho-
minem Agerii injuria occidit. 2) (Intentio:) Si paret,
Negidium ob eam rem Agerio damnum decidere oportere.
3) (Condemnatio:) Iudex quanti is homo in eo anno
plurimi fuit tantum aes Agerio condemna, si non paret
absolve (l).
Von den Formeln der übrigen Delictsklagen aus dem
alten Civilrecht haben wir keine Spur; nach der Analo-
gie der beiden angeführten, die unter allen die häufigſten
und wichtigſten waren, können wir mit Wahrſcheinlichkeit
annehmen, daß auch ihre Intentio auf damnum decidere
oportere gieng (m), woraus dann der Vortheil entſtand,
daß jede civile Delictsklage ſchon auf den erſten Blick von
(k) L. 2 pr. L. 27 § 5 ad L.
Aquil. (9. 2.).
(l) Eine Beſtätigung dieſer Be-
hauptung über die Formel der
Aquiliſchen Klage, liegt noch in
Dem, was aus Gajus IV. § 5
gefolgert werden muß, ſ. u. Num.
XXV. XXVI.).
(m) Ich finde dieſen Ausdruck
nur noch in Anwendung auf einen
Fall, der kein eigentliches Delict,
aber doch ein verwandtes Rechts-
verhältniß betrifft, nämlich bey der
m. f. possessio, gegenüber der rei
vindicatio, worauf die 12 Tafeln
den doppelten Erſatz der Früchte
als Strafe geſetzt hatten. Fes-
tus v. Vindiciae: „Si vindi-
ciam falsum tulit, … fructus
duplione damnum decidito.”
|0586 : 572|
Beylage XIV.
den Contractsklagen unterſchieden werden konnte. Vielleicht
hatte jede dieſer übrigen Delictsklagen noch einen charac-
teriſtiſchen Zuſatz in der Intentio, ähnlich dem Zuſatz pro
fure bey der furti actio; es iſt aber auch möglich, daß
nur bey dieſer Klage (der wichtigſten unter allen Delicts-
klagen) ein ſolcher unterſcheidender Zuſatz nöthig gefunden
wurde, ſo daß alle außer der furti actio blos den generi-
ſchen Ausdruck damnum decidere oportere in der Formel
gehabt haben mögen.
Aus demſelben Grunde nun, wie bey den bisher be-
trachteten Klagen, könnte man eigentlich auch der Stipu-
lationsklage den Character einer Condiction verſagen wol-
len, da wir mit ihr gleichfalls meiſt etwas ganz Neues,
das nie zu unſrem Vermögen gehört hat, einfordern. Daß
ſie dennoch ſtets eine Condiction iſt, erklärt ſich lediglich
aus der Natur der Stipulation als eines fingirten Dar-
lehens (Num. X.). Ja das Bedürfniß dieſer Erklärung,
wenn nicht die ganze Condictionenlehre in haltungsloſe
Inconſequenz zerfallen ſoll, iſt eine ſtarke Beſtätigung für
die Richtigkeit dieſer Auffaſſung der Stipulation.
XXI.
Die hier aufgeſtellte Lehre von den Condictionen ſoll
nunmehr mit einigen beſonders wichtigen Stellen alter
Schriftſteller zuſammen gehalten werden, um durch dieſe
Vergleichung theils Beſtätigung, theils Schutz gegen mög-
liche Einwürfe zu erhalten.
|0587 : 573|
Die Condictionen. XXI.
Die erſte dieſer Stellen, von Cicero herrührend, ſagt:
er kenne nur Drey Gründe, aus welchen baares Geld in
beſtimmter Summe durch ein ſtrenges judicium gefordert
werden könne: adnumeratio (datio), expensilatio, stipu-
latio (a). Der Name condictio kommt darin nicht vor,
aber daß Cicero von derſelben Klage reden will, die in
unſren Rechtsquellen als certi condictio, oder condictio
si certum petatur bezeichnet wird, iſt nicht zu bezweifeln.
Es fragt ſich nun, inwiefern Cicero’s Angabe der Fälle
dieſer Klage mit der hier vorgetragenen Lehre überein-
ſtimmt.
Für die meiſten Fälle iſt die Übereinſtimmung ganz
einleuchtend. Denn adnumeratio umfaßt wörtlich nicht
blos das Gelddarlehen, ſondern auch das Depoſitum, wel-
ches der Empfänger angreift (Num. VI.), ſo wie die Aus-
zahlung eines Indebitum und ähnliche Fälle (Num. VII.).
Daß die Fälle der incerti condictio nicht erwähnt werden,
macht keine Schwierigkeit, da Cicero, nach ſeiner eigenen
Erklärung, nur von der auf eine beſtimmte Geldſumme
gerichteten ſtrengen Klage reden will, das heißt alſo nur
von der certi, nicht von der incerti condictio. Dagegen
fehlen allerdings bey ihm einige Fälle, in welchen nach
der oben vorgetragenen Lehre eine certi condictio vorkom-
men kann. Dahin gehören die Fälle, worin mein Geld in
des Andern Hände kommt nicht durch meine Handlung,
(a) Cicero pro Roscio Comoedo C. 4. 5. Die Stelle iſt
ſchon oben abgedruckt Beylage XIII. Num. XI.
|0588 : 574|
Beylage XIV.
ſondern durch des Andern Eigenmacht, wie der Diebſtahl
(Num. VIII. XV.); ferner fehlt bey ihm das Legat (Num.
XI.). Um die von mir aufgeſtellte Lehre gegen dieſe Ein-
wendung zu vertheidigen, könnte man ſagen, dieſe Anwen-
dungen der Condiction ſeyen erſt nach Cicero’s Zeit auf-
gekommen. Für das Legat wenigſtens müſſen wir dieſe
Auskunft ganz beſtimmt verwerfen, da die Begründung
der in ihm enthaltenen Rechte aus den Zwölf Tafeln her-
kam; daher haben wir denn auch keinen Grund, für die
übrigen hier genannten Fälle, wie die condictio furtiva,
deren Entſtehungszeit wir allerdings nicht kennen, eine
ſolche chronologiſche Löſung des ſcheinbaren Widerſpruchs
anzunehmen. Auch dazu aber iſt keine Veranlaſſung, jene
Stelle aus des Verfaſſers Mangel an Rechtskenntniß, oder
Ungenauigkeit des Ausdrucks zu erklären, um auf dieſem
Wege den Widerſpruch zu beſeitigen, da eine andere Aus-
kunft weit näher liegt. Cicero wollte keine allgemeine
Theorie der Actionen vortragen, ſondern daraus jetzt nur
Dasjenige heraus nehmen, Was zu dem vorliegenden
Rechtsfall dienen konnte. Indem er alſo ſagt, adnume-
ratio, expensilatio, stipulatio, ſeyen die Drey einzigen
Wege zu einer certi condictio, muß ſehr natürlich hin-
zugedacht werden: in Fällen wie der hier vorliegende. Der
vorliegende Fall war aber ein contractliches, ein Geſchäfts-
verhältniß, und es wäre eine pedantiſche Vorſicht gewe-
ſen, wenn Cicero noch beſonders bemerkt hätte, daß hier
die condictio furtiva und die Condiction aus einem Legat
|0589 : 575|
Die Condictionen. XXI.
nicht anwendbar ſey, da ja in der ganzen Sache an einen
Diebſtahl oder an ein Teſtament gar nicht gedacht wor-
den war (b).
Das aber iſt in jedem Fall unwiderſprechlich, daß Ci-
cero jedes der drey von ihm genannten Rechtsgeſchäfte
als ſelbſtſtändigen, unabhängigen Entſtehungsgrund einer
certi condictio anerkennt, jedes einzeln für ſich, alſo na-
mentlich die Stipulation für ſich allein, ohne daß dabey
etwa wieder ein Darlehen als Grundlage vorausgeſetzt
würde, von welchem ohnehin in dem vorliegenden Fall gar
nicht die Rede war (c). Für jedes derſelben erkennt er
die sponsio tertiae partis als angemeſſene, wohlbegründete
Einleitung des Rechtsſtreits an, denn ſie war bereits ab-
geſchloſſen worden, und er erkennt an, daß ſie in jedem
der drey Fälle verwirkt ſeyn würde, da er das Daſeyn
eines jeden derſelben beſonders zu widerlegen ſucht.
Wenn man die Stelle des Cicero auf dieſe, gewiß un-
gezwungene, Weiſe erklärt, ſo kann ſie, weit entfernt die
hier vorgetragene Lehre von den Condictionen zu wider-
legen, nur als eine Beſtätigung derſelben angeſehen werden.
(b) Weſentlich dieſelbe Erklä-
rung findet ſich bey Hollweg
Verſuche S. 40, und Gans Ob-
ligationenrecht S. 30.
(c) Die Grundlage des ganzen
Rechtshandels war eine Societät
geweſen, und die aus derſelben
entſprungene Schuld hätte nur ver-
mittelſt einer Expenſilation oder
Stipulation die certi petitio be-
gründen können. Vgl. Puchta,
neues Rheiniſches Muſeum. B. 1.
Num. XII.
|0590 : 576|
Beylage XIV.
XXII.
Zur Zeit der Legis actiones wurde der Name con-
dictio für Zwey Klagen gebraucht, deren Form auf einer
denuntiatio beruhte, welches die eigentliche Wortbedeutung
von condictio geweſen ſeyn ſoll: lege quidem Silia cer-
tae pecuniae, lege vero Calpurnia de omni certa re (a).
Indem nun dieſer Name nachher auf eine gewiſſe Art der
formulae angewendet wurde, können wir doch nicht an-
nehmen, daß Dieſes ganz zufällig und gedankenlos geſche-
hen ſey, vielmehr muß ein innerer Zuſammenhang die An-
wendung des alten Kunſtausdrucks auf einen neuen Rechts-
begriff veranlaßt haben. In der Form der Klage lag
dieſer Zuſammenhang gewiß nicht, denn die Form der al-
ten condictio war eben die denuntiatio, und gerade des-
wegen, weil dieſe bey der neuen condictio nicht vorkam,
wird von dieſer geſagt, daß ſie ihren Namen non pro-
prie, abusive, führe (b). Alſo kann der Zuſammenhang
nur in den Entſtehungsgründen geſucht werden, in der
beſondern Natur der Rechtsverhältniſſe, wofür die alte
und die neue condictio gleichmäßig anzuwenden war.
Hierin finden wir nun in der That einen völlig befriedi-
genden Zuſammenhang, wenn wir nur den Worten: de
omni certa re den erklärenden, näher beſtimmenden Zuſatz
geben: mutuo data. Dann war die alte condictio nichts
(a) Gajus IV. § 19.
(b) Gajus IV. § 18, § 15 J. de act. (4. 6.).
|0591 : 577|
Die Condictionen. XXII.
Anderes als die Klage aus dem Darlehen, und zwar ſo-
wohl aus dem in Geld (L. Silia), als aus anderen Sachen
(L. Calpurnia), unter welchen das Getreide ohne Zweifel
der anwendbarſte Gegenſtand des Darlehens ſeyn wird (c).
Gerade ſo aber iſt ja auch die neue condictio die Klage
aus dem Darlehen, und aus denjenigen Rechtsverhält-
niſſen, deren Klagrecht als eine freyere Entwicklung der
Darlehensklage angeſehen werden kann.
Eine auffallende Beſtätigung dieſer hiſtoriſchen Herlei-
tung liegt in dem Umſtand, daß dem ſo aufgefaßten Ge-
genſatz der condictio ex L. Silia und ex L. Calpurnia ge-
nau entſpricht der neue Gegenſatz der certi und triticaria
condictio, von welchem weiter unten noch beſonders die
Rede ſeyn wird. Der räthſelhafte Name der triticaria
erhält auf dieſe Weiſe eine ſo einfache und natürliche Deu-
tung, wie ſie auf anderem Wege ſchwerlich wird gefunden
werden können.
Selbſt die Formel der neueren Condictionen iſt gro-
ßentheils aus der alten legis actio herüber genommen.
Valerius Probus hat nämlich folgende Sigle: A. T. M. D. O.,
d. h. Ajo te mihi dare oportere (d), welche nach ihren
(c) Das Darlehen außer dem
baaren Gelde kommt überhaupt
nicht ſehr häufig vor (Num. IV.),
ſowohl in unſren Rechtsquellen, als
im wirklichen Lebensverkehr. Der
gewöhnlichſte Fall der Anwendung
wird noch der ſeyn, wenn der
Landmann, deſſen Erndte von
einem Unglück betroffen wird, für
ſeine Haushaltung und für die
Ausſaat Getreide borgt, um es
im nächſten Jahr, wenn die Erndte
beſſer gelingt, wieder zu geben.
(d) Auctores latinae linguae
ed. D. Gothofredus 1602 pag.
1453.
V. 37
|0592 : 578|
Beylage XIV.
Anfangsworten aus einer legis actio hergenommen ſeyn
muß, da in den formulae ſtets der Prätor, nicht der Klä-
ger, als redend erſcheint.
Es läßt ſich aber hieran noch folgende allgemeinere
Bemerkung anknüpfen. Die älteſten Legis Actionen (Sa-
cramentum und Judicis postulatio) waren rein formeller
Art, alſo auf den verſchiedenſten Inhalt gleich anwendbar.
Die Legis actio per condictionem nahm ſchon auf das
eigenthümliche Bedürfniß mancher materiellen Rechtsver-
hältniſſe beſondere Rückſicht, worin ein Fortſchritt juriſti-
ſcher Ausbildung wahrzunehmen iſt. In dem neueren Sy-
ſtem der formulae nahm der Prätor dieſe Condictionen
als Grundlage ſeines Actionenſyſtems auf, nur mit freye-
rer, vollſtändigerer Entwicklung ihres Princips. Inſofern
kann die Legis actio per condictionem als Vorbereitung
und Übergang zu dem neueren Actionenſyſtem angeſehen
werden. Nimmt man dieſen inneren Zuſammenhang an,
ſo liegt darin zugleich eine Antwort auf die von Gajus
als räthſelhaft aufgeworfene Frage: warum die Legis
actio per condictionem nöthig gefunden worden ſey, da
doch für ihre Zwecke das Sacramentum und die Judicis
postulatio ausgereicht hätten (e).
XXIII.
Die L. 9 de R. C. (12. 1.) fängt, indem ſie die An-
wendung der certi condictio feſtſtellen will, ſo allgemein
(e) Gajus IV. § 20.
|0593 : 579|
Die Condictionen. XXIII.
an, daß man glauben möchte, es könnten alle andere per-
ſönliche Klagen entbehrt werden, indem die certi con-
dictio zum Schutz aller Obligationen völlig ausreiche; ja
ſelbſt die incerti condictio erſcheint nach der allgemeinen
Faſſung dieſer Stelle entbehrlich.
Certi condictio competit ex omni causa, ex omni
obligatione, ex qua certum petitur: sive ex certo
contractu petatur, sive ex incerto: licet enim nobis
ex omni contractu certum condicere.
Einigen Halt könnte man nun wohl noch in dem Aus-
druck contractu ſuchen, wodurch die Klage wenigſtens auf
Vertragsverhältniſſe beſchränkt zu werden ſcheint. Allein
ſelbſt dieſer Schutz wird uns wieder entzogen, theils durch
die viel allgemeineren Ausdrücke ex omni causa, ex omni
obligatione, theils dadurch daß der § 1 derſelben Stelle
ſagt, die Klage könne auch auf ein Legat und auf das
Delict der L. Aquilia angewendet werden.
Indeſſen muß uns gerade die durch den Schein jener
Worte begründete übertriebene Ausdehnung wieder Beru-
higung gewähren, indem es dennoch die Römer nöthig ge-
funden haben, neben jener Klage noch viele andere per-
ſönliche Klagen genau auszubilden. In der That iſt denn
die Meynung Ulpians folgende. Damit die certi con-
dictio gelte, ſind gewiſſe poſitive Bedingungen nöthig;
worin dieſe beſtehen, drückt er hier nicht aus, es ſind aber
Diejenigen, welche oben, der Reihe nach, aufgeſtellt wor-
37*
|0594 : 580|
Beylage XIV.
den ſind (a). Wo ſich nun dieſe Bedingungen finden, da
kommt Nichts darauf an, welcher Art übrigens das unter
den Parteyen obwaltende Rechtsverhältniß ſeyn möge,
denn jene Bedingungen ſind mit den allerverſchiedenſten
Rechtsverhältniſſen vereinbar. Die Entſtehung der certi
condictio (das Daſeyn ihrer eigenthümlichen Bedingungen
vorausgeſetzt) iſt alſo überall möglich, ohne Unterſchied
ob ein Contract oder ein anderes Verhältniß zum Grund
liege, und wenn es ein Contract iſt, kann dieſer certus
oder incertus ſeyn, ohne die Entſtehung der certi con-
dictio zu hindern.
Dieſe letzte Beſtimmung („sive ex incerto”) hat, nicht
mit Unrecht, von jeher die allergrößten Zweifel erregt,
und der wahre Grund derſelben liegt in der Zweydeutig-
keit des Ausdrucks, indem man dieſen an ſich ſowohl auf
die Unbeſtimmtheit des Gegenſtandes, als auf die der
Contractsart beziehen kann. Entſchieden in dem erſten
Sinn heißt incerta stipulatio eine Stipulation von unge-
wiſſem Gegenſtand, wohin unter andern das Verſprechen
einer Arbeit gehört, die immer erſt durch eine noch unge-
wiſſe Schätzung in einen beſtimmten Werth verwandelt
(a) Auf den erſten Blick ſcheint
dieſer Theil der Erklärung will-
kührlich in die Stelle hinein ge-
tragen; allein eine ſehr beſtimmte
Hinweiſung darauf liegt in den
Worten: ex omni obligatione,
ex qua certum petitur (i. e.
peti potest.). Das will ſagen:
wenn das Rechtsverhältniß ſo ge-
eignet iſt, daß daraus die Zuläſ-
ſigkeit einer condictio certae pe-
cuniae hergeleitet werden kann,
ſo kommt dann auf die übrige
Natur und Benennung deſſelben
Nichts an.
|0595 : 581|
Die Condictionen. XXIII.
werden kann (b). Dieſe Bedeutung iſt in unſrer Stelle
völlig unmöglich, denn wenn man den incertus contractus
in dieſem Sinn als Grundlage einer möglichen certi con-
dictio anſehen wollte, ſo bliebe für die incerti condictio
gar kein Raum mehr übrig. Ulpian denkt alſo an die
Unbeſtimmtheit der Contractsart, mit welcher die Be-
gründung einer beſtimmten Geldforderung, alſo einer certi
condictio, wohl vereinbar iſt. In dieſem Sinn ſind certi
contractus die Stipulation, das Darlehen, der Kauf u. ſ. w.,
incerti ſolche Verträge, die entweder gar keinen indivi-
duellen Namen führen, oder, wegen ihrer zweydeutigen
Natur, zwiſchen mehreren beſtimmten Contracten in der
Mitte ſchweben (c); von ſolchen incerti contractus redet
hier Ulpian.
Die ſcheinbare Allgemeinheit der hier behandelten Stelle
iſt vom Mittelalter her den Juriſten ſehr bedenklich er-
ſchienen. Schon ſeit der Gloſſe war es gewöhnlich, um
dieſer Stelle Willen, neben der condictio certi ex mutuo,
eine condictio certi generalis anzunehmen (d). Theils
(b) L. 74. 75 de V. O. (45. 1.).
— Die Ausdrücke certus, incer-
tus contractus kommen noch in
einigen anderen Stellen vor, in
welchen es mir zweifelhaft iſt, ob
ſie in dem einen oder dem ande-
ren Sinn gebraucht werden. L. 18
pr. de acceptil. (46. 4.), L. 1
§ 6 de pec. const. (13. 5.). Vgl.
Heffter in Gajum Lib. 4 p. 68.
(c) L. 1—4 de praescr. verb.
(19. 5.). Es iſt alſo ungefähr
das, Was die neueren Innomi-
natcontracte nennen, doch nur un-
gefähr, weil dieſe letzten wieder
zu ſehr auf das do ut des aut
facias, facio ut des aut facias,
beſchränkt ſind.
(d) Glossa in L. 9 de R. C.
(12. 1.). — Cujacius in Opp. V.
399, VII. 650, X. 164.
|0596 : 582|
Beylage XIV.
waren dieſe Namen unächt, theils wußte man der zwey-
ten unter dieſen Klagen gar keine beſtimmte Gränzen an-
zuweiſen. — Weit irriger aber und folgenreicher iſt die von
neueren Schriftſtellern aufgeſtellte Anſicht (e), nach wel-
cher es ſtets in der Willkühr eines Glaubigers geſtanden
haben ſoll, Forderungen irgend einer Art in ein certum
zu verwandeln, und mit einer certi condictio zu verfol-
gen, wenn er es nur darauf wagen wollte, ob die richter-
liche Schätzung geringer ausfallen würde, als die von
ihm ausgeſprochene Summe, in welchem Fall er freylich,
als plus petens, ſein ganzes Recht verlieren mußte. So
hätte alſo z. B. Jeder, Welchem in einer Stipulation Ar-
beit verſprochen war, auf eine Geldſumme von 100 con-
diciren können, und er hätte den Prozeß gewonnen, wenn
der Richter jene Arbeit zu 100 oder noch höher taxirte.
Dieſe Anſicht nun muß durchaus verworfen werden. Schon
im Allgemeinen war eine ſo regelloſe Willkühr in dem Ge-
brauch der verſchiedenen Formeln ganz gegen den Sinn
des älteren Rechts, indem die Formeln gerade dazu dienen
ſollten, jedes Rechtsverhältniß in ſeinen individuellen Grän-
zen feſt zu halten (f). Ganz entſcheidend aber gegen jene
Meynung iſt der Umſtand, daß in dem angeführten Fall
die Intentio auf Centum dare oportere deswegen ver-
(e) Am Beſtimmteſten von Haſſe
Weſen der actio S. 75.
(f) Allerdings kamen auch man-
cherley Umbildungen der Formeln
vor (Beylage XIII. Num. XVI—
XIX.), allein dieſe ſtanden gleich-
falls unter beſtimmten Regeln, und
hiengen keinesweges von dem blo-
ßen Gutfinden des Klägers in je-
dem einzelnen Falle ab.
|0597 : 583|
Die Condictionen. XXIV.
worfen werden muß, weil eine Geldſchuld gegenwärtig
gar nicht vorhanden iſt, ſondern erſt künftig durch das
richterliche Urtheil entſtehen kann (g). Es würde alſo hier
aliud pro alio eingeklagt ſeyn, Welches ſtets die Folge
hatte, daß die angeſtellte Klage abgewieſen wurde, eine
neue aber, auf den wahren Gegenſtand der Schuld, mög-
lich blieb, indem in jenem Misgriff kein plus petere ent-
halten war (h). Daher würde es auch ganz unzuläſſig
ſeyn, zur Unterſtützung dieſer Meynung die in unſrer
Stelle vorkommende Worte: ex qua certum petimus
geltend zu machen, gleich als wollten dieſe Worte ſagen:
„ſobald es uns nur gefällt, unſere Forderung auf eine
genau beſtimmte Geldſumme zu richten.“ Der wahre
Sinn dieſer Worte iſt ſchon oben angegeben worden
(Note a).
XXIV.
Die bis jetzt verſuchte Erklärung der angeführten Di-
geſtenſtelle hat, in Beziehung auf die oben aufgeſtellte
Lehre von den Condictionen, eine blos abwehrende Natur
gehabt, ich will aber nunmehr denjenigen Theil der Stelle
(g) L. 37 de V. S. (50. 16.).
„Verbum oportere non ad fa-
cultatem judicis pertinet, qui
potest vel pluris vel minoris
condemnare, sed ad veritatem
refertur.” Vgl. Syſtem § 216.
(h) Gajus IV. § 55. — Nicht
unmittelbar hierher gehört § 53
„sicut ipsa stipulatio concepta
est, ita et intentio formulae
concipi debet,” denn Dieſes geht,
nach den vorhergehenden Worten,
lediglich auf die Gefahr des plus
petere.
|0598 : 584|
Beylage XIV.
anführen, welcher unmittelbar als Beſtätigung jener Lehre
angeſehen werden kann.
L. 9 § 3 de R. C. (12. 1.).
Quoniam igitur ex omnibus contractibus haec certi
condictio competit, sive re fuerit contractus factus,
sive verbis, sive conjunctim ....
Der Sinn dieſer Worte iſt folgender: Die Condiction
überhaupt kann begründet werden re (durch Darlehen,
Indebitum u. ſ. w.), oder durch Stipulation, oder auch
durch die Verbindung beider Vertragsformen; eine certi
condictio insbeſondere, wenn das Geben oder die Stipu-
lation baares Geld zum Gegenſtand hat. — Ich halte es
für unzweifelhaft, daß Ulpian noch hinzugeſetzt hatte: sive
literis, und daß dieſe Worte von den Compilatoren aus
dem ſehr nahe liegenden Grunde weggelaſſen wurden, weil
die expensilatio aus dem wirklichen Leben verſchwunden
war. Nimmt man nun Dieſes an, ſo ſtimmt die Stelle
völlig mit den oben dargeſtellten Bedingungen und Grän-
zen der Condictionen, und eben ſo ſehr mit der Stelle des
Cicero (Num. XXI.) überein. Ja ihr Ausdruck iſt ſogar
noch genauer und vollſtändiger, als der des Cicero. Denn
die condictio sine causa, mit Einſchluß derjenigen Geſtalt
ihrer Anwendung, worin ſie den beſonderen Namen con-
dictio furtiva führt, kann nicht wohl auf eine datio oder
adnumeratio zurück geführt werden (welches Cicero’s Aus-
druck iſt), anſtatt daß der von Ulpian gebrauchte allgemeinere
|0599 : 585|
Die Condictionen. XXIV.
Ausdruck re contractus factus auf ſie völlig anwend-
bar iſt (a).
Durch dieſe Erklärung des Ulpian ſind nun von der
Anwendung der certi condictio (wir dürfen hinzu ſetzen,
jeder Condiction überhaupt) völlig ausgeſchloſſen zuerſt
alle Delictsobligationen. Denn wenngleich von ihnen ge-
ſagt wird: re consistunt obligationes, oder ex re actio
venit (b), ſo wird doch gewiß niemals der Ausdruck: re
contractus factus von ihnen gebraucht. Ferner ſind da-
durch ausgeſchloſſen die consensu contractus facti, denn
dieſe waren von ſolcher Wichtigkeit, daß ſie unmöglich
von Ulpian aus Verſehen weggelaſſen werden konnten,
und eben ſo iſt kein Grund denkbar, weshalb die Compi-
latoren ſie weggeſtrichen haben ſollten, wenn Ulpian ſie
wirklich erwähnt hätte. Hierin alſo liegt eine augenſchein-
liche Übereinſtimmung mit den für die Condictionen oben
vorgezeichneten Gränzen.
Eben darin aber möchte man nun auch einen Wider-
ſpruch finden zwiſchen den hier von Ulpian aufgeſtellten
engen Gränzen, und der im Anfang der ganzen Stelle
ausgedrückten gränzenloſen Ausdehnung (ex omni causa,
ex omni obligatione). Dieſer ſcheinbare Widerſpruch aber
löſt ſich theils durch den ſchon oben bemerkten Zuſatz: ex qua
certum petitur, theils durch folgende Betrachtung. Wenn
(a) Nämlich in derjenigen ſehr
gewöhnlichen Bedeutung von con-
tractus, worin das Wort auch die
Quaſicontracte, wie Tutel, nego-
tiorum gestio u. ſ. w. umfaßt,
wie z. B. in L. 23 de R. J. (50. 17.).
(b) L. 4 L. 46 de O. et A.
(44. 7.).
|0600 : 586|
Beylage XIV.
irgend ein außer jenen engen Gränzen liegendes Rechts-
verhältniß dennoch eine Condiction erzeugt, ſo liegt der
Grund ſtets darin, daß demſelben eine re contracta obli-
gatio wirklich beygemiſcht iſt. Wenn z. B. bey Gelegen-
heit einer Societät oder eines Mandats die Condiction
entſpringt (Num. VI.), ſo finden ſich zwey ganz verſchie-
dene Obligationen vereinigt, die aus dem Conſens und die
aus dem anvertrauten Geld. Jede derſelben hat ihre
eigene Natur, Wirkung, Klage; ſoweit aber die eine Klage
den Gegenſtand der anderen bereits erſchöpft hat, iſt die
andere nicht mehr möglich. Eben ſo, bey der körperlichen
Beſchädigung, die Obligation aus dem Delict (actio L.
Aquiliae) und die aus der zufällig daraus entſprungenen
Bereicherung (condictio). — Die Annahme ſolcher zuſam-
mengeſetzten Obligationen, die aus einer und derſelben
Thatſache entſpringen, iſt auch nicht etwa zur Vertheidi-
gung der aufgeſtellten Condictionenlehre erfunden, viel-
mehr kommt ſie auch anderwärts in ganz unzweifelhaften
Fällen vor (c).
Aus der wichtigen und ſchwierigen L. 9 de R. C.
(12. 1.) bleibt nun noch ein einziger Fall für unſren Zweck
zu erklären übrig. Nach dem § 1 ſoll die certi condictio
(c) Vgl. z. B. L. 18 § 1 com-
mod. (13. 6.), wenn nämlich der
Empfänger eines Depoſitum oder
eines Commodats die Sache zer-
ſtört oder verdirbt. Hier concur-
rirt mit der actio L. Aquiliae die
Contractsklage auf dieſelbe Weiſe,
wie in den oben angeführten Fäl-
len die condictio wegen der Be-
reicherung.
|0601 : 587|
Die Condictionen. XXV.
auch ex Senatusconsulto eintreten können, wenn nämlich
Derjenige die Klage anſtellt, Welchem eine Erbſchaft ex
Trebelliano Sc. reſtituirt iſt (d). Dieſes läßt ſich ſchwer-
lich anders erklären, als von einer in der Erbſchaft ent-
haltenen Condiction, die etwa aus einem Darlehen oder
einer Stipulation des Verſtorbenen entſtanden war. In
dieſem Fall iſt nun freylich der Entſtehungsgrund jener
Condiction der Vertrag, und das Senatusconſult iſt nur
das Mittel der Übertragung auf den gegenwärtigen Klä-
ger, ſo daß der Ausdruck: ex Senatusconsulto agetur
nicht ganz genau iſt. Allein er iſt nicht ungenauer, als
der vorhergehende Ausdruck: ex lege Aquilia, welcher
eigentlich ſagen ſoll: ex causa legis Aquiliae, oder ex eo
facto, quod lege Aquilia coercetur; denn die Lex Aquilia
ſelbſt hatte über die beſondere Befugniß zur Condiction ſo
wenig Etwas beſtimmt, als das Sc. Trebellianum.
XXV.
Die wichtigſten Stellen aber über die Natur der Con-
diction ſind die des Gajus, die um ſo mehr eine genaue
Auslegung erfordern, als das mangelhafte Verſtändniß
derſelben neuere Schriftſteller bald zu Irrthümern über
die Condiction verleitet hat, bald zu dem ungegründeten
Vorwurf, daß jene Stellen ungenau, ſchwankend, wider-
ſprechend abgefaßt ſeyen.
Die Hauptſtelle iſt folgende.
(d) Vgl. Heffter in Gajum lib. IV. p. 67.
|0602 : 588|
Beylage XIV.
Gajus IV. § 5.
Appellantur autem in rem quidem actiones, vindica-
tiones; in personam vero actiones, quibus dari fie-
rive oportere intendimus, condictiones(a).
Alles kommt darauf an, in welchem Sinn der Zwi-
ſchenſatz: (quibus .. intendimus) aufgefaßt wird. Auf den
erſten Blick möchte man geneigt ſeyn, ihm eine blos erklä-
rende Bedeutung beyzulegen, als ob geſagt wäre: „alle
perſönliche Klagen, das heißt die mit dari fierive, wer-
den condictiones genannt.“ Dann würde die Stelle nicht
blos die oben aufgeſtellte Lehre widerlegen, ſondern mit
dem ganzen Sprachgebrauch der Digeſten im Widerſpruch
ſtehen, nach welchem nur ein mäßiger Theil der perſön-
lichen Klagen den Namen der Condictionen führt. Daher
iſt denn jener Zwiſchenſatz vielmehr in einer einſchränken-
den Bedeutung zu verſtehen, ſo daß die ganze Stelle die-
ſen Sinn hat:
Condictiones heißen diejenigen perſönlichen Klagen,
deren Intentio auf dari oder fieri gerichtet iſt.
So verſtanden aber iſt der Satz durchaus richtig, und
(a) Faſt ganz gleichlautend iſt
§ 15 J. de act. (4. 6.), nur mit
folgenden, wenig bedeutenden, Ab-
weichungen: „Appellamus in rem
(ohne autem) … dare facere
oportere intenditur.” Die un-
veränderte Aufnahme dieſer Stelle,
zu einer Zeit worin alle Intentio-
nes längſt verſchwunden waren,
iſt freylich unglaublich gedankenlos.
Man muß nun den Zwiſchenſatz
in der That als bloße Erklärung
auffaſſen, ſo daß es bey Juſtinian
wirklich ſo viel heißt, als: alle
perſönlichen Klagen führten den
Namen condictiones; Welches
aber freylich zu dem Sprachge-
brauch der Digeſten, und ſelbſt
mancher Inſtitutionenſtellen, wenig
paßt.
|0603 : 589|
Die Condictionen. XXV.
ſtimmt zugleich mit der oben vorgetragenen Lehre völlig
überein. Um Dieſes beweiſen zu können, muß ich folgende
Bemerkungen über den Sprachgebrauch vorausſchicken.
Dare heißt, im ſtrengen Sinn der formulae, Ver-
ſchaffen des Eigenthums ex jure quiritium (Num. V. i.),
alſo eine ganz beſchränkte Art der Thätigkeit. Facere
dagegen iſt der umfaſſende Ausdruck für jedes Thun oder
Laſſen, ſey es juriſtiſcher oder faktiſcher Art, ſo daß dar-
unter unter andern auch zu verſtehen iſt das dare, sol-
vere, numerare, judicare, ambulare, reddere, non facere,
curare ne fiat (b).
Bey contractlichen Verhältniſſen nun, das heißt bey
Rechtsgeſchäften, kommen nur zweyerley intentiones in jus
conceptae vor: si paret, centum (oder fundum, servum)
dari oportere, und: quidquid dari fieri oportet; irgend
eine andere Formel, und namentlich ein bloßes facere oder
fieri oportere, kommt nicht vor (c). — Dieſes hängt aber
ſo zuſammen. Eigentlich wäre überall das bloße facere
(b) L. 218. 175. 189 de V. S.
(50. 16.).
(c) Nur die Verſchiedenheit findet
ſich noch, daß die Condictionen
blos die oben angegebenen Aus-
drücke hatten, die b. f. actiones
hinter dem oportet noch den Zu-
ſatz: ex fide bona. — Einen An-
ſtoß könnte man finden an der bald
activen, bald paſſiven Form des
dare facere; damit verhält es ſich
ſo. In den wirklichen Formeln
wurde ſtets eine beſtimmte Perſon
als Schuldner bezeichnet, und da-
zu paßte natürlich nur die active
Form (z. B. quidquid Negidium
dare facere oportet); wenn aber
auf abſtracte Weiſe von ſolchen In-
tentionen geſprochen wurde, konnte
ſowohl die eine als die andere
Form gebraucht werden, wie es
oben (Note a.) an dem Beyſpiel
des Gajus, verglichen mit den
Juſtinianiſchen Inſtitutionen, ge-
zeigt worden iſt.
|0604 : 590|
Beylage XIV.
oportere ausreichend geweſen, da es das dare mit um-
faßte. Da aber die Formel mit dare manche eigenthüm-
liche Wirkungen und Vortheile mit ſich führte, wie ſich
unten zeigen wird, ſo intendirte man auf dare, wo ein
Rechtsgrund hierzu vorhanden war, um den Prätor und
den Judex darauf hinzuweiſen, daß er dieſe Folgen zur
Anwendung bringe. Dare facere aber hieß ſoviel als
dare aut facere (d), war alſo alternativ zu verſtehen, und
drückte daher aus, daß dem Judex freye Hand gelaſſen
werde, auf dare, oder auf irgend ein anderes Thun, oder
auch auf Beides neben einander, zu erkennen. Dieſes war
auch für die Fälle hinreichend, worin die Obligation gar
nicht auf dare, ſondern etwa blos auf Arbeit gerichtet
war; es war kein Intereſſe dabey, Formeln mit einem
bloßen facere oportere aufzuſtellen, da mit dieſen nicht,
ſo wie bey dem bloßen dare, beſondere Vortheile ver-
bunden waren.
XXVI.
Dieſes vorausgeſetzt, ſoll nun gezeigt werden, daß die
Erklärung der condictio, welche ſo eben aus Gajus an-
gegeben worden iſt, völlig hinreicht, alle die Klagen von
den Condictionen auszuſchließen, die ich oben davon aus-
(d) L. 53 pr. de V. S. (50. 16.)
„Saepe ita comparatum est, ut
conjuncta pro disjunctis acci-
piantur … Cum vero dicimus,
quod eum dare facere oportet,
quodvis eorum sufficit probare.”
Es braucht alſo nicht Beides ver-
bunden, als rechtlich begründet,
nachgewieſen zu werden, ſondern
nur Eines oder das Andere.
|0605 : 591|
Die Condictionen. XXVI.
geſchloſſen habe (a). Es ſind nämlich dadurch ausge-
ſchloſſen:
1) alle prätoriſche Klagen, da dieſe überhaupt nur
eine Intentio in factum concepta hatten (Syſtem § 216.).
2) alle Civilklagen in rem, denn deren Intentio lautete
auf rem (servitutem, hereditatem) suam esse.
3) alle civile Delictsklagen, denn deren Intentio lautete
bey der furti actio ganz ſicher: pro fure damnum decidere
oportere; bey der actio L. Aquiliae höchſt wahrſcheinlich
blos: damnum decidere oportere; bey anderen Civil-
delicten wahrſcheinlich auf ähnliche Weiſe (b).
4) alle bonae fidei actiones, denn deren Intentio hatte
am Schluß noch den Zuſatz: ex fide bona (c).
Bey dieſer Art, die einzelnen Klaſſen der Klagen durch
beſondere Formen der Intentio zu unterſcheiden, ſcheint
ſehr willkührlich und grundlos die Faſſung der civilen
Delictsklagen, da man glauben ſollte, das ganz allgemeine
facere hätte auch für dieſe ausgereicht, ja ſogar ſchon
das bloße dare, indem der Erfolg dieſer Klagen, und ſelbſt
der urſprüngliche Inhalt der ihnen zum Grund liegenden
Obligation, ſtets in einer Geldzahlung beſtand. Allein
jene eigenthümliche Intentio hatte eben den Zweck, dieſe
Klagen auf eine recht anſchauliche Weiſe von den übrigen
(a) Vgl. oben Num. I. und
Beylage XIII. Num. VI.
(b) Vgl. oben Num. XX.
(c) Vgl. oben Note c. — Man
muß alſo bey Gajus die Worte
quibus dari … intendimus ganz
ſtreng nehmen, nämlich ſo: mit
dieſen Worten, und zwar mit ihnen
allein, ohne allen weiteren Zuſatz.
|0606 : 592|
Beylage XIV.
zu unterſcheiden. Dieſes konnte unter andern bey einer
Novation von Wichtigkeit ſeyn; wenn nämlich expromittirt
wurde quidquid furem dare facere oportet, ſo war blos
der Inhalt der condictio furtiva gemeynt, und die furti
actio blieb daneben noch beſtehen, ſo daß durch dieſes
Mittel die zwey verſchiedenen Obligationen des Diebes
recht augenſcheinlich abgeſondert, und Misverſtändniſſe
hierüber leichter vermieden wurden (d).
Im älteſten Recht beſtand noch ein anderer, und nicht
unwichtiger Grund, weshalb die furti actio nicht mit dare
facere oportere gefaßt wurde. Nach den Zwölf Tafeln
nämlich ſollte der fur manifestus nicht an Geld, ſondern
durch den Verluſt der Freyheit beſtraft werden, er ſollte
die Addiction erleiden. Dieſes Übel konnte man weder
dare noch facere nennen, der unbeſtimmte Ausdruck deci-
dere war auch darauf anwendbar, und ſo lag hierin das
Mittel, die verſchiedenen Arten der furti actio unter Einer
paſſenden Formel zuſammen zu faſſen. Seitdem der Prä-
tor für das furtum manifestum die Geldſtrafe des vier-
fachen Werthes eingeführt hatte, fiel dieſer Beweggrund
freylich hinweg.
So erſcheint alſo die Definition der condictio bey
Gajus ſehr präcis und völlig befriedigend. Nicht daſſelbe
Lob verdient eine Stelle des Ulpian, worin geradezu con-
dictio für ganz gleichbedeutend mit in personam actio er-
(d) Ein ſolcher Fall wird erwähnt in L. 72 § 3 de solut.
(46. 3.).
|0607 : 593|
Die Condictionen. XXVI.
klärt wird (e). Dieſes wird auch dadurch nicht gebeſſert,
daß nachher, ſcheinbar übereinſtimmend mit Gajus, hinzu-
geſetzt wird: In personam actio est, qua cum eo agimus,
qui obligatus est nobis ad faciendum aliquid vel dandum.
Denn eine ſolche Verpflichtung auf dare oder facere
findet ſich in der That bey allen Obligationen ohne Aus-
nahme, iſt alſo nicht der unterſcheidende Character der
Condictionen. Da aber dieſe Stelle des Ulpian mit ſo
vielen anderen Stellen deſſelben Verfaſſers in entſchiedenem
Widerſpruch ſteht, ſo iſt mit großer Wahrſcheinlichkeit an-
zunehmen, daß ſie von den Compilatoren ſtark umgeändert
worden iſt. — Von einer Inſtitutionenſtelle iſt ſchon oben
(Num. XXV. a.) bemerkt worden, daß ſie den Worten
nach mit Gajus gleichlautend iſt, dem Sinne nach die
condictio für jede perſönliche Klage überhaupt erklärt. —
Eine ähnliche Erweiterung des Sprachgebrauchs, doch
weniger entſchieden, findet ſich in einer Stelle des Codex (f).
Weit wichtiger und bedenklicher würde es ſeyn, wenn
ſich Stellen der alten Juriſten nachweiſen ließen, worin
bey einzelnen Rechtsverhältniſſen der Ausdruck condictio
gebraucht würde, um eine wirkliche bonae fidei actio,
namentlich die actio praescriptis verbis, zu bezeichnen.
(e) L. 25 pr. de O. et A.
(44. 7.), vgl. Syſtem § 206.
(f) L. 1 C. de don. q. sub
modo (8. 55.) „… condictio
quidem tibi in hoc casu, id est
in personam actio, jure pro-
cedit” … Man kann die Worte
id est etc. als Erklärung des
Ausdrucks condictio verſtehen,
(alſo in demſelben Sinn wie L. 25
pr. de V. O.), ſie können aber
auch ſagen wollen: „welche per-
ſönliche Klage im vorliegenden Fall
eine condictio ſeyn würde.“
V. 38
|0608 : 594|
Beylage XIV.
Dieſes wird nun in der That von folgenden zwey Stellen
behauptet:
a) L. 19 § 2 de praescriptis verbis (19. 5.)
Cum quid precario rogatum est, non solum inter-
dicto uti possumus, sed et incerti condictione, id est
praescriptis verbis.
Es iſt jedoch ſchon oben bemerkt worden, daß die
Vulgata anſtatt condictione lieſt actione; da nun incerti
actio eine ganz regelmäßige Bezeichnung der a. praescriptis
verbis iſt, dieſe letzte Leſeart aber handſchriftliche Beglau-
bigung hat, ſo iſt es unbedenklich, dieſelbe vorzuziehen,
wodurch die aus dieſer Stelle hergeleitete Einwendung
verſchwindet (§ 217. o.).
b) L. 3 § 4 de cond. causa data (12. 4.). Unmittelbar
vorher war geſagt, wenn Jemand einem Andern Geld
gebe, damit Dieſer binnen einer beſtimmten Zeit einen
Sklaven frey laſſe, der Sklave aber vor Ablauf der Zeit
ſterbe, ſo daß den Empfänger noch kein Vorwurf treffe,
ſo gelte die regelmäßige Rückforderung des Gegebenen
nicht (g). Hieran ſchließt ſich nun die angeführte Stelle:
Quinimo et si nihil tibi dedi ut manumitteres, pla-
(g) L. 3 § 3 de cond. causa
data (12. 4.) „… Proculus ait,
si post id temporis decesserit,
quo manumitti potuit, repeti-
tionem esse: si minus, cessare.”
Bey den letzten Worten muß nun
aus dem Vorhergehenden (§ 2 und
§ 3) ergänzend hinzu gedacht wer-
den: nisi poeniteat, welches Ul-
pian nur nicht jedesmal wieder-
holen wollte. Dieſes poenitere
aber hat wieder eigenthümliche Be-
ſchränkungen, wodurch es im letzten
Erfolg oft ganz wirkungslos wer-
den kann. L. 5 pr. § 2. 3. 4. eod
|0609 : 595|
Die Condictionen. XXVI.
cuerat tamen ut darem, ultro tibi competere actio-
nem quae ex hoc contractu nascitur, id est con-
dictionem, defuncto quoque eo.
Hier ſagen die Meiſten, es ſey die a. praescriptis
verbis als condictio bezeichnet. Dieſe kann aber ſchon
deshalb nicht gemeynt ſeyn, weil der Herr, der den Sklaven
nicht manumittirt hat, unmöglich ſagen kann: feci ut dares.
Deswegen haben Andere angenommen, die Worte id est
condictionem ſeyen von Tribonian, oder gar von Abſchrei-
bern, eingeſetzt. Allein ſelbſt durch dieſes gewaltſame
Verfahren iſt nur die Hälfte der Schwierigkeit beſeitigt,
nämlich die Bedeutung des Ausdrucks condictio, der Grund
einer Klage erhellt daraus nicht. Offenbar aber ſollen die
Worte ex hoc contractu nur als Wiederholung dienen für
die vorhergehenden Worte placuerat tamen ut darem. Das
placitum nun kann nur unter der Vorausſetzung contractus
heißen und eine Klage erzeugen, wenn es durch Stipula-
tion beſtärkt war. Dieſes alſo hat Ulpian gedacht, und
zwar nicht unmittelbar geſagt, wohl aber durch das wie-
derholende ex hoc contractu angedeutet (h). Die Con-
diction iſt alſo die certi condictio aus der Stipulation.
Und nun will Ulpian, mit ſtrengem innerem Zuſammen-
hang der Gedanken, Folgendes ſagen. So wie bey dem
früheren Tod des Sklaven der Empfänger das Geld be-
(h) In anderen Stellen wird
neben dem placitum die Stipu-
lation ausdrücklich genannt (L. 27
C. de pactis 2. 3, L. 4 C. de
rer. perm. 4. 64.); hier wird ſie
durch das Wort contractu außer
Zweifel geſetzt.
38*
|0610 : 596|
Beylage XIV.
halten darf (§ 3: si minus, cessare), ſo darf er es ſelbſt
noch einklagen, wenn es ihm nicht bezahlt, ſondern nur
durch Stipulation verſprochen war (i).
XXVII.
Einige andere Stellen des Gajus ſcheinen für die Con-
diction nur die Intentio mit dare oportere (ohne facere)
anzugeben, und die ſcheinbare Differenz derſelben von der
oben angegebenen Stelle (Num. XXV.) bedarf einer Er-
klärung und Rechtfertigung.
Gajus IV. § 18. (a)
Nunc vero non proprie(b)condictionem dicimus
actionem in personam, qua intendimus, dari nobis(c)
oportere: nulla enim hoc tempore eo nomine denun-
tiatio fit.
Gajus wollte die neuen Condictionen mit den alten
Legis actiones vergleichen, die dieſen Namen führten; da
nun dieſe nur auf dare giengen (d), ſo konnte er natürlich
(i) Auch hier muß ergänzend
hinzu gedacht werden: nisi poeni-
teat (Note g.). — Die hier ver-
ſuchte Erklärung hat im Weſent-
lichen ſchon Chesius jurispr. Rom.
et Att. II. p. 786. Andere Er-
klärungen werden angeführt bey
Glück B. 13 S. 41, Schulting
notae ad Digesta III. p. 74. Eine
neue Erklärung verſucht Pfordten
Abhandlungen S. 278.
(a) Er hatte vorher von der
alten Legis actio per condictio-
nem geſprochen, und dabey be-
merkt, condicere heiße eigentlich
ſo viel als denuntiare, und bey
der alten condictio ſey eine de-
nuntiatio auf 30 Tage üblich ge-
weſen. Die hier im Text abge-
druckte Stelle ſteht auch, mit ge-
ringen Abweichungen, in dem § 15
J. de act. (4. 6.).
(b) Inst. abusive.
(c) Inst. actor intendit, dari
sibi oportere (weil der Kaiſer
nicht ſeine eigene Perſon in die
Erklärung einflechten wollte).
(d) Gajus IV. § 19.
|0611 : 597|
Die Condictionen. XXVII.
von den neuen Condictionen nur diejenigen erwähnen, die
ihnen durch ihren Inhalt entſprachen, alſo nur die mit
dare, nicht die mit dare facere.
Ganz dieſelbe Bewandniß, und noch augenſcheinlicher,
hat es mit der folgenden Stelle, worin er vor dem mög-
lichen Misverſtändniß warnen will, als ob die neuen Con-
dictionen auf einer Fiction der alten beruhten, und dieſe
Fiction in ihrer Formel ausgedrückt enthielten. Ein ſolches
Misverſtändniß war natürlich nur denkbar bey denjenigen
neuen Condictionen, die auf dare, nicht die auf dare facere
giengen, da dieſe mit den alten Condictionen ſchon ihres
Inhaltes wegen gar keine Verwandtſchaft hatten.
Gajus IV. § 33.
Nulla autem formula ad condictionis fictionem ex-
primitur. Sive enim pecuniam, sive rem aliquam
certam debitam nobis petamus, eam ipsam dari nobis
oportere intendimus, nec ullam adjungimus condictio-
nis fictionem.
So iſt die wörtliche Differenz dieſer zwey Stellen von
der zuerſt angeführten völlig erklärt und gerechtfertigt,
und wir haben keinen Grund, deshalb dem Gajus unge-
naue und ſchwankende Rede vorzuwerfen (e). Eben ſo
aber haben wir auch keinen Grund, in jenen Stellen des
(e) Dieſe Rechtfertigung kommt
freylich dem § 15 J. de act. (4. 6.)
nicht zu Statten; denn Dieſer iſt
ungeſchickt compilirt aus Gajus
IV. § 5 und § 18, ſo daß in ihm
gar kein Grund ſichtbar wird, wes-
halb die Formel der Condiction
in der erſten Hälfte mit dare fa-
cere, in der zweyten mit dare,
angegeben wird, ſo daß hier dieſe
Verſchiedenheit als blos nachläſ-
ſige Rede erſcheint.
|0612 : 598|
Beylage XIV.
Gajus die Angabe mehrerer ſucceſſiven Entwicklungsſtufen
der Condiction anzunehmen, gleich als ob auf die alte
condictio erſt blos die neue auf dare, dann die neueſte
auf dare facere gefolgt wäre (f). Bey Gajus iſt viel-
mehr blos von Zwey Zeiten die Rede: der Zeit der Legis
actiones (vor der L. Aebutia), und der Zeit, welche ſeit
Aufhebung der L. actiones und Einführung der formulae
eingetreten war, und die er als unverändert fortdauernd
mit nunc bezeichnet. Indem er den heutigen Sprachge-
brauch mit dem Beywort non proprie (bey Juſtinian
abusive) belegt, will er damit keinen Tadel ausſprechen,
ſondern nur die Abweichung von dem älteren Sprachge-
brauch, und zugleich von der etymologiſchen Wortbedeu-
tung bemerklich machen, weil condicere ſo viel heiße als
denuntiare, da doch die denuntiationes bey den neueren
Condictionen nicht mehr vorkämen.
XXVIII.
Die letzte Stelle des Gajus, die hier in Betracht
kommt, lautet ſo:
Gajus IV. § 2.
In personam actio est, quotiens cum aliquo agimus,
qui nobis vel ex contractu, vel ex delicto obligatus
est, id est cum intendimus, dare, facere, praestare
oportere.
Hier macht die wörtliche Abweichung von den drey
(f) Heffter in Gajum lib. 4 p. 65.
|0613 : 599|
Die Condictionen. XXVIII.
oben angeführten Stellen keine Schwierigkeit, denn in
dieſen iſt die Rede von Condictionen allein, hier aber von
den perſönlichen Klagen im Allgemeinen, von welchen ja
die Condictionen nur eine einzelne Art ausmachen. — Auch
Das iſt auf den erſten Blick einleuchtend, und macht da-
her keine Schwierigkeit, daß die in den Worten: id est
… oportere enthaltene Erklärung nicht alle perſönliche
Klagen überhaupt zum Gegenſtand hat, ſondern nur die-
jenigen, welche mit einer Intentio in jus concepta verſehen
ſind; denn die in factum gefaßten waren ja einer ſolchen
gemeinſchaftlichen Angabe ihres Inhalts nicht empfänglich,
da jede derſelben ganz anders lautete als die übrigen.
Alle Schwierigkeit liegt in dem Wort praestare. Da
nämlich den vorhergehenden Worten dare facere ganz be-
kannte und ſichere Intentionsformen entſprechen, ſo er-
wartet man, daß bey manchen Klagen die Intentio auf
praestare oportere gelautet haben möge. Nun kommt
aber eine ſolche Intentio in dem ganzen Umfang unſrer
Quellen nicht vor, und es läßt ſich mit Wahrſcheinlichkeit
nicht annehmen, daß Gajus, der ſo reich an mannichfal-
tigen Beyſpielen iſt, gerade dieſe Form in einem Beyſpiel
anzuführen vergeſſen haben ſollte; ganz unzuläſſig aber
würde die Annahme ſeyn, daß die Römer mit dieſen Aus-
drücken nach Gutdünken abgewechſelt haben ſollten, da
vielmehr hierin die Beobachtung der ſtrengſten Gleichför-
migkeit unverkennbar iſt.
Alles aber erklärt ſich daraus, daß Gajus von allen
|0614 : 600|
Beylage XIV.
perſönlichen Klagen überhaupt ſprechen will, alſo auch
(wie er noch ausdrücklich hinzufügt) von den Delictsklagen,
bey welchen der Ausdruck dare facere in der That nicht
üblich war (Num. XXVI.); auf Dieſe alſo geht der Aus-
druck praestare (a). Freylich auch nicht praestare als ein
in der Intentio derſelben wirklich vorkommender Ausdruck,
ſondern nur als allgemeine Hinweiſung auf dieſen, von
dare facere verſchieden lautenden, Ausdruck. Demnach
läßt ſich die angeführte Stelle des Gajus ſo umſchreiben:
„Die perſönlichen Klagen haben als Intentio entweder ein
bloßes Geben (dare), oder noch ein anderes, von dem
Geben verſchiedenes, Thun (facere), oder ein ſolches Lei-
ſten, welches nicht mit dem Ausdruck dare facere bezeichnet
wird.“ Hierin iſt alſo das praestare nicht von dem fa-
cere der Sache nach verſchieden (ſo daß es nicht unter
facere mit verſtanden werden könnte), ſondern nur wörtlich
verſchieden, und es bezieht ſich auf die Intentio der De-
(a) Weſentlich dieſelbe Erklä-
rung, nur kurz angedeutet, findet
ſich bey Puchta Lehrbuch der
Pandekten S. 213 Note b. — Eine
andere Meynung hat Marezoll,
Über Dare, Facere, Präſtare, in
Linde’s Zeitſchrift B. 10 Num. VIII.
Nach ihm geht praestare auf die
b. f. actiones, und iſt gleich dem
zuſammen gefaßten dare facere,
anſtatt daß die str. j. actiones
ein abgeſondertes dare oder fa-
cere zum Gegenſtand haben ſollen
(S. 275. 280. 286. 297. 309. 310.).
Allein wenn Dieſem ſo wäre, läge
darin kein Grund, noch neben dem
dare facere das praestare aus-
zudrücken, da M. ſelbſt nicht an-
nimmt, daß in der Intentio je-
mals das Wort praestare ge-
ſtanden habe. Dare facere (für
dare aut facere) hat überall
dieſelbe Bedeutung, in den Con-
dictionen, wie in den b. f. actiones,
und der Unterſchied dieſer beiden
Klagarten wird blos durch den
Zuſatz ex fide bona bezeichnet.
|0615 : 601|
Die Condictionen. XXVIII.
lictsobligationen: damnum decidere, oder pro fure damnum
decidere (b).
Man könnte einwenden, wenn Dieſes die Meynung
des Gajus geweſen wäre, ſo hätte er ja beſtimmter ſagen
können: dare facere damnum decidere oportere. Dieſes
gieng aber deswegen nicht an, weil die Intentionen der
einzelnen Delictsklagen wieder ihre Eigenthümlichkeiten
hatten (Num. XXVI.), die nur durch eine ſo abſtracte
Benennung, wie praestare, kurz umfaßt werden konnten.
Eine beſondere Beſtätigung erhält dieſe Erklärung des
Gajus durch den etwas veränderten Ausdruck in Juſti-
nians Inſtitutionen.
§ 1 J. de act. (4. 6.).
Actiones in personam sunt, per quas intendit, ad-
versarium ei dare facere oportere, et aliis quibus-
dam modis.
Die alii modi, die hier für praestare geſetzt werden,
ſind nun eben: damnum decidere, pro fure damnum de-
cidere, und vielleicht noch manche andere, uns unbekannte,
Wendungen bey anderen Delictsklagen (c).
(b) Africanus braucht mehrmals
damnum praestare, ganz will-
kührlich abwechſlend mit damnum
decidere, für die der furti actio
entſprechende Leiſtung. L. 61 pr.
§ 1. 2. 3. 5 de furtis (47. 2.).
(c) Nämlich man darf durchaus
nicht dieſe Schlußworte mit den
früher vorangehenden Worten: vel
ex contractu, vel ex maleficio
verbinden, als ob darin eine er-
gänzende Hinweiſung auf die Quaſi-
contracte und Quaſidelicte läge,
wie es z. B. von Otto in Inst.
l. c. geſchieht. Dann würde ja
die in die Mitte eingeſchobene
Parentheſe ſagen, nur die Con-
tracte und Delicte, nicht die Quaſi-
contracte, erzeugten Klagen in per-
sonam, mit dare facere oportere.
|0616 : 602|
Beylage XIV.
XXIX.
Mit der zuletzt erklärten Stelle des Gajus ſind noch
folgende Stellen durch die Erwähnung des praestare ver-
wandt, welche erklärt werden müſſen, um nicht manchen
Zweifeln und Misverſtändniſſen Raum zu laſſen.
Paulus ſagt in L. 3 pr. de O. et A. (44. 7.):
Obligationum substantia .. in eo consistit … ut alium
nobis obstringat ad dandum aliquid, vel faciendum,
vel praestandum.
In dieſem Zuſammenhang wäre das faciendum oder das
praestandum (neben dem dandum) allein völlig hinreichend ge-
weſen; die an ſich überflüſſige Zuſammenſtellung der drey
möglichen Gegenſtände enthält eine augenſcheinliche Anſpie-
lung auf die drey gleichnamigen Arten der Intentio in den
Klagformeln, wie ſie in der zuletzt erklärten Stelle des Gajus
vorkommen, und wahrſcheinlich auch von den anderen
Schriftſtellern angegeben zu werden pflegten.
Die Lex Iulia oder Papia hatte beſtimmt, jeder Frey-
gelaſſene, welcher wenigſtens Zwey Kinder in väterlicher
Gewalt habe, ſolle dadurch befreyt ſeyn von allen Ver-
pflichtungen, die er etwa früher gegen ſeinen Patron durch
Eid, Stipulation, oder auf andere Weiſe, übernommen
haben möchte. Dieſes wird in dem Volksſchluß ſelbſt ſo
ausgedrückt:
Die richtige Erklärung wird vertheidigt von Vinnius und Schrader
in § cit.
|0617 : 603|
Die Condictionen. XXIX.
L. 37 pr. de operis libert. (38. 1.).
Ne quis eorum … quicquam … dare, facere, prae-
stare debeto.
In dieſem Zuſammenhang, da blos von Verträgen die
Rede iſt, kann praestare unmöglich von Delictsobligatio-
nen verſtanden werden. Allein die Stelle ſpricht auch
überhaupt nicht von Klagformeln, ſondern von eingegange-
nen Stipulationen, und deren Faſſung war völlig der
Willkühr der Parteyen überlaſſen. Demnach iſt der Sinn
der Stelle dieſer: „er ſoll frey ſeyn von Allem, was er
verſprochen haben mag, ohne Unterſchied, ob dieſes Ver-
ſprechen auf ein Geben, oder ein Thun, oder irgend ein
anderes Leiſten durch den wörtlichen Ausdruck gerichtet
ſeyn möchte.“
Die Lex Galliae cisalpinae Cap. XXII. verordnet, daß
bey allen Klagen, die nicht auf baares Geld gehen, die
in einem Municipium vorgekommene in jure confessio
dieſelben Folgen gegen den Geſtändigen haben ſoll, wie
wenn ſie in Rom vorgekommen wäre. Dieſe Vorſchrift
wird in den Zeilen 31—34 ſo ausgedrückt:
Sei is eam rem … dare, facere, praestare, restitue-
reve oportere, aut se debere, ejusve eam rem esse,
aut se eam habere, eamve rem, de qua arguetur, se
fecisse, obligatumve se ejus rei noxiaeve esse, con-
fessus erit, deixeritve .....
Hier geht das praestare, neben dare facere, wiederum
auf die Delictsobligationen. Das folgende restituereve,
|0618 : 604|
Beylage XIV.
aut se debere, würde in Beziehung auf eine Klagformel
nicht noch beſonders, neben jenen Drey Stücken, genannt
werden können, eben ſo wie das ſpäter folgende: eamve
rem .. se fecisse, obligatumve se … esse. Allein es iſt
ja auch hier nicht von (feſtſtehenden) Klagformeln die
Rede, ſondern von Confeſſionen, die eben ſo willkührlich
und zufällig verſchieden im Ausdruck gefaßt ſeyn konnten,
wie es oben von den Stipulationen bemerkt worden iſt.
Das Geſetz will alſo ſagen: es iſt gleichgültig, ob der
Ausdruck der confessio ſo gefaßt war, wie es in den Klag-
formeln üblich iſt (dare, facere, praestare oportere), oder
in anderen, das Daſeyn einer Verpflichtung bezeichnenden
Worten (restituere oportere, se debere, obligatum se
esse). Dagegen gehen die Worte: ejusve eam rem esse,
aut se eam habere augenſcheinlich auf den Fall einer in
rem actio, wobey bekanntlich zwey Stücke Gegenſtände
des Beweiſes, alſo auch eines möglichen Geſtändniſſes
ſind: das Eigenthum des Klägers (ejus eam rem esse),
und der Beſitz des Beklagten, der das Geſtändniß ablegt
(se eam habere) (a).
(a) Marezoll bey Linde, Zeit-
ſchrift B. 10 S. 283 erklärt das
restituere oportere von der Vin-
dication; der Ausdruck restituere
würde Das wohl zulaſſen, aber
oportere geht durchaus nur auf
Obligationen, von der Vindication
reden alſo nur die Worte: ejus
eam rem esse, se eam habere.
Das restituere oportere geht
daher auf die Reſtitution einer
res commodata, deposita, Io-
cata, wobey auch das Geſtändniß
mit dare facere, debere, obli-
gatum esse, genügt haben würde.
|0619 : 605|
Die Condictionen. XXX.
XXX.
Die bisher vorgetragene Verſchiedenheit und Verwandt-
ſchaft zwiſchen den Condictionen und anderen perſönlichen
Klagen wird noch deutlicher hervortreten durch Zuſam-
menſtellung derjenigen Intentiones in jus conceptae, die
uns, mehr oder weniger vollſtändig, in Beyſpielen perſön-
licher Klagen erhalten ſind:
A) Condictionen (stricti juris actiones).
Si paret, X. Millia dari oportere. Gajus IV. § 41. 86.
Si paret, fundum Cornelianum dari oportere(a).
Quidquid dari fieri oportet. Gajus IV. § 136. L. 29
§ 1 de V. O. (45. 1.), L. 72 § 3 de sol. (46. 3.).
B) Bonae fidei actiones.
Sie haben ſtets die Intentio: Quidquid dari fieri
oportet ex fide bona, keine andere (b). Es kommen
davon folgende Beyſpiele wirklich vor:
Depositi actio. Gajus IV. § 47. 60.
Emti. Gajus IV. § 131 (in der zweyten Formel).
(a) Eine vollſtändige Formel
dieſer Art kommt nicht vor, aber
daß ſie wirklich auf ein bloßes
dare oportere lautete, iſt nach
Gajus IV. § 33 und II. § 204
nicht zu bezweifeln.
(b) So vollſtändig ſteht dieſe
Formel nur bey Gajus IV. § 47,
Cicero de off. III. 16 und Va-
lerius Maximus VIII. 2 § 1. In
den übrigen Stellen, worin die
Formel nur beyläufig angeführt
wird, ſind die Schlußworte wegge-
laſſen, deren wirkliche Hinzufügung
ſich bey allen b. f. Actionen ohne-
hin von ſelbſt verſtand. Dagegen
haben alle dieſe Stellen das dare
facere oportet, nie blos facere,
oder praestare, oder einen an-
deren Ausdruck, und Dieſes durch
eine ſolche Zahl von Zeugniſſen
belegen zu können, iſt nicht un-
wichtig.
|0620 : 606|
Beylage XIV.
Cicero de offic. III. 16. Valerius Maximus
VIII. 2. § 1.
Venditi. L. 27 de novat. (46. 2.).
Locati. L. 89 de V. O. (45. 1.).
Pro socio. L. 71 pro socio (17. 2.).
Tutelae. L. 11 rem pupilli (46. 6.).
C) Delictsobligationen.
Furti actio mit pro fure damnum decidi oportere.
Gajus IV. § 37. 45.
Einige Beyſpiele, mit unvollſtändigen Formeln, ſind
unbeſtimmt, indem in ihnen das dare facere ſowohl auf
eine Condiction, als auf eine b. f. actio, gehen kann. Ga-
jus IV. § 41. § 131 (in der erſten Formel).
Beſonders wichtig in dieſer Hinſicht iſt das vollſtändig
erhaltene Formular der Aquiliana stipulatio. Dieſe ſollte
dazu dienen, verſchiedene, vielleicht ſehr mannichfaltige Ge-
ſchäftsverhältniſſe aus früherer Zeit in ſich aufzunehmen,
und ſo durch novatio zu tilgen, damit eine darauf fol-
gende einfache acceptilatio jeden künftigen Anſpruch ſicher
ausſchließen könnte. Zu dieſem Zweck drückte ſie ſich, in
Beziehung auf Obligationen, alſo aus (c):
Quidquid te mihi ex quacumque causa dare facere
oportet, oportebit, praesens in diemve …
Gewiß war hier die Abſicht, alle beſtehende contract-
liche Verhältniſſe, mochten ſie aus Stipulationen oder aus
anderen Contracten herrühren, alſo stricti juris oder bonae
(c) L. 18 § 1 de accept. (46. 4.), § 2 J. quibus modis. oblig. (3. 29.).
|0621 : 607|
Die Condictionen. XXXI.
fidei ſeyn, recht ſicher zu umfaſſen, und da zu dieſem Zweck
der Ausdruck dare facere für hinreichend erachtet wurde,
ſo muß es in der That keine contractliche Obligationen
gegeben haben, die nicht durch dieſen Ausdruck erſchöpfend
bezeichnet geweſen wären. Daß hier das praestare nicht
vorkommt, iſt ſehr natürlich, da in jener Stipulation nicht
an Schulden aus Diebſtählen oder anderen Delicten, ſon-
dern nur an die aus Verträgen und ähnlichen Geſchäften,
gedacht war.
XXXI.
Nachdem bisher die Condictionen im Allgemeinen be-
trachtet worden ſind, ſollen nunmehr die einzelnen Arten
derſelben unterſucht und feſtgeſtellt werden.
Die meiſten Schriftſteller haben dadurch Verwirrung
in dieſe Lehre gebracht, daß ſie alle ſpecielle Bezeichnungen
von Condictionen, wie ſie irgendwo vorkommen mögen,
als gleichartig betrachtet und daher auf eine Linie geſtellt
haben, gleich als ob ſie Glieder einer und derſelben Ein-
theilung wären. Es ſind aber hier vielmehr Zwey Ge-
ſichtspunkte zu unterſcheiden, nach welchen einzelne Arten
der Condictionen aufgeſtellt werden (a).
(a) Ganz unrichtig alſo ſtellte
man in Eine Reihe: Condictio
indebiti, triticaria, furtiva u. ſ. w.
Den hier gerügten Fehler hat
richtig bemerkt Gans Obligatio-
nenrecht S. 87. 132. Er geht aber
auf der anderen Seite zu weit,
indem er irrigerweiſe Drey Ge-
ſichtspunkte unterſcheiden will (wo-
zu in unſren Quellen kein Grund
vorhanden iſt), und dadurch neue
Verwirrung in die an ſich einfache
Sache bringt.
|0622 : 608|
Beylage XIV.
Erſtlich, nach den Entſtehungsgründen, kommen fol-
gende beſondere Bezeichnungen vor: Condictio indebiti,
sine causa, ob causam datorum, ob injustam causam, ex
causa furtiva, ex lege. Dieſe Namen aber beruhen nicht
auf einer durchgeführten Eintheilung, ſondern ſie ſollen
blos dazu dienen, einige Fälle kurz zu bezeichnen; es iſt
hauptſächlich ein theoretiſches Erleichterungsmittel, prak-
tiſche Folgen knüpfen ſich an dieſe einzelnen Arten weni-
ger (b). Ein beſonderer Werth wird von den Alten nicht
darauf gelegt, die Namen werden oft nicht gebraucht, oder
nicht genau gebraucht; beſonders aber haben gerade die
wichtigſten Fälle gar keine habituelle Namen ähnlicher Art,
ſo die Condictionen aus dem Darlehen, der Stipulation (c),
der Expenſilation, dem Legat, obgleich es auch bey dieſen
gar nicht unrichtig iſt, den Entſtehungsgrund daneben aus-
zudrücken, wo gerade das Bedürfniß darauf führt. Der
Name condictio ob turpem causam bezeichnet keinen eige-
nen Entſtehungsgrund, ſondern eine beſondere Modification,
die bey der condictio sine causa oder ob causam datorum
eintreten kann, wenn der Zweck einen unſittlichen Cha-
racter hat.
Zweytens, nach den Klagformeln, woran ſich zugleich
wichtige praktiſche Folgen anſchließen (d). Um dieſen
(b) Manche praktiſche Eigen-
thümlichkeiten finden ſich hie und
da allerdings, wie z. B. bey der
condictio indebiti die ſehr in’s
Einzelne gehende Beweisregeln.
(c) Von dem allerdings techni-
ſchen Namen actio ex stipulatu
wird weiter unten die Rede ſeyn,
aber condictio ex stipulatu iſt
nicht üblich. — Über den Namen
condictio ex mutuo ſ. u. XLII. a.
(d) Die gänzliche Verſchieden-
|0623 : 609|
Die Condictionen. XXXII.
ſchwierigen und beſtrittenen Gegenſtand mit Sicherheit be-
handeln zu können, iſt es nöthig, zuerſt die Klaſſen der
Condictionen ſelbſt, unbekümmert um die Namen, aufzu-
ſtellen, und dann über die Namen eine beſondere Unter-
ſuchung anzuſtellen.
XXXII.
In Beziehung auf die Klagformeln und deren Wirkun-
gen kommen folgende Drey Klaſſen von Condictionen vor,
nicht mehr, nicht weniger.
I. Condiction auf eine beſtimmte Summe in baarem
Geld. Sie war nur möglich, wenn der angebliche Ent-
ſtehungsgrund (Darlehen, Stipulation u. ſ. w.) auf eine
baare Geldſumme hinführte, dann aber auch nothwendig,
ſo daß hierin durchaus keine Willkühr Statt fand. War
alſo in dieſer Hinſicht eine falſche Formel gewählt, ſo
mußte ohne Zweifel die Klage abgewieſen werden.
Die Formel war: Si paret, Centum dare oportere,
Judex Centum condemna (a), alſo certa Intentio und certa
Condemnatio. Voran gieng vielleicht eine Demonstratio,
die den Entſtehungsgrund bezeichnete, z. B. Quod Agerius
Negidio Centum mutuos dedit, oder: de Negidio Centum
stipulatus est. Allgemein war wohl eine ſolche nicht, und
heit beider Klaſſificationen erhellt
daraus, daß aus der Stipulation,
dem Indebitum, dem Diebſtahl
u. ſ. w., je nach den zufällig ver-
ſchiedenen Gegenſtänden, bald eine
certi, bald eine incerti condictio
entſteht.
(a) Gajus IV. § 41. 43. 86,
ſ. o. Num. XXX.
V. 39
|0624 : 610|
Beylage XIV.
namentlich mag ſie wohl in dem Prozeß des Roscius nicht
vorgekommen ſeyn, da ſonſt Cicero nicht hätte in Frage
ſtellen können, ob ein Darlehn, eine Stipulation, oder
eine Expenſilation, der Klage zum Grunde liege. Viel-
leicht hing es alſo von der Willkühr des Klägers ab, ob
eine Demonstratio hinzugefügt werden ſollte oder nicht.
Wo dieſe Condiction eine ſpecielle Veranlaſſung hatte, wie
z. B. Diebſtahl, Indebitum u. ſ. w., da mag wohl die De-
monstratio ſtets hinzugefügt worden ſeyn. — Sogar müſ-
ſen wir annehmen, daß dieſe nähere Bezeichnung des Ent-
ſtehungsgrundes einer Forderung unmittelbar in der In-
tentio ausgedrückt werden konnte (Si paret, ex stipulatu
centum dari oportere) (b), ſo daß alſo in dieſer Bezie-
hung ein freyer Spielraum für die Faſſung der Formeln
geſtattet worden iſt. In dem Prozeß des Roscius kann,
aus dem eben angegebenen Grunde, dieſe nähere Bezeich-
nung auch in der Intentio nicht enthalten geweſen ſeyn.
Dagegen wird in der oben aus Quinctilian angeführten
Stelle (X. k.) vorausgeſetzt, daß die Stipulation als Kla-
gegrund in der Formel ausgedrückt war; ſey es nun in
der Demonstratio, oder in der Intentio, welches bey Quinc-
tilian unbeſtimmt bleibt.
Die eigenthümliche, höchſt wichtige, Wirkung dieſer
(b) Gajus IV. § 55. „Item
palam est, si quis aliud pro
alio intenderit, nihil eum pe-
reclitari (velut) … si quis ex
testamento dari sibi oportere
intenderit, cui ex stipulatu de-
bebatur.” Daß er in der That
eine in die Intentio aufgenom-
mene Bezeichnung meint, zeigt un-
widerſprechlich die Vergleichung
mit § 58.
|0625 : 611|
Die Condictionen. XXXII.
Art der Condiction war die sponsio tertiae partis, die
keinesweges blos bey dem Gelddarlehen, ſondern bey einer
jeden auf baares Geld gerichteten Condiction Statt fand
(Num. X. I. m). Cicero nennt ſie auch legitimae partis
sponsio, ohne Zweifel weil ſie durch die Lex Silia für die
alte Legis actio auf baares Geld eingeführt, und von die-
ſer auf die neuere Condiction herüber genommen wor-
den war.
Der Sinn dieſer Sponſion war der, daß der Kläger
den Beklagten zwingen konnte, für den Fall der Verur-
theilung, außer der Hauptſumme, noch den dritten Theil
derſelben als Strafe zu bezahlen. Allerdings mußte auch
der Kläger ſich bequemen, eine gleiche Summe für den
Fall der Abweiſung zu verſprechen (c); bey einer wohlbe-
gründeten, mit guten Beweiſen verſehenen, Klage aber
war dieſe Gefahr nicht bedeutend.
Dieſe Eigenthümlichkeit der Condiction auf baares Geld
war praktiſch wichtiger, als man auf den erſten Blick
glauben möchte, ja ſie war ohne Zweifel das wichtigſte
Moment, welches noch in ſpäterer Zeit, als die Verſchie-
denheiten des Richterperſonals mehr zurück traten, zwiſchen
den Condictionen und anderen Klagen einen namhaften
Unterſchied aufrecht hielt. Man denke ſich, welchen Nach-
druck auch im heutigen Rechtszuſtand eine Klage dadurch
erhalten würde, wenn ihr eine Succumbenzſtrafe von
33⅓ Procent des Streitsgegenſtandes beygelegt wäre.
(c) Gajus IV. § 13. 180.
39*
|0626 : 612|
Beylage XIV.
XXXIII.
II. Condiction einer beſtimmten Sache außer dem baa-
ren Geld.
Die Formel war: Si paret, fundum Cornelianum
(oder Stichum servum, oder auch tritici optimi modios
Centum) dari oportere, Judex quanti ea res erit tantam
pecuniam condemna, alſo certa Intentio, aber incerta
Condemnatio (Num. XXX.). Auch hier konnten die ver-
ſchiedenſten Entſtehungsgründe vorkommen, ſelbſt ein Dar-
lehen, welches nur nicht in baarem Gelde beſtand, ſo daß
alſo hier der Unterſchied der Gegenſtände des Darle-
hens (Num. V.) praktiſche Wichtigkeit erhält. Der Ent-
ſtehungsgrund mag hier, eben ſo wie bey der Condiction
auf baares Geld (Num. XXXII.) ſehr häufig, aber nicht
allgemein, durch eine vorhergehende Demonstratio, oder
auch in der Intentio ſelbſt, bezeichnet worden ſeyn.
Auch dieſe Formel war wieder nicht blos zuläſſig, ſon-
dern nothwendig, wenn die vom Kläger angegebene Sti-
pulation u. ſ. w. darauf führte, ſo daß alſo auch bey der
Wahl dieſer Formel keine Willkühr Statt fand.
Sie war minder begünſtigt als die vorhergehende For-
mel, weil ihr die Sponſion des dritten Theils des Streit-
gegenſtandes nicht zur Seite ſtand. Dagegen war ſie,
eben ſo wie jene, der Gefahr des plus petere ausgeſetzt,
da ſie gleichfalls eine certa Intentio hatte (a).
(a) Gajus IV. § 53. 54.
|0627 : 613|
Die Condictionen. XXXIII.
Die zweifelhafteſte Frage bey dieſer Art der Klage iſt
der Umfang der vom Judex auszuſprechenden Condemna-
tion. Dieſe geht, nach der Formel, auf quanti res est,
Welches in mehreren Stellen als aestimatio bezeichnet
wird (b). Es fragt ſich aber, ob dieſe aestimatio auf den
reinen Sachwerth zu beſchränken, oder vielmehr auf das
vielleicht viel höhere Intereſſe des Klägers auszudehnen
iſt. Man möchte das Erſte annehmen wegen der buchſtäb-
lichen Natur einer stricti juris actio, und weil ſonſt in
dieſer Beziehung der Unterſchied zwiſchen ſtrengen und
freyen Klagen verſchwinden würde. Dennoch halte ich
für wahrſcheinlicher, daß das vollſtändige Intereſſe des
Klägers in die Verurtheilung aufgenommen wurde, und
zwar aus folgenden Gründen.
Der Ausdruck: quanti res est hatte allmälig durch
Interpretation immer mehr die Bedeutung des quanti in-
terest angenommen, und namentlich ganz ſicher in den
Condemnationsformeln ſehr vieler Klagen (Beylage XII.).
Nun wäre es allerdings denkbar, daß bey den Condictio-
nen die beſchränktere Schätzung des reinen Sachwerths
nöthig gefunden worden wäre; es iſt aber höchſt unwahr-
ſcheinlich, daß man in dieſem Fall dennoch unvorſichtiger-
weiſe denſelben Ausdruck, wie in jenen anderen Klagen,
gebraucht haben ſollte, anſtatt durch die Verſchiedenheit
(b) L. 39 § 1 de leg. 1 (30. un.) (da wo ſie die Stipulation
erwähnt), L. 98 § 8 de solut. (46. 3.), Gajus II. § 202.
|0628 : 614|
Beylage XIV.
der in der Condemnationsformel gebrauchten Ausdrücke
das ſehr verſchiedene Recht deutlich zu bezeichnen.
Ferner iſt ſchon oben bemerkt worden, daß die einzel-
nen, durch die Entſtehungsgründe bezeichneten, Condictio-
nen nicht als verſchiedene Klagen zu betrachten waren,
alſo auch nicht verſchiedenes Recht mit ſich führen konn-
ten (Num. XXXI.). Nun wurde aber ganz beſtimmt Der-
jenige, welcher einen Sklaven geſtohlen hatte, auf das
volle Intereſſe verurtheilt (c), alſo liegt Dieſes in der Na-
tur der Condiction, und mußte auch eben ſo gelten, wenn
der durch Stipulation verſprochene Sklave nicht gegeben
wurde (d). Man könnte einwenden, Dieſes geſchehe bey
der condictio furtiva zur Beſtrafung der beſonderen
Schlechtigkeit des Diebes. Allein erſtlich iſt der Natur
der Condiction dieſe Betrachtungsweiſe fremd, und zwey-
tens iſt ja um Nichts weniger ſchlecht Derjenige, welcher
den verſprochenen Sklaven aus Bosheit tödtet, um ihn
nicht geben zu müſſen, oder den lebenden Sklaven blos
hartnäckig zu geben verweigert, und dadurch die Verur-
theilung in baares Geld erzwingt.
Dann kommen noch folgende nahe liegende Fälle vor.
War ein Sklave durch Stipulation verſprochen, dann vom
Schuldner vergiftet, und nun noch vor der Wirkung des
Giftes mancipirt worden, ſo war buchſtäblich die Stipu-
lation erfüllt, und dadurch die Stipulationsklage ausge-
(c) L. 3 de cond. furt. (13. 1.).
(d) Die Intentio gieng ja in
beiden Fällen, bey dem Diebſtahl
und bey der Stipulation, gleicher-
weiſe auf: Stichum servum dare
oportere.
|0629 : 615|
Die Condictionen. XXXIII.
ſchloſſen, wenn auch gleich nachher der Sklave an dem
Gift ſtarb (e). Wegen des augenſcheinlichen Dolus aber
bekam nun der Stipulator die doli actio, und durch dieſe
das volle Intereſſe (Beyl. XII. Num. VIII. a. b.). War
nun aber der Sklave vor der Mancipation geſtorben,
alſo die Stipulation unerfüllt, ſo galt die Condiction auf
den Sklaven (f), und es iſt doch kaum denkbar, daß er
nun eine geringere Entſchädigung als in jenem Fall hätte
erhalten ſollen. — Wenn der verſprochene Sklave durch
einen Dritten getödtet wird, ſo iſt der dabey unſchuldige
Promiſſor frey, aber es geht gegen den Dritten die doli
actio auf volles Intereſſe (g), und auch hier muß man
fragen, warum wohl der Stipulator weniger bekommen
ſollte, wenn die Tödtung durch den Schuldner ſelbſt ver-
übt wurde. — Wenn in einem ſolchen Fall der Bürge den
verſprochenen Sklaven tödtete, ſo war die Hauptſchuld ge-
tilgt, folglich auch die Schuld des Bürgen vernichtet, aber
gegen Dieſen gieng nun die doli actio auf das volle In-
tereſſe (h), und auch dabey drängt ſich wieder die ſo eben
aufgeworfene Frage auf.
(e) L. 7 § 3 de dolo (4. 3.).
(f) L. 91 pr. de V. O. (45. 1.).
(g) L. 18 § 5 de dolo (4. 3.).
(h) Wenigſtens nach der Mey-
nung des Papinian in L. 19 de
dolo (4. 3.). Die meiſten freylich
nahmen an, die Stipulationsklage
ſelbſt daure gegen den Bürgen
fort, jedoch nur als utilis actio,
mit Hülfe einer Reſtitution. Auf
dieſe Weiſe ſind folgende ſcheinbar
widerſprechende Stellen zu vereini-
gen. L. 88. 91 § 4 de V. O.
(45. 1.), L. 95 § 1 de solut.
(46. 3.). — L. 32 § 5 de usuris
(22. 1.), L. 49 pr. de V. O. (45. 1.),
L. 38 § 4 de solut. (46. 3.). Vgl.
Ribbentrop Correalobligationen
S. 32.
|0630 : 616|
Beylage XIV.
Man möchte nun freylich ſagen, in allen dieſen Fällen
könne der Stipulator gleichfalls die doli actio noch nach-
träglich gebrauchen, um die Differenz des Sachwerths und
des Intereſſe’s nachzufordern; allein die angeführten Stellen
ſcheinen ganz abſichtlich die doli actio nur gegen entfernter
ſtehende Perſonen zuzulaſſen, gegen den Hauptſchuldner
ſelbſt aber, durch ſtillſchweigende Übergehung Deſſelben zu
verſagen, gerade deswegen weil gegen Dieſen die Stipu-
lationsklage genügen müſſe: auch ſcheint überhaupt ein
ſolcher Gebrauch der doli actio, zur bloßen Ergänzung
einer anderen, ſchon vorhandenen Klage, nicht zuläſſig (i).
Endlich möchte wohl folgender Grund die bisher zu-
ſammen geſtellten noch überwiegen. Wenn die Stipulation
eines Grundſtücks auf einen beſtimmten Tag gerichtet iſt,
dieſer aber durch des Schuldners Mora nicht eingehalten
wird, ſo kann der Glaubiger das volle Intereſſe dieſer
Verzögerung fordern (k). Es wäre aber ganz inconſequent,
das Intereſſe für die weit ſtärkere Verletzung zu verſagen,
wenn die Erfüllung durch den Willen des Schuldners nicht
blos verzögert, ſondern völlig verhindert wird.
Obgleich es nun aus dieſen Gründen für ſehr wahr-
ſcheinlich gehalten werden muß, daß die hier behandelte
Art der Condiction, namentlich alſo auch im Fall einer
Stipulation, auf das volle Intereſſe gieng, ſo wäre es
(i) L. 1 § 4 de dolo (4. 3.).
(k) L. 114 de V. O. (45. 1.)
„Si fundum certa die praestari
stipuler, et per promissorem
steterit, quo minus ea die prae-
stetur: consecuturum me, quanti
mea intersit, moram factam
non esse.”
|0631 : 617|
Die Condictionen. XXXIV.
dennoch wünſchenswerth, daß auch noch unmittelbare Zeug-
niſſe hierüber aufgefunden werden möchten.
XXXIV.
III. Condiction irgend eines Gegenſtandes außer dem
Geben einer beſtimmten Sache.
Die Formel war: Quidquid ob eam rem dare facere
oportet, ejus Judex condemna (Num. XXX.), alſo in-
certa Intentio und incerta Condemnatio. Der Entſtehungs-
grund muß hier ganz allgemein durch eine vorhergehende
Demonstratio ausgedrückt worden ſeyn, da es außerdem der
Klage, wegen des höchſt allgemeinen Ausdrucks der angeführ-
ten Intentio, an jeder individuellen Bezeichnung gefehlt haben
würde. Auch giebt Gajus in den Fällen dieſer Condiction
jedesmal eine Demonstratio ausdrücklich an (a). Wegen
der incerta Intentio war hier ein plus petere unmöglich,
dieſe Gefahr alſo für den Kläger nicht vorhanden (b).
Dieſe Art der Condiction war, eben ihrer Unbeſtimmt-
heit wegen, auf die mannichfaltigſten Gegenſtände an-
wendbar. Zuerſt auf das Geben einer Sache, die von
irgend einer Seite unbeſtimmt geblieben war, ſo daß die
(a) Gajus IV § 136. 137 giebt
als Beyſpiel an: Quod A. Age-
rius de N. Negidio incertum
stipulatus est. Man muß aber
nur nicht glauben, als ob jemals
in einer wirklichen Klagformel der
abſtracte Ausdruck incertum ge-
ſtanden hätte; an deſſen Stelle
ſtand der wirkliche Gegenſtand der
geſchloſſenen incerta stipulatio,
z. B. possessionem tradi, insu-
lam fabricari u. ſ. w. Es iſt
alſo damit ganz wie mit den Na-
men Agerius und Negidius, die
auch niemals in einer wirklichen
Klagformel ſtanden.
(b) Gajus IV. § 54.
|0632 : 618|
Beylage XIV.
Gränzen der zur Erfüllung dienenden Handlung nicht aus
der Formel völlig erkennbar waren (c). Ferner auf eine
Tradition, das heißt die Übertragung des Beſitzes (d).
Eben ſo auf die Eingehung eines obligatoriſchen Rechts-
geſchäfts, z. B. Bürgſchaft, Expromiſſion, Acceptilation,
oder darauf, daß ein Rechtsgeſchäft in ſeinen Folgen wie-
der rückgängig gemacht werde (e). Endlich auf Arbeit
irgend einer Art, oder auch auf eine bloße Unterlaſſung (f).
Die Wirkung dieſer Art der Condiction war die, daß
der Beklagte das volle Intereſſe bezahlen mußte, ja Dieſes
(c) L. 75 § 1. 2. 4. 5. 8 de
V. O. (45. 1.), L. 60 de leg. 1
(30. un.). Hier fällt nämlich der
Begriff der incerta stipulatio mit
dem der incerta Intentio in den
meiſten Fällen zuſammen, jedoch
wohl nicht in allen. Die Stipu-
lation: usumfructum fundi Cor-
neliani dare spondes? war in-
certa (L. 75 § 3 eod.), ohne
Zweifel weil wegen der ungewiſſen
Lebensdauer der Geldwerth dieſes
Niesbrauchs ungewiß war. Allein
die Intentio wurde wahrſcheinlich
ſo geſaßt: Si paret usumfructum
dare oportere, ſo daß die Con-
diction zur zweyten Klaſſe gehörte
(Num. XXXIII.), worin ein plus
petere möglich war. Denn die
Gränzen der Handlung, wozu der
Schuldner verpflichtet war, hatten
durchaus nichts Ungewiſſes: er
ſollte den Niesbrauch gerade dieſer
Sache durch in jure cessio be-
ſtellen, nichts Anderes, nicht mehr
noch weniger.
(d) L. 75 § 7 de V. O. (45. 1.),
L. 4 pr. de usuris (22. 1.). War
der Gegenſtand eine res mancipi,
ſo mußte Dieſes ganz unzweifelhaft
ſeyn, weil hieran die Tradition
niemals Eigenthum verſchaffen
konnte. Allein auch bey einer res
nec mancipi möchte wohl Daſſelbe
gegolten haben; denn obgleich hier
die Form der Tradition zur Über-
tragung des Eigenthums zureichte,
ſo lag doch in dem Ausdruck dare
mehr als in dem Ausdruck tra-
dere, weil das Letzte ſchon voll-
ſtändig erfüllt wurde, ſelbſt wenn
die Sache einem Dritten gehörte,
in welchem Fall das dare nicht
vollzogen war. Dieſer Unterſchied
iſt angedeutet in L. 11 § 2 de
act. emti (19. 1.).
(e) L. 3 de cond. sine causa
(12. 7.), L. 2 § 4 de don. (39. 5.),
L. 12 de nov. (46. 2.), L. 68 de
V. O. (45. 1.).
(f) L. 75 § 7 de V. O. (45. 1.).
|0633 : 619|
Die Condictionen. XXXIV.
war hier nicht anders möglich, da ein beſtimmter Sach-
werth (als Gegenſatz des Intereſſe) durch den unbeſtimmten
Gegenſtand dieſer Klagen von ſelbſt ausgeſchloſſen war.
Indeſſen lag hierin, nach der über die zweyte Klaſſe der
Condictionen oben aufgeſtellten Anſicht (Num. XXXIII.),
kein praktiſcher Unterſchied zwiſchen dieſen beiden Klaſſen. —
Dagegen war allerdings ein ſolcher Unterſchied darin an-
erkannt, daß die zweyte Klaſſe, eben ſo wie die erſte,
niemals die omnis causa, alſo die Früchte, mit umfaßte,
welche in den Condictionen der dritten Klaſſe allerdings
mit begriffen war (g).
Wenn man ſo die Wirkungen der drey Klaſſen von
Condictionen mit einander vergleicht, ſo iſt darin eine ge-
wiſſe Abſtufung unverkennbar, wodurch die dritte Klaſſe
der freyen Natur der b. f. actiones ſich annähert, ohne
jedoch zu wirklicher Gleichheit mit Denſelben zu gelangen (h).
Es würde aber ganz unrichtig ſeyn, deswegen die Con-
dictionen dieſer dritten Klaſſe für uneigentliche zu halten,
da ſie die allgemeine Natur der Condictionen oder stricti
juris actiones mit den übrigen völlig gemein haben, und
unter dem von Gajus aufgeſtellten Begriff der condictiones
unzweifelhaft enthalten ſind: eben ſo unrichtig, als wenn
auf der anderen Seite Manche behaupten, der Begriff der
Condictionen ſey auch wohl, in uneigentlichem Sprachge-
(g) L. 4 pr. de usuris (22. 1.).
(h) Beylage XIII. Num. XV.
Dieſe vermittlende Natur der Con-
dictionen dritter Klaſſe iſt richtig
bemerkt von Zimmern Rechts-
geſchichte B. 3 S. 184.
|0634 : 620|
Beylage XIV.
brauch, über die hier gezogenen Gränzen hinaus erweitert
worden (i).
XXXV.
Wenn man ſo die aufgeſtellten drey Klaſſen der Con-
dictionen, nach ihren praktiſchen Eigenthümlichkeiten, ver-
gleicht, ſo iſt es einleuchtend, daß die der erſten Klaſſe
dem Kläger den großen Vortheil der Sponſion einer Suc-
cumbenzſtrafe verſchafften, wodurch ſie ſich vor allen übri-
gen auszeichneten. Dagegen waren ihm die der zweyten
Klaſſe nachtheiliger als die der dritten. Sie führten die
Gefahr des plus petere mit ſich, und ſie verſchafften ihm
nicht, neben der Hauptſache, noch die Früchte derſelben;
vielleicht auch verſchafften ſie ihm nur den reinen Sach-
werth, nicht das Intereſſe, welche Meynung jedoch oben
bekämpft worden iſt.
Außer und über dieſen drey Klaſſen der Condictionen
(i) Zimmern Rechtsgeſchichte
B. 3 S. 185. Haſſe Weſen der
actio S. 84. 85. Ganz irrig wird
von Dieſem der Ausdruck abusive
oder non proprie mit einem ſol-
chen vermeyntlichen uneigentlichen
Sprachgebrauch in Verbindung
geſetzt, vgl. oben Num. XXVII. —
Wenn ich aber behaupte, daß der
Ausdruck condictio nie über die hier
gezogenen Gränzen hinaus erweitert
worden ſey, ſo iſt Dieſes von wirk-
lichem, beſonnenem Sprachgebrauch
zu verſtehen. Der falſche Schein
größerer Allgemeinheit des Be-
griffs, der aus der unvorſichtigen
Faſſung einiger Stellen der Juſti-
nianiſchen Compilation entſteht
(Num. XXV. a, XXVI. f. g.),
kann dagegen nicht als Einwen-
dung gelten, und darf nicht als ein
wahrhaft veränderter Sprachge-
brauch der Juſtinianiſchen Zeit an-
geſehen werden, indem der alte
Begriff der condictio unzähligen
Stellen der Digeſten ſo beſtimmt
zum Grunde liegt, daß ſie ohne
deſſen Vorausſetzung ganz unver-
ſtändlich ſeyn würden.
|0635 : 621|
Die Condictionen. XXXV.
aber ſteht eine noch hinzutretende Wirkung, die mit einem
einzigen Fall der erſten Klaſſe der Condictionen verbunden
iſt, die ſtrenge Exſecution nämlich, die durch die Zwölf
Tafeln eingeführt war, und wodurch der Schuldner ur-
ſprünglich Leben oder Freyheit verlieren, ſpäterhin in
Schuldknechtſchaft gerathen ſollte. Dieſe ſollte urſprüng-
lich nur bey dem wahren Gelddarlehen Statt finden,
ſpäter wurde ſie auf das in der nexi obligatio enthaltene
ſymboliſche Gelddarlehen ausgedehnt, und nahm alſo, wie-
wohl nur beſchränkt und theilweiſe, einen ähnlichen Ent-
wicklungsgang, wie er hier für die Condictionen überhaupt
durchgeführt worden iſt. Die Lex Poetelia hob dieſe Er-
weiterung (die nexi obligatio) für immer auf, und ſeit
dieſer Zeit iſt der in der Schuldknechtſchaft liegende Zuſatz
zu der allgemeinen Wirkung der Condictionen, auf das
Gelddarlehen im ſtrengſten Sinn eingeſchränkt geblieben,
ohne irgend eine der Erweiterungen dieſes Rechtsverhält-
niſſes in ſich aufzunehmen, welche hier als Grundlage der
Condictionen (Num. VI—XI.) dargeſtellt worden ſind (a).
— Außerdem aber war die nexi obligatio, ſolange ſie
beſtand, dadurch noch beſonders geſchützt, daß der Ab-
läugnende zur Strafe den doppelten Betrag bezahlen
mußte (b).
(a) Dieſe hier nur kurz ange-
deutete Lehre von der Schuldknecht-
ſchaft iſt von mir ausführlich dar-
geſtellt worden in einer ſchon oben
angeführten Schrift (Num. X. n.)
(b) Cicero de officiis III. 16.
|0636 : 622|
Beylage XIV.
XXXVI.
Nachdem jetzt die Klaſſen der Condictionen nach ihren
Gränzen, Formeln, und Wirkungen, dargeſtellt worden
ſind, iſt noch die Terminologie zu unterſuchen. Ich will
eine Überſicht des Sprachgebrauchs, ſo wie ich ihn für
richtig halte, vorausſchicken, und dann die Beweiſe nach-
folgen laſſen.
Certi condictio, und actio oder condictio si certum
petetur (oder petatur) iſt ganz gleichbedeutend, und be-
zeichnet ſtets und ausſchließend eine Condiction erſter Klaſſe,
alſo auf baares Geld.
Triticaria condictio heißt jede andere Condiction, der
Ausdruck umfaßt alſo die zweyte und dritte Klaſſe.
Incerti condictio iſt der Name einer Condiction der
dritten Klaſſe, welcher alſo einen Theil Desjenigen be-
zeichnet, worauf der allgemeinere Name der triticaria geht.
Actio ex stipulatu iſt die triticaria condictio in be-
ſonderer Anwendung auf die durch Stipulation begründete
Condiction zweyter oder dritter Klaſſe.
Dieſe Behauptungen ſind nunmehr einzeln zu beweiſen.
XXXVII.
Daß die erſte Klaſſe der Condictionen (auf beſtimmte
Geldſumme) den Namen führt, si certum petetur, gründet
ſich auf das unmittelbare Zeugniß des Ulpian, in der be-
|0637 : 623|
Die Condictionen. XXXVII.
ſtimmteſten und unzweydeutigſten unter allen hier ein-
ſchlagenden Stellen.
L. 1 pr. de cond. tritic. (13. 1.).
Qui certam pecuniam numeratam petit, illa actione
utitur, si certum petetur(a). Qui autem alias res,
per triticariam condictionem petet.
Dieſe Stelle iſt deswegen entſcheidender als alle übrigen,
weil ſie geradezu eine erſchöpfende Eintheilung aller Con-
dictionen aufſtellt, und dieſe mit Kunſtausdrücken belegt.
Ganz derſelbe Ausdruck findet ſich in den Rubriken
der hier einſchlagenden Titel der Digeſten (XII. 1.) und
des Codex (IV. 2.); auch handelt der erſte faſt blos, der
zweyte ganz ausſchließend, von Forderungen beſtimmter
Geldſummen.
Anderwärts kommt derſelbe Ausdruck mit geringen
wörtlichen Varietäten vor. In zwey Stellen des Ulpian,
als: condicticia actio per quam certum petitur (b), und
causa, obligatio ex qua certum petitur (c). Bey Gajus
IV. § 50 als formula qua certam pecuniam petimus.
In dieſem Ausdruck heißt alſo certum ſo viel als certa
pecunia, im Gegenſatz aller anderen beſtimmten oder un-
beſtimmten Gegenſtände einer Forderung; es wird aber
(a) Die Vulgata lieſt hier pe-
tatur, und eben ſo ſteht in der
Rubrik von Cod. IV. 2. In den
weiter unten angeführten Stellen
ſteht petitur und petimus. Pe-
tetur ſteht in den Rubriken der
Digeſten XII. 1, und möchte wohl
der unmittelbare Ausdruck des
Edicts ſeyn.
(b) L. 24 de R. C. (12. 1.).
(c) L. 9 pr. de R. C. (12. 1.).
|0638 : 624|
Beylage XIV.
unten gezeigt werden, daß derſelbe Ausdruck bey der Sti-
pulation eine andere Bedeutung hat.
Dieſe Art der Condiction von allen anderen durch
einen eigenthümlichen Kunſtausdruck zu unterſcheiden, wur-
den die Römer durch mehrere Gründe beſtimmt. Ein
hiſtoriſcher Grund lag in dem unmittelbaren Zuſammen-
hang derſelben mit der alten condictio ex L. Silia (Num.
XXII.); ein praktiſcher in der wichtigen, nur hier gelten-
den, sponsio tertiae partis (Num. XXXII.); ein formeller
Grund endlich lag darin, daß hier allein nicht nur die
Intentio, ſondern auch die Condemnatio, völlig beſtimmt,
alſo von jeder freyen Beurtheilung völlig unabhän-
gig war.
XXXVIII.
Der Name Certi condictio iſt mit der eben erklärten
Benennung völlig gleichbedeutend, alſo gleichfalls bey der
Klage auf baares Geld ausſchließend anwendbar, ſo daß
auch hier certum ſo viel heißt als certa pecunia.
Dieſes folgt ſchon aus den Worten; denn certum pe-
tere ſagt Daſſelbe wie certum condicere, und certum
condicere kann unmöglich eine andere Bedeutung haben
als certi condictio.
Es wird aber auch die Identität beider Ausdrücke un-
mittelbar in folgender Stelle des Ulpian bezeugt:
L. 9 pr. de R. C. (12. 1.).
Certi condictio competit ex omni causa, ex omni
|0639 : 625|
Die Condictionen. XXXVIII.
obligatione, ex qua certum petitur, sive ex certo
contractu petatur, sive ex incerto: licet enim nobis
ex omni contractu certum condicere(a).
Die Hauptſache in dieſer Erklärung der certi condictio
beſteht offenbar darin, daß der Ausdruck ausſchließend für
die Klagen auf baares Geld, nicht für die auf das Eigen-
thum anderer beſtimmter Sachen, bezogen werden ſoll.
Eine Beſtätigung dieſer beſchränkenden Erklärung liegt in
folgendem Umſtand. Ohne Zweifel will hier Ulpian bemerklich
machen, daß der Gebrauch dieſer Klage in vielen Fällen
zu geſtatten ſey, worin auch ſchon andere Klagen gelten,
weshalb man die Zuläſſigkeit jener Klage wohl bezweifeln
konnte. Es muß alſo oft für den Kläger vortheilhaft ge-
weſen ſeyn, dieſe Klage vorzugsweiſe vor anderen Con-
tractsklagen anzuwenden. Dieſer Vortheil nun liegt für
die Condiction auf baares Geld am Tage, anſtatt daß die
Condiction eines Sklaven, eines Pferdes u. ſ. w., da wo
ſie mit einer b. f. actio concurrirte, nur nachtheiliger als
dieſe für den Kläger ſeyn konnte (Num. XXXV.), alſo
keine Veranlaſſung zu der Frage gab, ob man wohl auch
ſie vor anderen Klagen zu erwählen befugt ſeyn möchte (b).
(a) Ausführlich iſt die Stelle
ſchon oben, Num. XXIII., erklärt.
(b) Auf ähnliche Weiſe verhält
es ſich mit der L. 28 § 4 de jure-
jur. (Num. VI. c.), worin auch
nur die certi condictio in Con-
currenz mit manchen b. f. actiones
erwähnt wird, nämlich weil nur
deren Concurrenz praktiſch erheb-
lich war. — Noch anſchaulicher
wird Dieſes bey der mit der actio
L. Aquiliae concurrirenden Con-
diction (L. 9 § 1 de R. C. 12. 1.).
Ulpian erwähnt dieſe Concurrenz
nur bey der certi condictio;
dennoch konnte ſie eben ſo bey der
triticaria vorkommen, wenn z. B.
der von dem Gegner zerſtörte
V. 40
|0640 : 626|
Beylage XIV.
XXXIX.
Triticaria(a)condictio heißt jede, die nicht auf baares
Geld geht, alſo ſowohl die auf beſtimmte, als die auf
unbeſtimmte Gegenſtände, ſo daß ſie die zweyte und dritte
Klaſſe der Condictionen gemeinſchaftlich bezeichnet, und
daß durch ſie und die certi condictio der ganze Umkreis
der Condictionen erſchöpft wird.
Dieſes ſagt ausdrücklich Ulpian in den Worten: Qui
autem alias res, per triticariam condictionem petet (Num.
XXXVII.). Der einzige Zweifel gegen die Allgemeinheit
des Sinnes dieſer Stelle könnte etwa noch aus dem Wort
res hergenommen werden, ſo daß der Name dennoch auf
Condictionen mit dare oportere (nur außer dem baaren
Geld) beſchränkt wäre. Allein dieſer Schein verſchwindet
durch die von Ulpian hinzugefügten einzelnen Anwendun-
gen. Mit dieſer Klage nämlich ſoll man einen fundus
einfordern können „etsi vectigalis sit” (b). Bey einer ge-
waltſamen Dejection aus einem Grundſtück kann der vo-
rige Beſitzer den fundus ſelbſt condiciren, wenn er Eigen-
Schuldſchein auf die über ein Grund-
ſtück geſchloſſene Stipulation ge-
richtet war (Num. XIV.). Allein
in dieſem Fall war durchaus kein
Vortheil denkbar, der nicht eben
ſo durch die actio L. Aquiliae
erreicht werden konnte; umgekehrt
konnte Dieſe größeren Vortheil
bringen.
(a) Triticaria ſteht im Flo-
rentiniſchen Text der L. 1 de cond.
trit. (13. 3.), triticiaria in der
Rubrik (doch mit alter Correctur);
eben ſo bey Haloander im Text.
Triticaria iſt ohne Zweifel vor-
zuziehen, da zu dem eingeſchobenen
Vocal kein Grund vorhanden iſt.
(b) L. 1 pr. de cond. trit.
(13. 3.).
|0641 : 627|
Die Condictionen. XL.
thümer iſt; außerdem aber die possessio (c). In dieſen
beiden Fällen nun werden Condictionen der zweyten und
dritten Klaſſe ohne Unterſchied zuſammengeſtellt, ſo daß
auf die einen, wie auf die anderen, die condictio triticaria
gleichmäßig anwendbar ſeyn ſoll. Denn die Klage auf
fundum dare oportere gehört zur zweyten Klaſſe; dagegen
die auf den fundus vectigalis, an welchem kein Eigenthum
verſchafft werden kann, und beſonders die auf die possessio,
gehört zur dritten Klaſſe, da die Übertragung des Beſitzes
ein facere iſt (nicht dare), Welches nur durch eine incerti
condictio (quidquid dare facere oportet) eingeklagt wer-
den kann (XXXIV. d.).
Wie ſich die certi condictio an die alte condictio ex
L. Silia anſchloß, ſo die triticaria an die ex L. Calpurnia,
über deren urſprünglichen Gegenſtand hinaus ſie jedoch
weit ausgedehnt wurde. Nur den Namen hat ſie ohne
Zweifel von ihr erhalten, da die condictio ex L. Calpurnia
hauptſächlich auf ein in Getreide gegebenes Darlehen ge-
richtet worden ſeyn mag (d).
XL.
Incerti condictio heißt jede zur dritten Klaſſe gehörende,
deren Intentio, auf Quidquid dare facere oportet lautend,
eben ſo unbeſtimmt iſt, als die Condemnatio. Dieſer
(c) L. 2 de cond. trit. (13. 3.).
(d) S. o. Num. XXII. In Er-
klärungen des ſeltſamen Namens
hat man ſich von jeher erſchöpft,
und es finden ſich auch ſehr ab-
geſchmackte darunter. Vgl. Glück
B. 13 § 843.
|0642 : 628|
Beylage XIV.
Sprachgebrauch wird wohl am Wenigſten bezweifelt wer-
den, und daher ſind von mir auch ſchon bisher, ehe noch
der Sprachgebrauch beſonders unterſucht war, die von
einer incerti condictio redende Stellen unbedenklich auf
Condictionen der dritten Klaſſe bezogen worden (a).
Hieraus folgt alſo, daß die incerti condictio einen
Theil der triticaria in ſich ſchließt, ein anderer Theil der-
ſelben aber, nämlich die Condiction der zweyten Klaſſe,
gar keinen beſonderen Namen führt. Ohne Zweifel aber
liegt hierin der Hauptgrund, welcher bisher die Anerken-
nung der richtigen Terminologie verhindert hat. Denn es
hat einen täuſchenden Schein logiſcher Nothwendigkeit, daß
alle Condictionen entweder certi oder incerti ſeyn müßten;
nach der hier vorgetragenen Lehre liegt zwiſchen beiden
eine Klaſſe in der Mitte, welcher weder der eine, noch
der andere Name zukommt (b). Der Grund dieſer auf-
fallenden Erſcheinung aber liegt darin, daß die Natur
dieſer Mittelklaſſe in der That zweydeutig, und aus beiden
Eigenſchaften gemiſcht iſt, da ſie nämlich eine incerta
(a) So z. B. Num. XXXIV. e.
— Nicht gleichbedeutend mit der
incerti condictio iſt die incerta
formula bey Gajus IV. § 54.
131, denn darunter ſind auch die
b. f. actiones mit begriffen.
(b) Ein ſcheinbarer Einwurf
liegt in L. 12 de nov. (46. 2)
„tenetur condictione vel incerti,
si non pecunia soluta esset, vel
certi si soluta esset.” Allein hier
gründet ſich das wirklich Ausſchlie-
ßende dieſes Gegenſatzes auf die
Umſtände des beſonderen Rechts-
falles. Denn es mußte entweder
auf liberatio geklagt werden,
welches als facere durch die in-
certi condictio gefordert wurde,
oder auf Baarzahlung. Eine Con-
diction der zweyten Klaſſe konnte
hier in keinem Fall vorkommen.
|0643 : 629|
Die Condictionen. XLI.
condemnatio neben einer certa intentio hat (Num. XXXIII.
und Syſtem § 215.).
XLI.
Um dieſe Behauptung gegen Zweifel und Einwendun-
gen zu ſichern, iſt es nöthig darauf aufmerkſam zu machen,
daß der Gegenſatz des certum und incertum in verſchie-
denen Anwendungen verſchiedene Bedeutungen, nach dem
jedesmal eintretenden Bedürfniß, annimmt.
So hat er eine andere Bedeutung bey der Stipulation.
Hier konnte man in der That ſagen, jede Stipulation iſt
entweder certa oder incerta (auch certi oder incerti ge-
nannt) (a). Certa hieß jede, deren Umfang und Geld-
werth aus den Worten, ohne Rückſicht auf künſtliche Er-
mittlung und zufällige Umſtände erkennbar war (b). Da-
her war ganz ſicher certa stipulatio nicht nur die auf
Geld, ſondern auch die auf das Eigenthum eines be-
ſtimmten Ackers, Sklaven, Pferdes gerichtete, ſo daß aus
der certa stipulatio Condictionen bald der erſten, bald
der zweyten Klaſſe (alſo certi und triticariae condictiones)
entſprangen, nie der dritten. Aus der incerta stipulatio
dagegen entſprangen faſt immer Condictionen der dritten
Klaſſe, alſo incerti condictiones, doch nicht ganz allge-
mein; denn die Stipulation des Niesbrauchs war incerta,
und erzeugte dennoch eine Condiction der zweyten Klaſſe,
auf si paret dare oportere gerichtet (Num. XXXIV. c.).
(a) L. 68 de V. O. (45. 1.).
(b) L. 74. 75 de V. O. (45. 1.).
|0644 : 630|
Beylage XIV.
Dagegen hatte bey der in jure confessio das Certum
dieſelbe Bedeutung, welche ihm oben in Anwendung auf
die Condictionen beygelegt worden iſt (Num. XXXVI —
XXXVIII.), ſo daß dieſe Analogie ſehr zur Unterſtützung
des hier behaupteten Sprachgebrauchs dient. In dieſem
Sinn nämlich heißt es: Certum confessus pro judicato
erit, incertum non erit (c). Das will ſagen: nur wenn
das vor dem Prätor abgelegte Geſtändniß auf eine be-
ſtimmte Geldſumme gerichtet iſt, wird dadurch jedes
fernere Urtheil entbehrlich, ſo daß unmittelbar die Exſecu-
tion erfolgen kann. Geht dagegen das Geſtändniß auf
das Eigenthum eines Hauſes, oder auf die Verpflichtung
zum Geben eines Landguts u. ſ. w., ſo iſt Daſſelbe zwar
von Wirkung, indem der Inhalt als Wahrheit gilt, aber
es muß noch immer ein richterliches Urtheil hinzukommen,
wodurch der Geldwerth jenes Eigenthums, oder jener
Forderung, feſtzuſtellen iſt (d). — Auch hier alſo heißt
certum ſo viel als certa pecunia, ganz wie es oben bey
den Condictionen behauptet worden iſt.
XLII.
In beſonderer Anwendung auf die Stipulation hat
ſich der Sprachgebrauch folgendermaßen feſtgeſtellt.
Aus ihr, wie aus anderen Thatſachen, konnte bald
(c) L. 6 pr. de confessis (42. 2.).
(d) L. 6 § 1. 2 de confessis
(42. 2.), L. 25 § 2 ad L. Aquil.
(9. 2.) — Die hier aufgeſtellten
Regeln ſind auf überzeugende Weiſe
dargethan worden von Beth-
mann-Hollweg Verſuche über
Civilprozeß S. 264—270.
|0645 : 631|
Die Condictionen. XLII.
eine certi, bald eine triticaria condictio entſtehen. Die
certi condictio aber war von ſo eigenthümlicher Natur
und Wichtigkeit, daß man da, wo ſie begründet war,
meiſt nur dieſen Namen zu gebrauchen pflegte, ohne da-
neben den Entſtehungsgrund auszudrücken (a). Wo aber
nicht ſie, ſondern eine Condiction der zweyten oder drit-
ten Klaſſe Statt fand, da war die Bezeichnung des Ent-
ſtehungsgrundes (condictio indebiti, sine causa, ex causa
furtiva u. ſ. w.) üblicher. Nach dieſer Analogie hätte man
alſo auch von einer condictio ex stipulatu ſprechen kön-
nen, es iſt aber üblich geworden, dafür den Namen actio
ex stipulatu zu gebrauchen, vielleicht aus keinem andern
Grunde, als um hier die Unterſcheidung von der certi
condictio ex stipulatu ſchon durch den Ausdruck ſchärfer
zu bezeichnen.
So iſt alſo die actio ex stipulatu nichts Anderes, als
die triticaria condictio aus einer Stipulation. Und eben
aus dem hier bemerkten Umſtand, daß bey den Condictio-
nen zweyter und dritter Klaſſe die Beyfügung des Ent-
ſtehungsgrundes häufiger vorkam, erklärt ſich wohl die
ſonſt räthſelhafte Seltenheit des Ausdrucks triticaria con-
dictio in unſren Rechtsquellen. Es kam bey einzelnen
(a) Dieſer Sprachgebrauch tritt
ſehr deutlich hervor in L. 9 pr.
de R. C. (12. 1.), ſ. o. Num.
XXIII. — Daher führt auch die
Darlehensklage zwar bey neueren
Schriftſtellern den techniſchen Na-
men condictio ex mutuo, aber
nicht bey den Römern; denn da
faſt immer nur von dem Darlehen
in Geld die Rede iſt, ſo iſt die
daraus entſpringende Condiction
ſtets certi, wobey eben die causa
nicht ausgedrückt zu werden pflegt.
Vgl. oben Num. XXXI.
|0646 : 632|
Beylage XIV.
Rechtsverhältniſſen vorzüglich darauf an, das Daſeyn
einer condictio überhaupt, im Gegenſatz anderer Klagen,
feſtzuſtellen; dann auch wohl die certi condictio, oder die
incerti condictio, wo die eine oder die andere begründet
war; endlich nicht ſelten den Entſtehungsgrund. Dagegen
machte ſich nur ſelten das Bedürfniß fühlbar, das ſpe-
cielle Daſeyn der triticaria, das heißt eigentlich, die bloße
Negation der certi condictio, allgemein auszuſprechen;
denn triticaria heißt nur: eine Condiction, die nicht certi
iſt, übrigens aber von der verſchiedenſten Beſchaffenheit
ſeyn kann.
Dabey müſſen noch zwey, von neueren Schriftſtellern
aufgeſtellte, Behauptungen abgewehrt werden.
Erſtlich iſt geſagt worden, actio ex stipulatu werde
in einem uneigentlichen Sinn auch wohl für jede Stipu-
lationsklage, mit Einſchluß der certi condictio, gebraucht (b).
Ich glaube im Gegentheil, daß dieſer Ausdruck meiſt ganz
beſtimmt und erweislich eine Sache außer dem baaren
Geld bezeichnet, oder, wo das Object unbeſtimmt gelaſ-
ſen wird, eben ſo gut eine ſolche Sache, als baares Geld,
bezeichnen kann (c). Anders iſt es mit dem verbalen Aus-
druck: agere, consequi, petere ex stipulatu; dieſer hat
gar keine techniſch beſtimmte Natur, und wird daher öfter
(b) Schrader p. 495 ed. Inst.
in 4°.
(c) L. 51 de V. O. (45. 1.),
L. 7 C. de pactis (2. 3.), L. 6
C. de transact. (2. 4.), L. un.
pr. C. de r. ux. act. (5. 13.).
|0647 : 633|
Die Condictionen. XLIII.
auch von der Stipulationsklage auf baares Geld, alſo
der certi condictio, gebraucht (d).
Erheblicher iſt die zweyte Behauptung, nach welcher
die actio ex stipulatu gar nicht die Natur einer wahren
Condiction haben ſoll. Daß ſie dieſe Natur hat, wird
durch die beſtimmteſten Stellen bezeugt (e). Der Name
actio kann dagegen keinen Zweifel erregen (Num. I.). Der
aus einer Inſtitutionenſtelle entſtehende Zweifel aber wird
ſogleich näher erwogen werden.
XLIII.
Es bleibt nun noch die Angabe und Erklärung einiger
Stellen übrig, die an manchen der hier aufgeſtellten Be-
hauptungen Zweifel erregen können.
Die erſte iſt eine Stelle deſſelben Ulpian, von welchem
die entſcheidendſten Zeugniſſe für den oben feſtgeſtellten
Sprachgebrauch herrühren.
L. 24 de R. C. (12. 1.).
Si quis certum stipulatus fuerit, ex stipulatu actio-
nem non habet: sed illa condictitia actione id per-
sequi debet, per quam certum petitur.
(d) L. 21 § 12 de receptis
(4. 8.), L. 42 pro socio (17. 2),
L. 28 de act. emti (19. 1.), L. 57
de solut. (46. 3.), L. 14 C. de
pactis (2. 3.).
(e) L. 1 pr. de cond. trit.
(13. 1.), worin bey dem ususfru-
ctus und der Servitut die Stipu-
lation namentlich erwähnt wird,
bey den übrigen Gegenſtänden aber
eben ſo hinzu zu denken iſt. Fer-
ner Gajus IV. § 136, welcher für
die incerti stipulatio eine For-
mel angiebt, die nach § 5 deſſelben
Buchs nothwendig für eine Con-
dietion gehalten werden muß.
V. 41
|0648 : 634|
Beylage XIV.
Wenn man hier die Bedeutung des Ausdrucks certum
stipulari zum Grunde gelegt, die anderwärts, und zwar
gleichfalls in Stellen des Ulpian, vorkommt (Num. XLI.),
ſo würde die vorliegende Stelle ſagen, daß die condictio
si certum petetur bey der Stipulation auf ein Haus oder
Pferd eben ſo gut angeſtellt werden könne, als bey der
auf baares Geld gerichteten. Da aber dadurch Ulpian
mit ſich ſelbſt, und zwar gerade mit der unzweydeutigſten
aller dieſen Gegenſtand betreffenden Stellen (Num. XXXVII.)
in unauflöslichen Widerſpruch gerathen würde, ſo muß
man annehmen, daß er in der gegenwärtigen Stelle unter
dem Ausdruck certum stipulatus blos eine Geldſtipulation
verſtanden hat. Dann ſcheint ihn allerdings noch der
Vorwurf eines in dieſer Hinſicht ſchwankenden Sprachge-
brauchs zu treffen; allein auch dieſer Vorwurf würde viel-
leicht verſchwinden, wenn wir die ſo eben mitgetheilte
Stelle in ihrem urſprünglichen Zuſammenhang leſen könn-
ten, der ſich aus ihrer höchſt fragmentariſchen Geſtalt un-
möglich errathen läßt.
XLIV.
Calliſtratus ſagt, wenn ein Glaubiger einen Erben ſei-
nes Schuldners verklagen wolle, und über den Umfang
des Erbtheils ungewiß ſey, ſo ſolle er den Beklagten hier-
über vor dem Prätor befragen.
L. 1 pr. de interrog. (11. 1.).
Est autem interrogatio tunc necessaria, cum in per-
|0649 : 635|
Die Condictionen. XLIV.
sonam sit actio, et ita, si certum petetur: ne dum
ignoret actor, qua ex parte adversarius defuncto
heres exstiterit, interdum plus petendo aliquid damni
sentiat.
Die Gefahr des plus petere aber war bey der zwey-
ten Klaſſe der Condictionen eben ſo groß, als bey der er-
ſten (Num. XXXIII.). Daher ſcheint alſo dieſe Stelle die
Klage si certum petetur als gemeinſchaftliche Bezeichnung
beider erſten Klaſſen zu erwähnen, ganz im Widerſpruch
mit der oben vorgetragenen Lehre. — Indeſſen iſt doch
dieſe Folgerung weniger nothwendig als ſie auf den erſten
Blick ſcheinen möchte. Es iſt nämlich wohl denkbar, daß
in dieſem Fall die Intentio mit völliger Sicherheit ſo ge-
faßt werden konnte: si paret, Negidium fundum Corne-
lianum, qua ex parte heres Seji est, dare oportere, ganz
wie in ähnlichen Fällen ſchuldloſer Ungewißheit auch die
Vindication auf eine unbeſtimmte Quote zugelaſſen wurde (a).
Bey einer Geldſtipulation dagegen war dieſe Auskunft un-
möglich, wenn der Kläger den Vortheil der certi con-
dictio genießen wollte, da hierzu gewiß der unbedingte
Ausdruck einer beſtimmten Geldſumme erforderlich war.
(a) L. 76 § 1 de rei vind.
(6. 1.). „Incertae partis vindi-
catio datur, si justa causa in-
interveniat.” Eine justa causa
iſt es gewiß, wenn der Kläger
über die Erbſchaftsverhältniſſe des
Beklagten zweifelhaft iſt. — L. 8
§ 1 comm. div. (10. 3.), Gajus
IV. § 54. — Es wäre auch mög-
lich, daß man in ſolchen Fällen
dem Glaubiger eine incerti con-
dictio (mit Quidquid .. opor-
tet) geſtattet hätte; auch dieſe
konnte ihm, bey einer Geldſtipula-
tion, wenigſtens nicht die sponsio
tertiae partis verſchaffen.
41*
|0650 : 636|
Beylage XIV.
XLV.
Größere Zweifel erregt folgende Stelle aus Juſtinians
Inſtitutionen.
pr. J. de verb. oblig. (3. 15.).
Verbis obligatio contrahitur ex interrogatione et re-
sponsione … Ex qua duae proficiscuntur actiones,
tam condictio, si certa sit stipulatio, quam ex stipu-
latu, si incerta.
Lieſt man die Stelle ſo, wie ſie hier abgedruckt iſt, ſo
würde darin der actio ex stipulatu die Eigenſchaft einer
Condiction abgeſprochen ſeyn, wodurch die Stelle mit den
unzweifelhafteſten Zeugniſſen in Widerſpruch treten würde
(Num. XLII. e). Dieſe Schwierigkeit verſchwindet, wenn
man die durch mehrere und gute Handſchriften bewährte
Leſeart certi condictio oder condictio certi vorzieht (a),
wodurch von dieſer Seite eine völlige Übereinſtimmung
der verſchiedenen Zeugniſſe entſteht. Dann bleibt aber
noch die zweyte Schwierigkeit übrig, daß nun die certi
condictio auf den Fall jeder certa stipulatio bezogen wer-
den müßte, alſo auch auf die Stipulation eines Ackers
oder eines Buchs, wie Dieſes Theophilus ausdrücklich
ſagt. Hier ſcheint mir kein anderer Ausweg übrig, als
die Annahme, daß ſich die Verfaſſer der Inſtitutionen,
getäuſcht durch die Zweydeutigkeit des Ausdrucks certi,
(a) Schrader p. 495 ed. Inst. in 4°. Theophilus freylich beſtä-
tigt die hier im Text abgedruckte Leſeart.
|0651 : 637|
Die Condictionen. XLVI.
wie in ſo manchen anderen Stellen, eine Übereilung haben
zu Schulden kommen laſſen. Es konnte Dieſes gerade
hier leicht geſchehen, da, ſeit der Abſchaffung des Formu-
larprozeſſes, der Unterſchied aus der Praxis verſchwunden
war, und nur noch aus Büchern erlernt werden konnte.
Wollte man in dieſer Auskunft eine Verletzung der Auto-
rität Juſtinians finden, ſo muß erwogen werden, daß die
Sammlung der Digeſten, woraus ich meine Beweiſe her-
genommen habe, unter derſelben Autorität veranſtaltet
worden iſt, und daß die logiſchen Geſetze, die uns zu die-
ſer Auskunft, als der natürlichſten und wahrſcheinlichſten,
nöthigen, die Autorität der Geſetzgeber nicht anerkennen.
XLVI.
Wer ſich nun durch dieſen Verſuch, die ſcheinbar wider-
ſprechenden Zeugniſſe zu beſeitigen (Num. XLIII. XLIV.
XLV.), nicht befriedigt finden ſollte, Der würde wohl
anzunehmen genöthigt ſeyn, daß die Römiſchen Juriſten in
dem Sprachgebrauch geſchwankt hätten, indem ſie den
Ausdruck condictio certi oder si certum petetur bald auf
die erſte Klaſſe der Condictionen allein (baares Geld),
bald auch auf die zweyte (andere beſtimmte Sachen) be-
zogen. Es iſt aber nicht unwichtig zu bemerken, daß hier-
auf allein eine Meynungsverſchiedenheit mit einigem Schein
bezogen werden kann; alſo nicht auf die übrigen Stücke
des oben feſtgeſtellten Sprachgebrauchs; noch weniger auf
das Daſeyn, die Begränzung, und die praktiſche Verſchie-
|0652 : 638|
Beylage XIV.
denheit der drey Klaſſen der Condictionen ſelbſt, Welches
viel wichtiger iſt als der Sprachgebrauch.
XLVII.
Am Schluß dieſer Unterſuchung über die Condictionen
iſt nun noch die hiſtoriſche Frage zu berühren, wann und
wie dieſe Begriffe und Rechtsregeln entſtanden ſind. Dar-
über iſt oben nur Das behauptet worden, daß die Con-
dictionen, wie wir ſie in unſren Rechtsquellen vorfinden,
dem mit der L. Aebutia anfangenden Zeitalter der formu-
lae angehören, daß ſie ſich aber, dem Namen und zum
Theil auch der Sache nach, an die alte Legis actio per
condictionem anſchließen.
Neuere Schriftſteller haben ſehr beſtimmte Behauptun-
gen über die hiſtoriſche Entwicklung der Condictionen auf-
geſtellt. Nach ihnen hat zuerſt lange Zeit keine andere
Condiction beſtanden, als die auf beſtimmte Gegenſtände
gerichtete; Stipulationen alſo auf irgend eine Handlung,
ſey es Arbeit oder ein Rechtsgeſchäft, ſollen damals un-
möglich geweſen ſeyn, und man ſoll ſich anſtatt Derſelben
lediglich mit ſtipulirten Geldſtrafen, für den Fall der un-
terbleibenden Handlung, beholfen haben. Erſt weit ſpäter
ſoll die Erweiterung des Rechtsinſtituts eingetreten ſeyn,
die durch die incerti condictio auf Quidquid dare facere
oportet ausgedrückt werde (a).
(a) Gans Obligationenrecht S. 84. 85. Haſſe Weſen der actio
S. 68. 77.
|0653 : 639|
Die Condictionen. XLVII.
In Beziehung auf dieſe Frage muß ich meine Unwiſ-
ſenheit bekennen. Es iſt nicht gerade unmöglich, daß es
ſich ſo zugetragen hat, wie Jene meynen, an Zeugniſſen
darüber fehlt es uns gänzlich, und nicht einmal für wahr-
ſcheinlich kann ich jenen Hergang halten, da das Bedürf-
niß von Verträgen der oben beſchriebenen Art ein ſehr
natürliches und allgemeines iſt, die ausſchließende Befrie-
digung deſſelben durch Strafſtipulationen aber (ſo zweck-
mäßig ſie in einzelnen Fällen ſeyn mögen) für ſo unbe-
hülflich gehalten werden muß, daß ohne Zweifel eine be-
quemere Auskunft ſich bald Bahn gebrochen haben müßte.
— Die entgegengeſetzte Möglichkeit würde demnach ſo zu
denken ſeyn, daß das ganze Syſtem der Condictionen, wie
wir es kennen, mit einemmal entſtanden ſeyn mag. Auch
damit iſt die Annahme wohl vereinbar, daß einige Zeit
nöthig war, ehe die Begriffe, Formeln, Kunſtausdrücke,
zu ihrer völligen, planmäßigen Ausbildung gelangten,
worin ſie ſich dann für immer fixirten. Allein eine ſolche
nicht ganz augenblickliche formelle Entwicklung würde noch
immer ſehr verſchieden ſeyn von derjenigen ſucceſſiven Ver-
änderung der Rechtsregeln ſelbſt, die von jenen Schrift-
ſtellern als Thatſache angenommen wird; verſchieden be-
ſonders auch darin, daß eine Veränderung wie dieſe viel-
leicht erſt durch lange Zeiträume hervorgebracht wird, an-
ſtatt daß jene Entwicklung in kurzer Zeit vollbracht wer-
den kann.
Denjenigen insbeſondere, Welche etwa geneigt ſeyn
|0654 : 640|
Beylage XIV.
möchten, die Entſtehung der incerti condictio in ſehr neue
Zeit, etwa in die Kaiſerzeit, zu verſetzen, würden folgende
Gründe entgegen ſtehen.
Will man überhaupt hierin einen ſucceſſiven Fortſchritt
von buchſtäblicher Beſchränktheit zu freyerer Befriedigung
praktiſcher Bedürfniſſe annehmen, ſo würde die natürliche
Folge dieſe ſeyn müſſen: Condictio auf baares Geld und
andere beſtimmte Sachen. Incerti condictio. Bonae fidei
actio. Denn wenn man die b. f. actiones für alt, die
incerti condictio aber für eine neuere Rechtsbildung hal-
ten wollte, ſo würde Dieſes mit aller Analogie im Wider-
ſpruch ſtehen. — Allein das Syſtem der b. f. actiones
war ſchon zur Zeit des Cicero nicht nur vollſtändig aus-
gebildet, ſondern er erwähnt dieſelben auch auf eine Weiſe,
daß die alte Herkunft ihrer Formeln, ſelbſt in den theil-
weiſe alterthümlichen Ausdrücken, unverkennbar hervor-
tritt (b). In einer Erzählung, worin die Formel der emti
actio mit dem Zuſatz ex fide bona wörtlich erwähnt
wird, erſcheint der Vater des Cato als handelnd (c), Wel-
ches alſo in die Zeit vor Cicero hinauf weiſt (d). — Eine
Beſtätigung des alten Urſprungs der b. f. actiones im
Allgemeinen drängt ſich uns auch auf, wenn wir den
größten Theil derſelben (z. B. Kauf, Depoſitum u. ſ. w.)
mit denjenigen unter ihnen vergleichen, die in der That
(b) Cicero de off. III. 15. 17,
topica C. 17.
(c) Cicero de off. III. 16,
Valerius Naximus VIII. 2. § 1.
(d) Vgl. oben Beylage XIII.
Num. XIII.
|0655 : 641|
Die Condictionen. XLVII.
erſt in etwas neuerer Zeit anerkannt wurden, wie die aus
den ſogenannten Innominatcontracten. Die völlig ver-
ſchiedene Behandlung der einen und der anderen bey den
alten Juriſten tritt hier unverkennbar hervor.
Was aber noch unmittelbar die incerti condictio be-
trifft, ſo iſt folgende wohl beglaubigte Erzählung zu be-
achten. Vor dem Jahr der Stadt 664, in welchem die
L. Julia der Latiniſchen Nation das Römiſche Bürgerrecht
verlieh, wurde in derſelben das Eheverlöbniß vermittelſt
einer Sponſion geſchloſſen, aus welcher, im Fall der will-
kührlichen Aufkündigung, auf Entſchädigung geklagt wer-
den konnte; „litem pecunia (Iudex) aestimabat: quantique
interfuerat eam uxorem accipi aut dari .. condemna-
bat” (e). Dieſes iſt das vollſtändigſte Bild einer damals
geltenden, und gewiß aus weit früherer Zeit herrühren-
den, incerti condictio. Man wende nicht ein, Dieſes ſey
Latiniſches Recht geweſen nicht Römiſches, ja es habe
gerade durch die Ertheilung der Römiſchen Civität auch
bey den Latinern aufgehört. Das iſt wahr in Anſehung
der Klagbarkeit des Verlöbniſſes, deren gänzliche Verwer-
fung allerdings als ein eigenthümlicher Satz des Römi-
ſchen Rechts betrachtet werden muß (f); aber die in die-
ſer Erzählung ganz gelegentlich hervortretende, auch das
(e) Gellius IV. 4 aus Nera-
tius de nuptiis.
(f) Der Grund dieſes Rechts-
ſatzes iſt ausgeſprochen in L. 134
pr. de V. O. (45. 1.). In älte-
rer Zeit mag auch in Rom eine
Sponſion vorgekommen ſeyn, und
die Wirkung einer Klage hervor-
gebracht haben. L. 2 de sponsal.
(23. 1.).
|0656 : 642|
Beylage XIV.
bloße facere umfaſſende, Natur der Stipulation überhaupt,
und der aus ihr entſpringenden incerti condictio, deutet
auf einen ähnlichen Rechtszuſtand hin, der für die Römer
deſſelben Zeitalters mit der größten Wahrſcheinlichkeit an-
zunehmen iſt.
Endlich iſt noch zu erwägen, daß die Vertheidiger der
hier in Zweifel gezogenen Meynung zu einſeitig an die
Stipulation, als Entſtehungsgrund der Condiction, zu den-
ken pflegen. Die Meynung geht alſo dahin, daß eine in-
certa stipulatio lange Zeit wirkungslos geweſen, und an
ihrer Stelle nur eine Strafſtipulation auf Geld gebraucht
worden ſey. Dabey wird überſehen, daß die incerti con-
dictio auch ganz andere Entſtehungsgründe haben kann.
Wenn Jemand, in der irrigen Vorausſetzung einer Schuld,
baar zahlt, ſo hat er eine (indebiti) certi condictio; ex-
promittirt er, anſtatt zu zahlen, ſo iſt ſeine Condiction in-
certi. Nun wird wohl Niemand annehmen, daß er in die-
ſem letzten Fall lange Zeit gar keine Klage gehabt hätte,
blos weil es an einer paſſenden formula fehlte. Nimmt
man aber für dieſen Fall eine von jeher geltende incerti
condictio an, ſo iſt nicht einzuſehen, warum dieſelbe nicht
auch für die incerta stipulatio von jeher gegolten ha-
ben ſollte.
|0657 : [643]|
Nachtrag
zu § 218.
In der angeführten Stelle iſt der Satz aufgeſtellt, daß
der von Cicero durchgeführte umfaſſende Unterſchied der
judicia und arbitria, welcher ſich bey den alten Juriſten
in dem engeren Gegenſatz der condictiones (str. j. actio-
nes) und b. f. actiones wiederholt, im Zuſammenhang ſtand
mit der perſönlichen Verſchiedenheit der Richter, indem
das judicium durch einen einzelnen judex aus dem Album,
das arbitrium durch frey gewählte arbitri (einen oder
mehrere) entſchieden wurde. Als Beweis dieſes Zuſam-
menhanges wird daſelbſt blos die Stelle aus Seneca de
benef. III. 7 angeführt.
Nachdem der Druck dieſes Bandes ſchon vollendet war,
bin ich von Rudorff auf eine Stelle der Zueignung zur
Naturgeſchichte des Plinius aufmerkſam gemacht worden,
die eine unverkennbare Beſtätigung jener Behauptung
enthält.
Plinius widmet ſein Werk dem K. Titus, und führt
weitläufig den Gedanken aus, daß dieſes Werk nicht des
Kaiſers würdig ſey. „Hätte ich nun (ſagte er), dieſes
|0658 : 644|
Nachtrag zu § 218.
Buch blos herausgegeben, ſo brauchte ich dein Urtheil
nicht zu ſcheuen; ich könnte ſagen, daſſelbe ſey unter dei-
ner Würde, und nicht für dich geſchrieben. Dieſe Ent-
ſchuldigung entgeht mir dadurch, daß ich es dir zueigne.“
Er benutzt, als Ausdruck dieſes Gedankens, das durchge-
führte Bild eines Rechtsſtreits. Die Bekanntmachung des
Buchs behandelt er als eine angeſtellte Condiction. Dar-
über könne der Kaiſer nicht Richter ſeyn, erſtlich weil er
geiſtig zu hoch ſtehe; das wird ſo ausgedrückt, er habe
einen zu hohen Cenſus, um in dieſem Album der judices ſtehen
zu können. Zweytens, weil Plinius ihn als Richter ver-
werfen könne. Dieſes Alles aber falle jetzt weg, weil er
den Kaiſer nicht durch das Loos, ſondern durch eigene
Wahl (die Zueignung) zum Richter erhalten habe; jetzt
ſey das ganze Verhältniß nicht mehr einer Condiction, mit
einem aus dem Album gelooſten judex, zu vergleichen,
ſondern vielmehr einem Arbitrium, worin er ſelbſt den
arbiter vorgeſchlagen habe. — Hier ſind die Worte, deren
Sinn ich ſo eben dargeſtellt habe.
Tum possem dicere, quid ista legis Imperator? Hu-
mili vulgo scripta sunt … quid te judicem facis?
Cum hanc operam condicerem, non eras in hoc albo.
Majorem te sciebam, quam ut descensurum huc pu-
tarem. Praeterea est quaedam publica etiam erudi-
torum rejectio. .... Sed haec ego mihi nunc pa-
trocinia ademi nuncupatione, quoniam plurimum re-
fert, sortiatur aliquis judicem, an eligat.
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Nachtrag zu § 218.
In dieſer ſpitzfindig durchgeführten Anſpielung auf den
Civilprozeß ſind augenſcheinlich folgende Sätze enthalten.
Bey der Condiction wird der judex durch das Loos be-
ſtimmt (sortiatur), er kann aber von jeder Partey ver-
worfen werden (rejectio). Gelooſt wird übrigens nur
aus denjenigen Perſonen, deren Namen im Album ſtehen,
und damit verhält es ſich auf folgende Weiſe.
Seit Cäſar ſollten nur Senatoren und Ritter in das
Album aufgenommen werden, welche unter Auguſt in Drey
Decurien vertheilt waren. Dieſer ſetzte eine vierte Decurie
hinzu, die Ducenarii, welche einen geringeren als den Rit-
tercenſus hatten, und nur in geringen Sachen (de levio-
ribus summis) als judices dienen ſollten; Caligula fügte
in gleicher Weiſe eine fünfte hinzu, wobey es dann blieb (a).
Plinius nun will ſagen: mein Buch iſt eine ſo geringe
Sache, daß zu ihrer Beurtheilung ein Mann wie der Kai-
ſer, der durch ſeinen Geiſt in den drey höheren Decurien
der Richter ſteht, nicht berufen ſeyn kann; ſie gehört viel-
mehr vor die Richter der vierten oder fünften Decurien.
Das drückt er ſo aus: Non eras in hoc albo (dein Name
ſtand nicht in dem Album der vierten oder fünften De-
curie, vor welche mein Buch gehört). Majorem te scie-
(a) Sueton. Julius 41. Oc-
tav. 32. Calig. 16: Gabba 14.
Vgl. Puchta Curſus der Inſti-
tutionen B. 1 S. 270. 381. 382. —
Wenn daher Seneka de benef.
III. 7 ſagt: judex ex turba se-
lectorum, quem census in al-
bum, et equestris hereditas
misit, ſo meynt er damit die drey
höheren Decurien, die ein min-
deſtens rittermäßiges Vermögen
haben mußten, und deren Mitglie-
der allein fähig waren, in größe-
ren Rechtsſachen zu richten.
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Nachtrag zu § 218.
bam (Du gehörſt zu den Richtern der vornehmſten Decu-
rien, die nur über größere Sachen urtheilen).
Das Loos als Beſtimmung der Richter, welches im
Criminalprozeß ſehr bekannt iſt, wird im Civilprozeß ſelt-
ner erwähnt; es war hier nur möglich bey denjenigen
Klagen, deren Richter aus einer geſchloſſenen Zahl von
Perſonen (dem Album) genommen wurden, alſo nur bey
den Condictionen. Erwähnt aber wird dieſes Loos der
Civilrichter, außer unſrer Stelle, auch noch in einer übri-
gens dunklen Stelle des Simplicius bey Goesius p. 79:
„solent quidem per imprudentiam mensores arbitros con-
scribere aut sortiri judices finium regundorum causa.”
Auch hier wird es beſchränkt auf die, den arbitri entgegen
geſetzten, judices im engeren Sinn, das heißt die im Al-
bum verzeichneten Richter.
Gedruckt bei den Gebr. Unger.
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Druckfehler.
S. 90 Z. 12 ſtatt: in rem actio lies: in personam actio.
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