(II)
Das Recht des Besitzes.
Eine civilistische Abhandlung
von
D. Friedrich Carl von Savigny.
Gießen bey Heyer,
1803.
(III) Einleitung.
I. Quellenkunde.
A.) Westgothische Sammlung:
1. Pauli recept. Sentent. Lib. 5. Tit. 2. (de usucapione) §. 1. 2.
Lib. 5. Tit. 6. de Interdictis. (ed. Hugo, Berol. 1795. 8.)
2. Codicis Theodosiani Lib. 4. Tit. 22. Unde vi.
Lib. 4. Tit. 23. Utrubi (1). (ed. Ritter, Lips. 1736. f.)
(1) So muß nämlich nach dem Zusammenhang und Inhalt des Titels gelesen werden. Die Handschriften haben: Utrumvi.
(IV) Einleitung.
B. Justinianische Sammlung:
1. Institutionum Lib. 4. Tit. 15. (de Interdictis) §. 4. 5. 6.
2. Digestorum: Lib. 41. Tit. 2. de adquirenda vel amittenda Possessione.
Lib. 43. Tit. 16. (1) de Vi, et de Vi armata.
Lib. 43. Tit. 17. Uti possidetis.
Lib. 43. Tit. 18. de Superficiebus.
Lib. 43. Tit. 19. de Itinere Actuque privato.
Lib. 43. Tit. 20. de Aqua cottidiana et aestiva.
Lib. 43. Tit. 21. de Rivis.
Lib. 43. Tit. 22. de Fonte.
(1) In allen alten Ausgaben, und auch bey Haloander, ist die Zahl dieses Titels und der folgenden Titel um Eins geringer: Der 10te und 11te Titel der Florentinischen Handschrift nämlich werden da für Einen Titel gerechnet.
(V) I. Quellenkunde.
2. Digestorum: Lib. 43. Tit. 23. de Cloacis.
Lib. 43. Tit. 26. de Precario.
Lib. 43. Tit. 31. de Utrubi.
3. Codicis Lib. 7. Tit. 32. de adquirenda et retinenda Possessione.
Lib. 8. Tit. 4. Unde vi.
Lib. 8. Tit. 5. si per vim vel alio modo absentis perturbata sit Possessio.
Lib. 8. Tit. 6. Uti possidetis.
Lib. 8. Tit. 9. de Precario, et Salviano Interdicto.
Bey der Justinianischen Sammlung liegt überall der Gebauersche Text zum Grunde, wo nicht eine Abweichung besonders bemerkt ist, und dieses lezte ist nur da geschehen, wo es der Inhalt dieses Werks nothwendig machte. Einige Citate musten, weil sie oft vorkamen, sehr abgekürzt werden, so daß es nöthig ist, diese Abkürzungen hier zu erklären:
Cod. Rehd. – Die Rehdigersche Handschrift, welche in Gebauer’s Noten excerpirt ist.
(VI) Einleitung.
Rom. 1476 – Digestum Novum „Rome aput sanctum Marcum (1). Anno a nativitate dni. MCCCC. Septuagesimosexto. die penultima mensis. Marcii.“ fol. max.
Nor. 1483. – Digestum Novum „impensis Anthonii koburger nurenberge feliciter est consummatum. Anno xpiane salutis millesimo quadringentesimo octuagesimo tercio. duodecimo kalendas majas.“ fol. min.
Ven. 1485. – Digestum Novum „Mira arte Venetiis impressum Impensis Bernardini de novaria. et Antonii de stanchis de valentia. Anno MCCCC. IXXXV. die vero undecimo mensis maji.“ fol. max.
Ven. 1494. – Digestum Novum „Venetiis per Baptistam de tortis. M. CCCC. IXXXXIIIj. die XXIIj. decembris.“ fol. max.
Lugd. 1513. – Digestum Novum „Impressum Lugduni per Franciscum Fradin.
(1) per Vitum Puecher.
(VII) I. Quellenkunde.
Anno dni millesimo. CCCCCXIIj. Die vo. XIIIj. mensis Novembris.“ fol. max.
Hal. – Digesta cura Haloandri, Norembergae 1529. 4. (Bey Gebauer excerpirt.)
Paris. 1536. – „Digestum Novum ... Parisiis ... M. D. XXXVI. in 4°.“ In fine: „Pandecte imperatoris Iustiniani ... Excuse ... in alma Parisiorum academia: in edibus honestissime matrone yolande bonhomme, vidue spectabilis viri Thielmanni kerver (1). impensis suis ... M. D. XXXV.“
„Auser diesen eigenthümlichen Quellen des Besitzes gehören dahin auch die Quellen, welche zunächst auf Occupation, Tradition und Usucapion sich beziehen.“
(VIII) Einleitung.
II. Literärgeschichte.
Die Schriften, in welchen dieser Theil des Civilrechts bearbeitet ist, sind von zweyerley Art. Die erste Classe hat die Interpretation der Quellen zum Gegenstande, die zweite das System (1). Diese Entgegensetzung beider Classen kann zugleich als eine chronologische gelten, so daß das sechzehnte Jahrhundert als Gränze betrachtet wird: nur darf es damit nicht ganz strenge genommen werden, denn der Anfang der zweiten Classe fällt der Zeit nach mit dem Ende der ersten zusammen.
(1) Es versteht sich von selbst, daß jeder Schriftsteller nach seinem Hauptwerke classificirt, und daß alles Uebrige zugleich neben diesem Werke genannt werden müsse.
(IX) II. Literärgeschichte.
Erste Classe: Interpreten.
I. Die Glosse zu den Theilen der Justinianischen Gesetzsammlung, die oben als Quellen genannt worden sind.
Ein sehr groser Theil der spätern Meinungen und Streitigkeiten ist schon in der Glosse enthalten, oder durch dieselbe veranlaßt: auch läßt sich diese vorzügliche Wichtigkeit der Glosse leicht aus der Natur des Gegenstandes erklären, wobey es mehr auf eine gründliche Einsicht in die Justinianische Sammlung selbst, als auf Anwendung historischer Hülfskenntnisse ankam. Wieviel übrigens dadurch verloren ist, daß Wir von den Schriften der Glossatoren nicht viel mehr als die schlechten Auszüge des Accurs übrig haben, läßt sich selbst aus dem Wenigen beurtheilen, was hier von Placentin († 1192) und Azo († 1200) noch benuzt werden kann:
Placentini Summa in Cod. Lib. 7. Tit. 32. (hier: 35.) (p. 328-333), Lib. 8. Tit. 4-6. (p. 373-377), Lib. 8. Tit. 9. (hier: 11) (p. 379. 380), ed. Mogunt. 1536. f.
Azonis Summa in Cod. titt. citt., fol.
(X) Einleitung.
134-135, 145-149. ed. (Lugd.) 1537. f.
Azonis Lectura et Magni Apparatus ad singulas leges duodecim libr. Cod. Iust. (1), Paris. 1577. f. (2).
(Aus diesem Werke ist der gröste Theil der Glosse zum Codex genommen). Lib. 7. Tit. 32. (p. 567-571), Lib. 8. Tit. 4-6. Tit. 9. (p. 615-624).
2. Die Commentatoren von Accurs bis zu Ende des funfzehnten Jahrhunderts.
Für das eigene Studium ist in diesen Werken gar nichts zu finden, allein für die Dogmengeschichte, besonders der unmittelbar darauf folgenden französischen Schule, sind sie bey weitem nicht genug benuzt.
3. Udalr. Zasius († 1535). – Seine Vorlesungen über einen Theil des Titels der Pandekten sind zuerst, mit mehreren
(1) Der Titel der Quartausgabe: (Lugd.) 1596, ist etwas verschieden: Azonis ad sing. LL. 12. lib. Cod. Iust. Commentarius et magnus apparatus.
(2) Blos das Titelblatt scheint 1581 neu gedruckt worden zu seyn.
(XI) II. Literärgeschichte.
Schriften, gedruckt: Basil. 1543. f. Dann: opp. T. 3. (Francof. 1590. f.) p. 78-161.
4. Andr. Alciatus († 1550). – Die Vorlesungen über neun Stellen des Pandektentitels stehen: opp. T. 1. (ed. Francof. 1617. f.) p. 1188-1263. – Damit zu verbinden:
de quinque pedum praescr. num. 76-119. (T. 3. p. 350).
Comm. in L. 115. de V. S. (T. 2. p. 987).
Dispunct. Lib. 1. Cap. 1. (T. 4. p. 143).
Mit Zasius und Alciat fängt bekanntlich der bessere Geschmack in der Behandlung des Civilrechts an: allein von diesem besseren Geschmack ist in den exegetischen Vorlesungen noch wenig oder nichts sichtbar.
5. Aemyl. Ferretus († 1552). – Die Vorlesungen über drey Stellen des Pandeketentitels (L. 1. 3. 12.), wobey das übrige gelegentlich eingeschaltet ist, stehen: opp. Tit. 1. (Francof. 1598. 4.) p. 514-630. Am Ende steht: Finis 1551.
Etwas schwerfällig und weitschweifig, aber nicht ohne eigene Gedanken.
(XII) Einleitung.
6. Franc. Duarenus († 1559). – Seine überaus gründlichen Vorlesungen erstreckten sich auf den ganzen Titel der Pandekten, aber es ist nur die Erklärung der elf ersten Fragmente übrig geblieben; sie stehen: opp. (Lugd. 1584. f.) p. 819-872, und sind nach 1549. gehalten, denn Ulpian wird darin citirt. – Damit zu verbinden:
Comm. in tit. de adqu. vel amitt. poss. (p. 816-818). Kurze systematische Uebersicht über die Lehre.
Disput. annivers. Lib. 1. Cap. 18. (p. 1385).
7. Ioan. Corasius († 1572). – Nur über zwey Stellen des Titels (opp. ed. Forster, Vitemb. 1603. f., T. 1. p. 918-968), und ziemlich unbedeutend.
8. Iac. Cuiacius († 1590). – Er hat den grösten Theil der Quellen dieser Lehre interpretirt, aber seine Interpretation steht der des Duaren an Gründlichkeit nach, und läßt nur zu oft unbefriedigt. Die Veränderlichkeit seiner Meinungen ist auch hier sehr sichtbar, und es wird daher nicht überflüssig
(XIII) II. Literärgeschichte.
seyn, alles, was von seinen Schriften hierher gehört, soviel als möglich chronologisch zusammen zu stellen. Die Seitenzahlen beziehen sich auf die erste Neapolitanische Ausgabe der sämtlichen Werke (Tom. 1-10. 1722. f., Tom. 11. [Index] 1727. f.). Was mit * bezeichnet ist, wurde erst nach seinem Tode und gegen seinen Willen gedruckt:
1556. Notae priores in §. 4. I. per quas pers. et §. 4-6. I. de interd. (T. 1. p. 94, p. 284. 285).
[1556. Observat. I. 20. II. 35 – nur über einzelne Stellen oder specielle Fragen] (1).
1557. Notae in Pauli recept. Sent. Lib. 5. Tit. 2. et 6. (T. 1. p. 469. 478).
[1559. Observ. IV. 3. 7. 8. 11.]
[1562. Observ. V. 15. 17. 18. 19. 20. 22. 23. 27]
[1564. Observ. VI. 4. VII. 38]
1569. Observ. IX. 32. 33.
1569. Paratit. in Dig. XLI. 2. (T. 1. p. 843, mit Noten von Fabrot).
(1) Alle Observ. stehen im 3ten Bande der Sammlung.
(XIV) Einleitung.
1573. African. Tr. 7, L. 40. ff. de poss. (T. 1. p. 1401)
[(?). Observ. XVII. 2]
1579. Observ. XVIII. 24
1579. Paratit. in Cod. VII. 32, VIII. 4. 5. 6. 9. (T. 2. p. 471. p. 528-530. p. 532, mit Noten von Fabrot).
* 1584. 1585. Recitat. in Pauli (1) Comm. ad Ed. (T. 5), in den hierher gehörigen Stellen (vorzüglich: L. 1. 3. ff. de poss., p. 690-719).
1585. Notae posteriores in §. 4. I. per quas pers. et §. 4-6. I. de interd. (T. 1. p. 94. p. 284. 285)
[1585. Observ. XXIII. 21. XXIV. 9. 10. 12]
* 1588. Recitationes in tit. Dig. de adqu. vel amitt. poss. T. 8. p. 236-315. Zuerst, und besser als in der Sammlung: Spirae 1595. 4.
[1595. Observ. XXV. 5. 32. 33. 34. XXVII. 7. 22]
* ? Comment. s. Scholia in Institutiones,
(1) Weniger bedeutend sind hier die Vorlesungen über Papinian (T. 4.), Julian (et)c. (et)c. (T. 6.), weil die Stellen selbst weniger wichtig sind.
(XV) II. Literärgeschichte.
ad §. 4. I. per quas pers. (T. 8. p. 960)
* ? Notae in Dig. XLI. 2. (T. 10. p. 512)
* ? Notae in Cod. VII. 32. VIII. 4. etc. (T. 10. p. 691. 697. 698).
* ? Recitat. in singg. LL. Cod. (T. 9) VII. 32. (p. 1004-1019) VIII. 4. 5. 6. 9. (p. 1148-1173).
9. Iul. a Beyma († 1598). – Seine sehr unbedeutenden Vorlesungen über den Titel der Pandekten und des Codex stehen in: Comm. in varios titulos juris, Leovard. 1645. 4. (p. 321-408, p. 409-427).
10. Hubertus Giphanius († 1604). – Der gründlichste und vollständigste unter allen Interpreten: die Collegienhefte, aus welchen fast alles abgedruckt ist, scheinen sehr mangelhaft gewesen zu seyn, und der Abdruck selbst ist sehr nachlässig. Folgende Stücke der Quellen sind von ihm interpretirt:
Tit. Dig. de adqu. vel. amitt. poss. (lecturae Altorph., Francof. 1605. 4. p. 394-526).
(XVI) Einleitung.
Tit. Cod. de adqu. et retin. poss. (ibid. p. 526-537).
Ej. Tit. L. 3. (Explanatio Cod., Colon. Planc. 1614. 4. P. 2. p. 242-244).
Lib. 8. Cod., Proleg. de remed. poss. (ibid. p. 257-269).
Tit. Cod. unde vi (ibid. p. 276-298).
Tit. Cod. Uti possidetis (ibid. p. 298-308).
§. 4-6. I. de interd. (Comm. in Institut., Francof. 1606. 4. p. 431-435).
Damit zu verbinden:
Antinom. Iur. civ., Lib. 4. Disp. 48. de Interdictis (Francof. 1605. 4. p. 265-277).
11. Guil. Maranus († 1621). – In seinen Werken (ed. Traj. 1741. f.) steht, auser einer unbedeutenden Einleitung in diese Lehre (p. 473-475), ein Commentar über die drey ersten Fragmente des Pandektentitels (p. 599-613), welcher auch nicht viel Neues enthält.
Zweite Classe: Systematiker.
Schon Placentin und Azo (num.1.) gaben eine kurze Uebersicht (Summa) über diese Lehre,
(XVII) II. Literärgeschichte.
als Einleitung in die Interpretation der Quellen, und diesem Beyspiel folgten Duaren und mehrere Andere. Hier aber sollen nur diejenigen Schriftsteller genannt werden, welche die Darstellung des Systems zum Zweck hatten, einerley ob sie es ganz darstellen, oder (wie Merenda und Cuper) nur Beyträge dazu liefern wollten: nur muß zugleich für die Erreichung dieses Zwecks etwas bedeutendes geleistet worden seyn (1). Für die neuesten Schriften indessen kann auch diese lezte Einschränkung nicht gelten, weil über diese noch nicht durch das Stillschweigen späterer Schriftsteller entschieden seyn kann. Systeme des ganzen Civilrechts können fast durchaus übergangen werden, weil darin für einzelne Lehren nur selten viel Neues zu finden ist.
12. Vaconii a Vacuna novae declarationes,
(1) Das siebzehnte Jahrhundert ist vorzüglich reich an Dissertationen, denen viel zu viel Ehre geschähe, wenn man von jeder besonders bemerken wollte, daß sie nichts taugt.
(XVIII) Einleitung.
Romae 1556. 4, Lib. 2. Declar. 56-92 (f. 52-102).
Das ganze Werk ist von einem Zuhörer aus Vorlesungen zusammen getragen: das zweite Buch enthält eine Reihe von Untersuchungen über den Besitz, die nicht ungründlich, aber dunkel und verworren sind.
13. Georg. Obrecht († 1612): Methodica tractatio ... tituli. Dig. et Cod. de adqu. poss., in tres partes atque disputationes distincta. Zuerst (nach Lipenius): Argent. 1580. Dann in: Disputat., Ursellis 1603. 4, P. 1. Num. 25. (p. 517-571).
Die erste der drey Disputationen (Cap. 1-5) handelt vom Begriff des Besitzes, die zweite (Cap. 6-15) vom Erwerb, die dritte (Cap. 14-19) vom Verlust. – Eine sehr brauchbare Schrift, sowohl wegen der leichten, natürlichen Anordnung, als wegen der richtigen Ansichten, die dabey zum Grunde liegen.
14. Hugo Donellus (†1591). – Hierher gehören:
Commentarii I. Civ., Lib. 5. Cap. 6-13. [Besitz
(XIX) II. Literärgeschichte.
selbst] (p. 183-198), Lib. 15. Cap. 32-38. [Interdicte] (p. 799-816). Die elf ersten Bücher des Werks zuerst: Francof. 1589. 1590. 2. Vol. f., das Ganze zuerst: Francof. 1593-1597. 5. Vol. f. Die angeführten Seitenzahlen beziehen sich auf die Hanauer Ausgabe (1612, 1. Vol. f.).
[Damit zu verbinden:
Comm. in Cod., Lib. 8. Tit. 4. 5. 6. (p. 266-295) Tit. 9. (p. 304) ed. Lugd. Bat. 1587. f.; nicht sehr bedeutend].
Diese Darstellung des.Besitzes ist vortrefflich, ja sie ist die einzige, in welcher der eigentliche Zusammenhang desselben mit dem ganzen System des Civilrechts erkannt und entwickelt ist. Eigentliche Recherchen konnten in diesem einzelnen Abschnitt eines grösern Werkes keinen Platz finden, aber daß sie dem Werke selbst vorher gegangen sind, ist sehr sichtbar. Uebrigens gehört diese Darstellung des Besitzes, wie das ganze Werk, zu den bekanntesten und unbekanntesten civilistischen Schriften zugleich. Einzelne Sätze daraus werden überall angeführt und beurtheilt, aber die Darstellung des Ganzen, die den eigentlichen
(XX) Einleitung.
Werth desselben ausmacht, wird meist ignorirt. Hilliger hat sogar einen eigenen Auszug mit Noten herausgegeben, um diesen falschen Gebrauch recht bequem zu machen.
15. P. Friderus Mindanus († 1616). – Schriften: Comm. synopt. de materia possessionis, Francof. 1597. 8.
Tr. de Interdictis, Francof. 1616. 4.
Beides sehr fehlerhaft zusammengedruckt:
Wetzlar 1731. 4.
Frider giebt überall die Absicht an den Tag, ein ganz neues System des Besitzes aufzustellen, und er scheint selbst durch gelehrte Untersuchungen diesen Zweck erreichen zu wollen. Allein es giebt vielleicht kein Buch über diesen Gegenstand, das so wenig Wahres und so viel Falsches enthielte als dieses, und man thut ihm im geringsten nicht Unrecht, wenn man es für völlig unbrauchbar erklärt. Indessen scheint das eben nicht die gewöhnliche Meinung gewesen zu seyn, denn das Buch ist nicht selten von späteren Schriftstellern stark benuzt worden.
16. Anton. Merenda († 1655). – Seine Controversiae Iuris erschienen von 1625. an stückweise.
(XXI) II. Literärgeschichte.
Die neueste Ausgabe (Bruxellis 1745. 1746. f.) ist so abgetheilt: Tom. 1. (1745). Lib. 1-6, Tom. 2. (1745). Lib. 7-12, Tom. 3. (1746). Lib. 13-18, Tom. 4. (1746). Lib. 19-23, Tom. 5. (1746). Lib. 24. – Hierher gehören:
Lib(.) 2. Cap. 16-21. Cap. 32.
Lib. 3. Cap. 19. 21.
Lib. 6. Cap. 25.
Lib. 12. Cap. 1-29.
Lib. 19. Cap. 24.
Lib. 24. Cap. 35. 39. 45.
Merenda leitet das ganze Recht des Besitzes aus dem Zustand wandernder Völker ab. Ihr Verhältniß zum Boden sey das gewesen, was wir Besitz nennen, und dieses Rechtsinstitut sey aus politischen Gründen beybehalten worden, da durch den Ackerbau wahres Grundeigenthum entstand. Das alles ist freylich falsch, aber zweyerley darf doch dabey nicht übersehen werden: einmal, daß der Irrthum selbst aus einem sehr reellen Bestreben nach einer systematischen Einsicht entstanden ist: zweitens, daß Merenda
(XXII) Einleitung.
neben diesem Irrthum eine gründliche Kenntniß des Römischen Rechts hat, die er oft sehr scharfsinnig mit jenem Irrthum zu vereinigen weis, und die ihn noch immer recht brauchbar macht.
17. Marc. Aurel. Galvanus († 1659). – Bey dem Ususfructus kam er unter andern auch auf die Frage, wie der Besitz dabey zu bestimmen sey, und diese sollte durch eine Untersuchung über die Natur des Besitzes selbst vorbereitet werden. Darum gehört hierher das 33te und 34te Capitel des Buchs: de Usufructu (zuerst: Patav. 1650. f.).
Sehr schwerfällige Untersuchungen, meist auf willkührliche Begriffe gebaut. So z. B. wird bey jedem Besitzer untersucht, ob er stricte oder late, proprie oder improprie, vere oder interpretative besitze, und diese Methode ist recht dazu gemacht, den eigentlichen Gesichtspunct zu verrücken. Das Buch ist hier völlig entbehrlich, wiewohl es keinesweges ungründlich genennt werden kann.
18. Melch. de Valentia († 1657), Prof. zu Salamanca. – Seine: illustres juris tractatus
(XXIII) II. Literärgeschichte.
oder: lecturae Salmanticenses, sind stückweise gedruckt; das dritte Buch zuerst 1634, das erste und zweite früher, und diesen beiden ist noch eine gelehrte Correspondenz mit Anton Faber eingeschaltet. Das Ganze ist zulezt (und sehr fehlerhaft) gedruckt: Coloniae Allobrogum 1730. 4. (1). Hierher gehört:
Lib. 1. Tract. 2. (p. 27-70).
19. Franc. Ramos del Manzano († 1683), Schüler des Vorigen und Prof. zu Salamanca. – Seine Vorlesungen über den Besitz sind erst von Meermann abgedruckt worden (Thes. Tom. 7. p. 78-114).
20. Ios. Fernandez de Retes († 1678), Schüler des Ramos und Prof. zu Salamanca. – Seine Vorlesungen über den Besitz (gehalten vom J. 1649. an) stehen bey Meermann: Tom. 7. p. 454-494, die über die Interdicte (J. 1660) p. 495-539.
(1) Dieser Ausgabe ist noch beygedruckt: Noodt de forma emendandi doli mali und zwar als ein anonymes Buch.
(XXIV) Einleitung.
Die Vorlesungen dieser drey Spanischen Juristen sind mit grosem Fleise ausgearbeitet, und man kann sie nach Donellus als die gründlichsten Werke über den Besitz betrachten. Mit den Vorlesungen aus der Französischen Schule sind sie schon der äuseren Einrichtung nach gar nicht zu vergleichen. Sie sind wie Bücher abgetheilt, und werden wie Bücher citirt: jede derselben ist mehrmals gehalten und immer von neuem bearbeitet. Auch ist oft von einer gemeinen Meinung der Akademiker zu Salamanca die Rede, was sich hieraus leicht erklärt. – Valentia scheint in auserordentlichem Ansehen gestanden zu haben, aber Ramos mag wohl der vorzüglichste unter den dreyen seyn. Der Tractat des Retes: de Interdictis, welchem wahrscheinlich nicht vorgearbeitet war, ist bey weitem das schlechteste.
21. Hieron. Oroz, Prof. zu Valladolid, Zeitgenosse und Gegner der drey Juristen zu Salamanca. – Er schrieb: Apices Iuris civilis, wovon das ganze vierte Buch den Besitz abhandelt (p. 268-344. ed. Lugd. 1733. f.).
(XXV) II. Literärgeschichte.
Das Werk enthält fast nichts eigenes, und es wird dadurch unbrauchbar, daß es beynahe ganz aus Frider (num. 15) ausgeschrieben ist.
22. Io. Iac. Oppenritter. – Schriften:
Diss. (resp. C. F. Com. a Werschowetz), Summa possessionis, Viennae 1738. 4. [P. 1. Begriff und Erwerb (p. 1-336), P. 2. Erhaltung und Verlust (p. 337-383)].
Diss. (resp. Com. a Kollowrath), beatitudo possidentis, Viennae 1738. 4. [P. 1. Vortheile des Besitzes (p. 1-184) P. 2. Interdicte (p. 185-288). Hier ist die Darstellung der Interdicte nur eingeleitet: für die possessorischen Interdicte wird am Schluß noch eine dritte Schrift versprochen, von welcher ich nicht weis, ob sie erschienen ist].
Viele eigene Gedanken sind in diesen Schriften nicht zu suchen, allein sie sind als Materialiensammlungen ganz brauchbar, indem sie bey den wichtigsten Fragen die Meinungen der älteren Juristen ziemlich vollständig, obgleich ohne alle Auswahl, zusammenstellen.
23. Robert Ioseph Pothier (n. 1699 † 1772), Prof. und Mitglied des Gerichtshofs zu
(XXVI) Einleitung.
Orleans. – Die lezte unter seinen vielen Schriften über Römisches und Französisches Recht ist eine Abhandlung über Eigenthum und Besitz unter folgenden Titeln:
Traité du droit de domaine de propriété, par l’auteur du traité des obligations. Tom. 1. à Paris et Orléans 1772. in – 12.
Traité de la possession [p. 1-128] et de la prescription, par M. Pothier, Conseiller au Présidial d’Orleans. Tom. 2. à Paris et Orleans 1772. (1) in – 12. (mit vorgedrucktem Leben des Verfassers).
Damit zu verbinden:
Pandectae Iustinianeae in novum ordinem digestae, Lib. 41. Tit. 2, Lib. 43. Tit. 16-23. Tit. 26. Tit. 31. (Tom. 3. p. 121-132, p. 215-232, p. 240-244, p. 248-249. ed. Lugd. 1782. f., zuerst: 1748).
Etwas Neues enthält diese Darstellung des Besitzes gar nicht, aber die Hauptansichten sind richtig und die Darstellung selbst ist recht gut und zu einer allgemeinen
(1) Auf dem Titel steht durch Druckfehler: MDCCLXXXII.
(XXVII) II. Literärgeschichte.
Uebersicht sehr brauchbar (1). Zugleich sind die Abweichungen des Französischen Rechts dabey bemerkt.
24. I. Iupille, essai sur les principes de droit, tant ancien que moderne, en matiere de possession, à Louvain 1780.
Kein späterer Schriftsteller hat dieses Buch benuzt: selbst seine Existenz scheint mir nicht ganz ausgemacht, denn Hofacker citirt es zwar, aber wahrscheinlich blos nach Senkenberg; in Hofacker’s Catalog steht es nicht.
25. Ernst. Christ. Westphal († 1792), System des Römischen Rechts über die Arten der Sachen, Besitz, Eigenthum und Verjährung, Leipzig 1788. 8. [Arten der Sachen Th. 1. p. 1-32. Besitz Th. 2. p. 33-261. Eigenthum und Verjährung Th. 3. p. 261-784].
Westphal hatte die Absicht, eine recht gelehrte Schrift zu liefern, die den Gegenstand eigentlich erschöpfen sollte, und er hat sich dazu
(1) Was den Begriff des Besitzes betrifft, muß Pothier unten (S. 95) nach Retes eingeschaltet werden.
(XXVIII) Einleitung.
durch ein vollständiges Studium der Quellen und der besten Schriftsteller vorbereitet. Nur ist es zu bedauern, daß er die Quellen so gut als gar nicht zu behandeln wuste, und daß er unter den Meinungen seiner Vorgänger gewöhnlich die schlechtesten auswählte. Gerade in den entscheidendsten Puncten sind seine Meinungen so falsch, daß das Buch selbst als Compilation nicht sehr brauchbar ist. Seine gröste Stärke ist die Entwicklung der Fehler der Römischen Juristen, und er weis sich mit groser Herzhaftigkeit selbst in praktischer Rücksicht über diese Fehler wegzusetzen.
26. Angeli Iacobi Cuperi (diss. inaug.) observationes selectae de natura possessionis, Lugd. Bat. 1789. 4 (120. S.).
Vielleicht ist nie einer civilistischen Schrift so unbedingter Beyfall zu Theil geworden, als dieser, daher ist es nöthig, sie etwas genauer als die übrigen Schriften zu characterisiren. Sie ist aus einem überaus gründlichen Quellenstudium entstanden, und sie kann mit Wahrheit elegant genannt werden, nicht nur wegen der vortrefflichen Behandlung
(XXIX) II. Literärgeschichte.
der Quellen, sondern auch wegen der bestimmten Richtung der Untersuchung, wodurch sie sich sehr vortheilhaft vor den meisten Holländischen Schriften auszeichnet, die so oft mit ihren Digressionen beschwerlich fallen (1). Aber bey aller dieser Vortrefflichkeit sind es doch nur einzelne Bemerkungen, die als eigentliches Resultat der Schrift betrachtet werden können, ja in den wichtigsten Puncten sind sogar die Ansichten früherer Schriftsteller erweislich besser. Dieser Umstand ist nur aus einem gänzlichen Mangel an systematischem Talent zu erklären, welcher Mangel sich ohnehin schon in der fragmentarischen Anordnung der ganzen Schrift äusert, noch mehr aber in dem Bestreben, jede Regel des Römischen Rechts wo möglich zu isoliren: viele Schriftsteller haben aus Liebe zum System die Quellen hintangesezt, aber hier wird umgekehrt mehr als einmal den Quellen Gewalt angethan,
(1) Höpfner’s Urtheil über Cuper ist völlig unbegreiflich. Er spricht ihm richtige Beurtheilung und helle Begriffe ganz ab und vergleicht seine Manier mit der des Salmasius. Gleich darauf findet er die Schrift von Spangenberg gut genug. (Commentar, sechste Ausgabe, §. 281. not. 11).
(XXX) Einleitung.
um die Einheit aufzuheben, die würklich vorhanden ist. Daraus erklärt sich leicht, warum bey jeder Gelegenheit Merenda (num. 16) so übel von Cuper behandelt wird: Merenda hatte gerade die entgegen gesetzte (!) Richtung. Welche von beiden Richtungen dem Civilrecht angemessen, ja nothwendig sey, kann wohl nicht gründlich bezweifelt werden.
27. E. F. W. von Spangenberg, Versuch einer systematischen Darstellung der Lehre vom Besitz, Bayreuth 1794. 8 (340 S.).
Ein Buch ohne neue Gedanken, und auch als Compilation nicht brauchbar. Wie wenig der Vf. selbst zum Compilator berufen ist, kann man schon daraus sehen, daß er Westpha1 und Cuper neben einander excerpirt.
28. Ferd. Gotthelf Fleck. – Schriften:
Hermeneut. tituli ff. de adquirenda vel amittenda Possessione specimina duo. Lips. 1796. 4. (139 S.).
Commentationes binae de interdictis unde vi et remedio spolii, Lips. 1797. 8. (136 S.). Dazu kommt noch:
C. F. M. Klepe diss. de natura et indole possessionis
(XXXI) II. Literärgeschichte.
ad interdicta uti possidetis et utrubi necessaria, Lips. 1794. 4. (1).
Es wäre zu wünschen, daß diese Schriften eben so sehr das Eigenthum ihres Vfs wären, als ihr Inhalt gelehrt und brauchbar ist. Allein selbst der Ausdruck: Compilation mögte hier wohl etwas zu gelinde seyn. Die erste Schrift kündigt sich selbst als ein Spicilegium zu Cuper und Spangenberg an, auch wird Cuper ein paarmal citirt. Aber daß fast die ganze Schrift, und zum Theil wörtlich, aus Cuper genommen ist, erfährt der Leser nicht. Eben so wird in der zweiten Schrift die Abhandlung von Cras (2) zwar genannt, aber blos unter den Schriften, worin Cicero vertheidigt werde, also in einer Reihe mit Grotius und Donellus: und doch ist der beste Theil des Buchs ganz aus Cras genommen, ja ganze Blätter sind wörtlich abgeschrieben.
29. F. W. Sibeth, Erörterungen aus der Lehre
(1) Fleck selbst hat nämlich diese Schrift vindicirt (de interdictis p. 31).
(2) s. u. S. 364.
(XXXII) Einleitung.
vom Besitz, erster Theil, Rostock 1800. 8. (168. S.).
Das Buch ist ganz originell und selbst von Cuper’s Einfluß ganz frey: nur Einmal wird eine „Cuperische Deutung“ angeführt und sehr schnöde abgefertigt. Erst S. 136. kommt der Vf. auf die naive Frage: was er „eigentlich denn recht wolle?“ daß er es selbst nicht weis, zeigt das ganze Buch. Indessen verdient doch jedes originelle Bestreben eine Art von Achtung, selbst wenn es so völlig fruchtlos bleibt wie hier.
30. A. F. J. Thibaut über Besitz und Verjährung, Jena 1802. 8. – Hierher gehört der erste Theil des Buchs S. 1-60.
Nach des Vfs eigener Erklärung (1) war es nicht sowohl seine Absicht eine neue Darstellung dieser Gegenstände zu liefern, als seinen Zuhörern einen Leitfaden in die Hände zu geben. Darum gehört diese Schrift nicht eigentlich hierher: allein wer die übrigen Schriften des Vfs kennt, muß es beklagen, daß eine eigene Untersuchung dieses Theils des Civilrechts nicht in seinem Plane lag.
(1) s. die Vorerinnerung.
(1)
Erster Abschnitt.
Begriff des Besitzes.
§. 1.
Wenn eine Reihe von Schriftstellern denselben Gegenstand bearbeitet, giebt es sehr bald eine Tradition allgemeiner Bemerkungen, welche auch in den verschiedensten Schriften immer an derselben Stelle dem Leser begegnen.
So ist es gewöhnlich, den Untersuchungen über den Besitz die Klage über die auserordentliche Schwierigkeit dieser Untersuchungen vorausgehen zu lassen. Einige haben es mit diesen Klagen so ernstlich gemeint, daß sie in eine Art von Verzweiflung darüber gerathen sind (1):
(1) Unter diese
Schriftsteller, die dem Leser den Rath geben, sich auf jede andere Art zu
helfen, als durch die unmögliche Ergründung der Sache selbst, gehören Leyser
(Sp. 451. med. 1-4.) und Sibeth (vom Besitz S. 61: „Bey den vielen Häkeleyen
und wirklichen Widersprüchen des römischen Rechts ... wäre es unmöglich, daß
man in solchen Sachen eine Urtel (!) nach voller Ueberzeugung machen könnte. Man
sieht daher darauf, ob jemand ein Recht zum Besitz überhaupt habe“ (et)c.
(2) Begriff des Besitzes.
bey den meisten war es nur eine vorläufige Lobrede auf ihr Werk, da sie eben durch dieses den Leser zu befriedigen die Absicht hatten. Ich enthalte mich leicht des Versuchs, im Anfang des Buchs die Schwierigkeit unsrer Aufgabe zu beweisen: schwerer wird es seyn, auch in keinem folgenden Punkte der Untersuchung durch meine Darstellung selbst daran zu erinnern.
Allen Definitionen des Besitzes, so sehr sie im Ausdruck und in der Sache selbst von einander abweichen, liegt etwas ganz allgemeines zum Grunde, wovon jede Untersuchung über diesen Gegenstand ausgehen muß. Alle denken sich unter dem Besitz einer Sache den Zustand, in welchem nicht nur die eigne Einwürkung auf die Sache physisch möglich, sondern auch jede fremde Einwürkung unmöglich ist. So besitzt der Schiffer sein Schiff, aber nicht das Wasser auf welchem er fährt, obgleich er sich beider zu seinen Zwecken bedient.
Dieser Zustand, welchen man Detention nennt, und welcher allem Begriff des Besitzes zum Grunde liegt, ist an sich durchaus kein Gegenstand der Gesetzgebung, und der Begriff desselben kein juristischer Begriff: allein es zeigt sich sogleich eine Beziehung desselben auf einen juristischen Begriff, wodurch er selbst Gegenstand der Gesetzgebung wird. Da nämlich das Eigenthum die rechtliche Möglichkeit ist, auf eine Sache nach Willkühr einzuwürken, und jeden andern von ihrem Gebrauch
(3) Erster Abschnitt.
auszuschliesen, so liegt in der Detention die Ausübung des Eigenthums, und sie ist der natürliche Zustand, welcher dem Eigenthum, als einem rechtlichen Zustand, correspondirt.
Wäre diese juristische Beziehung des Besitzes die einzige überhaupt, so liese sich alles, was die Gesetze darüber zu bestimmen hätten, in folgende Sätze zusammenfassen: der Eigenthümer hat das Recht zu besitzen, dasselbe.Recht hat der, welchem der Eigenthümer den Besitz verstattet, jeder Andere hat dieses Recht nicht.
Allein die Gesetze bestimmen bey dem Besitz, wie bey dem Eigenthum, die Art wie er erworben und wie er verloren wird: sie behandeln ihn demnach nicht blos als Folge eines Rechts, sondern als Bedingung von Rechten. So ist folglich auch hier, in einer juristischen Theorie des Besitzes, nur von den Rechten des Besitzes die Rede (jus possessionis), nicht von dem Recht zu besitzen (jus possidendi), welches in die Theorie des Eigenthums gehört. (1) In diesem ersten Abschnitt nun soll die Frage beantwortet werden, welches die Rechte sind, welche den Besitz als Bedingung
(1) Diese Unterscheidung ist zu leicht, als daß es nöthig wäre, länger dabey zu verweilen, und Donellus hat sie so befriedigend auseinander gesezt, (comment. lib. 9. c. 9.), daß es unbegreiflich ist, wie selbst manche Schriftsteller sich nicht darin finden können.
(4) Begriff des Besitzes.
voraussetzen. Die Antwort auf diese Frage enthält den juristischen Begriff des Besitzes, d. h. sie bestimmt die Bedeutung, welche der ursprüngliche, nichtjuristische Begriff des Besitzes für die Rechtswissenschaft erhält.
Diese Untersuchung, deren Erfolg für die ganze folgende Darstellung entscheidend ist, zerfällt in zwey Theile.
Zuerst muß im System des Römischen Privatrechts selbst die Stelle aufgesucht werden, welche dem Besitz, als einem rechtlichen Verhältniß, in diesem System zukommt. Demnach müssen die Rechte angegeben werden, welche die Römische Gesetzgebung als Folgen des Besitzes anerkennt: zugleich sind auch die Rechte zu prüfen, welche ohne Grund für Rechte des Besitzes ausgegeben werden. Dann wird es leicht seyn, auf die bekannten Fragen zu antworten, ob der Besitz als Recht, und ob er als jus in re zu betrachten sey. – Da übrigens die erste und einfachste Art, wie der Besitz in der Rechtswissenschaft vorkommen kann, darin besteht, daß der Eigenthümer das Recht hat zu besitzen, hier aber der Besitz, unabhängig vom Eigenthum, als die Quelle eigner Rechte betrachtet wird, so kann man diese erste Frage auch so ausdrücken: in welchem Sinn haben die Gesetze den Besitz vom Eigenthum abgesondert? welcher Ausdruck von vielen Schriftstellern gebraucht worden ist. (1)
(1) So z. B. von Cuper (de
nat. poss. P. 1. C. 2.)
(5) Erster Abschnitt.
Zweitens ist zu untersuchen, wie die verschiedenen Beziehungen, in welchen der Besitz im Römischen Recht vorkommt, durch den Ausdruck von einander unterschieden worden sind: besonders was possessio überhaupt, possessio naturalis und possessio civilis den Römischen Juristen bedeutet hat. Diese terminologische Untersuchung wird theils die Resultate der vorhergehenden bestätigen, theils auch eine gründliche Interpretation möglich machen, auf welcher die ganze folgende Darstellung ruhen könne.
§. 2.
Es finden sich im ganzen Römischen Recht nur zwey Folgen, welche dem Besitz an sich, abgesondert von allem Eigenthum, zugeschrieben werden können: Usucapion und Interdicte.
Der Usucapion liegt die Regel zum Grunde, welche die zwölf Tafeln aufgestellt haben: wer eine Sache ein oder zwey Jahre besizt, wird Eigenthümer dieser Sache. Hier ist der blose Besitz, unabhängig von allem Recht, Grund des Eigenthums selbst. Zwar muß er auf besondere Weise angefangen haben, wenn er jene Wirkung haben soll: aber dabey bleibt er, was er auserdem ist, ein bloses Factum, ohne anderes Recht, als welches ihm jene Wirkung giebt. Zwar wurde, derselbe Besitz, welcher die Usucapion begründete, auch als ein eignes rechtliches Verhältniß, als prätorisches Eigenthum
(6) Begriff des Besitzes.
behandelt: aber dieses Institut, das erst lange nach der Usucapion eingeführt worden ist, konnte den Grund derselben nicht enthalten. Demnach ist es der Besitz an sich, abgesondert von jedem andern rechtlichen Verhältniß, wovon die Usucapion, also der Erwerb des Eigenthums, abhängt. Zu der Usucapion kam nachher als Supplement die longi temporis praescriptio, d. h. eine Exception gegen die rei vindicatio, deren Bedingungen meist dieselben waren, wie die der Usucapion, wobey also auch der Besitz auf dieselbe Weise vorkam. Justinian hat in allen diesen Fallen wahres Eigenthum gegeben, also kann man in dem neuesten Recht nur noch von Usucapion sprechen, sie mag nun 3, oder 10, oder 20, oder 30 Jahre dauern. Freylich wird für die 30jährige Verjährung das Wort Usucapion nirgends gebraucht, aber es ist ganz consequent, sie damit zu bezeichnen, da sie, wie jede andere, Eigenthum giebt. Ein anderes Wort dafür giebt es gewiß nicht, selbst in der Sprache der Juristen unter Justinian nicht.
Die zweite Würkung des Besitzes sind die possessorischen Interdicte. Mit diesen verhält es sich also: Da der Besitz an sich kein Rechtsverhältniß ist, so ist auch die Störung desselben keine Rechtsverletzung, und sie kann es nur dadurch werden, daß sie ein anderes Recht zugleich mit verlezt. Wenn nun die Störung des
(7) Erster Anschnitt.
Besitzes gewaltsam geschieht, so liegt in dieser Störung eine Rechtsverletzung, weil jede Gewaltthätigkeit unrechtlich ist, und dieses Unrecht ist es, was durch ein Interdict aufgehoben werden soll.
Das also ist es, worin alle possessorischen Interdicte übereinkommen: sie setzen eine Handlung voraus, die schon durch ihre Form unrechtlich ist. Bey gewaltthätigen Handlungen, der ersten und wichtigsten Art solcher Handlungen überhaupt, hat das gar keinen Zweifel: aber aus demselben Gesichtspunkte werden auch die übrigen Fälle im Römischen Recht betrachtet, in welchen possessorische Interdicte gebraucht werden können. So z. B. gründet sich das interdictum de precario weder auf Vertrag, noch darauf, daß der Kläger mehr Recht an der Sache zu haben behauptet als der Beklagte: sondern allein darauf, daß die Gesetze es für unrecht halten, den guten Willen des Andern zu misbrauchen, grade so wie es unrecht ist, mit Gewalt eine Sache zu nehmen, der Andere mag Eigenthümer seyn oder nicht. Auch werden darum überall die drey Arten, wie der Besitz unrechtlich erworben werden kann (vitia possessionum) mit einander verbunden. (1)
(1) Terentius in Eunuch. act. 2. sc. 3. v. 27. 28: „Hanc tu mihi vel vi, vel clam, vel precario fac tradas:“ Eben so in unzähligen Stellen der Pandekten.
(8) Begriff des Besitzes.
Da nun die possessorischen Interdicte durch solche Handlungen begründet werden, welche durch ihre Form unrechtlich sind, so ist es klar, warum auch hier der Besitz, ohne alle Rücksicht auf seine eigne Rechtlichkeit, der Grund von Rechten seyn kann. Wenn der Eigenthümer eine Sache vindicirt, so ist es ganz gleichgültig, auf welche Art der Andere in den Besitz gekommen ist, weil jener das Recht hat, jeden Andern von dem Besitz auszuschliesen. Wie mit der Vindication, so verhält es sich auch mit dem Interdict, wodurch die missio in possessionem geschützt werden soll (1): dieses Interdict, ist kein possessorisches Interdict, denn die missio selbst giebt durchaus keinen Besitz (2), aber sie giebt ein Recht auf die Detention, und dieses Recht wird auf ähnliche Weise geltend gemacht, wie bey dem Eigenthum. – Wer dagegen blos den Besitz einer Sache hat, hat damit gar kein Recht auf die Detention, aber er hat das Recht von jedem zu fordern, daß er überhaupt keine Gewalt gegen ihn brauche: thut dieser es dennoch, und
(1) „Nec exigitur, ut vi fecerit, qui prohibuit.“ L. 1. §. 3. ne vis fiat ei, qui in poss.
(2) „Creditores missos in possessionem rei servandae caussa (!), interdicto uti possidetis uti non posse: et merito: quia non possident. Idemque et in ceteris omnibus, qui custodiae caussa (!) missi sunt in possessionem, dicendum est.“ L. 3. §. 8. uti possidetis. – Im zweiten Abschnitt wird dieser Satz im Zusammenhang erklärt werden.
(9) Erster Abschnitt.
ist diese Gewalt gegen den Besitz gerichtet, so schüzt sich der Besitzer durch Interdicte. Der Besitz ist die Bedingung dieser Interdicte, und also hier, wie bey der Usucapion, die Bedingung von Rechten überhaupt.
§. 3.
Usucapion also und Interdicte setzen den Besitz als Bedingung voraus, und machen es nöthig, den Besitz selbst juristisch zu bestimmen: auch hat daran noch niemand gezweifelt. Allein ich behaupte ferner, daß auserdem kein Recht zu finden ist, was als Würkung des Besitzes gelten könnte, und in dieser Behauptung habe ich alle Schriftsteller, bis auf Einen oder Zwey, zu Gegnern.
Es ist nicht meine Absicht, die Verzeichnisse durchzugehen, welche mehrere Schriftsteller von den Vortheilen des Besitzes gemacht haben (1): nur diejenigen sollen hier widerlegt werden, deren Prüfung einem bedeutenden Irrthum begegnen, oder in die Natur des Besitzes selbst neue Einsicht verschaffen kann.
(1) Einer soll es bis auf 72 gebracht haben (Car. Tapia in Auth. ingressu C. de ss. eccl.). Aber auch schon bey Frider (de mat. poss. Cap. 8. 9.) und Cludius (res quotid. C. 1.) ist die Verwirrung so gros, daß man sie nicht gröser wünschen wird. Auser diesen gehören hierher alle Schriften unter dem Titel: beati possidentes oder: de commodis possessionis. Es versteht sich von selbst, daß in jenen Verzeichnissen immer dasselbe unter andern Namen wiederholt wird.
(10) Begriff des Besitzes.
1. Es giebt zwey Fälle, in welchen mit dem Besitz zugleich Eigenthum erworben wird, so daß Usucapion weder möglich noch nöthig ist: Occupation einer Sache, die keinen Eigenthümer hat, und Tradition, welche vom Eigenthümer selbst vorgenommen wird. In beiden Fallen ist zwar der Erwerb des Besitzes der eigentliche Grund des Eigenthums selbst (1), d. h. das was die neuern Juristen modus adquirendi nennen: allein der Besitz, als eigner, dauernder Zustand, ist keinesweges der Grund dieses erworbenen Rechts, da er selbst erst in dem Augenblick anfängt, mit welchem das Eigenthum erworben ist. Aber obgleich hierin keine eigne, juristische Bedeutung für den Besitz gesucht werden kann, so ist dennoch diese Beziehung für die Theorie des Besitzes selbst sehr wichtig. Da nämlich in diesen Fällen Erwerb des Besitzes und Erwerb des Eigenthums unzertrennlich verbunden sind (2), so folgt daraus für die Interpretation die Regel, daß alle Gesetze über Occupation
(1) Das heist: „per possessionem dominium quaerere.“ L. 20. §. 2. de adqu. rer. dom. §. 5. I. per quas pers.
(2) So ist zu erklären L. 8. C. de poss.: „Per procuratorem utilitatis caussa (!) possessionem, et, si proprietas ab hac separari non possit, (d. h. wenn von einer gültigen Occupation oder Tradition die Rede ist) dominium etiam quaeri placet.“
(11) Erster Abschnitt.
und Tradition, insofern sie die Form der Handlung betreffen, auch als Quellen für den Besitz gebraucht werden können, obgleich sie des Besitzes selbst vielleicht nicht erwähnen: von welcher Regel auch schon in der Angabe der Quellen Gebrauch gemacht worden ist.
2. Das prätorische Eigenthum ist mit jedem Besitze verbunden, welcher der Usucapion (die 30jährige ausgenommen) fähig ist, und es ist deshalb grade kein practischer Irrthum zu befürchten, wenn man diese Art des Eigenthums, wie die Usucapion, als eine Folge des blosen Besitzes betrachtet. Da aber das prätorische Eigenthum im neuesten Römischen Recht nur noch darin vom wahren Eigenthum abweicht, daß es gegen manche Personen nicht geltend gemacht werden kann, in jeder andern Rücksicht aber ihm völlig gleich ist, so ist auch dabey eigentlich nicht mehr vom blosen Besitze die Rede, sondern es ist dasselbe Verhältniß, wie wenn durch Occupation und Tradition das wahre Eigenthum zugleich mit dem Besitze erworben wird. Demnach giebt es für jeden Usucapionsbesitz eine doppelte Ansicht: wegen des Eigenthums, was erst in der Folge durch ihn erworben werden soll, ist er als bloser Besitz Gegenstand der Rechtswissenschaft (§. 2.): wegen der publicianischen Klage,
(12) Begriff des Besitzes.
die schon jezt mit ihm verbunden ist, gilt er selbst schon als Eigenthum. Auch haben ihn in dieser lezten Rücksicht von jeher die meisten Juristen nicht als Besitz, sondern als Eigenthum behandelt.
3. Wer eine fremde Sache so besitzt, daß er sie für sein Eigenthum hält und aus einem juristischen Grunde dafür halten muß (bona fides und justa causa), erwirbt an den Früchten dieser Sache das Eigenthum würklich (fructuum perceptio). Dieses Recht wird von den Meisten als etwas ganz einzelnes betrachtet, und unter die bedeutendsten Vortheile des blosen Besitzes gerechnet. Allein es
läßt sich beweisen, daß dieses Recht durchaus nichts anderes ist, als prätorisches Eigenthum, bezogen auf die allgemeine Regel der Accession, welcher Beweis aber nicht anders geführt werden kann, als im Zusammenhang der Theorie des Eigenthums überhaupt. Dieses vorausgesezt, gilt alles, was über das prätorische Eigenthum (num. 2.) gesagt worden ist, auch hier, und es ist ganz inconsequent, das prätorische Eigenthum von den Folgen des blosen Besitzes auszuschliesen, während man die fructuum perceptio darunter rechnet.
4. Der Besitzer hat im Streit über Eigenthum den Vortheil, daß der Gegner beweisen muß, um zu
(13) Erster Abschnitt.
gewinnen, er selbst aber auch dann gewinnt, wenn von keiner Seite etwas bewiesen werden kann (1).
Daß indessen auch hierin kein Recht des Besitzes liegt, wodurch der Besitz selbst eine neue, juristische Bedeutung bekommen könnte, folgt schon daraus, daß derselbe Satz allgemein für jeden Beklagten überhaupt wahr ist (2). Es ist also blos das natürliche Vorrecht des Beklagten, angewendet auf den Fall der Vindication, weil dabey kein Anderer, als der Besitzer, Beklagter seyn kann.
Das practische Interesse, wodurch dieser Punct von den vorigen sich unterscheidet, liegt darin. Ist dieses Recht eine Folge des juristischen Besitzes, so kann es niemand haben, der, obgleich er die Detention einer Sache hat, dennoch nicht als Besitzer von den Gesetzen anerkannt wird; folglich müste ein solcher überhaupt nicht Beklagter seyn dürfen in dem Streit über Eigenthum, weil ihm
(1) §. 4. I. de interdictis. – Dieses Recht übrigens kommt bey unsern Juristen unter sehr verschiedenen Ausdrücken vor, deren jeder wieder als eine eigne beatitudo possessionis gezählt wird, z. B. „der Besitzer ist frey vom Beweise, es wird präsumirt, daß er Eigenthümer sey, es wird im Zweifel zu seinem Vortheil entschieden, er braucht den Grund seines Besitzes nicht anzugeben“ u. s. w.
(2) „ ... semper necessitas probandi incumbit illi, qui agit.“ L. 21. de probat.
(14) Begriff des Besitzes.
sonst das allgemeine Recht des Beklagten nicht versagt werden könnte. Ist dagegen dieses Recht kein Vorrecht des Besitzes, so wird es auch bey der blosen Detention, die nicht als Besitz gilt, behauptet werden müssen. Nun sagen die Gesetze ausdrücklich, daß die Vindication angestellt werden kann, der Beklagte mag juristisch als Besitzer gelten oder nicht (1). Da nun ohne Zweifel der Kläger immer abgewiesen werden muß, wenn er nicht beweisen kann, so ist das Recht, von welchem hier die Rede ist, eben so wohl ein Recht der blosen Detention, als ein Recht des Besitzes, also überhaupt kein solches Recht, welches durch den Besitz als ein eignes, juristisches Verhältniß bedingt ist.
5. Der Besitzer darf mit Gewalt seinen Besitz vertheidigen (2).
Dieses Recht kann schon um deswillen nicht neben den übrigen, als Folge des Besitzes, aufgestellt werden, weil der Satz selbst, auf welchem es beruht, gar nicht in das Privatrecht gehört. Da sich nämlich hierbey der Schutz
(1) L. 9. de rei vind.
(2) „Recte possidenti, ad defendendam possessionem, quam sine vitio tenebat, inculpatae tutelae moderatione illatam vim propulsare licet.“ L. 1. C. unde vi.
(15) Erster Abschnitt.
eines Richters gar nicht denken läßt, so kann der Sinn jenes Satzes, als eines Rechtssatzes, nur dieser seyn: wer auf solche Weise Gewalt ausübt, ist von der Strafe frey, welche auserdem auf alle Gewaltthätigkeit folgt. Dieser Satz gehört in das Criminalrecht und nicht hierher: aber auch im Criminalrecht kann er durchaus nicht als Folge des juristischen Besitzes gedacht werden, da die Nothwehr überhaupt bey der blosen Detention eben sowohl möglich und erlaubt ist, als bey dem juristischen Besitz. Dieses lezte indessen scheint der angeführten Stelle des Codex zu widersprechen: die Nothwehr wird hier dem Besitzer, dessen Besitz nicht unrechtlich angefangen hat, verstattet, also – jedem Andern, unter andern auch dem, welcher blose Detention hat, versagt. Allein diese Art der Interpretation, die überall nur mit groser Vorsicht gebraucht werden kann, ist bey den Rescripten des Codex fast ganz unbrauchbar: so läßt sich gleich hier ein Fall denken, auf welchen dieser Zusatz sich beziehen könnte, ohne unsre Regel indirect aufzuheben. Wer nämlich mit Gewalt aus dem Besitz verdrängt wird, darf sich gleich darauf mit Gewalt wieder in den Besitz setzen, ja es wird nun so betrachtet, als ob er
(16) Begriff des Besitzes.
den Besitz gar nicht verloren hätte (1): wenn also der Andere diesen Angriff mit Gewalt abwehrt, so kann er das nicht durch Nothwehr entschuldigen, weil er überhaupt nicht als Vertheidiger betrachtet wird. Wer nun etwa ohnehin bewiesen hätte, daß er in einem rechtlich angefangenen Besitz gewesen wäre, dem könnte dieser Einwurf nicht gemacht werden: und so haben die Worte: recte possidenti Sinn und Bedeutung, ohne jener Regel zu widersprechen.
Demnach kann auch Nothwehr auf keine Weise als Vorrecht des Besitzes angesehen werden.
§. 4.
Daß der Besitz als ein rechtliches Verhältniß nur allein auf Usucapion und Interdicte sich bezieht, ist bisher bewiesen worden: dasselbe findet sich durch den Zusammenhang bestätigt, in welchem der Besitz bey den Römischen Gesetzgebern und Juristen vorkommt.
1. In den Institutionen (1) steht er mitten unter den possessorischen Interdicten, weil das Recht diese Interdicte zu gebrauchen nur durch ihn begründet werden kann. Bey der Usucapion (2) wird er einstweilen als bekannt vorausgesezt.
(1) L. 17. de vi.
(1=2!) lib. 4. tit. 15.
(2=3!) lib. 2. tit. 6.
(17) Erster Abschnitt.
2. In den Pandekten wird im ganzen 41ten Buch der Erwerb des Eigenthums abgehandelt: im ersten Titel die adquisitiones naturales, im dritten und allen folgenden die Usucapion. Der Besitz kommt im zweiten Titel vor, offenbar als Uebergang zur Usucapion, welche hauptsächlich auf ihm beruht, und ohne eine genaue Kenntniß des Besitzes nicht verstanden werden kann. Die Interdicte folgen erst später, und es ist daher ganz natürlich, daß bey ihnen nicht weiter die Rede davon ist.
Diese Ansicht der Pandektenordnung ist so natürlich, daß von jeher die meisten Juristen auf diese Art die Sache erklärt haben. (1) Einige haben ein umgekehrtes Verhältniß angenommen, indem sie behaupteten, die ganze Lehre vom Eigenthum sey nur gelegentlich dem Besitz beygefügt worden: der Besitz selbst stehe hier als Vorbereitung zu den Interdicten (2) oder zur Execution (3).
3. Im Codex steht der Besitz zwischen der Usucapion (4) und der longi temporis praescriptio (5),
(1) Duarenus in tit. de poss., prooem., p. m. 823.
(2) Cuiacius in paratit. in Dig. lib. 41. tit. 2.
(3) Giphanius in oeconomia juris p. 162. et in lectur. Altorph. p. 394.
(4) lib. 7. tit. 26-31.
(5) lib. 7. tit. 33-38.
(18) Erster Abschnitt.
offenbar weil beide auf gleiche Weise durch ihn bedingt sind. Auch hier wird wieder eine entferntere Beziehung auf die Execution behauptet (1).
Die Basiliken (2) schliesen sich im Ganzen an die Ordnung der Pandektentitel an, welchen die Titel des Codex nur eingeschaltet werden. Doch ist es merkwürdig, daß hier unmittelbar nach der Usucapion und noch vor dem Titel pro emtore (3) die possessorischen Interdicte (4) eingerückt sind.
4. Bey Paulus (5) wird der Besitz nur als Bedingung der Usucapion vorgetragen. Da indessen in dem ganzen Titel, welcher diese Ueberschrift führt, auser dem Besitz selbst zwar die longi temporis praescriptio vorkommt, die Usucapion aber gar nicht genannt wird, so ist es höchst wahrscheinlich, daß die Gothischen Compilatoren hier vieles geändert haben. (6)
5. Das Edict, obgleich älter als alle vorige Quellen, führe ich zulezt an, weil wir über die Ordnung desselben am wenigsten wissen. Ob hier der
(1) Giphanius in oecon. juris p. 162.
(2) lib. 50. tit. 2, in Meermanni Thes. T. 5. p. 42-50.
(3) l. c. p. 58.
(4) l. c. p. 57.
(5) recept. sent. lib. 5. tit. 2. de usucapione.
(6) Schulting in rubr. tit. cit.
(19) Begriff des Besitzes.
Besitz mit den Interdicten oder mit der Usucapion in Verbindung stand, ist sehr zweifelhaft. In dem Commentar von Ulpian sind die Interdicte mit dem Besitz verbunden, die Usucapion kommt an einer sehr entfernten Stelle vor: in dem Commentar von Paulus verhält es sich grade umgekehrt. Folgende Tabelle mag zur Uebersicht dienen:
Ulpianus ad edictum lib. 11 lib. 12 lib. 15 lib. 16 lib. 69
lib. 70
lib. 71
lib. 72 lib. 73 |
Besitz.
l. 10. de poss.
l. 2. de poss. l. 6. de poss. l. 12. de poss.
l. 13. de poss. l. 16. de poss. |
Interdicte.
l. 3. de interd. l. 1.3. de vi l. 1.3. uti poss. l. 4. uti poss. l. 1. de superfic. l. 1. 3. de itin. l. 1. de aq. quot. l. 1. 3. de rivis l. 1. de fonte l. 1. de cloac. l. 2. 4. 6. 8 de prec. l. 1. utrubi |
Usucapion. l. 6. de usurp. l. 1 pro derelicto l. 1. pro suo l. 10. de usurp. |
(20) Erster Abschnitt.
Paulus ad ed. lib. 54
lib. 65
lib. 66
lib. 67
|
Besitz. l. 1. de poss. l. 3. de poss. l. 7. de poss. |
Interdicte.
l. 2. 9. de vi l. 2. uti poss. l. 2. 6. de itin. l. 2. de rivis l. 4. de interd. l. 6. 16. quod vi |
Usucapion. l. 2. 4. de usurp. l. 2. pro emt. l. 1. pro don. l. 2. pro derel. l. 2. 4. pro leg. l. 2. pro dote l. 2. pro suo
|
So ungewiß aber diese Sache ist, kann man doch mit der grösten Wahrscheinlichkeit behaupten, daß in dem Edict selbst der Besitz an keiner andern Stelle, als entweder bey den Interdicten oder bey der Usucapion vorkam, und damit ist auch für das Edict bewiesen, was hier bewiesen werden sollte.
Noch viel leichter läßt es sich zeigen, daß die Rechte, welche oben dem Besitz als Würkungen abgesprochen worden sind (§. 3.), auch in den Quellen des Römischen Rechts in keiner Verbindung damit stehen.
Die Occupation und Tradition stehen überall unter den Fällen, in welchen Eigenthum unabhängig vom Civilrecht erworben wird (adquisitiones naturales).
(21) Begriff des Besitzes.
Das prätorische Eigenthum kommt in den Institutionen (1) unter den prätorischen Klagen überhaupt vor, in den Pandekten (2) neben der rei vindicatio.
Die fructuum perceptio wird als adquisitio naturalis bey dem Eigenthum vorgetragen, und zwar in den Institutionen (3) unmittelbar nach der Accession.
Die Freyheit vom Beweise kommt zwar in den Institutionen als commodum possessionis vor (4), aber nicht sowohl um die Lehre vom Besitz zu ergänzen (5) als um den häufigen Gebrauch und die Wichtigkeit des interdicti retinendae possessionis zu erklären.
Das Recht zur Nothwehr endlich wird, wie billig, nicht als ein eignes Rechtsinstitut abgehandelt, für welches eine eigne Stelle im System des Privatrechts aufgesucht werden müste, sondern nur bey einer ganz andern Materie gelegentlich berührt.
§. 5.
Die Bedeutung, welche der Besitz im Römischen Recht hat, ist jezt bestimmt: aller Besitz bezieht sich auf Usucapion oder Interdicte, und alle Gesetze, welche den Besitz als etwas juristisches betreffen, haben keinen andern
(1) lib. 4. tit. 6.
(2) lib. 6. tit. 2.
(3) §. 35. I. de rer. div.
(4) §. 4. I. de interdictis.
(5) Diese steht nämlich erst im folgenden Paragraphen.
(22) Erster Abschnitt.
Zweck, als die Möglichkeit der Usucapion oder der Interdicte zu bestimmen.
Jezt wird es nicht schwer seyn, auf zwey Fragen zu antworten, über welche von jeher die Meinungen sehr getheilt gewesen sind: ob nämlich erstens der Besitz als Recht oder als Factum betrachtet werden müsse, und zweitens, wenn er ein Recht ist, unter welche Classe von Rechten er gehöre.
Was das erste betrifft, so ist es klar, daß der Besitz an sich, seinem ursprünglichen Begriffe nach, ein bloses Factum ist: eben so gewiß ist es, daß die Gesetze rechtliche Folgen damit verbunden haben (1). Demnach ist er Factum und Recht zugleich, und dieses zweyfache Verhältniß ist für das ganze Detail ungemein wichtig.
Da nämlich der Besitz ursprünglich ein Factum ist, so ist seine Existenz von allen den Regeln unabhängig, welche das Civilrecht oder auch das jus gentium über den Erwerb und den Verlust von Rechten aufgestellt
(1) Durch diese rechtliche Folgen, die bisher dargestellt worden sind, bekommt nun das jus possessionis, was vorher nur als Gegenstand der Untersuchung vorläufig angenommen wurde, bestimmte Bedeutung. Der Ausdruck selbst kommt in mehreren Stellen vor:
L. 44. pr. de poss.
L. 2. §. 38. ne quid in loco pub.
L. 5. C. de lib. causa.
Ganz dieselbe Bedeutung hat possessionis dominium und dominus, woraus Einige eine ganz
(23) Begriff des Besitzes
haben (1). So kann durch Gewalt der Besitz erworben und verloren werden, obgleich Gewalt durchaus keine juristische Handlung ist. So ist ferner nach diesem ursprünglichen Begriff des Besitzes eine eigentliche Alienation desselben nicht möglich, d. h. kein Besitzer ist als successor des vorigen Besitzers zu betrachten, sondern er erwirbt einen ganz neuen Besitz für sich, unabhängig von dem vorigen. (2)
Allein diese Regel ist nicht ohne Ausnahme. Es giebt Fälle, in welchen die Gesetze es für nöthig halten
eigne Art von Recht gemacht haben:
Cod. Gregor. III. 4. const. 1.
Cod. Theod. VIII. 18. const. 2.
L. 2. C. Inst. ubi in rem actio (III. 19.)
Dominium heist hier soviel als jus, grade wie in: dominium proprietatis, was doch nicht auch eine eigne Art von Recht seyn kann. In einer spätern Constitution übrigens steht jus possessionis für jus possidendi (Rechtlichkeit des Besitzes):
L. 10. C. de poss.
(1) Das ist der Sinn folgender Stellen: „Ofilius quidem et Nerva filius, etiam sine tutoris auctoritate possidere incipere posse pupillum ajunt: eam enim rem facti non juris esse.“ L. 1. §. 3. de poss.
„ ... possessio autem plurimum facti habet.“ L. 19. ex quibus causis majores.
„ ... quod naturaliter adquiritur, sicuti est possessio, per quemlibet ... adquirimus.“ L. 53. de a. r. dominio. Hier wird der Erwerb des Besitzes nicht allem juristischen Erwerb überhaupt, sondern dem des Civilrechts entgegen gesezt, weil dieser Gegensatz zum Zweck der ganzen Stelle hinreichte.
(2) Diesen Satz, der nicht ohne Folgen ist, hat schon Duarenus in L. 1. de poss. p. m. 838. 839.
(24) Erster Abschnitt.
die Rechte des Besitzes zu gestatten, wo jenes Factum nicht ist, oder zu versagen, wo es sich findet. (1) In allen diesen Fällen ist es nicht blos, wie in den übrigen, die Würkung, was den Besitz zu einem Rechtsverhältniß macht, sondern der Besitz selbst, als die Bedingung jener Würkung, erhält hier juristische Bestimmungen (2). Diese Modificationen des ursprünglichen Begriffs vom Besitze zu kennen, ist freylich sehr nöthig, d. h. es ist nöthig zu wissen, in welchen Fällen die Gesetze überhaupt Besitz annehmen oder nicht: sie als Abweichungen von der Regel zu kennen, und von den Fällen zu unterscheiden, welche unter der Regel selbst enthalten sind, ist nicht schwer, wenn man den ursprünglichen Begriff des Besitzes selbst deutlich aufgefaßt hat: von practischem Interesse ist diese Unterscheidung gar nicht. Cuper hat die sehr unbequeme Methode eingeführt, sie alle in einer Reihe zusammen zu stellen, und er selbst hat 73
(1) Unsere Juristen nennen den Besitz, welcher so von den Gesetzen angenommen wird, obgleich die natürliche Detention fehlt: possessio ficta, impropria, interpretativa. Der erste, der diese Ausdrücke gebraucht hat, ist wahrscheinlich Albericus. Azonis Summa in Codicem, tit. de poss., num. 15.
(2) „ ... plurimum ex jure possessio mutuatur.“ L. 49. pr. de poss. – „possessio non tantum corporis, sed et juris est.“ L. 49. §. 1. de poss. Diese Stellen sind also nicht mit den oben angeführten zu verwechseln, welche von dem jus possessionis sprechen, obgleich die juristische Natur, welche der Besitz selbst erhält, sich auf jenes jus possessionis bezieht.
(25) Begriff des Besitzes.
derselben aufgezählt (1). Ein solcher Catalog mag recht gut seyn zur Uebersicht, wenn man die Sache selbst schon anderwärts her kennt: um sie kennen zu lernen ist er nicht sehr tauglich. Deshalb wird jede dieser positiven Modificationen des Besitzes an ihrem Orte eingeschaltet werden, d. h. da, wo die Regel selbst vorgetragen wird, wovon sie eine Ausnahme enthält.
So ist also der Besitz Factum und Recht zugleich. Die vielen Verhandlungen anzuführen, welche man bey Schriftstellern über diese Frage findet, wäre eben so unnütz, als ihre Lectüre unbelehrend ist. Cuper (2) hat die Sache im Ganzen richtig und gründlich dargestellt, auch hat sich seitdem kein Zweifel hierüber gezeigt.
§. 6.
Die zweite Frage war: zu welcher Classe von Rechten gehört der Besitz?
In so fern der Besitz die Usucapion möglich macht, läßt sich diese Frage gar nicht denken. Niemand fällt es ein zu fragen, zu welcher Art von Rechten die justa causa gehöre, ohne welche die Tradition kein Eigenthum übertragen kann. Sie ist gar kein Recht, aber sie ist ein Theil der ganzen Handlung, wodurch Eigenthum erworben wird. So auch der Besitz in Beziehung auf Usucapion.
(1) de nat. poss. P. 1. C. 6.
(2) de nat. poss. P. 1. C. 5.
(26) Erster Abschnitt.
Demnach bleibt nur noch der Besitz, auf welchen die Interdicte sich gründen, als Gegenstand unsrer Frage übrig. Diese Frage kann man vollständig beantworten, ohne sich auf die Classification des ganzen Privatrechts einzulassen, wodurch der Gang unsrer Untersuchung sehr unterbrochen werden müste. Es läßt sich nämlich zeigen, daß der Besitz in das Obligationenrecht gehört, welcher Begriff in dem Römischen Recht als völlig bestimmt vorausgesezt werden kann: wer nun das Sachenrecht überhaupt in jus in re und jus ad rem (obligationum) eintheilt, der wird dadurch von selbst genöthigt, den Besitz von allem jus in re zu trennen: wer diese Eintheilung verwirft, muß ohnehin für das ganze Obligationenrecht eine eigne Stelle aufsuchen, wodurch denn der Besitz zugleich mit bestimmt seyn wird.
Daß nun das Recht der possessorischen Interdicte in das Obligationenrecht gehört, folgt schon daraus, daß für alle Interdicte überhaupt dieser Satz gilt (1). Allein es läßt sich noch bestimmter darthun, daß sie sich auf obligationes ex maleficiis gründen. Bey dem interdictum de vi hat das gar keinen Zweifel (2). Das interdictum
(1) „Interdicta omnia, licet in rem videantur concepta, “ (und selbst das läßt sich von den possessorischen nie behaupten) „vi tamen ipsa personalia sunt.“ L. 1. §. 3. de interdictis.
(2) In L. 19. de vi ist von delictum die Rede, in L. 1. §. 14. eod. von maleficium, in L. 1.
(27) Begriff des Besitzes.
uti possidetis wird nicht nur überall mit dem interdictum de vi zusammen gestellt, sondern es gilt auch, wie dieses, nur in dem ersten Jahr (1), folglich auch nicht gegen den Erben schlechthin (2), was denn wieder mit der allgemeinen Regel zusammen hängt, welche für alle actiones ex delicto die Verbindlichkeit des Erben beschränkt (3). Die übrigen Interdicte sind alle dem interdictum uti possidetis ganz ähnlich, das de precario ausgenommen: allein auch bey diesem ist die Verbindlichkeit des Erben grade so beschränkt, wie bey jeder obligatio ex maleficio (4).
Wenn aber den possessorischen Interdicten obligationes ex maleficiis zum Grunde liegen, warum werden sie im Römischen Recht selbst nicht mit diesen zusammengestellt? (5) blos deswegen, weil die Classification der
§. 15. eod. von einer Noxalklage. Ferner geht es gegen den Erben nur in id, quod pervenit, was ausdrücklich als Folge derselben allgemeinern Regel für alle obligationes ex delicto angegeben wird. L. 3. pr. de vi.
(1) „ ... intra annum“ ... L. 1. pr. uti poss.
(2) „ ... Honorariae autem actiones“ (darunter sind hier die Interdicte mit begriffen) „quae post annum non dantur, nec in heredem dandae sunt: ut tamen lucrum ei extorqueatur, sicut fit in ... interdicto unde vi etc.“ L. 35. pr. de oblig. et act.
(3) L. 38. 44. de R. I.
(4) „Hoc interdicto heres ejus, qui precario rogavit, tenetur ... ex dolo ... defuncti hactenus, quatenus ad eum pervenit.“ L. 8. §. 8. de prec.
(5) Die obligationes ex
delictis stehen in den Institutionen B. 4. T. 1-4, in den Pandekten B. 47, die
Interdicte überhaupt in den Institutionen B. 4. T. 15, in den
(28) Erster Abschnitt.
Römer auf prozessualischen Gründen beruht. Sie stellen unter der Rubrik Obligationen blos die zusammen, welche eine eigentliche actio begründen. (1) Demnach sind die Interdicte von jenen Obligationen blos deswegen getrennt, weil sie eine eigne Art von Prozeß hatten: hätte das Edict in allen diesen Fällen Actionen gestattet, so wären sie ohne Zweifel unter die obligationes ex maleficiis gesezt worden, obgleich die Natur des Rechtsverhältnisses selbst dadurch nicht geändert worden wäre. Da nun unser Prozeß die Actionen und Interdicte der Römer nicht kennt, also die Bedeutung jener Trennung für uns verschwunden ist, so hat es keinen Zweifel, daß wir die possessorischen Interdicte nach der Ansicht der Römischen Gesetzgebung selbst unter die obligationes ex delictis zu setzen haben.
Ueber die Frage, welche hier untersucht worden ist, hat man von jeher sehr viel gestritten. Der gröste Theil dieser Streitigkeiten ist sehr unbelehrend, auch gehört er nicht hierher, weil fast Alle damit sich begnügen, den Begriff von jus in re und ad rem aufzustellen, und dann den Besitz, wie die übrigen Rechte, darunter zu rechnen oder davon auszuschliesen, ohne über die Natur dieser
Pandekten B. 47, die Interdicte überhaupt in den Institutionen B. 4. T. 15, in den Pandekten B. 43.
(1) Darauf geht die Rubrik: de obligationibus et actionibus (Dig. lib. 44. tit. 7.).
(29) Begriff des Besitzes.
Rechte selbst etwas neues und bedeutendes zu sagen. Alles kommt darauf an, die ausschliesende Beziehung des Besitzes auf Usucapion und Interdicte als entscheidend zu behandeln. Donellus (1) hat unter Allen allein diesen Zusammenhang des Besitzes mit dem ganzen System dargestellt, ja er hat zur Rechtfertigung desselben das meiste wenigstens angedeutet, was hier weiter ausgeführt werden muste. Merenda scheint, nach einer gelegentlichen Bemerkung, der richtigen Ansicht nahe gewesen zu seyn (2), obgleich seine Hypothese ihn zu sehr beschäftigte, als daß er Gebrauch davon hätte machen können.
Baldus hat zuerst vier Arten von jus in re angenommen: Eigenthum, Servitut, Pfandrecht und Erbrecht. In der Folge ist auch der Besitz (3), die dos, emphyteusis u. a. m. darunter gerechnet worden. Endlich hat Hahn die Zahl derselben auf fünf festgesezt, jene vier nämlich und den Besitz (4): seine überaus schlechten Schriften haben die Ehre gehabt, an der Spitze einer sehr zahlreichen Partey zu stehen. Einige haben die Sache dadurch zu entscheiden gesucht, daß sie in dem
(1) Comment. lib. 5. C. 6-13. (als Bedingung der Usucapion) lib. 15. C. 32-34, (die possessorischen Interdicte).
(2) Controv. lib. 12. C. 28: „ubicunque de possessione agitur, ad interdicta respicimus vel usucapionem.“
(3) Alciati Respons. Lib. 5. Cons. 112. n. 4.
(4) Diss. inaug. de jure in re. Helmst. 1639, am vollständigsten Helmst. 1664. 4. In mehreren Schriften über den Besitz hat er seine Meinung wiederholt.
(30) Erster Abschnitt.
Sachenrecht neben dem jus in re und ad rem das jus possessionis als einen eignen Haupttheil annahmen (1), eine Meinung, die blos dadurch entstehen konnte, daß man keine bessere Auskunft wuste.
Die Systematiker haben sich von jeher in groser Verlegenheit befunden, wenn es darauf ankam, dem Besitz eine Stelle anzuweisen. Connanus (2) und Ayliffe (3) handeln ihn ganz richtig bey der Usucapion ab, als Bedingung derselben: dagegen fehlt die andere juristische Seite des Besitzes, das Recht der Interdicte, in ihren Systemen ganz. Domat (4) theilt das ganze Privatrecht in Obligationenrecht und Successionsrecht: bey den Obligationen handelt er unter andern von den Folgen, wodurch sie selbst bestärkt werden können, und unter diesen Folgen steht – der Besitz und die Verjährung. Schon diese Stellung zeigt, daß er nicht gewust hat, was der
(1) I. B. Friesen de genuina poss. indole, Ienae 1725. Ihm folgt Höpfner (Commentar über die Inst. §. 280. not. 2.)
(2) Comment. j. civ. L. 3. C. 8-10. (T. 1. p. 173-189. ed. Neap. 1724. f.)
(3) a new Pandect of Roman Civil Law, London 1734 f. Book 3. Tit. 10. p. 336-344. Im 8ten Titel steht die Usucapion, im 9ten ist die Schenkung eingeschoben, um soviel möglich die Folge der Institutionentitel darzustellen.
(4) Loix civiles, Prém. partie (des engagemens et de leurs suites) Livre 3. (des suites, qui ajoutent aux engagemens ou les affermissent) Titre 7. (de la possession et des préscriptions), p. 258-276, éd. Paris. 1713. f.
(31) Begriff des Besitzes.
Besitz im Römischen Recht bedeute: auch ist er in der ganzen Abhandlung damit beschäftigt, drey Begriffe zu verwechseln, die beständig unterschieden werden müssen, wenn nicht die ganze Lehre vom Besitz misverstanden werden soll: possessio nämlich, possessio civilis und jus possidendi. Mehrere unter den Neuern (1) haben sich dadurch geholfen, daß sie den Besitz in den allgemeinen Theil des Systems verwiesen haben, obgleich er um gar nichts allgemeiner ist als das Eigenthum oder jedes andere Recht.
Wichtiger als alle diese Irrthümer über die juristische Natur des Besitzes ist ein anderer, welcher so wenig mit in diesen Streit gezogen worden ist, daß er bey Schriftstellern von allen Parteyen sich findet. Man hat nämlich den Besitz gar nicht als eignes Recht, sondern als provisorisches Eigenthum betrachtet, die Interdicte blos als provisorische Vindicationen, blos dazu eingeführt, um den Eigenthumsprozeß zu reguliren. Dieser Irrthum, der vielleicht mehr practische Folgen gehabt hat, als alle andere, kann erst dann vollständig widerlegt werden, wenn die Natur der Interdicte dargestellt seyn wird. Hier können nur folgende Stellen dagegen angeführt werden, welche ganz hierher gehören, weil sie die Natur des Besitzes selbst zum Gegenstand haben: „nec possessio et proprietas misceri debent“ (2) und: „nihil commune habet
(1) z. B. Hofacker (princ. jur. civ. Lib. 3. Sect. 2.)
(2) L. 52. pr. de poss.
(32) Erster Abschnitt.
proprietas cum possessione“ (1). Daß hier etwas mehr ausgedrückt seyn soll, als der triviale Satz, man solle den Besitzer nicht mit dem Eigenthümer verwechseln, zeigen folgende Worte der zweiten Stelle: „et ideo non denegatur ei interdictum uti possidetis, qui coepit rem vindicare. Non enim videtur possessioni renuntiasse, qui rem vindicavit.“ (2)
§. 7.
Bis hierher ist die juristische Bedeutung des Besitzes aus dem System des Römischen Rechts überhaupt abgeleitet worden: ich wende mich nun zur Bestimmung des Sprachgebrauchs der Römischen Juristen. Der schwerste und wichtigste Theil dieser Untersuchung betrift (!) die possessio überhaupt, die possessio civilis und possessio naturalis, und damit soll gleich hier der Anfang gemacht werden.
Um den Beweisen, die durch Interpretation geführt werden müssen, eine bestimmtere Richtung zu geben, will ich eine Uebersicht der Resultate voraus gehen lassen,
(1) L. 12. §. 1. de poss.
(2) L. 12. §. 1. cit. Ueber keine Stelle des ganzen Titels ist so viel und so weitläufig commentirt worden, als über diese: die erste gedruckte Schrift über den Besitz ist ein solcher Commentar von Bolognin (Bononiae 1494. f.). Alle diese Schriften aber gehören so gut als gar nicht hierher; sie handeln nur bey Gelegenheit dieser Stelle die prozessualische Frage ab, ob das petitorium mit dem possessorium cumulirt werden dürfe.
(33) Begriff des Besitzes.
welche aus jenen Beweisen hervorgehen sollen. Ursprünglich bedeutet possessio das Verhältniß der blosen Detention, also ein nichtjuristisches, natürliches Verhältniß: daß es ein blos natürliches Verhältniß ist, was durch sie bezeichnet wird, braucht durch keinen Zusatz ausgedrückt zu werden, solange kein anderer Begriff da ist, dessen Gegensatz diesen Zusatz nöthig machte. Diese Detention aber wird unter gewissen Bedingungen ein Rechtsverhältniß, indem sie durch Usucapion zum Eigenthum führt: dann heist sie civilis possessio, und nun ist es nöthig, alle übrige Detention auch durch die Sprache von ihr zu unterscheiden. Man nennt sie naturalis possessio, d. h. die Art der possessio überhaupt, welche nicht so, wie die civilis, ein juristisches Verhältniß geworden ist. – Die Detention wird aber noch auf eine andere Art ein Rechtsverhältniß, indem sie die Interdicte begründet: so heist sie possessio schlechthin, und das ist die Bedeutung dieses Worts, wo es ohne Zusatz, und doch technisch gebraucht wird. Alle übrige Detention im Gegensatz der possessio ad interdicta heist wieder naturalis possessio, d. h. das natürliche Verhältniß im Gegensatz jenes juristischen, ganz auf dieselbe Weise wie dieser Gegensatz bey der civilis possessio durch sie bezeichnet wurde. – Es giebt demnach zweyerley juristischen Besitz: possessio civilis (ad usucapionem) und possessio (ad interdicta), und alles was
(34) Erster Abschnitt.
oben (§. 5.) über die juristischen Modificationen gesagt worden ist, die bey dem Begriff des Besitzes vorkommen können, bezieht sich auf einen von beiden oder auf beide zugleich. Ihr Verhältniß zu einander ist dieses: die possessio ad interdicta ist ganz in der possessio ad usucapionem enthalten, und diese hat nur noch einige Bedingungen mehr als jene. Wer also ad usucapionem besizt, besizt immer auch ad interdicta (1), aber nicht umgekehrt. – Possessio naturalis hat, wie oben bemerkt worden ist, zwey Bedeutungen: beide aber sind negativ und drücken blos einen logischen Gegensatz aus. – Das sind die Sätze, deren Beweise ich jezt zu führen habe.
1. Possessio civilis und possessio naturalis, als Gegensatz derselben. Civilis überhaupt hat vorzüglich zwey technische Bedeutungen. Zuerst bezeichnet es das ganze Privatrecht und wird so dem Criminalrecht entgegen gesezt: davon kann hier, in den Gränzen des
(1) Von diesem Satz giebt es eine Ausnahme: der Schuldner, der ein Pfand hingegeben hat, besizt dieses Pfand ad usucapionem, aber nicht ad interdicta. Dieser Fall wird aber in den Gesetzen selbst so offenbar als Ausnahme behandelt, und das Bedürfniß dieser Ausnahme läßt sich so natürlich erklären, daß die Gewißheit der Regel dadurch nicht leidet. Ich werde daher dieses Falls nicht früher wieder erwähnen, als im zweiten Abschnitt, wohin er gehört.
(35) Begriff des Besitzes.
Privatrechts selbst, nicht die Rede seyn. Zweitens bedeutet es im Privatrecht selbst alles das, was weder aus dem jus gentium, noch aus dem prätorischen Recht, sondern aus einer Lex, einem Senatusconsultum, oder als Gewohnheitsrecht entstanden ist. Von dieser zweiten Bedeutung kommen noch mancherley Modificationen vor (1), aber so allgemein, wie sie hier bestimmt worden ist, wird sie bey weitem am häufigsten von den Römischen Juristen gebraucht. So, um nur an einige Anwendungen zu erinnern, heist die Agnation allein civilis cognatio (2), obgleich jede andere Cognation in dem jus gentium sowohl, als in dem prätorischen Recht wichtige Würkungen hat, also gewiß auch ein juristisches Verhältniß ist: eben so verhält es sich mit der civilis actio, civilis obligatio u. s. w. Wenden wir diese Bedeutung des Worts auf die possessio civilis an, so muß derjenige Besitz darunter verstanden werden, welchen das Civilrecht anerkennt, d. h. von dessen Daseyn es abhängt, ob eine Regel des Civilrechts angewendet werden soll oder nicht. Nun giebt es im ganzen Civilrecht nur ein Recht, dessen Anwendung den Besitz voraussezt, nämlich die Usucapion:
(1) z. B. in L. 2. §. 5. 12. de orig. juris.
(2) L. 4. §. 2. de gradibus.
(36) Erster Abschnitt.
folglich heist possessio civilis soviel als possessio ad usucapionem.
Daß nun die Usucapion würklich in das Civilrecht gehört, bedarf keines Beweises: die Interdicte können nicht dahin gerechnet werden, da sie blos aus dem Edict entstanden sind. Um hier keinem Zweifel Raum zu lassen, will ich zwey Stellen der Alten anführen, wodurch man veranlaßt werden könnte, die Interdicte dennoch in das Civilrecht zu setzen. Die erste steht bey Cicero (1): Um zu beweisen, daß auch der, welcher gewaltsam verhindert wird, in sein Grundstück einzugehen, als dejectus das interdictum de vi gebrauchen könne, braucht er folgendes Beyspiel: „quaero si te hodie domum tuam redeuntem coacti homines et armati, non modo limine tectoque aedium tuarum, sed primo aditu vestibuloque prohibuerint, quid acturus sis? Monet amicus meus te, L. Calpurnius, ut idem dicas quod ipse antea dixit, injuriarum. Quid ad causam possessionis? quid ad restituendum eum, quem oportet restitui? quid denique ad jus civile, aut ad (actoris) notionem et ad animadversionem? ages injuriarum?“ Bey
(3) pro Caecina C. 12. (in opp. ed. Beck. Vol. 2. pag. 266.)
(37) Begriff des Besitzes.
aller Schwierigkeit dieser Stelle ist es klar, daß Cicero sagen will: die Injuriensache steht mit der Restitution des Besitzes, also mit dem jus civile in keiner Verbindung: er scheint also das Interdict in das jus civile zu setzen. Da indessen die Injurie, von welcher hier die Rede ist, seit der lex Cornelia ein crimen publicum war (1), so ist es offenbar, daß das Civilrecht hier dem Criminalrecht entgegen gesezt wird: in diesem Sinn gehört unstreitig das ganze Edict in das jus civile, aber für die andere Bedeutung von jus civile läßt sich daraus nichts beweisen, ja sogar wird kurz vorher von Cicero selbst diese andere Bedeutung gebraucht. (2) – Die zweite Stelle, durch die man verführt werden könnte, die Interdicte in das Civilrecht zu setzen, steht bey Petron (3) „jure civili dimicandum, ut, si nollet alienam rem domino reddere,
(1) „Lex Cornelia de injuriis competit ei, qui injuriarum agere volet ob eam rem, quod se pulsatum, verberatumve, domumve suam vi introitam esse dicat.“ L. 5. pr. de injuriis. Eben darauf gehen bey Cicero die Worte notio und animadversio.
(2) Pro Caecina C. 12. (l. c. pag. 265) „ ... quod agas mecum ex jure civili ac praetorio non habes, “ d. h. du hast weder eine Vindication, noch ein Interdict.
(3) Satyr. C. 13. (pag. 48. ed. Burmann. 1709.)
(38) Erster Abschnitt.
ad interdictum veniret.“ Die Schwierigkeit wird dadurch vergrösert, daß in dem Fall, welcher hier voraus gesezt wird (es war nämlich ein Kleid verloren und von einem Andern aufgehoben worden, gegen den jezt geklagt werden sollte), daß in diesem Fall überhaupt kein Interdict möglich war (1). Einige Interpreten (2) haben die Worte: ad interdictum venire von der Jurisdiction des Prätors überhaupt erklärt, so daß auch die Vindication damit gemeint seyn könnte: aber dafür sollte es schwer seyn, eine Beweisstelle zu finden. Das natürlichste ist wohl, dem Petron überhaupt alle Auctorität abzusprechen, wo es auf einen juristischen Sprachgebrauch ankommt, der durch ältere und neuere Schriftsteller als Petron so fest bestimmt ist.
Also auf Interdicte kann die possessio civilis nicht bezogen werden: auf die übrigen Würkungen kann es schon um deswillen nicht geschehen, weil sie überhaupt nicht als Folgen irgend einer Art des juristischen Besitzes gelten können. (§. 3.) Für die possessio civilis kommt noch der besondere Grund hinzu, daß die meisten gar nicht in
(1) Davon unten im vierten Abschnitt.
(2) z. B. Turnebus (adversar. lib. 19. Cap. 6.)
(39) Begriff des Besitzes.
das Civilrecht gehören. So gehört die Tradition nur dann in das Civilrecht, wenn von einer res nec mancipi die Rede ist (1), die Occupation und das prätorische Eigenthum, was unter andern durch Occupation und durch Tradition einer res mancipi entstand, nie, die fructuum perceptio eben so wenig, weil sie das prätorische Eigenthum der Hauptsache voraussezte. Die Freyheit vom Beweise, welche jeder Beklagte hat, rechnete sicher kein Römischer Jurist unter das jus civile, und das Recht der Nothwehr eben so wenig (2).
Was bisher aus der allgemeinen Bedeutung von civilis bewiesen worden ist, wird durch einzelne Stellen der alten Juristen bestätigt. Es kommen überhaupt fünf Fälle vor, worin der possessio civilis erwähnt wird: aus zweyen derselben läßt sich meine Behauptung bestimmt beweisen, aus den übrigen ist weder für diese noch für eine andere Meinung ein sichrer Schluß zu ziehen, es kommt also bey ihnen blos darauf an, zu zeigen, daß sie sich aus unsrer Voraussetzung völlig erklären lassen, daß sie ihr folglich nicht widersprechen.
(1) Ulpiani fragm. tit. 19. §. 7.
(2) L. 3. de justitia et
jure.
(40) Erster Abschnitt.
a. Wenn ein Faustpfand gegeben ist, soll der creditor nicht als Civilbesitzer gelten: (1)
„Sciendum est, adversus possessorem hac actione (ad exhibendum) agendum: non solum eum, qui civiliter, sed et eum, qui naturaliter incumbat possessioni. Denique creditorem, qui pignori rem accepit, ad exhibendum teneri placet.“
Der Zusammenhang ist dieser: die actio ad exhibendum, sagt der Jurist, geht nicht blos gegen den Civilbesitzer. Er bestätigt diesen Satz durch das Beyspiel des creditor, und braucht, um diesen Uebergang von der Regel zur Anwendung zu bezeichnen, das Wort: denique („so zum Beyspiel“) welches grade in dieser Bedeutung in mehreren Stellen der Pandekten vorkommt (2). In den zwey Fragmenten, welche
(1) L. 3. §. 15. ad exhibendum.
(2) „In omni fere jure, finita patris potestate, nullum ex pristino retinetur vestigium: denique et patria dignitas quaesita per adoptionem, finita ea, deponitur.“ L. 13. de adopt.
„In quaestionibus laesae majestatis etiam mulieres audiuntur: conjurationem denique Sergii Catilinae Iulia mulier detexit, et Marcum Tullium Consulem indicium ejus instruxit.“ L. 8. ad legem Iul. majest.
„Nemo enim in persequendo deteriorem causam, sed
(41) Begriff des Besitzes.
auf unsre Stelle folgen (1) und unter welchen das zweite mit unsrer Stelle in Ulpians Schrift selbst zusammen gehangen haben muß, werden diesem Beyspiel mehrere andere hinzugefügt, so daß sie mit diesem ein Ganzes ausmachen. Dieser Zusammenhang ist so natürlich und so nothwendig, daß man ihn nicht wohl verkannt haben würde, wenn man nicht schon einen falschen Begriff von possessio civilis mit hinzugebracht hätte. Die Glosse macht bey dem Worte: creditor die Bemerkung: „hic civiliter possidet“, was aber auch als Einwurf gegen die Meinung des Gesetzes gemeint seyn kann, so daß sie ihn nicht grade misverstanden haben muß. Frider (2) will sogar aus dieser Stelle beweisen, daß der creditor Civilbesitzer sey. Cuper (3) hebt allen Zusammenhang der Stelle auf, indem er willkührlich
meliorem facit. Denique post litem contestatam heredi quoque prospiceretur, et heres tenetur ex omnibus causis.“ L. 87. de R. I.
Diese Bedeutung von denique läßt sich übrigens auf eine andere reduciren, welche bekannt genug ist: es heist nämlich oft soviel als sane oder certe. Caesar de bello gall. lib. 2. C. 33. (p. 83. ed. Lips. 1780.) Seneca de ira lib. 3. C. 18.
(1) L. 4. 5. ad exhibendum.
(2) de materia possessionis C. 4. §. 13.
(3) de nat. poss. P. 1. C. 3. pag. 35.
(42) Erster Abschnitt.
annimmt, mit dem Worte denique gehe etwas ganz neues an, ohne Verbindung mit dem vorigen, was zugleich eine blose Wiederholung seyn müste, da unter der possessio civilis und naturalis, für welche der Satz schon vorher behauptet wurde, alle mögliche Fälle überhaupt enthalten waren. Er hätte sicher nicht zu einer Interpretation seine Zuflucht genommen, wodurch die Logik der Römischen Juristen so verdächtig wird, wenn er auf andere Weise seinen Begriff von possessio civilis gegen diese Stelle zu retten gewust hätte.
Also es ist sicher, daß der creditor an dem Pfand keine possessio civilis hat: und es ist nur noch nöthig, die Rechte seines Besitzes selbst zu bestimmen, um zu zeigen, welchen Begriff die Römischen Juristen mit jenem Worte verbinden. Ueber diese Rechte enthält folgende Stelle eine sehr genaue Bestimmung (1):
„ ... qui pignori dedit, ad usucapionem tantum possidet: quod ad reliquas omnes causas pertinet, qui accepit, possidet“ ...
Also der creditor besizt in jeder juristischen Rücksicht, die Usucapion allein ausgenommen:
(1) L. 16. de usurp, et usuc.
(43) Begriff des Besitzes.
demnach kann die possessio civilis, die ihm abgesprochen wird, nichts anders bedeuten, als possessio ad usucapionem.
b. Der zweite Fall in welchem der possessio civilis erwähnt wird, bezieht sich auf die verbotene Schenkung unter Ehegatten. Durch diese Schenkung soll keine possessio civilis entstehen:
„ ... licet illa (uxor) jure civili possidere non intelligatur (1).
Si vir uxori cedat possessione, donationis causa, plerique putant (und diese Meinung wird hier, wie gewöhnlich, stillschweigend gebilligt, denn Paulus fügt sogar selbst noch einen neuen Grund hinzu) possidere eam: quoniam res facti infirmari jure civili non potest ... “ (also das Civilrecht erkennt diesen Besitz nicht an) (2).
„Dejicitur is, qui possidet, sive civiliter sive naturaliter possideat: nam et naturalis possessio ad hoc interdictum (de vi) pertinet. Denique (3) et si
(1) L. 26. pr. de donat. inter vir. et ux.
(2) L. 1. §. 4. de poss.
(3) Die Verbindung, und selbst der Ausdruck, ist hier ganz derselbe wie in L. 3. §. 15. ad exhibendum, beide Stellen erläutern sich wechselseitig, und ich
(44) Erster Abschnitt.
maritus uxori donavit, eaque dejecta sit: poterit interdicto uti: non tamen si colonus. (1)
Also possessio civilis wird in diesen drey Stellen geläugnet: welches Rechtsverhältniß ist es nun, das mit diesem Wort bezeichnet werden soll? daß überhaupt juristischer Besitz durch diese Schenkung entstehe, sagt die zweite der angeführten Stellen ausdrücklich, und damit stimmt noch eine andere überein (2). Die dritte Stelle nennt sogar eine Würkung dieses Besitzes, nämlich ein Interdict. Aber Usucapion kann aus diesem Besitz nicht entstehen:
kann mich ganz auf die Interpretation beziehen, welche von dieser lezten Stelle oben gegeben worden ist.
(1) L. 1. §. 9. 10. de vi.
(2) L. 1. §. 2.
pro donato: „Possidere autem uxorem rem a viro donatam, Iulianus putat.“ So klar dieser Satz bestimmt ist, so hat man ihn doch häufig
geläugnet, um irgend einen angenommenen Begriff von possessio civilis dadurch
zu retten. Cuper (de nat. poss. P. 2. C. 11. pag. 84.) glaubt, Paulus
widerspreche sich selbst (in L. 1. §. 4. de poss. und L. 26. pr. de don. int.
vir. et ux.). Fleck (de poss. pag. 45. 118.) geht noch viel weiter, indem er
behauptet, aller Besitz überhaupt werde hier überall geläugnet. Die einzige
Stelle, die man gegen unsern Satz anführen könnte, ohne einen willkührlichen
Begriff von possessio civilis schon vorauszusetzen, ist L. 46. de don. inter
vir. et ux.: „Inter virum et uxorem nec possessionis ulla donatio est.“ Aber
hier wird offenbar nicht der Besitz geläugnet, sondern die Schenkung:
(45) Begriff des Besitzes.
„Si inter virum et uxorem donatio facta sit, cessat usucapio.“ (1)
Demnach kann hier wieder unter der possessio civilis, welche abgeläugnet wird, nichts anderes gedacht werden, als die possessio ad usucapionem.
c. Aus den übrigen Stellen, worin die possessio civilis vorkommt, läßt sich um deswillen kein Beweis führen, weil in ihnen die possessio civilis blos im allgemeinen abgeläugnet wird, ohne daß ein positiver Gegensatz die Bedeutung dieser Negation näher bestimmte. Es ist also genug zu zeigen, daß sie sich insgesammt aus dem Begriff der possessio civilis erklären lassen, welcher
es wird also nur behauptet, die Frau besitze nicht pro donato, und darauf geht auch L. 16. de poss.: „quod uxor vir, aut vir uxori donavit, pro possessore possidetur, “ welche Stelle aus demselben Werk von Ulpian genommen ist, wie die L. 46. cit. Dieser Satz kann also um deswillen keinen Einfluß auf die Existenz des Besitzes haben, weil er selbst sich blos auf die juristische Succession (in der Schenkung) bezieht, die Existenz des Besitzes aber von aller Succession unabhängig ist (s. o. S. 23.). – Das wesentliche dieser sehr natürlichen Erklärung ist alt (Duarenus in L. 1. §. 4. de poss., p. 829, Valentia, tract. ill. Lib. 1. Tr. 2. C. 7. p. 52.). Cuper selbst hat sie noch um vieles gewisser gemacht, wovon erst im vierten Abschnitt, bey dem interdictum utrubi, die Rede seyn kann.
(1) L. 1. §. 2. pro donato
(46) Erster Abschnitt.
jezt als vollständig bewiesen behandelt werden kann.
So soll die Detention, welche ein Sclave hat, nicht als possessio civilis gelten (1). Daß dieser Satz unsrem Begriff von possessio civilis nicht widerspreche, wird man leicht zugeben. Denn jeder Sclave ist ein peregrinus, hat also keinen Antheil an dem Civilrecht, ist also der Usucapion unfähig, weil diese nur aus dem Civilrecht entsteht.
d. Wer eine zusammengesezte Sache besizt, z. B. einen Wagen, soll nicht als Civilbesitzer eines einzelnen Theils für sich, z. B. eines Rades, angesehen werden. (2) Daß nun hier keine Usucapion möglich sey, sagt eine andere Stelle ausdrücklich (3), und so liegt auch hierin eine Anwendung unsres allgemeinen Begriffs.
e. Endlich wird die Regel aufgestellt: nemo sibi causam possessionis mutare potest, und diese Regel soll bey der possessio naturalis eben sowohl, als bey der possessio civilis gelten. (4) Für den lezten Theil des Satzes werden nun
(1) L. 38. §. 7. 8. de verb. oblig. L. 24. de poss.
(2) Lib. 7. §. 1. ad exhibendum.
(3) L. 23. de usurp. et usuc.
(4) L. 2. §. 1. 2. pro herede.
(47) Begriff des Besitzes.
vier Beyspiele eingeführt, worin nun eben durch diese Verbindung possessio civilis geläugnet wird: nämlich der Pachter, der Depositar, der Commodatar, und der Sohn solange er in väterlicher Gewalt ist (also in der Zeit des Pandektenrechts auser dem peculium militare kein Eigenthum haben kann) sollen unter jener Regel enthalten seyn. Daß aber in allen diesen Fällen Usucapion unmöglich ist, versteht sich von selbst.
Soviel von der possessio civilis. Daß die possessio naturalis überall als logischer Gegensatz der civilis (als possessio, quae non est civilis) vorgekommen ist, bedarf kaum einer Erinnerung. Mehr darüber wird weiter unten gesagt werden.
2. possessio (ad interdicta) und possessio naturalis im Gegensatz derselben. – Ich habe hier zweyerley zu beweisen: erstens, daß possessio schlechthin, als juristisches Verhältniß, von der possessio naturalis unterschieden wird, zweitens, daß dieser Gegensatz keine andere Bestimmung hat, als die juristische Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Interdicte zu bezeichnen.
a. possessio schlechthin wird, als juristisches Verhältniß, einem nichtjuristischen entgegen gesezt, was unter folgenden Namen vorkommt: esse in
(48) Erster Abschnitt.
possessione, tenere, naturaliter possidere, corporaliter possidere (1).
„Idem Pomponius bellissime temptat dicere, numquid qui conduxerit quidem praedium, precario autem rogavit, non ut possideret, sed ut in possessione esset? est autem longe diversum: aliud est enim possidere, longe aliud in possessionem esse“ ... (2)
„Eum, cui ita non cavebitur, in possessionem ejus rei ... ire, et, cum justa causa esse videbitur, etiam possidere jubebo“ (3).
„Qui in aliena potestate sunt, rem peculiarem tenere possunt, habere, possidere non possunt: quia possessio non tantum corporis, sed et juris est.“ (4)
(1) In der Glosse heist es detentio asinina (Glossa in L. 29. de poss.). An einer andern Stelle (in L. 24. de poss.) wird dieser Ausdruck erklärt: „ ... tenere potest, ut asinus sellam.“ Bekanntlich wählt Accurs den Esel sehr oft als Beyspiel. – Die spätern Italienischen Juristen nennen es tenuta.
(2) L. 10. §. 1. de poss.
(3) L. 7. pr. de damno infecto.
(4) L. 49. §. 1. de poss. Die Schlußworte sind schon oben erklärt worden (§. 5.) und sagen ausdrücklich, daß hier das juristische Verhältniß von einem nichtjuristischen unterschieden werde.
(49) Begriff des Besitzes.
„Neratius et Proculus, et solo animo non posse nos adquirere possessionem, si non antecedat naturalis possessio (1).
„ ... quod ex justa causa corporaliter a servo tenetur ... dominus creditur possidere. (2)
Mit diesem Gegensatz ist es indessen nicht so gemeint, als ob in dem juristischen Besitz nicht auch jenes natürliche Verhältniß (die Detention) enthalten seyn könnte: denn obgleich jener zuweilen von den Gesetzen angenommen wird, wo sich dieses Verhältniß nicht findet, so ist er doch in der Regel mit demselben verbunden. (§. 5.) Demnach ist unter dem natürlichen Besitz, insofern er dem juristischen entgegen gesezt wird, der blos natürliche zu verstehen, so daß unbeschadet dieses Gegensatzes auch in dem juristischen Besitz der natürliche enthalten seyn kann. Auch werden würklich in vielen Stellen alle die Ausdrücke, welche sonst das nichtjuristische Verhältniß bezeichnen, bey dem juristischen Besitz gebraucht, um die körperliche Detention auszudrücken, wenn sich diese bey ihm findet. (3)
(1) L. 3. §. 3. de poss.
(2) L. 24. de poss.
(3) so z. B. corporalis possessio (in L. 40. §. 2. de pign. act.): naturalis possessio (in L. 38. §. 10. de usuris und in L. 3. §. 13. de
(50) Erster Abschnitt.
b. Daß durch jene Unterscheidung nichts anderes bezeichnet werden soll, als die juristische Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Interdicte, läßt sich eben so leicht beweisen, als das Daseyn dieser Unterscheidung selbst. Daß nämlich possessio im juristischen Sinn Bedingung der Interdicte ist, folgt schon aus dem Namen der possessorischen Interdicte, und steht überdem in vielen einzelnen Gesetzen (1). Zugleich ist das Daseyn
poss.): endlich in possessione esse (in §. 5. I. de interdictis, L. 11. §. 13. quod vi, und L. 2. C. de poss.) –. Cuper (de nat. poss. P. 1. C. 3.) nimmt drey Bedeutungen von possessio naturalis an: 1.) blose Detention, 2.) Detention, als Bestandtheil des juristischen Besitzes, 3.) Besitz, der durch eine juristische Fiction (s. o. §. 5.) der blosen Detention gleich gesezt ist. Allein es liegt hier immer nur eine Bedeutung zum Grunde, d. h. wir brauchen nicht etwa jede dieser drey Beziehungen erst aus den Stellen, worin sie vorkommt, zu lernen und zu beweisen, sondern wir könnten sie mit Gewißheit aus den andern folgern, selbst wenn sie nicht besonders gebraucht worden wäre. Cupers ganze Bemerkung steht übrigens schon bey Donellus (comm. V. 7.)
(1) „Interdictum autem hoc (de vi) nulli competit, nisi ei, qui tunc, cum dejiceretur, possidebat (L. 1. §. 23. de vi).
Creditores missos in possessionem rei servandae causa, interdicto uti non posse: et merito: quia non possident. (L. 3. §. 8. uti poss.)
... si eam rem, cujus possessionem per interdictum uti possidetis retinere possim ... precario tibi concesserim: teneberis hoc interdicto“ (L. 7. de precario).
cf. §. 4. 5. 6. I. de interdictis.
(51) Begriff des Besitzes.
der possessio überhaupt, ohne nähere juristische Bestimmung, hinreichend, die Interdicte zu begründen, wenn sie gleich auf eine unrechtliche Weise angefangen hat (1): also ist es die possessio schlechthin, ohne Zusatz in der Benennung, was die Interdicte begründet.
Dagegen hat es keinen Zweifel, daß der Pachter, der Commodatar, der missus in possessionem u. s. w., von welchen gesagt wird: sunt in possessione, tenent, sed non possident, daß alle diese das Recht der possessorischen Interdicte nicht haben (2).
Man kann also allgemein sagen: wer possessio hat, hat auch die Interdicte, wer nur in possessione ist, hat sie nicht, und beide Gegensätze fallen völlig zusammen.
Ich habe diesen Satz theilweise bewiesen, um den Beweis deutlicher übersehen zu lassen: jezt wird es leicht seyn, eine Stelle zu erklären die alles zusammen enthält, was bereits aus der Verbindung mehrerer Stellen bewiesen worden ist. Sie handelt von der Vindication: diese kann natürlich nur gegen den Besitzer der Sache
(1) §. 6. I. de interd., L. 1. §. 9. L. 2. uti poss.
(2) L. 1. §. 10. de vi, L. 3. §. 8. uti possidetis u. a. m.
(52) Erster Abschnitt.
gebraucht werden, der judex soll daher untersuchen, ob der Beklagte Besitzer ist, und es fragt sich nur, wer hier als Besitzer gelte. Das soll in dieser Stelle bestimmt werden (1):
„Officium autem judicis in hac actione in hoc erit, ut judex inspiciat, an reus possideat. ... Quidam tamen, ut Pegasus, eam solam possessionem putaverunt hanc actionem complecti, quae locum habet in interdicto uti possidetis, vel utrubi. Denique (2), ait, ab eo, apud quem deposita est vel commodata, vel qui conduxerit, aut qui legatorum servandorum causa, vel dotis, ventrisve nomine in possessione esset, vel cui damni infecti non cavebatur, quia hi omnes non possident, vindicari non posse. Puto autem, ab omnibus, qui tenent, et habent restituendi facultatem, peti posse.“
Das Wort possessio soll eben hier erst bestimmt werden, es wird also im Anfang der Stelle so unbestimmt als möglich genommen: nun
(1) L. 9. de rei vind.
(2) denique vermittelt hier wieder, wie in L. 3. §. 15. ad exhibendum und in L. 1. §. 9. 10. de vi, den Uebergang von der Regel zu ihrer Anwendung.
(53) Begriff des Besitzes.
glaubt Pegasus, der Satz gelte nur von der Art der possessio, die das Interdict begründe, und nicht von den Fällen, worin eigentlich gar keine possessio angenommen werden könne: Ulpian aber entscheidet gegen ihn. – In der Sache sind beide Juristen verschiedener Meinung, die Worte nehmen sie in derselben Bedeutung, und auf diese kommt es hier allein an. Beide gehen aus von einem allgemeinen (natürlichen) Begriff von possessio: von dieser giebt es zwey Arten. Die eine ist die, welche die possessorischen Interdicte (1) begründet, folglich die andere die, welche sie nicht begründet. Von dem Besitzer dieser zweiten Art heist es gleich nachher: „est in possessione, tenet, non possidet“ also muß nun die erste Art nothwendig possessio schlechthin heisen. So ist also aus dieser einzigen
(1) Ich sage: die possessorischen Interdicte, ganz allgemein, obgleich Ulpian nur das interdictum uti possidetis und das interdictum utrubi nennt. Denn es ist aus andern Stellen gewiß, daß die übrigen dieselbe Art der possessio als Bedingung voraussetzen (L. 1. §. 10. de vi), und daß Ulpian diese zwey allein nennt, kommt daher, weil sie allein in derselben Rechtssache hätten vorkommen können. Hätte nämlich vor der Vindication der jezige Beklagte diese Interdicte gebraucht, so wäre seine (juristische) possessio untersucht worden. Kommt es nun, will Ulpian sagen, auch jezt auf diese an, obgleich nicht erst das Interdict vor der Vindication gebraucht wurde?
(54) Erster Abschnitt.
Stelle der ganze Beweis nochmals geführt, der für den Begriff der possessio (ad interdicta) geführt werden sollte.
3. Bisher ist bewiesen worden, daß es zweyerley juristischen Besitz giebt: possessio civilis (ad usucapionem) und possessio (ad interdicta). In welchem Verhältniß stehen nun diese zwey juristischen Begriffe zu einander?
Das Recht auf die Interdicte sezt das Daseyn der possessio voraus, und nichts weiter: selbst wer sich mit Gewalt in den Besitz gesezt hat, kann die Interdicte gebrauchen (1), und es kommt also hier keine andere juristische Bestimmung, auser dem Daseyn des Besitzes überhaupt, hinzu, wodurch das Recht der Interdicte bedingt wäre.
Dagegen sezt die Usucapion zwar auch das Daseyn der possessio voraus (2), aber dieses allein ist nicht hinreichend: der Besitz muß überdem mit bona fides und justa causa angefangen haben, und die besessene Sache muß nicht besonders von der Usucapion ausgenommen seyn (res furtiva, vi possessa u. s. w.).
(1) §. 6. I. de interdictis, L. 1. §. 9. L. 2. uti possidetis.
(2) „Sine possessione usucapio contingere non potest.“ L. 25. de usurp. et usuc. So z. B. hört die Usucapion auf, sobald der Besitz verloren ist. L. 5. eod.
(55) Begriff des Besitzes.
Demnach ist das Verhältniß beider Begriffe dieses: die possessio ad usucapionem hat blos noch einige Bestimmungen mehr, als die possessio ad interdicta, und diese ist jedesmal in jener enthalten.
Dieses Verhältniß konnte auf keine andere Weise bezeichnet werden, als dadurch, daß die possessio ad interdicta: possessio schlechthin, die possessio ad usucapionem: possessio mit noch einem Zusatz (civilis) genannt wurde, und so finden wir in diesen Namen bestätigt, was aus der juristischen Natur dieser Institute bereits bewiesen worden ist.
Aus diesem Allen folgt, daß den zwey juristischen Bedeutungen, die der Besitz im Römischen Recht hat, durchaus keine Eintheilung eines juristischen Besitzes überhaupt zum Grunde liegt, sondern, daß es nur eine juristische possessio giebt, die, wenn sie allein vorhanden ist, blos die Interdicte begründet, aber wenn noch andere Bestimmungen hinzukommen, auch die Usucapion zur Folge hat (1). So hat folgende Stelle, die
(1) Im ältern Römischen Recht kommt ein ganz ähnliches Verhältniß bey zwey andern Begriffen vor, dem justum matrimonium und dem matrimonium cum conventione in manum. Das erste wird immer vorausgesezt, wenn das zweite gedacht werden
(56) Erster Abschnitt.
mehreren Interpreten sehr trivial geschienen hat, einen bedeutenden Sinn, ohne doch der zweyfachen juristischen Natur des Besitzes zu widersprechen, worauf unsre ganze Ansicht beruht: „Et in summa magis unum genus est possidendi, species infinitae“ (1) Die species infinitae beziehen sich auf die vielen causas possidendi, wovon vorher die Rede war, diesen wird also auch das unum genus zunächst entgegen gesezt: allein dasselbe wird doch ganz allgemein behauptet, und das wäre unmöglich, wenn es auch nur in einer andern Beziehung mehrere ursprünglich verschiedene und entgegen gesezte juristische Begriffe des Besitzes gäbe.
Wir haben jezt einen allgemeinen Gesichtspunkt gefunden für alles, was in der Römischen Gesetzgebung über possessio bestimmt ist. Alles dieses bezieht sich auf Usucapion und Interdicte zugleich, nur auf etwas verschiedene Weise: auf die Interdicte bezieht es sich unmittelbar, weil diese keine andere Bedingung voraussetzen, als possessio überhaupt: auf Usucapion nur mittelbar, weil zu
soll, auch dabey liegt folglich keine Eintheilung der Ehe zum Grunde, obgleich es zwey verschiedene juristische Ehen sind.
(1) L. 3. §. 21. de poss.
(57) Begriff des Besitzes.
aller possessio noch etwas hinzu kommen muß, wenn sie civilis seyn soll.
Diese Ansicht der juristischen possessio überhaupt, nach welcher alle juristische Bestimmungen der possessio immer nur einen und denselben Begriff zum Gegenstand haben, ist für die ganze Interpretation unter allen die wichtigste, und in ihr liegt der einzige Maasstab, nach welchem der materielle Werth jeder Schrift über den Besitz allgemein und mit Sicherheit bestimmt werden kann. Denn es ist klar, daß in demselben Verhältniß, in welchem jener allgemeine Begriff der juristischen possessio der ganzen Darstellung zum Grunde liegt, auch der Sinn der Römischen Gesetzgebung über possessio aufgefaßt oder verfehlt seyn muß.
Endlich läßt sich durch jenes Verhältniß der possessio ad interdicta zu der possessio ad usucapionem die Veranlassung der possessorischen Interdicte überhaupt am leichtesten erklären. Die Usucapion war im alten Römischen Recht noch ungleich wichtiger, als sie jezt ist, weil alle adquisitiones naturales nur die Usucapion begründeten, und erst durch diese zum Eigenthum führten. Es war also sehr natürlich, daß man ein so wichtiges Verhältniß, wie der Usucapionsbesitz war, durch juristische Anstalten zu schützen suchte. Eine solche
(58) Erster Abschnitt.
Anstalt war die publiciana actio, welche direct und ausschliesend auf den Usucapionsbesitz sich gründete: aber auch die Interdicte konnten mit deswegen eingeführt seyn, um diesen Besitz zu sichern, obgleich sie wegen ihres allgemeinen Grundes auch auser dem Fall desselben gebraucht werden konnten. Sind sie älter als die publiciana actio, so lag in ihnen, als sie eingeführt wurden, das einzige Mittel, die Usucapion zu schützen: sind sie neuer, so war es dennoch nicht überflüssig, auch in Beziehung auf Usucapion sie einzuführen, weil der Beweis der publiciana actio oft fehlen konnte, obgleich alle ihre Bedingungen vorhanden waren.
4. Possessio naturalis kommt, wie bisher bewiesen worden ist (num. 1. 2.), in einer zweyfachen Bedeutung vor. Seinem ursprünglichen Begriff nach ist nämlich aller Besitz ein natürliches Verhältniß, und es ist eben deshalb nicht nöthig, ihn durch ein Prädicat als solches zu bezeichnen. Sobald er aber unter gewissen Bedingungen als Recht gilt, wird diesem juristischen Besitz der nichtjuristische entgegen gesezt, in welchem sich diese Bedingungen nicht finden. Nun haben wir einen zweyfachen juristischen Besitz aufgefunden, und mit ihm eine zweyfache possessio naturalis: diese
(59) Begriff des Besitzes.
zwey Bedeutungen der possessio naturalis sollen hier noch gegen einander gehalten werden.
Beide kommen darin mit einander überein, daß es blos negative Begriffe sind, d. h. daß in ihnen nichts juristisches gesezt, sondern nur etwas juristisches negirt wird: sie unterscheiden sich blos durch den Umfang dieser Negation selbst.
Possessio naturalis der ersten Art also, im Gegensatz der possessio civilis (num. 1.), heist jede Detention, welche nicht zur Usucapion qualificirt ist: eine andere juristische Bestimmung, auser dieser Negation, ist damit durchaus nicht gegeben, und darum umfaßt diese possessio naturalis auf gleiche Weise die blose Detention, die gar nichts juristisches ist, und die juristische possessio, die nur nicht zur Usucapion geeignet ist: in diesem Sinn wird dem creditor eine possessio naturalis an dem Pfand zugeschrieben (1), und eben so soll aus der Schenkung unter Ehegatten eine blose naturalis possessio entstehen. Die Stelle, die diesen lezten Satz enthält, ist oben als Beweis für den Begriff der possessio civilis gebraucht worden (num. 1.): für die possessio naturalis ist sie auch unmittelbar wichtig (2):
(1) L. 3. §. 15. ad exhibendum (s. o. num. 1.).
(2) L. 1. §. 9. 10. de vi.
(60) Erster Abschnitt.
„Dejicitur is qui possidet, sive civiliter sive naturaliter possideat: nam et naturalis possessio ad hoc interdictum pertinet. Denique et si maritus uxori donavit, eaque dejecta sit: poterit interdicto uti: non tamen, si colonus.“
Der Sinn der Stelle ist dieser: das Interdict gilt bey jeder (juristischen) possessio, also nicht blos bey der possessio civilis, sondern auch bey der possessio naturalis, bey dieser jedoch nur dann, wenn sie eine (juristische) possessio ist. So ist zwar der Besitz der Frau sowohl, als der des Pachters, unter der possessio naturalis enthalten, denn beide sind gleich unfähig zur Usucapion, aber das Interdict hat nur die Frau, nicht der Pachter, weil nur die possessio naturalis der Frau als eigentliche possessio betrachtet werden kann.
Possessio naturalis der zweiten Art (num. 2.), im Gegensatz der possessio (ad interdicta), bezeichnet eine Detention, die selbst der Interdicte unfähig ist, also um soviel mehr auch der Usucapion (num. 3.). Der Unterschied ist also der, daß hier noch viel mehr negirt wird, als im ersten Fall: wer demnach in dieser zweiten Bedeutung naturaliter besizt, dessen Besitz ist gewiß auch in
(61) Begriff des Besitzes.
der ersten Bedeutung naturalis, aber eine possessio naturalis der ersten Art kann eine wahre, juristische possessio, also der zweiten possessio naturalis grade entgegen gesezt seyn, wie das angeführte Beyspiel der Schenkung unter Ehegatten am deutlichsten zeigt.
Welche possessio naturalis ist nun gemeint, wo das Wort in den Gesetzen gebraucht wird? ist damit nur das Recht der Usucapion, oder auch das der Interdicte geläugnet? das läßt sich in jedem Fall nur dadurch bestimmen, daß man den positiven Begriff aussucht, dessen Gegensatz auf diese Art ausgedrückt ist. Je nachdem also der possessio civilis, oder der possessio überhaupt die possessio naturalis gegen über steht, ist ihre Bedeutung anders zu bestimmen: ist sie ohne Gegensatz genannt, so muß durch Interpretation der positive Begriff aufgesucht werden, wodurch sie selbst erst bestimmte Bedeutung bekommen kann. Die wichtigste Regel der Interpretation, die für die possessio naturalis beobachtet werden muß, ist die, daß man ihre negative Natur nie vergesse, also nie zu dem Schlusse sich verleiten lasse, den fast alle Schriftsteller gemacht haben, weil er so natürlich zu seyn scheint: naturaliter possidet, ergo possidet.
(62) Erster Abschnitt.
5. Sehen (!) wir nun zurück auf die Bedeutungen, unter welchen das Wort possessio bisher vorkam. Ursprünglich bezeichnet es ein blos natürliches Verhältniß (1), und diese Bedeutung liegt in allen näheren Bestimmungen des Worts (civilis, naturalis) zum Grunde. In diesem Sinn werden dem possessor die Rechte des Beklagten in der Vindication zugesprochen (2), obgleich sie auf
(1) Aus diesem Grund, weil Begriff und Wort ursprünglich gar nicht juristisch sind, ist auch die Etymologie von possessio so unbedeutend, da bey eigentlich juristischen Begriffen die Etymologie oft so belehrend ist. Es ist ein alter Streit, ob Paulus (L. 1. pr. de poss.) das Wort „a pedibus“ oder „a sedibus“ ableite. Die lezte Leseart steht in dem Florentinischen Manuscript, wird aber auch schon in der Glosse als Variante angeführt: die meisten Juristen geben ihr den Vorzug, und mit Recht, obgleich Walther (miscellan. lib. 2. c. 19.) die erste recht gut vertheidigt. Hermann Cannegieter (observ. lib. 4. cap. 7.) hat eine neue ausgedacht, in welcher gewissermasen beide enthalten sind, die aber weit schlechter ist, als die alten: er liest „a pedis sedibus.“ – Durch die Leseart „pedibus“ ist übrigens die Glosse veranlaßt worden, an beweglichen Sachen nur einen uneigentlichen Besitz anzunehmen, weil man zwar den Boden, aber nicht die beweglichen Sachen mit Füsen zu treten pflegt. (Glossa in §. 4. I. de interdictis und in vielen andern Stellen). Ein Französischer Jurist schlägt vor, wenigstens bey Schuhen eine Ausnahme zu machen. Noch deutlicher wird sich diese Meinung der Glosse im 8ten §. erklären.
(2) §. 4. I. de interdictis, L. 9. de rei vind. s. o. §. 3. num. 4.
(63) Begriff des Besitzes.
den juristischen Besitz durchaus nicht beschränkt sind. Auch ist in diesem Sinn das furtum possessionis zu nehmen, da dieses auch gegen solche Personen möglich ist, welche keinen juristischen Besitz haben. (1)
Auserdem aber heist possessio schechthin der juristische Besitz, und diese possessio ist es, welcher eine possessio naturalis entgegen gesezt wir (num. 2.).
Wenn nun in den Gesetzen von possessio schlechthin die Rede ist, welche possessio ist darunter zu verstehen? solange kein Grund vorhanden ist, den Begriff zu beschränken, muß er so allgemein als möglich, folglich für das natürliche Verhältniß der Detention genommen werden. Aber solcher Gründe der Beschränkung giebt es vorzüglich zwey, und diese werden es bey weitem in den meisten Fällen nöthig machen, den engern Begriff des
(1) Nämlich nach L. 15. §. 2. und L. 59. de furtis ist es ein furtum, wenn der commodans dem Commodatar die Sache entwendet, vorausgesezt daß dieser ein besonderes Recht auf die Detention hatte, was er gegen ihn hätte geltend machen können. Nun kann dieses kein furtum rei seyn, weil es vom Eigenthümer selbst geschieht, noch weniger ein furtum usus, also ist nur ein furtum possessionis anzunehmen übrig: da aber zugleich der Commodatar keinen juristischen Besitz hat, so folgt, daß das furtum possessionis nicht durch diesen bedingt seyn kann.
(64) Erster Abschnitt:
juristischen Besitzes vorauszusetzen, wo das Wort possessio gebraucht ist.
Wird nämlich erstens die possessio bezogen auf Interdicte oder Usucapion, als auf ihre Würkung, so kann kein anderer als der juristische Besitz darunter gedacht werden. (§. 2.).
Eben so zweitens, wenn die Existenz des Besitzes aus juristischen Gründen bestimmt wird, weil nur der juristische Begriff des Besitzes solcher Bestimmungen fähig ist (§. 5.). In allen Stellen also, worin untersucht, gezweifelt, gestritten wird, ob possessio anzunehmen sey oder nicht, ist immer der juristische Besitz mit diesem Worte bezeichnet. Zur Erläuterung dieser wichtigen Regel der Interpretation mag ein Beyspiel dienen, welches schon oben in einer andern Beziehung vorgekommen ist. Es ist nämlich oben (num. 1.) bewiesen worden, daß aus der Schenkung unter Ehegatten zwar keine possessio civilis entstehe, wohl aber eine possessio überhaupt. Diesen lezten Satz drückt Paulus so aus (1): „Si vir uxori cedat possessione, donationis causa, plerique putant possidere eam“ (darauf folgen zwey juristische Gründe für diese Meinung), und in
(1) L. 1. §. 4. de poss.
(65) Begriff des Besitzes.
einer andern Stelle (1): „Possidere autem uxorem rem a viro donatam, Iulianus putat.“ Da hier von Meinungen über das Daseyn dieses Besitzes die Rede ist, da juristische Gründe angeführt werden, aus welchen es behauptet werden müsse, so kann es nicht das natürliche Verhältniß der Detention, sondern nur der juristische Besitz seyn, was hier possidere genannt wird.
§. 8.
Die bisherigen Bestimmungen des Römischen Sprachgebrauchs sind die einzigen, die auf die Behandlung unseres Gegenstandes directen Einfluß haben: die übrigen sind nur um deswillen wichtig, weil ohne sie ein groser Theil der gangbarsten Irrthümer der Interpretation nicht gründlich widerlegt werden kann. Dahin gehören zuerst noch zwey Eintheilungen des Besitzes, die bey den Römischen Juristen vorkommen: possessio justa, injusta, und possessio bonae fidei, malae fidei. Zweitens gehören dahin die Fälle, in welchen possessio überhaupt etwas ganz anderes bezeichnet, als den Besitz.
Iustum überhaupt hat zwey Bedeutungen bey den Römischen Juristen: zuweilen bezieht es sich auf jus (civile) und wird dann auf eben die Art gebraucht, wie civile, oder legitimum z. B. in matrimonium
(1) L. 1. §. 2. pro donato.
(66) Erster Abschnitt.
justum, justa traditionis causa (denn diese besteht immer in einer obligatio civilis) u. s. w. In andern Stellen aber hat es einen viel unbestimmtern Sinn, und heist das rechtliche überhaupt: So in absentia justa, error justus u. s. w. (1). – Bey dem Besitz ist das Wort in der zweiten Bedeutung genommen, und justa possessio ist folglich ein Besitz, der in irgend einer Rücksicht rechtlich ist, er mag nun juristisch als Besitz gelten, oder nicht. Denn erstlich heist der Besitz, welchen der creditor an einem Pfande hat, justa possessio (2). Da nun diese possessio nicht civilis ist (§. 7. num. 1.), so kann hier nicht die erste, sondern nur die zweite Bedeutung von justum gemeint seyn. Ferner entsteht sogar durch die missio in possessionem eine justa possessio (3), also in einem Fall, worin überhaupt nicht von juristischem Besitz die Rede seyn kann. (4)
Demnach bezieht sich diese Eintheilung auf den allgemeinern Begriff des natürlichen Besitzes (§. 7. num. 5.), selbst der Begriff der justa possessio fällt mit keinem juristischen Begriff des Besitzes zusammen, und die ganze Eintheilung ist folglich für uns, in einer Theorie des
(1) Die Beweise für beide Bedeutungen sind vollständig zusammen gestellt von Brissonius de verb. sign. v. justus. (p. 687. ed. Hal. 1743.)
(2) L. 13. §. 1. de publiciana. L. 22. §. 1. de noxal. act.
(3) L. 7. §. 8. comm. div.
(4) L. 3. §. 23. de poss.
(67) Begriff des Besitzes.
juristischen Besitzes, ziemlich unbedeutend (1). Hier, wie bey der naturalis possessio (S. 61.), ist es also das wichtigste, den Schluß zu vermeiden: juste possidet, ergo possidet.
Aber diese Eintheilung ist nicht nur für uns unbedeutend, sie ist auch überhaupt keiner allgemeinen Bestimmung fähig, und kann nur in einzelnen Anwendungen einen bestimmten Sinn bekommen (2). Bey weitem in den meisten Fällen bezieht sie sich auf die vitia possessionis (§. 2.) und justa possessio heist dann jede Detention, welche ohne Gewalt, ohne Verheimlichung und ohne precarium angefangen hat (3), sie mag als
(1) „in summa possessionis non multum interest, juste quis, an injuste possideat.“ L. 3. §. 5. de poss., d. h. es ist gleichgültig, wo es auf die Existenz des juristischen Besitzes überhaupt ankommt, also wo der Besitz an sich, und nicht etwa in einer besondern Beziehung, die auser seinem Begriff liegt, als Quelle von Rechten betrachtet wird.
(2) Cuper (de nat. poss. P. 2. C. 7.) hat diesen Satz gründlich ausgeführt, wiewohl er mehrere verschiedene Bedeutungen jener Eintheilung annimmt, die eigentlich nicht verschieden sind: einige seiner Behauptungen werden unten widerlegt werden. Bey weitem die Meisten haben possessio justa und civilis verwechselt. Die seltsamste Meinung hat Madera (animadv. C. 27, bey Otto T. 3. p. 488.): er erklärt justum überhaupt von dem jus gentium (wegen L. 95. §. 4. de solut.) und behauptet, alle possessio sey justa, weil sie aus dem jus gentium entstanden sey.
(3) so vorzüglich in L. 1. §. 9. L. 2. uti possidetis.
(68) Erster Abschnitt.
juristischer Besitz gelten oder nicht. Dieser Unterschied ist zwar nicht für die Natur des Besitzes überhaupt, wohl aber für die possessorischen Interdicte von Bedeutung.
Der Begriff der bonae fidei possessio ist eben so unbestimmt und eben so unbedeutend für die Theorie des Besitzes überhaupt. Die bona fides bezieht sich auf jeden möglichen Grund der Detention: wer den rechtlichen Grund derselben zu haben glaubt, auf welchen es grade ankommt, heist bonae fidei possessor. So bey der Usucapion jeder, der durch seine justa possessionis causa Eigenthum würklich zu erwerben glaubt: so bey der Vindication jeder Beklagte, welcher seine Detention für rechtlich hält, er mag dieses Recht aus seinem Eigenthum, oder aus einem blosen Vertrag (z. B. einem Pacht) mit dem Eigenthümer ableiten, in welchem lezten Fall er durchaus keinen juristischen Besitz zu haben behauptet.
So verschieden die Begriffe waren, welche bisher als Bedeutungen von possessio erwiesen worden sind, so war es doch immer der Begriff des Besitzes, der in allen zum Grunde lag: noch sind die Stellen zu erklären übrig, in welchen possessio selbst etwas anderes bezeichnet als den Besitz. Solcher andern Bedeutungen, welche von jeher viel dazu beygetragen haben, die Theorie
(69) Begriff des Besitzes.
des Besitzes zu verwirren, giebt es vornämlich zwey: Eigenthum und Verhältniß des Beklagten.
Eigenthum haben also wird zuweilen durch possidere, die Sache die im Eigenthum ist, durch possessio (Besitzung) bezeichnet. (1) Wie dieser Sprachgebrauch entstanden ist, läßt sich leicht erklären. Da nämlich die Unterscheidung des Besitzes vom Eigenthum auf einer juristischen Abstraction beruht (§. 1.), so ist es sehr natürlich, daß diese Unterscheidung theils in der Sprache des gemeinen Lebens, theils bey Schriftstellern, die nicht Juristen sind, gewöhnlich nicht gemacht wird: auch kommt in den Gesetzen diese Bedeutung fast nur aus Testamenten, Verträgen, Consultationen (et)c. vor, worin sie gebraucht worden war. Doch macht davon das Edict eine Ausnahme (2): der possessor von
(1) „Interdum proprietatem quoque verbum possessionis significat: sicut in eo, qui possessiones suas legasset, responsum est.“ L. 78. de V. S. – Eben so in sehr vielen andern Stellen der Pandekten und des Codex, und eben so oft bey Cicero, Quinctilian (et)c. Auch geht darauf die Definition bey Cornelius Fronto (in Gothofredi auct. linguae lat. p. m. 1331.): „habere potest etiam fur et nequam: possidet nemo, nisi qui rei ... dominus est.“
(2) L. 15. qui satisdare cog. Es ist unbegreiflich, wie der possessor in dieser Stelle so oft mit dem Besitzer verwechselt werden konnte, da die Stelle selbst den Gegensatz so deutlich ausspricht: „Creditor qui pignus accepit, possessor non est, tametsi possessionem habeat.“ (L. 15. cit. §. 2.)
(70) Erster Abschnitt.
Grundstücken sollte frey von Cautionen seyn, und unter diesem possessor war nicht der blose Besitzer, sondern der Eigenthümer verstanden. – Merkwürdig ist es, daß in allen solchen Stellen possessio und possidere blos von Grundstücken gebraucht wird (1), und daß auch darin das deutsche Besitzung damit überein kommt.
Aus dieser nichtjuristischen Bedeutung von possessio scheint eine ganz juristische entstanden zu seyn, welche noch interessanter ist als jene. Dort wurde nämlich in dem Eigenthum selbst nicht sowohl der blos Römische Bestandtheil desselben (das jus quiritium in dominio) bezeichnet, als vielmehr das haben überhaupt mit dem Recht dazu, also das wodurch die Sache zu unserm Vermögen gehört. Das alles fand sich nun bey dem prätorischen Eigenthum eben sowohl, als bey dem justum dominium, es war also sehr natürlich, daß man possessio in jener Bedeutung von beiden gebrauchte (2). Allein bey dem prätorischen Eigenthum
(1) Alciatus in L. 1. pr. de poss. num. 24. (opp. T. 1. p. 1195.). So z. B. in dem Edict: „Possessor autem is accipiendus est, qui in agro, vel civitate rem soli possidet.“ (L. 15. §. 1. qui satisdare cog.). Dieser Umstand mag viel zu der Meinung der Glosse beygetragen haben, daß nur unbewegliche Sachen eigentlich besessen werden können (s. o. S. 62.)
(2) Was hier gesagt ist, wird durch folgende Stelle deutlicher werden: „Bonorum appellatio aut naturalis aut civilis est: naturaliter bona ex eo dicuntur, quod beant, hoc est,
(71) Begriff des Besitzes.
fand sich auser diesem rechtlichen Haben (das durch die publiciana actio geschüzt war) überhaupt gar nichts: deswegen nannte man dasselbe, im Gegensatz des Römischen Eigenthums, possessio schlechthin, grade so wie der blos natürliche Besitz unter dem Namen possessio naturalis dem juristischen entgegen gesezt wird, obgleich auch dieser alle Bestimmungen an sich tragen kann, wodurch jener zur naturalis possessio wird (§. 7. num. 2.). Ganz eben so verhält es sich mit einer andern Bezeichnung desselben Rechts: man nannte es in bonis (tantum) habere, und sezte es so dem dominium ex jure Quiritium entgegen (1), obgleich alles, was im Römischen Eigenthum war, gewiß nicht von den bonis ausgeschlossen seyn sollte. – Diese Bedeutung von possessio findet sich in folgenden Anwendungen:
1. Die Grundstücke, die das jus Italicum nicht hatten, also nicht im Römischen Eigenthum seyn konnten, hiesen possessiones (2).
„beatos faciunt: beare est prodesse. In bonis autem nostris (nämlich nach der appellatio naturalis) computari sciendum est, non solum quae dominii nostri sunt, sed et si bona fide a nobis possideantur ... “ L. 49. de V. S.
(1) Ulpiani fragm. tit. 1. §. 16, tit. 19. §. 20.
(2) „Possessio ab agro juris proprietate distat: quidquid enim adprehendimus, cujus proprietas ad nos non pertinet, aut nec potest pertinere, hoc possessionem appellamus. Possessio ergo usus“ (der rechtliche Gebrauch und
(72) Erster Abschnitt.
2. Wenn ein ususfructus nicht nach Civilrecht, sondern nur nach prätorischem Recht bestehen konnte, so hies das possessio ususfructus, im Gegensatz von dominium ususfructus, oder von ususfructus qui jure consistit (1).
3. Endlich ist das Wort bonorum possessio nur auf diese Art zu erklären. Das prätorische Erbrecht nämlich verhält sich zum Civilerbrecht, wie das prätorische Eigenthum zu dem justum dominium, giebt also auch nur possessio hereditatis, nicht hereditatis dominium (2). Denn wie der prätorische
Genuß), ager proprietas loci est.“ L. 115. de V. S. Die Stelle ist blos auf diese Art zu erklären: man vergleiche damit: Festus de verb. sign. v. possessio (in Gothofredi A. L. L. p. m. 371. 372.) und Isidori orig. XIV. 13. (ib. p. 1202., auch in: Goesii rei agr. auct. p. 292.), und mit diesen wieder §. 40. I. de rer. div., und Theophilus zu dieser Stelle. Alciat hat jene Stelle weitläufig erklärt (de quinque pedum praeser. num. 76-119. opp. T. 3. p. 350. und in L. 115. V. S., opp. T. 2. p. 987.), aber auf mancherley Weise misverstanden: seine Gegner haben sich noch weniger zu helfen gewust (opuscula de latinitate Iuriscons. ed. Duker p. 64-67. p. 70. p. 85-87.). Brisson hat zuerst die richtige Erklärung angegeben (select. antiqu. IV. 1.) und ihm sind die Meisten gefolgt.
(1) L. 3. si ususfr. petatur (cf. L. 1. pr. L. 4. L. 29. §. 2. quibus modis ususfr., L. 29. de usu et ususfructu leg.).
(2) „Hereditatis autem bonorumve possessio, ut Labeo scribit, non uti rerum possessio accipienda est: est enim juris magis, quam corporis, possessio.“ L. 3. §. 1. de bon. poss.
(73) Begriff des Besitzes.
Eigenthümer nicht dominus heist, aber von dem Prätor durch Ertheilung einer Realklage dem dominus gleich behandelt wird, so heist auch der prätorische Erbe nicht heres, aber er wird
behandelt, als ob das ganze Erbrecht und mit diesem die einzelnen Obligationen auf ihn übergegangen wären (1).
Das prätorische Eigenthum also hies possessio schlechthin, oder, wenn es noch genauer bezeichnet werden sollte, possessio pro suo (2), und daraus allein erklärt es sich, warum die Römischen Juristen sehr lange keinen andern Namen dafür hatten: denn bonitarium dominium kommt sicher zuerst bey Theophilus (3) vor, und dominium naturale oder juris gentium ist wohl auch erst spät dafür gebraucht worden, da Ulpian (4) überall das dominium schlechthin dem prätorischen Eigenthum entgegen sezt.
Auser dem Besitz und auser dem Eigenthum bezeichnet endlich possessio auch noch das Verhältniß des Beklagten. Wenn nämlich das
(1) „Hi, quibus ex successorio Edicto bonorum possessio datur, heredes quidem non sunt, sed heredis loca constituuntur, beneficio Praetoris. Ideoque seu ipsi agant, seu cum his agatur, fictitiis actionibus opus est, in quibus heredes esse finguntur.“ Ulpiani fragm. tit. 28. §. 12.
(2) L. 1. 2. pro suo.
(3) in §. 4. I. de libertinis.
(4) in fragm. tit. 19.
(74) Erster Abschnitt.
Eigenthum vindicirt werden soll, so kann das gegen niemand geschehen, als gegen den, der die Sache besizt, nur daß hier der Besitz durchaus in keinem juristischem Sinn genommen wird (§. 3. num. 4.): es ist also sehr natürlich, daß man bey jeder Vindi(c)ation den Kläger petitor, den Beklagten possessor nennt, weil dieser in der That eine Sache besizt, die der andere von ihm fordert. Nun wurde aber der Vindicationsprozeß auch auser dem Eigenthum gebraucht, insbesondere bey Erbschaftsklagen (1): deswegen übertrug man auch auf diesen die Ausdrücke, die bey jenem gebraucht wurden, und nannte auch hier den Kläger petitor, den Beklagten possessor. In den meisten Fällen war das sehr passend, weil auch die hereditatis petitio gebraucht wird, um einzelne Sachen zu fordern, die der Andere aus einem allgemeinen Grunde (pro herede oder pro possessore) besizt. Aber darauf ist sie nicht beschränkt, und so ist es gekommen, daß man den Beklagten in der hereditatis petitio auch dann possessor nennt, wenn es grade nicht um den Besitz einer Sache gilt. Man nennt ihn juris possessor, weil er irgend
(1) Cicero in Verrem, act. 2. lib. 1. Cap. 45. (opp. Tom. 1. p. 228. ed. Beck.): „Si quis testamento se heredem esse arbitraretur, quod tum non exstaret, lege ageret in hereditatem: aut (et) pro praede litis vindiciarum cum satis accepisset, sponsionem faceret: ita de hereditate certaret.“
(75) Begriff des Besitzes.
etwas zu thun sich weigert, was der Andere als Erbe von ihm fordern zu können glaubt, weil er also ein Stück des allgemeinen Erbrechts sich anmaast: corporis possessor heist dagegen der Beklagte, der zugleich Besitzer einer Sache ist (1). Ein solcher juris possessor ist:
1. jeder der eine Erbschaftssache zwar nicht besizt, aber besitzen kann, weil er eine Klage darauf hat: hier ist es die Cession dieser Klage, was von ihm gefordert wird (2).
2. wer in dem peculium seines Sclaven den Werth einer verkauften Erbschaftssache besizt (3).
3. wer gegen die Erbschaft eine Verbindlichkeit, z. B. als negotiorum gestor, contrahirt hat (4).
Auf gleiche Weise wurde bey dem Streit über Freiheit (liberale judicium) von den ältesten Zeiten an der Vindicationsprozeß gebraucht (5), und auch dabey wird das Verhältniß des Beklagten und das Vorrecht dieses Verhältnisses durch die Ausdrücke: libertatis, servitutis possessio bezeichnet (1).
(1) L. 9. L. 18. §. 1. de hered. petit.
(2) L. 16. §. 4. 7. L. 35. de hered. petit.
(3) L. 34. §. 1. de hered. petit.
(4) L. 10. si pars hered. petatur.
(5) Die Hauptstelle ist bey Livius Lib. 3. C 44-48.
(1) Digest. Lib. 40. Tit. 12. – Possessio servitutis ist nicht zu verwechseln mit possessio servi.
(76) Erster Abschnitt.
Also das Verhältniß eines Beklagten wird durch das Wort possessor bezeichnet, selbst wo keine Sache ist, die besessen werden könnte: aber dieser Satz ist durchaus nicht allgemein wahr. Beweisen läßt er sich nur für die hereditatis petitio und das liberale judicium, mit Wahrscheinlichkeit behaupten bey allen Klagen, bey welchen der Vindicationsprozeß vorkam (1), bey allen übrigen kann er durchaus nicht gelten (2).
Daß nun nicht etwa Eigenthum oder das Beklagtenverhältniß gemeint sey, wenn über possessio irgend etwas in den Gesetzen bestimmt ist, muß bewiesen werden können, wenn ein solches Gesetz mit Sicherheit auf den Besitz angewendet werden soll:
(1) und auch da müssen noch die Servitutenklagen ausgenommen werden, weil bey diesen der possessor sogar Kläger seyn kann. §. 2. I. de act.
(2) Zwar sagt L. 62. de judiciis allgemein: „Inter litigantes non aliter lis expediri potest, quam si alter petitor, alter possessor sit: esse enim debet, qui onera petitoris sustineat, et qui commodo possessoris fungatur.“ Allein petere und petitor bezieht sich nur auf actiones in rem (L. 28. de oblig. et act., L. 178. §. 2. de V. S.) und mit dieser Beschränkung stimmt die Stelle mit der aufgestellten Regel überein. Ja es ist wahrscheinlich, daß sie eigentlich blos auf hereditatis petitio gieng, denn sie ist aus einem Buch von Ulpian genommen (Lib. 39. ad edictum), das fast blos von Erbrecht handelt. (L. 22. qui test. fac. poss., L. 1. 3. 5. de bon. poss., L. 2. de B. P. furioso, L. 1. 3. de B. P. contra tab., L. 1. de B. P. sec. tab., L. 6. si tab. test. nul.)
(77) Begriff des Besitzes.
eine allgemeine Regel der Interpretation läßt sich hier nicht geben, aber es wird schwerlich ein Fall vorkommen, in welchem diese Unterscheidung bedeutende Schwierigkeit hätte.
§. 9.
Die bisherige Untersuchung hat gezeigt, daß aller juristische Besitz auf Usucapion oder Interdicte sich bezieht (§. 2.), und daß beiden ein allgemeiner Begriff juristischer possessio zum Grunde liegt, der, um die Usucapion möglich zu machen, nur noch einige besondere Bestimmungen haben muß (§. 7.)
Jezt erst kann die Frage aufgeworfen werden: was gehört dazu, damit die juristische possessio angenommen werde? oder: welches sind die materiellen Bestimmungen ihres Begriffs?
Wir sind ausgegangen von dem allgemeinen Begriff der Detention, d. h. des natürlichen Verhältnisses, welches dem Eigenthum, als einem rechtlichen Verhältniß, correspondirt (§. 1.): aber dieser ursprüngliche Begriff des Besitzes muste juristischer Modificationen fähig seyn, sobald er als Bedingung von Rechten in den Gesetzen behandelt wurde (§. 5.). Der gröste Theil dieser Modificationen ist so specieller Art, daß sie nur im Detail
(78) Erster Abschnitt.
der Theorie des Besitzes verstanden und vorgetragen werden können: aber eine ist ganz allgemein, und durch diese muß gleich hier der Begriff des Besitzes vollständig bestimmt werden.
Es muß nämlich zu jeder Detention, wenn sie als Besitz gelten soll, eine bestimmte Absicht, ein bestimmtes Wollen (animus) hinzukommen (1): es ist also zunächst zu untersuchen, worauf dieses Wollen gerichtet seyn müsse, um die blose Detention zum Besitz zu erheben.
Es ist von jeher groser Streit darüber geführt worden, ob es animus possidendi, oder animus dominii exercendi seyn müsse: aber es läßt sich zeigen, daß der erste Ausdruck hier keinen Sinn haben kann, wenn er nicht so genommen wird wie der zweite. Denn in dem animus possidendi kann nicht das possidere den Besitz mit allen juristischen Bestimmungen bedeuten sollen: die allgemeinste juristische Bestimmung ist eben der animus selbst, und es wäre ein handgreiflicher Zirkel, diesen zur Bestimmung seines eignen Begriffs zu gebrauchen. Also ist es die blose Detention, was hier in dem animus possidendi als Besitz gedacht wird. Aber die Detention ist nichts als die physische Möglichkeit,
(1) „apiscimur possessionem corpore et animo: neque per se animo, aut per se corpore.“ L. 3. §. 1. de poss.
(79) Begriff des Besitzes.
Eigenthum auszuüben, also kann animus possidendi nur die Absicht ausdrücken, das Eigenthum würklich auszuüben, dessen Ausübung durch die Detention physisch möglich ist. Demnach kann nur der als Besitzer gelten, welcher die Sache als Eigenthümer behandelt, deren Detention er hat. Mehr aber, als dieser animus dominii exercendi, gehört durchaus nicht in den Begriff des Besitzers: am wenigsten die Ueberzeugung, daß man würklich Eigenthümer sey (opinio s. cogitatio domini): darum kommt der Begriff des Besitzes dem Räuber und Dieb eben sowohl zu, als dem Eigenthümer selbst, und jene sind ganz auf dieselbe Weise wie dieser dem Pachter entgegen gesezt, welcher keinen Besitz hat, weil er die Sache nicht als seine eigne Sache behandelt.
Allein die bisherige Bestimmung des Begriffs ist noch nicht ganz vollständig: der Besitz nämlich wird als Recht betrachtet (§. 5.), und ist insofern einer Veräuserung fähig. Deswegen werden die Rechte des Besitzes da seyn können, wo jener materielle Begriff des Besitzes nicht anwendbar ist, wenn nur ein Anderer diesen Besitz würklich gehabt, und dann die Rechte desselben auf den übertragen hat, welcher jezt als Besitzer gelten soll. Demnach giebt es einen ursprünglichen Besitz, welcher auf Detention und animus domini beruht, und einen abgeleiteten, in welchem ein Theil
(80) Erster Abschnitt.
dieser Bestimmungen fehlen kann, weil er sich auf einen andern, ursprünglichen Besitz gründet. Was hier fehlen dürfe, läßt sich leicht erwarten: nicht das physische (die Detention), sondern das, wodurch der natürliche Begriff des Besitzes juristisch beschränkt worden ist, der animus domini. Nun lassen sich leicht alle Anwendungen erklären, die sich in den Gesetzen finden. Detention ist überall nöthig, wo juristischer Besitz angenommen werden soll: der animus domini kann fehlen, aber dann muß dieser Besitz von einem andern abgeleitet werden können, in welchem beides vereinigt war, d. h. es muß eine Succession in das Recht des Besitzes nachgewiesen werden können, welche immer nur auf eine juristische Bestimmung in dem Begriff des Besitzes, nicht auf den natürlichen Begriff desselben sich beziehen kann (S. 23.). So hat z. B. der creditor den juristischen Besitz des Pfandes, obgleich er kein Eigenthum ausüben will, denn der Schuldner, der den vollen Besitz der Sache hatte, hat ihm mit der Detention zugleich das jus possessionis übertragen. In welchen Fällen überhaupt ein abgeleiteter Besitz anzunehmen ist, d. h. in welchen Fällen angenommen werden muß, daß mit der Detention auch das jus possessionis übertragen sey, das wird bey dem Erwerb des Besitzes (Abschn. 2.) vollständig bestimmt werden. In allen Fällen des abgeleiteten Besitzes nun ist der animus nur anders zu bestimmen,
(81) Begriff des Besitzes.
als bey dem ursprünglichen Besitz: es ist da nämlich ein animus possidendi, verschieden von dem animus domini, und das läßt sich hier um deswillen ohne Zirkel denken, weil sich jeder Besitz dieser Art auf einen ursprünglichen bezieht, in welchem alle Bestimmungen des Besitzes bereits enthalten sind. Nun ist also der allgemeinste Ausdruck für den materiellen Begriff des Besitzes dieser: es ist Detention, verbunden mit animus possidendi, und dieses Wort muß verschieden erklärt werden, je nachdem von einem ursprünglichen oder abgeleiteten Besitz die Rede ist: dort bezeichnet es den animus domini, hier die Absicht das jus possessionis zu haben, was bisher einem Andern zukam (1). – Diese Eintheilung des Besitzes übrigens ist ja nicht so zu nehmen, als ob verschiedene Rechte des Besitzes dadurch bestimmt werden sollten: Die Rechte sind völlig dieselben, und nur die Art des Erwerbs ist verschieden. Darum kann es ihr auch nicht zum Vorwurf gereichen, daß die Römischen Juristen keine Namen dafür haben: die Begriffe selbst liegen ohne Zweifel im Römischen Recht.
Jezt wird es möglich seyn, die verschiedenen Begriffe von possessio, die in der Theorie des Besitzes von Bedeutung sind (§. 7.), in einer Tabelle übersehen zu lassen, und zugleich die Anwendungen vorläufig anzudeuten, die in der Folge davon gemacht werden sollen.
(1) so erklärt, ist es sehr gleichgültig, ob man sage, es sey animus possidendi, oder sibi possidendi, oder sibi habendi, was zum Wesen des Besitzes gehört. Diese Ausdrücke haben die Meisten viel zu sehr beschäftigt, als daß sie die Begriffe selbst hätten entwickeln können.
(82) Erster Abschnitt.
Possessio (im nichtjuristischen Sinn). |
Possessio civilis |
Besitz einer usucapionfähigen (nicht gestohlnen [et]c.) Sache, mit bona fides und justa causa (1). |
Possessio (ad Interdicta). |
Possessio (im nichtjuristischen Sinn). |
Possessio naturalis |
Aller abgeleitete Besitz, u. zwar ist das bey dem Pfand immer der Fall, bey depositum und precarium zuweilen (s. Abschn. 2.) Aller ursprüngliche Besitz mit Detention und animus, aber ohne bona fides, oder ohne justa causa, oder an einer gestohlnen (et)c. Sache (s. Abschn. 2.) |
|||
Detention eines Rechtlosen, oder an einer res extra commercium (s. u. in dies. §.) eines Rasenden oder eines Kindes (Abschn. 2.) an einer Sache, die ein Anderer noch besizt. (§. 11.) dessen, der blos eines Andern Besitz auszuüben den Auftrag hat. (Abschn. 2.) des Pachters, Commodatars, Fructuars (et)c. (Abschn. 2.) des missus in possessionem, auser wo ein secundum decretum vorkommt. (Abschn. 2.) bey dem depositum und precarium zuweilen. (Abschn. 2.) |
Possessio naturalis (esse in possessione, tenere, corporaliter possidere, non possidere). |
(1) Alle diese Bestimmungen passen auch auf den Eigenthümer selbst, der die Usucapion gar nicht nöthig hat: ist
(83) Begriff des Besitzes.
Aus dem Begriff des Besitzes, der jezt vollständig dargestellt ist, folgt unmittelbar, daß theils gewisse Sachen in keinem Besitz seyn, theils auch gewisse Menschen keinen Besitz haben können: diese Fälle, die weder ein groses practisches Interesse haben, noch über die Natur des Besitzes neuen Aufschluß geben können, sollen hier noch kurz angegeben werden. (1)
Gegenstand des Besitzes kann alles das nicht seyn, was nicht in commercio ist, und wovon wir dieses wissen. Denn nun ist der animus domini nicht
seine possessio auch civilis? sie ist es in dem Sinn, daß sie alle Bestimmungen hat, die zu der possessio civilis nöthig sind, sie ist es nicht, indem sich kein Fall denken läßt, in welchem der Eigenthümer dabey interessirt wäre, eine civilis possessio zu haben. Also die juristische possessio (ad Interdicta) hat er auf jeden Fall, auch ist sein Besitz auf keine Weise schlechter als der des prätorischen Eigenthümers. – Zasius (in L. 3. §. ex pluribus. de poss., p. m. 105.), und nach ihm mehrere Juristen, nennen des Eigenthümers Besitz possessio causalis, (wie ususfructus causalis): der Ausdruck ist ganz passend, nur hüte man sich, ein jus possessionis dabey zu denken, was von irgend einem andern verschieden wäre. Practisch ist gar kein Unterschied.
(1) sie gehören hierher, und nicht zum Erwerb des Besitzes, wo sie gewöhnlich abgehandelt werden, denn es ist etwas ganz anderes, den Besitz nicht erwerben, oder nicht haben können. Ein Rasender ist blos des Erwerbs unfähig, ein Sclave des Besitzes selbst, darum wird der Besitz verloren, wenn der Besitzer die Freiheit, aber nicht, wenn er den Verstand verliert.
(84) Erster Abschnitt.
blos unrechtlich, was er freylich auch bey fremden Sachen ist, die wir dennoch wissentlich im Besitz haben können: sondern alle Beziehung auf Usucapion und Interdicte, die auserdem ein Recht des Besitzes, unabhängig von Eigenthum, producirt, fällt hier weg.
Darum konnte bey den Römern erstens kein freyer Mensch besessen werden, wenn der Andere wuste, daß er frey sey: (1) dagegen war dieser Besitz möglich, wenn man den Freyen für einen Sclaven hielt (2). Durch Freylassung wurde folglich der Besitz nothwendig verloren. (3)
Zweitens sind alle res publicae und communes auf gleiche Weise von dem Besitz ausgeschlossen: es ist unmöglich, den Besitz einer solchen Sache zu erwerben, und jeder Besitz wird verloren, wenn die Sache in ein solches Verhältniß kommt. So hört der Besitz eines Grundstücks auf, wenn es vom Meer oder von einem
(1) „Item quaero, si vinxero liberum hominem, ita ut eum possideam: an omnia quae is possidebat, ego possideam per illum? Respondit, si vinxeris hominem liberum, eum te possidere non puto ... “ L. 23. §. 2. de poss.
(2) §. 4. I. per quas personas, L. 1. §. 6. de poss. – Die malae fidei possessio also, von welcher da die Rede ist, geht auf den Fall, wenn man glaubt, es sey ein fremder Sclave, nicht wenn man weis, daß er frey ist.
(3) L. 30. §. 4. L. 38. pr. de poss.
(85) Begriff des Besitzes.
Flusse nicht etwa blos überschwemmt, sondern occupirt wird (1).
Drittens war Besitz unmöglich, wenn die Sache als res sacra oder religiosa dem Privateigenthum entzogen war, welcher Fall ausdrücklich mit dem Besitz eines freyen Menschen verglichen wird: auch hier kam es also darauf an, ob der, welcher die Detention hatte, dieses juristische Verhältniß der Sache kannte, nicht ob er es respectiren wollte (2).
Wie diese Sachen nicht besessen werden können, weil sie überhaupt nicht im Eigenthum sind, so sind auch die Menschen des Besitzes unfähig, welche kein Eigenthum haben können: doch ist hier das Eigenthum nicht in dem strengen Sinn des Römischen Civilrechts (für justum dominium) zu nehmen, denn auch wer das jus quiritium nicht hatte, konnte ohne Zweifel das Recht des Besitzes geniesen. Es gehören also hierher alle die, welche im Privatrecht als rechtlos betrachtet werden, also Kinder in väterlicher Gewalt, Sclaven und wer auf andere Art alles caput verloren hat.
(1) „Labeo et Nerva responderunt, desinere me possidere eum locum, quem flumen aut mare occupaverit.“ L. 3. §. 17. de poss., add. L. 30. §. 3. cod.
(2) „locum religiosum aut sacrum non possumus possidere, etsi contemnamus religionem, et pro privato eum teneamus: sicut hominem liberum.“ L. 30. §. 1. de poss.
(86) Erster Abschnitt.
1. Wer in väterlicher Gewalt ist (filius familias), kann nicht Besitzer seyn (1).
Dieser Satz gründete sich offenbar auf die allgemeinere Regel, daß der Sohn überhaupt kein Privatrecht haben könne: eben deshalb konnte er bey dem peculium militare nicht gelten (2). Da aber durch die neuern Peculien das, was bey dem peculium militare als Ausnahme galt, Regel geworden ist, so ist nun jeder filiusfamilias des Besitzes fähig, ja wenn der Vater an dem peculium adventitium, wie gewöhnlich, den ususfructus hat, so ist der Sohn der wahre Besitzer, und der Vater besizt, wie jeder fructuarius (Abschn. 2.), im Namen des Sohnes (3). An dem peculium profectitium hat freylich noch jezt der Sohn weder Eigenthum noch Besitz: aber da bey jedem Verwalter eines fremden Vermögens dasselbe gilt, so läßt sich eine persönliche Unfähigkeit des
(1) L. 49. §. 1., L. 30. §. 3. de poss., L. 93. de R. I. – Wenn der Vater in der Gefangenschaft ist, so ist der Besitz des Sohnes in pendenti (L. 44. §. 7. de usurp.) und das ist ganz der Analogie gemäs: aber etwas besonderes scheint es zu seyn, daß der paterfamilias, der sich für einen filiusfamilias hält, dennoch besitzen kann (L. 44. §. 4. eod.).
(2) „Filiusfamilias ... in castris adquisitum usucapiet.“ L. 4. §. 1. de usurp.
(3) Glossa in L. 49. §. 1. de poss., wo diese Bestimmung genau und richtig angegeben ist.
(87) Begriff des Besitzes.
filiusfamilias zum Besitz auf keine Weise mehr behaupten.
2. Sclaven sind eben so des juristischen Besitzes unfähig (1), und das ist sehr natürlich, da sie überhaupt keine Rechte haben. Auffallender ist es, daß selbst freye Menschen, wenn sie von Andern als Sclaven besessen werden, keinen Besitz haben können (2). Eigenthum kann in diesem Zustand nicht nur erhalten, sondern sogar erworben werden (3), und es zeigt sich also hier ein merkwürdiger Unterschied zwischen dem Erwerb des Eigenthums und des Besitzes (4). Der Grund dieses Unterschiedes liegt darin: um Eigenthum haben zu können, ist die blose Existenz der juristischen Eigenschaften hinreichend, welche von den Gesetzen in der Person des Eigenthümers vorausgesezt
(1) L. 49. §. 1. L. 30. §. 3. de poss., L. 24. eod.
(2) „ ... cum possideatur, possidere non videtur.“ L. 118. de R. I., cf. L. 1. §. 6. de poss.
(3) Ulpianus in fragm. tit. 19. §. 21, §. 4. I. per quas pers., L. 19. L. 23. §. 2. L. 54. §. 4. de adquir. rer. dom.
(4) Deswegen kann man selbst in den Fällen „ubi per possessionem dominium quaeritur“ nicht allgemein schliesen, daß Besitz vorhanden sey, wenn Eigenthum erworben ist, und deswegen ist selbst da der Erwerb des Eigenthums und des Besitzes nur in der Form der erwerbenden Handlung völlig gleich (s. o. §. 3. num. 1.).
(88) Erster Abschnitt.
werden, selbst wenn niemand darum weis, aber Ausübung des Eigenthums, als eines Rechts, sezt einen Zustand voraus, in welchem freye Handlungen möglich sind. Darum ist der Freye, der als Sclave besessen wird, in Beziehung auf Eigenthum, von jedem Freyen überhaupt, in Beziehung auf den Besitz aber von jedem Sclaven gar nicht unterschieden.
3. Dasselbe Verhältniß, wie bey dem Sclaven, findet sich bey Kriegsgefangenen (1), so wie bey denen, die auf andere Weise alles caput verloren haben (z. B. durch damnatio in metallum). Alle diese Verhältnisse sind uns völlig fremd.
§. 10.
Nachdem der Begriff des Besitzes selbst von allen Seiten bestimmt worden ist, bleibt nur noch die historische Frage zu beantworten übrig: wie die neuern Juristen diesen Begriff bestimmt haben.
Die Definitionen des Besitzes überhaupt, die sich in groser Anzahl finden, und worüber sehr viel gestritten
(1) L. 19. ex quib. causis maj., L. 23 §. 1. de poss., L. 15. pr. de usurp. – Auch gilt hier natürlich weder postliminium, noch die fictio Legis Corneliae. – In wiefern juristische Repräsentation in diesem allen eine Aenderung bewürken könne, wird im 2ten Abschn. vorkommen.
(89) Begriff des Besitzes.
worden ist, sind völlig unbedeutend (1): aller Streit dreht sich dabey um den Ausdruck, nicht der Römischen Gesetze, sondern dieser Definitionen selbst.
Der entscheidende Punct, hier wie bey den Römischen Juristen selbst, ist die Bestimmung von naturalis und civilis possessio, und darüber sollen jezt die bedeutendsten Meinungen dargestellt werden. Eine besondere Widerlegung wird nur selten nöthig seyn, da fast überall nur Meinungen, ohne alle exegetische Deduction, anzutreffen sind, zu einer allgemeinen Kritik bloser Meinungen aber schon die eigne Darstellung hinreicht, die oben (§. 7.) gegeben worden ist.
Die älteste Meinung, die wir aus den Schriften ihres Urhebers selbst kennen, ist von Placentin, und diese Meinung ist verständiger und consequenter, als die der meisten Neuern (2). Es giebt nur einen juristischen Besitz, sagt er, der aber verschiedene Würkungen
(1) Drey der ältesten Definitionen, nämlich eine von Bassian und zwey verschiedene von Azo stehen in der Glosse (in L. 1. pr. de poss.) und bey Azo selbst (summa in Cod., tit. de poss. num. 1. et 19.).
(2) Placentini Summa in Cod. tit. de poss. (p. 332. 333. ed. Mogunt. 1536. f.): „Possessio distinguitur ita, alia civilis tantum, alia civilis et naturalis ... alia proprie et plene, ut ea quae proficit ad usucapionem, alia improprie et semiplene. – – Haec quoque profecto naturalis possessio in jure nostro non recte dicitur absolute possessio, sed est oppositio in adjecto. – Fieri enim potest,
(90) Erster Abschnitt.
haben kann, indem er bald die Usucapion möglich macht (plena) bald nicht (semiplena): zu den Interdicten wird sein Daseyn immer erfordert. Die Bestimmungen seines Begriffs sind theils factisch (Detention) theils juristisch (animus): je nachdem nur die ersten, oder nur die zweiten, oder beide zugleich vorhanden sind, heist er naturalis, civilis, naturalis simul et civilis: allein die blose naturalis possessio ist, juristisch gesprochen, gar keine possessio, und wird dieser sogar entgegen gesezt, weil in der blosen Detention, ohne animus, kein Besitz von den Gesetzen anerkannt wird: anders bey der civilis possessio, da in vielen Fällen der Besitz solo animo erhalten werden kann. – Diese ganze Ansicht ist ohne Zweifel sehr gründlich, und die Terminologie ist nur um deswillen unrichtig bestimmt, weil die Unterscheidung der possessio naturalis und civilis auf die (juristischen
ut quis possideat et civiliter et naturaliter, et civiliter solummodo. Ut autem quis possideat tantum naturaliter, legibus subtiliter inspectis, et ad vivum consideratis, (ut reor) esse non potest. – Nam et fur, et praedo, et invasor et naturaliter possidet, et civiliter ... nam et colono interversori datur interdictum unde vi, quod profecto ei non competeret, nisi ... possideret. Civiliter solummodo quis possidet, puta saltus quos nullus alius detinet. – – Quippe possessio nonnisi una est, licet diversis modis habeatur, bonae fidei, malae fidei, juste, injuste, naturaliter, civiliter.“
(91) Begriff des Besitzes.
oder nichtjuristischen) materiellen Bestimmungen des Begriffs (vergl. §. 5. und §. 9.) und nicht auf die Würkungen des Besitzes (§. 7.) bezogen ist. Die Anwendung auf das Einzelne ist weniger gelungen, als die Darstellung der Begriffe selbst. – Azo hat im Ganzen dieselbe Meinung (1), nur daß er keinen Besitz annimmt, der zugleich civilis und naturalis wäre, sondern das Wort civilis allein da gebraucht, wo auf eine blose Fiction der Gesetze das Daseyn des Besitzes sich gründet, (ubi solo animo retinetur possessio). Auch ist es bey Azo sichtbarer, daß die L. 10. C. de poss. die wahre Veranlassung dieser Meinung war, indem man den Gegensatz, der in dieser Stelle enthalten ist (2), mit dem des factischen und blos juristischen (fingirten) Besitzes, und diesen wiederum mit dem der civilis und naturalis possessio verwechselte. – Diese Meinung scheint lange Zeit hindurch die herrschende gewesen zu seyn (3). Noch in Alciats und Duarens
(1) Summa in Cod. tit. de poss. num. 4. et 15, (fol. 134. 135. ed. 1537. f.) und: lectura in Cod., in L. 10. C. de poss. (p. 569. ed. 1577. f.)
(2) „Nemo ambigit, possessionis duplicem esse rationem: aliam, quae jure consistit“ (d. h. possessio civilis, die blos juristisch fingirt wird) „aliam quae corpore“ (possessio naturalis, gegründet auf natürliche Detention). – Die richtige Erklärung dieser Stelle wird im 12ten §. vorkommen.
(3) Menoch. de retinenda poss., remed. 3. num. 18. et 22 sqq. – hier wird diese Erklärung
(92) Erster Abschnitt.
Schriften liegt sie zum Grunde (1), obgleich sie in beiden von der andern Meinung nicht scharf genug unterschieden wird (s. u.). Merillius, der gleichfalls diese Erklärung annimmt, sezt sie mit einer Frage in Verbindung, die weiter unten vorkommen wird (2). – War die Fiction, auf die sich das Daseyn des Besitzes gründete, so gros, daß man mit einer blosen civilis possessio nicht auszulangen glaubte, so nannten sie Viele seit Baldus: civilissima (3).
Eben so alt als jene Meinung scheint die andere zu seyn, welche den Sinn der Römischen Juristen richtiger
Erklärung nicht sowohl dargestellt und ausgeführt, als stillschweigend vorausgesezt, und bey den vielen ältern Praktikern, die daselbst citirt werden, verhält es sich wahrscheinlich eben so.
(1) Alciatus in L. 115. de V. S. (opp. T. 2. p. m. 987.) et in L. 1. pr. de poss. (opp. T. 1. p. m. 1197.). – Duarenus in Disp. anniv. lib. 1. cap. 18. (p. 1385. ed. opp. 1584. f.): „Civiliter vero (possidet), qui, quamvis rei non insistat, civilis juris interpretatione, eam tenere ac possidere intelligitur.“ Cf. Comm. 1. in tit. de poss. Cap. 1. et 4. (ibid. p. 816. 817. 818.) et Comm. 2. in tit. de poss. ad L. 1. pr. (ib. p. 820.). Die L. 10. C. de poss. wird hier ausdrücklich angeführt, und auser derselben auch Theophilus (in §. 5. I. de interdictis), dessen Stelle natürlich nicht die Veranlassung dieser Meinung seyn kann, weil er weder gekannt noch gebraucht war, als sie entstand (s. über diese Stelle Ferrettus in L. 10. de poss., (in opp. T. 1. p. 611.).
(2) Merillii observ. lib. 2. cap. 31. 32., s. u. §. 11.
(3) Tiraquellus in tract. le mort saisit le vif, P. 1. declar. 7. num. 3.
(93) Begriff des Besitzes.
angiebt, indem sie die ganze Unterscheidung der possessio civilis et naturalis auf die juristische Würkung des Besitzes bezieht, unter civilis possessio also die Art des Besitzes versteht, welche von den Gesetzen (in irgend einer Rücksicht) approbirt, also der naturalis vorgezogen wird. Sie findet sich nämlich bey Bassian (Ioannes), der mit Placentin und Azo zugleich lebte, und der Lehrer (dominus) des lezten war.
In dieser Meinung nun stimmen mit den Glossatoren, bey denen sie sich zuerst nachweisen läßt, alle neuere Juristen überein: aber es haben sich in ihr wieder drey Hauptparteyen gebildet, die hier genau unterschieden werden müssen.
Die erste dieser drey Parteyen, deren Meinung zugleich die älteste und richtigste ist, nennt nur den Besitz, der alle möglichen Würkungen eines Besitzes überhaupt in sich vereinigt, possessio civilis: also den Besitz des Eigenthümers selbst sowohl als den Usucapionsbesitz. Possessio naturalis dagegen nennt sie den Besitz, dem etwas fehlt, d. h. bey welchem zwar die Interdicte möglich sind, aber nicht die Usucapion. Von beiden unterscheidet sie die blose Detention (tenere, esse in possessione etc.), die gar nichts juristisches ist. – Das erste, was an dieser Erklärung zu loben ist, besteht darin, daß sie den Begriff der
(94) Erster Abschnitt.
possessio civilis im allgemeinen (1) richtig bestimmt: ein
zweiter und gröserer Vorzug liegt in dem einfachen Begriff der juristischen
possessio (§. 7. num. 3.), der hier, im Gegensatz der blosen Detention, eben so
richtig gedacht als bezeichnet ist: deswegen sind die Schriften, worin diese
Erklärung zum Grunde liegt, sichrer zu gebrauchen als alle andere. Der einzige
Fehler dieser Erklärung (denn die Fehler der Anwendung gehören nicht hierher)
liegt in der unrichtigen Bedeutung, die sie der possessio naturalis giebt. –
Folgende Schriftsteller sind hier vorzüglich zu bemerken:
Ioannes Bassianus.
Cuiacius in observ. Lib. 9. Cap. 33. (1569)
Georg. Obrecht de possessione Cap. 3-5 (p. 524. Disp. collect. Ursell. 1603. 4).
Scipio Gentilis de donat. inter vir. et uxor. Lib. 2. Cap. 30. (opp. T. 4. p. 297).
(1) aber auch nur im allgemeinen, denn streng wird darauf nicht gehalten. So z. B. bezieht man häufig die possessio civilis blos auf die justa causa in der Usucapion, und gebraucht folglich das Wort auch da, wo aus andern Gründen, z. B. wegen der mala fides, Usucapion gehindert ist. (Bartolus in L. 1. pr. de poss., num. 8.). Diese Unbestimmtheit war eine nothwendige Folge davon, daß man die Bedeutung der possessio civilis aus dem allgemeinen Sprachgebrauch abzuleiten versäumte.
(95) Begriff des Besitzes.
Valentia in illustr. jur. tract., Lib. 1. Tract. 2. Cap. 3.
Ramos in tit. Dig. de poss., P. 1. §. 18. 19. (ap. Meermann. T. 7. p. 82).
Retes in tit. Dig. de poss. P. 1. C. 2. (ap. Meermann. T. 7. p. 458).
Bassians Meinung kennen wir fast nur aus den untreuen und dürftigen Auszügen des Accurs, in welchen alle vorräthige Meinungen in der grösten Verwirrung durch einander laufen, obgleich Er selbst die des Bassian den übrigen vorzieht: aber die Anwendungen, in denen sie gelegentlich vorkommt, sind hinreichend, eine deutliche Vorstellung davon zu geben (1). Nur dem wahren Eigenthümer, und dem welcher usucapirt, wird possessio civilis zugeschrieben: der Pfandglaubiger, der emphyteuta, der fructuarius, der Vasall haben possessio naturalis, und eben so der praedo, der ohne Titel einen fremden Besitz occupirt: der Pachter (et)c. hat gar keinen Besitz, sondern blose Detention.
(1) Glossa in L. 1. §. 3. de poss.: „Non ergo omnis detentatio est possessio, sed triplex est: nam alia civilis, alia naturalis, in quarum utraque quaerenda duo exiguntur (nämlich factum und animus: diese gelten also allein als juristische possessio): „alia detentatio, ut hic: qualem etiam habet colonus.“ – Glossa in L. 3. §. 5. de poss.: diese Stelle enthält alle die Anwendungen, von welchen hier Gebrauch gemacht wird, und führt sie ausdrücklich als Bassians Meinungen an.
(96) Erster Abschnitt.
Hieraus erklärt sich der Streit, welchen Bassian mit Placentin und Azo darüber führte (1), ob die possessio civilis und naturalis verschiedene Arten des Besitzes seyen, oder ob es nur einen Besitz gebe: das erste muste Bassian behaupten, das lezte Placentin und Azo, weil nur von jenem, nicht aber von diesen die ganze Distinction auf verschiedene Rechte des Besitzes bezogen wurde. – Die fernere Geschichte von Bassians Meinung ist sehr merkwürdig. Zuerst hat Bartolus eine ganz unscheinbare Aenderung damit vorgenommen, in der That aber einen sehr grosen Irrthum dadurch herbeygeführt (2). Er hielt es wahrscheinlich für unanständig, daß der blose praedo ganz dieselbe possessio (naturalis) haben sollte, wie der Vasall und andere rechtliche Leute: deswegen nahm
(1) Glossa in L. 1. pr. de poss.: „ ... non duae sunt (possessiones) sed una secundum Placentinum et Azonem. At Ioannes et alii dicunt: duas esse ... quod est tutius.“ – Azo in lectura in L. 10. C. de poss.: „Et est hoc notandum, quod quidam dicunt, et dominus meus dixit quandoque, quod diversae sunt possessiones, sc. civilis et naturalis, sed contra est.“
(2) Bartolus in Digestum Novum, L. 1. pr. de poss., num. 7-13. – Daß er etwas neues sagen will, zeigt nicht nur die ausführliche Darstellung, sondern auch die Art, wie er darauf aufmerksam macht: „Adverte ergo ad me. Mihi videtur, quod antiqui et moderni DD. multum deviarunt a mente juris in hac materia.“
(97) Begriff des Besitzes.
er auser der possessio civilis und naturalis, noch eine dritte wahre possessio (unterschieden von der blosen Detention) an, die er corporalis nannte und nur dem praedo zuschrieb. Nun bezog er die possessio civilis auf das Eigenthum, durch dessen justa adquisitionis causa sie begründet werde, die possessio naturalis ganz eben so auf die jura in re, und unterschied von beiden die possessio corporalis, d. h. den Besitz, welchem aller Rechtstitel fehlt. Indem aber bey dieser Eintheilung auf die Existenz und Qualität eines Rechts gesehen wird, was dem Besitz zum Grunde liegt, wird der eigenthümliche Gesichtspunct für den Besitz selbst mehr verrückt, als durch irgend eine andere Meinung. – Cujaz, der in früheren Schriften die richtigere Ansicht des Bassian vielleicht unter allen am besten dargestellt hatte (s. o. S. 94.), nahm späterhin die Erklärung des Bartolus an, aber mit einem neuen Zusatz, wodurch dieser Irrthum auf’s höchste getrieben wurde (1). Er behauptet nämlich,
(1) Cuiacii observ. L. 27. C. 7. (1585). – Ej. notae posteriores in Instit. §. 4. per quas pers. (1585): „Est civilis possessio, est naturalis, est corporalis: civilis, naturalis, justa est: corporalis injusta: hanc pupillus sine tutore amittit, non civilem, non naturalem.“ – Ej. recit. in L. 1. pr. de poss. (1588.) in opp. ed. Neap. 1722. T. 8. p. 239: „Civilis est, quae jure vel animo domini possidetur ... Naturalis tantum ea est, quae alio jure apprehensa est,
(98) Erster Abschnitt.
was Bartolus nicht behauptet hatte, die possessio corporalis werde von den Gesetzen gar nicht als ein juristisches Verhältniß, als Bedingung von Rechten, anerkannt. Da es sich aber doch nicht abläugnen läßt, daß auch der praedo die Interdicte hat, so erklärt dieses Cujaz dadurch, daß ein solcher unrechtlicher Besitzer gewöhnlich einen rechtlichen Grund seines Besitzes vorgebe: nicht der Besitz selbst, sondern dieser vorgegebene Rechtsgrund desselben sey der Grund der Interdicte, und ohne dieses Vorgeben seyen sie gar nicht begründet. Es ist kaum möglich, eine Ansicht des Besitzes zu finden, welche dem Römischen Recht mehr entgegen gesezt wäre als diese.
Die zweite Partey nimmt den ganzen Unterschied viel einfacher an als die erste. Nämlich der possessio civilis, die auch possessio schlechthin heist, und durch welche die Usucapion möglich wird, wird hier nichts entgegen gesezt, als die possessio naturalis (esse in
„quam dominii, veluti jure pignoris, vel jure ususfructus. Eam quae nullo jure impudenter a praedone nullum jus, nullum titulum adfingente et praetexente sibi, possidetur, jus non novit, non spectat. Plerumque praedo omnis et pervasor alienae possessionis sibi fingit titulum aliquem ... At si quis sit, qui nullum sibi titulum adfingat, eius possessionem jura non spectant.“ – Ej. Scholia s. Comment. in Institutiones, §. 4. per quas pers., in opp. T. 8. p. 960.
(99) Begriff des Besitzes.
possessione, non possidere), welche folglich alle anderen Fälle umfaßt, ohne Unterschied, ob sie eine wahre possessio, d. h. das Recht der Interdicte, enthalten oder nicht. – Die possessio civilis ist also auch hier richtig erklärt, aber daß die possessio ad interdicta von der blosen Detention nicht unterschieden wird, ist ein sehr bedeutender Fehler, und eben deswegen fehlt hier der richtige Begriff der juristischen possessio (§. 7. num. 3.) gänzlich. Die bedeutendsten Schriftsteller sind folgende:
Ferrettus in L. 1. pr. de poss., num. 11-13. (opp. T. 1. p. 519. 520.) et in L. 12. de poss., num. 31. 32. (ibid. p. 611.)
Brissonius de verb. sign. v. civilis num. 3, v. possessio num. 3. 4, v. justus.
Muretus in epistolis, Lib. 3. ep. 81. (opp. ed. Ruhnken. Vol. 1. p. 643.)
Galvanus de usufructu Cap. 33. §. 10-12. – Hier wird durch neu erfundene Distinctionen die Lücke ausgefüllt, die in der Römischen Terminologie durch diese Erklärung angenommen wird.
Vinnius in select. quaest. Lib. 2. Cap. 36. – Besser als die übrigen Schriften dieser Partey.
(100) Erster Abschnitt.
Domat, loix civiles, Partie 1, Liv. 3, Tit. 7, préambule.
Westphal über die Arten der Sachen (et)c. Th. 2. Cap. 2. §. 52-64.
Hofacker in princ. jur. Rom. T. 2. §. 759. 760. – Er erklärt selbst, daß er meist nach Galvanus gearbeitet habe.
Malblanc, princ. jur. Rom., P. 1. §. 191.
Jezt ist noch die dritte Partey übrig, welche unter der possessio civilis allen juristischen Besitz überhaupt versteht, er mag die Usucapion oder nur die Interdicte begründen, welchem juristischen Besitz nun die blose Detention (possessio naturalis, esse in possessione, non possidere) entgegen gesezt wird. Der eigenthümliche Fehler dieser Meinung liegt in der völlig unrichtigen Bestimmung der possessio civilis, und es ist eine nothwendige Folge davon, daß sie den einfachen Begriff des juristischen Besitzes überhaupt, worauf immer das meiste ankommt (s. o. S. .), und von dessen Voraussetzung sie selbst sogar ausgeht, unmöglich festhalten kann. Denn da über keinen Punct die Gesetze deutlicher reden, als darüber, daß in gewissen Fällen (besonders bey der Schenkung unter Ehegatten) keine possessio civilis angenommen werden soll, so müssen nun diese Fälle von dem juristischen Besitz überhaupt
(101) Begriff des Besitzes.
ausgeschlossen werden, wodurch denn diese Meinung in der Anwendung unrichtiger wird als alle andern. Zugleich ist es klar, daß unter den drey dargestellten Modificationen der Erklärung, nach welcher überhaupt die juristische Würkung die possessio civilis bestimmt, keine so leicht als diese dritte in die allererste Erklärung übergehen kann, nach welcher die possessio civilis einen juristisch fingirten Besitz bedeutet (S. 90.). Denn es bedarf dazu nur des einfachen Satzes, der aber eben so falsch als practisch wichtig ist: wo eine possessio civilis unmöglich ist, ist auch die juristische Fiction des Besitzes unmöglich. Deswegen sind bey den ältern Schriftstellern gewöhnlich beide Erklärungen vermischt (S. 92.), ja es ist bey Manchen völlig willkührlich, zu welcher von beiden Parteyen man sie rechnen will. – Hierher gehören nun besonders folgende Schriftsteller:
Zasius in L. 3. §. 5. de poss. (opp. ed. Francof. 1590. T. 3. p. 111.)
Vaconius a Vacuna in declarat., Lib. 2. decl. 68-71. (fol. 63-68 ed. Rom. 1556. 4.) Er vergleicht die possessio civilis der Phantasie, die possessio naturalis den Sinnen, und führt diese Vergleichung mit groser Geduld durch.
(102) Erster Abschnitt.
Corasius in tit. de poss. (opp. ed. Forster, Viteb. 1603. f., T. 1. p. 921. 922.)
Contius in disput. Lib. 1. Cap. 9.
Charondas in verisimil. Lib. 1. Cap. 6. (bey Otto B. 1. S. 699.)
Friderus Mindanus de materia possessionis Cap. 1. num. 16-20.
Oroz de apicibus jur. civ. Lib. 4. Cap. 2. §. 8. 9.
Cuperus de natura possessionis. P. 1. C. 3. 4. (p. 24-48.).
Fleck in tit. Pand. de poss. p. 9-15.
Thibaut über Besitz §. 11. (1).
Aus dieser Uebersicht ergiebt es sich von selbst, daß Cupers Meinung nichts weniger als neu ist, obgleich er selbst sie für neu zu halten scheint: vertheidigt hat er sie mit bessern Gründen und ausführlicher, als diese oder eine andere Meinung je vertheidigt worden ist, und er hat sich schon durch diese Erschöpfung eines möglichen Irrthums ein bedeutendes Verdienst erworben: noch wichtiger aber ist seine vortreffliche Erklärung der L. 10. C. de poss., durch welche Erklärung alle Gelegenheit zu einer andern falschen Meinung (s. o.
(1) Er erklärt selbst, daß er im Wesentlichen Cupers Meinung folge: indessen geschieht das doch mit einer kleinen Modification, die sich mit Cuper schwerlich vereinigen läßt.
(103) Begriff des Besitzes.
S. 91.) völlig aufgehoben worden ist. Nicht nur Cuper’s Gründlichkeit, sondern auch der unbedingte Beyfall, den seine Ansicht gefunden hat, macht es nöthig, der allgemeinen Widerlegung, die in dem Beweise meiner eignen Meinung enthalten ist, einige besondere Bemerkungen hinzuzufügen. – Um den Gegensatz der possessio civilis und naturalis zu bestimmen, schlägt Cuper einen Weg ein, der für den Erfolg seiner ganzen Untersuchung entscheidend ist: er geht aus von dem Begriff der possessio naturalis (also von einem negativen Begriff), zeigt, daß darunter der nichtjuristische Besitz verstanden werden müsse, und bestimmt nun die possessio civilis als der possessio naturalis logisch entgegen gesezt, folglich als juristischen Besitz überhaupt. So ist es sehr natürlich, daß ihm das eigenthümliche der possessio civilis, nämlich die Beziehung auf jus civile, entgehen muste, und es ist nur das dabey auffallend, daß Er, bey einer so gründlichen Kenntniß der Quellen des Römischen Rechts, nicht hinterher an die specielle Bedeutung erinnert wurde, die das jus civile im Römischen Recht hat. Daß er seine Erklärung von possessio civilis nicht noch direct beweist, versteht sich von selbst: er führt nur, gleichsam zur Erinnerung an eine bekannte Sache, zwey andere Anwendungen an (cognatio civilis und bonorum appellatio civilis), die allein schon hinreichend
(104) Erster Abschnitt.
sind, seine Erklärung zu widerlegen. Nachdem so der Grund einer falschen Erklärung gelegt ist, kann diese natürlich auch in den bedeutendsten Anwendungen auf keine Weise mit dem Römischen Recht übereinstimmen. Setzen wir nämlich, daß in der That possessio civilis den juristischen Besitz bezeichne, so kann das nichts anderes heisen, als: die possessio civilis hat juristische Würkungen, welche die naturalis nicht hat. Welches sind nun nach Cuper diese Würkungen? Die Usucapion nicht allein, sondern unter andern auch die Interdicte: nun steht aber zufällig von einem Interdict ausdrücklich in den Pandekten, daß es auch auser der possessio civilis gelte (1), also – sind nur einige Interdicte, dem juristischen Besitz eigen, und die Begriffe müssen nun vollständig so bestimmt werden: juristisch (civilis) heist der Besitz, wenn er entweder die Usucapion, oder doch wenigstens die interdicta uti possidetis et utrubi zur Folge hat, nichtjuristisch (naturalis), wenn er alle jene Würkungen nicht hat, obgleich er andere Würkungen, namentlich das interdictum unde vi, allerdings haben kann. Die Unrichtigkeit dieser practischen Unterscheidung unter den verschiedenen Interdicten kann erst unten, bey den Interdicten selbst, bewiesen werden: da aber schlechterdings nicht einzusehen ist, warum das
(1) L. 1. §. 9. de vi.
(105) Begriff des Besitzes.
interdictum de vi weniger juristisch seyn sollte, als die übrigen Interdicte, so ist schon jezt offenbar, welche willkührliche, unlogische Bezeichnung ihrer Begriffe den Römischen Juristen durch diese Erklärung zugeschrieben wird: ja es wäre schwer zu begreifen, wie dennoch Cuper den ersten Theil seiner Schrift mit einem so grosen Lob der Römischen Jurisprudenz beschliesen könnte, wenn nicht dieses Lob zu den Inventarienstücken aller eleganten Schriften gehörte. Endlich ist schon oben bemerkt worden, daß die Interpretation der entscheidenden einzelnen Stellen des Römischen Rechts nach dieser Erklärung durchaus mislingen muste (§. 7. num. 1.), so daß Cuper, dessen Talent zur Interpretation auserdem nicht zu verkennen ist, gradezu vorauszusetzen genöthigt war, Paulus habe sich selbst widersprochen (1), da doch nach Cuper’s ganzer Erklärung, bey so höchst einfachen Begriffen, bey welchen gar nicht etwa ein Streit der verschiedenen Schulen vorkam, an einen solchen Widerspruch gar nicht zu denken ist.
Da es nun keiner unter allen diesen Erklärungen gelingen wollte, allgemein anerkannt zu werden, so haben Viele die Wahrheit dadurch am sichersten einzufangen geglaubt, daß sie alle Meinungen zugleich
(1) Nämlich in L. 1. §. 4. de poss. und L. 26. pr. de don. inter vir. et uxorem.
(106) Erster Abschnitt.
angenommen haben (1). Auf diese Art allein kann man sicher seyn, von keinem Leser ganz verworfen zu werden: und um es nicht merken zu lassen, daß es eigentlich entgegengesezte Meinungen sind, die hier friedlich neben einander wohnen, hat man sie durch allerley Namen (2) in Verbindung gesezt, und nun ganz ruhig angenommen, das sey auch die Meinung der Römischen Juristen.
In dieser ganzen Uebersicht habe ich den einzigen Schriftsteller nicht genannt, der die gewöhnlichen Fehler allein vermieden hat. Bey Donellus nämlich findet sich keiner dieser terminologischen Irrthümer, und er kann daher überhaupt zu keiner Partey gerechnet werden. Da er aber den Besitz nur in dem System des ganzen Römischen Rechts abhandelte, so lag es nicht in seinem Plane, seinen Sprachgebrauch aus Gründen abzuleiten und polemisch durchzuführen, wodurch es allein möglich gewesen wäre, ihn deutlich und sicher
(1) Das ist unter andern in folgenden Schriften der Fall, freylich auf verschiedene Weise: Fachinei controv. Lib. 8. Cap. 5. Merendae controv. Lib. 12. Cap. 15. (Tom. 2. ed. Bruxell. 1745.) Thomasii notae in Digest. (Halae 1713. 4.) lib. 41. tit. 2. (p. 311.). Oppenritter, Summa possessionis P. 1. C. 2. §. 8-24. Glück’s Commentar über die Pandekten Th. 2. §. 180. Spangenberg vom Besitz §. 115-118.
(2) z. B. weiteste, weitere, engere und engste Bedeutung, a forma und a modo u. s. w.
(107) Begriff des Besitzes.
vor allem Misverständniß hervortreten zu lassen: und da sogar seine deutlich ausgesprochene Ansicht des Besitzes im Zusammenhang des ganzen Systems völlig unbenuzt geblieben ist, so kann es um so weniger auffallen, daß man auch von seiner Terminologie ganz und gar keine Notiz genommen hat.
§. 11.
Die Untersuchung über den Begriff des Besitzes scheint jezt völlig geschlossen. Es kam dabey alles auf die zwey Fragen an: welches ist die juristische Bedeutung des Besitzes im Römischen Recht? (§. 2-8.) und welches sind die materiellen Bestimmungen seines Begriffs, d. h. unter welchen Bedingungen ist das Daseyn des Besitzes anzunehmen? (§. 9.).
Die ganze folgende Theorie des Besitzes schliest sich unmittelbar an diesen Begriff an, da in allem Erwerb oder Verlust des Besitzes eine Anwendung oder Modification dieses Begriffs enthalten ist. Unter diesen Anwendungen aber, in welchen der Begriff des Besitzes selbst erscheint, findet sich eine Regel, die so allgemeiner Natur ist, daß sie auf alle Theile unsrer Theorie Einfluß hat, und an keiner andern Stelle als hier entwickelt werden kann.
Diese Regel lautet so: aller Besitz ist ausschliesend (plures eandem rem in solidum possidere non possunt). Ihre Bedeutung, so wie ihre
(108) Erster Abschnitt.
Wahrheit, soll hier untersucht werden, und diese Untersuchung wird zugleich Gelegenheit geben, unsere terminologischen Resultate durch die Anwendung deutlicher zu machen, als es in allgemeinen Begriffen geschehen kann.
Es ist also die Rede von einem Besitz derselben Sache (in solidum). Besitzen Mehrere eine Sache gemeinschaftlich (compossessio), so daß ihr Besitz sich wechselseitig beschränkt, so ist nur scheinbar dieselbe Sache der Gegenstand ihres Besitzes, denn jeder besizt einen Theil der Sache allein, die übrigen Theile gar nicht, und daß diese Theile nicht reell, sondern ideell von einander abgesondert sind, macht juristisch betrachtet gar keinen Unterschied. Jeder besizt also eine Sache für sich, und sie stehen zu einander ungefähr in demselben Verhältniß, wie die Besitzer zweyer benachbarten Häuser. Darum kommt auch weder das Wort compossessio, noch der Begriff bey den Römischen Juristen vor, und sie bestimmen blos, in wiefern Jeder für sich einen ideellen Theil einer Sache besitzen könne, da sich denn die Möglichkeit eines andern Besitzers der übrigen Theile von selbst ergiebt, das Verhältniß zu diesem Mitbesitzer aber gar nichts Eignes hat.
Die ganze Untersuchung ist dadurch verwickelt geworden, daß unter den Römischen Juristen selbst verschiedene Meinungen darüber herrschten. Einige verneinten
(109) Begriff des Besitzes.
ganz allgemein die Möglichkeit eines solchen Besitzes, andere nur mit Ausnahmen, z. B. so, daß die justa possessio der einen Person nicht durch die injusta possessio der andern ausgeschlossen seyn sollte u. s. w. Diese verschiedenen Beschränkungen der zweiten Meinung interessiren uns hier noch nicht, es ist hinreichend, sie als der ersten entgegen gesezt zu betrachten, und die Frage kann nun so ausgedrückt werden: ist possessio Mehrerer Personen an derselben Sache möglich? wird die Frage bejaht, so ist es dann Zeit, die Bedingungen dieser Möglichkeit hinzusetzen.
Aus diesem allgemeinen Ausdruck der Frage selbst ergiebt es sich also, daß possessio der Gegenstand derselben ist. Nun bezeichnet aber dieses Wort den Besitz auf zweyerley Art, indem theils das natürliche Verhältniß der Detention, theils der juristische Besitz, d. h. die Bedingung der Usucapion und der Interdicte, darunter verstanden wird (§. 7. num. 5.): welche dieser Bedeutungen liegt hier zum Grunde? die Regel, die oben hierüber aufgestellt worden ist, entscheidet das leicht. Da nämlich diese Frage von den Römischen Juristen zum Gegenstand ihrer Untersuchungen gemacht wird, so kann von keinem andern als dem juristischen Besitz die Rede seyn, da die natürliche Detention weder juristische Bestimmungen in ihrem Begriff haben, noch
(110) Erster Abschnitt.
auch durch irgend eine juristische Würkung es nöthig machen kann, ihr Daseyn juristisch zu bestimmen.
Es wird also hier von dem einfachen Begriff der juristischen possessio Gebrauch gemacht, der sich auf Usucapion und Interdicte zugleich bezieht (§. 7. num. 3.), und durch diese vorläufige Bestimmung der Frage ist schon der gröste Theil der falschen Antworten abgewiesen, die man bisher darauf gegeben hat. So glauben Einige, dieselbe Würkung des Besitzes könne freylich nur Einer geniesen, zu verschiedenen Würkungen aber sey ein Besitz Mehrerer denkbar: allein es giebt nur zwey Würkungen des Besitzes, und diese stehen in einem solchen Verhältniß, daß es ein und derselbe Besitz ist, welcher beide bedingt. – Andere haben civilis possessio auf einer Seite, naturalis possessio auf der andern zugelassen, und nur etwa die naturalis possessio plurium in solidum ausgeschlossen: allein auch das ist unmöglich, denn die naturalis possessio, welche neben einer fremden civilis possessio möglich seyn soll, ist entweder selbst wieder ein juristischer Besitz, und dann ist sie hier, wo von possessio überhaupt die Rede ist, von der civilis possessio gar nicht verschieden, oder sie ist blose Detention, und dann ist sie kein Gegenstand einer juristischen Untersuchung.
Soll nun angenommen werden, daß Mehrere denselben Besitz zugleich haben können, so ist es klar, daß
(111) Begriff des Besitzes.
dieses nur durch eine juristische Fiction möglich sey. In dem ursprünglichen Begriff des natürlichen Besitzes (§. 1.) war nämlich die ausschliesende physische Möglichkeit einer Einwürkung auf die Sache enthalten: von dieser Art ist der Besitz eines Geldstücks, das man in der Hand hält, und hier ist es klar, daß ein solcher Besitz nur in Einer Person gedacht werden könne. Allein der Besitz gilt als Recht, und wird deshalb oft fingirt, wo jener ursprüngliche Begriff nicht mehr anwendbar wäre (§. 5.): so wird der Besitz eines Hauses auch dann noch als fortdauernd angenommen, wenn der Bewohner desselben herausgegangen ist, ohne es auf irgend eine Art zu verwahren. Auf eine solche Fiction also müste sich der gleichzeitige Besitz mehrerer Personen gründen, da der ursprüngliche Begriff des Besitzes ihn ausschliest, und nun ist die Frage, die hier beantwortet werden soll, so auszudrücken: giebt es eine juristische Fiction, wodurch mehrere Personen als gleichzeitige Besitzer derselben Sache angenommen werden?
Die Römischen Juristen waren hier in zwey Parteyen getheilt. Die eine (Labeo und Paulus) läugnete die Möglichkeit eines solchen Besitzes durchaus: ihre Meinung ist nicht nur im allgemeinen von den Compilatoren der Pandekten gebilligt, sondern sie kann auch durch alle Anwendungen durchgeführt werden. Die zweite (Trebatius, Sabinus und Julian)
(112) Erster Abschnitt.
lies jenen Besitz zu, jedoch nur so, daß Eine Person possessio justa, die andere possessio injusta haben könne: zwey injustae possessiones sollten nicht neben einander bestehen können, und eben so wenig zwey justae possessiones, einen einzigen Fall ausgenommen, welcher aber mit einem Fall der injusta possessio selbst in Verbindung steht. Diese Distinction bezieht sich hier auf die vitia possessionis (§. 2. 8.), und es ist daher nur in folgenden drey Anwendungen die Verschiedenheit jener Meinungen aufzusuchen: A) wenn der Besitz einer Sache mit Gewalt occupirt wird, in welchem Fall nämlich neben dieser possessio injusta die possessio justa des vorigen Besitzers soll fortdauern können. B) eben so, wenn heimlich ein Besitz occupirt wird, den ein Anderer bisher hatte. C) wenn durch ein precarium der Besitz erlangt worden ist. Damit dieser lezte Fall ganz verstanden werden könne, müssen hier einige Sätze eingeschaltet werden, die erst bey den Interdicten vollständig und in ihrem wahren Zusammenhange darzustellen sind. Precarium heist das Verhältniß, in welchem ohne juristisches Geschäft die Ausübung irgend eines Rechts einem Andern überlassen wird. Der gewöhnlichste Fall betrifft die Ausübung des Eigenthums, also den (natürlichen) Besitz, weil dieser die Bedingung jener Ausübung ist. Diese precaria possessio aber kommt auf zweyerley Art vor:
(113) Begriff des Besitzes.
theils so, daß die blose Detention, theils so, daß der juristische Besitz dem Andern überlassen wird (1). Im ersten Fall geht zunächst kein Besitz über, aber er wird hinterher erworben, wenn die Zurückgabe der Sache verweigert wird: diese possessio ist ohne Zweifel injusta, und nun ist das interdictum de precario (als interdictum recuperandae possessionis) begründet. Im zweiten Fall wird gleich im Anfang der Besitz übertragen, diese justa possessio aber wird erst durch die Verweigerung der Zurückgabe injusta, und nun ist das Verhältniß dem des ersten Falls gleich geworden. Demnach kann man durch precarum theils eine injusta possessio haben, und dann wird dieselbe Frage aufgeworfen, wie bey der possessio violenta und clandestina: theils eine justa possessio, und dieses ist der einzige Fall, in welchem von manchen Juristen zwey justae possessiones neben einander angenommen wurden.
Also zuerst von der Regel im allgemeinen, dann von den drey Fällen ihrer Anwendung.
Die entscheidende Stelle über die Regel selbst ist von Paulus (2):
„ ... plures eandem rem in solidum possidere non possunt. Contra naturam
(1) „ ... precario autem rogavit, non ut possideret, sed ut in possessione esset ... “ L. 10. §. 1. de poss.
(2) L. 3. §. 5. de poss. (Paulus lib. 54. ad edictum).
(114) Erster Abschnitt.
quippe est, ut cum ego aliquid teneam, tu quoque id tenere videaris. Sabinus tamen scribit, eum, qui precario dederit, et ipsum possidere, et eum, qui precario acceperit. Idem Trebatius probabat existimans, posse alium juste, alium injuste possidere: duos injuste, vel duos juste non posse (1): quem Labeo reprehendit: quoniam in summa possessionis non multum interest, juste quis an injuste
(1) Zu diesem Theil unsrer Stelle gehört L. 19. pr. de precario (Iulianus lib. 49. Dig.): „Duo in solidum precario habere non magis possunt, quam duo in solidum vi possidere, aut clam: nam neque justae neque injustae possessiones duae concurrere possunt.“ Offenbar war es Julians Meinung, daß dagegen die possessio justa des Einen neben der possessio injusta des Andern möglich sey, welcher positive Theil seiner Meinung aber von den Compilatoren ausgelassen werden muste. – Die Frage, die hier Julian beantworten will, ist diese: ist es möglich, eine precaria possessio mehreren Personen zugleich zu geben? Da nun die possessio precaria zunächst, nachdem sie gegeben ist, als justa possessio gilt, so ist es sehr natürlich, daß Julian die possessiones precarias, auf die sich seine Frage bezog, als possessiones justas der possessio violenta und clandestina als possessionibus injustis entgegen sezte, obgleich in andern Fällen auch die precaria possessio als injusta gelten kann. Cuper (de nat. poss. P. 2. C. 14) hat diesen sehr natürlichen Zusammenhang abgeläugnet, ohne einen andern an dessen Stelle zu setzen.
(115) Begriff des Besitzes.
possideat: quod est verius: non magis enim eadem possessio apud duos esse potest, quam ut tu stare videaris in eo loco, in quo ego sto: vel in quo ego sedeo, tu sedere videaris.“
Die ganze Stelle ist in folgende Sätze zu zerlegen:
1. Die eigne Meinung des Paulus, die hier Justinian zu der seinigen macht, steht gleich im Anfang und wird am Ende nur wiederholt: eine solche Concurrenz mehrerer Besitzer, sagt Paulus, ist durchaus unmöglich, und zwar deswegen, weil aller Besitz entweder auf wahre Detention (tenere) oder auf die juristische Fiction derselben (tenere videri) gegründet ist: nun ist alle Fiction nur da möglich, wo das fingirte Factum selbst nicht unmöglich wäre: aber es ist unmöglich, daß mehrere Personen die Detention derselben Sache würklich haben: also kann auch keine juristische Fiction diese Unmöglichkeit aufheben. (1)
(1) Diese Erklärung hat zuerst Obrecht (de poss. C. 8. §. 326-329), bestimmter und ausführlicher Cuper (de nat. poss. P. 2. C. 18.) – Paulus läugnet also nicht, was sich auch nicht läugnen läßt, daß die Rechte des Besitzes in mehreren zugleich angenommen werden können, aber er behauptet, diese Annahme sey inconsequent, weil sie der Natur
(116) Erster Abschnitt.
2. Sabinus macht von dieser Regel eine Ausnahme bey dem precarium: hier sollen beide Theile zugleich den juristischen Besitz haben können, und zwar ohne Unterschied, ob die possessio precaria eine possessio justa oder injusta sey.
3. Trebatius billigt diese Meinung, doch mit der Modification, es müsse eine injusta possessio precaria seyn, wenn des Andern Besitz nicht ausgeschlossen seyn sollte: zugleich wird dieser Satz auf alle Concurrenz einer possessio justa und injusta ausgedehnt, und für alle übrigen Fälle negirt.
4. Beide Meinungen sind schon durch den Beweis widerlegt, den Paulus für die seinige geführt hat. Aber gegen Trebatius führt Labeo (der also mit Paulus übereinstimmt) noch den besondern Grund an, auf den Unterschied der possessio justa und injusta könne nichts ankommen, wenn von der Existenz des Besitzes überhaupt die Rede sey (s. o. S. 67.)
Eben so allgemein, wie in dieser Stelle des Paulus, wird derselbe Satz von Ulpian behauptet (1):
des Besitzes widerspreche. So muß die Unmöglichkeit verstanden werden, von welcher Er redet.
(1) L. 5. §. 15. commodati (Ulpianus lib. 28. ad edictum.)
(117) Begriff des Besitzes.
„Celsus filius ait, duorum quidem in solidum dominium, vel possessionem esse non posse.“
Hier ist die Meinung des Celsus, wie das in vielen Stellen geschieht, von Ulpian nur um deswillen angeführt, weil es zugleich die seinige ist: am Ende der ganzen Stelle wird dieses dadurch noch deutlicher, daß Ulpian selbst die Meinung des Celsus durch Folgerungen daraus weiter fortführt.
Nun zu den Anwendungen jener Regel, in welchen die Regel selbst bestritten war:
A. Wer mit Gewalt eine Sache nimmt, hat ohne Zweifel den juristischen Besitz derselben: aber nach der Meinung des Trebatius müste auch der vorige Besitzer noch als Besitzer gelten.
Nun ist soviel klar, daß dieser fortdauernde Besitz selbst nach dieser Meinung nicht in jeder Rücksicht behauptet werden konnte. Da man nämlich andere Interdicte hatte, um den verlornen Besitz wieder zu erlangen (recuperandae possessionis), andere um sich im Besitz selbst zu erhalten (retinendae possessionis), so war es in Beziehung auf die Interdicte des vorigen Besitzers weder möglich noch nöthig, jene Fortdauer zu behaupten, und diese Ansicht war nicht etwa einigen Juristen eigen, sondern
(118) Erster Abschnitt.
sie findet sich bey Allen, ja sie ist in dem Edict selbst deutlich ausgesprochen. Was man wieder erlangen will, muß man verloren haben, und was verloren ist, kann man jezt nicht mehr haben. – Dennoch darf folgende Stelle nicht übergangen werden, die selbst hierin einigen Zweifel erregen könnte (1): „Non alii autem, quam ei qui possidet (2), interdictum unde vi competere, argumentum praebet, quod apud Vivianum relatum est, si quis vi me dejecerit, meos non dejecerit, non posse me hoc interdicto experiri: quia per eos retineo possessionem, qui dejecti non sunt.“ Kehren wir die Ordnung um, was auf den logischen Zusammenhang offenbar keinen Einfluß hat, so ist dieses der Inhalt: „Vivian sagt,
(1) L. 1. §. 45. de vi.
(2) „qui non possidet.“ So lesen auser der Rehdigerschen Handschrift folgende Ausgaben des Digesti Novi: Rom. 1476, Norimb. 1483, Venet. 1485, Venet. 1494, Lugdun. 1513, Paris. 1536; so auch wahrscheinlich noch viele andere. Fleck (de interd. unde vi. p. 29.) drückt das so aus: „Accursius particulam: non inseruit, “ gleichsam als ob Accurs kritische Noten zu den Florentinischen Pandekten geschrieben hätte. Haloander hat die Florentinische Leseart, obgleich Jauch (de negat. Pand. p. 82.) und Fleck (l. c.) das Gegentheil sagen. Schon Markart hatte Jauchs falsche Angabe berichtigt (interpr. L. 2. C. 18.).
(119) Begriff des Besitzes.
wer aus einem Grundstück herausgeworfen wird, habe dennoch nicht das interdictum de vi, wenn seine Leute, die mit ihm zugleich den Besitz ausübten, nicht auch herausgeworfen werden: denn durch diese sezt Er selbst seinen vorigen Besitz fort. Diese Entscheidung bestätigt (argumentum praebet) die allgemeine Regel, daß nur der das Interdict gebrauchen kann, welcher jezt nicht mehr besizt.“ Die innere Nothwendigkeit dieses Zusammenhangs giebt der Leseart: qui non possidet so entschieden den Vorzug, daß weder das Alter des Florentinischen Manuscripts, noch die viel unbedeutendere Uebereinstimmung der Basiliken (1) dagegen angeführt werden kann. Damit aber ist alle Schwierigkeit dieser Stelle gehoben, ohne daß es nöthig wäre, den Text selbst zu verändern (2).
(1) Lib. 60. T. 17. (bey Fabrot Th. 7. S. 407.). Nämlich hier, so wie im 58ten Buch (ebend. Th. 6.), stehen auch noch possessorische und andere Interdicte. (vergl. o. S. 18.).
(2) Donellus (comm. L. 15. C. 32. p. m. 801.) erklärt die Stelle sehr richtig, und folgert aus dieser Erklärung, daß nothwendig non in dem Text stehen müsse: unrichtig aber ist die Bemerkung, die er dabey macht: „mendose legitur in omnibus exemplaribus, etiam Florentinis“ etc. – Einige lesen: qui possedit, d. h. wer besessen hat, d. h. wer jezt nicht mehr besizt. Offenbar ist diese Erklärung etwas
(120) Erster Abschnitt.
Also auf die Interdicte des vorigen Besitzers (dejectus) konnte die Meinung des Trebatius nicht gehen: wohl aber auf die des neuen Besitzers (dejiciens): wenn dieser nämlich gegen jenen das interdictum uti possidetis gebrauchen wollte, so schloß ihn ohne Zweifel eine Exception aus (1): nun läßt es sich denken, daß die Meinung des Trebatius diesen unbestrittenen practischen Satz dadurch erklären wollte, daß sie dem vorigen Besitzer in dieser Rücksicht fortdauernden Besitz zuschrieb. Unter dieser Voraussetzung, die bald durch eine Stelle Ulpians (2) deutlicher und wahrscheinlicher werden wird, hätte der ganze Streit in dieser Anwendung keinen practischen Zweck gehabt, aber die Meinung des Paulus hätte darum nicht weniger den Vorzug der gröseren Consequenz (3).
zwungen (!), und die Leseart selbst wird durch keine Handschrift bestätigt. Sie steht zuerst bey Rutgers (var. lect. Lib. 6. C. 20.), welchem sie von Baudius mündlich mitgetheilt worden war: Grotius hat sie gebilligt (flor. spars. p. 185. ed. Amst. 1643. 12.).
(1) L. 1. pr. uti possidetis.
(2) L. 3. pr. uti possidetis.
(1=3!) Auf diese Art könnte auch erklärt werden: L. 17. pr. de poss.: „Si quis vi de possessione dejectus sit, perinde haberi debet, ac si possideret: cum interdicto de vi reciperandae (!) possessionis facultatem
(121) Begriff des Besitzes.
Auser den Interdicten aber könnte der Satz des Trebatius auch auf die Usucapion sich bezogen haben, und nun wäre der Sinn dieser: wer mit Gewalt den Besitz verliert, hört deswegen doch nicht auf zu usucapiren. Von diesem Satz aber ist nicht nur in Justinians Compilation das Gegentheil entschieden (1), sondern es ist nach der ganzen Natur der Usucapion höchst unwahrscheinlich, daß ihn jemals ein Jurist behauptet habe.
B. Bey der heimlichen Occupation des Besitzes gilt ungefähr dasselbe, was über den gewaltsamen Besitz bisher gesagt worden ist. Indessen kommt hier eine besondere Regel bey Grundstücken in Betracht, die erst im dritten und vierten Abschnitt dargestellt werden kann. Deshalb ist es auch noch nicht möglich, eine Stelle von Ulpian (2) hier zu erklären, obgleich sie grade hier manche Mißverständnisse veranlaßt hat. Doch läßt es sich schon jezt zeigen, daß
habeat.“ – Doch läßt sich diese Stelle besser ohne alle Beziehung auf unsre Frage erklären, und zwar entweder von der hereditatis petitio, die gegen den dejectus als possessor geht (S. 75.), oder von den Cautionen, wovon Er gleichfalls frey ist (S. 69.) Für das lezte spricht die Inscription, vergl. mit L. 11. 12. qui satisd. cog.
(1) L. 5. de usurp. et usuc.
(2) L. 6. §. 1. de poss.
(122) Erster Abschnitt.
weder Ulpian, noch Labeo, den Er anführt, die Meinung des Trebatius auf diesen Fall anwenden: denn erstens haben Beide diese Meinung gar nicht gehabt (s. o. S. 116.), und zweitens sagt Ulpian am Ende: wenn der bisherige Besitzer verhindert werde, in sein Grundstück zurückzukehren, so habe der Andere eine violenta possessio. Da nun dieses nicht möglich wäre, wenn derselbe bis auf diesen Augenblick eine clandestina possessio gehabt hätte (1), so hat er nach Ulpians Meinung bisher noch gar keinen Besitz gehabt, und Ulpian nimmt also hier nicht zwey Besitzer zu gleicher Zeit an.
C. Beide Fälle zugleich, der gewaltsame nämlich, so wie der heimliche Besitz, werden in folgender Stelle beurtheilt (2): „Si duo possideant in solidum, videamus, quid sit dicendum: quod qualiter procedat, tractemus. Si quis proponeret possessionem justam, et injustam: ego possideo ex justa causa, tu vi aut clam: si a me possides, superior
(1) „non enim ratio obtinendae possessionis, sed origo nanciscendae exquirenda est.“ L. 6. pr. de poss. – Cuperus de nat. poss. P. 2. C. 20.
(2) L. 3. pr. uti possidetis.
(123) Begriff des Besitzes.
sum interdicto: si vero non a me, neuter nostrum vinceretur (1): nam et tu possides et ego.“ – Ulpian spricht von dem interdictum uti possidetis, angewendet auf den Besitz, den Mehrere in solidum haben. „Wie ist das möglich? nur so, daß der Eine juste, der Andere injuste, z. B. vi oder clam, besizt.“ Hier ist offenbar von der Meinung des Trebatius die Rede, aber ohne daß diese gebilligt wird, was auch nach andern Stellen nicht möglich wäre (s. o. S. 116.). Ulpian sagt: si quis proponeret: er nimmt also diese Meinung auf einen Augenblick als wahr an, um zu zeigen, wie das interdictum uti possidetis nach ihr zu beurtheilen wäre (2). Offenbar aber sezt er nur den Fall voraus, wenn der injustus, nicht wenn der justus possessor das Interdict gebrauchen will, denn dieser hätte nach den Worten des Edicts selbst, also nach der Meinung aller Juristen das interdictum de vi und nicht das interdictum uti possidetis. Also ist die Frage die: ein injustus possessor gebraucht gegen den (vorigen) justus possessor
(1) So lesen: Rom. 1476, Nor. 1483, Ven. 1485. (Florent. cum rel. „vincetur.“).
(2) Cuiacius in observ. Lib. 9. C. 32, Lib. 5. C. 22.
(124) Erster Abschnitt.
das interdictum uti possidetis, welches ist der Ausgang des Prozesses? entweder, sagt Ulpian, ist der Beklagte von diesem Kläger aus dem Besitz gesezt worden, und dann verliert der Kläger, so daß selbst jene Controverse hier keinen practischen Unterschied macht („superior sum interdicto, “ nämlich nach allen Meinungen: nach der Meinung des Trebatius, weil der Beklagte noch Besitzer, und zwar besserer Besitzer war als der Andere, nach der Meinung des Paulus, wegen der bekannten Exception): oder Er war von einem Dritten entsezt worden, und diesen hat der jezige Kläger wieder herausgeworfen, dann würde der Prozeß nicht zu entscheiden seyn (1) („neuter vinceretur, “ nämlich nach der hier vorausgesezten Meinung des Trebatius: anders nach
(1) Daß dieses der einzig mögliche Sinn des: neuter vinceretur oder vincetur sey, daß also nun der Richter keinen Theil verhindern dürfte, dem Andern Gewalt anzuthun, läßt sich leicht zeigen, obgleich es oft bezweifelt worden ist. Nämlich die Condemnation des Beklagten wird, wie Alle zugeben, dadurch ausgeschlossen, aber eben so auch die Lossprechung, denn theils ist bey diesem Interdict als einem remedium duplex, jede Lossprechung zugleich eine Condemnation, theils ist in dem ersten Fall, dem dieser zweite entgegengesezt wird eben diese Lossprechung gemeint
(125) Begriff des Besitzes.
der Meinung des Paulus und Ulpian, denn nun muste der Kläger gewinnen, weil der Beklagte weder selbst besaß, noch eine Exception gegen die Person des Klägers hatte). Hier zeigt sich also ein practischer Unterschied beider Meinungen, und dabey ist zugleich der Vorzug unsrer Meinung offenbar: ja es ist wahrscheinlich, daß Ulpian in dieser ganzen Stelle keine andere Absicht hatte, als durch diese Consequenz die Unhaltbarkeit der andern Meinung fühlbar zu machen.
C. = D. (!) Bey dem precarium sind zwey Fälle möglich: es ist entweder eine blose Detention, die sich erst durch die Verweigerung in eine (injusta) possessio verwandelt, oder es ist gleich Anfangs der juristische Besitz überlassen (S. 113.): für den ersten Fall existirt auser der allgemeinen und verworfenen Meinung des Sabinus (S. 116.) durchaus keine Anwendung, wohl aber für den zweiten, und hier sind die Compilatoren so inconsequent gewesen, die Meinung des Sabinus wieder aufzunehmen, die sie schon im allgemeinen und in allen übrigen Anwendungen verworfen hatten. Die Stelle ist von
(126) Erster Abschnitt.
Pomponius (1), und sie sagt ausdrücklich, wenn die possessio selbst einem Andern überlassen sey, habe zwar dieser Andere ohne Zweifel den Besitz bekommen, aber auch der Erste habe ihn behalten, obgleich dieses lezte bestritten worden sey. – Untersuchen wir hier wieder die Bedeutung dieses fortdauernden Besitzes: 1) auf das Interdict des Ersten (des rogatus) kann er nicht sich beziehen, weil dieser ohne Zweifel ein interdictum recuperandae possessionis (de precario) hat. 2) auf das Interdict des Andern (des rogans) gegen den Ersten bezogen, hätte der Satz wieder keine practische Bedeutung, weil dieses Interdict auch ohne Besitz des Beklagten durch eine blose Exception ausgeschlossen ist. 3) bey der Usucapion aber ist die Sache von Bedeutung, und hier behauptet demnach Pomponius, die Usucapion werde durch dieses precarium nicht unterbrochen. Aber grade dieser Zweck wird nach der andern Meinung auf eine Art erreicht, nach welcher diese Fiction eben so unmöglich als überflüssig wird: nämlich wenn die Sache zurückgegeben ist, wird nun der Zwischenbesitz des andern dem vorigen Besitzer
(1) L. 15. §. 4. de precario (Pomponius lib. 29. ad Sabinum).
(127) Begriff des Besitzes.
mitgerechnet (1), und diese accessio possessionis gilt selbst dann, wenn Er den Andern zur Restitution zwingen muste (2), die precaria possessio also hinterher, durch die verweigerte Restitution, injusta geworden war. Nun ist es sehr natürlich, daß die Juristen, die diese accessio possessionis behaupten, über den Besitz des rogatus überhaupt grade das Gegentheil von dem sagen, was Pomponius als Regel aufgestellt
(1) „ ... si tamen receperit possessionem rupto precario, dicendum esse, accedere possessionem ejus temporis, quo precario possidebatur.“ L. 13. §. 7. de poss. – Cuper (P. 2. C. 22.) findet es sehr seltsam, daß die Compilatoren diese Stelle auf die Usucapion bezogen haben, da sie ursprünglich das interdictum utrubi betraf. Allein wie es nur eine possessio giebt, so giebt es auch nur eine accessio possessionis. Alle accessio, zu welchem Zwecke es sey, sezt nichts anders voraus, als ein Verhältniß juristischer Succession zwischen dem vorigen und jezigen Besitzer. Succession nämlich gilt nie bey dem Besitz an sich (S. 23.), sondern nur insofern etwas auser seinem blosen Daseyn nöthig ist, z. B. Fortdauer durch einen bestimmten Zeitraum, wie bey dem interdictum utrubi und der Usucapion: nun aber ist diese Accession immer dieselbe in allen verschiedenen Anwendungen.
(2) „Si jussu judicis res mihi restituta sit, accessionem esse mihi dandam placuit.“ L. 13. §. 9. de poss. – Diese Regel geht auf alle Fälle überhaupt, in welchen eine juristische Succession zwar begründet ist (z. B. durch einen Kauf), die Restitution des Besitzes selbst aber erzwungen werden muß. Giphanius in L. cit. (lectur. Altorph. p. 467.).
(128) Erster Abschnitt.
hatte (1), und es ist hier weniger als in irgend einem Falle bedenklich, die eine Stelle der Pandekten durch die andere als aufgehoben zu betrachten, weil in der lezten für alles das gesorgt ist, was die erste, nur auf andere Art, bewürken wollte.
Die Resultate dieser Untersuchung über die Meinungen der Römischen Juristen sind diese:
1. Die Regel: plures eandem rem in solidum possidere non possunt ist als Regel zu jeder Zeit anerkannt worden.
2. Die Ausnahmen dieser Regel, über welche allein gestritten wurde, waren nicht von groser Bedeutung.
3. In Justinians Compilation ist die Regel selbst, als allgemeine Regel, anerkannt.
4. Schon deswegen kann in dem neuesten Römischen Recht von keinen Ausnahmen mehr die Rede seyn, aber auch unabhängig davon läßt sich hier keine einzelne dieser Ausnahmen behaupten.
(2) „ ... Si quis ... et mente possessionem tradidit, ut postea ei restituatur, desinit possidere.“ L. 17. §. 1. de poss. – Diese Stelle und die L. 13. de poss. sind beide aus demselben Werke (Ulpianus ad edictum).
(129) Begriff des Besitzes.
Hieraus folgen nun zwey sehr wichtige Regeln, die sich auf die ganze Theorie des Besitzes erstrecken:
A.) Wenn die Gesetze sagen, daß der bisherige Besitz fortdauere, so folgt daraus, daß noch kein neuer Besitz angefangen haben könne.
B.) Wenn die Gesetze einen neuen Besitzer anerkennen, so muß eben deshalb der vorige Besitz aufgehört haben.
Der practische Sinn beider Sätze wird durch folgendes Beyspiel deutlicher werden, das sich auf den ersten derselben bezieht: die Gesetze sagen, daß der Besitz eines Grundstücks, welches heimlich von einem Andern occupirt wird, solange fortdauere, bis der vorige Besitzer die Occupation erfahren habe (Abschn. 3.). Wenn nun der, welcher heimlich das Grundstück occupirt hat, von einem Dritten mit Gewalt herausgeworfen wird, so müste dieser Dritte nach der Regel des Erwerbs überhaupt (Abschn. 2.) sogleich Besitzer geworden seyn: nach unsrem Grundsatz aber hat Er den Besitz noch nicht erworben. – Beide Sätze gehören an sich nicht zu den juristischen Modificationen des Besitzes (S. 24.) sondern sie folgen aus dessen ursprünglichem Begriff (S. 111.), aber sie können mit einer andern Fiction in Verbindung gebracht werden, und das war der Fall in dem hier gegebenen Beyspiel.
(130) Erster Abschnitt.
Unter den neueren Juristen sind über diesen Gegenstand die Meinungen noch viel mehr getheilt gewesen, als bey den Römern, weil bey jenen, aber nicht bey diesen (1), ganz falsche Begriffe von possessio überhaupt und ihren Eintheilungen hinzukamen, wodurch die Frage völlig verwirrt werden muste. Doch haben Mehrere die richtige Meinung gründlich vertheidigt (2): Einige haben gradezu das Gegentheil behauptet (3): die Meisten haben durch Distinctionen beide Extreme zu vermitteln gesucht, also die possessio plurium theils zugelassen, theils verworfen (4). – Vaconius und
(1) Doch ist selbst dies nicht unbestritten. Nämlich Merillius (observ. L. 2. C. 31.) erklärt den ganzen Streit der Römer für Wortstreit: was Einige possessio civilis und naturalis nannten, sollen Andere durch possidere und in possessione esse unterschieden haben (s. o. S. 92.).
(2) Cuiacius in observ. L. 9. C. 32, et L. 5. C. 22. ID. in L. 3. §. 5. de poss. (opp. T. 5. p. 708, et T. 8. p. 257.). Obrecht de poss. Cap. 8. Merenda in contr. Lib. 12. C. 13. 23. (unter Allen am richtigsten). Valentia in ill. jur. tract. L. 1. Tr. 2. C. 3. Ramos de poss. Praetermiss. C. 1. (ap. Meerm. T. 7. p. 84.) Retes de poss. P. 1. C. 2. (ibid. p. 463.).
(3) „Martinus cum suis Gosianis.“ (Glossa in L. 3. pr. uti poss.). Auch gehören dahin Einige, die nur zum Schein, und um nicht gradezu den Gesetzen zu widersprechen, Distinctionen gebraucht haben, z. B. Zasius in L. 3. §. 5. de poss. (opp. T. 3. p. 111-116. cf. p. 125. 132. 133. 155.) und Oppenritter in Summa Poss. P. 2. C. 3.
(4) Azo in lectura tit. uti
(131) Begriff des Besitzes.
Galvanus (!) haben nicht nur mehrere gleichzeitige Besitzer derselben Sache für möglich gehalten, sondern sogar mehrere Usucapionen: wenn die erste geendigt sey, dauere die andere immer noch fort, und durch Vollendung der zweiten werde das Eigenthum wieder genommen, welches die erste gegeben habe. Schon früher hat die Glosse über diese Meinung ein richtiges Urtheil ausgesprochen (1). – Die merkwürdigste Meinung ist die von Westphal (2): nachdem er die Römischen Juristen völlig misverstanden hat, erklärt er sich über die Sache selbst also: „es kommt hier blos auf gewisse theoretische Resultate an, welche sie glaubten aus den Gesetzen oder der Natur der Sache
poss., et in Summa tit. de poss. n. 10-15, Glossa in L. 3. §. 5. de poss. Alciatus in L.1. pr. de poss. n. 64-65. Vaconius in declar. 72. fol. 68. Duarenus in L. 3. §. 5. de poss. (opp. p. 853.) Giphanius in L. 3. §. 5. de poss. (lect. Alt. p. 418.) Galvanus de usufructu C. 34. in fin. Cuperus de nat. poss. P. 2. C. 13-21. (seine ganze Darstellung ist sehr gründlich und gut, aber am Schlusse giebt er alle Vortheile derselben verloren, weil es ihm an einem richtigen Begriff von possessio fehlt). – Auch scheint in: C. 9. X. de probat. diese Meinung zum Grunde zu liegen.
(1) Glossa in L. 3. §. 5. de poss. (es wird hier eine andere Meinung durch folgende Consequenz widerlegt): „ergo si omnes habeant bonam fidem ... omnes usucapiunt: quod est absurdum.“
(2) über die Arten der Sachen, Besitz (et)c. Th. 2. Cap. 2. §. 65.
(132) Erster Abschnitt.
abgeleitet zu haben, die uns also kein Gesetz machen, wenn sie unrichtig gefolgert sind.“ Nun legt er den Römern diesen Fall vor: Ich entsetze einen Andern gewaltsam aus dem Besitz, ein gleiches widerfährt Mir von Cajus, nun besitze ja Ich und Cajus zugleich! „Den Fall haben die Alten vermuthlich nicht in Erwägung gezogen.“
Die erste Regel, die aus dieser ausschliesenden Natur des Besitzes für den Erwerb und Verlust desselben abgeleitet worden ist (S. 129.), hat man gewöhnlich durch den Satz ausgedrückt: die possessio muß vacua seyn, um erworben werden zu können. Nämlich bey der freywilligen Uebergabe, so wie bey der gewaltsamen Entsetzung wird die possessio im Augenblick des Erwerbs selbst vacua: wo das nicht ist, wie z. B. bey der heimlichen Occupation eines Grundstücks, kann eben wegen unsres Grundsatzes kein Besitz erworben werden, und so ist die Anwendung dieses Grundsatzes durch jenen Ausdruck ganz richtig bezeichnet. (1). Mehrere Schriftsteller haben diese Bestimmung selbst in die Definition des Besitzes aufgenommen (2): allein, obgleich dieses in seinen practischen Folgen nicht unrichtig ist, führt es doch zu der
(1) Obrecht de possessione Cap. 8.
(2) Obrecht de possessione Cap. 2. §. 43: „ ... possessionem esse detentionem rei vacuae ... “. cf. §. 89.
(133) Begriff des Besitzes.
falschen Ansicht, als ob in dem Begriff selbst etwas dadurch bestimmt würde, da doch dieses Merkmal blos negativer Art ist. – Cuper hat zuerst die Regeln ausdrücklich angegeben (1), die man vorher entweder gar nicht aufzustellen, oder durch den Ausdruck vacua possessio auszudrücken pflegte: aber er macht hiervon, wie von seiner richtigen Ansicht dieser Sache überhaupt, einen sehr einseitigen Gebrauch.
§. 12.
Nun erst ist es möglich, über den Plan der folgenden Abhandlung bestimmte Rechenschaft zu geben. Es giebt überhaupt zwey juristische Beziehungen des Besitzes, auf Usucapion und auf Interdicte (§. 2.): allein bey der Usucapion ist es nicht der Besitz allein, was sie möglich macht, sondern es müssen noch andere juristische Bestimmungen hinzukommen, bey den Interdicten kommt es lediglich auf das Daseyn des Besitzes an (§. 7. n. 3.).
Da also das einzige Recht des blosen Besitzes in den Interdicten besteht, so ist das Recht der Interdicte das, was hier dargestellt werden soll. Demnach wird von der Usucapion nicht weiter die Rede seyn: allein alles, was hier vorgetragen werden soll,
(1) de nat. poss. P. 2. C. 19.
(134) Erster Abschnitt.
steht dennoch in genauer Beziehung auf die Usucapion, weil es ganz derselbe Besitz ist, der bey den Interdicten und bey der Usucapion als Bedingung vorausgesezt wird. Nur was zu dem Besitz selbst noch hinzukommen muß, um ihn der Usucapion fähig zu machen, gehört allein in die Theorie des Eigenthums. Aber eben wegen dieser genauen Verbindung des Besitzes mit der Usucapion sind die Gesetze, worin diese lezte bestimmt wird, auch in der Theorie des Besitzes überhaupt als Quellen zu gebrauchen: auch ist bereits in der Quellenkunde diese Bemerkung benuzt worden.
Es ist demnach ein Theil des Obligationenrechts, welcher hier dargestellt werden soll (§. 6.), und es werden zwey Fragen beantwortet werden müssen, um diese Aufgabe vollständig zu lösen. Erstens: wann ist Besitz vorhanden, d. h. wann ist das Daseyn des Verhältnisses anzunehmen, ohne welches diese obligatio ex delicto nicht entstehen kann? Zweitens: was muß zu jenem Verhältniß hinzukommen, damit diese obligatio würklich entstehe (1), d. h. wie muß
(1) Es bedarf kaum einer Erinnerung, daß dadurch die possessio ad interdicta nicht etwa der possessio ad usucapionem ähnlich werde, bey welcher auch etwas zu dem blosen Daseyn des Besitzes hinzukommen muste. Denn was bey der Usucapion hinzukommen muß, sind in der That Bestimmungen des Besitzes selbst: dagegen ist hier blos von einer bestimmten
(135) Begriff des Besitzes.
der Besitz verlezt werden, wenn die obligatio aus dieser Verletzung entstehen soll? Die erste dieser Fragen ist wieder in zwey andere aufzulösen: wie wird der Besitz erworben? (Abschn. 2.) wie wird der erworbene Besitz wieder verloren? (Abschn. 3.) – Die zweite Frage wird durch die Darstellung der verschiedenen Interdicte beantwortet seyn (Abschn. 4.), indem diese den verschiedenen Formen der Verletzung selbst correspondiren.
Allein noch ist einer Beziehung des Besitzes nicht erwähnt worden, die hier, wo für jeden Theil der folgenden Abhandlung der Gesichtspunct angegeben werden soll, nothwendig erklärt werden muß. Ich habe nämlich bisher stillschweigend vorausgesezt, daß aller Besitz nur auf Körper sich beziehen könne. Auch im Römischen Recht kommt nur einmal dieser Satz vor, und selbst da nicht mit bestimmter Ausschliesung des Gegentheils (1): aber er ist in der ganzen Darstellung der Römischen Juristen so offenbar enthalten, daß man schon von ausen einen falschen Begriff mit hinzugebracht haben muß, um ihn bezweifeln zu können. Nun wird aber auch eine Beziehung des Besitzes auf unkörperliche
Art der Verletzung die Rede, wodurch die Natur des Besitzes durchaus keine neue Bestimmungen erhält.
(1) „Possideri autem possunt quae sunt corporalia.“ L. 3. pr. de poss.
(136) Erster Abschnitt.
Sachen behauptet: was dieser Besitz in dem Römischen Recht selbst und bey unsern Juristen für eine Bedeutung habe, soll also hier untersucht werden.
Das Recht der Interdicte gründete sich darauf, daß die Ausübung des Eigenthums auf eine unrechtliche Art, z. B. durch Gewalt, gestört wurde. Wenn nun bey irgend einem andern Rechte auch eine gewaltsame Störung der blosen Ausübung gedacht werden könnte, so wäre es ganz consequent, auch gegen diese Störung durch solche Interdicte zu schützen. Das ist aber der Fall bey allen Bestandtheilen des Eigenthums, welche als eigne Rechte für sich und abgesondert vom Eigenthum selbst existiren können. Ein solches Recht ist der ususfructus, und es ist auf den ersten Blick klar, daß hier eine gewaltsame Störung eben so leicht gedacht werden könne, als bey dem Eigenthum selbst: eben so bey allen übrigen Servituten, und eben so bey den Rechten, die von den neuern Juristen dominium utile genannt werden: kurz, bey allen Rechten überhaupt, welche unter dem Namen jura oder jura in re, als abgesonderte Bestandtheile des Eigenthums, dem dominium, als der Totalität aller Sachenrechte überhaupt, entgegen gesezt werden (1). – Hier ist
(1) Daß dieses und nichts anderes unter jus in re von den Römern verstanden wird, das dominium also ihm sogar entgegengesezt
(137) Begriff des Besitzes.
demnach eine mögliche Beziehung des Besitzes auf andere Rechte als das Eigenthum gefunden, und diese Beziehung ist in dem Römischen Recht würklich enthalten. Also wie der wahre Besitz in der Ausübung des Eigenthums besteht, so besteht dieser nachgebildete Besitz in der Ausübung eines jus in re: und wie man bey dem wahren Besitz zwar die Sache besizt (possessio corporis), aber nicht das Eigenthum, so sollte auch hier eigentlich nicht von dem Besitz der Servitut (possessio juris), die Rede seyn. Allein da wir kein anderes Wort haben, an welches wir hier den Besitz knüpfen könnten, so wie er im Eigenthum mit der Sache verknüpft ist, so bleibt nichts übrig, als dennoch jenen uneigentlichen Ausdruck zu gebrauchen: dabey ist nur nie zu vergessen, daß es
ist, hat Wächtler vollständig bewiesen (de jure in re, Viteb. 1682. 12, auch in: Thomasii diss. Lipsiens., Lips. et Hal. 1696. 4. p. 235.). Huber (animadv. ad jus in re, in seinen digress. lib. 4, zwischen C. 10 und 11, auch in: Feltmannorum opp. Arnhem. 1764. f. T. 2. p. 257.) scheint ihn benuzt zu haben, doch ohne ihn zu nennen: aber Huber giebt dieser Meinung eine Ausdehnung, wodurch wieder alle Bestimmtheit des Begriffs aufgehoben wird: auch der Commodatar nämlich soll jus in re haben. Dasselbe behauptet Thibaut (Versuche, B. 2. S. 32.). Die einzige Veranlassung dieser Meinung ist L. 2. §. 22. vi bon. rapt., allein die Worte „vel quod aliud jus“ lassen sich nicht nur eben so gut, sondern viel besser auf „sive usumfructum“ allein beziehen.
(138) Erster Abschnitt.
würklich ein uneigentlicher Ausdruck ist, und daß nichts anderes damit bezeichnet werden soll, als die Ausübung eines jus in re, welche zu dem jus in re selbst in demselben Verhältniß steht, wie der eigentliche Besitz zum Eigenthum. Die Römischen Juristen haben das alles sehr deutlich gedacht: und nur auf diese Art erklärt es sich, warum ihr Sprachgebrauch hier so schwankend zu seyn scheint. In manchen Stellen nämlich wird hier possessio gradezu geläugnet (1), in andern auch gradezu angenommen (2), in noch andern aber wird das uneigentliche, was in diesem Sprachgebrauch liegt, durch quasi possidere, quasi in possessione esse bezeichnet (3).
(1) „neque ususfructus neque usus possidetur, sed magis tenetur.“ L. 1. §. 8. quod legat.
(2) „jus fundi possedisse“ L. 7. de itin. – „jus possedit.“ L. 2. comm. praed. – „possessionem vel corporis vel juris.“ L. 2. §. 3. de precar. – „Nemo ambigit, possessionis duplicem esse rationem: aliam quae jure consistit, aliam quae corpore.” L. 10. C. de poss. Nämlich consistere jure, corpore heist hier: ein jus oder ein corpus zum Gegenstand haben. Cuper (P. 1. C. 4.) hat diese Interpretation sehr gründlich durchgeführt, und man kann sie als den gelungensten Theil seiner Schrift betrachten.
(3) „ususfructus nomine ... quasi in possessione.“ L. 3. §. 17. de vi. – „ususfructus quasi possessio.” L. 23. §. 2. ex quibus causis majores. – „longa quasi possessione jus aquae ducendae nanctus.” L. 10. pr. si servitus vind. – – Quasipossessio, als ein Wort, kommt nie vor, sondern quasi wird hier,
(139) Begriff des Besitzes.
Bey diesem sogenannten Besitz unkörperlicher Sachen ist es nöthig, eine zweyfache Verwechslung sorgfältig zu vermeiden. Erstlich kann in derselben Person zugleich von einer possessio corporis und juris die Rede seyn, diese müssen genau unterschieden werden, und dadurch, daß man sie nicht immer unterschieden hat, ist der Begriff des Besitzes nicht wenig verwirrt worden. So z. B. hat der fructuarius an der Sache selbst, d. h. in Beziehung auf das Eigenthum, gar keinen juristischen Besitz, so daß seine possessio blos naturalis ist (1), und daß der juristische Besitz des Eigenthümers durch Ihn eben so wenig verhindert wird, als durch einen blosen Pachter: allein an seinem jus ususfructus hat Er den juristischen Besitz, und deswegen kann Er die possessorischen Interdicte ohne Zweifel gebrauchen. Durch die ganz unrichtige Verbindung jener possessio naturalis mit diesem Recht auf die Interdicte ist Bassian zu einem zweyfachen Irrthum geführt worden (S. 95.), indem er nicht nur die possessio ad interdicta durch naturalis possessio bezeichnete, sondern auch dem fructuarius den juristischen Besitz der Sache selbst beylegte, den der
wie bey: obligatio quasi ex contractu (et)c. immer adverbialiter gebraucht, so daß durchaus kein Fall existirt, in welchem es nicht gradezu durch: gleichsam übersezt werden könnte.
(1) L. 12. pr. de poss.
(140) Erster Abschnitt.
Pfandglaubiger würklich hat: aus welchen Irrthümern dann nothwendig noch der Dritte folgen muste, daß zwey juristische possessiones (nämlich eine civilis und eine naturalis) neben einander sollten gedacht werden können (S. 130.). – Die zweite Verwechslung, die hier verhütet werden muß, ist diese: es ist oben einer possessio ususfructus und einer possessio hereditatis (bonorum) erwähnt worden, d. h. des ususfructus, oder des Erbrechts, die blos durch das Edict, nicht nach Civilrecht, bestehen (S. 72.): eben so ist eine juris possessio bey der hereditatis petitio und eine libertatis und servitutis possessio bey dem liberale judicium vorgekommen (S. 75.): damit steht die jurium quasi possessio, wovon hier die Rede ist, durchaus in keiner Verbindung, da in jenen Stellen possessio selbst gar nicht mehr den Besitz, sondern entweder ein blos prätorisches Recht, oder das prozessualische Verhältniß eines Beklagten bezeichnet.
Ein groser Theil unserer Juristen hat diesen Theil der Theorie des Besitzes gänzlich misverstanden. Weil man nämlich die bestimmte Bedeutung des Römischen: jus (in re) übersah, erklärte man die jurium quasi possessio für Ausübung eines Rechts überhaupt (1):
(1) Indessen ist nicht zu läugnen, daß bey den Meisten auch das Canonische Recht mit zu diesem Begriffe beytrug: davon unten.
(141) Begriff des Besitzes.
nun läßt sich freylich bey jedem Recht auch eine Ausübung denken, aber nicht bey jedem eine gewaltsame Störung oder Usucapion, und doch sind das die einzigen Beziehungen, unter welchen die Ausübung eines Rechts als ein juristisches Verhältniß betrachtet wird. – Durch jene leere Abstraction kam Hommel (1) zu der Frage, die er selbst für unauflöslich erklärt: warum der Arzt, den man zu brauchen aufhöre, nicht im Besitz dieses Rechts geschüzt werden müsse? Spangenberg (2) gieng in der Vollständigkeit so weit, daß er als den ersten möglichen Gegenstand der quasipossessio das Eigenthum selbst nannte. Da indessen auch der Besitz als ein Recht in den Gesetzen betrachtet wird, so ist nicht einzusehen, warum es nicht auch eine possessionis quasi possessio geben sollte: dieser Besitz der zweiten Potenz wäre natürlich wieder Gegenstand eines neuen Besitzes, und so in’s unendliche fort. Sibeth ist hier, wie überhaupt, ganz originell: er läugnet alle juris quasi possessio überhaupt (3), und geht übel
(1) rhapsod. 489.
(2) vom Besitz §. 102.
(1=3!) Eines seiner besten Argumente lautet so (vom Besitz, S. 69.): „Die natürliche Freyheit schlägt alles zu Boden, denn sie ist nicht nur in der Vernunft, sondern auch in den Gesetzen gegründet.“ Wenn sich die natürliche Freiheit so aufführt, muß man sie ihrer natürlichen Freiheit berauben.
(142) Erster Abschnitt.
mit den Juristen um, die sie behaupten: natürlich weis er hier, wie überall, gar nicht, wovon die Rede ist.
Es muß also nun zu der Theorie des Besitzes selbst (Abschn. 2-4.) noch die Theorie der Anwendung seiner Grundsätze auf jura in re (Abschn. 5.) hinzukommen.
Allein auch damit ist noch nicht alles geleistet. Der Begriff und die Rechte des Besitzes sind nämlich in den Gesetzgebungen neuerer Zeiten auf mancherley Weise anders als bey den Römern bestimmt worden. Soll also eine Theorie des Besitzes auf practische Anwendung Anspruch machen können, so muß sie den Ansichten des Römischen Rechts die Modificationen hinzufügen, unter welchen jene Ansichten für uns practische Gültigkeit haben. Allein auch für die gründliche Kenntniß des Römischen Rechts ist dieser lezte Theil der Untersuchung (Abschn. 6.) nicht ohne Werth, indem das Wesentliche vom Zufälligen auf keine Art sicherer geschieden werden kann, als wenn die Grundsätze beybehalten, und nur die Bedingungen der Anwendung verändert werden.
Demnach ist der Gang der folgenden Untersuchung dieser: zuerst wird das Römische Recht vollständig dargestellt (Abschn. 2-5.), dann werden die Modificationen der neuern Gesetzgebungen hinzugefügt werden (Abschn. 6.). Das Römische Recht betrifft theils den
(143) Begriff des Besitzes.
Besitz selbst (Abschn. 2-4.), theils die Anwendung seiner Grundsätze auf jura in re (Abschn. 5.): Das Recht des Besitzes selbst aber beruht theils auf dem Daseyn des Besitzes (Abschn. 2. 3.), theils auf den bestimmten Formen seiner Verletzung (Abschn. 4.).
(144)
Zweiter Abschnitt.
Erwerb des Besitzes.
§. 13.
Der Inhalt dieses Abschnitts ist bereits durch die Darstellung des materiellen Begriffs des Besitzes (§. 10.) vorgezeichnet. Aller Erwerb des Besitzes nämlich beruht auf einem körperlichen Handeln (factum), von einem bestimmten Wollen (animus) begleitet (1). Das Factum muß den, welcher den Besitz erwerben soll, in eine solche Lage setzen, daß Er, und Er allein, nach Willkühr die Sache behandeln, d. h. Eigenthum ausüben könne. Das Wollen muß darauf gerichtet seyn,
(1) „apiscimur possessionem corpore et animo, neque per se animo aut per se corpore.“ L. 3. §. 1. de poss. – „Possessionem adquirimus et animo et corpore ... “ Paulus V. 2. §. 1. – L. 8. de poss., L. 153. de R. I.
(145) Erwerb des Besitzes.
daß die Sache auch würklich als eine eigne Sache behandelt werde: nur wenn der Besitz durch eine juristische Handlung von dem früheren Besitz eines Andern abgeleitet wird, ist es genug, diese Veräuserung zu wollen, so daß nun der Besitz erworben werden kann, obgleich das Eigenthum einer andern Person anerkannt wird.
Allein der Besitz wird als Recht betrachtet, und alle Rechte überhaupt kann Jeder nicht nur durch seine eignen Handlungen, sondern auch durch die Handlungen seiner Sclaven und Kinder erwerben (1): ja der Besitz kann uns selbst auser diesen beiden juristischen Verhältnissen durch Andere erworben werden (2). In allen diesen Fällen aber, in welchen durch Andere der Besitz erworben werden soll, gilt dieselbe Regel des Erwerbs, wie bey eignen Handlungen, und es ist nur zu bestimmen, wie diese Regel hier angewendet werden müsse.
Dieser Abschnitt wird demnach folgende Gegenstände zu untersuchen haben:
1. Das körperliche Handeln, welches die erste Bedingung alles Besitzes ist.
2. Das Wollen, was mit jenem Handeln theils bey
(1) pr. 1. per quas pers.
(2) §. 5. 1. per quas pers.
(146) Zweiter Abschnitt.
dem ursprünglichen, theils bey dem abgeleiteten Besitz verbunden seyn muß.
3. Die Anwendung aller dieser Regeln auf den Erwerb durch Andere.
Erst am Schluß des ganzen Abschnitts wird vollständig angegeben werden können, wodurch der Erwerb des Besitzes von dem Erwerb aller andern Rechte sich unterscheide.
§. 14.
In der ganzen Theorie des Besitzes scheint nichts leichter und sicherer zu bestimmen, als die Beschaffenheit der körperlichen Handlung (factum), welche zum Erwerb des Besitzes nöthig ist: und doch ist über keinen Punct das Römische Recht so allgemein misverstanden worden, als über diesen. Alle Schriftsteller nämlich haben unter jenem Factum eine unmittelbare Berührung des eignen Körpers gedacht, also nur zwey Arten desselben angenommen: Ergreifen mit der Hand bey beweglichen Sachen, und Betreten mit den Füsen bey Grundstücken. Da aber in den Gesetzen viele Fälle vorkommen, in welchen zwar auch durch körperliche Handlungen, aber ohne solche unmittelbare Berührung, Besitz erworben wird, so hat man diese als symbolische
(147) Erwerb des Besitzes.
Handlungen betrachtet, wodurch vermittelst einer juristischen Fiction die wahre Besitzergreifung repräsentirt werde (actus adscititii, apprehensio ficta). Da diese Ansicht der Sache ganz allgemein ist (1), so hat man es nie für nöthig gehalten, ihre Richtigkeit zu beweisen, und sie kommt daher bey allen Schriftstellern so ziemlich auf dieselbe Art vor: deswegen ist es hier für die Geschichte derselben hinreichend, zu bemerken, daß schon die Glossatoren sie haben (2), und daß selbst Donellus nicht frey davon ist (3).
Nun ist oben (§. 5.) gezeigt worden, daß allerdings der Besitz von den Gesetzen oft angenommen werde, ohne daß die natürliche Detention vorhanden ist. Daß also überhaupt eine ficta possessio gedacht werden
(1) Ich nenne sie allgemein, weil die Ausnahmen davon nicht nur unbedeutend, sondern auch ohne Einfluß geblieben sind. So sind Einige durch naturrechtliche Misverständnisse auf die ganz unrichtige Ansicht gekommen, die freylich zu ganz andern Resultaten führt: es komme blos auf Willenserklärung an. Dahin gehören: S. P. Gasser diss. de apprehensione possessionis. Hal. 1731. (C. 1. 2.). Beni. Pauw diss. de apprehensione possessionis. Trajecti 1737. (C. 1. 2.). – Spuren dieser Meinung finden sich schon früher, z. B. bey Noodt (probab. II. 6.), der sogar über den Grundsatz der Apprehension unter den Römischen Juristen Streit entstehen läßt.
(2) Azonis Summa in Cod., tit. de poss. num. 7. 8. (fol. 134.).
(3) Donelli comment. Lib. 5. Cap. 9.
(148) Zweiter Abschnitt.
könne, ist kein Zweifel, und die Frage ist nun so zu bestimmen: kommt bey dem Erwerb des Besitzes eine solche Fiction würklich vor, so daß hier symbolische Handlungen die Stelle der eigentlichen apprehensio vertreten können? (1). Daß es für die Theorie von Wichtigkeit sey, eine richtige Antwort auf diese Frage zu finden, bedarf keines Beweises: aber es fehlt auch nicht an practischen Folgen, die davon abhangen, obgleich zunächst blos von der juristischen Erklärung der einzelnen Fälle die Rede ist, welche selbst in den Gesetzen ausdrücklich bestimmt sind. Gründen sich nämlich jene Fälle blos auf eine juristische Fiction, so ist es ganz consequent, sie auf mancherley Weise zu beschränken, und diese Einschränkungen, die keinesweges selbst in den Gesetzen bestimmt sind, haben unsere Juristen hinzuzuthun nicht versäumt. So soll aller Erwerb dieser Art ausgeschlossen seyn, wenn die Handlung unrechtlich ist, also den Vortheil einer juristischen Fiction nicht verdient (2): eben so, wenn nicht durch eigne Handlungen, sondern durch andere Personen Besitz
(1) Also ist ficta possessio die Gattung, unter welcher die possessio per fictam apprehensionem quaesita als Art enthalten ist. Mehrere haben mit groser Mühe und ohne Zweck dieses zu widerlegen gesucht: Alciatus in L. 18. de poss. n. 3. 4. (p. 1245). Duarenus in L. 1. §. 21. de poss. (p. 840.).
(2) Retes de poss. P. 1. C. 2. §. 18. (p. 463). – Gomez in Leges Tauri, L. 45. num. 20-31, 45-90.
(149) Erwerb des Besitzes.
erworben werden soll (1): ja es wird dieser Erwerb blos auf die Uebertragung eines fremden Besitzes durch Tradition beschränkt (2), oder gar nur als Folge des Eigenthums betrachtet, das also immer zugleich erworben seyn müste, wenn der Besitz auf diese Art erworben werden sollte (3). Andere Folgen jener Ansicht, die mehr das Detail betreffen, werden unten vorkommen.
Diese ganze Ansicht wird schon im allgemeinen sehr unwahrscheinlich, wenn man in Erwägung zieht, auf welche Art auserdem symbolische Handlungen im Römischen Recht vorkommen. Die Mancipation, die Manumission, die Vindication – alle solche Handlungen, bey welchen sich würklich positive Formen finden, sind dem Römischen Recht ganz eigenthümlich. Bey allen juristischen Handlungen dagegen, die auch bey andern Völkern gewöhnlich waren (z. B. Kauf, Pacht u. s. w.) wurden solche positive Formen durchaus nicht gebraucht. Nun ist der Besitz an sich noch viel weniger juristisch, als die Geschäfte dieser zweiten Art: ja er ist ursprünglich gar kein juristisches Verhältniß. Zwar bekommt er
(1) Zasius in L. 1. §. 21. de poss. (p. 93.) et in L. 18. eod. (p. 150.). – Valentia in ill. jur. tract. L. 1. Tr. 2. C. 14.
(2) Alciatus in L. 1. pr. de poss. num. 56-61. – Donellus in comment. L. 5. C. 9. – Obrecht de possessione. C. 6.
(3) Azo in Summa, tit. de poss. n. 7. 8. (fol. 134.) – Zasius l. c. (not. 1.).
(150) Zweiter Abschnitt.
eine zweyfache juristische Beziehung, unter andern auf die Usucapion, die auch ganz dem Römischen Recht eigen ist: allein grade hier soll durch die Dauer des Besitzes erst ergänzt werden, was ihm selbst fehlt, und es liegt also in dieser Beziehung auf das Civilrecht durchaus kein Grund, bey der Entstehung des Besitzes Römische Formen zu gebrauchen. Demnach wäre es gegen alle Analogie, wenn der Erwerb des Besitzes würklich durch symbolische Handlungen vor sich gehen könnte.
Soll nun überhaupt nicht von einer ficta apprehensio im Römischen Recht die Rede seyn, soll vielmehr aller Erwerb des Besitzes auf eine und dieselbe körperliche Handlung zurückgeführt werden können, so muß der Begriff dieser körperlichen Handlung anders bestimmt werden, als er von allen Schriftstellern stillschweigend vorausgesezt worden ist, weil nur durch diese Voraussetzung die Annahme einer ficta apprehensio nothwendig wurde. Es wird am leichtesten seyn, von jenem falschen Begriff selbst auszugehen, um den richtigen Begriff aufzusuchen.
Wer ein Stück Geld in der Hand hält, ist Besitzer desselben, daran ist kein Zweifel: und von diesem und andern ähnlichen Fällen wurde eben der Begriff einer körperlichen Berührung überhaupt abstrahirt, welche in allem Erwerb des Besitzes das wesentliche
(151) Erwerb des Besitzes.
seyn sollte. Aber es liegt in jenem Fall noch etwas anderes, was nur zufällig mit dieser körperlichen Berührung verbunden ist: nämlich die physische Möglichkeit, auf die Sache unmittelbar zu würken, und jede fremde Würkung auf sie auszuschliesen. Daß beides in jenem Fall enthalten sey, wird niemand läugnen: daß es mit körperlicher Berührung nur zufällig verbunden sey, folgt daraus, daß jene Möglichkeit ohne diese Berührung, und eben so diese Berührung ohne jene Möglichkeit gedacht werden kann. Das erste: denn wer in jedem Augenblick eine Sache ergreifen kann, die vor ihm liegt, ist ohne Zweifel eben so unumschränkter Herr dieser Sache, als wer sie würklich ergriffen hat. Das zweite: denn wer mit Stricken gebunden ist, berührt diese unmittelbar, und doch könnte man leichter behaupten, daß er von ihnen besessen werde, als daß er sie besitze.
Jene physische Möglichkeit also ist das, was als factum in allem Erwerb des Besitzes enthalten seyn muß: aus ihr lassen sich alle einzelne Bestimmungen der Gesetze auf gleiche Weise erklären, körperliche Berührung ist in jenem Begriff gar nicht enthalten, und es ist kein Fall mehr übrig, für welchen eine ficta apprehensio angenommen werden müste.
Dieser Satz ist jezt zu beweisen, d. h. es ist zu zeigen, daß er in allen Anwendungen würklich enthalten
(152) Zweiter Abschnitt.
ist, die sich in den Gesetzen finden. Dann erst wird es möglich seyn, diesen Begriff der körperlichen Handlung (factum) vollständig zu bestimmen, da er hier nur angedeutet werden konnte.
§. 15.
Zuerst also: was muß geschehen, damit an unbeweglichen Sachen, (an Grundstücken) der Besitz erworben werde?
Um diesen Besitz zu erwerben, ist es nöthig und hinreichend, in dem Grundstück gegenwärtig zu seyn, ohne daß irgend eine Handlung darin vorgenommen werden müste:
„Quaedam mulier fundum (ita) non marito donavit per epistulam ... Proponebatur, quod etiam in eo agro, qui donabatur, fuisset cum epistula emitteretur: quae res sufficiebat ad traditam possessionem” ... (1)
Nun ist es klar, daß der oben angegebene Begriff der körperlichen Handlung hier völlig anwendbar ist: wer sich in einem Grundstück befindet, kann in jedem Augenblick nicht nur selbst damit vornehmen, was ihm gut dünkt, sondern auch jeden Andern davon abhalten. Allein beides ist Ihm nicht etwa blos für das Stück
(1) L. 77. de rei vind.
(153) Erwerb des Besitzes.
Boden möglich, auf dem Er steht, sondern für das ganze Grundstück überhaupt, und es ist daher nicht das Betreten selbst, was den Besitz des Bodens verschafft, sondern die unmittelbare Nähe, wodurch es möglich ist, jedes beliebige Stück augenblicklich nicht nur zu betreten, sondern auch auf jede andere Art zu behandeln:
„Quod autem diximus, et corpore et animo adquirere nos debere possessionem, non utique ita accipiendum est, ut qui fundum possidere velit, omnes glebas circumambulet: sed sufficit quamlibet partem ejus fundi introire“ ... (1)
Aus demselben Grunde ist es ferner nicht einmal nöthig, in das Grundstück einzugehen: denn wer dicht daneben steht, und das Ganze übersieht, hat nicht weniger Gewalt darüber, als wer würklich hineingegangen ist:
„ ... si vicinum mihi fundum mercatum venditor in mea turre demonstret, vacuamque se tradere possessionem dicat: non minus possidere coepi, quam si pedem finibus intulissem.“ (2)
Alles dieses steht mit unsrem Begriff der körperlichen Handlung in unmittelbarer Verbindung: unsere Juristen
(1) L. 3. §. 1. de poss.
(2) L. 18. §. 2. de poss.
(154) Zweiter Abschnitt.
haben hier immer eine juristische Fiction angenommen, wodurch der einzige wahre Erwerb, durch körperliche Berührung nämlich, supplirt werde. Doch hat hier die Glosse noch einen andern Ausweg vorgeschlagen, der sehr merkwürdig ist (1): man solle nämlich nicht körperliche Berührung, sondern sinnliche Wahrnehmung als das factum im Erwerb des Besitzes betrachten, nun gebe es fünf Sinne, also könne durch jeden derselben Besitz erworben werden, z. B. durch das Gesicht: durch Anschauen also könne der Besitz erworben werden, und wenn auch die Sache „per decem miliaria“ entfernt wäre (2).
Körperliche Gegenwart also ist das, was die willkührliche Behandlung der Sache möglich macht: aber wie wenn zu gleicher Zeit ein Anderer gleichfalls gegenwärtig ist, und auch diese Sache besitzen will? hier ist es offenbar, daß die Gegenwart des Andern den Besitz des Ersten hindert, und es giebt nur zwey Wege, dieses Hinderniß aufzuheben: der Wille des Andern, und Gewalt.
Der Wille des Andern macht auf diese Weise den Besitz möglich bey jeder Uebergabe. Indem der Käufer von dem Verkäufer in das Grundstück eingeführt
(1) Glossa in L. 18. §. 2. de poss. – Viele Neuere haben diese Meinung, wenigstens in einzelnen Anwendungen, z. B. Duarenus in L. 3. pr. de poss. (p. 843.).
(2) Glossa in L. 1. §. 1. de poss.
(155) Erwerb des Besitzes.
wird, stehen beide in demselben physischen Verhältniß zur Sache: auch hat der Verkäufer bis auf diesen Augenblick den Willen, Besitzer zu seyn. Aber indem Er jezt erklärt, daß der Käufer den Besitz haben solle, ist durch seinen eignen Willen alles Hinderniß aufgehoben, das in seiner Gegenwart lag. Darauf gehen in der zulezt angeführten Stelle (S. 153.) die Worte: „vacuamque se possessionem tradere dicat.“
Auser dem Willen des Andern aber kann auch durch Gewalt das Hinderniß seiner Gegenwart aufgehoben werden: denn es ist klar, daß die Herrschaft des Besitzers eben so entschieden ist, wenn Er fremden Widerstand überwindet, als wenn gar kein Widerstand da ist. Das ist der Inhalt folgender Stelle (1):
„Species inducendi in possessionem alicujus rei est, prohibere ingredienti vim fieri: statim enim cedere adversarium, et vacuam relinquere possessionem jubet: quod multo plus est, quam restituere.“
Die Basiliken, die Glosse und Cujaz beziehen die Stelle auf den Prätor, der ein Urtheil exsequirt, indem er in den Besitz einführt (2): aber es liegt weder in den Worten, noch in dem Inhalt irgend
(1) L. 52. §. 2. de poss.
(2) Basil. Lib. 50. Tit. 2. (ap. Meermann. T. 5. p. 49.). – Glossa in L. 52. §. 2. de poss. – Cuiacius in L. 52. §. 2. de poss. (opp. T. 8. p. 315.).
(156) Zweiter Abschnitt.
ein Grund, sie darauf zu beschränken, und sie ist folglich mit gleichem Recht auf jeden andern Fall zu beziehen, in welchem Widerstand geleistet und überwunden wird.
Also persönliche Gegenwart ist das eigentliche Factum, wodurch der Besitz einer unbeweglichen Sache erworben wird. Um indessen keinem Misverständniß Raum zu lassen, will ich gleich hier auf eine Beschränkung dieser Regel aufmerksam machen, die erst im dritten Abschnitt bewiesen werden kann. Der Besitz einer unbeweglichen Sache nämlich wird nicht eher verloren, als der Besitzer um diesen Verlust weis: da nun eine Sache nicht mehr als Einen Besitzer haben kann (§. 11.), so ist nun unsere Regel auf folgende Art anzuwenden. Entweder hatte die Sache bisher einen andern Besitzer oder nicht (vacua possessio). Im lezten Fall ist unsre Regel ohne Einschränkung wahr. Im ersten Fall aber giebt uns jenes Factum allein noch nicht den Besitz, sondern es muß des bisherigen Besitzers Bewustseyn hinzukommen. Nun geschieht unser Erwerb entweder gegen seinen Willen (dejectio) oder mit seinem Willen (traditio), wobey er selbst entweder gegenwärtig ist (inducere in possessionem) oder nicht (mittere in possessionem).
(157) Erwerb des Besitzes.
§. 16.
Zweitens: wie wird der Besitz einer beweglichen Sache erworben?
Daß dieses durch würkliches Ergreifen der Sache geschehen könne, daran ist kein Zweifel: auch wird es in den Gesetzen nur stillschweigend voraus gesezt. Demnach sind hier nur die Fälle zu erörtern nöthig, in welchen ohne würkliches Ergreifen dennoch Besitz erworben wird.
Zuerst ist auch hier, wie bey unbeweglichen Sachen, die unmittelbare Gegenwart das, was die Stelle des würklichen Ergreifens ohne alle juristische Fiction vertreten kann, und es ist also ganz gleichgültig, ob die Sache würklich ergriffen ist, oder ob sie in jedem Augenblick ergriffen werden könnte. Diese Art der Apprehension ist sogar die gewöhnlichste, wenn die Sache von so grosem Umfang oder Gewicht ist, daß sie nicht leicht von der Stelle gebracht werden kann. – Alles dieses ist in folgenden Stellen enthalten:
1. L. 79. de solutionibus.
„Pecuniam, quam mihi debes, aut aliam rem, si in conspectu meo ponere te jubeam: efficitur, ut et tu statim libereris, et mea esse incipiat: nam tum quod a nullo corporaliter ejus rei possessio detineretur, adquisita mihi, et quodam modo manu longa tradita existimanda
(158) Zweiter Abschnitt.
est.“ – Der bisherige Besitzer ist hier wieder der einzige, der mich hindern könnte, über die Sache nach Willkühr zu verfügen: aber eben von diesem wird ausdrücklich gesagt, daß er sogar durch seine Handlung meinen Besitz anerkannt habe.
2. L. 1. §. 21. de poss.:
„Si jusserim venditorem procuratori rem tradere, cum ea in praesentia sit: videri mihi traditam Priscus ait” (d. h. mir selbst, nicht blos meinem Procurator, durch den ich freylich auch Besitz erwerben könnte): „idemque esse, si nummos debitorem jusserim alii dare: non est enim corpore et actu (1) necesse adprehendere possessionem, sed etiam oculis et affectu: et argumento esse eas res, quae propter magnitudinem ponderis moveri non possunt” (nicht leicht nämlich, nicht von einem einzelnen Menschen, denn mobile sind diese Sachen dennoch) „ut columnas nam pro traditis eas haberi, si in re
(1) Faber (error. pragm. Dec. 75. Err. 2.) und viele Andere lesen: tactu, eine Veränderung, die eben so unbedeutend, als unnöthig ist. S. Wieling lect. j. civ. L. 1. C. 19.
(159) Erwerb des Besitzes.
praesenti consenserint: (et vina tradita videri, cum claves cellae vinariae emtori traditae fuerint“: davon bald nachher). – Das heist: so wie diese Handlung bey den Sachen hinreichend ist, bey denen ohnehin nicht leicht eine andere möglich wäre, so muß sie es auch bey allen andern Sachen seyn („argumento esse eas res“ etc.)
3. L. 51. de poss. (Iavolenus lib. 5. ex Posterioribus Labeonis).
„Quarundam rerum animo possessionem apisci nos ait Labeo: veluti si acervum lignorum emero, et eum venditor tollere me jusserit: simul atque custodiam posuissem, traditus mihi videtur. Idem juris esse vino vendito, cum universae amphorae vini simul essent.” (So weit geht die Meinung des Labeo, obgleich alle Interpreten auch den folgenden Satz noch hinzuziehen. Labeo also sagt: in diesem Fall sey eigentlich ohne körperliche Handlung der Besitz erworben). „Sed videamus inquit (sc. Iavolenus), ne haec ipsa corporis traditio sit, quia nihil interest, utrum mihi, an et cuilibet jusserim, custodia tradatur: in eo puto hanc
(160) Zweiter Abschnitt.
quaestionem consistere, an etiamsi corpore acervus aut amphorae adprehensae non sunt, nihilominus traditae videantur: nihil video interesse, utrum ipse acervum, an mandato meo aliquis custodiat: utrobique animi (1) quodam genere possessio erit aestimanda.” – Iavolenus also sagt: Labeo irrt, indem er zwey ganz verschiedene Umstände mit einander vermengt: den Erwerb durch einen Procurator, und den Erwerb ohne körperliche Berührung. In dem ersten liegt aber gar nichts besonderes, folglich kommt es blos auf das zweite an, d. h. auf die Frage: wie wird der Besitz, ohne körperliches Ergreifen, durch blose Gegenwart und custodia, erworben? Diese mag der Käufer selbst oder durch einen Stellvertreter vornehmen, (was gar keinen Unterschied macht), immer fehlt dabey körperliche Berührung („animi quodam genere possessio erit aestimanda“): dennoch ist in beiden Fällen
(1) Cujaz liest: corporis anstatt: animi (recit. in L. 51. de poss. in opp. T. 8. p. 314, auch in: paratit. in Cod. Lib. 7. Tit. 32.). Diese Emendation aber ist ebenso unnöthig, als verwegen.
(161) Erwerb des Besitzes.
die körperliche Handlung („corporis traditio“) würklich vorhanden, die zum Erwerb des Besitzes nöthig ist, folglich irrt Labeo, indem er in dem einen jener beiden ganz gleichen Fälle einen Besitz annimmt, der solo animo erworben sey.
4. L. 14. §. 1. de periculo et comm. rei vend.
„Videri autem trabes traditas, quas emtor signasset.“ (!) – Das Signiren kommt hier nicht als Bestandtheil der Apprehension vor, sondern weil daraus, als einem gemeinsamen Gebrauch, auf die Absicht der Parteyen geschlossen werden kann. Nur dadurch ist es zu erklären, warum in einem Fall, worin die körperliche Handlung genau dieselbe ist, dennoch das Gegentheil gelten soll (1).
Von dieser Regel, daß durch blose Gegenwart, ohne Berührung, Besitz erworben werden könne, kommen noch folgende Anwendungen und nähere Bestimmungen vor.
Erstens: wenn ich die Sache, die ein Anderer mir übergeben will, einem Dritten geben lasse, so ist nun der juristische Besitz würklich auf mich, und von
(1) L. 1. §. 2. de peric. et comm. (s. u. S. 165.).
(162) Zweiter Abschnitt.
mir auf den Dritten übertragen worden (1). Hierin liegt eine blose Anwendung unsrer Regel: denn, indem mir der Andere die Bestimmung über die (gegenwärtige) Sache überläßt, bin ich eben so unumschränkter Herr derselben, als ob ich sie würklich ergriffen hätte, ja ich übe diese meine Herrschaft würklich aus, indem ich Ihm auftrage, dem Dritten die Sache zu übergeben. Indessen kann über der Einfachheit der äuserlichen Handlung, die hier vorgeht, das Zusammengesezte der juristischen Handlung leicht übersehen werden (2).
Zweitens: Die Gegenwart giebt überhaupt nur insofern den Besitz, als es möglich ist, die Sache in jedem Augenblick würklich zu ergreifen. Wer also ein Wild verfolgt, hat noch nicht den Besitz desselben, obgleich er ihm sehr nahe seyn kann: ja selbst wenn Er es tödtlich verwundet hat, kann Er noch auf vielerley Weise verhindert werden, es würklich zu fangen („multa accidere possunt, ut eam non capiamus“), also ist selbst dadurch der Besitz noch nicht erworben, wiewohl selbst einige Römische Juristen das Gegentheil
(1) „Species extra dotem a matre filiae nomine viro traditas, filiae, quae praesens fuit, donatas, et ab ea viro traditas videri respondi.“ (!) L. 31. §. 1. de donat., cf. L. 3. §. 12. de don. inter vir. et ux., L. 1. §. 21. de poss. (S. 158.).
(2) „nam celeritate conjungendarum inter se actionum unam actionem occultari.“ L. 3. §. 12. de don. inter vir. et ux.
(163) Erwerb des Besitzes.
behaupteten (1). Demnach muß das Wild würklich gefangen oder getödtet seyn, wenn der Besitz desselben erworben werden soll.
Drittens: wenn die Sache in einem verschlossenen Gebäude liegt, so wird Tradition, also Erwerb des Besitzes angenommen, wenn die Schlüssel übergeben sind. Es ist sehr natürlich, daß diese Schlüssel von jeher symbolische Schlüssel haben seyn müssen, und man brauchte nicht viel weiter zu gehen, um zu behaupten, jede andere Sache könne eben so gut gebraucht werden, und die Schlüssel seyen nur Beyspielsweise im Römischen Recht genannt (2). Nun ist zwar nicht zu läugnen, daß Schlüssel so gut als jede andere Sache als bloses Zeichen dienen können, und wenn bey dem Einzug eines Königs die Schlüssel der Stadt überreicht werden, läßt sich kaum ein anderer Zweck denken. Aber es giebt noch einen andern Gebrauch der Schlüssel, der fast noch häufiger ist als jener: nämlich etwas aufzuschliesen, was verschlossen ist, und daß davon allein hier die Rede ist, soll jezt bewiesen werden. –
(1) L. 5. §. 1. de adqu. rer. dom., §. 13. 1. de rer. div. – Nach denselben Grundsätzen entscheidet einen andern, aber ähnlichen Fall: L. 55. de adqu. rer. dom. Die Entscheidung liegt in den Worten: „ut si in meam potestatem pervenit, meus factus sit.“
(2) Schmalz, Handbuch des R. Privatrechts (Königsb. 1801.) §. 199.
(164) Zweiter Abschnitt.
Nämlich daß auch bey beweglichen Sachen die blose Gegenwart, ohne würkliches Ergreifen, als factum apprehensionis gelten könne, ist oben gezeigt worden. Nun muß aber zu jedem factum auch noch animus hinzukommen, wenn der Besitz erworben seyn soll, und dieser animus muß in den meisten Fällen geschlossen werden, weil er selten ausdrücklich erklärt wird. Wenn nun ein Grundstück verkauft wird, so kann der Käufer oft mit dem Verkäufer hinein gehen, ohne daß dieser die Absicht hat, den Besitz zu übertragen, jener ihn zu erwerben. So auch bey beweglichen Sachen: wenn hier der Handel völlig geschlossen ist, selbst in Gegenwart der Sache, so kann dennoch der Käufer nicht die Absicht haben, den Besitz zu erwerben, wenn die Sachen in einem verschlossenen Gebäude liegen, wozu Er keinen Schlüssel hat, weil Er nun in jedem künftigen Augenblick verhindert werden kann, diese Sachen zu gebrauchen. Deswegen wird hier der Besitz erst dann als erworben betrachtet, wenn die Schlüssel übergeben sind.
1. L. 9. §. 6. de adqu. rer. dom. (§. 45. I. de rer. div.)
„Item si quis merces in horreo repositas vendiderit, simulatque claves horrei tradiderit emtori, transfert proprietatem mercium ad emtorem“.
(165) Erwerb des Besitzes.
2. L. 1. §. 21. de poss.
„ ... et vina tradita videri, cum claves cellae vinariae emtori traditae fuerint.“
Ja selbst wenn der Käufer sein Siegel auf die Waare drückt, ist der Besitz ohne Uebergabe der Schlüssel noch nicht erworben, obgleich jene Handlung allerdings das factum apprehensionis bezeichnen kann, wenn die Sachen nicht verschlossen sind:
1. L. 1. §. 2. de peric. et comm. rei vend.
„Si dolium signatum sit ab emtore, Trebatius ait, traditum id videri: Labeo contra. Quod et verum est: magis enim ne summutetur signari solere, quam ut tradi tum videatur.”
2. L. 14. §. 1. eod.
„Videri autem trabes traditas, quas emtor signasset.” – Nämlich es ist eben so gewöhnlich, Bauholz unverschlossen aufzubewahren, als es bey dem Weine ungewöhnlich ist.
In allen diesen Fällen also wird nach einer sehr wahrscheinlichen Vermuthung angenommen, die Parteyen hätten die Tradition erst gewollt, als die Schlüssel übergeben wurden: aber der animus possidendi kann natürlich ohne das factum apprehensionis keine Würkung
(166) Zweiter Abschnitt.
haben, es wird also in jenen Stellen, die blos davon sprechen, ob die Absicht der Tradition vermuthet oder nicht vermuthet werden solle, immer vorausgesezt, daß an dem factum apprehensionis nichts fehle, d. h. daß die Uebergabe der Schlüssel in Gegenwart der Sache vor sich gehe. Auch haben die Compilatoren durch folgende Stelle dafür gesorgt, daß hierüber kein Zweifel entstehe:
L. 74. de contr. emt.
„Clavibus traditis, ita mercium in horreis conditarum possessio tradita videtur, si claves apud horrea traditae sint:“ (was nun folgt, ist vorzüglich brauchbar, unsern Begriff der Apprehension zu erläutern und zu bestätigen) „quo facto, confestim emtor dominium et possessionem adipiscitur, etsi non aperuerit horrea.“ – Nämlich wer durch eine verschlossene Thüre von der Sache getrennt ist, besizt sie ebenso wenig, als wer weit davon entfernt ist: hat er aber den Schlüssel, so kann er in jedem Augenblick die Sache ergreifen, und ob er dies würklich thue, ja ob er auch nur die Thüre öffne, ist zum Erwerb des Besitzes völlig gleichgültig.
(167) Erwerb des Besitzes.
§. 17.
An beweglichen Sachen also kann ohne würkliches Ergreifen Besitz erworben werden, wenn nur die Sache gegenwärtig ist (§. 16). Dasselbe ist aber auch noch auf eine andere Art möglich. Wer nämlich eine Sache in seinem Hause aufbewahrt, kann eben dadurch den Besitz erworben haben, ohne daß irgend eine andere Handlung hinzukommt.
L. 18. § 2. de poss.
„Si venditorem, quod emerim, deponere in mea domo jusserim: possidere me certum est, quamquam id nemo dum attigerit.“ – Hier wird gar nicht vorausgesezt, daß der Kauf in Gegenwart der Sache geschlossen war, und eben so wenig, daß der Käufer sich in seinem Hause befand, als die Sache niedergelegt wurde: also ist das blose Niederlegen im Hause das factum gewesen, wodurch der Besitz erworben wurde. Auch bemerkt der Jurist ausdrücklich, daß nicht etwa im Namen des Käufers die Sache habe müssen von seinen Leuten in Empfang genommen werden („quamquam id nemo dum attigerit“), weil man sonst darin den Grund des Besitzes hätte setzen können.
(168) Zweiter Abschnitt.
Der Grund dieser Regel ist leicht zu finden. Jeder hat über sein Haus sicherere Herrschaft als über alles andere Vermögen, und durch jene Herrschaft zugleich die „custodia“ aller der Sachen, die in dem Hause enthalten sind. Daß dieses die Ansicht der Gesetze ist, folgt schon daraus, daß in einem andern, aber ähnlichen Fall eben wegen der fehlenden custodia der Besitz abgeläugnet wird (1). – Hieraus lassen sich leicht die Bedingungen dieses Erwerbs ableiten, die in jener Stelle selbst nicht ausgedrückt sind.
Da es nämlich blos auf den eigenen Gebrauch des Gebäudes ankommt, von welchem die Rede ist, so ist:
1. dieser Erwerb weder durch das Eigenthum, noch durch den juristischen Besitz des Gebäudes bedingt. Wer also ein Haus oder ein Waarenlager gemiethet hat, kann auf diese Weise Besitz erwerben, obgleich er an dem Gebäude selbst weder Eigenthum noch juristischen Besitz hat: denn auch ohne diese Rechte hat er ohne Zweifel die custodia aller Sachen, die in dem Gebäude sich befinden.
2. eben so ist aber auf der andern Seite dieser Erwerb unmöglich, wenn jener eigne Gebrauch des Gebäudes fehlt, obgleich Eigenthum und Besitz
(1) L. 3. §. 3. de poss.
(169) Erwerb des Besitzes.
desselben daseyn kann. So kann der Eigenthümer eines vermietheten Hauses aus demselben Grunde keinen Besitz dieser Art erwerben, aus welchem dieses dem Bewohner des Hauses möglich war, wiewohl hier der Eigenthümer den juristischen Besitz des Hauses keinesweges aufgegeben hat (1). – Schon aus diesem zweiten Satze läßt sich leicht folgende Stelle erklären, die auserdem zu einem Zweifel an der Richtigkeit unsrer Regel verleiten könnte (2): „Qui universas aedes possidet (possedit), singulas res, quae in aedificio sunt, non videtur possedisse:“ d. h. der juristische Besitz des Hauses giebt nicht nothwendig auch den Besitz der einzelnen Sachen in dem Hause, so daß man nicht von jenem auf diesen schliesen kann. Sehr natürlich, weil man Besitzer eines Hauses werden
(1) Beide Sätze werden durch folgende analoge Stellen erläutert und bestätigt: L. 5. §. 2.-5. de injuriis. L. 22. §. 2. L. 23. §. 3. ad Leg. Iul. de adult. – Doch ist die Aehnlichkeit dieser Stellen mit unserm Fall nicht vollkommen, weil sie sich blos auf eigentliche Wohngebäude beschränken, was hier durchaus nicht der Fall ist.
(2) L. 30. pr. de poss. – Die Glosse und die meisten neuern Juristen verstehen unter den „res, quae in aedificio sunt, “ die Balken und Mauersteine, aus welchen das Haus gebaut ist. Der Inhalt hätte dann auch keinen Zweifel, aber die Erklärung selbst ist gezwungen.
(170) Zweiter Abschnitt.
kann, ohne es selbst zu bewohnen, z. B. indem man es kauft, und zugleich dem Verkäufer vermiethet (constitutum possessorium). Aber auch noch auf andere Art läßt sich der Widerspruch dieser Stelle mit unsrer Regel aufheben. Nämlich wer den Besitz eines Hauses erwirbt, z. B. indem er den bisherigen Besitzer herauswirft, kann von den einzelnen Sachen im Hause vielleicht gar nichts wissen. Dann aber besizt er sie nicht, weil ihm für sie der animus possidendi fehlt.
Aus diesen näheren Bestimmungen unserer Regel läßt sich leicht die Entscheidung eines andern Falls erklären, der mit dem unsrigen viele Ähnlichkeit hat: ich meine den Besitz der Schätze. Unter einem Schatze nämlich wird in der Theorie des Eigenthums jede verborgene Sache von Werth verstanden, die durch die Länge der Zeit herrenlos geworden ist (1): diese Beschränkung des Begriffs ist da sehr natürlich, weil auserdem von einem besondern Erwerb des Eigenthums gar nicht die Rede seyn kann, so daß die ganze Sache nur unter jener Bedingung in die Theorie des
(1) „Thesaurus est vetus (!) quaedam depositio pecuniae, cujus non exstat memoria, ut iam dominum non habeat: sic enim fit ejus, qui invenerit, quod non alterius sit.“ L. 31. §. 1. de adquir. rer dom.
(171) Erwerb des Besitzes.
Eigenthums gehört. Ganz anders bey dem Besitze, wo das fremde Eigenthum ganz gleichgültig ist: hier ist alles vergrabene Geld ein Schatz, und es ist ganz einerley, ob der Eigenthümer noch auszumitteln ist oder nicht: deswegen beziehen hier auch die Römischen Juristen das Wort thesaurus ohne Unterschied auf beide Fälle zugleich, und dieser Sprachgebrauch ist so natürlich, daß sie es nicht einmal nöthig finden, ihn besonders anzugeben. Ganz anders die Glosse und die neueren Juristen. Sie unterscheiden bey den Stellen des Römischen Rechts, die den Besitz der Schätze betreffen, einen thesaurus im weitern und im engern Sinn, was denn allein schon hinreichend ist, die einfachen Regeln der Römischen Juristen völlig zu verwirren. – Endlich ist auch das für sich klar, daß ein Schatz von jeder andern beweglichen Sache, die in einem Grundstück verborgen wird, juristisch sich durchaus nicht unterscheidet, daß also von dem Besitz der Schätze blos als von dem wichtigsten und häufigsten Fall dieser Art in den Gesetzen die Rede ist.
Wenn also ein Schatz oder irgend eine andere bewegliche Sache in einem Grundstück vergraben wird, kann dadurch allein der Besitzer des Grundstücks auch an jener Sache den Besitz erwerben, d. h. liegt in jenem Vergraben das factum, welches, wenn der animus hinzutritt, den Besitz würklich begründet? dieser
(172) Zweiter Abschnitt.
Fall hat mit dem oben erklärten (S. 167.) die Aehnlichkeit, daß eine bewegliche Sache mit einer unbeweglichen Sache in Verbindung gesezt wird, ohne doch ein Theil der unbeweglichen zu werden: durch diese Verbindung wurde oben (wenn die Sache in der Wohnung niedergelegt wurde) der Besitz erworben, dasselbe scheint also auch hier erfolgen zu müssen, wenn nur das Grundstück besessen wird. Allein bey dem Hause lag der Grund, warum der Besitz der beweglichen Sache erworben wurde, in der ganz eignen custodia, die nur darin möglich ist: demnach ist in unserm Fall der Besitz des Schatzes dem Besitzer des Grundstücks durchaus nicht erworben. Also muß Dieser, wie jeder Andere, um diesen Besitz zu erwerben, den Schatz ausgraben, heben, da denn der Besitz, auf ganz gewöhnliche Weise, durch Ergreifen oder unmittelbare Gegenwart (§. 16.) erworben ist. – Das ist der Inhalt folgender Stellen des Römischen Rechts:
L. 15. ad exhibendum:
„Thesaurus meus (1) in tuo fundo est, nec eum pateris me effodere: cum eum loco non moveris, furti quidem aut ad exhibendum, eo nomine agere recte non
(1) Hier ist also nicht von einem solchen thesaurus die Rede, wie bey dem Erwerb des Eigenthums (S. 171.). Ebendasselbe gilt von der folgenden Stelle.
(173) Erwerb des Besitzes.
posse me, Labeo ait: quia neque possideres eum, neque dolo feceris, quo minus possideres“ rel.
2.) L. 44. pr. de poss.
„ ... cum, si alius in meo condidisset (pecuniam), non alias possiderem, quam si ipsius rei possessionem (1) supra terram adeptus fuissem.“ ...
3.) L. 3. §. 3. de poss. (2).
„Neratius et Proculus, (et) solo animo non (3) posse nos adquirere possessionem, si non |
Neratius und Proculus sagen, durch bloses Wollen könne nur dann Besitz erworben werden, wenn das physische in allem |
(1) Possessio heist hier Besitz im natürlichen Sinn (S. 63.), und das possessionem adipisci wird hier auf dieselbe Weise als Bedingung, des (juristischen) possidere gedacht, wie in andern Stellen die naturalis possessio als eine solche Bedingung angegeben wird. (L. 3. §. 3. 13. de poss.)
(2) Mit dieser Stelle haben sich von jeher viele Interpreten beschäftigt. Das beste, was darüber gesagt worden ist, findet sich bey: Engelb. de Man diss. de thesauro ad L. 3. §. 3. de poss. (Thes. Diss. Belg., Vol. 1. Tom. 2. p. 305-386: natürlich enthalten diese 81 S. auch sehr viel unnützes) und bey Cuper (P. 2. Cap. 32. 33.). – Ich werde meine Erklärung in einer freyen Uebersetzung geben, und diese durch Anmerkungen erläutern und rechtfertigen.
(3) s. die Note S. 175.
(174) Zweiter Abschnitt.
antecedat naturalis possessio (1). Ideoque si thesaurum in fundo meo (2) positum sciam, continuo me possidere, simul atque possidendi affectum habuero: quia quod desit naturali possessioni, id animus implet (3). Ceterum quod |
Besitz, die Detention, schon vorher da gewesen sey. Hieraus folgern sie, daß der Besitzer eines Grundstücks an einem Schatz, der darin vergraben sey, durch bloses Wollen den Besitz erwerben könne: denn die Detention sey schon da, was also der blosen Detention zum juristischen Besitz noch fehle, sey nur der animus possidendi, der eben jezt hinzugethan |
(1) also: posse nos adquirere (solo animo) possessionem, si antecedat naturalis possessio. Durch die doppelte Negation ist das deutlich genug ausgedrückt, und es ist also durchaus nicht nöthig anzunehmen, dieser positive Theil des Satzes sey von Paulus oder von einem Abschreiber ausgelassen worden.
(2) Auf das Eigenthum des fundus kommt es dabey nicht an, sondern auf die Detention, und er wird nur deswegen meus fundus genannt, weil ursprünglich und in der Regel die Detention mit dem Eigenthum verbunden ist. Bey einem verpachteten Grundstück würde von dem Rechte des Pachters, nicht des Eigenthümers, die Rede seyn.
(3) Der Zusammenhang der ganzen Stelle ist dieser: zuerst wird aus den Schriften jener beiden Juristen eine allgemeine Regel angeführt, worüber kein Streit war: dann aus denselben Schriften eine Anwendung dieser Regel auf Schätze: dann über diesen Fall eine andere Meinung, die verworfen wird: endlich über denselben Fall eine
(175) Erwerb des Besitzes.
Brutus et Manilius putant, eum, qui fundum longa possessione cepit, etiam thesaurum |
werde. – Die Meinung von Brutus und Manilius übrigens, daß der Schatz ein Theil des Grundstücks sey, also mit diesem zugleich usucapirt |
dritte Meinung, und diese lezte wird gebilligt. – Unsere Juristen haben geglaubt, die Regel des Neratius stehe mit seiner Anwendung (in der That oder scheinbar), im Widerspruch: dieser Irrthum hatte zwey Ursachen. Erstens sah man wohl ein, daß naturalis possessio hier das physische im Besitz (das factum) bezeichne: weil man aber dieses factum irrig durch körperliche Berührung erklärte (S. 146.), so konnte man nicht begreifen, daß hier naturalis possessio des Schatzes angenommen werden sollte: alles ist leicht begreiflich, wenn man unter dem factum die unmittelbare Möglichkeit der Einwürkung (die custodia) versteht, und diese war das, was Neratius irrigerweise voraussezte. Zweitens übersezte man: „quod desit nat. poss.“ durch: „was an der nat. poss. noch fehlt“: aber die nat. poss. soll ganz vorhanden seyn, und es soll ihr nur der äusere Zusatz fehlen, durch den sie juristischer Besitz wird. – Die Glosse sagt deswegen bey den Worten: si non antecedat naturalis possessio: „et supple, vel aliud, quod pro ea habeatur“. – In der Folge bezog man die naturalis possessio auf das Grundstück: durch dieses sey indirect auch an dem Schatz, und selbst ohne dessen naturalis possessio, juristischer Besitz möglich (Paul. de Castro in Dig. novi P. 1. fol. 56. ed. Lugd. 1548. f., ferner: Zasius, Cujaz, Chesius und viele Andere). – Einige haben noch viel schlechter das erste non (solo animo non posse) weggestrichen (N. a Salis sicilim. j. civ. Hanov. 1614. 8, p. 354. Noodt probabil. L. 2. C. 6. num. 4.). – Jensius erklärt zuerst richtig, aber ganz kurz (strictur.
(176) Zweiter Abschnitt.
cepisse, quamvis nesciat in fundo esse, non est verum: is enim qui nescit, non possidet thesaurum, quamvis fundum possideat: sed et si sciat, non capiet longa possessione: quia scit alienum esse (1). |
werde, selbst wenn der Besitzer gar nichts von dem Schatz wisse – diese Meinung ist ohne Zweifel falsch, selbst nach der zuerst angeführten Meinung: denn der Schatz ist in der That kein Theil des Grundstücks, folglich wird er von dem Besitzer des Grundstücks nicht zugleich mit besessen, sondern dieser muß noch besonders um den |
p. 328. ed. 1739.). – Bey Man ist die richtige Erklärung von „desit“ ausführlich dargestellt (l. c. p. 351-353.). Auch die naturalis possessio erklärt Er richtig, doch meint Er, weil hier doch eine juristische Fiction nöthig sey, müsse wohl das Wort uneigentlich gebraucht seyn, und dieser Scrupel macht Ihm so viel zu schaffen, daß Er, nach vielfältigen Versuchen ihm zu entgehen, endlich doch noch zu der gemeinen Meinung zurück kehrt, und die naturalis possessio auf den fundus bezieht (l. c. p. 351. 359-379.). – Cuper (P. 2. C. 32.) erklärt völlig richtig, aber ganz kurz, so daß man nicht sieht, wie Er sich wegen der naturalis possessio gegen die gewöhnlichen Einwürfe vertheidigt haben würde.
(1) In dieser ganzen Stelle wird unter thesaurus alles vergrabene Geld überhaupt verstanden, ohne Unterschied, ob es herrenlos ist oder nicht (S. 171.). Also nicht blos ein herrenloser Schatz, welches durch die Worte: quia scit alienum esse unläugbar bewiesen ist. Eben so wenig aber blos ein solcher Schatz, der noch in fremdem Eigenthum ist, welches lezte von Cuper aus
(177) Erwerb des Besitzes.
Quidam putant, Sabini sententiam veriorem esse; nec alias eum, qui scit, possidere, nisi si |
Schatz wissen: aber selbst wenn er darum weis, also nach jener ersten Meinung den Besitz des Schatzes hat, kann Er ihn doch nicht usucapiren, |
einem falschen Grunde behauptet (S. 315), von den Meisten aber aus folgenden zwey Gründen bezweifelt wird: A.) weil von der Usucapion des Schatzes die Rede ist, diese aber bey einer herrenlosen Sache gar nicht nöthig wäre. Allein zu aller Occupation muste noch Usucapion hinzukommen, um das prätorische Eigenthum in ein justum dominium zu verwandeln: demnach beruht dieser ganze Zweifel auf den gewöhnlichen Irrthümern über das Verhältniß der res nec mancipi zu dem Römischen Eigenthum, welche Irrthümer erst von Hugo völlig weggeräumt worden sind. B.) wegen der Worte: quia scit alienum esse. Man hat vergeblich versucht, theils durch Emendation, theils durch Interpretation diesem Einwurf zu begegnen. (Bynkershoek, obss. VII. 1. – Cuperus P. 2. C. 33. – Man l. c. p. 343-345.). Meine Meinung ist diese: der Besitzer des Grundstücks soll den Schatz noch nicht selbst gefunden haben, und dennoch davon wissen. Wie ist das möglich? nicht anders als dadurch, daß er von dem Vergraben des Schatzes irgend eine Nachricht erhalte: dann aber weis Er zugleich, daß der Schatz in fremdem, Eigenthum ist (L. 31. § 1. de adqu. rer. dom. „depositio ... cujus memoria non exstat“). Also ist hier von einem Schatz in fremdem Eigenthum die Rede, nicht als ob die ganze Stelle nur davon handelte, sondern weil das Wissen um den Schatz nicht wohl anders gedacht werden kann.
(178) Zweiter Abschnitt.
loco motus sit: quia non sit sub custodia nostra: quibus consentio (1)“ (!). |
weil Er nicht anders von dem Schatz wissen kann, als indem Er zugleich einen fremden Eigenthümer desselben weis, also in mala fide ist. – Einige glauben nach Sabinus, der Besitzer des Grundstücks könne nicht durch bloses Wollen den Besitz des Schatzes erwerben, sondern Er müsse ihn ausgraben, weil Er erst dadurch den Schatz in seine Verwahrung bekomme. Diese Meinung ist die richtige. |
(1) Die Glosse und fast alle übrigen Interpreten finden diese Entscheidung sehr sonderbar, da doch Bewegung der Sache in andern Fällen nicht zum Erwerb des Besitzes gehört, ja sogar bey manchen Sachen (den Grundstücken nämlich) unmöglich ist. Die Meisten erklären deswegen die ganze Stelle blos von einem Schatz, der noch in fremdem Eigenthum ist (s. die vorige Note): deswegen sey hier, wie in L. 15. ad exhib. und L. 44. pr. de poss. die Bewegung, als etwas besonderes, nöthig, um den bisherigen Besitzer auszutreiben: welche Erklärung selbst wieder von ganz falschen Grundsätzen ausgeht. Bynkershoek (obss. VII. 1.) liest: loco notus anstatt: loco motus, und bringt so mit Hülfe einer Emendation und einer sehr gezwungenen Erklärung endlich einen ganz falschen Satz als Resultat heraus. – Aber hier, wie in allen Fällen überhaupt, ist die unmittelbare Gegenwart
(179) Erwerb des Besitzes.
§. 18.
Es ist jezt durch Interpretation bewiesen, was oben voraus gesezt wurde, daß es die Möglichkeit einer unmittelbaren Einwürkung auf die Sache, und nicht die körperliche Berührung ist, was das factum apprehensionis ausmacht (S. 151). Damit sind zugleich alle fictae apprehensiones aufgehoben, weil alle diese Fälle, in welchen man nach einer willkührlichen Voraussetzung eine ficta apprehensio annahm, ohne Ausnahme unter dem Begriff der natürlichen Apprehension enthalten sind.
Dieser Begriff selbst aber, dessen Realität nun erwiesen ist, muß jezt näher bestimmt werden. Die Vergleichung einiger bereits erklärten Fälle wird am leichtesten zu diesem Zweck führen.
der Sache das, was das factum apprehensionis ausmacht: da es sich indessen kaum denken läßt, daß Jemand einen Schatz völlig aufgraben wird, ohne ihn auch würklich aus der Erde zu nehmen und weg zu tragen, so konnte die loco motio ohne Bedenken als factum apprehensionis angegeben werden, um so mehr, da es hier blos darauf ankam, den Gegensatz gegen die Meinung des Neratius auszudrücken, nach welcher das blose Wissen den Besitz begründen sollte. – Demnach ist das Resultat der drey angeführten Stellen (L.15. ad exhib., L. 44. pr. de poss., L. 3. §. 3. de poss.) völlig dasselbe, und es ist dabey ganz gleichgültig, ob das vergrabene Geld herrenlos ist oder nicht, und eben so, ob es bisher in fremdem Besitze war oder nicht.
(180) Zweiter Abschnitt.
Wer ein Stück Wild tödtlich verwundet hat, und es sehr nahe verfolgt, ist dennoch nicht Besitzer desselben, solange Er es nicht würklich gefangen oder getödtet hat; denn noch ist es auf vielerley Art möglich, daß Ihm dieses Thier ganz entgehe (S. 162.), dann aber ist es Ihm in keinem Moment möglich gewesen, willkührlich darauf zu würken, was doch zum Erwerb des Besitzes nothwendig ist. Eben so, und aus denselben Gründen, erwirbt selbst der Eigenthümer eines Grundstücks den Besitz eines Schatzes erst dann, wenn der Schatz würklich ausgegraben ist (S. 172.), weil es auch hier leicht möglich ist, daß nicht Er, sondern ein Anderer den Schatz findet, dann aber der Schatz in keinem Augenblick würklich in der Gewalt jenes Eigenthümers war.
Dagegen kann der Besitz einer Sache blos dadurch erworben werden, daß sie in unserer Wohnung niedergelegt wird, obgleich wir nicht selbst gegenwärtig sind (S. 167.): und doch ist es auch hier nicht unmöglich, daß gleich nachher das Haus selbst von Andern mit Gewalt occupirt wird, so daß wir alsdann in keinem Augenblick jene Sache in unsrer Gewalt hatten. Eben so soll von einem nahen Thurme aus der Besitz eines Grundstücks übergeben werden können (S. 153.), und doch ist es auch da möglich, daß der neue Besitzer die würkliche Herrschaft über die Sache nie erhält, weil
(181) Erwerb des Besitzes.
in demselben Augenblick, in welchem Er hineingehen will, ein Anderer angekommen seyn kann, der auch auf diesen Besitz Anspruch macht, und von welchem Er mit Gewalt zurück gewiesen wird.
Worin liegt nun der Grund, warum in jenen Fällen kein Besitz erworben ist, wohl aber in diesen? offenbar blos darin, daß die Möglichkeit, von der Sache völlig ausgeschlossen zu werden, noch ehe man sie würklich in der Gewalt gehabt hat, in jenen Fällen sehr nahe, in diesen aber so entfernt ist, daß sie für das Bewustseyn des Besitzers völlig verschwindet. Jeder wird es für leicht möglich halten, daß Ihm ein verwundetes Thier entgehe, oder daß Er so lange vergeblich nach einem Schatze suche, bis Ihm ein Anderer zuvorgekommen seyn wird: aber daß das Hausrecht gewaltsam verlezt werde, oder daß in den wenigen Augenblicken, die man braucht, um in ein ganz nahes Feld zu gehen, ein neuer Besitzer ankomme, der vorher nicht zu sehen war, das ist so unwahrscheinlich, daß auf diese Möglichkeit Niemand Rücksicht nehmen wird. Demnach kann nicht in jenen, wohl aber in diesen Fallen das Bewustseyn physischer Herrschaft entstehen, und damit ist der Begriff der Handlung, wodurch der Besitz erworben werden muß, völlig bestimmt. Es muß nämlich die Möglichkeit, auf die Sache nach Willkühr zu würken, von dem, welcher den
(182) Zweiter Abschnitt.
Besitz erwerben will, als unmittelbare, gegenwärtige Möglichkeit gedacht werden können.
Damit ist zugleich ein neuer Ausdruck für den materiellen Begriff des Besitzes (§. 9.) aufgefunden, in welchem zugleich der Erwerb und Verlust des Besitzes am leichtesten übersehen werden kann. Es beruht nämlich aller Besitz einer Sache auf dem Bewustseyn unbeschränkter physischer Herrschaft. Damit dieses Bewustseyn entstehe, muß der Wille (animus) vorhanden seyn, die Sache als eigen zu haben (1): zugleich müssen die physischen Bedingungen der Möglichkeit vorhanden seyn (!), deren Bewustseyn entstehen soll (factum). Aufhören kann demnach der Besitz theils dadurch, daß ein entgegengeseztes Wollen das bisherige Wollen aufhebt, theils durch die aufgehobene physische Gewalt über die Sache: aber es ist sehr natürlich, daß hier zur Fortdauer des Besitzes nicht die unmittelbare physische Herrschaft nöthig ist, die zum Anfang desselben erfordert wurde. Darum verlieren wir nicht durch blose Entfernung von der Sache den Besitz, den wir uns einmal zugeeignet haben, obgleich das physische Verhältniß, in welchem wir nun in der That zu dieser Sache stehen, durchaus nicht hinreichen würde, uns
(1) Von dem abgeleiteten Besitz nämlich, als einer blosen Modification des ursprünglichen Begriffs (§. 9.) kann hier nicht die Rede seyn.
(183) Erwerb des Besitzes.
den Besitz allererst zu verschaffen (1): welcher Unterschied unter den physischen Bedingungen des Erwerbs und der Fortdauer ohne jene Beziehung auf das Bewustseyn des Besitzers durchaus nicht erklärbar wäre.
Aus dem allgemeinen Grundsatz der Apprehension, der hier durch blose Abstraction aus den einzelnen Entscheidungen der Römischen Juristen aufgefunden worden ist, sind nun alle Fälle zu entscheiden, welche nicht ausdrücklich im Römischen Recht bestimmt sind.
Gesezt, es wäre von dem Besitz eines Gutes die Rede, das in einem beträchtlichen Umfang mehrere Höfe enthielte: wäre es auch hier genug, das Ganze blos an einem Ende zu betreten, um Besitzer zu werden? das Römische Recht nennt diesen Fall nicht, denn die fundi, wovon die Römischen Juristen sprechen, sind offenbar einzelne Stücke Landes von beschränktem Umfang, die mit einem Blick übersehen werden können. Nach unsrem Grundsatz ist durch jene Handlung der Besitz noch keineswegs erworben, sondern dieses ist nur durch solche Handlungen möglich, wodurch die sinnliche
(1) Diese Unterscheidung zwischen Fortdauer und Erwerb des Besitzes ist selbst in den Ausdrücken sichtbar. So wird in einem und demselben Fall die custodia abgeläugnet (L. 3. §. 3. de poss.), und in einer andern Stelle angenommen (L. 44. pr. de poss.): aber in der ersten Stelle ist vom Erwerb, in der zweiten von der Fortsetzung des Besitzes die Rede.
(184) Zweiter Abschnitt.
Ueberzeugung physischer Herrschaft über jeden Theil des Gutes entstehen kann: das Gut also, welches juristisch als Einheit (universitas) gilt, wird bey dieser Handlung, die gar keine juristische Form hat, als zusammengesezt betrachtet. Ganz anders, wenn man nach der gemeinen Meinung den Besitz der Grundstücke durch symbolische Handlungen erwerben läßt: die Würkung dieser symbolischen Handlung müste sich aus die ganze Sache erstrecken, weil diese als juristische Einheit betrachtet wird: und dabey könnten physische Lage und Umfang keinen Unterschied machen.
§. 19.
Der Begriff der Handlung ist jezt völlig bestimmt, die, in Verbindung mit animus possidendi, den Besitz begründet. Es ist nur noch der Fall zu bestimmen übrig, wenn das physische Verhältniß schon vorher existirt, ehe der Besitz erworben werden soll.
Daß auch hier der animus, als die zweite Bedingung alles Erwerbs, hinzukommen müsse, ist klar: aber für das factum, womit wir uns hier noch allein beschäftigen, ist durchaus nichts neues zu thun nöthig. In sofern wird hier durch blosen animus Besitz erworben (1), weil nämlich jezt, in dem Augenblik (!) des
(1) L. 3. §. 3. de poss. , , Neratius et Proculus, (et) solo animo non posse nos adquirere possessionem, si non antecedat naturalis possessio.“ (S. 174. Note 1.)
(185) Erwerb des Besitzes.
Erwerbs, auser dieser Bestimmung des Willens durchaus nichts neues zu geschehen braucht.
Zugleich ist es klar, daß hier zum Erwerb des Besitzes schon das entferntere physische Verhältniß hinreiche, wodurch auserdem der schon erworbene Besitz erhalten werden kann (S. 182.), vorausgesezt daß auch hier, ein anderes factum apprehensionis vorhergegangen ist.
Der wichtigste Fall, welcher hierher gehört, betrifft die sogenannte traditio brevi manu. Man versteht darunter zwey sehr verschiedene Dinge: nämlich theils Uebertragung des Eigenthums, da der Besitz schon übergegangen war (1), welcher Fall uns hier nicht
(1) L. 21. §. 1. De adqu. rer. dom. „Si rem meam possideas, et eam velim tuam esse: fiet tua, quamvis possessio apud me non fuerit.” cf. L. 46. de rei vind. – Daß die Sache gegenwärtig seyn müsse bey einem solchen Vertrag, ist durchaus nicht nöthig, denn L. 47. de rei vind. geht offenbar auf den fictus possessor, d. h. auf den Beklagten, der nicht würklich Besitzer ist („cum possessionem ejus possessor nanctus sit“), also heist res absens eine Sache, die nicht in seinem Besitze ist. – Gar nicht hierher gehören endlich: L. 11. pr., L. 15. de reb. cred., L. 34. pr. mandati: denn wer einem Andern Geld ex mandato schuldig ist, hat jezt das Eigenthum und den Besitz der Geldstücke: wird also die obligatio in ein mutuum verwandelt, so ändert sich in dem Eigenthum, so wie in dem Besitz, nicht das geringste, folglich gehört die Frage, ob jene Verwandlung möglich sey (über welche Frage jene Stellen in offenbarem Widerspruch stehen), gar nicht in die Theorie des Besitzes oder des Eigenthums.
(186) Zweiter Abschnitt.
interessirt, indem er durchaus keine Veränderung des Besitzes begründet: theils Uebertragung des Besitzes, da der Andere bisher die blose Detention hatte, wodurch denn auf die oben angegebene Weise der Besitz erworben wird. Hierauf beziehen sich folgende Stellen:
1. L. 9. §. 5. de adqu. rer. dom. (§. 44 I. de rer. divis.):
„Interdum etiam sine traditione nuda voluntas domini sufficit ad rem transferendam: veluti si rem, quam commodavi, aut locavi tibi, aut apud te deposui (1), vendidero tibi: licet enim ex ea causa tibi non tradiderim, eo tamen, quod patior eam ex causa emtionis apud te esse, tuam efficio.“
2. L. 62. pr. de evictionibus:
„Si rem, quae apud te esset (2), vendidissem tibi, quia pro tradita habetur, evictionis nomine me obligari placet.“
3. L. 9. §. 9. de rebus creditis:
„Deposui apud te decem, postea permisi
(1) Durch alle diese Handlungen geht kein juristischer Besitz über (s. u. §. 23.).
(2) L. 63. de V. S. „Penes te amplius est, quam apud te: nam apud te est, quod qualiterqualiter a te teneatur: penes te est, quod quodam modo possidetur.“
(187) Erwerb des Besitzes.
tibi uti: Nerva, Proculus, etiam antequam moveantur (1), condicere quasi mutua tibi haec posse ajunt: et est verum, ut et Marcello videtur: animo enim coepit possidere“ ...
In diesen Stellen ist zunächst von Uebertragung des Eigenthums die Rede, aber durch ein solches factum, ubi per possessionem dominium quaeritur, so daß sie auch für den Besitz völlig beweisen (S. 10.), d. h. daß nicht nur in diesen Fällen selbst Besitz zugleich mit dem Eigenthum übergeht, sondern daß auch auf diese Art der Besitz ohne Eigenthum übertragen werden kann, wenn z. B. der Verkäufer selbst gar nicht Eigenthümer ist.
Zu dieser Art den Besitz zu erwerben, gehört auch die bedingte Uebergabe. Zunächst geht hier noch gar kein Besitz über, aber sobald die Bedingung eintritt, wird nun der Besitz unmittelbar erworben, der bis dahin nur in fremdem Namen ausgeübt wurde:
L. 38. § 1. de poss.
„ ... existimandum est, possessiones sub
(1) also ohne neues factum
apprehensionis. In der folgenden Stelle (L. 10. de reb. cred.) wird in einem
andern Fall grade das Gegentheil gesagt, aber um deswillen, weil da das
würkliche Brauchen des Geldes die Bedingung war, ohne welche nach dem Willen
der Parteyen selbst gar nicht von einem mutuum die Rede seyn konnte.
(188) Zweiter Abschnitt.
conditione tradi posse, sicut res sub conditione traduntur (1), neque aliter accipientis fiunt, quam conditio exstiterit.”
Bey dieser ganzen Art den Besitz zu erwerben ist indessen eine Beschränkung wohl zu bemerken, die erst unten ganz deutlich werden kann. Wer nämlich seinen Besitz einer beweglichen Sache durch andere Personen ausüben läßt, verliert diesen Besitz nicht durch den blosen Willen dieser Personen, sondern es muß ein wahres factum, also auch contrectatio hinzukommen (Abschn. 3): folglich kann auch der Repräsentant diesen Besitz nur durch contrectatio erwerben, weil sonst zwey Besitzer derselben Sache vorhanden wären (S. 129), und darin liegt eine wahre Ausnahme von unserer Regel.
§. 20.
Die Beschaffenheit der körperlichen Handlung, wodurch der Besitz erworben wird, ist jezt vollständig bestimmt: zu dieser Handlung aber muß ein bestimmtes Wollen (animus) hinzukommen, wenn der Besitz würklich entstehen soll, und dieser Punkt ist hier zunächst zu erörtern.
(1) d. h. wie bey dem Eigenthum, (also mittelbar auch bey dem Besitz) eine bedingte Uebergabe vorkommt, so auch bey dem Besitz allein, und ohne Beziehung auf Eigenthum.
(189) Erwerb des Besitzes.
Nun besteht dieses Wollen ursprünglich darin, daß der Besitzer die Sache als eine eigne Sache behandele (animus domini): dieser Begriff ist für sich deutlich genug, und es ist nur nöthig, vor der Verwechslung dieses animus domini mit der Ueberzeugung, daß man Eigenthümer sey (opinio domini) zu warnen (S. 79). Das Recht des Besitzes aber kann, unabhängig vom Eigenthum, veräusert werden, und bei dem abgeleiteten Besitz, der dadurch entsteht, ist es nicht mehr der animus domini, was zu dem factum hinzukommen muß, um den Besitz zu begründen, sondern der blose animus possidendi, d. h. man muß nur den Besitz auf diese Weise erwerben wollen. Auch dieser Begriff bedarf keiner weitern Erörterung: dagegen ist es sehr wichtig, die Fälle zu wissen, in welchen ein abgeleiteter Besitz von den Gesetzen anerkannt, folglich eine Ausnahme von der Regel des animus domini gemacht wird. Diese Untersuchung also gehört ganz eigentlich hierher.
Allein es giebt Fälle, in welchen, ohne Rücksicht auf diese Unterscheidung, und doch wegen des fehlenden animus, kein Besitz erworben werden kann. Wer nämlich überhaupt nicht wollen kann, ist auch den Besitz zu erwerben unfähig: und eben so kann kein Besitz an einer solchen Sache entstehen, deren wir uns nicht als einer einzelnen Sache für sich bewust werden können.
(190) Zweiter Abschnitt.
Demnach sind hier, bey dem animus possidendi, drey Fragen zu beantworten:
1. Welche Personen können keinen Besitz erwerben, weil sie überhaupt nicht wollen können? (§. 21.)
2. An welchen Sachen kann kein Besitz erworben werden, weil kein animus possidendi an ihnen möglich ist? (§. 22.)
3. In welchen Fallen ist ein abgeleiteter Besitz möglich? d. h. in welchen Fällen ist es möglich, ohne animus domini den Besitz zu erwerben? (§. 23-25.).
§. 21.
Zuerst also: welche Personen können keinen Besitz erwerben, weil sie überhaupt nicht wollen können?
Dahin gehören zunächst: juristische Personen, d. h. solche, die blos durch eine juristische Fiction als Subjecte von Rechten betrachtet werden. – So kann eine Erbschaft (hereditas jacens) alle übrigen Rechte, z. B. Eigenthum, haben, Besitz aber nicht. Das factum apprehensionis liese sich noch einigermaasen denken, indem z. B. in einem Hause, das der Erbschaft gehörte, die Sache eingeschlossen wäre: aber der animus possidendi ist hier durchaus unmöglich, und deswegen
(191) Erwerb des Besitzes.
kann eine Erbschaft das Recht des Besitzes durchaus nicht erwerben (1):
L. 1. §. 15. si is, qui testamento liber.
„ ... possessionem hereditas non habet, quae (i. e. quippe quae) est facti et animi ... “
Auf dieselbe Art sind Corporationen Besitz zu erwerben unfähig, und selbst die Ausnahme, die das neuere Recht bey Städten gemacht hat, bezieht sich blos auf den Erwerb durch Andere, gehört also nicht hierher (2).
Eben so können Wahnsinnige, wegen des unmöglichen animus possidendi, keinen Besitz erwerben: wie im Namen eines Wahnsinnigen der Besitz von Andern erworben werden könne, wird unten bestimmt werden, aber von einer auctoritas curatoris, durch welche der Wahnsinnige in Stand gesezt würde, selbst Besitz zu erwerben, kann hier, wie bey Wahnsinnigen überhaupt, nicht die Rede seyn:
L. 1. §. 3. de poss.
„Furiosus, et pupillus sine tutoris auctoritate, non potest incipere possidere: quia affectionem tenendi non habent, licet maxime corpore suo rem
(1) In wiefern dieses durch andere Personen, im Namen der Erbschaft, geschehen könne, wird unten vorkommen.
(2) L. 1. §. 22. L. 2. de poss.
(192) Zweiter Abschnitt.
contingant: sicuti si quis dormienti aliquid in manu ponat. Sed pupillus tutore auctore incipiet possidere.“
L. 18. §. 1. de poss.
So wie Wahnsinn, schliest auch Jugend von dem Erwerb des Besitzes aus: dabey ist aber der Zeitpunct zu bestimmen, mit welchem diese Unfähigkeit aufhört. – Nun ist es sicher, daß durch die Pubertät hier, wie in allen ähnlichen Fällen, alle Unfähigkeit aufgehoben ist, demnach sind nur zwey Fälle zu erwägen übrig: Impubertät im engern Sinn, und Kindheit.
Ueber die Fähigkeit der Pupillen, die nicht mehr Kinder sind, gilt diese Regel: durch Auctorität des Vormunds ist hier der Erwerb des Besitzes immer möglich, ohne diese nur dann, wenn in dem gegebenen Fall der Pupill ausgebildet genug ist, um diesen Erwerb begreifen und ernstlich wollen zu können:
L. 1. §. 5. de poss.
„ ... pupillus tutore auctore incipiet possidere. Ofilius quidem et Nerva filius, etiam sine tutoris auctoritate possidere incipere posse pupillum ajunt: eam enim rem facti, non juris esse:
(193) Erwerb des Besitzes.
quae sententia recipi potest, si ejus aetatis sint, ut intellectum capiant“ (1).
Mehr Schwierigkeit hat die Sache, wenn von Kindern die Rede ist. Daß nämlich das Kind allein den Besitz nicht erwerben kann, folgt schon daraus, daß selbst die Pupillen dieses Recht nicht ohne Einschränkung haben: daß der Vormund im Namen des Kindes Besitz erwerben kann, ist eben so gewiß, und gehört noch nicht hierher. Aber ist auch durch des Kindes eigne Handlung Erwerb des Besitzes möglich, wenn die auctoritas des Vormunds hinzukommt? aus zwey Gründen scheint diese Frage verneint werden zu müssen: erstens, weil in allen andern Fällen nur bei eigentlichen Pupillen, nicht bei Kindern, eine auctoritas des Vormunds von den Gesetzen anerkannt wird (2): zweitens, weil der Erwerb des Besitzes keine juristische Handlung ist, folglich auf den Willen des Besitzers gesehen werden muß, ohne daß dieser durch juristische Fiction supplirt werden kann. Da aber der Vormund selbst, im Namen des Kindes, Besitz erwerben kann, obgleich dabey
(1) Aus dieser sehr bestimmten Stelle müssen einige andere erklärt werden, welche ganz unbestimmt der Möglichkeit eines solchen Erwerbs erwähnen, ohne die Bedingungen dieser Möglichkeit anzugeben: L. 1. §. 11. de poss., L. 32. §. 2. eod. L. 9. pr. de auct. et cons. tutor.
(2) §. 10. I. de inutil. stip., L. 1. §. 2. de admin. tut., L. 5. de R. I.
(194) Zweiter Abschnitt.
noch weniger eine Einwilligung des Kindes statt findet, so darf der zweite Grund consequenterweise auch nicht gegen die Gültigkeit der auctoritas angeführt werden: und da man, nach der Analogie eines andern Falls der Apprehension (1), die ganze Handlung auch so betrachten kann, als ob der Vormund selbst, im Namen des Kindes, den Besitz ergriffe, so fällt auch der erste Grund weg, welcher blos aus der juristischen Natur der auctoritas hergenommen ist. – Die Römischen Juristen selbst haben zuerst über diese Frage gestritten: späterhin wurde die Gültigkeit der auctoritas als entschieden angenommen, und es wird ausdrücklich die Analogie des Erwerbs durch den Vormund, deren Bedeutung so eben entwickelt worden ist, als Grund dieser Gültigkeit angegeben:
L. 32. §. 2. de poss.
„Infans possidere recte potest, si tutore auctore coepit: nam judicium infantis suppletur auctoritate tutoris: utilitatis enim causa hoc receptum est: nam alioquin nullus consensus infantis est (2) accipienti (3) possessionem.“
(1) L. 1. §. 21. de poss. „Si jusserim venditorem procuratori rem tradere, cum ea in praesentia sit: videri mihi traditam Priscus ait.“ (S. 158.).
(2) So lesen: Cod. Rehd., Edd. Venet. 1485. („infanti“),
(195) Erwerb des Besitzes.
Der tutor auctoritatem interponens wird offenbar dem tutor accipiens possessionem entgegen gesezt, und durch die (unbestrittene) Gültigkeit der zweiten Handlung soll die Gültigkeit der ersten bewiesen werden. Demnach ist der Sinn der ganzen Stelle dieser: „die Gültigkeit der auctoritas ist, abweichend von der allgemeinen Regel (utilitatis causa), angenommen worden: denn, wenn man sie verwerfen wollte, so würde das aus dem Grunde geschehen müssen, weil es nicht der Besitzer selbst ist, der den animus possidendi hat: das ist aber auch der Fall, wenn nicht das Kind, auctore tutore, sondern der Vormund selbst, im Namen des Kindes, den Besitz erwirbt, da auch hier
Venet. 1494. – Flor. „ ... sensuse sit infantis:“ schon in der Handschrift war der Fehler corrigirt und: sensus est gesezt; dennoch hat Gebauer abdrucken lassen: sensus sit, was weder in der Handschrift steht, noch einen Sinn giebt. – Edd. Rom. 1476, Nor. 1483, Lugdun. 1513, Haloandr., Paris. 1536: „sensus infantis est.“ Dabey bemerkt Gebauer: „Hal. trajicit voces: sensus infantis est, ut nunc existimo, auctoritate alicujus codicis suffultus“: d. h. Gothofred hatte hier zufällig keine Variante alter Ausgaben notirt.
(3) Cod. Rehd., Ed. Venet. 1485: doch ist in der Rehdigerschen Handschrift von einer neuern Hand – accipientis anstatt: accipienti gesezt. – Die übrigen Ausgaben lesen mit dem Florentinischen Manuscript: accipiendi.
(196) Zweiter Abschnitt.
nicht das Kind den animus possidendi hat (1). Da nun in diesem Fall dennoch der Besitz als erworben angenommen wird, so war es consequent, auch in jenem Fall den Erwerb zu behaupten.“ – Diese Erklärung beruht auf der oben angenommenen Leseart. Nach der gewöhnlichen Leseart („nam alioquin nullus sensus infantis est accipiendi possessionem“) erklären Mehrere (2) auf diese Art: „denn auserdem, d. h. ohne Auctorität des Vormunds, würde das Kind gar keinen animus possidendi (sensus s. intellectus accipiendi possessionem) haben können.“ Diese Erklärung ist unmöglich, theils weil das Kind auch dann keinen sensus hat, wenn der Vormund seine Auctorität interponirt, folglich das: alioquin keinen Sinn hätte, theils auch deswegen, weil der ganze Satz da steht, nicht um die Nothwendigkeit der auctoritas zu beweisen, sondern um zu erklären, warum durch die auctoritas nach der nun recipirten Meinung Besitz erworben werden könne. – Doch ist die oben gegebene Erklärung auch nach der gewöhnlichen Leseart nicht unmöglich, aber der Sinn derselben ist weit unbestimmter
(1) „nam alioquin („auch in einem andern Fall“: dieser Fall selbst wird sogleich durch das Wort: accipienti bestimmt) nullus consensus infantis est accipienti (sc. tutori) possessionem.“
(2) Glossa in h. L. – Cuiacius in h. L. (opp. T. 8. p. 297). – Giphanius in h. L. (lectur. Altorph. p. 394.).
(197) Erwerb des Besitzes.
und schwankender. – Wie aus der unsrigen die andern Lesearten entstanden sind, läßt sich leicht zeigen. Da nämlich die Beziehung des „accipienti“ auf den tutor etwas versteckt liegt, so suchten die Abschreiber dieses Wort auf: infans zu beziehen: theils, indem sie infanti anstatt infantis sezten (1): theils, indem sie das accipienti in accipientis (2) oder in accipiendi (3) verwandelten, welche lezte Veränderung wieder die Verwandlung des consensus in sensus zur Folge hatte.
Hierher gehört endlich auch eine andere Stelle, die durch vielfache Interpretationen, und durch den practischen Gebrauch, den man von ihr gemacht hat, vorzüglich berühmt geworden ist (4). Bey ihrer Erklärung muß vorzüglich der Umstand in Erwägung gezogen werden, daß der Kaiser am Ende der Stelle einen Grund seiner Entscheidung angiebt, und dabey sagt: dieser Grund stehe auch schon in einem responsum von Papinian. Wo der Grund jener Entscheidung steht, muß auch die Regel selbst stehen, es ist also sehr natürlich, vor allem die Stelle aus Papinian’s responsis aufzusuchen, die hier citirt wird. Diese Stelle aber ist keine andere als die L. 32. de poss., die so eben erklärt worden ist. In dem Florentinischen Manuscript nämlich ist sie überschrieben: Paulus
(1) Ed. Venet. 1485.
(2) Cod. Rehd.
(3) Cod. Flor. rel.
(4) L. 3. C. de poss.
(198) Zweiter Abschnitt.
lib. 15. ad Sabinum, allein Alciat führt aus andern Handschriften diese Inscription an: Papinianus lib. 11. Responsorum (1), und, die Wahrheit dieses Zeugnisses vorausgesezt (2), hat diese Leseart offenbar mehr Wahrscheinlichkeit als die erste. Denn die L. 30. de poss. ist gleichfalls überschrieben: Paulus lib. 15. ad Sabinum, dagegen kommt vorher im ganzen 41ten Buch keine Stelle aus Papinian’s responsis vor. Daher läßt es sich durchaus nicht erklären, wie ein Abschreiber die Inscription des Alciat an die Stelle der Florentinischen gesezt haben sollte: dagegen ist der umgekehrte Fall sehr leicht zu begreifen, weil es sehr oft in den Pandekten der Fall ist, daß eine Stelle blos durch
(1) Alciatus in L. 1. §. 3. de poss. (opp. T. 1. p. 1208): „suadetur et auctoritate Papiniani, quem adducit, qui infra expresse loquitur, cum tutor intervenit: dict. L. quamvis (32) in fin. adscribitur enim aliquibus in codicibus ea lex Papiniano lib. Respons. 11.“ – An einer andern Stelle beschreibt Alciat sein altes Manuscript ohne Glosse und mit Inscriptionen (dispunct. lib. 1. prooem).
(2) Nämlich Cujaz erklärt einmal alle solche Angaben des Alciat für erlogen (Comm. in L. 133. de verb. obl., opp.
T. 1. p. 1249). Rechnet man dabey die Uebertreibung ab, so bleibt als Factum blos das übrig, daß Alciat einige Florentinische Lesearten falsch citirt, und grade dabey hat Augustin (emend. III. 3, bey Otto IV. p. 1504.) den Irrthum so befriedigend erklärt, daß wir durch nichts berechtigt sind, in irgend einem Fall, wie z. B. in dem unsrigen, eine Betrügerey anzunehmen.
(199) Erwerb des Besitzes.
eine andere unterbrochen ist, der Abschreiber also auch hier die L. 30. und L. 32. als eine Stelle ansehen konnte, in welche die kleine L. 31. blos eingeschoben wäre.
Aus dieser Verbindung unsrer Stelle (L. 3. C. de poss.) mit L. 32. de poss. folgt, daß der Inhalt jener Stelle kein anderer als dieser seyn kann: ein Kind erwirbt den Besitz einer Sache, wenn der Vormund durch seine auctoritas den fehlenden animus des Kindes supplirt. Diese Regel ist hier in einem Rescript auf einen einzelnen Fall angewendet, und dieser Fall muß so gedacht werden: einem Kinde war etwas geschenkt worden, der donator hatte dem Kinde selbst den Besitz übergeben, und der Vormund hatte seine auctoritas interponirt. Nachher entstand ein Zweifel, ob auf diese Art der Besitz erworben worden sey? Dieser Zweifel gründete sich darauf, daß hier das factum und der animus nicht in derselben Person vereinigt waren: der Vormund nämlich hatte den animus possidendi für das Kind, aber das Kind selbst hatte die körperliche Handlung vorgenommen, die zur Apprehension gehört, demnach wurde gezweifelt, ob durch diesen lezten Umstand der Erwerb des Besitzes nicht verhindert worden sey? Diese Frage wurde dem Kaiser vorgelegt, welcher durch das Rescript antwortete, das in unsrer Stelle enthalten ist:
(200) Zweiter Abschnitt.
„Donatarum rerum a quacunque persona ininfanti (!) vacua possessio tradita corpore (1) quaeritur. Quamvis enim sint auctorum sententiae dissentientes (2): tamen consultius videtur interim (3), licet animi plenus non fuisset affectus (4), possessionem per traditionem |
Durch die körperliche Handlung des Kindes kann allerdings in einem solchen Fall der Besitz der geschenkten Sache erworben werden. Denn obgleich ältere Schriftsteller anderer Meinung sind: ist es doch besser, den Besitz einstweilen durch diese Tradition als erworben anzunehmen, wiewohl das Kind selbst, das die körperliche Handlung vornahm, nicht zugleich den animus haben konnte. Der Grund dieser |
(1) Aus diesem Worte folgt offenbar, daß nicht in dem Kinde selbst, gegen die Regel, animus angenommen werden, sondern blos die körperliche Handlung desselben ein gültiges factum apprehensionis seyn soll. Da nun bey allem Besitz auser dem factum auch animus nöthig ist, so muß hier der animus auser dem Kinde vorhanden seyn, also in der auctoritas des Vormunds liegen.
(2) L. 32. §. 2. de poss. „utilitatis enim causa hoc receptum est.“ – Vorher also wurde natürlicherweise das Gegentheil auch von Schriftstellern behauptet.
(3) Nämlich bis das Kind die Pubertät erreicht hatte, denn alsdann konnte der Besitz auf gewöhnliche Art anfangen.
(4) Dieser affectus minus plenus soll hier nicht durch Fiction als affectus plenus gelten, sondern er ist juristisch betrachtet so gut als gar kein animus, und dieser Umstand soll hier nur nichts hindern.
(201) Erwerb des Besitzes.
esse quaesitam: alioquin, sicuti consultissimi viri Papiniani responso continetur (1), nec quidem per tutorem (2) possessio infanti poterit acquiri“ (3). |
Entscheidung, welchen schon Papinian in einem responsum anführt, liegt darin, daß man auserdem consequenterweise nicht einmal einen Erwerb des Besitzes durch die körperliche Handlung des Vormunds selbst annehmen könnte. |
Die bedeutendern Interpretationen dieser Stelle lassen sich unter drey Classen bringen.
Bassian scheint zuerst die auctoritas des Vormunds hinzugedacht zu haben, worauf hier alles ankommt. Alciat gab dieser Erklärung durch seine Variante neues Gewicht (S. 198.): daß kein Schriftsteller nach Ihm dieselbe bemerkt hat, mag mit daher kommen, weil Er selbst sie so schlecht benuzt. Aber auch ohne diese Combination hat Donellus diese Erklärung blos aus dem innern Zusammenhang unsrer Stelle
(1) L. 32. §. 2. de poss.
(2) Dieses: per tutorem entgegen gesezt dem: auctore tutore, geht auf den Erwerb des Besitzes durch körperliche Handlung des Vormunds im Namen des Kindes (L. 1. §. 20. de poss.).
(3) Papinian drückt diesen Schluß von der Gültigkeit des Erwerbs per tutorem auf die Gültigkeit der auctoritas so aus: „nam alioquin nullus consensus infantis est accipienti possessionem“ (S. 194.).
(202) Zweiter Abschnitt.
so vortrefflich entwickelt, daß aller Streit seitdem als geendigt hätte betrachtet werden sollen (1).
Nach einer zweiten Meinung, die wahrscheinlich noch älter ist als jene, soll in unsrer Stelle etwas ganz neues verordnet seyn: das Kind soll nämlich auch allein, ohne den Vormund, Besitz erwerben können (2). – Einige lassen diesen Satz ganz allgemein, für jede Tradition überhaupt, gelten (3): Andere beschränken ihn auf Schenkungen, weil blos davon in der Stelle selbst die Rede sey (4): noch Andere beschränken ihn auf solche Gegenstände, deren Besitz die Kinder vorzüglich
(1) Glossa in L. 3. C. de poss.: „vel dic secundum Ioannem quod hic fuit tradita cum auctoritate tutoris. Et quod dicit: alioquin, id est: si diceres non acquiri cum auctoritate tutoris per infantem, eadem ratione nec per ipsum tutorem.“ (cf. Azo in h. L., lectura p. 568). – Alciatus in L. 1. §. 3. de poss. (opp. T. 1. p. 1208.). – Cuiacius in L. 1. §. 3. de poss. (opp. T. 5. p. 695, T. 8. p. 241.), und: in L. 3. C. de poss. (opp. T. 9. p. 1014.). – Obrecht de poss. C. 10. §. 365-374. – Donellus in comm. j. civ. L. 5. C. 11. (p. 191. ed. Hanov. 1612.). – Giphanius in L. 26. C. de donat. (lectur. Altorph. p. 196.).
(2) Glossa in L. 3. C. de poss. – Azo in h. L. (lectura p. 567). – Duarenus in L. 1. §. 3. de poss. (opp. p. 827.). – Giphanius in L. 3. C. de poss. (Explanat. Cod., P. 2. p. 243: vergl. die vorige Note). – Cuperus de poss. P. 2. C. 24.
(3) Azo l. c. – Cuperus l. c.
(4) Duarenus l. c. – Giphanius l. c. – Duaren fordert auserdem, daß eine bewegliche Sache Gegenstand der Schenkung sey.
(203) Erwerb des Besitzes.
interessirt, z. B. Spielsachen (1). – Auch nach dieser Erklärung kann freylich ein Zusammenhang der lezten Worte unsres Gesetzes mit der Entscheidung desselben gedacht werden (2), aber der Schluß, den nun Papinian und mit ihm der Gesetzgeber machen würde, wäre so unlogisch, daß schon dadurch die erste Meinung ein entschiedenes Uebergewicht erhält (3).
Eine dritte Meinung endlich steht zwischen beiden ersten in der Mitte (4). Nach ihr soll das Kind allein den Besitz erwerben, aber nur einstweilen („interim“) d. h. bis in der Folge durch Auctorität des Vormunds das fehlende ergänzt wird. Auch nach dieser Erklärung
(1) Azo l. c. „Alii distinguunt, aut dedit eis res, quarum voluit infans retinere possessionem, ut denarios, castaneas, et similia ludicra: aut quarum noluit retinere possessionem, ut castrum, vel talia. In primis bene habet affectum, et acquirit possessionem: in aliis non. Et in eis intellexerunt veteres, “ d. h. die früheren Glossatoren. Demnach ist es ganz falsch, wenn Dinus (um 1300) als Urheber dieser Meinung genannt wird.
(2) Glossa in L. 3. C. de poss. „id est, si non quaeritur infanti, quia non habet affectum: nec tutor ei quaeret eadem ratione. Utroque ergo modo ei quaeritur favore benignitatis magis, quam stricti juris ratione. Irnerius. – Sunt ergo hic duo, quorum altero remoto, et alterum removetur.“ – Eben so Duaren und Cuper.
(3) Donellus l. c. (S. 202)
(4) Beyma in var. tit. jur. p. 325. 414. – Retes de poss. P. 1. C. 4. (Meerm. VII. p. 469.).
(204) Zweiter Abschnitt.
enthielte unsre Stelle etwas ganz neues: theils weil doch einstweilen gegen die Regel der Besitz erworben würde (1), theils weil es ganz ungewöhnlich ist, daß die auctoritas erst in der Folge hinzukommen darf. – Uebrigens ist hier der Zusammenhang der Schlußworte mit der ganzen Stelle eben so schlecht als nach der vorigen Erklärung.
§. 22.
Soll der animus possidendi als möglich gedacht werden können, so muß auch der Gegenstand so beschaffen seyn, daß wir uns seiner als einer einzelnen Sache bewust werden können (S. 190). Unter welchen Bedingungen ist es also möglich, an einem einzelnen Theil eines Ganzen Besitz zu erwerben? –
Dieser Erwerb läßt sich auf zweyerley Art denken: entweder so, daß der einzelne Theil allein, oder daß er in dem Ganzen und durch dasselbe besessen werden soll. Auf den ersten Fall beziehen sich die drey ersten Regeln, auf den zweiten die vierte Regel.
Erstens: Ist der Theil so beschaffen, daß er auch ein eignes Ganze für sich ausmacht, d. h. ist der Begriff des Ganzen selbst, auf welches dieser Theil sich
(1) Doch soll nach Retes dieser Besitz einstweilen eine blose Detention seyn. Dann aber verstände sich die Sache so sehr von selbst, daß es auf keine Weise eines Kaiserlichen Rescripts mit juristischen Gründen bedurft hätte.
(205) Erwerb des Besitzes.
bezieht, willkührlich angenommen, so hat die Möglichkeit, an diesem Theil allein Besitz zu erwerben, keinen Zweifel. So z. B. ist es bey Grundstücken völlig willkührlich, wo die Gränze eines Ganzen angenommen werden soll, folglich kann an jedem Stück Land von bestimmtem Umfang Besitz erworben werden, obgleich der bisherige Besitzer es als Theil eines grösern Ganzen behandelt hat. Aber auf bestimmten Umfang des Theils, welcher erworben werden soll, kommt es allerdings an, d. h. es wird nur so weit Besitz an der Sache erworben, als der neue Besitzer sich die Sache als Gegenstand des Besitzes bestimmt vorstellt.
Zweitens: Ist das Ganze blos ideell, nicht reell getheilt, so ist gleichfalls Besitz eines einzelnen Theils möglich, vorausgesezt daß auch hier der Umfang dieses Theils völlig bestimmt sey. Nun ist in diesem Fall die Bestimmung der Theile überhaupt blos arithmetisch, also ist es das Verhältniß dieses Theils zum Ganzen, was man kennen muß, um den Besitz des Theils erwerben zu können, d. h. das Ganze wird als Einheit behandelt, der Theil als ein Bruch, und man muß den Zähler und Nenner dieses Bruchs kennen, wenn der Besitz erworben werden soll. Wer z. B. den dritten Theil eines Vermögens geerbt hat, hat dadurch an jeder einzelnen Sache, die dem Verstorbenen gehörte, den dritten Theil des Eigenthums erworben. Verkauft und übergiebt
(206) Zweiter Abschnitt.
Er nun einen Acker, der zur Erbschaft gehörte, so erwirbt der Käufer den Besitz eines Drittheils dieses Ackers, denn dieses Drittheil ist das, was Er sich als Gegenstand seines neuen Besitzes denkt. – Die erste und zweite Regel zugleich sind in folgenden Gesetzen enthalten:
1. L. 26. de poss. (Pomponius lib. 26. ad Q. Mucium).
„Locus certus ex fundo et possideri et per longam possessionem capi potest: et certa pars pro indiviso, quae introducitur vel ex emptione, vel ex donatione, vel qualibet alia ex causa. Incerta autem pars nec tradi, nec (usu) capi potest (1): veluti si ita tibi tradam, Quidquid mei juris in eo fundo est (2): nam qui ignorat (3), nec tradere, nec accipere id quod incertum est, potest.“
(1) d. h. es kann kein Besitz daran erworben werden.
(2) Dieses Beyspiel, so wie die Regel selbst, geht auf beide oben erklärte Fälle zugleich. Besitz also ist auf gleiche Weise unmöglich, es mag von einem locus incertus ex fundo, oder von einer incerta pars pro indiviso die Rede seyn.
(3) sc. quanta pars sit.
(207) Erwerb des Besitzes.
2. L. 32. § 2. de usurp. (Pomponius lib. 32. ad Sabinum).
„Incertam partem possidere nemo potest. Ideo si plures sint in fundo, qui ignorent, quotam quisque partem possideat: neminem eorum mera subtilitate possidere Labeo scribit“ (1).
3. L. 3. § 2. de poss.
„Incertam partem rei nemo possidere potest: veluti si hac mente sis, ut
(1) Was ist es eigentlich, was hier als blose Subtilität stillschweigend misbilligt wird? Die Regel nicht, denn diese stellt Pomponius in dieser und in der vorigen Stelle gradezu als wahr auf, auch folgt sie unmittelbar aus dem Begriff des animus possidendi. Also ist es nur diese Anwendung der Regel, was getadelt wird, und diese Anwendung muß so gedacht werden: zwey Personen, deren jede auf ein vacantes Grundstück Anspruch macht, occupiren dasselbe zu gleicher Zeit. Keiner will vorjezt (!) dem Andern den Besitz streitig machen, weil Beide vor einem Dritten am meisten sich fürchten: sie erkennen sich also stillschweigend als Mitbesitzer an. Nun kann streng genommen blos durch eine juristische Handlung ein ideeller Theil entstehen („introducitur ex emptione“ etc. L. 26. de poss.), folglich ist hier Keiner Besitzer geworden, folglich kann der Dritte mit Gewalt den Besitz occupiren. Aber diese ganze Folgerung beruht auf bloser Subtilität, und es ist offenbar viel natürlicher, jeden zur Hälfte als Besitzer zu betrachten, obgleich keine ausdrückliche Verabredung hierüber nachgewiesen werden kann.
(208) Zweiter Abschnitt.
quidquid Titius possidet, tu quoque velis possidere.“
Drittens: Auser diesen beiden Fällen ist es immer unmöglich, den Besitz eines einzelnen Theils für sich zu erwerben. Gewöhnlich wird diese Unmöglichkeit selbst eine physische seyn, also der Bestimmung der Gesetze nicht bedürfen: so z. B. versteht es sich von selbst, daß Niemand an einem Balken in einer Wand, oder an einem Wagenrad Besitz erwerben kann, solange die Verbindung dieser Theile mit ihrem Ganzen fortdauert. Aber auch abgesehen von dieser physischen Unmöglichkeit ist dieser Besitz aus juristischen Gründen allgemein unmöglich: so kann z. B. ein ganzes Gebäude, ohne den Boden worauf es ruht, nicht besessen werden (1), und der Grund liegt offenbar darin, daß ein Gebäude, als Theil eines Ganzen, für unzertrennlich von dem Boden angesehen wird.
Viertens: Wer den Besitz eines Ganzen erwirbt, besizt nur das Ganze, nicht jeden Theil für sich. – Die drey ersten Regeln betrafen den Besitz des Theils, welcher abgesondert von dem Ganzen erworben werden sollte: hier ist die Rede von dem Theil, welcher in dem Ganzen und durch dasselbe, aber dennoch als eine
(1) L. 25. 26. de usurp. „Sine possessione usucapio contingere non potest. – Numquam superficies sine solo capi longo tempore potest“.
(209) Erwerb des Besitzes.
besondere Sache besessen werden soll: dieser Besitz ist es, dessen Möglichkeit geläugnet wird. Uebrigens bezieht sich diese Regel fast blos auf die Usucapion, da sich kaum ein anderer Fall denken läßt, in welchem sie practisches Interesse haben könnte: aber bey der Usucapion selbst betrifft sie blos das Daseyn des Besitzes, folglich ist hier der Ort, wo sie erörtert werden muß.
Die erste Anwendung, in welcher diese Regel sich findet, ist diese: wer einen Wagen besizt, hat nicht auch den Besitz der Räder als einzelner Sachen für sich, und eben so verhält es sich mit andern zusammengesezten beweglichen Sachen (1). Wenn z. B. der Wagen gestohlen ist, so kann er nicht usucapirt werden: wird ihm nun ein Rad eingesezt, das nicht gestohlen ist, so wird dieses dennoch nicht usucapirt, weil nicht das Rad für sich, sondern der Wagen besessen wird. Eben so kann umgekehrt ein gestohlenes Rad mit dem ganzen Wagen zugleich usucapirt werden, wenn nur dieser nicht gestohlen ist. – Ist in einem solchen Fall
(1) L. 7. §. 1. 2. ad exhib. „ ... Si rotam meam vehiculo aptaveris, teneberis ad exhibendum. Et ita Pomponius scribit: quamvis tunc civiliter non possideas. Idem et si armario vel navi tabulam meam, vel ansam scypho junxeris“ rel. – So wie civilis possessio, hätte hier aller juristische Besitz überhaupt negirt werden können: aber diese Negation, so wie unsere Regel überhaupt, wird nicht leicht auser der Usucapion gebraucht werden können.
(210) Zweiter Abschnitt.
die Usucapion des Ganzen vollendet, so ist auch an jedem Theil Eigenthum erworben, und dieses Eigenthum wird natürlich durch die Trennung der Theile nicht aufgehoben: geschieht die Trennung vor geendigter Usucapion, so muß für den getrennten Theil eine neue Usucapion angefangen werden, aber die justa causa des Ganzen erstreckt sich auch auf diesen Theil (1).
Zweite Anwendung: Wer ein Grundstück kauft, besizt dieses Grundstück im Ganzen, und nicht einzelne Stücke desselben für sich (2). Dieser Fall unterscheidet sich indessen von den übrigen dadurch, daß der Begriff des Ganzen willkührlich angenommen, folglich auch eine reelle Trennung unmöglich ist. Demnach beschränkt sich hier die Anwendung unsrer Regel auf die justa causa, wobey sie auch allein in den Gesetzen angeführt wird.
Dritte Anwendung: Wer ein Grundstück usucapirt, erwirbt nach der falschen Meinung einiger Juristen zugleich mit dem Grundstück auch den Schatz, der darin
(1) L. 11. §. 6. de public. in rem act. – Was diese Stelle über zerstörte Gebäude bestimmt, muß von jedem getrennten Ganzen gelten(.)
(2) L. 2. §. 6. pro emtore: „Cum Stichum emissem, Dama per ignorantiam mihi pro eo traditus est. Priscus ait, usu me eum non capturum: quia id, quod emptum non sit, pro emptore usucapi non potest. Sed si fundus emptus sit, et ampliores fines possessi sint, totum longo tempore capi: quoniam universitas ejus possideatur, non singulae partes.“
(211) Erwerb des Besitzes.
vergraben ist (1). Aber das Falsche in dieser Meinung liegt nicht darin, daß Usucapion des Theils zugleich mit dem Ganzen behauptet wird, sondern in der Betrachtung des Schatzes als eines Theils des Grundstücks. Demnach ist hier nur die Anwendung unsrer Regel unrichtig gemacht.
Vierte Anwendung: Wer ein Haus besizt, hat nicht auch den Besitz der einzelnen Balken und Mauersteine. Hätte Er diesen, so würde Er die Balken und Steine, als bewegliche Sachen, früher erwerben als das Haus: das ist nach unsrer Regel unmöglich (2). Eben
(1) L. 3. §. 3. de poss. (s. o. S. 175.).
(2) L. 23. pr. de usurp. , , Eum, qui aedes mercatus est, non puto aliud, quam ipsas aedes, possidere: namsi singulas res possidere intellegetur, ipsas aedes non possidebit: separatis enim corporibus, ex quibus aedes constant, universitas aedium intellegi non poterit: accidit (accedit) eo, quod si quis singulas res possidere dixerit, necesse erit, (ut) dicat, (in) possessione superficiei temporibus de mobilibus statutis locum esse, solum se capturum esse ampliori (tempore): quod absurdum, et minime juri civili conveniens est, ut una res diversis temporibus capiatur: utputa cum aedes ex duabus rebus constant, ex solo et superficie, et universitas earum possessione temporis immobilium rerum dominium mutet” (So lesen: Cod. Rehd., Edd. Rom. 1476, Nor. 1483, Ven. 1485, Ven. 1494, Lugdun. 1513, Hal., Paris. 1536. – Die Florentinische Leseart ist ganz ohne Sinn: „possessionem temporis immobilium rerum omnium mutet“). – cf. L. 8. quod vi.
(212) Zweiter Abschnitt.
so ist es eine blose Folge unsrer Regel, und ganz den übrigen Fällen analog, daß, wenn ein Haus vor vollendeter Usucapion abgerissen wird, die Balken und Steine von neuem, als bewegliche Sachen, usucapirt werden müssen (1). – Aber etwas ganz eignes ist es, daß auch die vollendete Usucapion des Gebäudes sich nicht auf die Baumaterialien, als Theile jenes Ganzen, erstreckt, diese also nach der Trennung von neuem usucapirt werden müssen, obgleich das Haus selbst längst erworben war (2). Der Grund dieser Ausnahme liegt darin: wird irgend eine andere Sache, als Theil, mit einem Ganzen verbunden, so kann der Eigenthümer durch die actio ad exhibendum die Trennung fordern, dann aber die getrennte Sache wie jede andere vindiciren. Nicht so bey Baumaterialien: hier darf der
(1) L. 23. §. 2. de usurp. , , Si autem demolita domus est, ex integro res mobiles possidendae sunt, ut tempore, quod in usucapione rerum mobilium constitutum est, usucapiantur: et non potest recte uti eo tempore, quo in aedificio fuerunt” rel.
(2) L. 23. §. 7. de rei vind. , , Item si quis ex alienis cementis in solo suo aedificaverit, domum quidem vindicare poterit, cementa autem resoluta prior dominus vindicabit, etiamsi post tempus usucapionis dissolutum sit aedificium, postquam a bonae fidei emptore possessum sit: nec enim singula cementa usucapiuntur, si domus per temporis spatium nostra fiat.” – cf. L. 59. in f. eod., (!) L. 7. §. 11. de adquir. rer. dom.
(213) Erwerb des Besitzes.
Eigenthümer keine Trennung verlangen (1), und es war eine natürliche Folge davon, daß man die Usucapion gar nicht zulies, die der Eigenthümer nicht das Recht hatte durch eine Vindication zu unterbrechen.
Auch in der Anwendung dieser Regel unterscheidet sich wieder der Erwerb von dem Verlust des Besitzes. Ist nämlich der Besitz einer Sache einmal angefangen, so wird er dadurch nicht verloren, daß diese Sache mit andern Sachen zu einem neuen Ganzen verbunden wird (2), und es ist nöthig, dieses Satzes hier zu erwähnen, weil man in der Stelle des Römischen Rechts,
(1) §. 29. I. de rer. div., Dig. Lib. 47. Tit. 3. – Daß hierin würklich der Grund jener Ausnahme liegt, erhellt aus: L. 23. §. 6. 7. de rei vind.
(2) In einem der oben angeführten Fälle (L. 7. §. 1. 2. ad exhib., (S. 209.) war zwar auch der Besitz des Theils früher vorhanden, als die Verbindung mit dem Ganzen: allein beides muß daselbst als unmittelbar auf einander folgend gedacht werden, so daß keine Usucapion des Theils für sich anfangen konnte, weil derselbe blos ergriffen wurde, um ihn unmittelbar darauf mit einem Ganzen zu verbinden. – Das übrigens versteht sich von selbst, daß durch die Verbindung der Theil selbst nicht etwa ein anderer Körper als vorher geworden seyn müsse (specificatio): denn dadurch hätte die Existenz der vorigen Sache in der That aufgehört, folglich auch ihr Besitz L. 30. §. 4. de poss. „ ... desinimus possidere ... si, quod possidebam, in aliam speciem translatum est.“ – L. 30. §. 1. de usurp. , , ... cum utrumque maneat integrum.”
(214) Zweiter Abschnitt.
welche ihn enthält, einen Widerspruch gegen unsre Regel zu finden geglaubt hat (1). Aber hier, wie bey dem Erwerb, muß eine Ausnahme gemacht werden, wenn von Baumaterialien die Rede ist: zwar wird auch ein Fall dieser Art angeführt, in welchem die angefangene Usucapion nicht unterbrochen seyn soll, aber der Jurist sezt ausdrücklich hinzu, daß zur vollendeten Usucapion nur noch eine Zeit von zehen Tagen gefehlt
(1) L. 30. §. 1. de usurp. „Labeo libris epistularum ait, si is, cui ad tegulorum (tegularum) vel columnarum usucapionem decem dies superessent, in aedificium eas conjecisset, nihilominus eum usucapturum, si aedificium possedisset. Quid ergo in his, quae non quidem implicantur rebus soli, sed mobilia permanent, ut in anulo gemma? In quo verum est, et aurum et gemmam“ (d. h. jedes als eine Sache für sich) „possideri, et usucapi, cum utrumque maneat integrum“ (Aus dem Worte: maneat folgt nothwendig, daß die Sachen erst einzeln besessen, und dann zu einem Ganzen verbunden wurden.) – Westphal (Arten der Sachen [et]c. §. 46. 548.) hat, soviel ich weis, zuerst auf diesen Unterschied des Erwerbs von dem Verlust des Besitzes aufmerksam gemacht. Ihm folgt: Winckler diss. de interrupt. usuc. ac praescr., Lips. 1793. p. 37. – Cuper (p. 29.) behauptet einen unauflöslichen Widerspruch der Römischen Juristen. Eben so: Fleck de adqu. poss. p. 31. etc. – Das besondere Recht der Baumaterialien hat Man (ad L. 3. §. 3. de poss., §. 15, p. 339.) richtig angegeben, aber er verwechselt diese Ausnahme mit der allgemeinen Regel, die hier auseinander gesezt worden ist.
(215) Erwerb des Besitzes.
habe, also eine so kurze Zeit, daß eine usurpatio durch Vindication kaum noch möglich gewesen wäre.
§. 23.
Bey dem animus possidendi ist zulezt noch die Beschaffenheit des abgeleiteten Besitzes zu untersuchen (S. 190).
Das Eigenthümliche dieses Besitzes liegt darin, daß ein früherer Besitzer sein jus possessionis ohne Eigenthum überträgt: demnach ist das factum appprehensionis (!) gar nicht von jedem andern unterschieden, auch ein bestimmtes Wollen muß mit diesem factum verbunden seyn, aber dieses Wollen muß blos darauf gerichtet seyn, das jus possessionis zu erwerben. Die Sache als eine eigne Sache behandeln wollen (animus domini), ist also hier nicht einmal möglich, weil das Eigenthum eines Andern ausdrücklich anerkannt wird (S. 180).
Hier kommt es darauf an, die Fälle des abgeleiteten Besitzes vollständig anzugeben: d. h. es sind alle juristische Geschäfte überhaupt zu untersuchen, in welchen Detention ohne Eigenthum übertragen wird, und es ist bey jedem derselben zu bestimmen, ob das jus possessionis zugleich mit der Detention übertragen werde oder nicht. Demnach sind diese juristischen Geschäfte überhaupt in drey Classen abzutheilen: einige begründen einen abgeleiteten Besitz nie (§. 23), andere
(216) Zweiter Abschnitt.
immer (§. 24), noch andere nur zuweilen (§. 25). Für alle überhaupt ist es nöthig, an eine Bemerkung sich zu erinnern, die schon oben gemacht worden ist (S. 189): aller abgeleitete Besitz nämlich ist Ausnahme von der Regel, demnach ist es Regel, daß durch die juristischen Geschäfte dieser Art kein juristischer Besitz entstehe, und es muß für jeden Fall, in welchem dennoch Besitz übertragen seyn soll, die Existenz desselben besonders bewiesen und erklärt werden.
Erste Classe: Fälle, in welchen mit der Detention nie zugleich der juristische Besitz übertragen wird. – Alle diese Fälle kommen darin überein, daß der bisherige Besitzer durch diese Uebertragung sein jus possessionis durchaus nicht verliert, der Andere also diesen Besitz nicht erwirbt, sondern blos als Stellvertreter einen fremden Besitz ausübt.
Der erste dieser Fälle, welcher am wenigsten einem Zweifel unterworfen seyn kann, ist dieser: die Detention wird eben zu dem Zweck übertragen, daß der Andere unsern Besitz verwalte (procurator possessionis exercendae causa). Hier ist dieses Verhältniß des Besitzes sogar der einzige Gegenstand des ganzen Geschäfts (1).
(1) „Quod servus, vel procurator, vel colonus tenent, dominus creditur possidere.” L. 1. §. 22. de vi.
(217) Erwerb des Besitzes.
Zweitens gehört hierher das commodatum. Wer seine Sache einem Andern unter dieser Form zum Gebrauch überläßt, verliert folglich den Besitz eben so wenig, als der commodans ihn erwirbt (1).
Ganz eben so verhält es sich Drittens mit dem Pachtcontract, da auch in der Natur dieses Vertrags kein Grund liegt, den Besitz als veräusert anzunehmen (2). Was nämlich die Usucapion betrifft, so kann dieser Vertrag durchaus keinen Einfluß darauf haben: aber auch wegen der Interdicte ist es gar nicht nöthig, dem Pachter den Besitz zuzusprechen. Denn gegen die Gewaltthätigkeit des Eigenthümers schüzt den Pachter schon der blose Vertrag, und stört ein Dritter den Besitz, so sind die Interdicte des Eigenthümers hinreichend, da auch in diesem Fall der Pachter aus dem Vertrag fordern kann, daß der Eigenthümer ihn schadlos
(1) „Rei commodatae et possessionem et proprietatem retinemus.“ L. 8. commodati. – cf. L. 3. §. 20. de poss.
(2) , , ... et colonus et inquilinus sunt in praedio: et tamen non possident.” L. 6. §. 2. de precario. – , , Et per colonos, et inquilinos, aut servos nostros possidemus.” L. 25. §. 1. de poss. – – Einige haben sich durch zwey Stellen irre machen lassen, in welchen dem Pachter die Interdicte zugesprochen werden (L. 12. 18. de vi.) Allein da wird vorausgesezt, daß der Pachter den Eigenthümer mit Gewalt aus dem Besitz gesezt habe: von dieser dejectio also, und nicht von dem Pacht fieng der Besitz des Pachters an.
(218) Zweiter Abschnitt.
halte, oder ihm die Interdicte cedire. – Von dieser Regel, daß der Pachter nur im Namen des Verpachters besitze, werden ohne Grund folgende Ausnahmen behauptet: A.) wenn der Pachter zugleich Eigenthümer der Sache ist, die bisher in fremdem Besitz war: in diesem Fall soll der bisherige Besitz in der That aufhören, es müste denn mit Rücksicht auf jenes Verhältniß, d. h. blos weil der Besitz in fremden Händen war, der Vertrag geschlossen worden seyn (solius possessionis locatio conductio) (1). Allein der Grund davon liegt blos darin, daß in diesem Fall gar kein Pachtcontract anerkannt wird, folglich ist darin keine Ausnahme, sondern eine reine Anwendung unsrer Regel enthalten. – B.) wenn der Uebergang des Besitzes ausdrücklich ausgemacht wird. Eine solche Verabredung nämlich widerspricht der Natur des Pachts so sehr, daß der Pacht als aufgehoben gilt, wenn durch ein anderes Geschäft der Besitz übertragen wird (2). Mehrere haben diesen Satz geläugnet, indem sie die possessionis locatio, die so eben erklärt worden ist, misverstanden haben: diese bezeichnet nicht einen Pacht, wodurch der Besitz erworben werden soll; sondern wobey der blose Besitz in dem Verpachter vorausgesezt wird.
(1) L. 21. de usurp., L. 28. de poss. – Eine Anwendung des Satzes (L. 35. §. 1. L. 37. de pign. act.) s. §. 24.
(2) L. 6. §. 2. de precario (s. u. §. 25.).
(219) Erwerb des Besitzes.
Nur dadurch unterscheidet sich dieser Fall von den gewöhnlichen, in welchen der Verpachter Besitz und Eigenthum zugleich hat: das hat er mit allen übrigen Fällen gemein, daß der Pachter nur den Besitz verwaltet, den der Verpachter würklich hat (1).
Ein vierter Fall, worin Detention ohne Besitz übertragen wird, bezieht sich auf eine Form der Römischen Prozesses, die missio in possessionem. Diese Erlaubniß des Prätors, Besitz zu ergreifen, wurde zu zwey verschiedenen Zwecken gebraucht: A.) um Eigenthum zu übertragen, (prätorisches Eigenthum nämlich, mit conditio usucapiendi) (2). Dadurch konnte freylich auch Besitz erworben werden, aber dieser Besitz war kein abgeleiteter, sondern ein ursprünglicher Besitz, weil der Besitzer pro suo besaß, d. h. um die Sache als seine eigne zu behandeln. – B.) um vor einer Veräuserung sicher zu stellen, Früchte geniesen zu lassen. u. s. w. Diese Fälle sind es, in welchen blose Detention, ohne
(1) L. 37. de pign. act. (s. u. §. 24.)
(2) Dahin gehört die missio ex secundo decreto damni infecti causa (L. 7. pr. de damno infecto): auch wird ausdrücklich bemerkt, daß durch diese juristischer Besitz entstehe, was bey dem primum decretum nie der Fall war (L. 3. §. 23. de poss.). – Auf gleiche Weise und mit derselben Würkung auf das Recht einzelner Sachen wurde alle B. P. gegeben, obgleich das Wort: missio bey der B. P. edictalis vielleicht nie vorkommt.
(220) Zweiter Abschnitt.
Besitz, erworben wird. Der Grund liegt darin: Usucapion soll der missus in possessionem nicht haben, denn dadurch eben unterscheidet sich diese missio von der ersten Art: der Interdicte wegen ist es auch nicht nöthig, Ihm Besitz zuzuschreiben, weil er ohnehin ein eignes Interdict hat, das von den possessorischen verschieden, und selbst vortheilhafter als diese ist (1). Demnach ist es leicht zu erklären, daß bey jeder missio dieser Art der missus durchaus keinen Besitz erhält, sondern nur im Namen des vorigen Besitzers die Detention der Sache hat (2).
(1) Digest. lib. 43. tit. 4.
(2) L. 3. §. 23., L. 10. §. 1. de poss., L. 3. §. 8. uti poss. – Thibaut (über Besitz S. 13.) behauptet eine Ausnahme im Fall der fraudulenta absentia (L. 7. pr. quibus ex causis in poss.): aber das „bona possidere“ in dieser Stelle geht eben so wenig auf juristischen Besitz als jede andere missio der Creditoren (L. 3. §. 8. uti poss.), und selbst der Ausdruck: „bona possidere“ wird von andern Fällen dieser Art gebraucht, worin gewiß kein juristischer Besitz existirt (L. 12. quib. ex c. in poss.) – Der Regel selbst scheint zu widersprechen: L. 30. §. 2. de poss. „Item cum Praetor idcirco in possessionem rei (ire) jussit, quod damni infecti non promittebatur: possessionem invitum dominum amittere Labeo ait.“ Daß aber hier nicht den vorigen Stellen widersprochen werden soll, erhellt schon daraus, daß diese Stelle, und die L. 3. §. 23. de poss. denselben Verfasser (Paulus) haben: demnach ist hier die Meinung des Labeo auf keine andere Art angeführt, als in: L. 3. cit. die des O. Mucius, und das: ineptissimum est, das
(221) Erwerb des Besitzes.
Der fünfte und lezte Fall dieser Classe betrifft die Detention, die sich auf ein jus in re gründet. Wer also seine Sache einem andern um deswillen übergiebt, weil dieser den ususfructus, oder usus u. s. w. an derselben hat, verliert dadurch den Besitz nicht, und der Fructuar übt auf dieselbe Art wie ein bloser Pachter diesen Besitz des Eigenthümers aus. – Der Grund ist leicht anzugeben. Wegen der Usucapion ist keine Veränderung des Besitzes nöthig, indem durch das jus in re keine Veränderung im Eigenthum entstehen soll. Wegen der Interdicte aber eben so wenig: denn gegen den Eingriff eines Dritten wird das jus in re durch eigne Interdicte geschüzt (§. 12), und dieser Schutz verliert dadurch nichts, daß auch der Eigenthümer wegen seines Besitzes ein Interdict gegen den Verletzer hat: aber auch die mögliche Collision des Eigenthümers selbst mit dem Fructuar (et)c. macht es nicht nöthig, dem Eigenthümer den Besitz abzusprechen. Beide nämlich haben Interdicte: aber diese Interdicte verhalten sich wie die rei vindicatio zu der confessoria actio, d. h. wie die Regel zur Ausnahme, folglich kann auch durch dieses Verhältniß keine Collision entstehen, die
der lezten ausdrücklich hinzugefügt ist, muß bey der ersten supplirt werden. Als Meinung des Paulus kann sie nur für das secundum decretum gelten.
(222) Zweiter Abschnitt.
nicht sehr leicht zu entscheiden wäre. – Alle dies Sätze sind jezt zu beweisen.
Für den ususfructus ist es am leichtesten zu beweisen, daß der Fructuar durchaus keinen Besitz hat:
L. 6 §. 2. de precario. (1).
„ ... et fructuarius, inquit, et colonus et inquilinus sunt in praedio: et tamen non possident.“
L. 12. pr. de poss.
„Naturaliter videtur possidere (2) is qui usumfructum (3) habet.”
(1) Vergl. L. 1. §. 8. de poss., L. 10. §. f. de adqu. rer. dom. (§. 4. I. per quas pers.), L. 5. §. 1. ad exhibendum. – Dagegen sagt Cicero (pro Caecina C. 32. p. m. 308.): Caesenniam possedisse propter usumfructum, non negas.” Daß damals ein anderes Recht gegolten, oder Cicero aus Unwissenheit oder zum Vortheil seiner Partey einen falschen Satz für wahr ausgegeben habe, ist nicht nöthig anzunehmen. Denn daß der Fructuar irgend eine possessio würklich hat, nämlich die juris quasi possessio, mit dem Recht der Interdicte, ist nicht zu läugnen: auch kam es in jener Rechtssache blos auf das Daseyn der Interdicte an. Nur eine eigentliche possessio, d. h. eine possessio ipsius rei, soll der Fructuar nicht haben, auch behauptet diese Cicero nicht. Die Folgen freylich, die Er aus jenem Satze ableitet, kommen blos auf Rechnung des Advocaten.
(2) i. e. jus possessionis habere non videtur. Völlig bestimmt wird der Sinn dieser Stelle erst durch die Verbindung mit den übrigen Stellen: weil der Ausdruck: naturalis
(223) Erwerb des Besitzes.
Eben so wird in der andern Stelle das Verhältniß des ususfructus zum Eigenthum ausdrücklich so angegeben, daß die Ausübung des Eigenthums, (d. h. der Besitz), und die Ausübung des ususfructus ganz unabhängig von einander gedacht werden sollen, ohne daß die eine durch die andere gehindert werde:
L. 52. pr. de poss.
„Permisceri causas possessionis, et ususfructus non oportet: quemadmodum nec possessio, et proprietas misceri debent: neque (4) impediri possessionem, si alius fruatur: neque alterius fructum amputari, (5) si alter possideat.”
Dieses sehr einfache Verhältniß des Besitzes zu dem ususfructus ist von jeher nur von Wenigen anerkannt worden (6). Die Meisten geben dem Fructuar neben
possessio zweydeutig ist (S. 58-61.).
(3) Rom. 1476: „usum“
(4) Cod. Rehd., Edd. (!) Rom. 1476, Nor. 1483, Ven. 1485, Ven. 1494, Lugd. 1513, Hal., Paris. 1536. – Flor. „namque.”
(5) Cod. Rehd., Edd. Rom. 1476. rel. (s. die vor. Note). Bekanntlich wird durch non usus der ususfructus verloren; dazu soll also nach dieser Stelle die blose possessio eines Andern nicht hinreichen, weil Ausübung des ususfructus und des Eigenthums von einander unabhängig sind. – Florent. „computari.“
(6) Placentini Summa in Cod. L. 8. T. 4. (p. 373.) et L. 8. T. 5. (p. 376.). – Alciatus
(224) Zweiter Abschnitt.
der juris quasi possessio auch an der Sache selbst juristischen Besitz (1): theils wegen der misverstandnen possessio naturalis, theils weil hier nicht, wie bey andern Servituten, ein eignes Interdict gegeben wird, sondern das interdictum de vi und uti possidetis selbst. Allein welches Interdict zugelassen werde, ist offenbar von dem Recht überhaupt ein Interdict zu gebrauchen sehr verschieden: daß der Fructuar dieselben Interdicte hat, die bey dem eigentlichen Besitz gelten, ist freylich etwas besonderes, und beruht auf einer Ausdehnung jener Interdicte über ihren ursprünglichen Begriff (2): aber zugleich ist dieser Umstand sehr zufällig, das Recht des Fructuars auf Interdicte überhaupt wird ganz unrichtig als Ausnahme von der
in L. 1. pr. de poss. n. 42. 43. (p. 1200.). – Retes de poss. P. 1. C. 4. §. 11-13. (Meermann. T. 7. p. 472. 473.).
(1) Ioannes Bassianus (s. o. S. 95. 139.). – Glossa in L. 23. §. 2. quib. ex c. maj., in L. 3. §. 9. L. 9. de vi, in L. 4. uti poss., in L. 6. §. 2. de prec. – Bartolus in L. 1. pr. de poss. num. 9. 12. – Cuiacius in obss. IX 33. XVIII. 24, not. prior. in §. 4. I. per quas pers., Comm. in L. 12. pr. de poss. (opp. T. 8. p. 271.), Comm. in Cod. L. 7. T. 32. (opp. T(.) 9. p. 1007.) – Galvanus de usufructu C. 34. – Accurs und Cujaz haben eigentlich alle mögliche Meinungen zusammen: Galvanus hat andere Mittel gefunden, die Sache völlig zu verwirren.
(2) Donelli comm. j. civ. L. 15. C. 32. (p. 801.) C. 33. (p. 803.).
(225) Erwerb des Besitzes.
Regel betrachtet, und weder dieses Recht, noch jene zufällige Beziehung machen es nöthig, Ihm an der Sache selbst irgend einen Besitz zuzuschreiben.
Was von dem ususfructus gilt, muß um so mehr bey dem usus und den übrigen Servituten behauptet werden, mit welchen Detention der Sache verbunden ist, da in allen diesen Fällen noch weniger Recht von dem Eigenthum abgesondert wird, als bey dem ususfructus selbst. Auch mag hierin der Grund liegen, warum des Besitzes in diesen Verhältnissen vielleicht (1) gar nicht in den Gesetzen Erwähnung geschieht.
Dasselbe gilt endlich auch für die jura in re, die nicht Servituten sind. – Für die Superficies läßt sich dieser Satz direct beweisen. Denn auf diese gründet sich ein ganz eignes Interdict (2), also nicht das interdictum uti possidetis, welches doch bey jedem juristischen Besitz statt findet. Dazu kommt noch folgende Stelle, die ausdrücklich das oben entwickelte Verhältniß des Eigenthums zu allem jus in re, wie einer Regel zu ihrer Ausnahme, bey der superficies vorschreibt:
L. 3. §. 7. uti possidetis (3).
„ ... Ceterum superficiarii proprio interdicto
(1) s. o. S. 223. Note 3.
(2) Digest. Lib. 43. Tit. 18.
(3) Dieser Theil der Stelle ist klar und entscheidend: der vorhergehende ist schwer, weil er offenbar corrupt ist, welches theils die auserordentliche Verschiedenheit der Lesearten, theils
(226) Zweiter Abschnitt.
et actionibus a Praetore utentur: dominus autem soli, tam adversus alium, quam adversus superficiarium potior erit interdicto uti possidetis: sed Praetor superficiarium tuebitur secundum legem locationis” (1). ...
Nach der Analogie der superficies müssen auch die übrigen Fälle dieser Art, z. B. das jus in agro vectigali, bestimmt werden: und der einzige Grund, den man dagegen mit einigem Schein anführen könnte (2), nämlich das Recht der publiciana actio (3), beweist vielmehr dafür, weil dieses Recht unmittelbar darauf (4) auch bey der superficies behauptet, folglich die Aehnlichkeit beider Rechte ausdrücklich anerkannt wird.
der gänzliche Mangel des Zusammenhangs beweist. Soviel ist sehr klar, daß nur insofern die Entscheidung anders ausfallen kann, als gar keine superficies angenommen wird: folglich gehört die Sache nicht hierher.
(1) d. h. der Eigenthümer hat hier allein den Besitz, folglich allein das interdictum uti possidetis, und dieses zwar auch gegen den superficiarius, welchem aber der Prätor eine Exception giebt, so wie Er Ihm gegen den Eigenthümer, wie gegen jeden Dritten, ein besonderes Interdict geben würde.
(2) Die übrigen Gründe sind ziemlich unbedeutend: so z. B. L. 15. §. 1. qui satisd. cog. (s. o. S. 69.) Giphanius hat sie am vollständigsten zusammengestellt (in L. 12. de poss., lectur. Altorph. p. 457.).
(3) L. 12. §. 2. de public.
(4) L. 12. §. 3. eod.
(227) Erwerb des Besitzes.
Placentin (1) ist vielleicht der einzige Schriftsteller, der diese völlige Gleichheit des Besitzes bey allem jus in re, d. h. bey ususfructus, superficies, emphyteusis (et)c. (et)c. anerkannt hat. Die Meisten haben sich damit begnügt, theils bey dem ususfructus, theils bey der superficies die Verhältnisse des Besitzes zu untersuchen, weil zufällig nur dabey in den Gesetzen des Besitzes erwähnt wird.
§. 24.
Zweite Classe: Detention, welche nie ohne Besitz übertragen wird (S. 216.).
Unter dieser Classe ist kein anderer Fall begriffen, als der Besitz des Pfandglaubigers, d. h. der Besitz, welcher durch den contractus pignoris begründet ist. Dieser allein also ist es, wodurch jener Besitz entsteht, nicht jede Verpfändung überhaupt: namentlich nicht ein blos prätorisches Pfand, denn ein solches entsteht aus jeder missio in possessionem (2), und doch hat die missio in den meisten Fällen keinen Besitz zur Folge (S. 219.): eben so wenig ein bloser Vertrag, wodurch ohne Uebergabe eine Sache verpfändet wird (3).
(1) Summa in Cod. L. 8. T. 4. (p. 373.) L. 8. T. 5. (p. 376).
(2) L. 26. pr. de pign. act., L. 12. pro emtore.
(3) L. 33. §. 5. de usurp. – Dieses pactum hypothecae ist nicht zu verwechseln mit einem
(228) Zweiter Abschnitt.
Der Besitz des Pfandglaubigers ist so zu erklären. Die Römer hatten lange Zeit nur zwey Arten, durch das Eigenthum des Schuldners die Erfüllung einer obligatio zu sichern. Man pflegte erstens das Eigenthum einer Sache durch Mancipation dem Glaubiger gleich Anfangs zu überlassen, jedoch so, daß dieser bey der Mancipation selbst versprach, die Sache wieder einlösen zu lassen (pactum de remancipando, fiducia). Diese Form aber war nicht nur beschwerlich, sondern auch auf bestimmte Arten von Sachen (die res mancipi) beschränkt: deswegen war es zweitens gewöhnlich, die Sache dem Glaubiger blos hinzugeben, ohne daß durch dieses Hingeben ein anderes Recht entstand, als das des Schuldners, in Zukunft die Rückgabe zu verlangen (actio pigneratitia). Zunächst erhält also der Glaubiger durch diese Uebergabe blos die natürliche Sicherheit, die Ihm die Aufbewahrung einer Sache gewährt, aus welcher Er sich in Zukunft bezahlt machen kann: verliert Er den natürlichen Besitz, so ist alle Sicherheit verloren. Nun kommen aber auch die possessorischen Interdicte in Betracht, und es läßt sich leicht aus der Natur jenes Contracts zeigen, Welchem von beiden Theilen diese Interdicte überlassen werden
andern Geschäft, das auf den ersten Blick dasselbe zu seyn scheint, nämlich pignus, verbunden mit constitutum possessorium. Davon unten mehr.
(229) Erwerb des Besitzes.
musten: nicht dem Schuldner, denn sonst würde es diesem nicht schwer seyn, auf unrechtliche Art den natürlichen Besitz der Sache wieder zu erhalten: wohl aber dem Glaubiger, denn daß dieser die Detention habe, war der Inhalt des Contracts, und die Interdicte sind blos dazu da, Detention zu erhalten oder wieder zu geben. Etwas änderte sich die Sache, als dem Pfandglaubiger späterhin eine Realklage (actio quasi serviana) gestattet wurde, um den verlornen Besitz wieder zu erlangen. Nun waren Ihm die Interdicte weniger unentbehrlich, aber Er behielt sie dennoch, denn auch der Eigenthümer bekam die Interdicte, obgleich Er von jeher eine Vindication hatte: ein groser Irrthum also ist es, wenn man die possessio des Glaubigers auf jene Realklage, als auf ihren Grund oder ihre Folge, bezieht, und sie erst durch diese und um dieser willen entstehen läßt, da sie im Gegentheil durch die Realklage hätte aufhören können. – Demnach wäre nun das Verhältniß dieses: der Glaubiger hätte den juristischen Besitz, d. h. das Recht der Interdicte, aber nicht auch das Recht der Usucapion (possessio civilis), weil weder justa causa noch bona fides vorhanden ist: der Schuldner hätte nicht das Recht der Interdicte, also überhaupt keinen juristischen Besitz, also wäre selbst die Usucapion aufgehoben, die Er etwa bis zu dieser Zeit gehabt
(230) Zweiter Abschnitt.
hätte (S. 55). – Allein dieser lezte Punct ist nicht nur keine unmittelbare Folge aus dem Zweck des Pfandcontracts, sondern sogar dem Interesse des Pfandglaubigers grade entgegen gesezt. Denn wenn an der Sache, welche der Schuldner bisher usucapirte, ein Anderer das Römische Eigenthum hatte, so konnte dessen Vindication blos durch die vollendete Usucapion ausgeschlossen werden: war diese jezt unterbrochen, so verlor der Eigenthümer nie das Recht, gegen den Glaubiger, wie gegen jeden andern Besitzer, seine Vindication zu gebrauchen. – Dieses entgegen gesezte Interesse des Glaubigers in Beziehung auf Interdicte und Usucapion hat bey dem Pfandcontract eine Ausnahme von den Regeln des Besitzes veranlaßt, wie sie bey keinem andern Geschäfte sich findet. Das Ganze nämlich ist nun so zu bestimmen: der Glaubiger hat possessio, d. h. das Recht der Interdicte, aber keine possessio civilis, d. h. nicht das Recht der Usucapion: der Schuldner hat nicht das Recht der Interdicte, ja er hat überhaupt gar keinen Besitz, aber Er sezt dennoch die angefangene Usucapion fort, gleich als ob Er noch immer den Besitz hätte. Es ist nicht so gleichgültig, als es auf den ersten Blick scheint, ob man den lezten Satz so ausdrückt, wie es hier geschehen ist und durch eine Stelle des Römischen Rechts gerechtfertigt
(231) Erwerb des Besitzes.
wird (1), oder ob man sagt, der Schuldner habe würklich den Besitz, es sey folglich der Besitz zwischen Ihm und dem Glaubiger getheilt. Denn erstens bezieht sich nach unsrem Ausdruck die ganze Ausnahme auf die Regel: sine possessione usucapio contingere non potest, nicht auf die andere Regel: plures eandem rem in solidum possidere non possunt, wodurch denn die Allgemeinheit dieser lezten Regel auch gegen diesen Einwurf gesichert ist. Zweitens läßt sich daraus zeigen, auf welcher Seite allein die Ausnahme von der Regel liegt: nämlich das Recht des Schuldners ist das, was von der Regel abweicht, das des Glaubigers ist ganz unter der Regel des abgeleiteten Besitzes enthalten, und aus diesem Grunde konnte der Besitz des Pfandglaubigers mit allem Rechte dazu gebraucht werden, die allgemeinen Begriffe von possessio civilis und naturalis festzusetzen, welches Verfahren im entgegen gesezten Fall völlig unmethodisch gewesen wäre.
Von diesen Behauptungen über den Besitz des Pfandes sind jezt die Beweise zu führen:
A.) Der Glaubiger hat den juristischen Besitz, nur nicht das Recht der Usucapion:
L. 16 de usurp. (2)
„ ... Qui pignori dedit, ad usucapionem
(1) L. 36. de poss.
(2) Vergl. L. 40. pr.
de poss. L. 15. §. 2. qui satisd. cog., L. 35. §. 1. de pign. act., L. 3.
(232) Zweiter Abschnitt.
tantum possidet: quod ad reliquas omnes causas pertinet, qui accepit, possidet.“
B.) Eine Folge des ersten Satzes ist es, daß der Glaubiger, wie jeder andere Besitzer, die Sache vermiethen kann: dieses kann selbst an den Schuldner geschehen, obgleich dieser zugleich Eigenthümer ist: nun besteht der Pacht als eine possessionis locatio (S. 218.), und der Schuldner verwaltet an seiner eignen Sache fremden Besitz:
L. 37. de pign. act. (1)
„Si pignus mihi traditum locassem domino, per locationem retineo possessionem: quia, antequam conduceret debitor, non fuerit ejus possessio: cum et
§. 15. ad exhibendum (S. 40). – Die L. 7. §. 2. C. de praescr. 30. l. 40. ann. kann nicht im Ernste dagegen angeführt werden, denn: „in fremdem Namen besitzen“ kann in sehr verschiedenem Sinn gesagt werden, der creditor wird auch in der That so behandelt, als ob Er possessio (ad usucapionem) hätte, und endlich müste, wenn das Gegentheil wahr seyn sollte, in jener Constitution das alte Recht würklich geändert seyn, da doch Justin gar nicht das Recht des Besitzes, sondern blos die Verjährung der actio hypothecaria bestimmen will.
(1) Vergl. L. 37. de poss. –
Aus beiden Stellen folgt offenbar, daß die possessionis locatio (L. 28. de
poss.) keine solche locatio seyn könne, wodurch dem Pachter der juristische
Besitz erworben würde (S. 218).
(233) Erwerb des Besitzes.
animus mihi retinendi sit, et conducenti non sit animus possessionem apiscendi.“
C.) Der Schuldner hat eigentlich gar keinen Besitz, aber es wird in seiner Person eine possessio ad usucapionem fingirt:
L. 36. de poss.
„Qui pignoris causa fundum creditori tradit, intellegitur possidere. Sed etsi eundem precario rogaverit, aeque per diutinam possessionem capiet ... cum plus juris in possessione habeat, qui precario rogaverit, quam qui omnino non possidet“ (1).
L. 16. de usurp.
„Qui pignori dedit, ad usucapionem tantum possidet ... “
L. 1. §. 15. de poss.
„ ... ad unam enim tantum causam videri eum a debitore possideri: ad usucapionem ... “
D.) Dieser fingirte Besitz des Glaubigers gründet
(1) Diese Worte, mit dem
Anfang der Stelle und mit den folgenden Stellen verbunden, geben dieses
Resultat: creditor omnino non possidet, sed ad unam causam (usucapionis)
intelligitur possidere.
(234) Zweiter Abschnitt.
sich lediglich auf die juristische Natur des Pfandcontracts: wo also kein Pfandcontract von den Gesetzen anerkannt wird, da gilt auch jener Besitz nicht: das ist unter andern der Fall, wenn der Glaubiger Eigenthümer der verpfändeten Sache ist:
L. 29. de pign. act. (1)
„Si rem alienam bona fide emeris, et mihi pignori dederis, ... deinde me dominus heredem instituerit, desinit pignus esse ... idcirco usucapio tua interpellabitur.“
Bey den neueren Juristen finden sich über den Besitz des Pfandes sehr verschiedene Meinungen: der gröste Theil derselben gehört nicht hierher, indem sie die Begriffe der possessio civilis und naturalis betreffen. – Placentin (2) giebt sich viele Mühe, dem Glaubiger allen Besitz abzustreiten. Donellus ist nicht ganz ohne seine Schuld so misverstanden worden, als ob Er dieselbe Meinung vertheidigte: allein Er läugnet den Besitz des Glaubigers nur da, wo Er den ursprünglichen Begriff des Besitzes, mit animus domini, angiebt (3): in der Folge redet Er erst von der Uebertragung des blosen Besitzes, und erwähnt dabey sehr
(1) Vergl. L. 33. §. 5. de usurp.
(2) Summa in Cod. tit. de poss. in fin. (p. m. 333).
(3) comm. j. civ. L.
5. C. 6. (p. m. 183).
(235) Erwerb des Besitzes.
richtig auch des Pfandglaubigers (1). Der Fehler liegt also nur darin, daß Er die Unterscheidung des ursprünglichen und abgeleiteten Besitzes, mit ihrer Anwendung auf diesen Fall, mehr stillschweigend zum Grunde legt, als ausdrücklich darstellt. – Duaren und vorzüglich Valentia haben die Verhältnisse des Glaubigers und Schuldners richtig bestimmt (2). – Westphals Meinung (3) lautet wörtlich also: „Daß blos zur usucapion ein Besitz des Verpfänders angenommen werde, ist ein groser Irrthum des Juristen. ... Man sieht, wie wenig man sich oft auf die Behauptungen der alten Rechtslehrer verlassen könne.“
§. 25.
Dritte Classe: Detention, welche theils mit dem Besitz, theils ohne denselben, übertragen wird. – Zu dieser Classe gehören zwey Fälle: Depositum und Precarium.
Was zuerst das Depositum betrifft, so hat die Regel keinen Zweifel. Der Besitz also wird hier in der Regel eben so wenig als bey dem Pacht (et)c. veräusert:
(1) comm. j. civ. L. 5. C. 13. (p. m. 197).
(2) Duarenus in L. 1. §. 15. de poss. (opp. p. m. 834. 835.). – Valentia in ill. jur. tract. L. 1. Tr. 2. C. 11.
(3) Arten der Sachen (et)c.
§. 157.
(236) Zweiter Abschnitt.
L. 3. §. 20. de poss. (1)
„Sed si is, qui apud me deposuit, vel commodavit, eam rem vendiderit mihi, vel donaverit, non videbor causam possessionis mihi mutare, qui ne possidebam quidem.“
Die Ausnahme bezieht sich nur auf einen sehr bestimmten Fall. Wenn nämlich das Eigenthum einer Sache vindicirt, die Sache selbst aber bey einem Dritten (sequester) deponirt wird, so können die Parteyen ausdrücklich bestimmen, daß dieser Dritte den Besitz haben solle, damit durch diesen Besitz alle bisherige Usucapion unterbrochen werde: und dieses ist der einzige Fall, in welchem das Depositum eine Veränderung des Besitzes zur Folge hat:
L. 39. de poss.
„Interesse puto, qua mente apud sequestrum deponitur res: nam si omittendae possessionis causa, et hoc aperte fuerit approbatum: ad usucapionem possessio ejus partibus non procederet: at si custodiae causa deponatur, ad usucapionem eam possessionem victori procedere (2) constat.“
(1) Vergl. L. 33. §. 4. de usurp., L. 9. §. 9. de reb. cred.
(2) indem nämlich in diesem
Fall, d. h. wenn nur nicht das
(237) Erwerb des Besitzes.
L. 17. §. 1. depositi.
„Rei depositae proprietas apud deponentem manet, sed et possessio: nisi apud sequestrem deposita est (1): nam tum demum sequester possidet: id enim agitur ea depositione, ut neutrius possessioni id tempus procedat.“
Bey dem Precarium verhält es sich grade umgekehrt: auch dabey wird theils Besitz, theils blose Detention übertragen, aber das erste ist Regel, das zweite muß besonders verabredet seyn, um behauptet werden zu können (2). – Der Grund, warum Uebertragung
Gegentheil ausdrücklich ausgemacht ist, der sequester blos einen fremden Besitz verwaltet.
(1) „deposita (possessio) est“ nicht: „deposita (res) est.“ Der Sinn also ist nicht: „Depositum giebt keinen Besitz, auser dem Fall einer sequestratio“, sondern: „Depositum giebt keinen Besitz, auser wenn von einem sequester die Rede ist, und zwar diesem der Besitz ausdrücklich übertragen wird (deposita possessio).“ Daß nämlich auch der sequester nicht immer, sondern nur Ausnahmsweise Besitzer seyn soll, sagt nicht nur die erste Stelle, sondern auch die unsrige in den gleich folgenden Worten: „nam tum demum sequester possidet.“ – Diese Erklärung hat zuerst: Duarenus de sacris eccles. minist. III. 10. (opp. p. m. 1567): doch erklärt Er ohne Noth das: deposita est durch: omissa est. – Die Glosse zu beiden Stellen nimmt grade das umgekehrte Verhältniß von Regel und Ausnahme an.
(2) Duarenus in L. 10. de
poss. (opp. p. m. 869.).
(238) Zweiter Abschnitt.
des Besitzes hier als Regel angenommen wird, liegt darin, daß sie dem Eigenthümer (rogatus) nicht schadet (1): Sein Usucapionsbesitz nämlich wird durch accessio possessionis fortgesezt (2), und Er hat ein eignes interdictum recuperandae possessionis, um den veräuserten Besitz wieder zu erlangen.
A.) In der Regel wird der Besitz selbst durch Precarium übertragen:
L. 4. §. 1. de prec. (3)
„Meminisse autem nos oportet, eum, qui precario habet, etiam possidere.“
B.) Daß blose Detention übergehen solle, kann durch ausdrückliche Verabredung bestimmt werden:
L. 10. pr. §. 1. de poss. (4)
„Si quis ante conduxit, postea precario rogavit, videbitur discessisse a conductione. ... Idem Pomponius bellissime temptat dicere, numquid qui conduxerit quidem praedium, precario autem rogavit, non ut possideret, sed ut in
(1) Noch weniger Zweifel hat dieser Punct nach der verworfenen Meinung älterer Juristen, welche dem rogatus sowohl als dem rogans Besitz zuschrieb (S. 125-128.).
(2) L. 13. §. 7. de poss.
(3) Vergl. L. 22. pr. eod.
(4) Vergl. L. 6. §. 2. de prec.
(239) Erwerb des Besitzes.
possessione esset? (1) ... quod si factum est, utrumque procedit.“
Zwar wird auch in diesem lezten Fall der Besitz verloren, wenn der rogans zugleich Eigenthümer der Sache ist: allein dieser Verlust gründet sich hier, wie bey dem Pacht (S. 218.), blos darauf, daß nun in Wahrheit kein Precarium vorhanden ist (2). Deswegen leidet der Satz selbst eine Ausnahme, wenn der Eigenthümer wissentlich, also blos mit Rücksicht auf den fremden Besitz, das Precarium eingeht (3): welches Precarium solius possessionis mit der Uebertragung des juristischen Besitzes durch Precarium nicht zu verwechseln ist, indem sowohl der Besitz, als die blose Detention, dadurch, wie durch jedes andere Precarium, übertragen werden kann. – Eine wichtige Anwendung kommt bey dem Pfandcontract vor. Wenn nämlich der Schuldner das Pfand precario rogirt, so gilt diese rogatio, weil sie offenbar mit Rücksicht auf den juristischen Besitz des Glaubigers geschieht (4): der Usucapionsbesitz des Schuldners dauert natürlich fort, weil dieser durch die rogatio sogar mehr erhält, als
(1) Im ersten Fall war von precario rogare schlechthin die Rede.
(2) L. 4. §. 3. de prec., L. 15. depositi.
(3) L. 28. in f. de poss., L. 4. §. 3. L. 22. pr. de prec.
(4) L. 6. §. 4. de prec.
(240) Zweiter Abschnitt.
Er vorher hatte (1): der Besitz des Glaubigers dauert gleichfalls fort, wenn das Precarium die blose Detention zum Gegenstand hat, welches in diesem Fall, nach dem Zweck des ganzen Pfandcontracts, sogar präsumirt wird (2).
§. 26.
Für den Erwerb des Besitzes ist nun noch das einzige zu untersuchen übrig, wie durch fremde Handlungen Besitz erworben werden könne, und diese Frage muß, nach einem oben erklärten Ausdruck für den Begriff des Besitzes (S. 182), abgesehen von blosen Ausnahmen, auch so gefaßt werden dürfen: wie ist es möglich, durch fremde Handlungen das Bewustseyn physischer Herrschaft über eine Sache zu erlangen?
Diese ganze Art des Erwerbs, besonders aber Ein Fall derselben (das constitutum possessorium), wird gewöhnlich als ficta apprehensio betrachtet, welche Ansicht hier, wie überall, von wichtigen practischen Folgen ist (S. 148). Nun ist nicht zu läugnen, daß dieser Erwerb etwas ganz Eigenthümliches hat: aber man hat vergessen, zu untersuchen, worin dieses Eigenthümliche
(1) L. 36. de poss., L. 29. de pign. act., L. 33. §. 6. de usurp. (Alle drey Stellen sind aus den Digestis des Julian). – Von L. 16. de O. et A., die aus demselben Werk des Julian genommen ist, wird unten, bey dem constitutum possessorium, die Rede seyn.
(2) L. 33. §. 6. de usurp.
(241) Erwerb des Besitzes.
liege. Es kommt nämlich hier überhaupt auf Drey Puncte an: was muß der thun, durch welchen der Besitz erworben werden soll (der Repräsentant)? was muß der (neue) Besitzer selbst thun? welches Verhältniß muß zwischen Beiden existiren? – der erste und zweite Punct enthalten durchaus nichts, was von der Regel alles Erwerbs überhaupt beträchtlich abwiche, ganz anders der dritte, folglich kommen bey diesem juristische Bestimmungen vor, welche die ersten Puncte durchaus nicht betreffen. Durch zwey Beyspiele wird diese Unterscheidung deutlicher werden: nach der gewöhnlichen Meinung (1) soll durch unrechtliche Handlungen, z. B. durch Gewalt, ein solcher Erwerb unmöglich seyn, weil eine unrechtliche Handlung keiner Fiction werth sey: allein in dem factum apprehensionis ist hier so wenig, als in jedem andern Fall, etwas juristisches enthalten. Dagegen ist das Verhältniß zwischen dem Repräsentanten und Besitzer allerdings etwas juristisches: deswegen kann die juristische Ungültigkeit dieses Verhältnisses den Erwerb des Besitzes verhindern. – Demnach beruht jene irrige Ansicht auf einer ähnlichen Verwechslung, wie die des Labeo (2), und unsere Juristen hätten wohl gethan, die Berichtigung des Javolenus auch für sich zu benutzen.
(1) Duarenus in L. 1. §. 13. de poss. (opp. p. m. 833.).
(2) L. 51. de poss. (S. 159.).
(242) Zweiter Abschnitt.
Der erste Punct also, welcher hier bestimmt werden muß, ist die Handlung des Repräsentanten. Nun ist auf den ersten Blick klar, daß Dieser nicht weniger thun darf, als wenn Er für sich selbst Besitz erwerben wollte, d. h. daß ein factum apprehensionis vorkommen muß, verbunden mit animus possidendi, und daß eben deshalb Jeder, der überhaupt nicht wollen kann, auch zu dieser Repräsentation unfähig ist (1). Allein der animus possidendi hat hier das Eigenthümliche, daß der Repräsentant nicht für sich, sondern für den Andern muß Besitz erwerben wollen, wenn dieser Andere in der That Besitzer werden soll: will der Repräsentant selbst Besitzer werden, oder einen Dritten zum Besitzer machen, so erfolgt das würklich aus seiner Handlung, wenn nur nicht besondere Verhältnisse (z. B. das Sclavenverhältniß) im Wege stehen, in welchem Fall gar kein Besitz erworben wird (2). – Diese Regel
(1) L. 1. §. 9. 10. de poss.
(2) L. 1. §. 19. 20. de poss. „ ... Cum autem suo nomine nacti fuerint possessionem, non cum ea mente, ut operam duntaxat suam accomodarent nobis: non possumus adquirere.“ Diese Leseart (Rom. 1476. Nor. 1483. Ven. 1485. Lugd. 1513.) ist offenbar besser als die Florentinische: „ ... non possunt adquirere, “ indem der Repräsentant es nicht einmal will, also von seinem Können noch gar nicht die Rede ist. Haloander liest: „nobis accomodarent: non possunt adquirere, “ gleich als ob nun der Repräsentant nicht selbst Besitzer würde, was ganz falsch ist.
(243) Erwerb des Besitzes.
hat keinen Zweifel, aber ob nicht bey der Tradition eine Ausnahme gemacht werden müsse, d. h. ob nicht dabey der Besitz nach der Absicht des tradens erworben werde, ohne Rücksicht auf die Untreue des Repräsentanten – darüber ist schwer zu entscheiden. Julian nämlich will auch hier die Regel gelten lassen (1), Ulpian behauptet die Ausnahme (2), und die Versuche, die man gemacht hat, durch Distinctionen diesen Widerspruch aufzuheben (3), sind so willkührlich, daß wohl nichts übrig bleibt, als ihn ausdrücklich anzuerkennen,
(1) L. 37. §. 6. de adqu. rer. dom. – Daß hier ohne Einschränkung gesagt wird: „nihil agetur, “ macht dennoch den eignen Besitz des Procurators nicht unmöglich, da hier zunächst von dem Eigenthum die Rede ist, und da ohne Zweifel Besitz ohne Eigenthum erworben werden kann. Aber es läßt sich nicht umgekehrt denken, daß dieselbe Handlung, die bey der Tradition Eigenthum giebt, nicht zugleich den Besitz geben sollte (S. 11. u. 87.), folglich ist es falsch, jene Unterscheidung zu Erklärung der L. 13. de dom. zu gebrauchen. – Gar nicht hierher gehören: L. 59. de adqu. rer. dom. L. 2. C. de his qui a non dom., denn in diesen Fällen war das Mandat selbst darauf gerichtet, daß der Procurator die Sache in eignem Namen kaufen, also selbst das Eigenthum erwerben, und dann auf den mandans übertragen sollte.
(2) L. 13. de donationibus.
(3) Glossa in L. 37. §. 6. de adqu. rer. dom. – Duarenus in L. 1. §. 20. de poss. (opp. p. m. 838. 839.). – Beyma in var. Dig. tit. p. 330. – Valentia in ill. jur. tract. L. 1. Tr. 2. C. 13. (p. m. 66.) et in epistolar. exerc. 9. (ib. p. 159.). – Retes ap. Meermann. T. 7. p. 475. 476. et p. 406.
(244) Zweiter Abschnitt.
und der Meinung des neueren Juristen den Vorzug zu geben.
Zweitens ist es nöthig, daß der Besitzer selbst diesen Besitz erwerben wolle, also wird dieser Erwerb dadurch ausgeschlossen, daß der, für welchen der Besitz erworben werden soll, gar nichts davon weis (ignoranti possessio non adquiritur). – Dieser Satz indessen kann leicht misverstanden werden, weil der Ausdruck selbst eine zweyfache Bedeutung haben kann. Ignorantis possessio nämlich kann der Besitz Desjenigen heisen, welcher von der ganzen Handlung nichts weis, folglich auch diesen Erwerb nicht wollen kann: das ist der Gegenstand unsrer Regel, diese ignorantis possessio ist unmöglich, aber von dieser Unmöglichkeit giebt es drey Ausnahmen, wobey Besitz überhaupt und Usucapion durch jene ignorantia nicht gehindert wird: bey Peculien nämlich, bey dem Erwerb durch Vormünder, und bey Städten (1). Zweitens kann aber auch Derjenige
(1) Die Regel steht bey Paulus in rec. sent. Lib. 5. Tit. 2. §. 1. „Possessionem adquirimus et animo, et corpore: animo utique nostro: corpore vel nostro, vel alieno.“ Vergl. L. 3. §. 12. de poss. – Die Ausnahme der Peculien bringt Paulus selbst sehr gut mit dieser Regel in Verbindung (L. 1. §. 5, L. 3. §. 12. de poss.). – Städte können auch durch Repräsentanten Besitz erwerben (L. 1. §. 22, L. 2. de poss.), und daß dieser Erwerb als blose Abweichung der Praxis von unserer Regel anzusehen ist, sagen die Römischen
(245) Erwerb des Besitzes.
Ignorans genannt werden, welcher den Besitz der Sache erwerben will, einem Andern den Auftrag dazu gegeben hat, aber nur von der Erfüllung dieses Auftrags, d. h. von der würklichen Apprehension, noch nicht unterrichtet ist: auf diese ignorantia bezieht sich unsere Regel nicht, sie macht den Besitz überhaupt nicht unmöglich, wohl aber die Usucapion. Wer also jenen Auftrag gab, fängt an zu besitzen, sobald der Auftrag erfüllt ist, aber die Usucapion nimmt erst ihren Anfang, wenn der Besitzer von dieser Erfüllung Nachricht erhält. – Die Beweise aller dieser Sätze können erst bey dem dritten Puncte nachgeholt werden.
Drittens ist ein juristisches Verhältniß zwischen dem Repräsentanten und dem Besitzer nöthig, wenn auf diese Weise Besitz entstehen soll. Man kann sagen, daß in der Regel entweder Befehl, oder Auftrag dem Erwerb selbst vorhergehen müsse, je nachdem von einem Verhältniß juristischer Gewalt (des Vaters über seine Kinder, und des Herrn über seine Sclaven), oder von einem freyen Verhältniß die Rede ist.
A.) Juristische Gewalt des Besitzers über den
Juristen ausdrücklich („uni consentire non possunt“ sc. ei qui eorum nomine, neque ex peculiari causa (denn nur dieser Fall ist durch das: per se ausgeschlossen) apprehendit possessionem ... „Sed hoc jure utimur“ rel.)
(246) Zweiter Abschnitt.
Repräsentanten (1). – Daß hierdurch das Recht des Besitzes erworben wird, ist gar nichts besonderes, indem alle Rechte überhaupt durch Sclaven und durch Kinder in väterlicher Gewalt erworben werden können.
Durch einen Sclaven erwirbt den Besitz der Eigenthümer desselben, der bonae fidei possessor, und der fructuarius. – Der Eigenthümer muß, um dieses Erwerbs fähig zu seyn, zugleich den Besitz des Sclaven haben: ist der Sclave selbst in fremdem Besitz oder wird er von Niemanden besessen, so kann der Eigenthümer, als solcher, durch ihn keinen Besitz erwerben (2). Eine blose Folge davon ist es, daß auch durch einen verpfändeten Sclaven der Eigenthümer keinen Besitz erwerben kann (3). – Der bonae fidei
(1) Sehr gründlich handelt Cuper von diesem Fall (de nat. poss. p. 52. p. 100-106.).
(2) L. 1. §. 6. de poss., L. 54. §. 4. L. 21. pr. de adqu. rer. dom. – Bey einem flüchtigen Sclaven dauert die possessio servi und die adquisitio per servum fort, solange er nicht in fremden Besitz kommt, oder sich selbst für frey hält. L. 1. §. 14. L. 50. §. 1. de poss. (auf diese zwey Ausnahmen gehen die Worte: „quem non possidet“ der L. 54. §. 4. de adqu. rer. dom.: und die „possessio“ der L. 15. de public. ist offenbar die natürliche Detention). – Durch die possessio libertatis ist natürlich die possessio servi ausgeschlossen, auserdem aber durch das blose liberale judicium nicht: nun ist nämlich die adquisitio per servum, so wie die possessio servi selbst, in suspenso. L. 3. §. 10. de poss., L. 25. §. 2. de lib. causa.
(3) L. 1. §. 15. de poss.
(247) Erwerb des Besitzes.
possessor, als solcher, erwirbt den Besitz, wie alles andere, durch den Sclaven nur insofern, als dieser Erwerb auf die Arbeit des Sclaven, oder auf das Vermögen des possessor gegründet ist (1): bonae fidei possessor aber heist hier nur der, welcher sich selbst für den Eigenthümer hält, folglich erwirbt der Pfandglaubiger durch den verpfändeten Sclaven gar nichts (2), obgleich auch Er den Sclaven besizt, und auf rechtliche Weise besizt, also in anderem Sinne die bona fides ihm nicht abzusprechen ist. – Der fructuarius erwirbt durch den Sclaven unter denselben Einschränkungen, wie der bonae fidei possessor (3). Dabey findet sich also wieder das gewöhnliche Verhältniß des Eigenthums zu jedem jus in re: in der Regel nämlich erwirbt durch diesen Sclaven der Eigenthümer, weil Er zugleich den juristischen Besitz des Sclaven hat (S. 221), aber in jenen zwey ausgenommenen Fällen ist es nicht der Eigenthümer, sondern der Fructuar, welchem der Sclave den Besitz, wie alles andere, erwirbt.
Wie der Herr durch den Sclaven, so erwirbt der Vater durch seine Kinder alle Rechte überhaupt, also auch den Besitz. Nur gründet sich dieser Erwerb lediglich
(1) L. 1. §. 6. de poss., L. 21. pr. de adqu. rer. dom.
(2) L. 1. §. 15. de poss.
(3) L. 1. §. 8. L. 49. pr. de poss.
(248) Zweiter Abschnitt.
auf das Recht der väterlichen Gewalt, nicht wie bey dem Sclaven, auf den Besitz an dem Kinde selbst, weil dieser überhaupt nicht denkbar ist: auch kann hier weder ususfructus vorkommen, noch ein der bonae fidei possessio analoges Verhältniß. Wer also aus Irrthum einen Sohn in seiner Gewalt zu haben glaubt, kann durch diesen auf keine Weise erwerben (1).
Für beide Fälle der juristischen Gewalt zusammen tritt eine ganz besondere Regel ein, wenn der Erwerb des Besitzes auf ein peculium sich gründet. Nun wird nämlich der Besitz erworben, obgleich der Herr oder der Vater von diesem Erwerb gar nichts weis (2), und selbst die Usucapion kann zugleich mit diesem Besitz anfangen (3). Da also hier auf den Willen des Besitzers selbst gar nicht gesehen wird, wenn nur ein peculium würklich vorhanden ist, so können auch solche juristische Personen auf diese Art den Besitz erwerben, welche überhaupt keinen Willen haben (4): ja selbst im Namen eines Gefangenen ist dieser Erwerb möglich (5),
(1) L. 50. pr. de poss.
(2) L. 1. §. 5. de poss. – L. 4. de poss. – L. 44. §. 1. L. 24. L. 3. §. 12. de poss.
(3) L. 1. §. 5. de poss. L. 31. §. 3. L. 47. de usurp.
(4) z. B. Kinder, Wahnsinnige, Erbschaften. L. 1. §. 5. de poss., L. 29. de captivis, L. 16. de O. et A.
(5) Unter den älteren Römischen Juristen war die Sache bestritten, in den Pandekten wird jene Regel als ausgemacht angenommen, ohne Unterschied, ob vor der Gefangenschaft oder
(249) Erwerb des Besitzes.
obgleich in diesem Fall nicht blos der animus possidendi, sondern die Persönlichkeit des Besitzers selbst fehlt.
B.) Das Verhältniß zwischen dem Besitzer und Repräsentanten kann zweitens ein freyes Verhältniß seyn. – Nämlich es ist Regel, daß auser jenen zwey Verhältnissen juristischer Gewalt kein Recht durch fremde Handlungen erworben werden kann, aber diese Regel leidet eben hier eine Ausnahme. Besitz also kann auch ohne juristische Gewalt über den Repräsentanten erworben werden, und eben so das Eigenthum, wenn es vermittelst des Besitzes, d. h. durch Tradition oder Occupation, erworben werden soll (1).
Worin muß nun dieses Verhältniß bestehen? in einem Auftrag, Besitz zu erwerben: bestimmter läßt sich diese Regel nicht ausdrücken. – Dieser Auftrag nämlich bedarf durchaus nicht solcher Bestimmungen, wodurch auserdem ein juristisches Geschäft bedingt ist,
in derselben der Besitz anfieng: folglich betrifft diese Regel den Erwerb und Verlust zugleich. – Entweder stirbt nun der Gefangene als solcher, oder Er wird frey: im ersten Fall gilt die lex Cornelia, im zweiten das postliminium. – L. 29. L. 22. §. 3. de captivis, L. 23. §. 3. ex quib. caus. maj. – L. 44. §. 7. de usurp. – L. 12. §. 2. de capt. L. 15. pr. de usurp.
(1) L. 1. C. per quas pers., §. 5. I. eod. – Paulus V. 2. §. 2, L. 53. de adqu. rer. dom., L. 20. §. 2. eod., L. 8. C. de poss.
(250) Zweiter Abschnitt.
um im Civilrecht als gültig behandelt zu werden: so z. B. kann auch ein Sclave diesen Auftrag übernehmen, vorausgesezt, daß Er von Niemanden als Sclave besessen werde (1), weil Er sonst über keine seiner Handlungen Herr ist, also auch durch diese Handlungen keinem Andern die Herrschaft über eine Sache geben kann: eben so ist ein Pupill dieser Repräsentation fähig (2), wiewohl Er auserdem kein juristisches Geschäft eingehen kann. Allein solche Gründe der Ungültigkeit juristischer Geschäfte, wodurch der Wille des Repräsentanten selbst ausgeschlossen wird, wie z. B. Irrthum über einen wesentlichen Punct, machen freylich auch diesen Erwerb des Besitzes unmöglich (3). –
(1) L. 31. §. 2. de usurp., L. 34. §. 2. de poss. – Auf diese Art kann ohne allen Zweifel auch der Eigenthümer selbst, dessen Sclave im Besitz der Freiheit ist, durch diesen Sclaven Besitz erwerben (S. 246.): ja es ist consequent, den bonae fidei possessor auch dann durch den Sclaven Besitz erwerben zu lassen, wenn es nicht ex operis servi oder e re possessoris geschieht (S. 247.), indem ja die Möglichkeit dieses Erwerbs keinen Zweifel hätte, wenn der Sclave ganz ohne Besitzer wäre: endlich scheinen es ganz specielle Ausnahmen zu seyn, daß der malae fidei possessor und der Pfandglaubiger nicht durch den Sclaven erwerben können, den Sie besitzen (L. 1. §. 6. 15. de poss.).
(2) L. 32. pr. de poss. – Was hier von der Fortsetzung des Besitzes, im Gegensatz einer obligatio, gesagt ist, muß natürlich auch von dem Anfang gelten.
(3) So z. B. wenn der Pachter
(251) Erwerb des Besitzes.
Aber auch umgekehrt ist ein juristisches Verhältniß allein, wenn nicht ganz bestimmt jener Auftrag darin enthalten ist, zu dieser Art des Erwerbs nicht hinreichend: so z. B. hat der Verpachter den juristischen Besitz der verpachteten Sache (S. 217): stirbt nun der Verpachter, so geht das jus obligationis aus dem Pacht durch den blosen Antritt der Erbschaft auf den Erben über, nicht so der Besitz: damit auch dieser erworben werde, muß irgend etwas gethan werden, wodurch der Pachter zugleich Repräsentant des Besitzes für diesen neuen Verpachter wird (1).
Jene Regel nun, daß auch durch freye Menschen in unsrem Namen Besitz erworben werden könne, ist wahrscheinlich schon ziemlich frühe durch Gerichtsbrauch eingeführt worden:
1. L. 51.de poss.
„ ... ait Labeo, ... si acervum lignorum emero, et eum venditor me tollere
oder der Pfandglaubiger zugleich Eigenthümer der Sache ist (S. 218. 234.).
(1) L. 30. §. 5. de poss. „Quod per colonum possideo, heres meus, nisi ipse nactus possessionem, non poterit possidere.“ Merenda in jur. contr. L. 2. C. 32. – Cicero zwar scheint das Gegentheil zu sagen (pro Caecina C. 32, opp. Vol. 2. p. 309. ed. Beck.): allein, wie wenig Er selbst auf die Gewißheit dieser Behauptung baut, sieht man aus dem Zusatz, den Er gleich in den folgenden Worten nöthig findet: „Deinde ipse Caecina“ rel.
(252) Zweiter Abschnitt.
jusserit: simul atque custodiam posuissem, traditus mihi videtur ... “ (1).
2. L. 41. de usurp. (Neratius L. 7. membr.)
„ ... quamvis per procuratorem possessionem apisci nos, jam fere conveniat ... “
3. L. 13. pr. de adqu. rer. dom. (Neratius Lib. 6. reg.)
„Si procurator rem mihi emerit ex mandato meo, eique sit tradita meo nomine: dominium mihi, id est proprietas adquiritur, etiam ignoranti.“
4. L. 1. C. de poss. (Impp. Server. et Antonin.)
„Per liberam personam ignoranti quoque acquiri possessionem, et postquam scientia intervenerit, usucapionis conditionem inchoari posse, tam ratione utilitatis, quam juris pridem (2) receptum est.“
(1) Die Stelle selbst ist oben erklärt worden (S. 159.), hier kommt es blos auf das Resultat der Meinung des Labeo an. Uebrigens könnte unter der custodia auch wohl ein Sclave verstanden seyn: allein Javolen, der in dem folgenden Theil der Stelle offenbar denselben Fall vor Augen hat, braucht ausdrücklich das Wort „mandato.“
(2) Glossa in b. L. „alias: pridem, et alias:
(253) Erwerb des Besitzes.
Aus diesen Stellen ist klar, daß zur Zeit des zulezt angeführten Rescripts der Satz schon längst (pridem) recipirt war, daß er schon zur Zeit des Neratius, ja sogar des Labeo galt: dennoch haben ihn Mehrere durch diese Stelle des Codex neu einführen lassen, wozu wohl Ulpian und die Institutionen Veranlassung gewesen sind (1): allein daß Ulpian ein Rescript des regierenden Kaisers citirt, wenn auch der Inhalt desselben schon vorher ohne ausdrückliches Gesetz angenommen war, ist sehr natürlich, und die Stelle der Institutionen, die wohl aus jener entstanden seyn mag, sagt eben so wenig, daß Sever diesen Satz neu eingeführt habe.
Jezt erst ist es möglich, einige nähere Bestimmungen
prudentia.“ Die erste Leseart ist viel wahrscheinlicher, denn gegen ratione utilitatis giebt das ratione juris einen viel reineren Gegensatz als juris prudentia: die ratio juris nämlich steht in: L. 53. de adqu. rer. dom. („quod naturaliter adquiritur, sicuti est possessio“ rel.). – Zudem läßt es sich leichter begreifen, wie aus einer Abbreviatur das Wort jurisprudentia entstehen konnte, das jedem juristischen Abschreiber so geläufig seyn muste – leichter, als wenn man pridem als die falsche Leseart voraussetzen wollte, die sich in den Text eingeschlichen hätte.
(1) L. 11. §. 6. de pign. act. „ ... constitutum est ab Imperatore nostro, posse per liberam personam possessionem adquiri.“ – §. 5. per quas pers. „ ... per liberam personam, veluti per procuratorem, placet non solum scientibus, sed et ignorantibus nobis adquiri possessionem, secundum Divi Severi constitutionem.“
(254) Zweiter Abschnitt.
dieser Regel zu entwickeln, welche oben nur angedeutet werden konnten. – Ist nämlich jenes Verhältniß der Repräsentation würklich begründet, so wird der Besitz durch die Apprehension des Repräsentanten unmittelbar erworben, auch wenn der Besitzer noch keine Nachricht von der Erfüllung seines Auftrags hat, und man kann in diesem Sinne sagen: ignoranti adquiritur possessio. Die Usucapion aber fängt erst an, wenn der Besitzer den erworbenen Besitz erfährt (1). Einige haben behauptet, daß wenigstens in dieser Bestimmung etwas Neues enthalten sey, was Sever der älteren Regel hinzugefügt habe, allein diese Meinung ist fast noch unhaltbarer, als die, nach welcher die Regel selbst von Sever herrühren soll. – Nur in dem eben angegebenen Sinn aber darf die ignorantis possessio genommen werden, wenn sie möglich seyn soll: also muß der Besitzer allerdings wissen und wollen, daß dieser Besitz für Ihn erworben werde, ja es ist in den meisten Fällen die Repräsentation selbst nicht anders zu denken möglich. Demnach kann auch ein negotiorum gestor den Besitz verschaffen, aber erst von der Zeit der ratihabitio an (2): und dasselbe muß von einem procurator
(1) L. 1. C. de poss. (S. 252), §. 5. I. per quas. pers. (S. 253), L. 49. §. 2. de poss., L. 47. de usurp. – Die Ausnahme der L. 41. de usurp. betrifft nicht sowohl diese Regel, als vielmehr die der lex Atinia (L. 4. §. 6. de usurp.).
(2) L. 24. de neg. gestis.
(255) Erwerb des Besitzes.
universorum bonorum behauptet werden, weil auch in dessen Auftrag nicht besonders dieser einzelne Erwerb enthalten ist:
1. Paulus in rec. sent. L. 5. T. 2. §. 2.
„Per liberas personas, quae in potestate nostra non sunt, adquiri nobis nihil potest. Sed per procuratorem adquiri nobis possessionem posse, utilitatis causa receptum est (1). Absente autem domino comparata non aliter ei, quam si rata sit, quaeritur (2).“
2. L. 42. §. 1. de poss.
„Procurator, si quidem mandante domino rem emerit (3), protinus illi adquirit possessionem: quod si sua sponte
(1) d. h. „aber bey dem Besitz ist eine Ausnahme von jener Regel angenommen worden.“
(2) Der Ausdruck procurator war zweydeutig, deswegen erinnert Paulus ausdrücklich, daß blos von einem Stellvertreter in Beziehung auf diesen bestimmten Besitz die Rede sey, nicht von einem procurator bonorum, den man für die Zeit der Abwesenheit bestellt habe, und der während dieser Abwesenheit dem Herrn irgend einen Besitz erwerben wolle.
(3) d. h. „wenn er einen Auftrag für diesen Erwerb hatte“ (gewöhnlich geht nämlich ein solcher Auftrag zugleich auf den Vertrag und auf den Erwerb des Besitzes und Eigenthums). – Der Gegensatz ist also derselbe, wie in der vorigen Stelle.
(256) Zweiter Abschnitt.
emerit, non: nisi ratam habuerit dominus emptionem.“
Ungeachtet dieser sehr deutlichen Stellen haben mehrere Juristen auch durch einen solchen Procurator die ignorantis possessio für möglich gehalten: und weil einmal Sever durchaus etwas Neues bestimmt haben sollte, so ist auch das als Inhalt seiner Constitution, und als Zusatz zu dem ältern Recht betrachtet worden, obgleich der Satz selbst weder für das ältere noch für das neuere Recht behauptet werden kann.
Zwey Fälle sind indessen auch bey diesem Erwerb durch freye Personen von der Regel ausgenommen, nach welcher der Wille des Besitzers zur Entstehung des Besitzes erfordert wird. Im Namen einer Stadt nämlich, also einer blos juristischen Person, ist dieser Erwerb möglich, und davon ist schon oben geredet worden (S. 244.): eben so soll es im Namen der Pupillen, Minderjährigen und Wahnsinnigen geschehen können, ohne daß dabey auf den Willen des Besitzers selbst gesehen wird. Ein Tutor also und ein Curator kann den Besitz seinem Mündel auf gültige Weise erwerben (1). – Dieser Erwerb des Tutor im Namen des
(1) L. 13. §. 1.
de adqu. rer. dom. L. 1. §. 20.
de poss., L. 11. §. 6. de pign. act. – Die L. 26. C. de don. ist offenbar blos ein Supplement dieser
Regel: in dem bestimmten Fall dieses Gesetzes
(257) Erwerb des Besitzes.
Pupillen ist schon oben zu Erklärung zweyer Stellen gebraucht worden, in welchen auch die blose auctoritas tutoris bey dem Erwerb des Besitzes zugelassen wird (S. 193-201.). Mehrere haben jene Stellen so misverstanden, als ob die adquisitio per tutorem sogar abgeläugnet werden sollte (1), die doch weder nach diesen noch nach andern Stellen (2) mit einigem Schein geläugnet werden kann.
§. 27.
Von der Regel, daß ein bloser Auftrag, ohne juristische Gewalt, hinreichend ist, den Erwerb des Besitzes durch fremde Handlungen zu begründen – von dieser Regel ist jezt noch eine einzelne Anwendung zu erklären übrig, in welche sich unsere Juristen weit weniger zu finden gewust haben, als in die Regel selbst.
Wer nämlich überhaupt durch seine Handlungen einem Andern den Besitz zu erwerben im Stande ist, kann dieses natürlich um deswillen nicht weniger, weil Er, der Repräsentant, bis auf diesen Augenblick den juristischen Besitz der Sache gehabt hat. Zugleich ist es klar, daß für diesen Fall zwar nicht die Regel,
nämlich soll dem Pupillen, dessen Vormund hier verhindert ist, einstweilen ein Sclave diesen Erwerb vollziehen dürfen. (L. 2. C. Th. de dom.)
(1) Besonders die Schlußworte der L. 3. C. de poss. (S. 201.).
(3) s. die vorlezte Note.
(258) Zweiter Abschnitt.
wohl aber ihre Anwendung etwas anders als für die übrigen Fälle bestimmt werden müsse. Da nämlich das factum apprehensionis schon früher vorgekommen ist, so braucht es jezt nicht wiederholt zu werden, und die ganze Handlung muß folglich als eine umgekehrte brevi manu traditio betrachtet werden: wie nämlich bey dieser Art der Tradition der, welcher bisher die Detention ohne den Besitz hatte, durch blosen animus possidendi, ohne neues factum, den Besitz erwirbt (S. 184. 185.), so verwandelt sich hier gleichfalls durch bloses Wollen der Besitz in Detention, und (worauf es hier noch allein ankommt) das Recht des Besitzes selbst wird unmittelbar auf eine andere Person übertragen. – Unsere Juristen nennen diese Art, den Besitz zu übertragen: Constitutum possessorium. Das Wort kommt bey den Römern nicht vor, wohl aber die Sache, und selbst wenn sie nicht besonders im Römischen Recht genannt wäre, würde sie um nichts weniger gewiß seyn.
Der Satz selbst, der hier aufgestellt wurde, ist eben so allgemein, und ganz als blose Anwendung bekannter Grundsätze, in folgender Stelle enthalten:
L. 18. pr. de poss.
„Quod meo nomine possideo, possum alieno nomine possidere: nec enim muto mihi causam possessionis, sed desino
(259) Erwerb des Besitzes.
possidere, et alium possessorem ministerio meo facio: nec idem est, possidere, at alieno nomine possidere. Procurator alienae possessioni praestat ministerium.“
Also durch blosen Vertrag, ohne alles körperliche Handeln auf die Sache selbst, ist dieser Erwerb des Besitzes möglich: dennoch wird in einer sehr bekannten Stelle der blose Vertrag der Tradition grade entgegen gesezt: durch diese soll Eigenthum übergehen können, durch jenen nicht (1). – Dieser Umstand führt zu einer genaueren Bestimmung des Constitutum selbst. Der Vertrag nämlich, wodurch der Uebergang des Eigenthums bestimmt wird, z. B. der Kauf, ist von dem Constitutum sehr verschieden: in diesem liegt die Bestimmung, daß der bisherige Besitzer Repräsentant eines fremden Besitzes (procurator possessionis) seyn wolle, welche Bestimmung weder in einem blosen Kauf enthalten ist, noch auch überhaupt angenommen werden kann, sie müste denn ausdrücklich erklärt seyn, oder aus andern Erklärungen nothwendig folgen. Ist eine ausdrückliche Erklärung vorhanden, daß der bisherige Besitzer nur noch fremden Besitz verwalten wolle, so
(1) L. 20. C. de pactis: „Traditionibus et usucapionibus dominia rerum, non nudis pactis transferuntur.“
(260) Zweiter Abschnitt.
hat die Sache keinen Zweifel, aber dieser Fall ist sehr selten. Auserdem ist ein Constitutum nicht anzunehmen, auser insofern es als Folge anderer Handlungen betrachtet werden muß.
Erstens: ein Constitutum ist in der Regel nicht anzunehmen. – Eine Anwendung dieses Satzes ist schon oben vorgekommen: wer nämlich Fässer mit Wein kauft und versiegelt, ist dadurch nicht Besitzer und Eigenthümer der Fässer geworden (1). Nun ist es klar, daß Er selbst noch nicht die natürliche Detention dieser Sachen hat, solange sie in einem Keller des Verkäufers liegen: aber eben so sicher ist es, daß der Verkäufer durch bloses Constitutum den Besitz auf Ihn übertragen könnte, und nur weil ein Constitutum überhaupt nicht präsumirt wird, ist in jenem Fall ohne weitere Unterscheidung der Uebergang des Besitzes verneint worden. – Eine zweite Anwendung des Satzes enthält folgende Stelle:
L. 48. de poss.
„Praedia cum servis donavit, eorumque se tradidisse possessionem, litteris declaravit: si vel unus ex servis, qui simul cum praediis donatus est, ad eum, qui donum accepit, pervenit, mox in
(1) L. 1. §. 2. de peric. et comm. rei vend. (S. 165.).
(261) Erwerb des Besitzes.
praedia remissus est: per servum praediorum possessionem quaesitam ceterorumque servorum constabit.“ – Der donator hatte in einem Briefe geschrieben: „er wolle hiermit das Gut und die Sclaven übergeben haben.“ Wie ist diese Erklärung zu interpretiren? etwa so, daß Er, der donator, von jezt an als procurator alienae possessionis betrachtet würde? nein, denn ein Constitutum ist nicht zu präsumiren: also ist nur dem donatarius erlaubt, in jedem Augenblick selbst Besitz zu ergreifen (missio in possessionem), diese Handlung ist vorläufig durch des donator Einwilligung zu einer Tradition gemacht, aber erst mit ihr kann der neue Besitz seinen Anfang nehmen.
Zweitens: Ein Constitutum wird dennoch angenommen, wenn sein Daseyn aus einer andern Handlung nothwendig folgt. – Dieser Satz wird durch folgende Anwendungen deutlich und gewiß werden.
A.) Wer eine Sache verschenkt und zugleich miethet, hat über den Besitz nichts ausdrücklich erklärt: allein Er will, daß gleich jezt ein Pacht zwischen Ihm und dem Andern existiren solle, davon ist eine nothwendige Folge, daß der Andere Besitzer, Er aber Verwalter
(262) Zweiter Abschnitt.
des fremden Besitzes sey, folglich ist hier durch Constitutum der Besitz würklich übertragen (1).
B.) Eben so verhält es sich mit dem ususfructus: wer also eine Sache verschenkt oder verkauft, und den ususfructus für sich zurückbehält, hat durch Constitutum den Besitz und das Eigenthum würklich übertragen, und verwaltet von jezt an, wie jeder Fructuar, einen fremden Besitz (2).
C.) Wenn eine Sache Gegenstand eines Pfandcontracts ist, zugleich aber der Gebrauch dieser Sache dem Schuldner precario überlassen wird, so ist gleichfalls durch bloses Constitutum dem Glaubiger der Besitz der Sache erworben (3). Dieses ganze Geschäft
(1) L. 77. de rei vind.
(2) L. 28. L. 35. §. 5. C. de donat. (Von diesem Satz, den im allgemeinen gewiß kein Römischer Jurist je bezweifelte, hatte Theodos II. bey Schenkungen, wobey überhaupt viele besondere Bestimmungen vorkommen, eine Ausnahme verordnet, die Er selbst zwey Jahre später wieder aufhob. L. 8. 9. C. Th. de donat.). – Ein Fall dieser Art kam bey einem Theil der Hanauischen Succession vor. Cramer (opusc. T. 1. p. 641.) demonstrirte die gewöhnlichsten Irrthümer der Praktiker in mathematischer Methode, aber die Antwort, die von Darmstädtischer Seite erfolgte, ist eine der besten Schriften, die je über den Besitz erschienen sind: Kortholt de possessione ea lege, ne contra trad., dum vivit, exerc., tradita. Giessae 1738.
(3) L. 15. §. 2. qui satisdare cog. „Creditor, qui pignus accepit, possessor non est,
(263) Erwerb des Besitzes.
hat mit einem blosen pactum hypothecae viele Aehnlichkeit: ob das Eine oder das Andere gemeint sey, kann nur für jeden gegebenen Fall besonders bestimmt werden, aber wenn es ausgemacht ist, daß nicht dieses pactum, sondern ein contractus pignoris, verbunden mit precarium, eingegangen war, so ist davon die Uebertragung des Besitzes durch Constitutum eine unmittelbare Folge (S. 240.), und bedarf nicht etwa noch eines besondern Beweises.
D.) Bey einer Societas universorum bonorum
tametsi possessionem habeat,
aut sibi traditam, aut precario debitori concessam.“ – Hieraus muß erklärt
werden: L. 16. de O. et A. „ ... precario dando efficit, ne res usucapi
possit.“ Daß nämlich in der Regel der Schuldner usucapirt, ist gewiß, diese
Usucapion kann natürlich dadurch nicht ausgeschlossen werden, daß der Schuldner
sogar noch die natürliche Detention durch ein precarium erlangt: auch hat
Julian diesen lezten Satz in seinen Digestis dreymal aufgestellt, und kann ihn
also nicht wohl in einer vierten Stelle desselben Werks läugnen wollen (S.
240.). Demnach muß der ganze Fall so gedacht werden: die Sache gehörte dem
Verstorbenen selbst, was auch die Worte „sicuti ... adquirit“ andeuten:
folglich wurde die Usucapion allerdings unterbrochen, aber nicht durch das
precarium, sondern durch die Verpfändung (S. 234.): da aber das ganze Geschäft
durch ein Constitutum abgeschlossen wurde, also das precario dare und das
pignori accipere in Einem Moment vereinigt waren, so konnte ohne Gefahr das
erste genannt werden, um die Würkung des lezten zu bezeichnen.
(264) Zweiter Abschnitt.
wird die Tradition aller einzelnen Sachen als geschehen angenommen, sobald der Vertrag abgeschlossen ist (1), was wieder nicht anders als durch ein Constitutum gedacht werden kann. Der Grund liegt wahrscheinlich darin: wegen der Mannigfaltigkeit der Gegenstände ist hier eine würkliche Tradition sehr beschwerlich, folglich ungewöhnlich, folglich ist im Gegentheil dasjenige Geschäft gewöhnlich und zu präsumiren, welches allein eine wahre Tradition ersetzen kann, und dieses Geschäft ist eben das Constitutum.
E.) „Die Sclaven“, sagt eine Stelle des Codex, „deren Kaufbriefe bereits tradirt worden sind, müssen selbst als tradirt betrachtet werden“ (2). Nehmen wir diese Stelle wörtlich als Gesetz an, so ist das Besondere, was sie bestimmt, offenbar blos das, daß in Einem Fall, gegen die Regel, ein Constitutum präsumirt wird (3), nicht aber eine symbolische Tradition, die man freylich hier, wie in so vielen anderen Stellen, gefunden hat. Aber selbst zu jener Annahme sind wir nicht berechtigt: die ganze Stelle ist, wie die Worte
(1) L. 1. §. 1. L. 2. pro socio.
(2) L. 1. C. de donat. „Emptionum mancipiorum instrumentis donatis, et traditis, et ipsorum mancipiorum donationem, et traditionem factam intelligis: et ideo potes adversus donatorem in rem actionem exercere.“
(3) Schon Fulgosius erklärt die Stelle durch ein Constitutum. Obrecht de poss. §. 280.
(265) Erwerb des Besitzes.
deutlich zeigen, ein Rescript für einen bestimmten Fall: die Bedingungen dieses Falls schienen dem Kaiser so, daß von dem Augenblick des übergegebenen Kaufbriefs an ein Constitutum behauptet werden müste: Wir kennen diese Bedingungen nicht, und so ist das practische Resultat dieser Stelle, wie so vieler andern Rescripte, blos eine unbestimmte Möglichkeit, d. h. der Inhalt derselben verwandelt sich in diese Regel: „es kann in der Uebergabe eines Kaufbriefs ein Constitutum liegen“, vorausgesezt nämlich, daß aus den übrigen Umständen auf das Daseyn dieses Geschäfts geschlossen werden muß.
Unsere Juristen sind von jeher weit entfernt gewesen, diese einfache Ansicht des Römischen Rechts, nach welcher nicht einmal ein eigner Name für dieses Institut nöthig gefunden wurde, zu der Ihrigen zu machen. Das Constitutum schien Ihnen immer etwas sehr seltsames, eine der auffallendsten Fictionen bey dem Erwerb des Besitzes überhaupt, und es sind daher Viele darin überein gekommen, die allgemeine Anwendung des Constitutum für eine Erfindung der Praktiker zu erklären, in der Theorie also das Constitutum nur als Ausnahme, und nur in den Fällen gelten zu lassen, welche die Römischen Juristen zufällig
(266) Zweiter Abschnitt.
gebraucht haben, die Anwendung ihrer Regel daran zu erläutern (1).
§. 28.
Der Erwerb des Besitzes ist jezt vollständig dargestellt, und es ist aus dieser Darstellung klar, daß in dem Erwerb des Besitzes Bestimmungen enthalten sind, welche ihn von dem Erwerb jedes andern Rechts unterscheiden. Alle blos juristischen Gründe nämlich, welche auserdem den Erwerb eines Rechts begründen oder unmöglich machen, haben diese Würkung bey dem Besitz nicht. Erstens also: blos juristische Handlungen, in welchen nicht zugleich eine Apprehension liegt, geben den Besitz nicht. – So der Erwerb einer
(1) Schon Azo (Summa in Cod. tit. de poss. n. 7. 8.) sagt bey dem Constitutum durch ususfructus: „et est hoc unum mirabile mundi.“ – Die gründlichste Schrift ist von G. Mascov (!) (de const. poss., Harderov. 1733, auch in: opusc. ed. Püttmann. p. 101.), der aber auch die gewöhnliche Ansicht zum Grunde legt, und besonders durch das Eigenthümliche der Schenkung (S. 262.) sich verleiten läßt, das Verhältniß von Regel und Ausnahme völlig umzukehren. – Einige haben alles Constitutum abgeläugnet, die Sache selbst aber in jenen einzelnen Fällen dennoch zugelassen, und nur etwa anders erklärt: Giphanius in L. 10. de donat. (lectur. Altorph. p. 120. 121.). Schorch de const. poss. in LL. Rom. non fundato. Erf. 1732. – Völlig unbrauchbar ist: Tiraquellus de jure const. poss. (opp. T. 4. p. 135. ed. Frf. 1574.).
(267) Erwerb des Besitzes.
Erbschaft: alle Rechte überhaupt, insofern sie zum Vermögen gehören, also nicht blos persönlich sind, gehen dadurch unmittelbar auf den Erben über, nur nicht der Besitz, da in dem Antritt der Erbschaft durchaus kein factum apprehensionis für die einzelnen Sachen der Erbschaft liegt (1). Mehrere neuere Gesetzgebungen haben sehr inconsequent das Gegentheil bestimmt (2), was wohl aus einer misverstandenen Stelle des Römischen Rechts selbst entstanden seyn mag (3). – Wie mit dem Erwerb der Erbschaft, so verhält es sich auch mit der Mancipation: diese konnte nämlich ohne Zweifel so vorgenommen werden, daß zugleich der Erwerb
(1) L. 23. pr. de poss. „Cum heredes instituti sumus, adita hereditate, omnia quidem jura ad nos transeunt: possessio tamen nisi naturaliter comprehensa ad nos non pertinet.“ – L. 1. §. 15. si is, qui test. liber „ ... nec heredis est possessio, antequam possideat“ (sc. naturaliter): „quia hereditas in eum id tantum transfundit, quod est hereditatis: non autem fuit possessio hereditatis.“
(2) Das ist der Sinn der Regel: „le mort saisit le vif.“ (Tiraquellus in tract. le mort etc. opp. T. 4.). Dasselbe gilt bey den Spanischen Majoraten. Leges Tauri num. 45. (Gomez in LL. Tauri p. 232. ed. Lugd. 1744. f.). – Vergl. C. A. Braun de poss. ipso jure in heredem transeunte. Erlang. 1744.
(3) L. 30. pr. ex
quib. caus. maj. „ ...
possessio defuncti, quasi juncta, descendit ad heredem.” Cuiacius in L. 23. pr. de poss. (opp. T. 8. p. 287.).
– Jene Stelle geht blos auf die Fiction bey der Usucapion.
(268) Zweiter Abschnitt.
des Besitzes daraus erfolgte, ja bey beweglichen Sachen war dieses nothwendig: nicht so bey Grundstücken (1), folglich gieng bey diesen das Eigenthum ohne Besitz über, denn ein factum apprehensionis war nicht vorhanden, und ein Constitutum, wodurch dieses factum hätte ersezt werden können, ist nicht zu präsumiren.
Zweitens: wenn die Bedingungen des Erwerbs vorhanden sind, so wird durch juristische Gründe der Ungültigkeit der Besitz nicht ausgeschlossen. – Im allgemeinen ist dieser Satz von jeher anerkannt worden, aber man hat ihn durch Ausnahmen beschränkt, welche in allen Fällen der ficta apprehensio eintreten sollten (S. 148): diese Ausnahmen sind ungegründet, weil es überhaupt keine ficta apprehensio giebt.
Nach dieser Regel also kann selbst durch eine strafbare Handlung, nämlich durch körperliche Gewalt, Besitz erworben werden, und dieser Satz liegt so vielen bekannten Anwendungen zum Grunde, daß er auch durch folgende Stelle nicht zweifelhaft werden kann (2):
(1) Ulpianus in fragm. Tit. 19. §. 6: „Res mobiles non nisi praesentes mancipari possunt ... immobiles autem etiam plures simul, et quae diversis locis sunt, mancipari possunt.“
(2) L. 22. de poss.
(Iavolenus lib. 13. ex Cassio). – Cuper (P. 2. C. 23.) bezieht die Stelle äuserst gezwungen auf das interdictum quod
legatorum, weil Javolen in demselben Buche zweymal von
(269) Erwerb des Besitzes.
„Non videtur possessionem adeptus is, qui ita nactus est, ut eam retinere non possit.“
Das non videtur muß schon nach den Worten nur in einer besondern Beziehung wahr seyn sollen, denn was man nicht behalten kann, muß man wohl für diesen Augenblick würklich haben. Auch ist jene Beziehung leicht zu finden (1): eine res furtiva oder vi possessa nämlich kann nicht usucapirt werden, und diese Unmöglichkeit hört erst dann auf, wenn der Eigenthümer wieder in den Besitz derselben gekommen ist. Aber dieser Besitz muß auch so beschaffen gewesen seyn, daß er dauerhaft seyn konnte, d. h. er muß nicht wegen der Art seiner Entstehung haben angefochten werden können (2). Wenn also der fundus vi possessus von dem Eigenthümer selbst mit Gewalt wieder eingenommen wird, oder wenn der Eigenthümer die res furtiva durch ein gültiges precarium (3) wieder
Interdicten redet (L. 5. de tab. exhib., L. 198. de R. I.): allein in zwey nicht sehr entfernten Stellen (lib. 15. ex Cassio) ist auch von furtum die Rede (L. 71. 73. de furtis).
(1) Die Glosse zu unserer Stelle hat sie würklich gefunden.
(2) L. 4. §. 12. 26. de usurp., L. 13. §. 2. de V. S.
(3) S. o. S. 239. – Cujaz (obss. XXIV. 12.) scheint um ein taugliches Beyspiel für bewegliche Sachen sehr verlegen zu seyn: in dem Fall, welchen Er anführt, ist gar keine res furtiva vorhanden.
(270) Zweiter Abschnitt.
in den Besitz bekommt, so ist die Unmöglichkeit der Usucapion nicht aufgehoben, weil der Besitz des Eigenthümers in beiden Fällen durch Interdicte angefochten werden kann.
Was von dem gewaltsamen Erwerb gilt, muß um so mehr von solchen Handlungen behauptet werden, die ihrer Form nach rechtlich, aber aus juristischen Gründen ungültig sind. – So wird durch die Schenkung eines Ehegatten kein Recht übertragen: der Besitz allein geht über (S. 44). – Eben so kann durch die Tradition, die ein Rasender oder ein Pupill vornimmt, kein Eigenthum erworben werden, wohl aber Besitz (1). – Aus diesen juristischen Gründen nämlich ist immer nur die Succession für ungültig zu halten: Succession aber bezieht sich überhaupt nicht auf die Existenz des Besitzes (S. 23.), folglich kann diese nicht darum ausgeschlossen seyn, weil jene unmöglich ist.
(1) Die Gründe, aus welchen dieser Satz etwa bezweifelt werden könnte, gehören in den folgenden Abschnitt, denn sie betreffen die Frage, ob der Rasende oder der Pupill den Besitz in diesem Fall verliere. Daß unter dieser Voraussetzung der Andere ihn er wirbt, wird Niemand läugnen.
(271)
Dritter Abschnitt.
Verlust des Besitzes.
§. 29.
Im zweiten Abschnitt ist von dem Anfang des Besitzes geredet worden: hier soll das Ende desselben bestimmt werden. Diese Frage ist offenbar mit der nach der Fortdauer des Besitzes völlig gleichbedeutend, da jeder Besitz genau so lange fortdauern muß, als er nicht verloren wird. Hätten unsere Juristen diese einfache Bemerkung, die schon sehr frühe gemacht worden ist (1), benuzt, so würden sie ihren Theorien nicht
(1) Azo in Summa Cod. tit. de poss. „Cum enim intitulatur de amittenda possessione, ergo de retinenda, vel quousque retineatur: tandium (= tamdiu) (!) enim retinetur, quamdiu non amittitur.“ – Glossa in rubr. Dig. tit. de poss. „not., „quod hic dicit amittenda, sed Cod. eod. dicit retinenda, quod in idem recidit, quia contrariorum eadem est disciplina.“ Bey dieser Gelegenheit pflegen die
(272) Dritter Abschnitt.
nur ein ganzes Kapitel, sondern auch manche Widersprüche erspart haben, indem nun zuweilen bey dem Verlust des Besitzes das Gegentheil von dem gesagt wird, was bey der Fortdauer behauptet worden war.
Es ist also jezt die Regel aufzusuchen, nach welcher die Fortdauer, und mit dieser zugleich der Verlust des Besitzes bestimmt werden könne. Wir wollen es versuchen, diese Regel zuerst aus dem Begriff des Besitzes abzuleiten: dieser Begriff hat durch die Untersuchung über den Erwerb des Besitzes bereits volle Bestimmtheit und Realität erhalten, und selbst diese Beziehung auf Fortdauer und Verlust ist schon oben (S. 182) vorläufig angedeutet worden.
Weil nämlich der Besitz gedacht wurde als physische Herrschaft, bezogen auf das Bewustseyn, so war zu allem Erwerb zweyerley nöthig: factum und animus. Dasselbe muß sich auch bey der Fortdauer wieder finden: auch diese muß auf der Verbindung von factum und animus beruhen, wie der Erwerb, sie muß also ausgeschlossen seyn, wenn diese Verbindung
Commentatoren nach Accurs, selbst Alciat nicht ausgeschlossen, sehr gelehrt zu untersuchen, ob die Regel: „contrariorum eadem est disciplina“ auch würklich überall wahr sey, z. B. auch im Canonischen Recht, im Lehenrecht u. s. w.
(273) Verlust des Besitzes.
aufgehoben ist, d. h. wenn entweder das factum allein, oder der animus allein, oder beide zugleich aufhören. Aller Unterschied nämlich, der zwischen den Bedingungen des Erwerbs und der Fortdauer angenommen werden soll (S. 182), kann durchaus nur den Grad, nicht das Wesen dieser Bedingungen betreffen, d. h. es muß sich immer ein Punct annehmen lassen, auf welchem aller Unterschied völlig verschwindet. Ein solcher Punct wäre z. B. bey dem factum die völlige Unmöglichkeit, auf die Sache einzuwürken, bey dem animus der bestimmte Entschluß, nicht Besitzer zu seyn: und es ist klar, daß in beiden Fällen der Besitz eben so wenig anfangen als fortgesezt werden könne, daß also hier die Bedingungen des Erwerbs und der Fortdauer völlig zusammen fallen.
Was hier gesagt worden ist, läßt sich in folgende Sätze zusammen fassen:
1. Soll der Besitz fortdauern, so muß factum und animus zugleich vorhanden seyn.
2. Hat das factum allein, oder der animus allein, oder beide zugleich aufgehört, so ist der Besitz verloren.
3. Diese Regel steht in einer unmittelbaren logischen Verbindung mit der Regel, welche den Erwerb des Besitzes bestimmt.
(274) Dritter Abschnitt.
Wir wollen uns jezt nach historischen Beweisen jener Regel umsehen: vielleicht, daß uns dabey der Standpunct, aus welchem sie hier zuerst betrachtet worden ist, gute Dienste leistet.
§. 30.
Die Regel, die im vorigen §. aufgestellt worden ist, wird theils in vielen Anwendungen (1), theils in einigen Ausnahmen so bestimmt vorausgesezt, daß schon dadurch der historische Beweis derselben als vollständig geführt gelten könnte. Auserdem steht die Regel selbst in einer Stelle, die man grade dabey gewöhnlich übersieht.
L. 44. §. 2. de poss.
„ ... ejus quidem, quod corpore nostro teneremus (2), possessionem amitti vel animo, vel etiam corpore ... “
Doch auch hier wird dieser Gegenstand nur gelegentlich berührt: dagegen findet sich eine andere Stelle, worin recht absichtlich eine allgemeine Regel für unsern Fall aufgestellt werden soll, und diese Regel – scheint der unsrigen grade entgegen gesezt, indem sie weder
(1) Hier nur vorläufig einige der bestimmtesten: L. 3. §. 13. L. 29. de poss. (Verlust durch bloses factum). – L. 3. §. 6. L. 17. §. 1. de poss. (Verlust durch blosen animus).
(2) Dieser Fall macht die Regel aus, und es sollen eben hier die Modificationen für den entgegen gesezten Fall angegeben werden.
(275) Verlust des Besitzes.
das factum allein, noch den animus allein für hinreichend erklärt, den Besitz verlieren zu machen.
L. 153. de R. I. (1).
„Fere, quibuscunque modis obligamur, hisdem (iisdem) in contrarium actis liberamur: cum quibus modis adquirimus, hisdem in contrarium actis amittimus. Ut igitur (2) nulla possessio adquiri, nisi animo et corpore potest: ita nulla amittitur, nisi in qua utrumque in contrarium actum (3).“
An einen Streit der alten Juristen ist theils nach der Natur des Gegenstandes, theils auch deswegen nicht zu denken, weil die Stelle von Paulus herrührt, in dessen Schriften grade die entscheidendsten Anwendungen der richtigen Regel sich finden (4).
Bey weitem die meisten Interpreten suchen diese Schwierigkeit dadurch aufzuheben, Daß (!) Sie die ganze Stelle blos auf einen besondern, ausgenommenen Fall beziehen. Nämlich Grundstücke werden auch dann noch
(1) Ich nenne diese Stelle die einzige, weil die L. 8. de poss. offenbar blos ein Fragment derselben ist: die ganz unbedeutenden Abweichungen sollen sogleich bemerkt werden.
(2) Die L. 8. de poss., die erst hier anfängt, liest „quemadmodum“ anstatt „ut igitur.“
(3) L. 8. de poss.: „actum est.“
(4) L. 3. §. 6. 13. de poss.
(276) Dritter Abschnitt.
besessen, wenn schon ein Anderer sie occupirt hat, solange nur der bisherige Besitzer noch keine Nachricht davon hat. Deswegen unterscheidet man nun so: entweder soll solo animo der Besitz verloren werden, dann hat der Verlust keine Schwierigkeit, folglich ist dann die Regel des Paulus falsch: oder solo corpore, dann ist die Regel wahr, aber doch auch nur bey Grundstücken (1). – Allein der Jurist hat so offenbar die Absicht, eine allgemeine Regel aufzustellen, daß diese Erklärung durch alle Nebengründe, die man dafür aufgesucht hat (2), unmöglich entschuldigt werden kann.
Alle Schwierigkeit liegt offenbar in dem Wort „utrumque“: daß beides zugleich (factum und
(1) Azo in Summa Cod. tit. de poss. num. 15. – Glossa in L. 3. §. 6. et in L. 8. de poss. – Cuiacius in notis ad §. 5. I. de interdictis, et in paratit. in Cod. tit. de poss. (auch: opp. T. 4. p. 625, T. 5. p. 710, T. 8. p. 258. 269. 877, T. 9. p. 1015.). – Giphanius in lect. Altorph. p. 420. 421. 422. – Merenda (!) in contr. L. 12. C. 24. – Cuperus de (!) de poss. P. 2. C. 36. Man lasse sich nicht dadurch irren, daß Cuper und Andere damit anfangen, eben diese Erklärung zu widerlegen, denn am Ende ist es immer dieselbe, nur etwas anders ausgedrückt.
(2) Cujaz legt viel Gewicht auf das Wort „fere“ („c’est à dire, le plus souvent, ou presque le plus souvent.“ Opp. T. 4. p. 625.), welches doch weder bey dem Besitz gebraucht ist, noch auch dabey einen so grosen Unterschied machen könnte. – Giphanius und Cuper sehen vorzüglich auf die Inscription.
(277) Verlust des Besitzes.
animus) aufgehoben werden müsse, damit der Besitz verloren sey – das ist es, was allen übrigen Anwendungen widerspricht. Liese sich also beweisen, daß utrumque für alterutrum stehen könnte, so wäre eben durch die übrigen Stellen diese Erklärung nothwendig und gewiß, und aller Widerspruch wäre völlig entfernt (1).
Dieser Beweis aber, daß utrumque die Bedeutung von alterutrum haben könne, ist auf zweyerley Art zu führen: es muß nicht nur überhaupt, sondern auch nach dem Zusammenhang unsrer Stelle diese Bedeutung des Worts möglich seyn.
Erstens: uterque kommt in anderen Stellen in der Bedeutung von alteruter vor (2):
A.) In einer Stelle des Celsus (3):
„Si Titio aut Sejo, utri heres vellet,
(1) Ich kenne nur Eine Erklärung, die einen etwas ähnlichen Weg einschlägt, indem sie den Text ändert und „utrumcunque“ liest (Friesen de genuina poss. indole, Ienae 1725. §. 14.): selbst diese Emendation ist weit weniger gewaltsam, als die gewöhnliche Erklärung.
(2) Diese Bedeutung selbst steht schon in der Glosse (in L. 8. §. 5. C. de bon. quae lib.); ferner in den Zusätzen zu Brisson (p. 1372. ed. Heinecc.), aber Eine Stelle, die da angeführt wird (L. 2. pr. de eo, quod certo loco), beweist nichts, und die L. 16. de leg. 2. fehlt ganz.
(3) L. 16. de legatis 2.
(278) Dritter Abschnitt.
legatum relictum est: heres alteri dando, ab utroque liberatur: si neutri dat, uterque perinde petere potest, atque si ipsi soli legatum foret, nam ut stipulando duo rei constitui possunt (1), ita et testamento potest id fieri.“
B.) In einer Constitution von Justinian (2).
„Ipsum autem filium ... alere patri necesse est ... et ab ipsis liberis parentes, si inopia ex utraque parte vertitur.“
C.) Daß endlich umgekehrt alteruter für uterque in einer Stelle des Ulpian vorkommt, beweist wenigstens
(1) Aus dieser Vergleichung mit gewöhnlichen Correis erhellt ganz offenbar, daß durch die würkliche Forderung des Einen das Recht des Andern ausgeschlossen seyn soll, und daß es nur gleichgültig ist, Wer von Beiden fordert: eben das aber ist die allgemeine Bedeutung von alteruter.
(2) L. 8. §. 5. C. de bonis quae liberis. – In dieser Stelle ist die Sache so klar, daß Haloander in den Text gesezt hat: alterutra. Allein daraus folgt nicht, daß Er diese Leseart in einer Handschrift gefunden habe, die Glosse sucht die besondere Bedeutung, die hier utraque hat, ausführlich zu rechtfertigen, ohne einer Variante zu erwähnen, und die späteren Editoren haben das alterutra offenbar blos nach Haloander in den Text aufgenommen, oder als Variante bemerkt. Russard z. B. sagt ausdrücklich, in allen seinen Handschriften stehe utraque.
(279) Verlust des Besitzes.
soviel, daß der Sprachgebrauch hierin nicht mehr so fest beobachtet zu werden pflegte (1):
„ ... aut convenit inter litigatores, uter possessor sit, uter petitor, aut non convenit. Si convenit, absolutum est ... Sed si inter ipsos contendatur, uter possideat, quia alteruter se magis possidere adfirmat“ etc.
Wenn zwischen Beiden Streit über den Besitz seyn soll, so muß wohl Jeder (uterque) behaupten, se magis possidere.
Aber zweitens, wenn gleich uterque überhaupt für alteruter stehen kann, kann es auch hier diese Bedeutung haben? Offenbar soll der Verlust mit dem Erwerb verglichen werden (2), nun ist zu dem Erwerb factum und animus zugleich nöthig, also (scheint es) auch zu dem Verlust. Allein dieses Resultat der Vergleichung ist nur scheinbar: „factum und animus zugleich ist zum Erwerb nothwendig“ heist nichts anders, als: „der Erwerb ist bedingt durch die Verbindung von factum und animus“, demnach wird nur dann der Erwerb mit dem Verlust verglichen werden können, wenn der Verlust eine Folge dieser aufgehobenen
(1) L. 1. §. 3. uti possidetis.
(2) „ ... quibus modis adquirimus, iisdem in contrarium actis amittimus. Ut igitur nulla possessio adquiri ... potest: ita nulla amittitur ... “ (S. 275.).
(280) Dritter Abschnitt.
gehobenen Verbindung ist. Aufgehoben aber ist diese Verbindung nicht erst dann, wenn factum und animus zugleich aufgehört haben, sondern wenn auch nur Eines von Beiden nicht mehr vorhanden ist: demnach ist die oben vorausgesezte Bedeutung von utrumque nach dem innern Zusammenhang unsrer Stelle nicht nur möglich, sondern sogar nothwendig, indem Paulus nur darauf aufmerksam machen will, daß der Erwerb und Verlust des Besitzes auf denselben Grundsatz zurückgeführt werden können, welcher Satz eben für unsere Regel schon oben (S. 273) dargethan worden ist.
So ist folglich auch durch Interpretation bewiesen, daß die Fortdauer des Besitzes, wie der Erwerb desselben, auf factum und animus zugleich beruhen müsse, oder (was dasselbe sagt), daß sowohl durch factum als durch animus allein der Besitz verloren werden könne. – Diese Regel soll jezt durch die Anwendung theils erläutert, theils näher bestimmt werden.
Nun kann aber, wie der Erwerb, so auch die Fortdauer des Besitzes durch fremde Handlungen begründet seyn: demnach wird das Detail dieser Untersuchung überhaupt auf folgende Puncte gerichtet seyn müssen:
A.) Factum, als erste Bedingung der Fortdauer des Besitzes (§. 31.).
(281) Verlust des Besitzes.
B.) Animus, als zweite Bedingung derselben (§. 32.).
C.) Modification dieser Regeln bey der Fortsetzung des Besitzes durch Stellvertreter (§. 33.).
§. 31.
Die erste Bedingung der Fortdauer des Besitzes ist ein physisches Verhältniß zu der besessenen Sache (factum), wodurch es uns möglich ist, auf dieselbe einzuwürken. Diese Möglichkeit aber muß nicht etwa, wie bey dem Erwerb des Besitzes, eine unmittelbare, gegenwärtige Möglichkeit seyn (S. 182.), sondern Möglichkeit überhaupt ist hinreichend, und der Besitz ist auf diese Weise erst dann verloren, wenn die willkührliche Einwürkung ganz unmöglich geworden ist. – Diese Regel soll jezt theils auf bewegliche, theils auf unbewegliche Sachen angewendet werden.
Der Besitz einer beweglichen Sache wird zuerst dadurch verloren, daß ein Anderer sich derselben bemächtigt, einerley ob mit Gewalt oder heimlich (1): und hier ist die Ausschliesung unsrer eignen Herrschaft über diese Sache sehr entschieden. Ob der Andere den Besitz würklich erworben habe, ist ganz gleichgültig: wenn z. B. ein fremder Sclave, ohne Befehl seines Herrn,
(1) L. 15. de poss. „Rem quae nobis subrepta est, perinde intellegimur desinere possidere, atque eam, quae vi nobis erepta est ... “
(282) Dritter Abschnitt.
sie entwendet, so erwirbt diesen Besitz weder der Sclave (S. 87), noch der Herr (1), aber Wir verlieren ihn dennoch, da uns die physische Möglichkeit, über die Sache zu verfügen, darum nicht weniger entzogen ist, weil kein Anderer das Recht des Besitzes hat. Anders verhält es sich freylich, wenn der Sclave des Besitzers selbst die Sache stiehlt (2), aber hier gründet sich die Fortsetzung des Besitzes blos darauf, daß der Dieb selbst, also vermittelst desselben auch die gestohlene Sache, in unsrem Besitze ist. – Aber auch ohne die Einwürkung eines Andern kann die Möglichkeit der unsrigen ausgeschlossen seyn, wenn nämlich der Ort, an welchem sie sich befindet, uns entweder unzugänglich (3), oder unbekannt (4) ist. Doch ist bey dem lezten Punct noch eine besondere Bemerkung nöthig. Wer nämlich eine Sache in seinem Hause aufbewahrt, oder einen Schatz im Felde vergräbt, verliert den Besitz nicht, wenn Er auch die Sache
(1) Denn sonst müste entweder in dem Willen des Herrn (S. 244.), oder in der peculiaris causa (S. 248.) der Grund des Besitzes liegen: beides aber fehlt (vergl. L. 24. de poss.).
(2) L. 15. de poss. (s. u. §. 33.).
(3) L. 13. pr. de poss. „ ... cum lapides in Tiberim demersi essent naufragio et post tempus extracti ... dominium me retinere puto, possessionem non puto.“
(4) L. 25. pr. de poss. „Si id, quod possidemus, ita perdiderimus, ut ignoremus, ubi sit: desinimus possidere.“ Vergl. L. 3. §. 13. de poss.
(283) Verlust des Besitzes.
nicht sogleich finden kann (1): denn die besondere Anstalt, die zu ihrer Aufbewahrung getroffen ist (custodia) (2), sichert Ihm das Finden für die Zukunft. Also der Besitzer muß entweder bestimmt den Ort wissen, wo seine Sache ist, oder sie in einer besondern custodia haben: allgemeine Bedingung der Fortdauer ist die custodia nicht (3), und wer z. B. eine Sache im Walde liegen läßt, und sich nachher bestimmt derselben erinnert, hat ihren Besitz durchaus nicht verloren. Daraus ist folgende Stelle zu erklären:
(1) L. 3. §. 13. de poss. „ ... desinere a nobis possideri ... Dissimiliter atque si sub custodia mea sit, nec inveniatur: quia praesentia ejus sit, et tantum cessat interim diligens inquisitio.“ – L. 44. pr. de poss. „Peregre profecturus, pecuniam in terra custodiae causa condiderat: cum reversus locum thesauri immemoria non repeteret ... Dixi, quoniam custodiae causa pecunia condita proponeretur, jus possessionis ei, qui condidisset, non videri peremptum: nec infirmitatem memoriae damnum adferre possessionis, quam alius non invasit.“
(2) Das nämlich ist die allgemeine Bedeutung von custodia, und die Verschiedenheit bey dem Erwerb und Verlust (S. 183.) ist blos graduell.
(3) Dagegen kann durchaus nicht angeführt werden: L. 47. de poss. „ ... rerum mobilium neglecta atque omissa custodia, quamvis eas nemo alius invaserit, veteris possessionis damnum adferre consuevit: idque Nerva filius retulit.“ Das „consuevit“ bezeichnet nicht eine juristische Regel, sondern das, was aus der omissa custodia sehr oft erfolgt, und das läßt sich dabey nicht läugnen. Papinian citirt ohnehin den jüngern Nerva, von dessen Meinung sogleich weiter die Rede seyn wird.
(284) Dritter Abschnitt.
L. 3. §. 13. de poss.
„Nerva filius (1), res mobiles ... quatenus sub custodia nostra sint, hactenus possideri: Idem (2), quatenus si velimus naturalem possessionem nancisci possimus.“ – D. h. „Nerva sagt, die Fortdauer des Besitzes könne begründet werden durch custodia: derselbe (Nerva) sagt, sie könne auch blos dadurch begründet seyn, daß der Besitzer im Stande ist, die natürliche Detention zu erlangen, sobald er will.“ – Nämlich wer seine Sache im Hause hat, aber nicht finden kann, von dem kann man nicht sagen: si velit, naturalem possessionem nancisci potest, und wer sich erinnert, an welchem Ort im Walde seine Sache liegen müsse, von dem kann man nicht sagen: sub custodia ejus est. Also sollen diese zwey Sätze nicht sich wechselseitig erläutern, sondern zwey verschiedene Wege der Fortsetzung des Besitzes beschreiben: auch zeigen die Beyspiele, die in unserer
(1) sc. ait.
(2) sc. ait, hactenus possideri. „Idem“ liest Rom. 1476, die Florentinische Handschrift hat: „id est“, die meisten Ausgaben aber eine blose Abbreviatur (i.). „Item“ gäbe auch einen richtigen Sinn.
(285) Verlust des Besitzes.
Stelle folgen, sehr deutlich, daß in keinem der hier angegebenen Fälle der Besitz als verloren gelten soll.
Auf den Besitz der Thiere sind diese Regeln so anzuwenden.
A.) Zahme Thiere werden besessen wie alle andere bewegliche Sachen, d. h. ihr Besitz hört auf, wenn sie nicht wieder gefunden werden können (1). – B.) Wilde Thiere werden nur solange besessen, als eine besondere Anstalt (custodia) vorhanden ist, die es uns möglich macht, sie würklich zu ergreifen (2). Also nicht jede
(1) L. 3. §. 13. de poss. „ ... pecus simul atque aberraverit ... desinere a nobis possideri.“ – Ganz ähnliche Grundsätze galten bey dem Besitz der Sclaven, nur machte der animus revertendi einigen Unterschied (L. 44. pr. L. 47. de poss.), an einem flüchtigen Sclaven wurde Besitz fingirt (L. 15. §. 1. de usurp., L. 13. pr. L. 15. de poss., s. o. S. 246.) und durch das liberale judicium wurde er blos suspendirt (S. 246.).
(2) L. 3. §. 2. L. 5. pr. de adqu. rer. dom. (§. 12. I. de rer. div.) „Quidquid autem eorum ceperimus, eo usque nostrum esse intellegitur, donec nostra custodia coercetur: cum vero evaserit custodiam nostram, et in naturalem libertatem se receperit: nostrum esse desinit, et rursus occupantis fit. – Naturalem autem libertatem recipere intellegitur, cum vel oculos nostros effugerit, vel ita sit in conspectu nostro, ut difficilis sit ejus persecutio.“ – Hier ist nämlich der einzige Fall, in welchem der Verlust des Besitzes zugleich den Verlust des Eigenthums zur Folge hat, so daß das Eine für das Andere gesezt werden kann.
(286) Dritter Abschnitt.
custodia überhaupt ist hier hinreichend, wer z. B. wilde Thiere in einem Park hält, oder Fische in einem See, hat allerdings etwas gethan, um sie aufzubewahren, aber es hängt nicht von seinem Willen, sondern von vielen Zufällen ab, ob Er sie würklich fängt, wenn Er will, folglich ist hier der Besitz nicht erhalten: ganz anders, wenn Fische in einem Fischkasten, oder andere Thiere in einem Zwinger eingeschlossen sind, weil sie nun in jedem Augenblick ergriffen werden können (1). – C.) Thiere, die von Natur wild, aber
(1) L. 3. §. 14. 15. de poss. „Item feras bestias, quas vivariis incluserimus, et pisces, quos in piscinas conjecerimus, a nobis possideri. Sed eos pisces, qui in stagno sint, aut feras, quae in silvis circumseptis vagantur, a nobis non possideri ... Aves autem possidemus, quas inclusas habemus“ etc. – Daß hier der Gegensatz durch den gröseren und geringeren Umfang bestimmt werde, ist sehr klar, und schon die Glosse hat so die Stelle verstanden. Eine silva circumsepta kann sehr gros seyn, und man kann vergeblich darin jagen, ohne ein bestimmtes Thier zu fangen, das darin eingeschlossen ist, also hat man den Besitz desselben nicht, obgleich das Thier in dem Walde selbst eingeschlossen ist. Es ist demnach nicht nöthig, mit Hotmann (obss. VIII. 7.) zu lesen: „silvis non circumseptis, “ oder mit Fleck (de poss. p. 82.) diese Worte von einer solchen Begränzung zu verstehen, die das Thier nicht hindert zu entfliehen. Daß sich Viele mit der Leseart „evagantur“ aufhalten, ist ganz unbegreiflich, da alles, was dadurch etwa geändert werden könnte, durch das „in silvis“
(287) Verlust des Besitzes.
durch Kunst gezähmt sind, werden den zahmen Thieren gleich behandelt, solange sie zu dem Orte zurück zu kehren pflegen (donec animum i. e. consuetudinem revertendi habent), an welchem der Besitzer sie aufbewahrt (1).
Bey unbeweglichen Sachen ist die Regel für den Verlust des Besitzes ganz dieselbe. Auch dabey also wird der Besitz verloren, sobald die Möglichkeit der Einwürkung auf die Sache aufgehoben ist – fortgesezt, solange diese Möglichkeit dauert, nur daß der Begriff dieser Möglichkeit auch hier dem Grade nach anders bestimmt werden muß, als bey dem Erwerb (S. 182(.) 183.).
Verloren also wird der Besitz eines Grundstücks durch jedes factum, welches dem bisherigen Besitzer die Einwürkung auf die Sache unmöglich macht. Ein solches factum kann zunächst darin liegen, daß dem Besitzer die Gegenwart in dem Grundstück unmöglich gemacht wird, indem nämlich ein Anderer Ihn mit Gewalt herauswirft (2), oder Ihn hineinzugehen
ausgeschlossen ist. Sehr ausführlich, aber nicht sehr gut handelt von dieser Stelle und ihren Interpreten: Nettelbladt, diss. de vero sensu L. 3. §. 14. de poss. Hal. 1774.,
(1) L. 4. L. 5. §. 4. 5. de adqu. rer. dom. (§. 14. 15. I. de rer. div.) L. 3. §. 15. 16. de poss.
(2) Dabey indessen ist es nicht nöthig, daß die körperliche
(288) Dritter Abschnitt.
hindert (1). Aber auch ohne diese räumliche Trennung des Besitzers von der Sache ist der Besitz verloren, sobald
Gewalt würklich abgewartet werde: wer also aus Furcht vor derselben entflieht, verliert dadurch den Besitz, selbst wenn nun der Andere nicht zu besitzen anfängt. L. 33. §. 2. de usurp. „Si dominus fundi homines armatos venire existimaverit, atque ita profugerit, quamvis nemo eorum fundum ingressus fuerit, vi dejectus videtur ... “ das aber ist nöthig, daß auserdem, d. h. wenn der Besitzer nicht das Grundstück verlassen hätte, die körperliche Gewalt in der That erfolgt wäre, daß also jene Furcht nicht auf blosem Irrthum beruhte. L. 3. §. 6. 7. de vi. „Si quis autem visis armatis, qui alibi tendebant, metu hoc deterritus profugerit, non videtur dejectus: quia non hoc animo fuerunt, qui armati erant, sed alibi tendebant. Proinde et si, cum armatos audisset venire, metu decesserit de possessione sive verum sive falsum audisset, dicendum est, non esse eum armis dejectum, nisi possessio ab his fuerit occupata.“ Das „verum audisset“ geht offenbar auf den Fall, wenn die armati würklich kamen, aber „alibi tendentes“, also ist der seltenere Fall, wenn die armati den Besitzer würklich verjagen wollten, aber nicht selbst das Grundstück occupirten, nachdem Jener entflohen war – dieser Fall, sage ich, ist also hier gar nicht gedacht, also auch nicht ausgeschlossen, und doch läßt sich dieser Fall recht gut denken, da es nämlich blos darauf ankommen konnte, die Usucapion des jezigen Besitzers zu unterbrechen. So allein ist der Widerspruch der zweiten Stelle (und zugleich der L. 1. §. 29. de vi, und: Paulus V. 6. §. 4.) gegen die erste zu entfernen: denn die gewöhnliche Auflösung, nach welcher in dem streitigen Fall zwar der Besitz verloren (L. 33. §. 2. de usurp.), aber kein Interdict begründet seyn soll (L. 3.
(289) Verlust des Besitzes.
auf andere Weise alle Freiheit in der Behandlung der Sache aufgehoben ist (2).
Dagegen dauert der Besitz eines Grundstücks fort, solange die Möglichkeit willkührlicher Einwürkung nicht aufgehoben ist, und stete körperliche Gegenwart des Besitzers, die in den meisten Fällen sogar völlig unmöglich wäre, ist dazu durchaus nicht nöthig (3). Es ist
§. 6. 7. de vi) ist ganz unhaltbar, weil in allen Stellen ausdrücklich von dejectio die Rede ist, diese aber in allen Fällen zugleich auf den Verlust des Besitzes und auf das Interdict sich bezieht.
(1) L. 1. §. 24. de vi: „ ... si quis de agro suo, vel de domo processisset nemine suorum relicto, mox revertens, prohibitus sit ingredi vel ipsum praedium, vel si quis eum in medio itinere detinerit et ipse possederit.“ (d. h. das detinere muß eben diesen Zweck gehabt haben) „vi dejectus videtur.“ Vergl. L. 3. §. 8. de vi. Paulus V. 6. §. 6.
(2) L. 1. §. 47. de vi: „Quid dicturi essemus, tractat, si aliquo possidente ego quoque ingressus sum in possessionem, et non dejiciam possessorem, sed vinctum opus facere cogam: quatenus res, inquit, esset? Ego verius puto, eum quoque dejectum videri, qui illic vinctus est.“ – Paulus V. 6. §. 6: „Vi dejectus videtur et qui in praedio vi retinetur ... “
(3) L. 3. §. 11. de poss. „Saltus hibernos aestivosque animo possidemus, quamvis certis temporibus eos relinquamus.“ – L. 1. §. 25. de vi. „Quod vulgo dicitur, aestivorum hibernorumque saltuum nos possessiones animo retinere: id exempli causa didici Proculum dicere: nam ex omnibus praediis, ex quibus non hac mente
(290) Dritter Abschnitt.
sehr wichtig, diesen Satz aus dem Gesichtspunct zu betrachten, aus welchem er hier aufgestellt worden ist, d. h. als blose Folge aus der allgemeinen Regel der Fortdauer, durchaus nicht als Ausnahme dieser Regel. Nur von diesem Standpunct aus kann eine Ausdehnung dieses Satzes völlig verstanden werden, worin in der That eine Ausnahme der vorher für den Verlust des Besitzes unbeweglicher Sachen aufgestellten Regel enthalten ist.
Daß nämlich durch blose Abwesenheit des Besitzers von der besessenen Sache der Besitz nicht aufhöre, wurde um deswillen als Folge eines allgemeinen Grundsatzes betrachtet, weil durch diese Abwesenheit die physische Möglichkeit willkührlicher Behandlung zwar in eine entferntere Möglichkeit verwandelt, aber nicht überhaupt aufgehoben wird. Tritt also zu dieser Abwesenheit noch etwas anderes hinzu, was jene Möglichkeit in der That aufhebt, so müste, wenn jene Regel rein angewendet werden sollte, der Verlust des Besitzes allgemein behauptet werden. Hier aber ist es, wo
recedemus (recedimus), ut omisisse (amittere) possessionem vellemus, idem est.“ – Die saltus hiberni aestivique sind grose Viehweiden, auf denen das Vieh theils blos im Winter, theils blos im Sommer sich aufhält, die also ihrer Bestimmung nach die andere Hälfte des Jahres unbenuzt liegen. (L. 67. de leg. 3.)
(291) Verlust des Besitzes.
jene Regel durch eine merkwürdige Ausnahme beschränkt wird. Wenn nämlich in unserer Abwesenheit das Grundstück, welches wir besasen, von einem Andern occupirt wird, der unsere Rückkehr gewaltsam zu verhindern im Stande ist, so ist uns von diesem Augenblick an die physische Möglichkeit auf die Sache zu würken eben sowohl entzogen, als wenn ein Dieb eine bewegliche Sache aus unsrem Hause entwendet: dennoch soll in jenem Fall der bisherige Besitz solange noch fortdauern, als der vorige Besitzer von jener Occupation keine Nachricht hat.
Ehe ich den Satz selbst beweise, der hier aufgestellt worden ist, will ich auf einige andere Sätze aufmerksam machen, die, wenn er wahr ist, nothwendig auch wahr seyn müssen: A.) Der, welcher das Grundstück in Abwesenheit des Besitzers occupirt: erwirbt dadurch vor der Hand noch keinen juristischen Besitz (S. 129. 156.). – B.) Aller Besitz an Grundstücken kann nicht anders als durch animus verloren werden (1), nicht als ob der Besitzer das Recht des Besitzes freywillig aufgeben müsse, sondern insofern immer eine neue Bestimmung seines Bewustseyns vorkommen muß, wenn der Besitz
(1) Aller Besitz – nämlich mit Ausnahme der Fortsetzung durch Stellvertreter, von welchem besondern Fall im 33ten §. die Rede seyn wird.
(292) Dritter Abschnitt.
würklich verloren seyn soll, welches nach der blosen Regel des Verlusts, also auch bey beweglichen Sachen, bey welchen diese Regel rein angewendet wird, keinesweges behauptet werden kann. Von dieser Bemerkung übrigens wird im folgenden §. Gebrauch gemacht werden. – C.) Heimlicher Besitz eines Grundstücks ist unmöglich. Clandestina possessio nämlich heist ein solcher Besitz, der mit absichtlicher Verheimlichung der Apprehension angefangen wird (1). Wenn nun ein Grundstück auf diese Weise occupirt wird, so ist nach dem Satz, dessen Folgen jezt betrachtet werden, der ganze Hergang so zu bestimmen: durch die Occupation selbst ist noch gar kein Besitz erworben, also auch keine clandestina possessio. Erfährt der vorige Besitzer die Occupation, so sezt Er entweder mit Gewalt Seinen Besitz durch, und dann hat Er ihn eigentlich nie verloren, und der Andere ist nie wahrer Besitzer gewesen (2): oder Er wird umgekehrt mit Gewalt zurückgewiesen (3), dann hat der Andere von diesem Augenblick
(1) L. 6. pr. de poss.
(2) Gerade so wie in dem Fall der L. 17. de vi: „Qui possessionem vi ereptam vi in ipso congressu reciperat, in pristinam causam reverti potius quam vi possidere intellegendus est ... “, also der Besitz war hier eigentlich in keinem Augenblick verloren.
(3) Dabey ist es denn wieder ganz gleichgültig, ob die Gewaltthätigkeit würklich vorfällt, oder ob sie aus Furcht vermieden wird (S. 287. N. 3.), nur muß diese Furcht
(293) Verlust des Besitzes.
an den Besitz, aber dieser Besitz ist keine clandestina, sondern eine violenta possessio: oder endlich es ist keines von beiden der Fall, d. h. der vorige Besitzer unterläßt es, und zwar nicht aus Furcht, Seinen vorigen Besitz zu behaupten, in welchem Fall überhaupt keine vitiosa possessio vorhanden ist, indem der neue Besitz durch den Willen des vorigen Besitzers selbst seinen Anfang nimmt, mit welchem Willen aber, da er blos auf den Besitz sich bezieht, sehr wohl die Absicht bestehen kann, auf andere Art, z. B. durch Vindication, die verlorene Sache wieder zu erlangen.
Bis jezt sind blos die Folgen jenes Satzes entwickelt worden: es ist Zeit, den Satz selbst zu beweisen, ohne welchen diese Folgen keine Realität haben würden. Zugleich ist es aus Gründen, die erst unten angegeben werden können, nothwendig, nicht blos überhaupt zu zeigen, daß derselbe von Römischen Juristen anerkannt werde, sondern so genau als möglich die Zeit zu bestimmen, in welcher man ihn angenommen hat.
I.) Papinian, Paulus und Ulpian behandeln den Satz als unbezweifelte Regel:
L. 46. de poss. (Papin. lib. 23. qu.)
gegründet seyn, d. h. es muß
würklich ein Occupation existiren, worauf sie sich bezieht.
(294)
Dritter Abschnitt.
„Quamvis saltus proposito possidendi fuerit alius ingressus, tamdiu priorem possidere dictum est, quamdiu possessionem ab alio occupatam ignoraret.“
L. 3. §. 7. 8. de poss. (Paul. lib. 54. ad ed.)
„ ... si animo solo possideas, licet alius in fundo sit, adhuc tamen possides. Si quis nuntiet, domum a latronibus occupatam, et dominus timore conterritus, noluerit accedere, amisisse eum possessionem placet.“
L. 6. §. 1. de poss. (Ulpian. lib. 70. ad ed.) (1).
L. 7. de poss. (Paul. lib. 54. ad ed.) (2).
II.) Celsus, Neratius und Pomponius erwähnen gleichfalls dieses Satzes, aber so, daß er wahrscheinlich zu ihrer Zeit weder ganz in derselben Ausdehnung, noch von allen Juristen als entschiedene Regel kann betrachtet worden seyn (3).
L. 18 §. 3. 4. de poss. (Celsus lib. 23. Dig.)
„Si dum in alia parte fundi sum, alius quis clam animo possessoris intraverit:
(1) s. u. N. III.
(2) s. u. N. III.
(3) Nämlich von Neratius haben wir überhaupt nichts anderes als ein ganz unbestimmtes Citat des Paulus (L. 7. de poss.): jene Behauptung geht also nur auf die zwey andern Juristen.
(295) Verlust des Besitzes.
non desisse ilico possidere existimandus sum, facile expulsurus finibus, simul atque sciero. Rursus si cum magna vi ingressus est exercitus, eam tantummodo partem, quam intraverit optinet” (1).
L. 25. §. 2. de poss. (Pompon. lib. 23. ad Q. Mucium.)
„Quod autem solo animo possidemus, quaeritur, utrumne usque eo possidemus, donec alius corpore ingressus sit, ut potior sit illius corporalis possessio? an vero, quod quasi magis probatur, usque eo possideamus, donec revertentes non (2) aliquis repellat: aut nos
(1) Also nur wenn es wahrscheinlich ist, daß Ich den Andern vertreiben würde (von welcher Beschränkung Papinian u. s. w. kein Wort mehr sagen), soll mir durch jene Fiction der Besitz erhalten werden, auserdem nicht, doch soll auserdem wenigstens das Besondere eintreten, daß der neue Besitz nur auf den Theil des Grundstücks sich erstreckt, der unmittelbar betreten worden ist. Der Umstand, daß der vorige Besitzer sich eben in dem Grundstück aufhielt, soll offenbar nur die Möglichkeit, den Andern zu vertreiben, gegenwärtiger, anschaulicher darstellen.
(2) „donec non“, solange als (uns) nicht – „donec nos“, bis uns: das erste ist die Florentinische Leseart, die auch Haloander hat: das zweite haben viele Mss.
(296) Dritter Abschnitt.
ita animo desinamus possidere, quod suspicemur repelli nos posse ab eo, qui ingressus sit in possessionem? et (id) videtur utilius esse.“
III.) Bey Labeo wird gerade das Gegentheil dieses Satzes vorausgesezt, weswegen eine Entscheidung desselben von Ulpian ganz nach diesem Satze modificirt wird:
L. 6. §. 1. de poss. (Ulp. lib. 70. ad ed.)
L. 7. de poss. (Paul. lib. 54. ad ed.) (1).
„Qui ad nundinas profectus, neminem reliquerit, et dum ille a nundinis redit, aliquis occupaverit possessionem, videri eum clam possidere, Labeo scribit (2). Retinet ergo possessionem is qui ad nundinas abiit (3). Unde (4) si
bey Gebauer, ferner: ED (!). Rom. 1476. u. s. w. Beides giebt denselben Sinn, wegen der zwey möglichen Bedeutungen von donec und die Transposition, die Brenkmann vorschlägt, ist ganz unnöthig.
(1) Beide Stellen müssen zusammen genommen werden, weil aus ihrer Verbindung das oben (S. 292.) beschriebene Resultat am deutlichsten erhellt.
(2) Also behauptet Labeo etwas, das mit jenem Satze im Widerspruch steht (S. 292.).
(3) Damit fängt die Berichtigung des Ulpian an: das ergo steht dieser Verbindung nicht entgegen, denn die Meinung des Labeo wird nicht als irrig verworfen, sondern als durch eine andere, spätere Regel modificirt angegeben. Man konnte nun sagen: „in
(297) Verlust des Besitzes.
revertentem dominum non admiserit, vi magis intelligitur (5) possidere, non clam (6). – Et si nolit in fundum reverti, quod vim majorem vereatur, amisisse possessionem videbitur (7): et ita Neratius quoque scribit (8).“
jedem Fall, in welchem ehemals clandestina possessio angenommen wurde, muß jezt „dieses neue Resultat gelten“, und dazu paßt das ergo vollkommen.
(4) Ven. 1485, Ven. 1494, Lugd. 1513, Paris. 1536. – Florent. „Verum“: allein es soll vielmehr eine Folgerung als ein Gegensatz dadurch verknüpft werden.
(5) Rom. 1476, Nor. 1483, Ven. 1485, Ven. 1494, Lugd. 1513, Paris. 1536. – Florent. „intellegi“. Durch diese Leseart wird der Sinn der Stelle ganz entstellt: der lezte Satz nämlich gehört dann zu der Meinung des Labeo, dann ist der Satz: retinet ergo etc. eine blose Parenthese des Ulpian, und das verum (anstatt unde), das jezt unmöglich ist, wird dann nothwendig. Aber dann ist es auch schlechterdings unmöglich, in die Meinung des Labeo selbst und in die Berichtigung, die Ulpian beyfügt, auch nur einen erträglichen Zusammenhang zu bringen, besonders wenn man die sehr natürliche Regel hinzu denkt, die sogar in dem prooem. derselben Stelle sich findet: non ratio optinendae possessionis, sed origo nanciscendae exquirenda est.
(6) Also: „bis auf diesen Zeitpunct hatte der Andere keinen Besitz, von jezt an hat er vielmehr violenta als clandestina possessio.“
(7) Dadurch wird die Regel des Ulpian nur näher bestimmt (S. 292. R. 3.).
(8) s. o. S. 294.
(298) Dritter Abschnitt.
Jezt wird es leicht seyn, den Inhalt dieses §. kurz und im Zusammenhang zu übersehen. Damit der Besitz fortdauere, muß jederzeit die Möglichkeit vorhanden seyn, das als Bedingung des Erwerbs dargestellte unmittelbare Verhältniß, also durch dieses das Bewustseyn physischer Herrschaft über die besessene Sache zu reproduciren: mit dieser Möglichkeit wird zugleich der Besitz selbst aufgehoben. Allein bey Grundstücken leidet dieser lezte Satz eine Ausnahme: hier ist die physische Unmöglichkeit nicht hinreichend, den Besitz zu entziehen, solange sie nicht zum Bewustseyn des vorigen Besitzers gekommen ist.
§. 32.
Die zweite Bedingung der Fortdauer des Besitzes ist der Wille des Besitzers (animus), und damit verhält es sich auf ähnliche Art, wie mit dem physischen Verhältniß, das als die erste Bedingung bereits dargestellt worden ist.
Also ist zur Fortsetzung des Besitzes, wie bey dem factum, so bey dem animus, nur das nöthig, daß die Möglichkeit einer Reproduction des ursprünglichen Wollens in jedem Augenblick erhalten werde: daß das Bewustseyn des Besitzes selbst in jedem folgenden Augenblick würklich fortdauere, ist weder nöthig, noch auch überhaupt möglich. Dadurch also, daß der Besitzer eine kurze oder lange Zeit hindurch
(299) Verlust des Besitzes.
nicht an die Sache, also auch nicht an ihren Besitz denkt, ist der Besitz nicht aufgehoben: ja es muß dasselbe behauptet werden, wenn der Besitzer in eine solche Lage kommt, in welcher Er überhaupt nicht wollen kann, so z. B. wenn Er wahnsinnig wird. Denn da in diesem Fall die Unmöglichkeit, einen bestimmten Besitz zu wollen, lediglich subjectiv und zufällig ist, so ist im Verhältniß zu jeder besessenen Sache gar kein wesentlicher Unterschied, ob dieser Besitz blos auf längere Zeit vergessen, oder ob der Besitzer selbst wahnsinnig geworden ist.
Dagegen ist durch blosen animus der Besitz verloren, wenn der Besitzer in irgend einem Moment den Besitz aufgeben will (1): denn in diesem Moment ist die Reproduction des ursprünglichen Wollens durch die entgegengesezte Bestimmung des Willens schlechthin unmöglich, und diese Unmöglichkeit ist es, worauf eben sowohl als auf die physische Unmöglichkeit der Verlust des Besitzes erfolgen muß. Demnach kann selbst dann, wenn nachher der vorige Besitzer von neuem zu besitzen sich entschliest, höchstens eine neue Apprehension dadurch
(1) L. 3. §. 6. de poss. „ ... si in fundo sis, et tamen nolis eum possidere: protinus amittes possessionem.(“) – L. 17. §. 1. de poss. „ ... possessio autem recedit, ut quisque constituit nolle possidere.“ – cf. L. 30. §. 4. L. 34. pr. de poss.
(300) Dritter Abschnitt.
veranlaßt werden, indem der vorige Besitz schon mit jenem Moment völlig zu existiren aufgehört hat.
Da also in diesem Fall der Verlust des Besitzes nicht auf ein bloses Nichtwollen, sondern auf ein neues Wollen, das dem ersten (dem animus possidendi) entgegen gesezt ist, sich gründet, so ist es klar, daß zu dieser Art des Verlustes, wie zu dem Erwerb, Jeder unfähig seyn müsse, der überhaupt nicht wollen kann (1). Demnach kann ein Rasender auf diese Art den Besitz durchaus nicht verlieren (2): dasselbe gilt von einem Pupillen, und zwar ganz allgemein, so daß die besondere Beschränkung, die oben (S.192.) bey dem Erwerb hinzugefügt wurde, hier keinesweges anwendbar ist (3). – Dieselbe Unfähigkeit muß sogar in einem
(1) Die Modificationen dieses Satzes im Fall einer Repräsentation gehören in den folgenden §.
(2) Glossa in L. 1. §. 3. de poss.: „licet enim desinat habere animum possidendi, non tamen habet animum non possidendi.“ – L. 27. de poss. (s. u. S. 302.).
(3) L. 29. de poss. „Possessionem pupillum sine tutoris auctoritate amittere posse constat: non ut animo, sed ut corpore desinat possidere: quod est enim facti, potest amittere. Alia causa est, si forte animo possessionem velit amittere: hoc enim non potest.“ Hier ist eben so klar bestimmt, daß durch körperliche Handlung der Besitz dem Pupillen verloren werden könne, als (was zunächst hierher gehört) daß es durch animus unmöglich sey: auch stimmt jener erste Satz ganz mit allgemeinen Grundsätzen
(301) Verlust des Besitzes.
andern Fall des Verlustes behauptet werden, der dem unsrigen ähnlich, aber nicht damit zu verwechseln ist. Der Besitz der Grundstücke nämlich wird durch fremde Occupation erst dann verloren, wenn dieselbe zu des vorigen Besitzers Bewustseyn gekommen ist (S. 291.). Dieses blose Bewustseyn ist von dem Entschluß, nicht zu besitzen, sehr verschieden: aber darin kommen beide überein, daß sie in allen Fällen, worin überhaupt kein
überein, und der einzige Zweifel daran gründet sich auf folgende Stelle: (L. 11. de adqu. rer. dom.) „Pupillus ... alienare ... nullam rem potest, et ne quidem possessionem, quae est naturalis.“ Allein alienare possessionem heist so den Besitz verlieren, daß darin eine juristische Succession liegt, diese aber ist unmöglich, weil es dabey auf den animus des vorigen Besitzers ankommt. Gesezt also, ein Pupill verkauft und tradirt eine Sache, so erwirbt der Andere zwar den Besitz, aber nicht zugleich das, was auser dem Daseyn des Besitzes noch ein besonderes Successionsverhältniß voraussezt, also keine accessio possessionis, und zwar weder für die possessio civilis (ad usucapionem), noch für die possessio naturalis (bey dem alten interdictum utrubi: darauf geht unsre Stelle: „ne quidem (eam) possessionem, quae est naturalis“). Eine ähnliche Unterscheidung der omissio und alienatio possessionis steht in: L. 4. §. 1. 2. de alien. jud. mut. causa, und eine ähnliche Anwendung ist oben (S. 44.) in dem Satz vorgekommen: inter virum et uxorem nec possessionis ulla donatio est. – Schon Muret (epp. III. 81, opp. Vol. 1. p. 647.) erklärt die alienatio von einem solchen Verlust, der sich auf animus gründet. Cuper (P. 2. C. 38.) nimmt einen unauflöslichen Widerspruch zwischen L. 11. de adqu. rer. dom. und L. 29. de poss. an.
(302) Dritter Abschnitt.
Bewustseyn vorhanden ist, gleich unmöglich sind, so daß also Pupillen und Wahnsinnige den Besitz eines Grundstücks gar nicht verlieren können (1): diese practische Aehnlichkeit mag die Römischen Juristen veranlaßt haben, beide Fälle, ihrer Verschiedenheit ungeachtet, mit demselben Namen (2) zu bezeichnen.
Die Regel, daß durch bloses Wollen der Besitz verloren werde, ist jezt erläutert und bewiesen: es ist nur noch nöthig, über die Anwendung derselben einiges hinzuzufügen. – Nun ist es eben so klar, daß durch ausdrückliche Erklärung des Besitzers die Anwendung
(1) L. 29. de poss. (s. die vor. Note). – L. 27. de poss. „Si is qui animo possessionem saltus retineret, furere coepisset, non potest, dum fureret, eius saltus possessionem amittere: quia furiosus non potest desinere animo possidere.“ – Cuper (P. 1. C. 6, p. 66.) behauptet eine Ausnahme dieser Regel, wenn der Pupill oder der Wahnsinnige eine Sache verkaufe, und der Käufer in bona fide sey (L. 2. §. 15. 16. pro emt.): aber diese Stelle bestimmt nur, daß in einem solchen Fall, gegen die Regel, Usucapion anfangen solle – versteht sich, wenn überhaupt Besitz da ist: daß aber durch jene Handlung Besitz übergeht (nämlich corpore, nicht animo), ist ohnehin Regel (s. die vor. Note), und leidet nur bey Grundstücken eine Ausnahme: auf diese Ausnahme allein beziehen sich L. 27. 29. de poss., und daß dieselbe in jenem Fall nicht gelten solle, sagt L. 2. §. 15. 16. pro emt. gar nicht, indem sie überhaupt nicht das Daseyn des Besitzes, sondern die Möglichkeit der Usucapion unter Voraussetzung des Besitzes bestimmt.
(2) „animo desinere possidere“
(303) Verlust des Besitzes.
derselben auser allen Zweifel gesezt werde, als daß eine solche Erklärung nur sehr selten die Sache entscheiden könne, da eben in den Fällen, in welchen sie fast allein vorkommt, z. B. bey der Tradition, ohnehin schon auf andere Art, nämlich durch factum (§. 31.), der Verlust des Besitzes entschieden zu seyn pflegt. Es kommt also hier, wie in vielen andern Fällen, hauptsächlich auf eine Interpretation anderer Handlungen des Besitzers an, aus welchen jener Entschluß gefolgert werden kann: in den Schriften der Römischen Juristen sind uns mehrere Proben einer solchen Interpretation übrig geblieben, wodurch über die ganze Sache vieles Licht verbreitet wird.
Eine Interpretation dieser Art liegt dem Constitutum zum Grunde. Wer eine Sache verkauft und zugleich miethet, verändert sein physisches Verhältniß zu dieser Sache im geringsten nicht, und da Er dennoch aufhört zu besitzen, so kann der Grund dieses Verlusts lediglich in einer Bestimmung Seines Willens aufgesucht werden. Auf welche Art überhaupt ein Constitutum angenommen werden könne, ist bereits oben (§. 27.) untersucht worden, wo das Constitutum als Grund des Erwerbs betrachtet wurde: hier wird darauf Rücksicht genommen, insofern der bisherige Besitz dadurch aufhört, aber die Bedingungen jenes Erwerbs und dieses Verlustes sind ganz dieselben.
(304) Dritter Abschnitt.
Ein zweiter Fall, in welchem jene Interpretation vorkommt, betrifft die rei vindicatio. Es ist eine bekannte Regel, daß gegen den Besitzer diese Klage angestellt wird (S. 13.). Wenn also der Besitzer selbst die Sache vindicirt; so scheint Er dadurch dem Besitz zu entsagen; so daß Ihm nachher das interdictum uti possidetis abgeschlagen werden müste, wenn Er dazu zurückkehren wollte. Dennoch ist das Gegentheil in den Gesetzen bestimmt (1), und der Grund dieser Bestimmung liegt blos in jener Interpretation. Wer nämlich eine Sache vindicirt, zeigt eben dadurch, daß Er die Sache haben wolle, und es ist kein Zweifel, daß Er den Besitz, den Ihm dieser Prozeß für immer sichern soll, auch jezt schon zu haben geneigt wäre, wenn dieser Besitz mit der Qualität des Klägers im Vindicationsprozeß vereinbar wäre. Nun ist zwar diese Vereinigung unmöglich, allein man ist doch dadurch nicht genöthigt, eine freywillige Entsagung auf den Besitz anzunehmen, weil es leicht möglich ist, daß der Besitzer entweder seinen Besitz ignorirt (2), oder den
(1) L. 12. §. 1. de poss. „ ... non denegatur ei interdictum uti possidetis, qui coepit rem vindicare: non enim videtur possessioni renuntiasse, qui rem vindicavit.“ (S. 32.). Die hier ausgelassenen Worte können erst im folgenden Abschnitt erklärt werden
(2) Auf diesen Fall wird von der Glosse unsere Stelle bezogen (Glossa in L. cit., et in C. 5. X. de causa poss.). Sehr
(305) Verlust des Besitzes.
Rechtssatz, worauf sich jene Unvereinbarkeit gründet (1). Da nun in diesen beiden möglichen Fällen der Besitzer gewiß nicht die Absicht gehabt hat, den Besitz aufzugeben, so ist überhaupt nichts vorgefallen, woraus diese Absicht mit Sicherheit gefolgert werden könnte, folglich ist der Besitz nicht verloren, folglich das interdictum uti possidetis noch immer begründet.
Drittens kann die Absicht, den Besitz aufzugeben, auch aus einer blosen Unterlassung gefolgert werden. Bey Grundstücken nämlich ist gewöhnlich die Benutzung an bestimmte Zeiten des Jahres gebunden: wenn nun z. B. der Besitzer eine Reihe von Jahren hindurch sein Feld unbenuzt liegen läßt, so kann man annehmen, daß Er diesen Besitz habe aufgeben wollen. Denn daß Er ihn blos vergessen habe, ist höchst unwahrscheinlich, und ob Er denselben überhaupt nicht haben will, oder ob Er ihn aus bloser Nachlässigkeit aufgegeben
gründlich hat Merenda (controv. XII. 16.) diese Erklärung durchgeführt, die nicht unrichtig, aber einseitig ist.
(1) Der error juris schadet hier gar nichts, denn erstens wird dadurch überhaupt nur Erwerb verhindert (L. 7. de jur. et f. ign.), da hier im Gegentheil von Verlust die Rede ist, und zweitens geht selbst jener Satz blos darauf, daß eine unbefolgte Vorschrift der Gesetze nicht durch einen solchen Irrthum entschuldigt werden soll: hier aber soll blos eine Handlung interpretirt, also blos ein Factum bewiesen werden.
(306) Dritter Abschnitt.
hat, oder weil Ihm eine Reise viel wichtiger war – das alles ist hier ganz gleichgültig, indem dadurch nur die Motive Seines Entschlusses modificirt werden, nicht aber der Entschluß selbst: da nämlich in allen diesen Fällen der Entschluß frey und mit vollem Bewustseyn auf etwas gerichtet ist, was die Ausübung des Besitzes ganz unmöglich macht, so ist nothwendigerweise auch die Entsagung des Besitzes in ihm enthalten (1). Gesezt also der Besitzer hätte nicht aus freyem Entschluß, sondern aus Furcht die Benutzung des Feldes eine Zeitlang unterlassen, so könnte jener Schluß durchaus nicht gemacht werden, es wäre nun kein Entschluß vorhanden, den Besitz aufzugeben, und dieser wäre in der That erhalten (2). Noch entschiedener ist diese Fortdauer
(1) L. 37. §. 1. de usurp. (cf. §. 7. I. de usuc.) „Fundi quoque alieni potest aliquis sine vi nancisci possessionem: quae vel ex neglegentia domini vacet, vel quia dominus sine successore decesserit, vel longo tempore afuerit.“ Daß durch des Eigenthümers Nachlässigkeit oder Abwesenheit die Sache nicht blos ohne Aufsicht und Detention, sondern würklich ohne Besitzer müsse gewesen seyn, erhellt nicht nur aus dem Ausdruck vacans possessio, sondern auch daraus, daß sonst selbst durch die neue Occupation kein Besitz hätte anfangen können. – Unsere Juristen (z. B. Cuper p. 65. 66.) haben diese Bestimmung gewöhnlich als etwas ganz positives betrachtet, was sie nicht ist, ja Einige haben sogar die Zeit genau bestimmen wollen, nach welcher der Besitz für verloren zu halten wäre.
(2) L. 4. C. de poss. „Licet
(307) Verlust des Besitzes.
des Besitzes, wenn die Benutzung der Sache so beschaffen ist, daß sie nur zu gewissen Zeiten wiederkehrt: Wer in dieser Zwischenzeit die Sache gar nicht besucht, hat damit durchaus nicht die Absicht erklärt, den Besitz aufzugeben. Hieraus erklärt es sich, warum die Römischen Juristen, um das besondere Recht der Grundstücke in der Erhaltung des Besitzes zu bestimmen, fast immer die saltus hiberni und aestivi als Beyspiel wählen (1): weil nämlich diese die eine Hälfte des Jahres hindurch unbesucht bleiben, dieser Umstand aber, indem er auf die eigenthümliche Bestimmung solcher Weiden sich gründet, den animus derelinquendi ausschliest, folglich für jeden einzelnen Fall die Bemerkung
possessio nudo animo acquiri non possit, tamen solo animo retineri potest. Si ergo praediorum desertam possessionem non derelinquendi affectione transacto tempore non coluisti, sed metus necessitate culturam eorum distulisti: praejudicium tibi ex transmissi temporis injuria generari non potest, “ also soll auch der Besitz nicht verloren seyn. Das übrigens versteht sich von selbst, daß keine dejectio vorgefallen seyn darf, denn sonst wäre schon solo corpore der Besitz verloren. Man denke sich also ein sehr entferntes Grundstück, das der Besitzer durch Kriegsunruhen lange verhindert war zu bauen.
(1) L. 1. §. 25. de vi „Quod vulgo dicitur, aestivorum hibernorumque saltuum nos possessiones animo retinere: id exempli causa didici Proculum dicere ... “ (S. 289.).
(308) Dritter Abschnitt.
unnöthig macht, daß dieser animus weggedacht werden müsse.
§. 33.
Das einzige, was jezt noch für die Fortdauer des Besitzes zu bestimmen übrig bleibt, ist das Verhältniß der Repräsentation, wodurch die Erhaltung des Besitzes eben sowohl, als der Erwerb, möglich ist.
Bey dieser Art der Fortsetzung kommen dieselben drey Fragen vor, die oben (S. 241.) bey dem Erwerb aufgeworfen wurden, nur daß hier die Ordnung etwas verändert werden muss.
Erstens also: Was ist in der Person des Besitzers zu Erhaltung des Besitzes nöthig, und wie kann umgekehrt blos in seiner Person der Besitz verloren werden? – Was zuerst das physische Verhältniß zu der Sache betrifft, so ist es klar, daß dadurch allein der Besitz nicht verloren werden könne. Wer also ein Grundstück verpachtet hat, verliert den Besitz nicht, wenn gleich ein Dritter Ihn selbst herauswirft, da Seine Herrschaft über die Sache durch den blosen Pachter immer noch völlig gesichert ist (1). – Ganz anders verhält es sich mit dem animus possidendi:
(1) L. 1. §. 45. de vi: „ ... si quis me vi dejecerit, meos non dejecerit, non posse me hoc interdicto experiri: quia per eos retineo possessionem, qui dejecti non sunt.“ (S. 118.).
(309) Verlust des Besitzes.
folglich kann auch der, welcher durch Andere den Besitz ausübt, durch bloses Wollen (animus non possidendi) den Besitz verlieren.
Zweitens: das Verhältniß zwischen dem Besitzer und Repräsentanten kann hier, wie bey dem Erwerb, eben sowohl ein Verhältniß juristischer Gewalt (1), als ein freyes Verhältniß seyn (2), und im zweiten Fall ist auch hier wieder der Auftrag, worin es besteht, durchaus nicht als eine besondere, juristische Form genauer zu bestimmen (S. 249.). Auch ist es gar nichts besonderes, und nur zufällig bey der Fortsetzung gewöhnlicher, als bey dem Erwerb, daß diese Repräsentation durch mehrere Personen hindurch gehen kann. So kann der Pachter die Sache wieder verpachten, der Depositar sie wieder deponiren, und der vorige Besitz dauert immer auf dieselbe Weise fort (3). Eben so
(1) Bey Sclaven gilt hier die besondere Regel, daß sie auch gegen ihren Willen ihrem Herrn den Besitz fortsetzen, z. B. wenn sie ihm selbst die Sache stehlen wollen. L. 15. de poss. – Eine merkwürdige Anwendung auf den Besitz des Pfandes s. in: L. 33. §. 6. de usurp., L. 40. pr. de poss.
(2) L. 9. de poss. „Generaliter quisquis omnino nostro nomine sit in possessionem (possessione), veluti procurator, hospes, amicus, nos possidere videmur.“
(3) L. 30. §. 6. de poss. – Das wird natürlich vorausgesezt, daß nicht etwa der Pachter bey der neuen Verpachtung die Absicht gehabt habe, Sich
(310) Dritter Abschnitt.
kann umgekehrt der Verpachter seine Sache einem Dritten verkaufen und zugleich von Ihm pachten, so daß also der durch Repräsentanten ausgeübte Besitz, wie jeder andere, durch bloses Constitutum übertragen werden kann (1).
Drittens (und dieser Punct ist bey weitem der wichtigste): was ist in der Person des Repräsentanten zu dieser Art der Fortdauer nöthig, d. h. wie kann blos in seiner Person der Besitz verloren werden? dieser Verlust läßt sich auf zweyerley Art denken: theils so, daß der Repräsentant selbst den Besitz erwerben will, den Er bisher blos ausübte (Verlust an den Repräsentanten), theils so, daß ein Dritter aber auch Niemand diesen Besitz erwirbt (Verlust durch den Repräsentanten). – Warum eben so und nicht anders
selbst den Besitz zuzueignen: dann wäre der Verlust allerdings möglich, was aber erst zu dem dritten Punct gehört. Wenn aber nur jene Absicht nicht da ist, so hat die Fortdauer des Besitzes keinen Zweifel, wiewohl die neue Verpachtung u. s. w. immer noch eine unrechtliche Handlung seyn kann, z. B. eine Verletzung des Contracts, oder auch ein furtum usus: auf dieses lezte geht L. 54. §. 1. de furtis, die folglich der Fortsetzung des Besitzes durchaus nicht entgegen steht.
(1) Dieser Satz wird indessen von Vielen geläugnet, z. B. von Merenda (contr. III. 21.), was sich aus der Art, wie das Constitutum gewöhnlich misverstanden wird, leicht erklären läßt.
(311) Verlust des Besitzes.
diese Fälle entgegen gesezt werden müssen, wird sich in der Darstellung selbst zeigen.
Der Verlust an den Repräsentanten hat am wenigsten Schwierigkeit. Der Repräsentant hat nämlich als Solcher den animus possidendi nicht, aber Er steht zu der Sache in dem physischen Verhältniß eines Besitzers. Deswegen kann er ohne eine neue Bestimmung seines Willens den vorigen Besitz nicht aufheben, durch diese Bestimmung müste es unmittelbar und ohne neues factum geschehen, so wie dieses bey der traditio brevi manu (S. 184.) behauptet werden muste. – Das erste hat keinen Zweifel. Solange also der Repräsentant nicht Besitzer seyn will, kann von dieser Art des Verlustes nicht die Rede seyn, selbst wenn aus andern Gründen die Zurückgabe der Sache verweigert würde:
L. 20. de poss.
„Si quis rem, quam utendam dederat, vendiderit, emptorique tradi jusserit, nec ille tradiderit: alias videbitur possessionem domini (1) intervertisse, alias contra. Nam nec tunc quidem semper
(1) So lesen viele Handschriften bey Gebauer, ferner: Edd. Rom. 1476, Nor. 1483. u. s. w. – Florent. „possessione dominum.“
(312) Dritter Abschnitt.
dominus amittit possessionem; cum reposcenti ei commodatum non redditur: quid enim si alia quaepiam fuit justa et rationabilis causa non reddendi (1)? non utique ejus rei possessionem intervertit (2).“
Dagegen müste zweitens, wenn blos die allgemeine Regel des Erwerbs anzuwenden wäre, der animus possidendi allein hinreichend seyn, den Repräsentanten zum Besitzer zu machen. Allein diese Regel kann hier in keinem Fall rein zur Anwendung kommen. – Zuerst: nicht bey Grundstücken, indem bey diesen, wie überall, so auch hier, der Besitz nicht früher verloren wird, als der Besitzer die aufgehobene physische Möglichkeit der Einwürkung weis (S. 291.). – Zweitens: nicht bey beweglichen Sachen. Bey diesen nahm man aus einem Grund, der erst im folgenden Abschnitt angegeben werden kann, die Regel an, daß der Repräsentant erst dann als Besitzer gelte, wenn er zugleich ein furtum begangen habe: dazu aber, folglich auch
(1) Vergl. L. 12. in f. de vi. – Eine solche justa causa wäre z. B. das jus retentionis wegen der actio commodati contraria.
(2) Nor. 1483, Hal. – Eben so, mit einer ganz unbedeutenden Transposition (poss. ejus rei), Ven. 1485. – Florent. et rel. „non utique ut possessionem ejus rei interverteret.“
(313) Verlust des Besitzes.
zu diesem Erwerb des Besitzes, ist contrectatio nöthig, d. h. körperliche Berührung der Sache zu dem Zweck des Diebstahls selbst (1). Nun liese sich freylich denken, daß der Repräsentant aus diesem Grund noch nicht angefangen hätte zu besitzen, und dennoch der bisherige Besitz verloren wäre, da offenbar die physische Möglichkeit über die Sache zu verfügen schon durch den blosen Entschluß des Repräsentanten dem Besitzer entzogen ist: dann
(1) L. 1. §. 2. de furtis: „Sic is, qui depositum abnegat, non statim etiam furti tenetur: sed ita, si intercipiendi causa occultaverit.“ – L. 67. pr. eod.: „Infitiando depositum, nemo facit furtum: nec enim furtum est ipsa infitiatio, licet prope furtum est. Sed si possessionem ejus apiscatur intervertendi causa, facit furtum. Nec refert, in digito habeat anulum, an dactyliotheca, quem cum deposito teneret, habere pro suo destinaverit.“ Also ist erstens die blose infitiatio unzureichend zum furtum, zweitens furtum und Erwerb des Besitzes unzertrennlich verbunden, also auch (worauf hier alles ankommt) der Besitz nicht durch die blose infitiatio erworben, drittens sind zwey Beyspiele angeführt, in welchen weder furtum noch Besitz vorhanden ist: für die dactyliotheca ist das klar, aber auch für den anulus in digito hat es keinen Zweifel, denn dabey ist zwar körperliche Berührung, aber nicht zu dem Zweck der Entwendung, welcher Zweck eben in der vorigen Stelle durch das „occultaverit“ bezeichnet wird. Averanius (interpr. I. 28. §. 12.) hat diese Beyspiele so misverstanden, als ob darin furtum und Besitz angenommen würde. So vor Ihm die Glosse, die auch schon die Leseart: „datus hypothecae“ notirt.
(314) Dritter Abschnitt.
wäre die Sache einstweilen ganz ohne Besitzer (1). Allein eben deswegen ist es sehr begreiflich, daß man jener Abweichung noch diese zweite hinzugefügt hat, so daß nun nicht nur der Anfang des neuen Besitzes (des Repräsentanten nämlich), sondern auch das Ende des bisherigen durch alle die juristischen Bestimmungen bedingt ist, welche das furtum enthält (2). Diese Abweichung
(1) Auf diese Meinung geht L. 47. de poss., deren Inhalt kurz dieser ist: „Verloren ist der Besitz einer solchen Sache, sobald der Depositar die Absicht hat, selbst zu besitzen: daß der Depositar damit nicht auch den Besitz erwirbt, steht jenem Satze nicht entgegen, weil auch in anderen Fällen der Besitz beweglicher Sachen oft verloren wird, ohne daß ein Anderer diesen Besitz erlangt. Nur bey Sclaven leidet der Satz eine Ausnahme, wegen des möglichen animus revertendi: da also dauert der Besitz des deponens solange fort, bis der depositarius (durch ein wahres furtum) zu besitzen anfängt.“ (Daß nämlich durch diesen Anfang der vorige Besitz nothwendig aufhören muß, folgt schon aus dem Satz: plures eandem rem etc.)
(2) L. 3. §. 18 de poss.: „Si rem apud te depositam, furti faciendi causa contrectaveris, desino possidere: sed si eam loco non moveris, et (al. etiamsi) infitiandi animum habeas, plerique veterum, et Sabinus et Cassius recte responderunt, possessorem me manere: quia furtum sine contrectatione fieri non potest, nec animo (solo) furtum admittatur (al. committitur).“ Die Stelle selbst ist klar, aber wie ist damit L. 47. de poss. (s. die vor. Note) zu vereinigen? nicht anders als so: Papinian (L. 47.) referirt blos, daß auch für jene andere Meinung responsa existirten
(315) Verlust des Besitzes.
indessen darf durchaus nicht über den Fall ausgedehnt werden, für welchen sie hier bestimmt worden ist, d. h. sie darf blos gelten für den Fall einer Repräsentation des Besitzes, welche durch die Untreue des Repräsentanten selbst aufgehoben werden soll (1).
(„responsum est“), was auch schon aus der unsrigen wahrscheinlich ist („plerique ... responderunt“): zugleich sucht Er die Gründe dieser andern Meinung zu entwickeln („cujus rei forsitan illa ratio est“), ohne sich dadurch selbst dafür zu erklären. – Die gewöhnliche Vereinigung ist diese: Papinian sagt „si ... tibi possidere ... constitueris: confestim amisisse me possessionem“, nämlich vorausgesezt, daß auch noch contrectatio vorgegangen sey. Diese Erklärung liese sich dem Anfang der Stelle zur Noth noch anpassen, aber alles nachfolgende hätte durchaus keinen Sinn (s. die vor. Note). Sie steht übrigens schon in der Glosse, und auserdem bey folgenden Schriftstellern: Duarenus in L. 3. §. 18. de poss. (opp. p. 861). – Merenda in contr. Lib. 2. C. 21. – Averanius in interpr. Lib. 1. Cap. 28. §. 19. 20. (T. 1. p. 323.).
(1) Cuper (P. 2. C. 33.) hat sie auf eine seltsame Weise misverstanden. Er scheint die Regel so zu fassen: „wo nur überhaupt ein furtum gedacht werden kann, sind die Bedingungen des furti zugleich Bedingungen für den Verlust des Besitzes“, und Er folgert aus dieser falschen Regel den übrigens sehr wahren Satz, daß in L. 3. §. 3. de poss. nicht blos von einem Schatz in fremdem Eigenthum die Rede seyn könne (s. o. S. 176. Note 1, wo aus Versehen Cuper u. a. m. gerade bey dem entgegen gesezten Satze citirt sind: s. u. die Verbesserungen am Ende des Werks.)
(316) Dritter Abschnitt.
Also bey unbeweglichen Sachen kann die Untreue des Repräsentanten erst dann den Besitz entziehen, wann diese Untreue dem Besitzer bekannt geworden ist: bey beweglichen Sachen erst dann, wann zugleich ein furtum in dieser Untreue enthalten ist.
Bisher war von dem Verlust an den Repräsentanten die Rede: es ist jezt noch der Verlust durch denselben zu bestimmen, d. h. die Art des Verlustes, wobey in dem Repräsentanten selbst das Verhältniß zur Sache aufgehoben wird, welches unsern Besitz bisher sicherte. Die Fälle, die hierher gehören, sind zum Theil schon unter den Römischen Juristen so bestritten gewesen, daß es für die Sicherheit der Resultate sehr vortheilhaft ist, die Gegenstände dieses Streites soviel als möglich zu beschränken. – Nun kann der gegebene Fall so beschaffen seyn, daß der Besitz der Sache verloren wäre, auch wenn kein Repräsentant ihn ausgeübt hätte: alsdann ist er immer auch hier verloren, und dieser Fall darf gar nicht als Gegenstand des Streites betrachtet werden. Wenn also der Pachter eines Grundstücks dasselbe verkauft, der Käufer es bezieht, und Ihn der vorige Besitzer nicht zu stören wagt (S. 292.), so ist ohne Zweifel von diesem Augenblick an der Besitz verloren. Eben so, wenn der Repräsentant eine bewegliche Sache verliert, so daß weder Er noch der Besitzer sie wieder finden kann (S. 282.): oder wenn Er die
(317) Verlust des Besitzes.
Sache einem Dritten übergiebt, indem dieser auf dieselbe Art wie ein Dieb (S. 281.) den vorigen Besitz ausschliest, ganz ohne Rücksicht auf das Bewustseyn des vorigen Besitzers. – Ohnehin wird in vielen Fällen dieser Art der Repräsentant selbst bereits Besitzer geworden seyn (S. 312. [et]c.), und dann hat es keinen Zweifel, daß Er diesen Besitz veräusern kann. Demnach ist nun unsere Frage so zu bestimmen: kann durch den Repräsentanten der Besitz verloren seyn, wenn er ohne Rücksicht auf Repräsentation als fortdauernd angenommen werden müste?
Nun kann das Verhältniß des natürlichen Besitzes, in welchem bisher der Repräsentant zu der besessenen Sache stand, auf zweyerley Weise aufgehoben werden: ohne seinen Willen, und mit seinem Willen.
Für den ersten Fall ist wieder kein Streit. Ist es nämlich fremde Gewalt, die den Repräsentanten verdrängt, so ist ohne Zweifel der Besitz verloren, und es kommt nicht auf das Bewustseyn des vorigen Besitzers an (1). Dagegen dauert sicher der Besitz fort,
(1) L. 1. §. 22. de vi: „Quod servus, vel procurator, vel colonus tenent, dominus videtur possidere: et ideo his dejectis ipse dejici de possessione videtur, etiam si ignoret eos dejectos, per quos possidebat.“ Nämlich nun ist auch sogleich das Interdict begründet, und das Grundstück als fundus vi possessus der Usucapion entzogen, also der ganze Erfolg wenig bedenklich.
(318) Dritter Abschnitt.
wenn ohne fremde Gewalt der Repräsentant unfähig wird unsern Besitz auszuüben, z. B. durch den Tod, oder durch Wahnsinn (1).
Nun ist noch der lezte Fall zu untersuchen übrig, wenn nämlich durch den Willen des Repräsentanten selbst Sein Verhältniß zur Sache aufgehoben wird, und dieser Fall ist wieder auf zweyerley Art zu denken möglich
A.) so, daß nun überhaupt Niemand den natürlichen Besitz hat. – Hier haben vielleicht einige Juristen den Besitz als verloren betrachtet: beweisen läßt sich das Daseyn dieser Meinung nicht, wiewohl man es gewöhnlich als entschieden annimmt, vielmehr ist in vielen Stellen gerade das Gegentheil bestimmt, ohne daß dabey eines Streites Erwähnung geschieht (2). Alles kommt auf folgende Stelle an (3):
(1) L. 60. §. 1. locati, L. 25. §. 1. de poss., L. 40. §. 1. de poss. – Blos die Ausnahmen in der lezten Stelle: „cum dominus possessionem apisci neglexerit“ und: si nemo „extraneus“ etc. können einigen Zweifel erregen: allein die erste derselben läßt sich auf Analogieen zurück führen (S. 305.), und die zweite hängt mit dem gleich folgenden Streite zusammen.
(2) L. 3. §. 8. L. 44. §. 2. de poss., L. 7. pr. pro emtore, L. 31. de dolo.
(3) Nämlich das argumentum a contrario, wodurch noch eine andere Stelle den Streit beweisen soll (L. 31. de poss. „ ... si non deserendae“), ist hier ziemlich unbedeutend, da uns aller Zusammenhang der Stelle fehlt.
(319) Verlust des Besitzes.
L. 40. §. 1. de poss.
„Si ... colonus ... decessisset ... non statim dicendum, eam (sc. possessionem) interpellari ... Idem (1) existimandum ait, si colonus sponte possessione discesserit. Sed haec ita esse vera, si nemo extraneus eam rem interim possederit, sed semper in hereditate coloni manserit“ (.) Ist „aliud“ die richtige Leseart, so ist jener Streit bewiesen, ist es „idem“; so ist kein Grund dafür da. Für die zweite Leseart ist der Zusammenhang der ganzen Stelle, indem nun die Worte: „Sed haec ita est vera“ beide vorhergehende Sätze zugleich umfassen, da sie nach der ersten Leseart sehr gezwungen blos auf den entfernteren Satz bezogen werden müssen: die erste Leseart hat die Schlußworte für sich („sed semper in hereditate“ [et]c.) die jedoch auch nach der zweiten erklärt werden können.
B.) so, daß nun ein Dritter den natürlichen Besitz bekommt. Die Tradition ist blos Ein Fall dieser
(1) Glossa: „alias aliud ... alias idem (Giphanius in lect. Alt. p. 535.). – Florent. „aliud“: eben so die gedruckten Ausgaben. – Bey Gebauer findet sich hier, wie gewöhnlich, keine Spur einer Variante.
(320) Dritter Abschnitt.
Art, und die Römischen Juristen behandeln es, wie billig, als ganz gleichgültig, ob der natürliche Besitz unmittelbar (durch Tradition) auf den Dritten übergeht, oder mittelbar, indem erst der Repräsentant ohne Rücksicht auf einen neuen Besitzer die Sache verläßt, und dann dieser sie occupirt. – Für diesen Fall nahmen die Meisten den Besitz als verloren an (1): in folgender Stelle aber wird sehr bestimmt das Gegentheil behauptet (2):
L. 3. §. 6. 7. 8. 9. de poss.
„In amittenda quoque possessione affectio ejus, qui possidet, intuenda est. Igitur etc. etc. – Sed et si animo solo possideas, licet alius in fundo sit, adhuc tamet possides. – Si quis nuntiet, domum a latronibus occupatam, et dominus timore conterritus, noluerit
(1) L. 40. §. 1. L. 44. §. 2. de poss., L. 33. §. 4. de usurp.
(2) Nämlich L. 32. §. 1. de poss. kann nicht hierher gezogen werden, da sie blos den Satz enthält: „der Repräsentant kann nicht quasi ex Constituto den Besitz übertragen.“ (Cuperus P. 2. C. 40.). Diesem wichtigen Satze, der auch ganz die Analogie für sich hat, steht nicht entgegen L. 21. §. 3. de poss. („Qui alienam rem precario rogavit, si eandem a domino conduxit: possessio ad dominum revertitur“), denn der rogans ist in der Regel selbst Besitzer (S. 238.), also nicht Repräsentant eines fremden Besitzes.
(321) Verlust des Besitzes.
accedere: amisisse eum possessionem placet. Quod si servus vel colonus, per quos corpore possidebam, decesserint discesserintve (!) animo (1), retinebo possessionem (2). – Et si alii tradiderim (3), amitto possessionem. Nam constat possidere nos, donec aut nostra voluntate discesserimus, aut vi dejecti fuerimus (4).“ – Paulus bestimmt den Verlust des Besitzes an unbeweglichen Sachen (die beweglichen Sachen folgen erst §. 13. [et]c.). „Dabey“ sagt er, „ist der animus (5) des Besitzers entscheidend“, und diese Regel wird durch eine Reihe von Anwendungen durchgeführt: a.) durch blosen animus non possidendi wird der Besitz verloren. b.)
(1) Cod. Rehd., Edd. Rom. 1476, Ven. 1485, Ven. 1494, Lugd. 1513, Paris. 1536: „possidebam, decesserit vel animo.“ – Nor. 1483, Hal. „possidebam, discesserit (Hal. discesserint) vel animo.“
(2) ohne Unterschied, ob auf den discessus eine fremde occupatio gefolgt ist oder nicht.
(3) Edd. Rom. 1476, Nor. 1483, Ven. 1485, Ven. 1494, Lugd. 1513, Hal., Paris. 1536: „Sed si alii tradiderit“ (Hal. „tradiderint“).
(4) Hal. „discesserint ... fuerint.“ Das Resultat ist nicht wesentlich verschieden, aber die Stelle verliert an Zusammenhang.
(5) Animus bezeichnet hier, wie gewöhnlich, zwey verschiedene Begriffe (S. 302.).
(322) Dritter Abschnitt.
Durch blose Occupation wird er nicht verloren. c.) Kommt aber das Bewustseyn des Besitzers hinzu, der seinen Besitz mit Gewalt durchzusetzen nicht wagt, so hört nun der Besitz auf. d.) Wenn der Sclave oder der Pachter, durch den wir den Besitz ausüben, stirbt oder freywillig die Sache verläßt, dauert dennoch der vorige Besitz fort. e.) Wenn der Besitzer selbst die Sache tradirt, so hört der Besitz auf (1). – Alle diese einzelne Anwendungen werden nun unter die allgemeine Regel zusammengefaßt: „Wir verlieren den Besitz (einer unbeweglichen Sache) nicht anders, als entweder durch unsern Willen, oder durch eine dejectio“. Durch diesen Schluß ist die Nothwendigkeit der Florentinischen
(1) Mehrere haben um deswillen die Richtigkeit der Leseart: „tradiderint“ bezweifelt, weil dann der Satz zu bekannt wäre, als daß ihn Paulus ausdrücklich aufstellen sollte. Allein einmal kam es hier nur darauf an, den Zusammenhang mehrerer (zum Theil sehr bekannter) Sätze mit einer allgemeinen Regel darzustellen, und zweitens gab es auch bey der Tradition Fälle, in welchen es gar nicht überflüssig war, den Verlust des Besitzes zu behaupten und zu beweisen: vergl. L. 17. §. 1. de poss. (S. 128.).
(323) Verlust des Besitzes.
Leseart, und damit zugleich die Richtigkeit unserer Erklärung völlig bewiesen.
Also es war überhaupt von zwey Fällen die Rede: in dem ersten hatte der Repräsentant den natürlichen Besitz blos aufgegeben, in dem zweiten Fall hatte überdem ein Dritter diesen Besitz occupirt: für den ersten Fall waren vielleicht, für den zweiten gewiß die Meinungen der alten Juristen getheilt. – Justinian hat, mit ausdrücklicher Beziehung auf einen Streit der alten Juristen, in einer eigenen Constitution (1) verordnet: „die Untreue des Repräsentanten soll dem Besitzer nicht schaden“ (2), (also auch seinen Besitz nicht aufheben): betrifft nun diese Verordnung blos den ersten, oder auch den zweiten Fall (3)?
Ich glaube, beide Fälle zugleich, und zwar aus folgenden Gründen:
A.) Der Streit der alten Juristen ist für den ersten Fall gar nicht bewiesen (S. 318.), und doch will Justinian einen Streit entscheiden.
(1) L. 12. C. de poss.
(2) Einige haben das blos von einem Recht der Zurückforderung erklärt, allein einmal existirte ein solches Recht nach allgemeinen Grundsätzen gar nicht, und hier soll ja nicht etwa ein neues Rechtsmittel eingeführt werden: zweitens wäre dann doch ein praejudicium nicht zu läugnen.
(3) Nämlich daß sie den ersten betrifft, darüber kann kein Streit seyn: ohnehin ist der erste in dem zweiten vollständig enthalten.
(324) Dritter Abschnitt.
B.) Dagegen ist für den zweiten Fall der Streit völlig bewiesen (S. 320.), und dieser würde sonst auf eine unbegreifliche Weise unentschieden bleiben, da er so genau mit dem ersten verbunden ist.
C.) Die Worte:
„ ... definimus, ut sive servus, sive procurator ... corporaliter nactam possessionem dereliquerit, vel alii prodiderit, desidia forte vel dolo, ut locus aperiatur alii eandem possessionem detinere: nihil penitus domino praejudicii generetur etc. etc.“
bezeichnen offenbar jeden dieser zwey Fälle besonders, und sie müssen sehr gezwungen erklärt werden, wenn nicht dieser Gegensatz darin enthalten seyn soll: um so mehr, da hier schon die alten Juristen zwischen Tradition und Dereliction auf welche nachher Occupation folgt, gar nicht unterscheiden.
D.) Endlich die allgemeine Wiederholung:
„Hoc etenim tantum sancimus, ut dominus nullo modo aliquod discrimen sustineat ab his quos transmiserit ... “
Nach der andern Erklärung würde ganz eigentlich durch die Handlung des Repräsentanten der Verlust begründet seyn, da die blose Occupation eines Grundstücks,
(325) Verlust des Besitzes.
ohne Wissen des Besitzers, den Besitz nicht entziehen kann.
Schon unter den Glossatoren war die Interpretation dieser Stelle sehr bestritten (1). Sie und die neueren Interpreten theilen sich zwey Hauptparteyen: die erste, deren Meinung auch hier vertheidigt worden ist, nimmt Fortdauer des Besitzes an, ohne Unterschied ob der Repräsentant die Sache blos verläßt, oder einem Dritten übergiebt (2): die zweite läßt nur in dem ersten dieser beiden Fälle die Fortsetzung des Besitzes zu (3). Den beiden Meinungen
(1) Glossa in L. 12. C. de poss. – Azo in L. 12. C. de poss. (lectura p. 570.). – Azo in Summa, tit. de poss. num. 15. (fol. 135.). – Placentinus in Summa, tit. de poss. (p. 332). – – Die Juristen der folgenden Periode citirt in groser Anzahl: Menoch. de recup. poss., remed. 14, num. 17-23.
(2) Giphanius in L. 12. C. de poss. (lect. Alt. p. 536: kurz vorher (p. 423. 424.) war Er noch anderer Meinung.) – Merillius in 50 Decis. (opp. P. 2. p. 130.). – Vinnius in §. 5. I. de interdictis. – Mylius in diss. ad L. f. C. de poss., Lips. 1690. – Oppenritter in Decis. Imp. Synt., cont. 50. Imp. Iustin. Decis., Viennae 1735. 4. (p. 792-794.).
(3) Cuiacius in L. 3.
§. 8. 9. de poss. (opp. VIII. 258, cf. V. 711, IX. 1018.). – A. Faber de err.
pragm. IV. 2. – Ramos de poss. P. 2. C. 1. §. 12. (Meerm. T. 7. p. 97.). –
Cuperus de poss. P. 2. C. 39. – Fleck de poss. p. 112. 113, de interd. unde vi p. 77-80. – Thibaut über
Besitz §. 23.
(326) Dritter Abschnitt.
finden sich unter den Glossatoren sowohl, als unter den späteren Juristen, noch mancherley Modificationen, die meist auf einer unvollständigen Uebersicht der Quellen beruhen.
(327)
Vierter Abschnitt.
Interdicte.
Schriftsteller:
Menochius de adquirenda, retinenda et recuperanda possessione (die zwey ersten Abschnitte: Colon. 1557, das ganze: Colon. 1577, nachher sehr oft, z. B. Colon. 1624. f.). Ein Werk für Praktiker, das alles enthalten sollte, was gute und schlechte Schriftsteller über den Gegenstand gesagt hatten. Eine eigene Bearbeitung sucht man vergebens, aber die Zusammenstellung ist ganz erträglich, so daß das Werk als Materialiensammlung nicht unbrauchbar ist.
Donellus XV. 32-38, et in Cod. VIII. 4. 5. 6. 9, s. die Einleitung.
Friderus Mindanus de interdictis, s. die Einleitung.
Retes de interdictis, s. die Einleitung.
(328) Vierter Abschnitt.
§. 34.
Aller Besitz wird durch Interdicte geschüzt: demnach ist zunächst der Begriff der Interdicte zu bestimmen.
Im allgemeinen kam der Prozeß der Interdicte mit dem der Actionen darin überein, daß der Prätor blos einen Privatmann (judex) instruirte, den Streit zu untersuchen und zu entscheiden: auf dieser Form beruhte der ordo judiciorum privatorum, weshalb auch die Interdicte überall als ordinaria judicia allen den Prozeßformen entgegen gesezt werden, in welchen ohne judex (extra ordinem) etwas geschah (missio in possessionem, inductio in possessionem, decretum, actio extraordinaria u. s. w.) (1). Wenn freylich der Beklagte, nachdem der Prätor die
(1) Die Hauptstellen für diese Ansicht der Interdicte, deren Ausführung nicht hierher, sondern in die Rechtsgeschichte gehört, sind diese: Frontin. et Aggen. Urb. (bey Goesius p. 41. 56.), L. 3. pr. ne vis fiat ei, L. 3. §. 3. de liberis exhibendis, L. 5. §. 27. ut in poss. legat., L. 1. §. 2. si ventris nomine, L. 3. C. de interd. (S. 329.), Theophilus ad pr. I. de interd. (Die Stelle der Institutionen selbst ist weniger entscheidend). Der beste Schriftsteller ist: Costa ad pr. I. de interd. – Mehrere nehmen im Gegentheil an, daß das Wesentliche der Interdicte eben darin bestanden habe, daß der Prätor ohne judex den Prozeß entschied. Cuiacius in paratit. ad Cod. VIII. 1, Vinnius in pr. I. de interd.
(329) Interdicte.
formula actionis oder interdicti gegeben hatte, sein Unrecht erkannte, oder auch nur das Factum zugab (confessio), von dessen Untersuchung die Entscheidung des judex allein abhieng, so war aller Prozeß vergeblich, und das Geschäft des judex war geendigt, noch ehe es angefangen hatte (1). – Im dritten Jahrhundert wurden die actiones extraordinariae, die vorher blos als einzelne Ausnahmen gegolten hatten, immer mehr Regel. Dadurch muste endlich der alte Prozeß der Interdicte aufhören, auch existirt eine Constitution von Diocletian (2), nach welcher auf dieselbe Art untersucht und gesprochen werden soll, wie es ehemals bey den Interdicten der Fall gewesen sey (3).
(1) Für die Actionen s. Digest. XLII. 2, Cod. VII. 59, für die Interdicte L. 1. §. 1. de tab. exhib. – Hieraus widerlegt sich die mehrmals versuchte Vereinigung der zwey angeführten Meinungen, nach welcher der Prozeß vor einem judex bey den Interdicten etwas blos zufälliges seyn soll, etwas das hinzukommen konnte, wenn der Andere nicht gehorchte. Bey Actionen galt genau dasselbe, und bey diesen wie bey den Interdicten war umgekehrt die Endigung des Streits ohne judex das Zufällige und Ausnahme von der Regel.
(2) L. 3. C. de interdictis (§. 8. I. eod.). – Vergl. L. 2. 4. C. unde vi, L. 17. C. de act. emti. – Giphanius (explan. Cod. P. 2. p. 262. 270.) nimmt ohne Grund an, die ganze Veränderung sey erst von Justinian vorgenommen, und die Stellen des Codex seyen interpolirt.
(3) „Interdicta autem licet
(330) Vierter Abschnitt.
Also vor dem judex wurde ein Interdict eben sowohl, als eine actio, durchgeführt: demnach kann der Unterschied beider Prozeßformen blos in der mehr oder weniger förmlichen Untersuchung liegen. Das Wesentliche der Interdicte also bestand in einem summarischen Prozeß vor dem judex: genauer läßt sich dieser Begriff durchaus nicht bestimmen.
Aus diesem Begriff der Interdicte aber, so unbestimmt er ist, folgt nothwendig, daß er nur noch historisches, kein practisches Interesse für uns haben kann, da uns die ganze Prozeßform fremd, ja unbekannt ist, auf welcher allein er beruhte. Demnach sind die Interdicte in dem heutigen Recht zwar anwendbar, aber nicht insofern sie Interdicte, sondern insofern sie Rechtsmittel überhaupt sind, und die Art der Anwendung würde gar nicht geändert, wenn z. B. der Prätor eine actio de tabulis exhibendis anstatt eines Interdicts angeordnet hätte.
in extraordinariis judiciis proprie locum non habent, tamen ad exemplum eorum res agitur.“ Hierin liegt ein Hauptbeweis für die hier dargestellte Ansicht der Interdicte (S. 328.): heist interdictum ein einseitiger Befehl des Prätors an die Partey (etwa wie ein Mandat), woraus nur etwa in der Folge und zufällig ein Prozeß vor einem judex entstehen konnte, so war es durch die allgemeine Einführung des judicii extraordinarii (d. h. ohne judex) nicht unmöglich gemacht: wohl aber, wenn interdictum (oder formula interdicti) die Instruction des judex selbst bezeichnet.
(331) Interdicte.
§. 35.
Der Interdicte überhaupt ist hier nur deswegen erwähnt worden, weil auch der Besitz durch Klagen dieser Art geschüzt wird. Die possessorischen Klagen also sind Interdicte, ohne darum mit den übrigen Interdicten in einer anderen Berührung zu stehen, als durch den gemeinschaftlichen Prozeß, welche Berührung für uns völlig verschwindet. Der Begriff der possessorischen Klagen, oder (weil alle possessorische Klagen zugleich Interdicte sind) der possessorischen Interdicte ist jezt zu bestimmen.
Diese Bestimmung hat im allgemeinen keine Schwierigkeit. Rei vindicatio heist die Klage, welche der Kläger durch sein Eigenthum, actio emti die, welche Er durch eine emtio begründet: eben so sind possessorische Klagen die, welche auf den Besitz des Klägers sich gründen, d. h. die nur unter der Bedingung angestellt werden können, daß der Kläger ein jus possessionis würklich erworben hat. Die Anwendung dieses Begriffs auf die interdicta retinendae und recuperandae possessionis hat keine Schwierigkeit: allein bey den interdictis adipiscendae possessionis behauptet der Kläger weder jezt zu besitzen, noch ehemals den Besitz gehabt zu haben. Dennoch liese sich eine zweyfache Art denken, diese Interdicte mit den übrigen possessorischen Klagen in Verbindung zu bringen: A.) Indem man eine Fiction hinzudenkt, durch welche der Besitz
(332) Vierter Abschnitt.
als erworben behandelt würde, den wir blos das Recht haben zu erwerben (1). Allein eine solche Fiction darf nicht willkührlich angenommen werden, und für diese wäre der erste Beweis noch vorzubringen: ja sie hat alle Analogie gegen sich, denn bey den int. retin. und recup. poss. beruht das Klagrecht auser dem Besitz auch noch auf einer bestimmten Form der Verletzung (Gewalt u. s. w.), diese ist bey den int. adip. poss. gewiß nicht nöthig, folglich hätte ein fingirter Besitz sogar noch mehr Recht, als ein würklich erworbener. – B.) Indem man den Besitz einer andern Person, deren successor der Kläger wäre, als Bedingung betrachtet. So könnte z. B. das int. quorum bonorum nur dann gelten, wenn der Verstorbene den juristischen Besitz der Sache gehabt hätte, und eben durch diese Beziehung auf den Besitz würde es ein possessorisches Rechtsmittel. Allein eben diese Beziehung ist falsch: die possessio des Verstorbenen wird durchaus nicht als Bedingung dieses Interdicts angegeben (2), und es wäre völlig willkührlich, wenn wir
(1) Diese Ansicht hat: Donellus in comm. j. civ. XV. 37. (p. 814.).
(2) Die einzige Stelle, die
hieran einen Augenblick könnte zweifeln lassen, ist: Paulus III. 5. §. 18: „In possessionem earum rerum, quas
mortis tempore testator non possedit, heres scriptus, priusquam jure ordinario
experiatur, improbe mitti
(333) Interdicte.
auf diese Weise des (!) Klagrecht des Erben beschränken wollten. – Demnach stehen die int. adipiscendae possessionis auf keine Weise mit jenem Begriff der possessorischen Klagen in Verbindung.
Dennoch ist nicht zu läugnen, daß die Römer selbst die int. adipiscendae, recuperandae und retinendae possessionis zusammen stellen (1): aus dieser Zusammenstellung haben alle unsere Juristen ihren allgemeinen Begriff der possessorischen Interdicte construirt. Possessorische Interdicte waren nun solche, welche den Besitz zum Zweck haben. – Allein diese Bestimmung ist so gut als gar keine, da der Besitz als Zweck bey den meisten Klagen vorkommen und nicht vorkommen kann, was offenbar ganz zufällig ist. So z. B. ist der eigentliche Zweck der actio pigneratitia die Restitution des Besitzes, derselbe Zweck ist bey der actio emti und locati und bey unzähligen anderen Klagen möglich, und es wäre durchaus kein Grund da, alle diese Klagen von jenem unbestimmten Begriff der possessorischen Klagen auszuschliesen. Auch
desiderat.“ Allein diese missio des Testamentserben, worauf sich auch das edictum D. Hadriani bezieht, ist von dem Interdict sehr verschieden, ja es wird ihr eben hierin auch das Interdict entgegen gesezt („jure ordinario“ s. o. S. 328.), so daß diese Stelle im Gegentheil für meine Behauptung völlig beweist.
(1) L. 2. §. 3. de interd.,
§. 2. I. eod.
(334) Vierter Abschnitt.
werden in der einzigen Stelle, in welcher würklich von possessorischen Rechtsmitteln in jenem unbestimmten Sinn die Rede ist, ausdrücklich Interdicte, Actionen und Exceptionen zugleich darunter begriffen (1): dagegen werden jene drey Classen gar nicht als possessoria interdicta, sondern als interdicta rei familiaris überhaupt zusammen gestellt (2), ja es wird eine Eintheilung der Interdicte als Haupteintheilung genannt (3), welche jene Zusammenstellung geradezu ausschliest. Der entscheidendste Grund endlich gegen die gewöhnliche Zusammenstellung ist dieser: die wahren possessorischen Interdicte gründen sich auf Delicte (S. 26.-28.): hätte nun der Prätor kein Interdict, sondern eine actio für den Fall einer dejectio angeordnet, so wäre diese actio de vi ohne Zweifel mit der actio vi bonorum raptorum u. a. m. zusammengestellt worden: dann aber hätte Niemand darauf fallen können, sie mit dem int. quorum bonorum u. s. w. in eine Classe zu setzen, folglich darf dieses
(1) L. 1. §. 4. uti poss. „ ... omnis de possessione controversia aut eo pertinet, ut quod non possidemus, nobis restituatur: aut ad hoc, ut retinere nobis liceat quod possidemus. Restitutae (restituendae) possessionis ordo aut interdicto expeditur, aut per actionem. Retinendae itaque possessionis duplex via est, aut exceptio, aut interdictum ... “
(2) L. 2. §. 3. de int.
(3) §. 1. I. de int.
(335) Interdicte.
auch jezt nicht geschehen, indem jene Anordnung eines Interdicts, anstatt einer actio, für uns völlig unbedeutend, und selbst nach der Ansicht der Römer zufällig ist, d. h. die Natur des Klagrechts selbst nicht afficirt.
Also sind die int. retinendae und recuperandae poss. die einzigen possessorischen Klagen überhaupt, und die int. adipiscendae poss. haben nichts mit ihnen gemein. Ja noch mehr: diese haben untereinander selbst nichts gemein, welches sich leicht durch eine Aufzählung derselben zeigen läßt, und auch schon daraus erhellt, daß sie an so ganz verschiedenen Stellen der Quellen abgehandelt werden. Das int. quorum bonorum nämlich ist eine provisorische hereditatis petitio possessoria: das int. quod legatorum beruht, wie der ganze Besitz und so vieles andere, auf einem ganz eigenen Rechtssatz, den das Edict zuerst aufgestellt hatte: das int. de glande legenda ist eine provisorische rei vindicatio für einen speciellen Fall: das int. Salvianum eine provisorische actio Serviana (1): das int. fraudatorium (2) endlich eine provisorische actio Pauliana.
(1) Donellus (comm. XV. 37.) rechnet auser jenen vier zuerst genannten noch zwey: das int. de tabulis exhibendis, und das was der missus in possessionem hat. Allein diese beiden haben gar nicht den Besitz zum Zweck, gehören also gar nicht dahin.
(2) L. 67. §. 1. 2. ad Sc.
Trebell.,
(336) Vierter Abschnitt.
§. 36.
Der Begriff der possessorischen Interdicte ist jezt vollständig bestimmt: aber es ist noch Einem Einwurf zu begegnen, der für die ganze Darstellung auserordentlich wichtig ist. Die meisten neueren Praktiker nämlich haben mehr oder weniger deutlich die Interdicte als provisorische Vindicationen betrachtet (1): diese Ansicht soll hier geprüft werden.
Provisorische Rechtsmittel sind solche, deren Entscheidung den Streit nur vorläufig endigt, indem noch eine andere (peremtorische) Untersuchung und Entscheidung derselben Rechtsfrage möglich ist. So z. B. ist bey dem int. quorum bonorum das Erbrecht des Klägers ganz eigentlich das, was untersucht und entschieden wird: aber derselbe Punct kann nachher, bey der hereditatis petitio, Gegenstand einer neuen Untersuchung
L. 96. pr. de solut. – L. 10. pr. quae in fraud. cred.
(1) s. o. S. 31, und über die Entstehung dieser Meinung bey Bartolus und Cujaz S. 96-98. Der Gegensatz des petitorii und possessorii wird gewöhnlich auf diese Art gedacht. – Vielleicht hat unter andern die Stelle des Isidor zu dieser Meinung beygetragen, worin alle Interdict überhaupt als provisorische Entscheidungen definirt werden (orig. V. 25, bey Gothofred p. 932.): „Interdictum est, quod a judice non in perpetuum, sed pro reformando momento ad tempus interim dicitur: salva propositione actionis ejus.” – Eben so Anian. in Paul. V. 6. §. 1.
(337) Interdicte.
seyn. Beide Untersuchungen stehen demnach in einem ähnlichen Verhältniß zu einander, wie die Untersuchung vor einer ersten und zweiten Instanz.
Wenn also die possessorischen Klagen in der That solche provisorische Rechtsmittel wären im Verhältniß zum Eigenthum, so müste das Recht derselben so betrachtet werden: wer besizt, wird nach einer allgemeinen Präsumtion der Gesetze vorläufig als Eigenthümer angenommen, aber diese Entscheidung der provisorischen Vindication (des possessorii) kann bey einer folgenden Untersuchung (dem petitorio) eben sowohl geändert als bestätigt werden. – Daß diese Ansicht falsch sey, indem das Recht der Interdicte auf Gründen beruhe, die in gar keiner Beziehung auf Eigenthum stehen – dieser Satz ist gleich im Anfang dieser Abhandlung (§. 2.) vorausgesezt, in der Folge aber vollständig bewiesen worden, indem gezeigt wurde, daß das Recht der Interdicte als das einzige Recht des blosen Besitzes von den Römern betrachtet werde (S. 50-54.), der Erwerb des Besitzes selbst aber so beschaffen sey, daß der Besitz weder mit dem Eigenthum, noch mit einem anderen Rechte in Verbindung stehen könne (Abschn. 2, besonders §. 28.). – Hier ist es nöthig, die Veranlassungen jenes Irrthums zu entfernen, die, weil sie den Interdicten eigenthümlich sind, bisher noch nicht berührt werden konnten.
(338) Vierter Abschnitt.
Die interdicta retinendae possessionis nämlich werden als nöthige Vorbereitungen der Vindication angegeben, ja es wird gesagt, daß dieser Umstand Gelegenheit zu ihrer Einführung gegeben habe (1): in einer andern Stelle wird jedem Eigenthümer der Rath gegeben, wo möglich ein Interdict und nicht die Vindication zu gebrauchen (2). – Allein dieses vorbereitende Verhältniß ist offenbar von dem eines provisorischen Rechtsmittels sehr verschieden, da gerade das Wesentliche dieses lezten (nämlich die Untersuchung derselben Rechtsfrage) bey dem ersten ganz gleichgültig ist, so daß selbst eine Civilsache zur Vorbereitung einer Criminaluntersuchung dienen kann. Ferner: jenes vorbereitende Verhältniß zur Vindication läßt sich bey sehr vielen anderen Klagen (z. B. aus Contracten) denken, und es ist kein Zweifel, daß jeder Jurist dem Eigenthümer, der auser der Vindication auch eine Klage aus einem Contract hat, zu dieser lezten rathen wird, wiewohl sie sicher nicht eine provisorische Vindication ist. Endlich, was die Hauptsache ist: jenes vorbereitende Verhältniß ist bey den Interdicten selbst blos zufällig. Da nämlich das Recht der Interdicte
(1) L. 1. §. 2. 3. uti possid. (§. 4. I. de interd.), L. 35. de poss.
(2) L. 24. de rei
vind. – Vergl. Festus o. possessio (bey Gothofred p. 372.).
(339) Interdicte.
durch den blosen Besitz völlig begründet ist, so können sie ohne Zweifel auch dann gebraucht werden, wenn keiner der streitenden Theile Eigenthum zu haben behauptet.
Demnach kann der Gebrauch der Interdicte zur Vorbereitung der Vindication sehr gewöhnlich seyn, ja es kann eben dieses Verhältniß die Einführung der Interdicte veranlaßt haben (1) – dennoch ist dasselbe blos zufällig, und es darf kein Gebrauch davon gemacht werden, wo es darauf ankommt, die juristische Natur jener Interdicte zu bestimmen. Diese lezte Bemerkung wird vorzüglich durch eine Stelle des Ulpian bestätigt, die schon mehrmals in dieser Abhandlung vorgekommen ist (2). Es war nämlich die Frage, ob der
(1) Es kann sie veranlaßt haben – aber es muß nicht, denn das Zeugniß des Ulpian (L. 1. §. 2. uti poss.) für die „Interdicti proponendi causa“ ist nicht entscheidend, da diese Interdicte ein Paar Jahrhunderte vor Ulpian eingeführt wurden. Nun muß freylich, wie auch Ulpian sagt, in jedem Prozeß über Eigenthum vor allem untersucht werden können, welcher von beiden Theilen als Kläger (petitor), welcher als Beklagter (possessor) gelten solle: aber gerade für diese Untersuchung existirte seit den ältesten Zeiten eine ganz eigene Prozeßform vor dem Prätor selbst, die lis vindiciarum, die noch zur Zeit des Gellius, also lange nach Einführung der Interdicte, im Gebrauch war (noct. att. XX. 10. „verba ... quae ... dici nunc quoque apud Praetorem solent“).
(2) L. 12. §. 1. de poss. –
s. o. S. 32, und vorzüglich S. 304.
(340) Vierter Abschnitt.
Besitzer durch den Gebrauch der Vindication den Besitz, folglich auch das interdictum uti possidetis, verliere: diese Frage wird hier verneint. Wäre nun das interdictum uti possidetis nicht blos zufällig und in den meisten Fällen, sondern seinem Wesen nach eine Vorbereitung der Vindication, d. h. der Anfang des Vindicationsprozesses gewesen, so läge darin der entscheidendste Grund, den würklichen Gebrauch der Vindication als Entsagung auf das Interdict zu betrachten: deswegen leitet Ulpian seine Entscheidung der Frage durch die Bemerkung ein, daß der Streit über Besitz und der Streit über Eigenthum ihrer Natur nach unabhängig von einander seyen, und folgert daraus, daß durch die Vindication dem Interdict nicht entsagt werde (1):
„Nihil commune habet proprietas cum possessione: et ideo non denegatur ei interdictum uti possidetis, qui coepit rem vindicare: non enim videtur possessioni renuntiasse, qui rem vindicavit.“
Die possessorischen Interdicte also sind die Klagen, die durch den blosen Besitz begründet sind (S. 331.),
(1) Nämlich diese Renuntiation konnte noch aus einem andern Grunde behauptet werden (S. 304.), den hier Ulpian nicht ausdrücklich nennt.
(341) Interdicte.
und dieser Begriff ist jezt durch den Beweis gerechtfertigt, daß sie mit der Vindication in keiner nothwendigen Verbindung stehen. Aber nicht jede Verletzung des Besitzes überhaupt, sondern nur die Verletzung in bestimmten Formen giebt dem Besitzer das Recht der Interdicte, und durch diese Formen der Verletzung werden die einzelnen Interdicte selbst von einander unterschieden. Nämlich alle Interdicte gründen sich entweder auf Gewalt, oder auf Verheimlichung, oder auf den Misbrauch eines precarii: aber Gewalt kann den Besitz entweder blos stören, oder entziehen, und wegen der blosen Störung giebt es wieder zwey verschiedene Interdicte, je nachdem ein Grundstück, oder eine bewegliche Sache Gegenstand des Besitzes ist. – Demnach sind hier überhaupt folgende Interdicte abzuhandeln:
I. Interdicta retinendae possessionis:
A. im allgemeinen (§. 37.).
B. Uti possidetis (§. 38.).
C. Utrubi (§. 39.).
II. Interdicta de violenta possessione. (§. 40.).
III. Interdictum de clandestina possessione. (§. 42.=§. 41.).
IV. Interdictum de precaria possessione. (§. 42.).
(342) Vierter Abschnitt.
V. Constitutionen der Kaiser über die possessorischen Interdicte (§. 43.).
§. 37.
Verginii de Boccatiis a Cingulo, Ic. Romani, Tract. de int. uti poss. s. de manuten. in poss., Colon. 1582. 8, auch in: Tract. Tract. Tom 3. P. 2 (Ven. 1584. f.) und öfters.
Alle Interdicta retinendae possessionis (auch für die Quasi Possessio) zusammengestellt: schlecht und sehr entbehrlich.
Die Interdicta retinendae possessionis sollen den Besitz schützen, der durch gewaltsame Handlungen zwar gestört, aber nicht aufgehoben ist.
Die erste Bedingung also, hier wie bey allen possessorischen Interdicten (S. 50.-54.), ist die, daß Besitz würklich erworben sey: nicht etwa possessio civilis, wohl aber juristische possessio, im Gegensatz des blos natürlichen Verhältnisses der Detention (1). – Die zweite Bedingung ist eine gewaltsame
(1) Hierher gehört: Klepe diss. de nat. et ind. poss. ad int. uti poss. et utrubi necess., Lips. 1794. (s. die Einl.) – Die Einwürfe gegen diesen Satz können erst bey den einzelnen Interdicten dieser Classe widerlegt werden.
(343) Interdicte.
Verletzung (1), und damit verhält es sich so: Der Ausdruck „Vis“ wird im allgemeinen von jeder Handlung gebraucht, welche gegen den Willen eines Andern vorgenommen wird, sey es, daß dem Handelnden dieser Wille würklich erklärt wurde, oder daß Er selbst diese Erklärung verhinderte (2). Eben wegen dieses weiten Umfangs versteht es sich von selbst, daß immer noch andere Bestimmungen hinzukommen müssen, wenn ein juristischer Gebrauch von jenem Begriff gemacht werden soll: so z. B. hier, wo in dem blosen Daseyn des Besitzes das Recht liegt, jeden Eingriff zu verbieten, so wie in der blosen Nichtachtung dieses Verbots die Form der Verletzung, welche das Interdict begründet. – Drittens: die gewaltsame Verletzung des Besitzes muß den Besitz selbst nicht aufheben, welche Bedingung schon aus dem Namen dieser Classe der possessorischen Interdicte (retinendae possessionis) erhellt (3). Die nähere Bestimmung dieser blos negativen Bedingung ist bereits in dem dritten Abschnitt dieses Werks gegeben, indem daselbst alle Fälle überhaupt bestimmt
(1) „Vim fieri veto“ L. 1. pr. uti poss., L. 1. pr. de utrubi.
(2) L. 1. §. 5-7. L. 20. pr. §. 1. quod vi, L. 73. §. 2. de R. I.
(3) Die Glosse nennt diese Art der Gewalt, „vis inquietativa“, und sezt ihr die „vis expulsiva“ entgegen (GL. [!] in §. 4. I. de interd., et in L. 1. §. 9. uti poss.).
(344) Vierter Abschnitt.
sind, in welchen der Besitz als verloren angenommen wird. Demnach kann der Besitzer auf zweyerley Art das Recht zu jenen Interdicten erwerben: theils indem Ihm selbst nur einzelne Aeuserungen seiner Willkühr in Beziehung auf diese Sache verhindert werden (1), theils indem sich ein Anderer Handlungen eines Besitzers anmaaßt, ohne Ihn selbst aus dem Besitz zu verdrängen (2). Aus dieser lezten Bestimmung erklärt sich die Möglichkeit einer Verbindung dieser Interdicte mit dem Streit über Eigenthum (S. 339.): wer nämlich vor Gericht Besitzer zu seyn behauptet, thut eben durch diese Behauptung, wegen der grosen Vorrechte,
(1) Beyspiele: der Besitzer wird verhindert, sein Feld zu bauen (L. 3. §. 4. uti poss.), oder ein Gebäude aufzuführen oder zu verändern (L. 3. §. 2. 3. uti poss., L. 52. §. 1. de poss., L. 12. comm. divid.) oder seinen Schatz aus einem fremden Grundstück auszugraben (L. 15. ad exhibendum).
(2) L. 11. de vi: „Vim facit, qui non sinit possidentem eo, quod possidebit, uti arbitrio suo: sive inserendo, sive fodiendo, sive arando, sive quid aedificando, sive quid omnino faciendo, per quod liberam possessionem adversarii non relinquit.“ Aus den lezten Worten, so wie aus den ersten (vim facit, bezogen auf „vim fieri veto“), erhellt am deutlichsten, daß von einer blosen Störung, nicht von Aufhebung des Besitzes die Rede ist. Donell. XV. 33. (p. 804.). – Durch die Stelle, an welcher dieses Fragment eingeschaltet ist (tit. ff. de vi), sind mehrere Juristen veranlaßt worden, es auf das interdictum de vi zu beziehen.
(345) Interdicte.
die der Besitzer als Beklagter geniest, Eingriff in den fremden Besitz, und durch diesen Eingriff ist das Interdict begründet (1).
Der Zweck dieser Interdicte ist der, daß die Störung des Besitzes aufgehoben werde, und dieses läßt sich am einfachsten so denken, daß für die Zukunft die Handlung verhindert wird, wodurch bisher der Besitz gestört wurde: ob diese Handlung durch das blose Verbot des Richters gehindert wird, oder ob eine thätliche Exsecution dieses Befehls nöthig ist, oder ob durch Cautionen die Ruhe des Besitzes gesichert wird, ist für den allgemeinen Zweck dieser Interdicte ganz gleichgültig. Hat die bisherige Störung dem Besitzer bereits geschadet, so muß auch dieser Schade ersezt werden.
Für diese Würkung unserer Interdicte haben die Gesetze noch eine besondere Regel aufgestellt, die hier zu erläutern ist: Diese Interdicte nämlich sollen duplicia seyn, oder als mixtae actiones betrachtet werden (2), d. h. der Kläger und der Beklagte sollen gleiche Rechte haben, und nicht wie bey den meisten Klagen durch bestimmte Functionen einander entgegen
(1) L. 1. §. 2. 3. uti poss., §. 4. I. de interd.
(2) Für beide Interdicte: L. 37. §. 1. de O. et A., §. 7. I. de interd. – Für das int. uti possidetis allein: L. 2. pr. de interd. L. 3. §. 1. uti poss.
(346) Vierter Abschnitt.
gesezt seyn (1). Die wichtigste practische Folge dieses Satzes ist die, daß der Kläger eben sowohl als der Beklagte condemnirt werden kann. Nun läßt sich dieses auf zweyerley Art denken: theils so, daß nicht der Kläger, sondern der Beklagte in der That den Besitz hat (2), und hier hat es keinen Zweifel, daß der
(1) §. 7. I. de interd. „ ... duplicia vocantur, quia par utriusque litigatoris in his conditio est, nec quisquam praecipue reus vel actor intelligitur: sed unusquisque tam rei, quam actoris partes sustinet.“ Noch deutlicher ist: L. 10. fin. regund. Iudicium comm. div., fam. erc, fin. reg. tale est, ut in eo singulae personae duplex jus habeant: agentis, et ejus cum quo agitur.“ – Einige nehmen jenen Satz so, als ob jeder Theil das Recht hätte, als Kläger aufzutreten, da doch nach der klaren Bestimmung der Gesetze die Eigenheit der mixta actio blos die Rechte der Parteyen während des Prozesses betrifft. Anstellen kann das interdictum retinendae possessionis nur der Besitzer, also immer nur Eine bestimmte Person. Eine wichtige Folge jenes Irrthums s. im folg. §.
(2) In den meisten Fällen ist eben dies die Behauptung des Beklagten und der Gegenstand des Streits: daraus erklärt sich die Formel „uti possidetis“ d. h. „So, wie Einer von Euch, die Ihr Beide zu besitzen behauptet, würklich besizt (et)c. (et)c.“ Die Glossatoren haben mancherley Vermuthungen über diese Formel: unter andern nehmen sie an, der Prätor habe aus Höflichkeit den Besitzer durch „Sie“ angeredet. Eine andere Erklärung war von sehr bedeutenden Folgen: Man bezog nämlich das „uti possidetis“ auf die possessio plurium in solidum, die eben dadurch theils überhaupt, theils für
(347) Interdicte.
Beklagte, der sogar selbst als Kläger hätte auftreten können, auf dieselbe Weise, wie wenn er würklich geklagt hätte, den Prozeß gewinnen muß: theils läßt es sich so denken, daß der Kläger zwar den Besitz hat, aber durch Exceptionen des Beklagten den Prozeß verlieren muß. In diesem Fall hätte der, welcher jezt Beklagter war, nicht als Kläger auftreten können, dennoch wird Ihm jezt der Besitz zugesprochen (1), und diese scheinbare Inconsequenz läßt sich leicht rechtfertigen. Soll nämlich, wie hier, der Kläger abgewiesen werden, so muß der Richter entweder gar nicht über den Besitz entscheiden, oder den Beklagten zum Besitzer machen. Durch das Erste aber würde jedem Theile erlaubt, dem Andern nach Belieben Gewalt anzuthun: da nun dieses auf keine Weise das Resultat eines Richterspruchs seyn kann und darf, so bleibt nur das Zweite
das int. uti possidetis allein bestätigt seyn sollte, indem bey diesem Interdict auch wohl der dejectus noch als Besitzer gelten könne (s. u. S. 349.). – Glossa in rubr. Tit C. uti poss., Azo in Summa h. t. num. 19, et in lectura h. t. p. 622, Placentin. in Summa h. t. p. 376. 377. – Donellus in Cod. h. t. num. 6. 7. 8. (p. 288. 289.).
(1) Daß dieses würklich der Fall sey, folgt nicht nur aus dem Begriff des int. duplex, sondern auch aus L. 3. pr. uti poss. „ ... si a me possides, superior sum interdicto“, d. h. ich soll gewinnen, was sich auf keine andere Art denken läßt.
(348) Vierter Abschnitt.
übrig, d. h. das Interdict muß als duplex behandelt, und der Beklagte muß in den Besitz gesezt werden, wiewohl Er als Kläger mit diesem Interdict (1) nicht hätte gewinnen können.
§. 38.
Eigene Quellen für das Interdictum uti possidetis:
§. 4. I. de interd.
Digest. Lib. 43. Tit. 17. s. die Einleitung.
Cod. Lib. 8. Tit. 6.
Die Regeln, die in dem vorigen §. für die int. retinendae possessionis überhaupt aufgestellt wurden, sind jezt auf den Besitz der Grundstücke, also auf das Int. uti possidetis (2) anzuwenden.
Die allgemeinen Bedingungen dieser Interdicte waren: Besitz überhaupt, gewaltsame Verletzung desselben, und eine solche Verletzung, durch welche der Besitz nicht aufgehoben ist. Die erste und dritte dieser
(1) Nämlich in den meisten Fällen würde Er freylich ein anderes Interdict auch als Kläger haben gebrauchen können, z. B. das int. de vi, wenn Ihn der Andere mit Gewalt aus dem Besitz warf, und dann das int. uti possidetis gegen Ihn gebrauchte, das Er durch eine Exception ausschloß (L. 1. §. 5. uti poss.).
(2) Die Stelle des Edicts steht in: L. 1. pr. uti possidetis, und mit etwas verändertem Ausdruck bey Festus (v. possessio, ap. Gothofr. p. 372.).
(349) Interdicte.
Bedingungen sind in der Anwendung auf das int. uti possidetis bezweifelt worden. – Was den ersten Punct betrifft, so fordert Cuper, daß die possessio auch civilis sey, wenn das Interdict begründet seyn soll: diese Behauptung ist eine blose Folge Seines falschen Begriffs von possessio civilis, mit welchem Sie folglich zugleich widerlegt ist. Allein Cuper beweist seinen Satz noch besonders für unser Interdict, und dieser Beweis gehört hierher. Ulpian nämlich sagt in einer sehr bekannten Stelle, bey dem int. unde vi müsse die possessio nicht nothwendig civilis seyn: also – folgert Cuper – muß sie es bey dem int. uti possidetis allerdings seyn (1). – Die dritte Bedingung, daß der Kläger noch gegenwärtig Besitzer seyn müsse, ist gerade bey dem int. uti possidetis so klar bestimmt (2), daß sie eben hier am wenigsten hätte bezweifelt werden sollen. Der erste Grund dagegen beruht auf der falschen Erklärung der possessio civilis
(1) de nat. poss. P. 2. C. 8. „in L. 1. §. 9. de vi scribit Ulpianus de Interdicto unde vi: Nam et Naturalis Possessio ... ad Hoc Interdictum pertinet; aperto indicio, eam non pertinere ad Interdictum Uti possidetis, aut Utrubi.“
(2) L. 1. §. 4. uti possidetis „ ... interdictum ... uti possidetis ... redditur, ne vis fiat ei, qui possidet ... hoc interdictum tuetur, ne amittatur possessio: denique Praetor possidenti vim fieri vetat“ etc.
(350) Vierter Abschnitt.
als possessio quae animo retinetur (S. 90.-92. u. S. 347.): diese Art der Fortsetzung sey auch dem dejectus möglich, folglich habe dieser die Wahl zwischen dem int. de vi (wegen der verlornen possessio naturalis) und uti possidetis (wegen der fortdauernden possessio civilis) (1). Ein zweiter Grund liegt in einer unrichtigen Erklärung der L. 11. de vi (S. 344.): in dieser Stelle sey bey einer blosen Störung des Besitzes das int. de vi zugelassen, folglich müsse auch umgekehrt der dejectus das int. uti possidetis gebrauchen dürfen. Drittens sagen Einige, da der dejectus als Beklagter ohne Zweifel den Prozeß gewinne, so müsse Er auch als Kläger das Interdict haben (2). Das Misverständniß in dem Begriff von interdictum duplex, der dabey zum Grunde liegt, ist schon oben (S. 346. Note 1.) aufgezeigt worden.
Auch die Würkung dieses Interdicts kommt völlig mit dem überein, was oben über die Würkung der int. retinendae poss. im allgemeinen bestimmt worden ist. – Zuerst also ist die Handlung zu verhindern,
(1) Azo in summa Cod. tit. uti possid. num. 16. 17. (fol. 145.). – Menoch. de retin. poss., remed. 3. num. 35. 36. 37. – Giphanius in antinom., Lib. 4. Disp. 48. n. 24-30.
(2) Die zwey lezten Gründe zusammen haben: Busius in subtil. juris Lib. 6. C. 8, Giphanius l. c. (s. die vorige Note).
(351) Interdicte.
wodurch der Besitz bisher gestört wurde. Dieser Zweck wird gewöhnlich durch das blose Urtheil des Richters, welches die Störung verbietet, vollständig erreicht seyn: auserdem hat es keinen Zweifel, daß dieses Urtheil, wie jedes Urtheil überhaupt, exsequirt werden müsse, und diese Exsecution kann unter andern darin liegen, daß der Richter von dem Verurtheilten, von welchem eine fortgesezte Störung des Besitzes zu befürchten ist, deshalb Caution leisten läßt. Das Recht also, eine solche Caution aufzulegen, liegt schon in dem allgemeinen Recht der Exsecution, und es bedarf der ausdrücklichen Bestätigung der Gesetze nicht, die blos mit Hülfe einer falschen Interpretation hat behauptet werden können (1). – Für die Störung des Besitzes in
(1) L. un. C. uti possidetis: „Uti possidetis fundum, de quo agitur, cum ab altero, nec vi, nec clam, nec precario possidetis, Rector provinciae vim fieri prohibebit: ac satisdationis, vel transferendae possessionis Edicti perpetui forma servata, de proprietate cognoscet.“ Nämlich entweder, sagt man, ist der Beklagte nicht im Besitz, dann muß Er jene Caution leisten: oder Er ist im Besitz, dann wird der Besitz selbst durch dieses Interdict von Ihm weggenommen (s. o. S. 349.). Duarenus in tit. uti poss., et in Disp. anniv. I. 21. (opp. p. 944. 1386). – Allein mit den Worten „vim fieri prohibebit“ ist die Bestimmung des Interdicts zu Ende, was darauf folgt, betrifft die Vindication, und bey dieser war es allgemeine Regel, daß der Beklagte entweder de judicato caviren oder den Besitz abgeben muste, („satisdationis,
(352) Vierter Abschnitt.
der vergangenen Zeit muß dem Besitzer Ersatz geleistet werden, und bey der Bestimmung dieses Ersatzes kommt alles das in Betracht, was der Besitzer durch jene Störung würklich verloren, oder zu erwerben versäumt hat (1).
Soviel von den Bedingungen und der Würkung dieses Interdicts im allgemeinen. Allein es sind einige Fälle besonders ausgenommen, in welchen das Interdict entweder gar nicht, oder nur zum Theile zugelassen wird: die Exceptionen des Beklagten, die sich auf diese Fälle beziehen, sind nun noch hinzuzufügen. – Die erste dieser Exceptionen betrifft die Art, wie der Besitz des Klägers entstanden ist: wenn nämlich dieser Besitz selbst mit Gewalt, oder heimlich, oder durch ein precarium angefangen hat, so gewinnt nicht der Kläger,
vel transferendae possessionis“), welche Regel aber nachher aufgehoben wurde (§. 2. I. de satisd.). Diese richtige Erklärung haben: Glossa in L. cit., Azo in Summa C. h. t. num. 23. – Baro in manual. in Dig. P. 6. (p. 194.), Cuiacius in Paulum I. 11. §. 1. (heftiger Ausfall gegen Duaren), Donellus in Cod. h. t. n. 25-28. (der jedoch andere Irrthümer in diese Interpretation bringt), ganz vorzüglich aber: F. C. Conradi in diss. cautio de non ampl. turb. in jud. poss. usu fori recepta, Helmst. 1737, wo auser der Interpretation jener Stelle auch diese Caution überhaupt gründlich dargestellt ist.
(1) L. 3. §. 11. uti possidetis.
(353) Interdicte.
sondern der Beklagte (1): doch muß diese unrechtliche Handlung zwischen denselben Personen vorgefallen seyn, die jezt als Kläger und Beklagter im Prozeß auftreten: also gilt die Exception nicht, wenn entweder von dem auctor des Klägers (2), oder gegen eine andere Person als den Beklagten (3) die dejectio etc. etc. verübt worden ist. – Der Grund dieser Exception liegt darin, daß in allen solchen Fällen der Beklagte ohnehin ein int. recuperandae possessionis hat: anstatt also den Beklagten, der freylich nicht Besitzer ist, in dem int. uti possidetis verlieren, und dann in einem zweiten Prozeß gewinnen zu lassen, wird durch eine sehr natürliche Abkürzung des Prozesses gleich jezt der Kläger abgewiesen, ja sogar aus einem besondern Grunde (S. 347.) der Besitz dem Beklagten eingeräumt. – Die zweite Exception betrifft die Verjährung des Interdicts. Wenn nämlich Ein Jahr verflossen ist, seitdem der Besitz verlezt wurde, so kann
(1) L. 1. pr. §. 5. L. 3. pr. uti poss. (s. o. S. 124.).
(2) L. 3. §. 10. uti poss. „Non videor vi possidere, qui ab eo, quem scirem vi in possessione esse, fundum accipiam.“
(3) L. 1. §. 9. „ ... ut, si quis possidet vi, aut clam, aut precario, si quidem ab alio, prosit ei possessio: si vero ab adversario suo, non debet eum propter hoc, quod ab eo possidet, vincere ... “ cf. L. 2. eod., L. 53. de poss., §. 4. I. de interd., L. 17. de prec.
(354) Vierter Abschnitt.
von diesem Interdict kein Gebrauch gemacht werden, um Schadensersatz zu fordern (1): es müste denn durch den Verlust des Besitzers zugleich der Verletzer gewonnen haben (2).
§. 39.
Eigene Quellen für das Interdictum utrubi:
§. 4. I. de interd.
Digest. Lib. 43. Tit. 31. s. die Einl.
Cod. Theod. Lib. 4. Tit. 23.
Wie bey Grundstücken durch das Int. uti possidetis, so wird bey allen beweglichen Sachen durch das Int. utrubi der Besitz geschüzt, wiewohl es nach den Worten des Edicts nur Sclaven betraf (3).
Die erste Bedingung, hier wie bey dem Int. uti possidetis, ist juristischer Besitz, ohne Unterschied, ob
(1) L. 1. pr. uti possidetis „intra annum, quo primum experiundi potestas fuerit, agere permittam.“
(2) L. 4. de interd. „Ex quibus causis annua interdicta sunt, ex his de eo, quod ad eum, cum quo agitur, pervenit, post annum judicium dandum, Sabinus respondit.“
(3) L. 1. pr. §.
1. de utrubi „Praetor ait, utrubi hic homo, quo de agitur, majore parte anni
hujusce anni fuit: quo minus is eum ducat, vim fieri veto. – Hoc interdictum de
possessione rerum mobilium locum habet ... “
(355) Interdicte.
es possessio civilis ist oder nicht (1). Allein Besitz überhaupt war dennoch nicht hinreichend, sondern der Besitz muste in dem leztverflossenen Jahre längere Zeit als von dem Gegner ausgeübt worden seyn (2): in diese Zeit wurde natürlich der Besitz des Verkäufers (et)c. mit eingerechnet, so daß hier, wie bey der Usucapion und der Verjährung mancher Klagen, die accessio possessionis von groser Wichtigkeit war (3). Das neuere Recht hat diese Beschränkung aufgehoben, und das Int. utrubi dem Int. uti possidetis völlig gleich gesezt (4): wahrscheinlich rührt diese Aenderung erst von Justinian her, und die Stelle des Ulpian, worin sie vorkommt (5), ist interpolirt: wenigstens findet sich bey
(1) Cuper (II. 8.) behauptet auch hier das Gegentheil: Einer seiner Gründe ist schon bey dem Int. uti possidetis (S. 349.) vorgekommen: ein zweiter beruht auf L. 46. de don. int. vir. et ux., welche Stelle auch schon oben (S. 44.) erklärt worden ist.
(2) Die major pars anni also ist relativ zu nehmen. L. 156. de V. S.
(3) Cuper (II. 8.) macht, zum Theil nach Schulting, die sehr gute Bemerkung, daß L. 46. de don. int. vir. et ux. (s. o. S. 44.) und L. 13. de poss. durch die Inscription unter einander und mit L. 1. utrubi verbunden sind, also wahrscheinlich bey Gelegenheit dieses Interdicts von der accessio possessionis handelten. – Ferner gehört dahin: L. 14. §. 3. de div. temp. praescr. (Klepe de nat. et ind. poss. p. 27.). – Endlich: L. 11. de adqu. rer. dom. (s. o. S. 301).
(4) §. 4. I. de Int.
(5) L. 1. §. 1. de utrubi.
(356) Vierter Abschnitt.
Paulus noch keine Spur von dieser Neuerung (1). – Die zweite Bedingung ist ein gewaltsamer Eingriff in den Besitz, und dabey findet sich hier nichts besonderes. – Endlich muß drittens die Verletzung den Besitz blos stören, nicht aufheben. Für das neue Recht kann dieser Satz nicht bezweifelt werden, und alles was oben bey dem Int. uti possidetis darüber gesagt worden ist, gilt auch hier: mehr Schwierigkeit hat der Beweis desselben Satzes in dem älteren Recht, d. h. vor der Gleichstellung beider Interdicte. Die Frage ist also diese: war im älteren Recht das Int. utrubi ein Int. retinendae und recuperandae possessionis zugleich, oder (was es jezt gewiß ist) nur allein ein Int. retinendae possessionis? im ersten Fall kam es gar nicht auf den gegenwärtigen, sondern auf den vergangenen Besitz (majore parte anni) an: im zweiten Fall war auser dem gegenwärtigen auch noch der vergangene Besitz nöthig, und Justinian hat blos Eine dieser zwey Bedingungen aufgehoben, ohne selbst eine neue Bedingung vorzuschreiben. (2). –
(1) Rec. Sent. V. 6. §. 1. „ ... in altero vero (sc. in Int. utrubi) potior est, qui majore parte anni retrorsum numerati ... possedit.“
(2) Auser dem allgemeinen
historischen Interesse hat diese Frage noch ein ganz besonderes Interesse für
den Inhalt dieser Schrift. Es ist nämlich gleich im Anfang derselben alles
Recht der possessorischen Interdicte bezogen worden auf formelle Verletzung:
wenn aber die erste der zwey angeführten Meinungen richtig ist, so muß
(357) Interdicte.
Für die erste Meinung werden folgende Stellen angeführt, von welchen keine entscheidend ist:
A.) L. 3. §. 5. ad exhibendum:
„Sed et si quis interdicturus, rem exhiberi desideret, audietur.“
B.) L. 3. §. 12. ad exhibendum (1):
„Pomponius scribit, ejusdem hominis recte plures ad exhibendum agere posse: forte, si homo primi sit, secundi in eo ususfructus sit, tertius possessionem suam contendat, quartus pigneratum sibi eum adfirmet. Omnibus igitur ad exhibendum actio competit: quia omnium interest exhiberi hominem.“
In beiden Stellen, sagt man, soll das Int. utrubi durch die actio ad exhibendum präparirt werden, also muß es auch den verlornen Besitz wieder fordern können. Aber erstens ist es gar nicht nöthig, diese Stellen
entweder diese Ansicht der Interdicte überhaupt verworfen, oder eine unerklärliche Inconsequenz bey diesem einzelnen Interdict behauptet werden, welche Inconsequenz zu entfernen erst Justinian’s Verdienst gewesen wäre.
(1) Beide Stellen hat: A. A.
Pagenstecher in admonitor. ad Pand. Lib. 43. Tit. 31. (ed. Groning. 1715. 8. p.
775.). Schon Cujaz (obss. V. 23.) bezieht sie auf das Int. utrubi, doch ohne
diese Folgerung zu machen.
(358) Vierter Abschnitt.
auf das Int. utrubi zu beziehen, und zweitens ist der Schluß aus dieser Beziehung ganz falsch. Das erste – denn der §. 5. kann von jedem Int. adipiscendae possessionis eben so gut verstanden werden, und der §. 12. sezt gar kein Klagrecht auf die possessio nothwendig voraus, vielmehr ist es aus andern Stellen gewiß, daß die actio ad exhibendum ohne Beziehung auf ein anderes Klagrecht gebraucht werden konnte, wenn nur Interesse und justa causa desselben vorhanden war (1): unter diesen Bedingungen konnte die possessio selbst unmittelbar durch jene Klage erlangt werden (2). – Zweitens war der Schluß falsch: denn wenn in der That die actio ad exhibendum das Int. utrubi vorbereiten kann, so ist es doch nicht nöthig, bey diesem Interdict den Besitz als verloren anzunehmen. Da nämlich der commodans etc. seinen Besitz nicht verliert, wenn Ihm der commodatarius die Restitution blos verweigert, ohne durch contrectatio ein wahres
(1) L. 3. §. 9. 10. 11. 14. ad exhib.
(2) L. 5. §. 1. ad exhibendum.
(359) Interdicte.
furtum zu begehen, so kann in diesem Fall das Int. utrubi als Int. retinendae possessionis allerdings durch die actio ad exhibendum vorbereitet werden: dasselbe liese sich in dem Fall der L. 14. C. de agricolis denken, die sogleich erklärt werden wird.
C.) Petron. Cap. 13. (1).
Ueber diese Stelle ist schon oben (S. 37.) das nöthige gesagt worden.
D.) L. 14. C. de agricolis (vgl. Cod. Theod. V. 23.) (2):
„Si coloni, quos bona fide quisque possidet (3), ad alios fugae vitio transeuntes, necessitatem propriae conditionis declinare tentaverint, bonae fidei possessori primum oportet celeri reformatione succurri: et tunc causam originis et proprietatis agitari.“ Die Leseart „possidet“, die sicher aus Handschriften genommen ist, da sie das Zeugniß so bewährter Editoren für sich hat, wird durch das nachfolgende „possessori“ bestätigt, da
(1) Pagenstecher l. c.
(2) I. Gothofr. in L. cit., Klepe de nat. in ind. poss. p. 25.
(3) „Possedit“ lesen: Ms.
Götting., Edd. Basil. 1478. f.
(ap. Wenssler), Ven. 1498. f. (ap. Tortis), Lugd. 1512. f.
(360) Vierter Abschnitt.
dieses, wenn es natürlich erklärt werden soll, nicht anders als so aufgelößt werden kann, „ei, qui possessor est.“ Ein noch wichtigerer Grund für jene Leseart ist der Inhalt der Stelle selbst. Die Leibeigenen (coloni) nämlich, die hier, wie in vielen anderen Rücksichten, den Sclaven gleich behandelt werden (1), waren entflohen, und gaben sich unter dem Schutz einer Dritten Person für Freygeborne aus: gegen diesen Dritten sollte geklagt werden. Also war dieser Dritte nicht Besitzer der Leibeigenen, weil Er es gar nicht seyn wollte, Sie selbst wurden als servi fugitivi behandelt, und so wie diese (S. 285.) von Ihrem vorigen Besitzer auch jezt noch besessen. Demnach ist freylich in unserer Stelle von dem Int. utrubi die Rede, was auch aus der Ueberschrift des Titels im Cod. Theod. erhellt und worauf der Zusatz „bonae fidei possessori,
(ap. Fardin), Paris. 1515. 4. (ap. A. Boucardum et I. Parvum), Hal., Cont. II. (Paris. 1562. 8.), Russard. Eben so: Cod. Theod. (aber aus dem Breviarium). – – „Possidet“ lesen: Cont. III. (Paris. 1566. f.), Charondas, Cont. V. (Paris. 1576. f.), ferner alle Gothofredische Ausgaben, und aus diesen auch Gebauer.
(1) I. Gothofredi
paratit. in Cod. Theod. V. 9.
(361) Interdicte.
sich bezieht, um die Exceptionen anzudeuten, durch welche dieses Interdict, wie das Int. uti possidetis ausgeschlossen werden kann: allein das Interdict selbst ist hier, wie überall, ein Int. retinendae possessionis.
Also die Gründe, womit man beweisen wollte, daß das Int. utrubi auch den verlornen Besitz zum Gegenstand gehabt habe, beweisen diesen Satz nicht: dagegen läßt sich auf andere Art der Satz geradezu widerlegen. Paulus nämlich, der von der neuen Gestalt dieses Interdicts nichts weis, nennt es ausdrücklich als Int. retinendae possessionis neben dem Int. uti possidetis (1): bald nachher spricht Er von dem Int. de vi, stellt den bekannten Satz auf, daß es bey beweglichen Sachen nicht gebraucht werden könne, und nennt eine andere Klage, durch welche es in diesem Fall ersezt werden könne: und hier, wo das Int. utrubi vor allen andern hätte vorkommen müssen, wenn es je auf den verlornen Besitz sich erstreckt hätte – nennt er es nicht (2).
(1) Paulus V. 6. §. 1. „Retinendae possessionis gratia comparata sunt interdicta, per quae eam possessionem, quam jam habemus, retinere volumus:. (!) quale est uti possidetis de rebus soli, et Utrubi de re mobili.“
(2) Paulus V. 6. §.
5. „De navi vi dejectus hoc interdicto
(362) Vierter Abschnitt.
Bisher ist von den Bedingungen dieses Interdicts die Rede gewesen: die Würkung desselben hat gar nichts Eigenthümliches. Also auch hier muß vorzüglich die Störung des Besitzes selbst verhindert (1), auserdem aber auch für die vergangene Zeit Schadensersatz geleistet werden.
Endlich sind noch die Exceptionen bey diesem Interdict zu bestimmen. – Die erste gründet sich hier, wie bey dem Int. uti possidetis auf die vitiosa possessio des Klägers (2), und es muß auch hier, wenn die Exception gelten soll, die Gewalt (et)c. gegen den jezigen Beklagten gebraucht worden seyn. Für das neuere Recht hat auch dieser lezte Satz keinen Zweifel (3): und selbst für das ältere Recht ist es blos ein seltsamer Einfall von Cuper (4) gewesen, ihn zu läugnen.
(de vi) experiri non potest: sed utilis ei actio de rebus recuperandis, exemplo de vi bonorum raptorum, datur. Idemque de eo dicendum est, qui carruca, aut equo dejicitur ... “ – Eine ähnliche Stelle bey Ulpian (L. 1. §. 6. de vi) ist um deswillen weniger entscheidend, weil dabey immer eine Interpolation möglich wäre.
(1) L. 1. pr. de utrubi „ ... Vim fieri veto.“
(2) Indessen ist die Veranlassung dieser Exception hier etwas anders zu bestimmen, da hier gerade in den meisten Fällen der Beklagte kein eigenes Interdict hat, mit welchem Er als Kläger auftreten könnte.
(3) §. 4. in fin. I. de interd.
(4) de nat. poss. P. 2. C. 7.
– Bey neueren Schriftstellern gilt dieser Einfall schon als historische
Gewißheit.
(363) Interdicte.
Seine Gründe sind diese: A.) Paulus wiederholt nicht ausdrücklich die Worte „ab adversario“ (1): aber auf dieselbe Art hätte auch für das neuere Recht dieser Beweis geführt werden können, da auch in den Pandekten, und zwar in einer wahrscheinlich interpolirten Stelle (2), jene Worte fehlen. B.) Ein argumentum a contrario (3), das offenbar noch viel schlechter ist als jener erste Grund. Dagegen wird das ausdrückliche Zeugniß der Institutionen, welches gerade das ältere Recht betrifft (4), ganz übersehen, und es läßt sich kein Grund denken, warum dieses Zeugniß nicht als vollständiger Beweis sollte gelten können. – Die zweite Exception bezog sich bey dem Int. uti possidetis auf die Verjährung (S. 353.): diese Exception kann hier nicht behauptet werden, weil sie weder
(1) Paulus V. 6. §. 1. „Et in priore quidem (uti poss.) is potior est, qui redditi interdicti tempore nec vi, nec clam, nec precario ab adversario possidet. In altero vero (utrubi) potior est, qui majore parte anni retrorsum numerati nec vi, nec clam, nec precario possedit.“
(2) L. 1. §. 1. de utrubi.
(3) L. 2. uti poss. „Iusta enim an injusta adversus ceteros possessio sit, in hoc interdicto nihil refert.“ Also (schliest Cuper) macht es bey dem Int. utrubi allerdings einen Unterschied.
(4) §. 4. I. de interd. „Utrubi vero Interdicto is vincebat, qui majore parte ejus anni nec vi, nec clam, nec precario ab adversario possidebat. Hodie tamen ... “
(364) Vierter Abschnitt.
in dem Edict selbst (1), noch in den Institutionen (2) vorgeschrieben ist.
§. 40.
Eigene Quellen für die Int. de vi:
Cicero pro A. Caecina.
§. 6. I. de interdictis.
Digest. Lib. 43. Tit. 16. s. die Einl.
Cod. Iust. Lib. 8. Tit. 4. 5.
Cod. Theod. Lib. 4. Tit. 22.
Schriftsteller:
Henr. Const. Cras diss. qua spec. jpr. Ciceron. exhib., s. Ciceronem justam pro. A. Caecina causam dixisse ostenditur. Lugd. Bat. 1769. 4.
Eine gründliche Schrift, die nicht blos von der Rede des Cicero handelt, sondern über das ganze Interdict sich verbreitet. Daß indessen Cicero eine gute Sache vertheidigt habe, ist auch durch diese Schrift nicht wahrscheinlicher geworden.
Ferd. Gotth. Fleck comm. binae de interd. unde vi et remediis spolii, Lips. 1797. 8. (s. die Einl.) Nur der erste Theil des Buchs gehört hierher, und dieser erste Theil ist aus
(1) L. 1. pr. §. 1. de utrubi.
(2) §. 4. I. de interd.
(365) Interdicte.
Cras abgeschrieben (1), Zusätze abgerechnet, die nicht von Bedeutung sind.
Wer durch Gewalt den Besitz verloren hatte, forderte ihn auf verschiedene Weise zurück, je nachdem die Gewalthätigkeit (!) mit oder ohne Waffen ausgeübt worden war (2). Zu den Zeiten der classischen Juristen
(1) Ich muß hier ein Unrecht gut machen, das ich oben (S. 118.) gegen diese Schrift begangen habe. Die getadelte Stelle ist nämlich wörtlich aus Cras (p. 15.) genommen, den ich noch nicht kannte, als ich jenen Tadel niederschrieb.
(2) Int. de vi armata vel
quotidiana. – Die vis quotidiana (d. h. quae sine armis infertur) ist auf eine
unbegreifliche Weise mit der vis civilis oder festucaria (lis vindiciarum)
verwechselt worden, einem prozessualischen ritus, der bey der Vindication (nie
bey den Interdicten) gebraucht wurde. Vielleicht ist eine Stelle des Gellius
(XX. 10. in fin.) die Veranlassung dazu gewesen, indem daselbst der vis
festucaria die vis bellica et cruenta entgegen gesezt wird. Aber schon aus
Cicero läßt sich das Misverständniß darthun, und noch viel deutlicher aus dem
ganzen Zusammenhang der Interdicte. Nämlich wer den Besitz verloren hatte,
brauchte entweder das int. de vi armata oder de vi quotidiana: wer im Besitz
blos gestört war, hatte das int. uti possidetis oder utrubi, und wer nicht den
Besitz, sondern das Eigenthum forderte, muste diese Vindication mit der vis
civilis eröffnen: diese vis civilis oder lis vindiciarum sollte den Besitzstand
zum Behuf der Vindication selbst reguliren, sie war viel älter als alle
Interdicte, und selbst nachdem die Interdicte eingeführt waren, wurde sie
(366) Vierter Abschnitt.
wurde dieser Unterschied noch beobachtet, aber da ihn Justinian nicht mehr kennt (1), so würden Wir selbst die Spuren desselben in den Fragmenten der Juristen (2) nicht mit Sicherheit unterscheiden können, wenn uns nicht bey Cicero ziemlich genaue Nachrichten von beiden Interdicten übrig geblieben wären. Im
noch lange Zeit gebraucht (S. 339.), und zwar bey jeder Vindication, ohne Unterschied, ob ein Interdict vorhergegangen war oder nicht. Nur war freylich im ersten Fall die lis vindiciarum eine blose Form, indem nun die Entscheidung des Interdicts auch für sie gelten muste. – Am vollständigsten hat den Irrthum durchgeführt: Hotomannus in or. Cic. pro Caec. (p. 467. ed. Graev.) und: obss. VII. 6. – Auch Cujaz ist nicht ganz frey davon. (obss. V. 17. „Ad interdictum ibatur vi, et deductione quadam moribus facta, advocatis amicis in rem praesentem, ut constat ex or. pro Caec.“).
(1) Nur Ein Unterschied steht würklich in den Pandekten: Kinder und Freygelassene sollen das Int. de vi armata gegen ihre Eltern und Patronen haben, das Int. de vi quotidiana nicht, sondern an dessen Stelle eine actio in factum (L. 1. §. 43. de vi). In zwey andern Stellen aber wird Ihnen das Interdict allgemein abgesprochen (L. 2. §. 1. L. 7. §. 2. de obsequ.), und ohnehin war schon zu Justinian’s Zeit der Unterschied zwischen Interdict und actio eine blose Antiquität.
(2) Auf die vis quotidiana
geht L. 1. de vi, auf die vis armata aber L. 3. de vi (Cuiac. in Paul. V. 6. §.
3.). Auch erklärt sich daraus die Rubrik der Pandekten: „de vi (sc. quotidiana)
et de vi armata.“ – Die Spuren der einzelnen Rechtssätze werden unten
vorkommen.
(367) Interdicte.
neuesten Recht also giebt es nur Ein Int. de vi, und dieses richtet sich theils nach der vis armata theils nach der vis quotidiana des alten Rechts: da indessen beide Interdicte nur in einzelnen bestimmten Puncten von einander abweichen, so wird es hinreichend seyn, bey der Darstellung des neuesten Rechts selbst blos diese Abweichungen zu bemerken.
Die erste Bedingung dieses Interdicts ist die, daß der Kläger juristischen Besitz würklich erworben habe. Für das neueste Recht kann an der Richtigkeit dieser Bestimmung nicht gezweifelt werden, da die Gesetze eben so deutlich sagen, daß Besitz überhaupt nöthig, als daß civilis possessio unnöthig sey, wenn dieses Interdict gebraucht werden soll (1). Desto schwerer ist diese Frage für das ältere Recht zu beantworten. Cicero nämlich sagt ausdrücklich, das Int. de vi armata sey gar nicht durch Besitz bedingt (2), und diese Behauptung ist wohl einer nähern Erwägung werth. Der Fall, in welchem Cicero als Advocat des Klägers auftritt, ist kurz dieser: Cäcina behauptet, ein Stück Land geerbt zu haben, Aebutius macht aus anderen Gründen auf das Eigenthum Anspruch: Cäcina will in das Grundstück hinein gehen, wird aber von Aebutius und einem Haufen
(1) L. 1. §. 9. 10. 23. de vi.
(2) pro Caec. Cap. 31. 32. (opp. Vol. 2. p. 306-308. ed. Beck.)
(368) Vierter Abschnitt.
bewaffneter Leute mit Gewalt zurück gehalten. Höchst wahrscheinlich war Cäcina noch gar nicht im Besitz gewesen, denn Cicero sagt zwar, daß Er besessen habe, aber diese Behauptung, die unter allen die entscheidendste gewesen wäre, kommt ganz zulezt, nur mit zwey Worten, und gleichsam zum Ueberfluß vor (1), so daß es offenbar Seine Absicht war, sie in Schatten zu stellen: und doch findet sich in diesen wenigen Worten mehr als Eine Spur, woraus gerade das Gegentheil jener Behauptung geschlossen werden kann (2). Wenn nun Cäcina in der That nie den Besitz gehabt hatte, so konnte Seine Sache blos dadurch gewonnen werden, daß der Richter den Besitz überhaupt zu diesem Interdict nicht für nöthig hielt: folglich war es die Aufgabe Seines Advocaten, diesen falschen Satz so wahrscheinlich als möglich zu machen, Cicero hat das
(1) pro Caec. C. 32. (l. c. p. 308. 309.).
(2) Vorzüglich wichtig sind
die Worte: „Caesenniam possedisse propter usumfructum non negas“ (s. o. S.
222): denn dadurch wird das folgende: „Caecina ... venit in istum fundum,
rationes a colono accepit, sunt in eam rem testimonia“ ganz unbedeutend, und
enthält durchaus keine Apprehension des Besitzes, indem blos für das Vergangene
abgerechnet worden war. Selbst Cras (p. 30.) findet die Worte „propter
usumfructum“ so bedenklich, daß Er sie wegstreicht, was zwar durch das Beyspiel
mehrerer Editoren, aber durch keine Handschrift unterstüzt wird (s. die Note
von Beck).
(369) Interdicte.
würklich gethan, und Er kann also hier nicht als historische Auctorität aufgeführt werden (1). Ein Ausdruck in jener Stelle bedarf indessen einer nähern Erklärung: „Cur ergo aut in illud quotidianum interdictum, unde ille me vi dejecit, additur, cum ego possiderem: si dejici nemo potest, qui non possidet: aut in hoc interdictum, de hominibus armatis, non additur, si oportet quaeri, possederit, nec ne?“ Cicero beruft sich hier auf den Gerichtsstyl, dieser war allgemein bekannt, also muß doch Etwas wahres dabey zum Grunde liegen, was nur etwa falsch ausgelegt wurde. Vielleicht läßt sich die Sache so erklären: das Int. de vi quotidiana wurde (die gleich folgenden Worte bey Cicero selbst machen es sehr wahrscheinlich) in dieser Formel gefordert: „unde ille me vi dejecit, cum ego nec vi, nec clam, nec precario ab illo possiderem.“ Der ganze Zusatz also enthielt blos die bekannten drey Exceptionen, und das „cum ego possiderem“ stand hier dieser Exceptionen wegen, nicht um den Besitz überhaupt zu bezeichnen,
(1) Auch Cras (p. 35) wagt es bey dieser einzigen Stelle nicht den Redner zu vertheidigen, und Er begnügt sich ausführlich zu beweisen, daß wegen Eines schlechten Grundes nicht gerade die ganze Sache für schlecht gehalten werden dürfe. – Dieselbe Meinung von dieser Stelle hatte schon Giphanius in Cod. tit. unde vi (expl. Cod. P. 2. p. 276).
(370) Vierter Abschnitt.
der ja schon durch das „unde me dejecisti“ deutlich genug ausgedrückt war. Bey der vis armata galten die Exceptionen überhaupt nicht, folglich wurde auch in der Formel der ganze Zusatz („cum ego ... possiderem“) weggelassen, ohne daß hier der Besitz zu Begründung des Klagrechts weniger nöthig gewesen wäre. Es ist also sehr wahrscheinlich, daß Cicero jene Auslassung benuzte, um eine Folge daraus zu ziehen, die eben so unrichtig, als für die Sache des Cäcina unentbehrlich war. – Unsere Juristen haben meistens die Behauptung des Cicero für wahr genommen, und so erklärt, als ob die blose Detention, ohne juristischen Besitz, Bedingung des Int. de vi armata gewesen wäre (1): allein dieser Unterschied wird nicht nur nicht ausdrücklich von Cicero angegeben, sondern Er kann ihn auch unmöglich gemeint haben: denn Cäcina war nicht etwa ein Pachter, dem nur der juristische Besitz der Sache abgeläugnet worden wäre, sondern Er hatte entweder juristischen Besitz, oder nicht einmal die blose Detention, so daß hier auf jenen Unterschied gar nichts ankommen konnte. Da nun für Uns die Stelle des Cicero die einzige Nachricht von der ganzen Sache enthält, so ist
(1) So z. B. Cuiacius in
Paul. V. 6. §. 3, und: in L. 18. de vi (lib. 26. quaest. Papin., opp. IV. p.
652. – Hier scheint der Satz sogar als geltendes Recht behandelt!).
(371) Interdicte.
es ein völlig willkührliches Verfahren, jenen Unterschied dennoch dabey zum Grunde zu legen. Westphal (1) vermeidet glücklich alle diese Schwierigkeiten: Er hält die Behauptung des Cicero für wahr, nimmt sie ganz buchstäblich, und erklärt folglich das Int. de vi armata zugleich für ein Int. adipiscendae und recuperandae possessionis.
Die zweite Bedingung dieses Interdicts ist gewaltsame Verletzung des Besitzes. Auch ist hier nicht, wie bey den vorigen Interdicten (S. 343.), jede Gewalt überhaupt hinreichend, sondern es muß „atrox vis“ (2) seyn. Atrox vis aber bezeichnet nicht den Grad der gewaltthätigen Handlung (3), sondern ihre Richtung auf die Person des Besitzers oder seines Repräsentanten (4). Persönliche Gewaltthätigkeit also
(1) Arten der Sachen (et)c. §. 245.
(2) L. 1. §. 3. de vi „Ad solam autem atrocem vim pertinet hoc interdictum.“ Westphal (§. 275.) übersezt das so: „eine ziemliche Gewalt.“ Er hätte sie besser „eine unziemliche Gewalt“ genannt.
(3) Deswegen steht folgende Stelle des Cicero gar nicht mit unserer Regel im Widerspruch (pro Caec. Cap. 16, p. 274.): „Cum de jure et legitimis hominum controversiis loquimur, et in his rebus vim nominamus, pertenuis vis intelligi debet.“
(4) L. 1. §. 29. de
vi „ ... Pomponius ait, vim (sc. in hoc interdicto) sine corporali vi locum non
habere.“ Ulpian läugnet gar nicht diesen
Satz, sondern Er bestimmt nur seine Anwendung. Nämlich
(372) Vierter Abschnitt.
ist die Bedingung, wodurch sich hier dieses Interdict von den Int. retinendae possessionis unterscheidet. Ob Waffen zu der gewaltsamen Störung des Besitzes gebraucht worden sind, oder nicht, ist nach dem neueren Recht ganz gleichgültig.
Dritte Bedingung: die Gewaltthätigkeit muß von dem Beklagten selbst verübt worden seyn. – Diese Regel hat indessen mehrere Ausnahmen: A.) Derjenige, mit dessen Willen die Handlung geschehen ist, z. B. indem er einem Andern den Auftrag dazu gab, hat dieselbe Verbindlichkeit, wie der Handelnde selbst (1). – B.) Der Erbe ist nur in soweit verbunden, als Er selbst vermittelst jener Handlung Etwas bekommen hat (in id quod ad eum pervenit) (2), oder ohne Seinen dolus bekommen haben würde (3). Nicht so der
ob die corporalis vis würklich ausgeübt, oder nur gedroht und vermieden wird, das soll keinen Unterschied machen: bey dem Int. uti possidetis war nicht einmal das lezte nöthig. – Ein zweiter Beweis für jene Erklärung der atrox vis liegt in L. 3. §. 1. quod metus: „ ... Vim accipimus atrocem“, nämlich in dem Edict: quod metus causa; in anderen Stellen wird die Gewalt, von welcher in diesem Edict die Rede ist (also die vis atrox) erklärt: „vis enim fiebat mentio, propter necessitatem impositam contrariam voluntati“ (L. 1. eod.) und: „Vis autem est majoris rei impetus, qui repelli non potest“. (L. 2. eod.)
(1) L. 1. §. 12-15, L. 3. §. 10-12. de vi.
(2) L. 1. §. 48, L. 3. pr., L. 9. pr. de vi, L. 11. C. de poss.
(3) L. 2. de vi.
(373) Interdicte.
Successor singularis, z. B. der Käufer des Hauses, aus welchem die dejectio geschehen ist: denn dieser steht in gar keiner Verbindlichkeit (1). – C.) War die Gewalt von Sclaven ausgeübt worden, und zwar ohne Willen des Herrn (s. o. A.), so hatte der Herr eine zweyfache Verbindlichkeit: Er muste erstens das Interdict selbst, wie jede andere actio ex delicto, als Noxalklage übernehmen, und zweitens herausgeben, was Er durch die Gewaltthätigkeit seiner Sclaven hinterher erworben hatte (id quod ad eum pervenerat) (2). Diese zweite Verbindlichkeit gilt sogar noch viel allgemeiner, nämlich in allen Fällen überhaupt, in welchen Wir unmittelbar durch die Gewaltthätigkeit die ein Anderer verübt hat, und ohne neue juristische Handlung, Etwas erworben haben (3).
Viertens: Durch die gewaltsame Handlung muß
(1) L. 3. §. 10. uti possidetis.
(2) L. 1. §. 11. §. 15-19. §. 21. de vi.
(3) Anwendungen: A.) L. 4. de vi: „Si vi me dejecerit quis nomine municipum, in municipes mihi interdictum reddendum, Pomponius scribit: si quid ad eos pervenit.“ – B.) L. 1. §. 20. de vi: „Si filiusfamilias vel mercenarius vi dejecerit, utile interdictum competit.“ (nämlich gegen den conductor des Sclaven, oder gegen den Vater, und zwar in id quod pervenit, denn davon war in den vorhergehenden Worten die Rede gewesen. – L. 16. de vi gehört noch nicht hierher).
(374) Vierter Abschnitt.
der Besitz verloren seyn (1), d. h. die Handlung selbst muß als dejectio betrachtet werden können (2). In welchen Fällen überhaupt durch körperliche Handlung (facto) der Besitz verloren werde, ist oben untersucht worden. In allen diesen Fällen also kommt es blos darauf an, ob fremde Gewalt die Ursache des Verlustes war, und diese Bestimmung wird gewöhnlich keine Schwierigkeit haben. So z. B. ist es ganz gleichgültig, ob die Gewalt würklich ausgeübt, oder aus einer gegründeten Furcht vermieden wird: eben so, ob der Besitzer aus seinem Hause herausgeworfen, oder hinein zu gehen abgehalten wird (3): und, diese beiden Regeln zusammen gefaßt, ist es sehr klar, daß der Besitzer, dessen Haus in seiner Abwesenheit besezt wird, als dejectus das Interdict gebrauchen kann, wenn Er gleich nicht einmal den Versuch macht, Seinen Besitz mit Gewalt zu behaupten (4). Dagegen ist das Interdict nie begründet, wenn durch Tradition der Besitz übertragen wird: selbst wenn die Tradition durch Furcht
(1) L. 1. §. 45. de vi (s. o. S. 118.).
(2) Dejicere war schon zur Zeit des Cicero technischer Ausdruck: vorher detrudere. Cic. pro Caec., Cap. 17. (p. 275.).
(3) „Ex aliquo loco“ und „ab aliquo loco dejicere“: beides zusammen ausgedrückt durch „unde dejecisti.“ Cic. pro Caec., Cap. 30. 31. (p. 302-305.).
(4) s. o. S. 292. Note 3, und
vorzüglich L. 3. §. 8. 9. de
poss. (s. o. S. 320. [et]c.).
(375) Interdicte.
bewürkt worden ist, können andere Klagen begründet seyn (1), das Interdict ist es nicht (2). – In den meisten Fällen also wird selbst die Anwendung des Begriffs der dejectio keine Schwierigkeit haben: Ein Fall muß indessen noch besonders bestimmt werden. Wer nämlich durch Gewalt den Besitz verliert, und unmittelbar darauf wieder mit Gewalt die Sache occupirt, hat den Besitz eigentlich nie verloren (3). Es wird also nicht als eine doppelte dejectio betrachtet, sondern als Eine, ungetheilte Handlung, wodurch der vorige Besitzer seinen Besitz mit Gewalt vertheidigte. Das practische Interesse dieser Ansicht ist bedeutend: enthielte die Handlung
(1) L. 9. pr. quod metus (Ulp. lib. 11. ad Ed.) „ ... Sed et si per vim tibi possessionem tradidero: dicit Pomponius hoc (huic) Edicto (sc. quod metus) locum esse.“
(2) L. 5. de vi (Ulp. lib. 11. ad Ed.): „Si rerum“ (Accurs. „al. incipit si metu et al. si rerum“) „tibi possessionem tradidero, dicit Pomponius, unde vi interdictum cessare: quoniam non est vi dejectus, qui compulsus est in possessionem inducere.“ – Cras (p. 21. not. 2.) vermuthet mit vieler Wahrscheinlichkeit, daß diese und die vorige Stelle (L. 9. quod metus) nur Eine Stelle gewesen seyen, folglich in der unsrigen gelesen werden müsse: „Si per vim“ etc.
(3) „Qui possessionem vi
ereptam, vi in ipso congressu reciperat, in pristinam causam reverti potius
quam vi possidere intellegendus est: ideoque si te vi dejecero, ilico tu me,
deinde ego te: unde vi interdictum tibi utile erit.“ Die Anwendung in den
lezten Worten kann erst bey den Exceptionen erklärt werden. L. 17. de vi.
(376) Vierter Abschnitt.
eine doppelte dejectio, so könnte die Rechtlichkeit der zweiten dejectio nur durch eine Exception gegen das Interdict des Andern behauptet werden, und diese Exception selbst gilt im neueren Recht gar nicht mehr (1): nach jener Ansicht hingegen ist eine Exception unnöthig, weil das Factum (dejectio) fehlt, wodurch allein das Interdict begründet seyn könnte, und die Rechtlichkeit der Handlung ist eine blose Folge des allgemeinen Rechts der Vertheidigung (2). Eine wichtige Anwendung dieser Regel betrifft den Besitz der Grundstücke, die in Abwesenheit des Besitzers occupirt werden (S. 192 [et]c.). Wenn nämlich der Besitzer in das Grundstück zurück zu kehren durch Gewalt verhindert wird, so hat Er nun erst, und zwar durch dejectio, den Besitz verloren (3): gelingt es Ihm also umgekehrt, Seinen Gegner zu vertreiben, so ist überhaupt keine dejectio
(1) L. 3. §. 9. de vi sagt zunächst nichts anderes als: „eine solche Handlung des vorigen Besitzers ist rechtlich“, welche Rechtlichkeit denn auch durch die Exception erklärt werden könnte, so daß daraus nicht auf jene Regel geschlossen werden müste. Allein da bey der vis armata, wovon in dieser Stelle die Rede ist, die Exception gar nicht galt, und da die Beschränkung „sed hoc confestim, non ex intervallo“ bey der Exception ganz falsch wäre, so ist dennoch die Stelle nicht anders als durch jene Regel zu erklären, so daß sie eben sowohl, als L. 17. de vi, den Beweis dieser Regel enthält.
(2) L. 1. §. 27. 28. de vi.
(3) L. 6. §. 1. de
vi.
(377) Interdicte.
vorgefallen, und der vorige Besitz ist nie verloren, sondern nur vertheidigt worden, so daß an der Rechtlichkeit dieser Handlung nicht gezweifelt werden kann.
Die fünfte Bedingung des Interdicts betrifft den Gegenstand des Besitzes: es muß eine unbewegliche Sache seyn, wenn das Interdict gelten soll (1). Da nun bey beweglichen Sachen derselbe Grund vorhanden ist den blosen Besitz zu schützen, wie bey unbeweglichen, so wäre es eine Inconsequenz, wenn nicht auch dabey ein Interdict oder eine andere Klage möglich wäre, wodurch das Int. de vi ersezt werden könnte. Ein Interdict dieser Art giebt es nicht (2): dagegen nennt Ulpian drey andere Klagen, durch welche das Int. de vi bey beweglichen Sachen entbehrlich werde: die condictio furtiva, actio vi bonorum raptorum, und actio ad exhibendum (3). Die condictio furtiva aber, wie das furtum selbst, durch dessen Daseyn sie bedingt ist, sezt Umstände voraus, auf welche bey
(1) L. 1. §. 3-8. de vi, Paulus V. 6. §. 5.
(2) Nämlich nach der richtigern Meinung, daß das Int. utrubi nie den verlornen Besitz zum Gegenstand haben kann.
(3) L. 1. §. 6. de vi: „Illud utique in dubium non
venit, interdictum hoc ad res mobiles non pertinere. Nam ex causa furti, vel vi
bonorum raptorum actio competit: potest et ad exhibendum agi.“ Die rei persecutio ex causa furti ist keine andere als
die condictio furtiva.
(378) Vierter Abschnitt.
dem blosen Besitze nichts ankommt: den lucri animus nämlich, die contrectatio, und in der Person des Klägers selbst ein Interesse, das durch ein anderes Recht begründet ist (1). Die actio vi bonorum raptorum ist auch durch ein solches rechtliches Interesse bedingt (2), und zugleich durch die Absicht des Räubers, ein solches Recht (auser dem blosen Besitze) zu verletzen (3). Die actio ad exhibendum endlich kann zwar auch ohne Rücksicht auf eine andere Klage gebraucht werden, allein dasselbe Interesse, was bey den vorigen Klagen erfordert wurde, ist auch hier nöthig (4). Demnach finden sich bey jeder dieser drey Klagen Bedingungen, die in dem Rechte des Besitzes nicht enthalten sind, und es lassen sich folglich Fälle denken, in welchen das Recht des blosen Besitzes gewaltsam verlezt ist, ohne daß irgend eine Klage gegeben ist, obgleich das Int. de vi sicher begründet seyn würde, wenn der Gegenstand des Besitzes eine unbewegliche Sache gewesen wäre. Diese Lücke muß so erklärt werden: jene drey Klagen sind älter als die Interdicte,
(1) L. 53. §. 4. L. 71. §. 1. de furtis.
(2) L. 2. §. 22-24. vi bon. rapt., §. 2. I. eod. Nur wird es in einigen Fällen weniger streng damit genommen als bey dem furtum.
(3) L. 2. §. 18. vi bon. rapt., §. 1. I. eod.
(4) L. 3. §. 9.
10. 11. ad exhibendum (S. 358.).
(379) Interdicte.
folglich waren durch sie die meisten Fälle des verlornen Besitzes beweglicher Sachen erschöpft, als die Interdicte eingeführt wurden. Die Interdicte aber, wie das ganze Edict, wurden nicht durch Räsonnement, sondern durch Bedürfniß veranlaßt, und es war daher sehr natürlich, daß man bey beweglichen Sachen nicht um einiger seltenen Fälle wegen ein eigenes Int. recuperandae possessionis erfand, wenn gleich eine strenge Consequenz auch hier darauf geführt haben müste, das Recht des blosen Besitzes zu schützen. Die Richtigkeit dieser Ansicht wird durch folgenden Umstand bestätigt. Wer als Repräsentant eines Andern den Besitz einer beweglichen Sache ausübt, kann dem Besitzer untreu werden, und selbst den Besitz der Sache erwerben: allein das Römische Recht bestimmt ausdrücklich, daß dieser Erwerb und Verlust des Besitzes nur durch eine solche Handlung des Repräsentanten vor sich gehen könne, worin zugleich ein furtum enthalten sey (1). Ein Grund dieser Ausnahme mag darin liegen, daß der Besitz nicht eher verloren seyn soll, bis die Sache als res furtiva der Usucapion entzogen sey: allein ein zweiter Grund, der noch allgemeiner ist als der erste, scheint hierher zu gehören. Der Besitzer nämlich soll nicht früher den Besitz (also das Int. utrubi) verlieren,
(1) L. 3. §. 18. de poss. (S. 313. 314.).
(380) Vierter Abschnitt.
bis Er zugleich durch das furtum des Repräsentanten eine neue Klage erworben hat, so daß also diese Bestimmung darauf ausgeht, die Fälle zu beschränken, in welchen das Recht des Besitzes einer beweglichen Sache verlezt wird, ohne daß der vorige Besitzer wegen dieser Verletzung klagen kann. – Diese ganze Beschränkung des Interdicts auf unbewegliche Sachen ist durch die Constitutionen aufgehoben worden. Valentinian nämlich verordnete, daß die gewaltthätige Besitznahme jeder Sache überhaupt eine zweyfache Folge haben sollte: erstens Restitution des Besitzes, und zweitens (als Strafe der Verletzung) Verlust des Eigenthums, oder, wenn der Verletzer nicht Eigenthümer sey, Bezahlung einer Summe, die dem Werthe des Eigenthums gleich sey (1). Blos die erste dieser zwey Obligationen gehört hierher, und darin ist eine reine Ausdehnung des Int. de vi auf bewegliche Sachen enthalten. Daß die Gesetzgeber selbst die Sache
(1) L. 3. C. Th. unde vi, L.
7. C. I. eod. (Blos die Veranlassung war speciell, das Gesetz selbst war gleich
Anfangs allgemein), §. 1. I. de vi bon. rapt., §. 6. I. de interd. – Blose
Anwendungen sind: L. 34. C. de loc., L. 10. C. unde vi., Nov. Theod. (Valent.)
Tit. 19. (bey Ritter p. 56.). – Frühere Spur desselben Rechtssatzes: L. 2. C. Th.
fin. reg., L. 4. C. I. eod. – Hauptschriftsteller für die historische
Erklärung: J. Gothofred zu den angeführten Stellen des Cod. Theod.
(381) Interdicte.
so betrachten, d. h. als blose Modification des alten Int. de vi, zeigt nicht nur die Verbindung mit dem Interdict, in welcher dieser Satz in den Quellen selbst vorgetragen wird (1), sondern auch besonders der Umstand, daß die Bedingungen seiner Anwendung durchaus nicht näher bestimmt werden, was bey der Wichtigkeit dieses Satzes, so wie der andern damit verbundenen Folge durchaus unbegreiflich wäre, wenn nicht eben darin eine stillschweigende Hindeutung auf die bekannten Bedingungen des Int. de vi enthalten wäre.
Die Würkung des Interdicts ist ganz einfach so zu bestimmen: Der dejectus muß wieder in die Lage gesezt werden, in welcher Er vor der dejectio war. – A.) Das erste also ist die Restitution des verlornen Besitzes selbst. Hat der Beklagte gegenwärtig diesen Besitz, so hat die Restitution ohnehin keinen Zweifel: aber auch wenn Er ihn nie gehabt oder wieder verloren hat, ist Er darum nicht weniger verbunden, ihn zu restituiren, d. h. den Werth desselben (2) zu
(1) L. 3. C. Th. unde vi, L. 7. 10. C. I. eod., §. 6. I. de interd.
(2) Dieser Werth des Besitzes
ist von dem Werthe der Sache, d. h. des Eigenthums, wohl zu unterscheiden, und
auf diesen lezten kommt hier nichts an. L. 6. de vi. – Die Glosse nimmt ganz
unrichtig an, der Werth der Sache müsse immer bezahlt werden, und das specielle
Interesse des Besitzes könne nur noch diesen Werth erhöhen.
(382) Vierter Abschnitt.
bezahlen (1). – B.) Auser dem verlornen Besitz selbst muß aller Schade ersezt werden, der durch die dejectio verursacht worden ist (2). Einige der wichtigsten Anwendungen der Regel sind diese: a.) Wenn durch die dejectio zugleich andere Sachen verloren worden sind, so
(1) L. 1. §. 42. de vi: „Ex Int. unde vi etiam is, qui non possidet, restituere cogetur.“ L. 15. eod. „Si vi me dejeceris ... quamvis sine dolo et culpa amiseris possessionem, tamen damnandus es, quanti mea intersit: quia in eo ipso culpa tua praecessit, quod omnino vi dejecisti ... “ (cf. L. 1. §. 36. eod.). – Eine merkwürdige Anwendung der Regel enthält die unmittelbar darauf folgende Stelle (L. 16. eod.): wenn nämlich ein filiusfamilias die dejectio vornimmt, so ist sein Vater verbunden in id quod pervenit (S. 373), es scheint also, daß der Sohn für dasselbe Object nicht mehr zur Restitution verbunden seyn müste, weil Er es gar nicht mehr hat; ganz anders nach unserer Regel, nach welcher der Sohn auch für dieses Object einstehen muß: „Interdicto unde vi uti potes, si a filiofamilias dejectus est, ut et ejus causa quod ad patrem pervenit ipse teneatur.“ So lesen: Ven. 1485, Lugd. 1513, Paris. 1536: eben so (nur mit einem zweiten „et“ vor „ad patrem“) Rom. 1476, Nor. 1483, Ven. 1494. – Die Florentinische Leseart ist auserordentlich abweichend, und offenbar corrupt: die des Haloander ist aus Mehreren compilirt.
(2) L. 1. §. 41. (cf. §. 31.) de vi: „ ... Vivianus refert, in hoc int. omnia, quaecunque habiturus vel adsecuturus erat is qui dejectus est, si vi dejectus non esset, restitui, aut eorum litem a judice aestimari debere: eumque tantum consecuturum, quanti sua interesset, se vi dejectum non esse.“
(383) Interdicte.
müssen auch diese oder der Werth derselben restituirt werden. In dieser Rücksicht konnte schon nach dem ältern Recht das Interdict auf bewegliche Sachen gehen, und selbst in den Worten des Edicts war dieser Fall besonders bestimmt (1): auf juristischen Besitz dieser Sachen kommt es nicht einmal an (2), und es ist bey ihnen, wie bey der Hauptsache selbst, ganz gleichgültig, ob der Beklagte den Besitz dieser Sachen hat oder nicht hat (3). – b.) Auch die Früchte der durch die dejectio verlornen Sachen müssen restituirt werden: sie werden berechnet von dem Augenblick der dejectio an (4), und es kommt nicht darauf an, ob der Beklagte sie würklich erhalten hat, sondern ob der dejectus sie hätte erhalten können (5). – c.) Ist die Sache nach der dejectio beschädigt worden (z. B. das Haus abgebrannt), so muß dieser Verlust ersezt werden, ohne Rücksicht auf die culpa des Beklagten (6). – d.) Eine sehr wichtige Frage endlich ist diese: wenn der Besitzer zugleich usucapirte, muß auch für die unterbrochene Usucapion Ersatz geleistet werden? (7) Nach der allgemeinen
(1) L. 1. pr. de vi: „ ... quaeque tunc ibi habuit.“ Commentar über diese Worte: L. 1. §. 32. 33. 34. 37. 38. eod.
(2) L. 1. §. 33. de vi.
(3) L. 1. §. 34. L. 19. de vi, Paulus V. 6. §. 8.
(4) L. 1. §. 40. de vi.
(5) L. 4. C. unde vi.
(6) L. 1. §. 35. de vi, Paulus V. 6. §. 8.
(7) Eine ganz andere Frage
(384) Vierter Abschnitt.
Vorschrift, daß der dejectus völlig schadlos gehalten werden soll, ist diese Frage zu bejahen, und selbst die Stelle der Pandekten, welche bey dem furtum das Gegentheil bestimmt (1), kann als Bestätigung dieser Entscheidung gelten. Denn der einzige Grund, den sie anführt, besteht darin, es sey hier kein solches Interesse vorhanden, das durch ein anderes, schon erworbenes Recht begründet werden könne: und gerade durch diese Beziehung auf ein rechtliches Interesse unterscheidet sich die obligatio furti von dem Rechte des blosen Besitzes (S. 378.). – Wenn über die einzelnen Sachen, die durch die dejectio verloren worden sind, kein Beweis geführt werden kann, so wird der Verlust selbst und der Werth desselben durch den Eid
ist es, worin dieser Ersatz besteht? Gesezt, es wären nur noch wenige Tage zu Vollendung der Usucapion übrig gewesen, so könnte ohne Bedenken der Werth des Eigenthums selbst dafür angenommen werden, da dieses schon so wahrscheinlich war. Auserdem läßt sich kein anderer Weg denken, die Sache mit völliger Sicherheit zu entscheiden, als durch Cautionen: vindicirt nachher der Eigenthümer, ehe die Zeit der ersten Usucapion geendigt ist, so hätte die Usucapion ohnehin nichts geholfen.
(1) L. 71. §. 1.
de furtis: „Ejus rei, quae pro herede possidetur, furti actio ad possessorem
non pertinet, quamvis usucapere quis possit: quia furti agere potest is, cujus
interest rem non subripi: interesse autem ejus videtur, qui damnum passurus
est: non ejus, qui lucrum facturus esset.“
(385) Interdicte.
des Klägers entschieden: nur muß vorher der Richter nach den Umständen ein maximum bestimmen, welches der Kläger nicht überschreiten darf (1).
Die Bedingungen und die Würkung des Interdicts sind jezt bestimmt, und es ist nichts mehr zu bestimmen übrig, als die Exceptionen, durch welche dieses Interdict beschränkt ist (2). – Die erste Exception betraf hier, wie bey den Int. retinendae possessionis, die Entstehung des Besitzes, aus welchen der Kläger vertrieben war. Hatte dieser Besitz selbst vi, clam oder precario angefangen, und zwar so, daß die Gewaltthätigkeit (et)c. (et)c. gegen den jezigen Beklagten selbst vorgefallen war (ab adversario vi possidere), so war das Interdict ausgeschlossen (3), nur
(1) L. 9. C. unde vi (Iuramentum Zenonianum). – Der Unterschied von dem gewöhnlichen Iuramentum in litem besteht darin, daß dieses lezte blos den Werth der geforderten Sache betrifft, alles andere aber als bewiesen voraussezt.
(2) Es ist gleich hier zu bemerken, daß das Int. de vi armata von allen Exceptionen frey war: Cic. pro Caec. C. 8. (p. 258): „P. Dolabella praetor interdixit, ut est consuetudo, de vi, hominibus armatis, sine ulla exceptione.“ C. 22. (p. 285): „Vim, quae ad caput et vitam pertinet, restitui sine ulla exceptione voluerunt.“ C. 32. (p. 308) „ ... ut, qui armatus de possessione contendisset, inermis plane de sponsione certaret.“
(3) Cic. pro Caec. C.
32. (p. 307): „In illa vi quotidiana ... ne id quidem satis est, nisi docet,
ita se
(386) Vierter Abschnitt.
gegen das Int. de vi armata galt diese Exception nicht (1). Der Grund, warum (auser diesem lezten Fall) die Exception zugelassen wurde, lag offenbar darin: der Beklagte hätte in allen diesen Fällen ein eigenes Int. recuperandae possessionis gehabt, das Er nach dem verlornen ersten Prozeß mit Erfolg hätte anstellen können, und es war wieder eine blose Abkürzung des Prozesses, daß
possedisse, ut nec vi, nec clam, nec precario possederit.“ Cic. ep. ad fam. VII. 13. (p. 390. ed. Graev.) „neque est, quod illam exceptionem in interdicto pertimescas, Quod tu prior vi hominibus armatis non veneris“ (Das „non“, das Manutius sehr seltsam erklärt, und Mehrere sogar wegstreichen wollen, gehörte zu der gewöhnlichen Formel der Exception, worin der Beklagte und auch der Prätor den Kläger anredete; vergl. L. 1. §. 7. de cloacis: „ ... non esse in interdicto addendum: quod non vi, non clam, non precario, ab illo usus“ (al. usus es): quod non steht für nisi. – Paulus V. 6. §. 7: „Qui vi, aut clam, aut precario possidet, ab adversario impune dejicitur.“ (Impune – nämlich so, daß kein Interdict zu befürchten ist, wovon hier allein die Rede war. Ein Verbrechen konnte es dennoch seyn). Fragm. Legis Thoriae (b. Sigon. de ant. Iul. Ital. II. 2, opp. ed. Argelat. T. 5. p. 388, auch bey: Brissonius de form. p. 135, und bey: Goesius p. 332) „Qui ... ex . possessione . vi . ejectus . est . quod . ejus . is . quei . ejectus . est . possederit . quod . neque . vi . neque . clam . neque . precario . possederit . ab . eo . quei . eum . ea . possessione . vi . ejecerit . jus . suum . persequi . liceto.“
(1) Cic. pro Caec. C. 32. (p. 307. 308).
(387) Interdicte.
man anstatt eines neuen Interdicts eine Exception gegen das erste Interdict gab. Nur Wer sich einer vis armata schuldig gemacht hatte, sollte diesen Vortheil nicht geniesen. – Justinian verwirft diese Exception ganz allgemein, ja Er behandelt diese Ungültigkeit als eine ganz bekannte Sache (1): unsere Juristen haben darüber allerley Meinungen. Bald soll Justinian das alte Recht stillschweigend geändert haben, bald soll die Aenderung selbst in einer verlornen Constitution vorgenommen worden seyn, bald soll Tribonian über das alte Recht völlig unwissend gewesen seyn (2): die lezte dieser Meinungen, die vorzüglich Hotmann vertheidigt, könnte wohl eher für unwissend gelten. Die ganze Sache bedurfte keines neuen Gesetzes, da sie sich als Folge eines andern sehr bekannten neuen Rechtssatzes von selbst verstand.
Nach den Constitutionen nämlich sollte durch die dejectio sogar das Eigenthum verloren werden, wenn dieses der Verletzer vorher hatte: um so mehr also
(1) §. 6. I. de interd. „Nam ei (sc. dejecto) proponitur interdictum Unde vi, per quod is, qui dejecit, cogitur ei restituere possessionem, licet is ab eo, qui dejecit, vi, vel clam, vel precario possidebat.“
(2) Duarenus in disp. anniv. I. 20, Hotomannus in obss. VII. 6, Cuiacius et Schulting in Paulum V. 6. §. 7.
(388) Vierter Abschnitt.
alles Recht aus dem blosen Besitz, wenn Er etwa vorher Besitzer der Sache gewesen war. Nun gründete sich diese Exception auf das vorige jus possessionis, welches früher gewaltsam verlezt worden war: also war es sehr natürlich, daß die Exception seit jenen Constitutionen nicht mehr gelten konnte, ohne daß es eines besondern Gesetzes darüber bedurfte (1). Daß Justinian’s Juristen selbst die Sache auf diese Art ansahen, folgt nicht nur aus der angeführten Stelle der Institutionen, die schwerlich auf eine andere Art zu erklären ist (2), sondern vorzüglich daraus, daß in den Pandekten mehrere Spuren des alten Rechts übrig geblieben sind, und doch recht künstlich alles das weggelassen ist, woraus eine Abweichung des alten Rechts direct (d. h. anders, als durch ein argumentum a contrario etc.) bewiesen werden könnte. Folgende Stellen dienen zu Beweisen dieser Behauptung (3):
(1) Schon Schulting (s. die vor. Note) glaubt, durch diese Constitutionen sey der neue Rechtssatz veranlaßt worden: allein den eigentlichen Zusammenhang scheint Er nicht deutlich gedacht zu haben, sonst hätte Er die übrigen Meinungen geradezu verwerfen müssen, die Er doch auch gelten läßt.
(2) Daß nämlich in diesem §. erst das Interdict selbst mit Inbegriff jener Modification (also überhaupt die rei persecutio), und dann die Strafe der Constitutionen angeführt, und bey der lezten allein die Constitutionen als Quelle genannt werden, beweist durchaus nicht dagegen.
(3) Schon daraus, daß in
(389) Interdicte.
L. 1. §. 30. de vi: „Qui a me vi possidebat, si ab alio dejiciatur, habet interdictum.“
L. 18. pr. de vi: „ ... emptorem quoque ... interdicto ... teneri: non enim ab ipso, sed a venditore, per vim fundum esse possessum ... “
L. 17. de vi: „ ... ideoque si te vi dejecero, ilico tu me, deinde ego te: unde vi interdictum utile tibi erit“ (1).
L. 14. de vi: „Sed si vi armata dejectus es, sicut ipsum fundum recipis, etiam si vi, aut clam, aut precario eum possideres (2):
L. 1. pr. de vi die Exception ausgelassen ist, die doch sicher in dem Edict stand, folgt nothwendig, daß die Art, wie in Justinian’s Gesetzgebung die Sache bestimmt ist, nicht durch blose Unwissenheit der Compilatoren verursacht worden seyn kann.
(1) Der erste Theil der Stelle lautete so: „wer in continenti den dejector wieder aus dem Besitze sezt, hat eigentlich nie den Besitz verloren.“ (S. 375). Daraus wird hier diese Folgerung gezogen: „wenn Ich Dir den Besitz mit Gewalt nehme, von Dir unmittelbar darauf (ilico) wieder vertrieben werde, in der Folge aber (deinde) denselben Besitz wieder gewaltsam occupire, so ist gegen Mich das Interdict von Würkung (utile tibi erit)“, d. h. es wird nicht durch eine Exception ausgeschlossen, was doch ohne Zweifel behauptet werden müste, wenn die zweite dejectio („ilico tu me“) eine wahre dejectio, und nicht vielmehr blose Vertheidigung des Besitzes gewesen wäre.
(2) und zwar ganz allgemein,
(390) Vierter Abschnitt.
ita res quoque mobiles omnimodo recipies.“
Die zweite Exception gegen das Interdict betrifft die Verjährung. Wenn nämlich Ein Jahr verflossen ist, so wird das Interdict durch diese Exception ausgeschlossen (1), allein diese Regel ist wieder durch folgende Ausnahmen beschränkt: A.) Insofern der Beklagte durch die dejectio etwas erlangt hat (in id quod ad eum pervenit), hat Er kein Recht auf diese Exception (2). Demnach kann gerade in dem ersten und wichtigsten Fall des Interdicts überhaupt, wenn nämlich der Beklagte den Besitz der Sache noch hat, und es dem Kläger um diesen Besitz selbst und nicht um Schadensersatz gilt, von der Exception kein Gebrauch gemacht werden (3). – B.) Bey der vis armata galt
ohne Unterschied, ob ab adversario oder ab alio vi, clam, precario besessen wird.
(1) L. 1. pr. de vi „ ... de eo ... tantummodo intra annum ... judicium dabo.“ – (L. 1. §. 39. eod. „Annus in hoc Interdicto utilis est.“ Cf. L. 2. C. eod.)
(2) L. 1. pr. de vi „ ... post annum de eo, quod ad eum, qui vi dejecit, pervenerit, judicium dabo.“ L. 7. §. 5. comm. divid. „ ... placuit, etiam post annum in eum, qui vi dejecit, interdictum reddi“ (nämlich unter jener Voraussetzung, die nicht ausgedrückt zu werden brauchte, weil sie sich in dem vorliegenden Fall von selbst verstand). Cf. L. 3. §. 1. de vi, L. 2. C. unde vi.
(3) Mann (!) kann über diese Exception unmöglich mehr Irrthümer haben, als Domat
(391) Interdicte.
die Exception nicht (1), aber von dieser Ausnahme ist in Justinian’s Gesetzbuch keine Spur übrig geblieben. – C.) Nach einer Constitution von Constantin (2) endlich fällt die Exception weg, wenn während des Besitzers Abwesenheit (3) Seine Leute aus dem Besitz gesezt werden. Hier soll das Interdict auf keine Zeit beschränkt seyn, ohne Unterschied ob der Besitzer selbst nach Seiner Rückkehr klagen will, oder ob noch vorher Seine Leute die Klage vorbringen: denn auch diesen hat die Constitution das besondere Recht ertheilt, ohne ausdrücklichen Auftrag und doch als Procuratoren des Besitzers das Interdict zu gebrauchen.
in wenigen Worten vorbringt (Loix civiles III. 7, S. 1. §. 18, und S. 2. §. 30.): „Wer mit Gewalt aus dem Besitz gesezt wird, behält noch Ein Jahr lang den Besitz, und durch diesen das Interdict: nach dieser Zeit ist der Besitz und das Interdict verloren, und es ist nichts mehr übrig als die Vindication.“ Was in den ordonnances steht, die Domat anführt, weis ich nicht: entschuldigen können sie Ihn nicht, da Er zugleich auf das Römische Recht Sich beruft.
(1) Cic. ep. ad fam. XV. 16. (p. 415. ed. Graev.) „postulabimusque, ex qua haeresi, vi, hominibus armatis dejectus sis, in eam restituare. In hoc interdicto non solet addi, In hoc anno. Quare si jam biennium, aut triennium est, ... in integro res nobis erit.”
(2) L. 1. C. si per vim (L. 1. C. Th. unde vi).
(3) Die Abwesenheit selbst aber ist hier etwas anders zu bestimmen als bey dem Verlust des Besitzes: hier ist nämlich blos von langer Abwesenheit die Rede.
(392) Vierter Abschnitt.
§. 41.
Das Interdictum de clandestina possessione scheint ganz dem Int. de vi ähnlich gewesen zu seyn. So wie dieses, sezte es nach der ganzen Analogie zuerst juristischen Besitz voraus. Dieser Besitz muste verloren seyn, und auf die unrechtliche Form der Handlung, welche den Verlust nach sich zog, gründete sich das Recht, durch dieses Interdict den Besitz wieder zu fordern. Clandestina possessio nämlich heist ein solcher Besitz, dessen Apprehension einem Andern, dessen Widerspruch man befürchtete, verheimlicht worden ist (1). Auf den Anfang des Besitzes also kommt alles an: ist durch diesen Anfang der Besitz als clandestina possessio bestimmt, so hört er nicht auf es zu seyn, wenn er gleich nachher dem Andern bekannt gemacht wird (2): eben so wird umgekehrt der Besitz nicht etwa dadurch zu einer clandestina possessio, wenn der Besitzer erst nach dem Erwerb ihn zu verheimlichen anfängt (3).
(1) L. 6. pr. de poss. „Clam possidere eum dicimus, qui furtive ingressus est possessionem ignorante eo, quem sibi controversiam facturum suspicabatur, et, ne faceret, timebat.“
(2) L. 40. §. 2. de poss. „ ... si sciens tuum servum non a domino emerim, et tum (al. cum) clam eum possidere coepissem, postea certiorem te fecerim: non ideo desinere me clam possidere.“
(3) L. 6. pr. de poss. „ ... Is autem, qui cum possideret non clam se celavit, in ea causa est, ut non videatur
(393) Interdicte.
Eine ganz besondere Ausnahme liegt darin, daß der Eigenthümer der Sache, wenn gleich Sein Besitz in der That einen solchen Anfang hat, dennoch nicht als clandestinus possessor betrachtet wird (1). – Aus diesem Begriff der clandestina possessio ist es klar, daß sie nicht nothwendig Verletzung eines fremden Besitzes seyn müsse. Wer z. B. eine gestohlene Sache, von der Er weis, daß sie gestohlen ist, heimlich kauft, hat dabey die Absicht, die Sache vor dem Eigenthümer verborgen zu halten: Sein Besitz also ist eine clandestina possessio (2), weil er gleich bey seiner Entstehung vor der Person verborgen gehalten wird, deren Widerspruch man fürchtet, allein dieser Widerspruch würde sich nicht auf das jus possessionis gründen, weil der Besitz selbst längst verloren ist, sondern auf das Eigenthum. Demnach ist hier eine clandestina possessio,
clam possidere: non enim ratio obtinendae possessionis exquirenda est.“ Dagegen: L. 4. pr. pro suo („ ... tum enim clam possedisse videberis“), allein diese Stelle bezieht sich wohl auf das besondere Recht der ancilla furtiva, das ohnehin so viel abweichendes hat. Cuiac. in L. 40. §. 2. de poss. (African. Tr. 7. – Nachher anders und schlechter: in L. 6. de poss., opp. VIII. 268.). Andere betrachten es als eine Ausnahme für das furtum überhaupt. Glossa in L. 6. de poss., Duaren. in L. 6. de poss. (opp. p. 865).
(1) L. 40. §. 3. de poss. – Cuiacius in h. L. (Afric. Tr. 7.).
(2) L. 40. §. 2. de poss.
(394) Vierter Abschnitt.
welche sich nicht auf fremden Besitz bezieht. Dieser allgemeine Begriff der clandestina possessio muß überall vorausgesezt werden, wo nicht ein besonderer Grund seiner Beschränkung nachgewiesen werden kann. Bey jeder exceptio clandestinae possessionis also liegt er würklich zum Grunde (S. 352. 362. 385). Ganz anders bey dem Interdicte, wovon hier die Rede ist. Da nämlich alle possessorischen Klagen blos auf verlezten Besitz sich beziehen, so kann auch Verheimlichung des Besitzes blos insofern ein Interdict begründen, als in dieser Verheimlichung die (unrechtliche) Form liegt, wodurch ein fremder Besitz aufgehoben wird.
Also ein juristischer Besitz muste entzogen seyn, und durch die Art, wie dieses geschah, muste der neue Besitz als clandestina possessio betrachtet werden können, wenn das Interdict möglich seyn sollte. Zu diesen Bedingungen ist endlich noch die hinzuzusetzen, daß eine unbewegliche Sache Gegenstand des Besitzes seyn müsse. Dieser Satz hat kein ausdrückliches Zeugniß für sich, wohl aber eine so vollständige Analogie, daß ein anderer Beweis fast entbehrlich ist. Das Int. de vi nämlich war bey beweglichen Sachen ausgeschlossen, und zwar deswegen, weil andere Klagen für diesen Fall bereits vorhanden waren, als die Interdicte überhaupt eingeführt wurden (S. 377). Diese anderen Klagen (mit Ausnahme der actio vi bonorum raptorum) galten
(395) Interdicte.
auf dieselbe Weise bey der clandestina possessio beweglicher Sachen, und es ist um so unwahrscheinlicher, daß dafür ein eigenes Interdict wäre gegeben worden, da es für die violenta possessio nicht geschah, die doch sicher als ein viel wichtigerer Fall betrachtet wurde.
Die Bedingungen dieses Interdicts sind jezt vollständig bestimmt, aber eine ganz andere Frage ist noch zu beantworten übrig: die Frage nämlich, ob ein solches Interdict überhaupt existirt? Warum diese Frage erst hier aufgeworfen werden kann, wird sich sogleich zeigen.
Für die Existenz dieses Interdicts ist nur Ein Zeugniß vorhanden, und selbst dieses ist sehr zweydeutig. Ulpian nämlich sagt bey einer ganz andern Gelegenheit: „Julian nimmt auch für die clandestina possessio ein eigenes Interdict an“: Er selbst erklärt sich darüber nicht (1). Dagegen wird nicht nur in der
(1) L. 7. §. 5. comm. divid. (Es ist die Rede von dem Rechte des Besitzers, auf ein judicium communi dividundo zu provociren): „Iulianus scribit, si alter possessor provocet, alter dicat eum vi possidere, non debere hoc judicium dari, nec post annum quidem: quia placuit, etiam post annum in eum, qui vi dejecit, interdictum reddi: et si precario, inquit, dicat eum possidere, adhuc cessabit hoc judicium: quia et de precario interdictum datur. Sed et si clam dicatur possidere qui provocat, dicendum esse ait, cessare hoc judicium: nam (al. nam et) de clandestina possessione competere interdictum inquit.“
(396) Vierter Abschnitt.
ganzen Darstellung der Interdicte in den Institutionen und Pandekten dieses Interdict nicht genannt, sondern es ist kein Fall mehr übrig, in welchem es angewendet werden könnte, indem in allen den Fällen, in welchen es sonst allein gegolten haben kann, jezt entweder kein Besitz verloren ist, oder das Int. de vi gebraucht werden kann. – Alles dieses erklärt sich leicht aus der historischen Untersuchung, die oben bey dem Verlust des Besitzes angestellt worden ist. Grundstücke nämlich werden solange besessen, als der Besitzer von einer neuen Occupation nichts weis, und daraus folgt, daß clandestina possessio, insofern sie auf ein fremdes jus possessionis sich bezieht, was bey dem Interdict immer der Fall seyn müste (S. 394), an Grundstücken nicht mehr möglich ist (S. 292). Aber das Interdict bezog sich überhaupt blos auf Grundstücke (S. 394), folglich ist seitdem auch das Interdict unmöglich geworden. Nun hat jener Satz mit allen seinen Folgen zu der Zeit des Labeo noch nicht gegolten (S. 293 [et]c.), folglich konnte in der noch früheren Zeit, in welcher die Interdicte eingeführt wurden, ein solches Interdict allerdings gegeben werden: zur Zeit des Papinian, Ulpian und Paulus war der Satz allgemein angenommen, also konnten diese Juristen das Interdict nicht mehr als gültig betrachten, und es konnte noch viel weniger in die Pandekten aufgenommen werden:
(397) Interdicte.
im Anfang und um die Mitte des zweiten Jahrhunderts war der Satz selbst noch nicht völlig entschieden, und gewiß noch nicht in allen seinen Folgen durchgeführt, also konnte Julian das Interdict noch als geltendes Recht anführen. – Ganz anders verhält es sich mit der exceptio clandestinae possessionis: diese sezte nicht nothwendig eine fremde possessio voraus (S. 394), und sie muste daher noch immer als gültig behandelt werden, wenn gleich das Interdict nicht mehr gebraucht werden konnte.
Unsere Juristen haben meistens dieses Interdict mit Stillschweigen übergangen, was nicht sowohl wegen der gelegentlichen Erwähnung des Julian, als wegen der Verbindung zu tadeln ist, in welcher überall die clandestina und violenta possessio genannt werden. Cujaz erwähnt nicht nur des Interdicts, sondern behauptet, es müsse noch jezt angewendet werden: aber die Erklärung, die Er von dem Fall seiner Anwendung giebt, ist freylich sehr unbefriedigend (1).
(1) Cuiacius in obss. IX. 33, in L. 40. §. 2. de poss. (African. Tr. 7.), et in L. 6. §. 1. pr. de poss. (opp. VIII. 267. 268.).
(398) Vierter Abschnitt.
§. 42.
Eigene Quellen für das Precarium:
Paulus Lib. 5. Tit. 6. §. 10-12.
Digest. Lib. 43. Tit. 26. s. die Einl.
Cod. Lib. 8. Tit. 9.
Schriftsteller:
Christ. Rau s. Aug. Corn. Stockmann diss. de precario, Lips. 1774.
I. G. Vogel diss. de precario. Gött. 1786.
Beide Schriften sind nicht sehr bedeutend.
Wenn die blose Ausübung eines Rechts einem Andern übertragen werden soll, so kann das unter sehr verschiedenen juristischen Formen geschehen: der Pacht z. B., das commodatum
u. s. w. sind nichts als solche Formen, durch welche die blose Ausübung des Eigenthums gewöhnlich auf bestimmte Zeit von dem Eigenthum selbst getrennt wird. In allen diesen Fällen ist durch jene juristische Form selbst für das Recht der Zurückforderung gesorgt: nicht so, wenn ohne alle juristische Form, wie z. B. durch ein bloses pactum, jenes Geschäft vor sich gegangen ist. Allein für zwey Fälle dieser Art haben die Gesetze ein eigenes Recht der Zurückforderung bestimmt. Wer nämlich die Ausübung des Eigenthums (d. h. den natürlichen Besitz), oder die Ausübung einer Servitut, einem Andern verstattet,
(399) Interdicte.
Sich selbst aber das Recht vorbehält, nach Willkühr diese Erlaubniß zurück zu nehmen, hat dieses besondere Recht, und das juristische Verhältniß das dadurch entsteht, heist precarium (1). Der Name dieses Verhältnisses ist daher entstanden, daß die Erlaubniß selbst durch eine Bitte veranlaßt zu werden pflegt: nothwendig ist diese Bitte durchaus nicht, ja selbst eine stillschweigende Erlaubniß ist hinreichend (2). – Hierher übrigens gehört nur noch der erste der beiden Fälle, welcher die Ausübung des Eigenthums betrifft.
Wenn also die Detention auf diese Weise übertragen wird, so ist es Regel, daß damit zugleich der juristische Besitz übergeht, und es muß das Gegentheil besonders verabredet seyn, wenn diese Regel nicht gelten
(1) L. 2. §. 3. de prec. „Habere precario videtur, qui possessionem vel corporis vel juris adeptus est, ex hac solummodo causa, quod preces adhibuit, et impetravit, ut sibi possidere aut uti liceat.“
(2) Paulus V. 6. §.
11: „Precario possidere videtur non tantum qui per epistolam, vel quacunque
alia ratione hoc sibi concedi postulavit, sed et is, qui nullo voluntatis
indicio, patiente tamen domino possidet.“ Cujaz
(in einer Note zu dieser Stelle) beschränkt das auf die Fortsetzung eines
früheren precarii, und zwar ohne allen Grund, wenn nicht der folgende §. bey
Paulus diesen Grund enthalten soll: „ ... magis dicendum est, clam videri
possidere (also nicht precario): nullae enim preces ejus videntur adhibitae.“
Allein gerade diese lezten Worte fehlen in der edit. princ. (s. die Note von
Hugo.)
(400) Vierter Abschnitt.
soll (S. 237 [et]c.). In beiden Fällen aber kann die Erlaubniß nach Willkühr zurück genommen werden: wird die Sache dennoch nicht zurück gegeben, so ist nun der Besitz unrechtlich (vitiosa, injusta possessio) (1) und kann auf ähnliche Weise durch ein Interdict eingeklagt werden, wie der gewaltsame Besitz. Demnach gehört das precarium hierher, und blos hierher, denn die vitiosa possessio ist das einzige, was hier ein juristisches Verhältniß begründet, und als Vertrag wird es durchaus nicht betrachtet (2). Eine Folge davon ist
(1) Einige Gesetze nennen die precaria possessio: justa, andere: injusta, offenbar weil sie beides würklich ist, nur zu verschiedenen Zeiten: sie fängt an, injusta zu seyn, sobald die Restitution verweigert ist. Dieser Misbrauch des guten Willens und Zutrauens hat hier dieselbe Würkung, wie bey der violenta possessio die Gewalt. Cuper (II. 7.) verwirft diese sehr natürliche Vereinigung der Gesetze, die längst vorgeschlagen und angenommen war: Sein Hauptgrund dagegen ist der, daß nicht etwa das revocatum precarium, sondern das precarium schlechthin als Grund einer injusta possessio mit vi und clam bey den Exceptionen verbunden werde: allein wenn eine Exception gebraucht wird, so versteht es sich ja von selbst, daß die Erlaubniß zurückgenommen ist.
(2) Alles dieses ist sehr klar bestimmt in: L. 14, L. 22. §. 1. de prec., L. 14. §. 11. de furtis, und es wird dadurch bestätigt, daß das Interdict sogar wegfällt, wenn ein anderes Klagrecht, aus einem juristischen Geschäft, vorhanden ist. L. 2. §. 3. de prec. („ex hac solummodo causa“), L. 15. §. 3. eod. – Aus zwey Gründen könnte jedoch der Satz bezweifelt
(401) Vierter Abschnitt.
es, daß das Recht der willkührlichen Zurückforderung selbst dadurch nicht ausgeschlossen wird, wenn der, welcher die Erlaubniß gab, jenem Rechte entsagt (1): da doch die Klage aus einem Vertrage immer durch eine exceptio pacti beschränkt werden kann.
Die obligatio betrifft nur den, welcher durch das precarium den Besitz bekommen hat, einerley ob Er selbst darum bat, oder durch Andere bitten lies (2). – Der Erbe besizt die Sache nicht eigentlich als ein precarium (3), so daß auch das Interdict nicht so wie in andern Fällen gebraucht werden kann (4):
werden: A.) in L. 23. de R. I. heist das precarium ein Contractus: allein dieses Wort wird da offenbar für jeden möglichen Grund einer Obligation genommen, denn auch tutela und negotiorum gestio ist darunter begriffen. – B.) in späteren Zeiten wurde auser dem Interdict auch eine actio (praescriptis verbis) gegeben L. 2. §. 2, L. 19. §. 2. de prec., Paulus V. 6. §. 10. Allein das heist nur, der Kläger soll nun zwischen beiden Prozeßarten die Wahl haben. Die Natur der obligatio selbst wurde dadurch nicht geändert.
(1) L. 12. pr. de prec. – G. F. Kraus diss. de precario ad certum tempus dato, Viteb. 1750.
(2) L. 4. §. 2., L. 6. §. 1, L. 13. de prec.
(3) L. 12. §. 1. de prec. – Eine wichtige Folge ist die, daß nun die accessio possessionis (S. 127) wegfällt.
(4) Darauf gehen einige Stellen, die das Interdict schlechthin (d. h. in seiner regelmäsigen [!] Gestalt) für diesen Fall versagen: L. 11. de div. temp. praescr., Paulus V. 6. §. 12. (wenn nämlich die lezten Worte ächt [!] sind).
(402) Vierter Abschnitt.
noch gilt auch hier das Interdict, insofern der Erbe selbst durch das precarium etwas erlangt hat (in id quod ad eum pervenit) (1). – Gegen den Eigenthümer der Sache kann das Interdict um deswillen nicht gebraucht werden, weil in diesem Fall gar kein precarium von den Gesetzen anerkannt wird: die näheren Bestimmungen dieses Satzes sind schon oben (S. 239 [et]c.) vorgekommen.
Die obligatio selbst, welche der Gegenstand dieses Interdicts ist, ist zunächst auf Restitution der Sache gerichtet: auf den Ersatz ihres Werthes (wenn sie selbst verloren oder verdorben ist) nicht, auser insofern dolus oder lata culpa des Beklagten nachgewiesen werden kann (2). Allein von der Zeit an, in welcher die Klage angestellt wird, ist der Beklagte in mora: nun muß Er, wie bey den vorigen Interdicten, für jede culpa überhaupt einstehen, die Früchte der Sache zurückgeben – kurz, den Kläger ganz in die Lage setzen, in welcher derselbe seyn würde, wenn die freywillige Restitution nicht verweigert worden wäre (3).
(1) L. 8. §. 8. de prec., L. 2. C. eod.
(2) L. 2. pr. de prec. „Ait Praetor, quod precario ab illo habes, aut dolo malo fecisti ut desineres habere, qua de re agitur, illi restituas.“ L. 8. §. 6. eod. „Et generaliter erit dicendum, in restitutionem venire dolum et culpam latam dumtaxat, cetera non venire.“ Cf. L. 8. §. 3. 5. eod., L. 23. de R. I.
(3) L. 8. §. 4. 6. de prec.
(403) Interdicte.
Besondere Exceptionen giebt es bey diesem Interdict nicht, namentlich keine, die sich auf Verjährung gründet (1): und selbst die allgemeine Verjährung, die das neuere Recht eingeführt hat, kann doch nur in dem Fall angewendet werden, wenn nach der verweigerten Restitution der Besitz noch 30 Jahre fortgesezt worden ist.
§. 43.
Das ganze Recht der possessorischen Interdicte, welches bis hierher dargestellt worden ist, beruhte auf bestimmten Formen der Verletzung des Besitzes, aus welchen allein die obligatio entstand, die durch die Interdicte verfolgt werden sollte. Viele Juristen betrachten diese ganze Theorie als blose Antiquität: durch die Constitutionen nämlich sey ein allgemeines Rechtsmittel eingeführt, wodurch jeder verlorne Besitz überhaupt wieder gefordert werden könne, ohne Rücksicht auf die Art wie er verloren worden sey: durch dieses allgemeine Klagrecht seyen die alten Interdicte nicht sowohl aufgehoben, als ganz überflüssig geworden (2). Nach dieser
(1) L. 8. §. 7. de prec.
(2) Cujaz hat vorzüglich diese Behauptung aufgestellt (obss. I. 20, XIX. 16, paratit. in Cod. tit. unde vi, Comment. in Cod. tit. unde vi in opp. T. 9. p. 1148. 1153. 1159.) und Ihm sind viele Andere gefolgt. – Dagegen sind: Giphanius in proleg. lib. 8. Cod. (expl. Cod. P. 2. p. 269.), Westphal §. 320, Fleck de interd. p. 66-71.
(404) Vierter Abschnitt.
Ansicht wäre das neue Recht der possessorischen Klagen eben so unbestimmt und willkührlich, als das alte Recht bestimmt und zusammenhängend war, und es ist um so nöthiger, die historische Richtigkeit derselben strenge zu prüfen.
Der neue Rechtssatz selbst soll nicht sowohl in einem einzelnen Gesetz eingeführt, als in mehreren Constitutionen als entschieden vorausgesezt seyn. Allein selbst ohne diese Constitutionen erklärt zu haben, kann man ihn bestimmt widerlegen. Justinian nämlich hat nicht nur in den Pandekten ganz das alte Recht aufgenommen, sondern selbst in den Institutionen wird es vorgetragen, und zwar hier mit den neueren Modificationen, die zum Theil erst von Justinian selbst hinzugesezt waren, zum deutlichen Beweise, daß es nicht blos Antiquität, sondern practisches Recht ist, was daselbst gelehrt wird. Ja, was noch entscheidender ist, in einer der neuesten Constitutionen, die das neue Recht beweisen sollen (1), wird gerade im Gegentheil das alte Recht als geltend vorausgesezt, indem für einen ganz speciellen Fall ein eigenes Klagrecht blos deswegen eingeführt wird, weil die alten Interdicte für diesen Fall nicht zureichten. Das also ist schon jezt entschieden, daß jener Rechtssatz nicht
(1) L. 11. C. unde vi.
(405) Interdicte.
der Inhalt der Constitutionen seyn kann, deren Erklärung nun gegeben werden soll.
A.) L. 5. C. unde vi (1):
„Invasor locorum poena teneatur legitima: si tamen vi loca eadem invasisse constiterit. Nam si per errorem aut incuriam domini loca ab aliis possessa sunt: sine poena possessio restitui debet.“
„Also – soll der Besitz auch dann wieder gefordert werden können, wenn er nicht durch Gewalt verloren worden ist.“ – Allein den Besitz fordert auch der Eigenthümer durch die Vindication, und daß gerade davon die Rede sey, zeigt der Ausdruck „domini“ deutlich genug (2). Die ganze Stelle ist also nur, wie so viele andere, von Tribonian an einem unrichtigen Orte eingerückt worden.
(1) Vergl. L. 1. C. Th. fin. reg. – Cuiac. obss. XIX. 16, I. Gothofr. in L. cit. C. Th., Goesius in notis ad scr. rei agr. p. 183. (auch bey Ritter zu der Stelle des Cod. Th.), Westphal §. 320, Fleck de interd. p. 67.
(2) Cujaz selbst erklärt in einer ganz ähnlichen Stelle (L. 6. C. de poss.) die restitutio possessionis auf dieselbe Art (Comm. in Cod., opp. IX. 1016), ohne sich hier dieser Erklärung zu erinnern.
(406) Vierter Abschnitt.
B.) L. 8. C. unde vi (1):
„Momentariae possessionis interdictum, quod non semper ad vim publicam pertinet, vel privatam, mox audiri, interdum etiam sine inscriptione meretur.“ Also es soll Fälle geben, in welchen zwar das Interdict, aber keine accusatio ex lege Iulia möglich wäre. Solche Fälle lassen sich allerdings denken: wenn z. B. in Abwesenheit des Besitzers sein Grundstück ohne besondere Gewaltthätigkeit occupirt wird, und Er zurück zu kehren nicht wagt, so ist kein crimen vis begangen, das Interdict aber dennoch begründet (S. 374).
C.) L. 11. C. unde vi:
„Cum quaerebatur inter Illyricianam advocationem, quid fieri oporteret propter eos, qui vacuam possessionem (2)
(1) L. 8. C. Th. de jurisd. – Cuiac. obss. I. 20, Giphan. in h. L. (expl. Cod. P. 2. p. 288).
(2) Vacua possessio kann gesagt werden, theils von einer Sache die keinen Besitzer hat (S. 132.), theils von einem Besitz der eben jezt nicht körperlich ausgeübt wird (z. B. possessio fundi quae animo retinetur). Hier ist der Ausdruck in der ersten Bedeutung genommen, die ohnehin die technische ist: die Gründe werden weiter unten angegeben werden. Azo in Summa h. t. num. 31. (fol. 146), et in lect. in h. L.
(407) Interdicte.
absentium sine judiciali sententia detinuerunt, quia veteres leges nec Unde vi interdictum, nec quod vi aut clam, vel aliam quandam actionem ad recipiendam talem possessionem definiebant, violentia in ablatam possessionem minime praecedente, nisi domino tantummodo in rem exercere permittentes (1): nos non concedentes aliquem alienas res, vel possessiones (2) per suam auctoritatem usurpare, sancimus, talem possessorem, uti praedonem intelligi, et generali jurisdictione ea teneri, quae pro restituenda possessione contra hujusmodi personas veteribus declarata sunt legibus (3) ... si non ex
(p. 619), Glossa in h. L., Giphanius in h. L. (expl. Cod. P. 2. p. 295).
(1) Dieser Theil der Stelle macht sie selbst am deutlichsten. Der Fall nämlich muß nun nothwendig so gedacht werden, daß keine persönliche Klage nach dem ältern Recht statt finden könnte.
(2) Res, im Gegensatz von possessiones (S. 70) sind bewegliche Sachen: also beide zugleich soll das Gesetz umfassen, was auch sehr natürlich ist, da das Int. de vi längst auf bewegliche Sachen ausgedehnt war.
(3) d. h. es soll nach dieser
Ausdehnung des Int. recuperandae possessionis (s. de vi) auf diesen Fall, nun
auch alles das in demselben beobachtet werden, was bey dem Int. de
(408) Vierter Abschnitt.
die, ex quo possessio detenta est, triginta annorum excesserint curricula“ (1). Der Fall, welchen dieses Gesetz bestimmt, muß so gedacht werden: der Besitz einer Sache war durch blose Abwesenheit verloren worden (S. 305), und diese vacua possessio hatte ein Anderer occupirt (2). Für diesen Fall nun galt keine der bisherigen possessorischen Klagen, ja keine Klage überhaupt
vi schon nach altem Recht galt („quae ... contra hujusmodi personas (s. praedones) veteribus declarata sunt legibus“).
(1) Daß die Klage nicht über 30 Jahre dauert, ist eine Folge der allgemeinen 30jährigen Verjährung: daß sie nicht auf Ein Jahr beschränkt ist, erklärt sich aus der Voraussetzung daß der Beklagte selbst den Besitz der Sache noch hat, in welchem Fall auch das Int. de vi nicht auf Ein Jahr beschränkt ist (S. 390). Folglich enthält diese Bestimmung nichts besonderes, und sie ist wohl von einer ähnlichen Bestimmung der L. 1. C. si per vim zu unterscheiden, welche in der That eine Ausnahme vorschreibt (S. 391).
(2) Daß so und nicht anders der Fall gedacht werden müsse, ist oben vorausgesezt worden, und kann jezt bewiesen werden. Wäre nämlich erst durch die Occupation des jezigen Besitzers der vorige Besitz aufgehoben worden, so hätte bey Grundstücken das Int. de vi gegolten (S. 374), bey beweglichen Sachen die condictio furtiva. Der Fall aber ist nach Justinian’s eigener Erklärung so beschaffen, daß das alte Recht keine Klage gestattet hätte.
(409) Interdicte.
auser der Vindication. Justinian will, daß auf diesen Fall das Int. de vi angewendet werde: etwas Neues liegt darin allerdings, aber einmal betrifft dieses Neue einen einzelnen, sehr genau bestimmten Fall, und zweitens wird dadurch überhaupt keine Regel modificirt, welche für die possessorischen Klagen auserdem gegolten hätte. Denn da der Besitz schon vor der Occupation verloren war, so ist von einer unmittelbaren Verletzung des Besitzes gar nicht die Rede, so daß selbst die Entscheidung dieses speciellen Falls keine Aehnlichkeit mit der Regel hat, die als allgemeine Regel dadurch bewiesen werden sollte.
D.) L. 12. C. de poss.
Die Stelle selbst ist oben erklärt worden (S. 323 [et]c.). Sie verordnet, daß in bestimmten Fällen durch die Untreue des Repräsentanten der Besitz nicht verloren seyn solle: von einem besondern Klagrecht ist darin überhaupt nicht die Rede, am wenigsten von einer neuen actio recuperandae possessionis, da das Gesetz gerade die Fortdauer des Besitzes zum einzigen Gegenstand hat.
(410) Vierter Abschnitt.
E.) Endlich muß noch die blose Ueberschrift eines Titels (1) dahin gerechnet werden, die wohl viel zu jener unrichtigen Meinung beygetragen haben mag. Sie lautet so: „si per vim vel alio modo perturbata sit possessio.“ Was in diesen beiden Fällen einer perturbata possessio (per vim vel alio modo) erfolgen soll, ist nicht gesagt: dieser Erfolg kann also wohl nicht anders als aus den Constitutionen des Titels selbst bestimmt werden. Die erste dieser Constitutionen spricht blos von einer possessio per vim perturbata. Der Inhalt der zweiten ist dieser: „bey einem Rechtsstreit soll der Besitzstand weder durch ein Rescript des Kaisers, noch durch ein Decret des Richters geändert werden können, wenn Eine Partey abwesend ist.“ Diese Verordnung betrifft offenbar blos den Prozeß, und sie ist nur an einer unschicklichen Stelle von den Compilatoren eingeschaltet worden. Die Verletzung des Besitzes also, gegen welche das Gesetz gerichtet ist (possessio alio modo quam per vim perturbata) ist eine prozessualische Nullität, und hat mit einer solchen Verletzung, welche ein Interdict veranlassen könnte, nicht die geringste Aehnlichkeit.
(1) Cod. Iust. Lib. 8. Tit. 5.
(411) Interdicte.
Demnach ist das alte Recht der Interdicte durch die Constitutionen auf keine Weise aufgehoben oder entbehrlich gemacht worden, und die Ansicht des Besitzes, welche jenen Interdicten zum Grunde lag, ist auch in Justinian’s Gesetzgebung dieselbe geblieben.
(412)
Fünfter Abschnitt.
Iurium quasi Possessio.
§. 44.
Das Recht des Besitzes beruht auf dem Schutz der blosen Ausübung des Eigenthums gegen bestimmte Formen der Verletzung. Diese Formen der Verletzung und jener Schutz lassen sich auf dieselbe Weise auch bey solchen Rechten denken, die als einzelne Bestandtheile des Eigenthums von dem Eigenthum selbst abgesondert sind (Iura in re), und das Römische Recht hat diese Anwendung würklich gemacht. Das Verhältniß dieser Iurium quasi Possessio zum wahren Besitz ist oben entwickelt worden (§. 12). Hier sind dieselben drey Fragen zu beantworten, wie bey dem Besitze selbst, d. h. es ist der Erwerb, der Verlust und der Schutz durch Interdicte für die Iurium quasi Possessio zu
(413) Iurium quasi Possessio.
bestimmen. Diese Untersuchung aber muß für jede Classe jener Rechte besonders angestellt werden: daher zerfällt dieser Abschnitt in drey Theile:
1. Persönliche Servituten (§. 45).
2. Dingliche Servituten (§. 46).
3. Iura in re, die nicht unter die Servituten gehören (§. 47).
Für diese drey Classen von Rechten ist indessen noch eine allgemeine Bemerkung voraus zu schicken. Hier nämlich, wie bey dem eigentlichen Besitz, beruht der Erwerb und die Fortdauer des Rechts auf factum und animus zugleich. Allein die zweite dieser Bedingungen ist bey allen diesen Rechten ganz auf dieselbe Weise, wie bey dem Besitze selbst, zu bestimmen. Ohne animus possidendi also kann keine Iuris quasi Possessio erworben werden, und durch blosen animus non possidendi muß das Recht des Besitzes jedesmal aufhören. Deswegen mag diese allgemeine Bemerkung hinreichend sein, und bey den einzelnen Rechten selbst wird des animus possidendi nicht mehr Erwähnung geschehen.
§. 45.
Die persönlichen Servituten (d. h. vorzüglich ususfructus und usus) haben das Eigenthümliche, daß die Ausübung derselben immer mit dem natürlichen Besitz der Sache selbst verbunden ist. Darum hat ihre quasi
(414) Fünfter Abschnitt.
Possessio mehr Aehnlichkeit mit dem eigentlichen Besitz, als die der übrigen Rechte, und diese Aehnlichkeit zeigt sich nicht nur in dem Erwerb und Verlust, sondern auch in den Interdicten. Erworben also wird diese Art des Besitzes durch dasselbe factum, wie der Besitz der Sache selbst: namentlich durch Uebergabe der Sache, oder dadurch, daß der Eigenthümer in das Grundstück einführt, oder den fructuarius selbst Besitz nehmen läßt (1): vorausgesezt,
(1) L. 3. pr. de usufr. „Omnium praediorum jure legati potest constitui ususfructus, ut heres jubeatur dare alicui usumfructum. Dare autem intellegitur, si induxerit in fundum legatarium, eumve patiatur uti frui. Et sine testamento autem si quis velit usumfructum constituere, pactionibus et stipulationibus id efficere potest.“ Die „pactiones et stipulationes“ gehen nicht auf den Besitz, sondern auf die justa causa, durch welche die Einführung in den Besitz (die traditio) allererst fähig wird, das Recht selbst zu übertragen. Uebrigens mag wohl in der ganzen Stelle von den Compilatoren etwas ausgelassen oder geändert worden seyn, denn nach dem alten Recht verhielt sich die Sache sehr wahrscheinlich so: war der Gegenstand eine res mancipi, so wurde auch der ususfructus mancipirt, und die Tradition begründete auser der Iuris quasi Possessio nur eine publiciana actio (possessio ususfructus, s. o. S. 72). L. 11. §. 1. de public., L. 1. pr. quib. mod. usfr. – Bey einer res nec mancipi wurde schon durch blose Tradition das jus ususfructus begründet. – Cessio endlich hatte diese Würkung immer, ohne Unterschied der res mancipi und nec mancipi (Ulp. XIX. 11).
(415) Iurium quasi Possessio.
daß dieses alles in bestimmter Beziehung auf den ususfructus geschehe.
Fortgesezt wird dieser Besitz, wie jeder andere Besitz, durch die ununterbrochene Möglichkeit das factum acquisitionis zu reproduciren (1). – Auch darin kommt dieser Besitz mit jedem andern überein, daß er durch Repräsentanten, z. B. durch Pachter, fortgesezt werden kann, und nur in der Anwendung dieser Regel ist es nöthig, einige Fälle besonders zu erörtern: A.) Das Recht dieser Servituten ist an eine bestimmte Person gebunden, folglich unveräuserlich, folglich hat selbst die Veräuserung derselben (durch Verkauf, Schenkung [et]c.) im wesentlichen keine andere Würkung als eine blose Verpachtung: es entsteht ein blos persönliches Recht gegen den fructuarius, und nur die Form dieser obligatio ist verschieden. Die Folge dieses Satzes für den Besitz ist die, daß in allen den Fällen, in welchen der Besitz einer Sache übertragen zu werden pflegt, der Besitz des ususfructus etc. ungeändert bleibt, so daß der fructuarius auf gleiche Weise das Recht des Besitzes behält, Er mag den ususfructus blos verpachten, oder aber verkaufen, verschenken, oder
(1) Selbst das besondere Recht des Besitzes an einem servus fugitivus gilt auch hier, und es ist hier sogar noch vortheilhafter bestimmt. L. 12. §. 3. 4. de usufructu.
(416) Fünfter Abschnitt.
durch precarium einem Andern überlassen (1). – B.) Auch an den Eigenthümer der Sache kann der ususfructus verpachtet werden, so daß nun durch den Eigenthümer der Besitz fortgesezt wird. Wenn aber der Eigenthümer die Sache ohne Rücksicht auf den ususfructus, (d. h. ohne ihn vorzubehalten) verkauft, oder in eigenem Namen (also gleichfalls ohne Rücksicht auf den ususfructus) verpachtet, so ist dadurch der Besitz aufgehoben (2).
Die Interdicte endlich sind hier ganz dieselben, wie bey dem eigentlichen Besitz, und dieser Umstand mag wohl am meisten dazu beygetragen haben, beide
(1) L. 12. §. 2. de usufructu: „Usufructuarius vel ipse frui ea re, vel alii fruendam concedere (für dieses lezte folgen nun Beyspiele), vel locare, vel vendere potest: nam et qui locat, utitur: et qui vendit, utitur. Sed et si alii precario concedat vel donet, puto eum uti: atque ideo retineri usumfructum ... “ Die lezten Worte beziehen sich darauf, daß durch non usus in einer bestimmten Zeit der ususfructus selbst verloren wird: so ist also hier die Fortsetzung des Besitzes für die Erhaltung des Rechts selbst indirect nöthig.
(2) L. 29. pr. quib. mod. usfr. – Diese Stelle darf durchaus nicht bey der Streitfrage gebraucht werden, die oben (§. 33.) für den Besitz selbst abgehandelt worden ist. Denn einmal ist die Iuris quasi Possessio überhaupt mit dem eigentlichen Besitz nicht einerley, und zweitens kommt in diesem Fall alles auf das besondere Verhältniß des fructuarius zum Eigenthümer an, mit welchem Verhältniß bey dem eigentlichen Besitz sich gar nichts ähnliches findet.
(417) Iurium quasi Possessio.
Rechte mit einander zu verwechseln. Da nämlich die Ausübung dieser Servituten, wie die des Eigenthums, von dem natürlichen Besitz der Sache selbst abhängt, so ist die Art der Störung in beiden Fällen ganz dieselbe, und eben so wurde der Schutz gegen diese Störung in beiden auf gleiche Weise bestimmt:
I.) Ist der Gegenstand eine unbewegliche Sache, so ist das Int. uti possidetis anwendbar, wenn die Iuris quasi Possessio zwar gestört, aber nicht aufgehoben ist. Dieses Interdict ist demnach auf folgende Fälle anzuwenden: A.) wenn Mehrere an derselben Sache (d. h. an partibus indivisis) den ususfructus haben, und sich gegenseitig im Besitze stören, B.) wenn sich der fructuarius gegen Eingriffe des Eigenthümers schützen will oder umgekehrt (S. 221), C.) wenn ein Fremder, d. h. der gar kein Recht hat, den Besitz des fructuarius stört, D.) wenn verschiedene Rechte, z. B. usus und ususfructus, an derselben Sache neben einander bestehen, und die Ausübung derselben gegen wechselseitige Störung gesichert werden soll (1).
(1) L. 4. uti possidetis: „In summa puto dicendum, et inter fructuarios hoc interdictum reddendum, et si alter usumfructum, alter possessionem sibi defendat. Idem erit probandum, et si ususfructus quis sibi defendat possessionem: et ita Pomponius scribit. Proinde et si alter usum, alter fructum sibi tueatur, et his interdictum erit dandum.“
(418) Fünfter Abschnitt.
II.) Auf dieselbe Art, wie das Int. uti possidetis bey unbeweglichen Sachen, muß bey beweglichen das Int. utrubi auch auf diese Iuris quasi Possessio angewendet werden: daß diese Anwendung nicht ausdrücklich in den Gesetzen vorgeschrieben ist, erklärt sich leicht wenn man bedenkt, wie wenig überhaupt von dem Int. utrubi die Rede ist.
III.) Ist der Besitz nicht blos gestört, sondern gewaltsam aufgehoben, so ist das Int. de vi begründet (1). Nach dem alten Recht war es auch hier bey beweglichen Sachen ausgeschlossen, den Fall ausgenommen, wenn mit dem Grundstück zugleich solche Sachen (quae ille tunc ibi habuit) verloren wurden (2): die Ausdehnung dieser obligatio auf bewegliche Sachen, durch die Constitutionen, muß auch hier gelten, obgleich die Strafe der Constitutionen hier nicht anwendbar ist. Gegenstand der Klage ist erstens die Restitution der Sache, weil von dem natürlichen Besitz derselben die Möglichkeit der Ausübung jener Rechte abhängt: zweitens, vollständiger Schadensersatz (3). In vielen Fällen wird dieser Ersatz sogar
(1) L. 3. §. 13. 14. de vi, L. 60. pr. de usufructu (über ususfructus). L. 3. §. 16. de vi, L. 27. de donat. (über usus). – Huenerer diss. de restitutione usufructuarii ex int. unde vi, Arg. 1631. G. A. Struv. diss. de int. unde vi, quatenus usufructuarius ex eo restituatur, Ien. 1658.
(2) L. 3. §. 15. de vi.
(3) L. 9. §. 1. de vi: „Dejectum ab usufructu in eandem causam Praetor restitui jubet: id est, in qua futurus esset, si dejectus non esset.“
(419) Iurium quasi Possessio.
der einzige Gegenstand der Klage sein, wenn nämlich das Recht der Servitut selbst durch den Tod des fructuarius, oder durch capitis deminutio, oder durch non usus einstweilen aufgehört hat: in den zwey ersten Fällen betrifft der Ersatz blos die vergangene Zeit, weil auch ohne die dejectio der Verlust hätte erfolgen müssen (1): wenn dagegen durch non usus das Recht verloren worden ist, so enthält die dejectio selbst die Ursache des Verlustes, folglich muß nun der Ersatz zugleich auf die künftige Zeit gerichtet seyn (2).
IV.) Von dem Int. de clandestina possessione ist hier natürlich gar nicht die Rede, da selbst bey dem eigentlichen Besitz der Name desselben nur sehr zufällig aufbehalten worden ist.
V.) Endlich kann auch die Ausübung einer solchen Servitut precario einem Andern überlassen werden (3), und nun wird die Restitution der Sache schon nach den Worten des Edicts mit dem Int. de precario gefordert (4).
(1) L. 60. pr. de usufructu, L. 3. §. 17. de vi.
(2) L. 9. §. 1. L. 10. de vi.
(3) L. 12. §. 2. de usufructu.
(4) L. 2. pr. de prec. „ ... Quod precario ab illo habes ... id illi restituas.“ – L. 2. §. 3. eod. „Habere precario videtur, qui possessionem vel corporis vel juris adeptus est ... “
(420) Fünfter Abschnitt.
§. 46.
Der Besitz der dinglichen Servituten ist nicht so einfach zu bestimmen, wie der der persönlichen: es müssen hier mehrere Fälle genau unterschieden werden, und diese Fälle selbst sind zum Theil sehr streitig (1). Alle dingliche Servituten nämlich bestehen in einzelnen Ausnahmen von der allgemeinen Regel eines fremden Eigenthums: so daß entweder der, welcher das Recht der Servitut hat, etwas thun darf, das Ihm auserdem untersagt werden könnte, (servitus quae in faciendo consistit), oder daß der Eigenthümer etwas unterlassen muß, das Er auserdem thun dürfte (servitus quae in non faciendo consistit). Im ersten Fall ist das, was vermöge der Servitut geschehen darf, entweder eine eigene Handlung für sich, die nur mittelbar auf ein anderes Grundstück sich bezieht (z. B. jus itineris), oder es ist mit dem Besitz eines andern Grundstücks unmittelbar verbunden (z. B. jus tigni immittendi). Diese drey Classen von dinglichen Servituten sind hier sorgfältig zu unterscheiden (2).
(1) Oppenritter, Summa poss., P. 1. C. 5. de acquisitione quasi Possessionis: fast blos von dinglichen Servituten.
(2) Diese Eintheilung fällt
mit einer andern fast zusammen, was aber blos zufällig und eben deshalb nicht
allgemein wahr ist: nämlich die erste Classe enthält jura praediorum
rusticorum, die 2te und 3te jura praediorum urbanorum.
(421) Iurium quasi Possessio.
Erste Classe: Positive Servituten (serv. quae in faciendo consistunt), deren Ausübung in einer eigenen, unabhängigen Handlung besteht. – Im allgemeinen lässt sich hier der Erwerb der Iuris quasi Possessio so bestimmen: die Handlung, die den Gegenstand des Rechts ausmacht, muß irgend einmal ausgeübt sein, und zwar als ein Recht ausgeübt sein. Wer also über des Nachbars Grundstück geht, um mit diesem zu reden, hat dadurch kein jus itineris ausgeübt: wer dagegen ein solches Recht ausüben will, und es gegen den Widerspruch des Eigenthümers mit Gewalt durchsezt, hat allerdings den Besitz erworben, so daß die „patientia“ des Eigenthümers durchaus nicht zum Erwerb dieses Besitzes nöthig ist (1). Von dem
(1) L. 20. de serv. „ ...
Ego puto, usum ejus juris (es war von „jus fundi“ die Rede) pro traditione
possessionis accipiendum esse.“ Also „usus“ ohne nähere Bestimmung, ist das factum
acquisitionis. Derselbe Satz folgt aus den Exceptionen der einzelnen
Interdicte, welche Exceptionen („vi, clam, precario“), hier wie bey dem
eigentlichen Besitz, durchaus keinen Sinn hätten, wenn in den Fällen derselben
selbst das factum possessionis nicht behauptet werden könnte. Die Stellen, um
deren willen Man das Gegentheil behauptet (L. 11. §. 1. de public., L. 1. §. 2.
de serv. pr. rust.) reden nicht von dem Erwerb des Besitzes, sondern des Rechts
selbst, und damit verhielt es sich so: 1.) cessio und mancipatio begründeten
ein solches Recht in der That (Ulp. XIX. 1. 11.). 2.) Traditio gab nicht das
Recht selbst, sondern
(422) Fünfter Abschnitt.
Verluste des Besitzes kann, wie sich sogleich zeigen wird, bey den Interdicten nicht die Rede sein, und diese allein sind der Gegenstand unserer Untersuchung. – Die Interdicte endlich sind hier auf ganz eigene Art bestimmt, und die gewöhnlichen possessorischen Klagen können durchaus nicht gebraucht werden (1). Das int. de vi ist um deswillen nicht anwendbar, weil eine eigentliche dejectio sich nicht denken läßt (2): das int. de precario ist wenigstens ganz überflüssig: denn wer einem Andern precario verstattet, durch ein Grundstück zu gehen, und dann diese Erlaubniß zurück nimmt, kann durch das int. uti possidetis dieses Verbot durchsetzen (3), und ohnehin ist das int. de precario schon den Worten nach nur auf Rückgabe eines Gegebenen
nur eine publiciana actio (LL. cit.): aber auch dazu, wie zu jeder Tradition, gehört der Wille des tradens, und dieser sezt hier immer patientia voraus.
(1) Mehrere Juristen haben sie dennoch zugelassen, z. B. Busius in subtil. jur. VII. 5. – Dagegen s. Giphan. in Cod. tit. uti poss., P. 2. p. 302.
(2) L. 4. §. 27. de usurp.: „Si viam habeam per tuum fundum, et tu me ab ea vi expuleris: per longum tempus non utendo amittam viam: quia nec possideri intellegitur jus incorporale, nec de via quis, id est mero jure, detruditur.”
(3) Nämlich das Verhältniß
ist vollständig so zu bestimmen: der Eigenthümer hat vermöge seines blosen
Besitzes das int. uti possidetis: ist der Beklagte im Besitz der Servitut, so
gebraucht derselbe das int. de itinere, und zwar als Exception (S. 221): ist
aber der
(423) Iurium quasi Possessio.
gerichtet, was sich hier gar nicht denken läßt (1). Das int. uti possidetis also wäre das einzige, welches sich hier denken liese, und doch ist nicht dieses Interdict hier zugelassen, sondern es sind eigene Interdicte für die wichtigsten Fälle dieser Art gegeben (2): demnach gilt überhaupt nur in diesen bestimmten Fällen ein Klagrecht, und nur in den Formen, die von den Gesetzen ausdrücklich vorgeschrieben sind und jezt erklärt werden sollen.
I.) Ius Itineris, Actus, Viae.
Quelle: Digest. Lib. 43. Tit. 19.
Die erste Bedingung dieses Interdicts ist Besitz der Servitut, und dieser Besitz muß hier näher bestimmt werden. Darin nämlich kommt er mit aller Iuris quasi Possessio dieser Classe überein, daß das Recht
Besitz der Servitut auf ein precarium gegründet, so kann der Kläger den Besitz selbst zugeben, und dennoch die Exception durch eine Replik entkräften.
(1) Nämlich das habere precario läßt sich bey jedem jus in re denken (L. 2. §. 3. de prec.), und namentlich bey den Servituten dieser ersten Classe (L. 3. L. 15. §. 2. de prec.), aber nicht das restituere precarium, worauf das Interdict einzig und allein gerichtet ist (L. 2. pr. de prec.). Dennoch ist es auch bey diesen Servituten nicht gleichgültig zu wissen, ob sie sich auf precarium gründen oder nicht, weil davon wenigstens Exceptionen abhängen (L. 1. pr. de itin. etc.)
(2) L. 20. in f. de
serv. „ ... Ideoque et interdicta veluti possessoria constituta sunt.“
(424) Fünfter Abschnitt.
von dem Kläger selbst oder von andern Personen in seinem Namen (1) muß ausgeübt worden seyn, und zwar als ein Recht ausgeübt: wer also aus einer andern Ursache den Weg über ein fremdes Grundstück nimmt, z. B. weil der gewöhnliche Weg überschwemmt ist, hat dadurch gar keine Handlung eines Besitzers ausgeübt, und sein Verhältniß wird in den Gesetzen sehr genau selbst von dem einer precaria possessio unterschieden (2). – Allein Ausübung der Servitut überhaupt ist nicht einmal hinreichend, sondern die Gesetze haben ein bestimmtes Maas derselben als Bedingung des Interdicts vorgeschrieben. Wer nämlich das Interdict gebrauchen will, muß in dem verflossenen Jahre (von der Klage an gerechnet) wenigstens 30 Tage hindurch das Recht ausgeübt haben (3). Doch ist gegen diese Art der Berechnung eine Restitution möglich: wenn z. B. die Ausübung in dem lezten Jahre durch Gewalt oder andere hinreichende Ursachen verhindert worden ist, so kann durch Restitution das vorhergehende Jahr der Berechnung zum Grunde gelegt werden (4). – Endlich ist bey dieser Bedingung die accessio possessionis zu bemerken: es ist nämlich ganz gleichgültig, ob der Kläger selbst, oder sein auctor (Erblasser,
(1) L. 1. §. 7. 8. 11. L. 3. §. 4. de itin.
(2) L. 1. §. 6, L. 7. de itin.
(3) L. 1. §. 2. 3. de itin.
(4) L. 1. §. 9. de itin.
(425) Iurium quasi Possessio.
Verkäufer [et]c. [et]c.) oder beide zugleich das Recht an 30 Tagen des lezten Jahres ausgeübt haben (1). – Die zweite Bedingung des Interdicts ist gewaltsame Störung, und der Begriff derselben ist auf dieselbe Weise zu bestimmen wie bey dem Int. uti possidetis. Von wem diese Störung herrührt, ist ganz gleichgültig, und das Interdict bezieht sich folglich durchaus nicht blos auf das Verhältniß der Servitut zum Eigenthum (2).
Der Kläger fordert durch dieses Interdict zunächst, daß die Störung seines Besitzes aufgehoben (3), zweitens, daß Ihm vollständiger Schadensersatz geleistet werde (4). Die Würkung des Interdicts ist also der des Int. uti possidetis ganz ähnlich.
Die Exceptionen endlich beziehen sich blos auf die Art, wie die Servitut ausgeübt worden ist, denn für die Verjährung ist eine eigene Exception um deswillen nicht nöthig, weil schon in dem Factum, das der Kläger beweisen muß, eine solche Zeitbeschränkung enthalten ist. Die Regel, auf welcher jene Exceptionen beruhen, ist also diese: in die 30 Tage werden alle die Tage nicht eingerechnet, an welchen nur durch Gewalt, oder heimlich, oder precario die Servitut
(1) L. 3. §. 6-10, L. 6. de itin.
(2) L. 3. §. 5. de itin.
(3) L. 1. pr. de itin. „ ... vim fieri veto.“
(4) L. 3. §. 3. de itin.
(426) Fünfter Abschnitt.
ausgeübt wurde (1). Dieses ist die einzige Bedeutung jener Exceptionen: wenn also 30 Tage hindurch ohne jene Fehler die Servitut ausgeübt wurde, so ist nicht etwa um deswillen eine Exception begründet, weil auser den 30 Tagen auch noch mit Gewalt oder heimlich oder precario die Servitut ausgeübt worden ist (2). Dagegen ist es ganz gleichgültig, ob gegen den jezigen Beklagten selbst, oder gegen seinen Repräsentanten, oder gegen einen vorigen Besitzer die Gewalt (et)c. gebraucht wurde, worauf sich die Ausübung der Servitut in den 30 Tagen gründete: also auch wer ein Grundstück kauft oder erbt, erwirbt damit zugleich die Exceptionen, welche der vorige Besitzer, dessen juristischer Successor Er ist, hätte gebrauchen können:
L. 3. §. 2. de itinere:
„Si quis ab actore meo (3) vi aut clam, aut praecario (!) usus est: recte a me via uti prohibetur, et interdictum ei inutile est: quia a me videtur vi; vel clam,
(1) L. 1. pr. L. 3. pr. §. 1. de itin.
(2) L. 1. §. 12, L. 2, L. 6. de itin.
(3) So liest (vielleicht
unter allen Ausgaben allein) Paris. 1536.
4. – Florent. „ab auctore vi.“ – Rom.
1476. etc. etc. „ab auctore meo vi.“ –
Ueber die häufige Verwechslung des actor und auctor, actio und auctio s. Cuiac.
obss. XXIV. 8.
(427) Iurium quasi Possessio.
vel precario possidere, qui ab actore (1) meo vitiose possidet. Nam et Pedius scribit, si vi aut clam, aut precario ab eo sit usus, in cujus locum (2) hereditate, vel emptione, aliove quo jure successi, idem esse dicendum ... ”
Die Florentinische Leseart ist höchst unwahrscheinlich, weil nach ihr Ulpian zweimal ganz dasselbe sagen, und sich doch gerade so ausdrücken würde, als ob Er etwas anderes sagen wollte: ganz vorzüglich gilt das von den Worten „idem esse dicendum“ die nicht wohl anders als bey einem zweiten Fall gebraucht werden können, der aber mit dem ersten gleich entschieden werden soll. Die hier angenommene Leseart hebt
(1) So liest abermals: Paris. 1536. 4, und durch diese Wiederholung wird es um so wahrscheinlicher, daß es eine eigene Leseart, und nicht etwa Druckfehler ist.
(2) So lesen die alten Ausgaben, mit Einschluß der Haloand. und der Paris. 1536. 4. – „Non in cujus locum“ hat im Text: Basil. 1541. f. (ap. Hervag.). – Nicht im Text, aber als Variante („quaedam exempl. non“) Lugd. 1551. 4. (Portana). – Auf ähnliche Art (aber mit der Bemerkung „Cod. Medic. non“): Lugd. 1551. 12. (ap. Rouill.), Paris. 1552. 8. (ap. vid. Chevallon.), Russard., Charond., Paciana, Baudoz. – Taurellus und Gebauer geben gar keine Nachricht davon.
(428) Fünfter Abschnitt.
die Schwierigkeit völlig: nun ist zuerst die Rede von einer gewaltsamen Handlung, die gegen meinen actor (d. h. den Sclaven, der über mein Landgut die Aufsicht hat), zweitens von der die gegen meinen auctor (Erblasser, Verkäufer [et]c. [et]c.) gebraucht worden ist: im ersten Fall soll Ich die Exception haben, die sich auf die gewaltsame Handlung gründet, und von dem zweiten Fall soll das nämliche gelten („idem esse dicendum“). – Nach der Hervagschen Leseart wäre dieselbe Schwierigkeit auch aufgehoben, aber auf ganz andere Art: im ersten Satz wäre von einem juristischen successor die Rede („ab auctore“), im zweiten Fall von einem nicht juristischen („non in cujus locum ... jure successi“): aber der zweite Satz wäre dann nicht nur sehr schlecht ausgedrückt, sondern auch gegen alle Analogie.
II.) Ein zweites Interdict bezieht sich zwar auf dieselben Servituten wie das vorige, aber es hat die Ausbesserung des Weges zum Gegenstand, dessen Gebrauch durch das vorige Interdict gesichert werden sollte.
(429) Iurium quasi Possessio.
Quelle: Digest. Lib. 43. Tit. 19. (L. 3. §. 11. etc.).
Der Kläger also fordert in diesem Interdict, daß der Eigenthümer Ihn nicht hindere, den Weg in brauchbaren Stand zu setzen.
Dieses Interdict ist indessen, aus leicht begreiflichen Ursachen, mehr als das vorige eingeschränkt: der Kläger nämlich muß wegen des Schadens, der aus seiner Arbeit entstehen kann, Caution stellen (1): Er muß ferner (und in diesem Punct unterscheidet sich das Interdict von allen anderen possessorischen Klagen) sein jus reficiendi beweisen, und auser diesem auch noch den Besitz, so wie er bey dem vorigen Interdict als Bedingung vorausgesezt wurde. Das jus reficiendi aber wird als Folge der Servitut selbst angenommen, solange keine besondere Ausnahme nachgewiesen werden kann: demnach muß hier der Kläger auser dem Besitz der Servitut auch noch das Recht derselben beweisen (2).
Indessen ist hier das Recht der Servitut nicht blos Bedingung, sondern zugleich Gegenstand dieses Interdicts, so daß der Kläger durch dasselbe nicht nur gegen alle Störung seiner Arbeit geschüzt wird, sondern daß
(1) L. 3. §. 11, L. 5. §. 4. de itin.
(2) L. 3. §. 13. 14. de itin.
(430) Fünfter Abschnitt.
Ihm, wie durch die confessoria actio, das Recht der Servitut selbst zugesprochen werden muß, wenn Er seinen Beweis führt (1). Das Verhältniß des Interdicts zu der confessoria actio ist folglich so zu bestimmen: Wer das Recht der Servitut beweisen kann, schüzt durch die confessoria actio jede Ausübung seines Rechts: allein für diesen bestimmten Fall hat Er sogar die Wahl zwischen dem ordentlichen Prozeß und dem summarischen Prozeß der Interdicte: nur muß Er, wenn der lezte gewählt werden soll, auser dem Recht der Servitut auch noch den Besitz derselben beweisen. – Da also dieses Interdict nichts anderes ist, als eine summarische actio confessoria, so kann nicht mehr die Rede davon seyn, seitdem die Prozeßform aufgehört hat, wodurch es sich allein von jener Klage unterschied.
III.) Ius aquae quotidianae vel aestivae ducendae (2).
Quelle: Digest. Lib. 43. Tit. 20.
Bedingung des Interdicts ist zuerst der Besitz
1) L. 2. §. 2. de interdictis: „Quaedam interdicta rei persecutionem continent, veluti de itinere actuque privato (sc. reficiendo): nam proprietatis causam continet hoc interdictum.“ – Costa in pr. I. de interd.
2) Ursprünglich bezog sich wohl dieses Interdict blos auf Ackerbau: in der Folge wurde es auf alle Wasserleitungen überhaupt erstreckt. L. 1. §. 11-14. §. 24. L. 3. pr. de aqua.
(431) Iurium quasi Possessio.
dieser Servitut. Die Servitut muß zugleich in der Ueberzeugung ausgeübt seyn, daß das Recht selbst vorhanden sey (bonae fidei possessio) (1). Sie muß endlich in dem leztverflossenen Jahre, oder, wenn die Wasserleitung nur im Sommer oder nur im Winter gebraucht wird, wenigstens in den lezten anderthalb Jahren ausgeübt worden seyn (2). – Auser dem Besitz wird hier wieder gewaltsame Störung des Besitzes vorausgesezt, und es ist ganz gleichgültig, ob dieses durch die Handlung des Eigenthümers oder eines Dritten geschehen ist (3). Wenn Mehrere auf dieselbe Wasserleitung Anspruch machen, so gilt die Klage, wie das Int. uti possidetis, als Int. duplex (4).
Gegenstand der Klage ist zunächst die ungestörte Ausübung des Besitzes (5): ferner Ersatz des zugefügten Schadens, der hier, wie bey allen Servituten, in dem Verlust des Rechts selbst durch non usus bestehen kann (6).
(1) L. 1. §. 10. 19. de aqua.
(2) L. 1. §. 31-36, L. 6. de aqua.
(3) L. 1. §. 25. de aqua.
(4) L. 1. §. 26. de aqua: , , Si inter rivales, id est, qui per eundem rivum aquam ducunt, sit contentio de aquae usu, utroque suum usum esse contendente: duplex inter dictum utrique competit.“ (Ueber die Definition von rivalis s. Glossa in c. 18. C. 32. q. 5.). Cf. L. 4. de aqua, Paulus V. 6. §. 9.
(5) L. 1. pr. de aqua: , , ... vim fieri veto.“ L. 1. §. 27. eod.
(6) L. 1. §. 23. de aqua.
(432) Fünfter Abschnitt.
Die Exceptionen gründen sich darauf, daß die Servitut zwar ausgeübt worden sey, aber auf unrechtliche Art, nämlich vi, clam, precario (1).
IV.) Auf die Ausbesserung der Wasserleitung bezieht sich auch wieder ein eigenes Interdict (de rivis).
Quelle: Digest. Lib. 43. Tit. 21.
Dieses Interdict hat ganz dieselben Bedingungen wie das vorige (2): auf das Recht der Servitut also kommt es hier gar nicht an, sondern allein auf den Besitz (3). Nur wegen des Schadens, der durch die Arbeit etwa zugefügt werden könnte, ist auch hier eine Cautionsleistung nöthig (4).
V.) Auf ähnliche Art und unter denselben Bedingungen, wie die zwey vorigen Interdicte, sind zwey andere dazu bestimmt, das jus aquae hauriendae gegen Störung zu sichern.
Quelle: Digest. Lib. 43. Tit. 22.
Wer also dieses Recht in dem lezten Jahre nicht gewaltsam (et)c. ausgeübt hat, der kann das erste dieser Interdicte gebrauchen, um die künftige Ausübung selbst zu sichern: das zweite, um den Brunnen (et)c. worauf die Servitut sich bezieht, wiederherstellen zu können.
Zweite Classe der dinglichen Servituten: Positive
(1) L. 1. pr. §. 10. 20. de aqua.
(2) L. 3. §. 7. de rivis.
(3) L. 1. §. 9. L. 4. de rivis.
(4) L. 3. §. 9. de rivis.
(433) Iurium quasi Possessio.
Servituten, die mit dem Besitz eines Grundstücks in unmittelbarer Verbindung stehen.
Der Erwerb und die Erhaltung ihres Besitzes ist sehr leicht zu bestimmen, da sie immer in einer dauernden Anstalt bestehen, durch deren Daseyn das Recht würklich ausgeübt wird. Wenn z. B. von dem jus tigni immittendi die Rede ist, so hängt die Iuris quasi Possessio davon ab, ob die immissio würklich statt findet oder nicht (1).
Die Interdicte können erst bey der dritten Classe erklärt werden.
Dritte Classe: Negative Servituten.
Wer ein solches Recht hat, kann von dem Eigenthümer einer Sache fordern, daß derselbe irgend eine Handlung unterlasse, die er als Eigenthümer auszuüben berechtigt wäre. Wie wird der Besitz eines solchen Rechts erworben? – In der Antwort auf diese Frage sind drey Beziehungen zu unterscheiden, in welchen die Frage selbst vorkommen kann: A.) Meistens wird sie aufgeworfen in Beziehung auf das Recht selbst, das dadurch bedingt seyn soll. Dingliche Rechte, sagt man, sind nicht anders zu erwerben als durch Tradition: wie
(1) L. 20. pr. de serv. pr. urb. , , Servitutes, quae in superficie consistunt, possessione retinentur ... “, nämlich vermittelst des Besitzes der Sache (des Körpers), durch welche das Recht ausgeübt wird.
(434) Fünfter Abschnitt.
ist also hier diese möglich? Daß die Römischen Juristen keine Veranlassung hatten diese Frage aufzuwerfen, da bey Ihnen eine eigene juristische Form alle andere Art des Erwerbs überflüssig machte (1), pflegt man hier zu übersehen. Die Meisten nehmen an, daß diese Rechte ohne alle Uebergabe, durch blosen Vertrag, übertragen werden können, und diese Meinung ist ganz richtig, da Wir jene Form des alten Römischen Rechts nicht mehr haben, und in unserer Gesetzgebung nicht etwa eine ähnliche Form (z. B. Erklärung vor einem Richter) substituirt ist. Da also diese Rechte selbst in den Gesetzen anerkannt sind, und doch keine Form für sie bestimmt ist, so müssen sie ohne alle Form erworben werden können, wenn nur der Eigenthümer in ihren Erwerb einwilligt. Einige behaupten jedoch, daß auch hier eine iuris quasi traditio nöthig sey, und diese Uebergabe soll darin bestehen, daß der Eigenthümer die Handlung zum Schein unternimmt, und sich bey dem Verbote des Andern beruhigt (2). – B.) Servituten
(1) Ulp. XIX. 11: , , In jure cedi res etiam incorporales possunt ... “
(2) Heisler, Untersuchung des Satzes, daß die verneinenden Dienstbarkeiten durch blose Verträge ohne Uebergabe erlangt werden (Abhandl., Halle 1783. 4, St. 3.) §. 14-16. Thibaut über Besitz 16. – Heisler sucht der Unschicklichkeit einer Handlung, die weder ernstlich gemeint seyn kann, noch auch als blose Formalität
(435) Iurium quasi Possessio.
können durch longa possessio erworben werden, und es ist in dieser Beziehung zu bestimmen, wie der Besitz der negativen Servituten entstehe. Allein diese Frage sezt ganz andere Untersuchungen über die Verjährung der Servituten überhaupt voraus, und kann also hier nicht beantwortet werden. – C.) Endlich muß für unseren Zweck, d. h. für die possessorischen Interdicte, bestimmt werden, wie der Besitz der negativen Servituten erworben werden könne. Zu diesem Erwerb ist nicht etwa ein würklicher Versuch der Handlung nöthig, welcher Versuch durch Einspruch des anderen Theils wäre verhindert worden, sondern das blose Nichtthun ist zum Besitz der Servitut hinreichend (1). Dieser
durch die Gesetze eingeführt ist, dadurch zu entgehen, daß Er eine blose Clausel des Contracts, wodurch für die Zukunft gegen alle solche Handlungen protestirt wird, für hinreichend erklärt: allein dadurch wird die Sache um nichts gebessert. – Der eigentliche Fehler liegt darin, daß Man die Nothwendigkeit der Tradition, die bey dem Eigenthum, so wie bey den Servituten, bey denen sie sich denken läßt, in den Gesetzen vorgeschrieben ist, ganz willkührlich auf alles jus in re ausgedehnt hat.
(1) L. 6. §. 1. si serv. vindic. , , Sciendum tamen, in his servitutibus possessorem esse eum (al. eundem) juris et petitorem, et, si forte non habeam aedificatum altius in meo, adversarius meus possessor est: , , nam, cum nihil sit innovatum, ille possidet, et aedificantem me prohibere potest, et civili actione, et interdicto quod vi aut clam. Idem et si lapilli jactu
(436) Fünfter Abschnitt.
Satz scheint um deswillen bedenklich, weil dann z. B. jeder, der jezt gerade sein Haus nur bis zu einer bestimmten Höhe gebaut hat, von seinem Nachbar verhindert werden könnte es höher zu bauen (jus altius non tollendi): allein dieser Einwurf ist nicht von Bedeutung, weil sogleich das Daseyn des Rechts selbst durch die actio negatoria in Untersuchung gezogen werden kann. Da nun bey dieser Klage der Beklagte selbst durch den Besitz nicht frey vom Beweise des Rechts der Servitut ist (1), so hat jener Schutz des Besitzes immer nur die Folge, daß während des Prozesses die jezige Lage der Sache unverändert bleiben muß. – Gründet sich aber der Besitz auf das blose Nichthandeln, so wird derselbe durch das entgegen gesezte Handeln natürlich aufgehoben: wenn also das Haus eines Nachbars, gegen welches
Ich ein jus altius non tollendi behaupte, würklich höher gebaut ist, so ist dadurch mein Besitz der Servitut nothwendig ausgeschlossen (2).
Endlich sind noch die Interdicte zu bestimmen, wodurch die Ausübung der zweiten und dritten
impedierit. Sed et si, patiente eo, aedificavero, ego possessor ero effectus.“
(1) Hufeland über die Beweislast bey der negatorischen Klage (Beyträge, St. 4, Jena 1802. 8.).
(2) L. 6. §. 1. si serv. vind., in fin. (s. die vorlezte Note).
(437) Iurium quasi Possessio.
Classe der dinglichen Servituten geschüzt werden kann. Jede dieser Servituten ist eigentlich nur eine Qualität des Besitzes der Hauptsache: wer z. B. das jus tigni immittendi oder altius non tollendi besizt, hat eigentlich nur den Besitz eines Hauses, so oder anders modificirt. Deswegen war es ganz unnöthig, für den Besitz dieser Servituten eigene Interdicte einzuführen, da durch jede Störung derselben zugleich der Besitz der Hauptsache mit gestört wird. Die Klage also, welche für den Besitz aller dieser Servituten allein gilt, ist das Int. uti possidetis (1). Dieser Satz zeigt sich recht
(1) L. 8. §. 5. si serv.
vind. , , ... agi poterit, jus esse fumum immittere, quod et ipsum videtur
Aristo probare. Sed et interdictum uti possidetis poterit locum habere, si quis
prohibeatur, qualiter velit, suo uti.“ – Hier ist blos von einer positiven
Servitut (und zwar der zweiten Classe) die Rede, aber es ist kein Zweifel, daß
dasselbe auch bey negativen Servituten gelten müsse. Indessen tritt ein
besonderer Grund ein, warum bey diesen seltener von possessorischen Klagen
Gebrauch gemacht werden wird: es kommt nämlich bey ihnen gewöhnlich nicht blos
darauf an, eine Störung abzuwenden und Ersatz zu bekommen, sondern das was
würklich gebaut ist, niederreissen zu lassen (et)c. (et)c. Zu diesem Zweck aber
giebt es ein ganz eigenes Interdict (quod vi aut clam), welches nicht unter die
possessorischen Klagen gehört und sogar noch vortheilhafter ist, indem es
andere und leichtere Bedingungen hat als diese. Hieraus erklärt es sich, warum
in L. 6. §. 1. si serv. vind. blos dieses Interdict genannt wird (S. 435).
(438) Fünfter Abschnitt.
deutlich in Einer Ausnahme. Bey dem jus cloacae nämlich fand man es für nöthig, die possessorische Klage etwas anders zu bestimmen, als das Int. uti possidetis würklich bestimmt war: deswegen wurde für diesen Fall nicht nur ein eigenes Interdict gegeben (1), sondern auch das Int. uti possidetis noch besonders ausgeschlossen (2). – Diese Ansicht wird durch den Gegensatz der ersten Classe dinglicher Servituten (welche in unabhängigen Handlungen bestehen) noch deutlicher werden. Auch diese Servituten nämlich sind Qualitäten der Grundstücke, d. h. das Recht derselben ist eine Qualität des Eigenthums der Grundstücke (3): nicht
(1) Digest. Lib. 43. Tit. 23. de cloacis (sc. purgandis, reficiendis). – Das Unterscheidende dieses Interdicts liegt in der Ausschliesung der gewöhnlichen Exceptionen (L. 1. §. 7. de cloacis), und der Grund dieser Ausschliesung ist leicht einzusehen. Die ganze Stadt ist dabey interessirt (, , ad publicam utilitatem spectare videtur“), daß die Reinigung (et)c. nicht aufgehalten werde: die Untersuchung des Rechts selbst, oder auch nur der justa possessio, hat schon eher Zeit.
(2) L. 1. pr. uti possidetis: , , ... De cloacis hoc interdictum non dabo ... “
(3) L. 86. de V. S.: , , Quid aliud sunt jura praediorum, quam praedia qualiter se habentia, ut bonitas, salubritas, amplitudo?“ d. h. die Servituten sind eben so blose Qualitäten der Grundstücke, wie der gute Boden, die gesunde Lage (et)c. die gar nichts juristisches enthalten. – Der Satz wird übrigens allgemein behauptet, also auch von den Servituten der ersten Classe:
(439) Iurium quasi Possessio.
so ihr Besitz. Denn da dieser auf Handlungen beruht, die von dem Besitz der Hauptsache ganz unabhängig sind, so kann man nicht sagen, daß die Servituten selbst zugleich mit der Hauptsache besessen werden, und daß die Störung derselben zugleich den Besitz des Grundstücks verletze. Darum sind für die wichtigsten Rechte dieser Classe eigene Interdicte angeordnet, ohne daß Man es für nöthig fand, sie von dem Int. uti possidetis ausdrücklich auszunehmen: und darum muste oben (S. 423) behauptet werden, daß sie auser diesen bestimmten Fällen überhaupt gar nicht durch Interdicte geschüzt werden können.
§. 47.
Der lezte Fall der Iuris quasi Possessio betrifft diejenigen jura in re, welche nicht Servituten sind, und von den neueren Juristen gewöhnlich mit dem allgemeinen Namen , , dominium utile“ bezeichnet werden.
Dieser Rechte giebt es nur zwey (1): das jus in
von diesen allein steht etwas ähnliches in L. 12. quemadm. serv. amitt.
(1) Es bedarf kaum einer
Erwähnung, daß das dritte Recht, welches man dahin zu rechnen pflegt, das jus
in feudo nämlich, um deswillen nicht hierher gehört, weil hier allein von
Römischem Recht die Rede ist. Die Vermischung dieser Institute ist um so
schlimmer, weil gerade in Beziehung auf den Besitz ganz entgegen gesezte
Grundsätze gelten: der Vasall nämlich hat den juristischen Besitz der Sache
selbst (II. F. 8. §. 2, II. F. 7. §. 1, II. F. 26. §. si facta), bedarf also
keiner Iuris quasi Possessio.
(440) Fünfter Abschnitt.
agro vectigali und die superficies. Nur für das lezte findet sich eine eigene Bestimmung des Besitzes: das erste ist leicht nach der Analogie desselben zu bestimmen.
Eigene Quelle für die Superficies:
Digest. Lib. 43. Tit. 18.
Jedes Gebäude wird blos als Theil des Bodens betrachtet, auf welchem es ruht, und das Eigenthum sowohl als der Besitz desselben ist mit dem Eigenthum und Besitz des Bodens unzertrennlich verbunden. Die einzige Trennung, die hier möglich ist, besteht in einer eigenen Art von jus in re, welches von dem Eigenthümer einem Anderen übertragen werden kann. Wer dieses jus in re hat, ist eben so wenig Besitzer als Eigenthümer des Hauses, allein er hat eine Iuris quasi Possessio, und durch diese auch possessorische Klagen. Diese Iuris quasi Possessio hat die gröste Aehnlichkeit mit dem Besitz der persönlichen Servituten, weil sie, wie dieser, von dem natürlichen Besitz der Sache selbst abhängt. In dem Erwerb und Verlust des Besitzes ist gar kein Unterschied, und auch in den Interdicten ist er wenigstens nicht practisch.
I.) Gewaltsame Störung des Besitzes begründet nicht, wie der ususfructus etc. das Int. uti possidetis, sondern ein ganz eigenes Interdict (1), das aber alle
(1) L. 1. pr. de superfic., L. 3. §. 7. uti possid.
(441) Iurium quasi Possessio.
Rechte des Int. uti possidetis hat (1): Dieser Unterschied betrifft also nur den Namen, und er ist wohl so zu erklären: Die Superficies war ein blos prätorisches Institut, und sie muste also durch eine eigene Stelle des Edicts allererst juristische Existenz erlangen. Daß diese Stelle vielmehr bey den Interdicten als bey den Realklagen eingerückt wurde, war wohl bloser Zufall. Ganz anders verhielt es sich mit dem ususfructus: alle Servituten waren schon auf das Civilrecht gegründet, und es bedurfte also dabey blos einer ganz einfachen Anwendung der gewöhnlichen possessorischen Interdicte.
II.) Ist der natürliche Besitz durch dejectio würklich aufgehoben, so gilt das Int. de vi, hier wie bey dem eigentlichen Besitz (2).
III.) Hat endlich der superficiarius die Ausübung seines Rechts einem Anderen precario überlassen, der ihm jezt die Restitution verweigert, so muß das Int. de precario angewendet werden, indem Dieses Interdict für alle Iura überhaupt gilt, bey welchen sich nur eine Restitution denken läßt (S. 423), die Superficies aber ganz auf eben die Weise, wie die Servituten (S. 136), unter die Iura (in re) gerechnet werden muß.
(1) L. 1. §. 2. de superfic.
(2) L. 1. §. 5. de
vi: , , Proinde et si superficiaria insula fuerit, qua quis dejectus est,
apparet interdicto fore locum.“
(442)
Sechster Abschnitt.
Modificationen des Römischen Rechts.
§. 48.
Die Theorie des Besitzes ist in den fünf ersten Abschnitten dieses Werks mit völliger Abstraction von allem demjenigen dargestellt worden, was dem Römischen Rechte durch neuere Gesetzgebung etwa beygemischt seyn könnte: und diese Methode der Untersuchung ist schlechthin nothwendig, wenn nicht über der Vermischung des Alten und Neuen, Beides zugleich misverstanden werden soll.
Allein jene Untersuchung ist jezt geschlossen, und nun ist es erlaubt, nach den Modificationen zu fragen, welche das Römische Recht in neueren Zeiten erfahren hat. Zugleich tritt hier ein besonderer Grund ein, warum diese Frage nicht übergangen werden darf. Unter allen bedeutenden Irrthümern nämlich, die man
(443) Modificationen des Römischen Rechts.
über die Römische Ansicht des Besitzes zu haben pflegt, ist vielleicht keiner, der nicht zugleich durch das Canonische oder Deutsche Recht veranlaßt wäre. Deswegen ist für die Anwendung wenig gewonnen, wenn jene Meinungen blos aus dem Römischen Rechte völlig widerlegt sind: Man kann diese Widerlegung zugeben, und dennoch blos eine falsche Deduction einer richtigen Ansicht entdeckt zu haben glauben. Soll also eine civilistische Theorie des Besitzes auf Anwendung Anspruch zu machen berechtigt seyn, so muß das Verhältniß, in welchem sie zu den Bestimmungen des neueren Rechts steht, untersucht und dargestellt werden: dieses Verhältniß wenigstens anzudeuten, ist die Bestimmung der folgenden §§; es vollständig auszuführen liegt nicht in den Gränzen dieses Werks, indem dazu ein ganz verschiedener historischer Standpunct genommen werden muß.
Es sind drey Puncte, auf welche diese Untersuchung gerichtet seyn muß: der erste hat den Begriff des Besitzes selbst (S. 49), die zwey lezten haben possessorische Klagen zum Gegenstand: die Spolienklage nämlich (S. 50.) und das possessorium summarium oder summariissimum (S. 51.).
§. 49.
Die erste Untersuchung also, die hier anzustellen ist, betrifft den Begriff des Besitzes. Der Besitz bezog
(444) Sechster Abschnitt.
sich nach Römischem Recht blos auf Eigenthum und jura in re (S. 140): in der Folge (und besonders durch das Canonische Recht) soll er auf jedes mögliche Recht überhaupt ausgedehnt worden seyn.
Nun beruhte das ganze Recht des Besitzes darauf, daß die blose Ausübung eines Rechts, ohne alle Rücksicht auf die Existenz des Rechts selbst, gegen bestimmte Formen der Verletzung geschüzt werden sollte: dieser Schutz also konnte sich nur auf solche Rechte erstrecken, bey welchen diese Formen der Verletzung gedacht werden konnten, und solche Rechte gab es auser Eigenthum und jus in re nicht. Allein durch die Verfassung der christlichen Kirche und der Europäischen Staaten sind Rechte erzeugt und mit dem Besitz und Genuß des Bodens verbunden worden, welche die Römer theils nicht kannten, theils als eigene Rechte der Einzelnen zu betrachten sehr entfernt waren. So hängt die Ausübung der bischöfflichen Gewalt von dem Besitz der bischöfflichen Kirche und ihrer Güter ab, und ein ähnliches Verhältniß der Staatsgewalt oder einzelner Zweige derselben zeigt sich bey der Landeshoheit der Fürsten, wie bey der Jurisdiction der Güterbesitzer. Bey allen diesen Rechten ist ein ähnlicher Schutz der blosen Ausübung denkbar, wie bey dem Eigenthum, und der Besitz dieser Rechte, der auf diese Weise angenommen würde, liese sich immer auf den Besitz des Bodens, d. h. auf die Ausübung des
(445) Modificationen des Römischen Rechts.
Grundeigenthums, reduciren. In vielen Fällen ist die Richtigkeit dieser Beziehung sehr auffallend: wenn z. B. ein Bischoff von seinem Gegner mit Gewalt aus seinem Bisthum vertrieben wird, so ist die Störung des Besitzes am Boden mit der Störung der bischöfflichen Rechte unzertrennlich verbunden, und dieselbe Verbindung ist auch in jedem Schutz gegen diese Störung nothwendig. Aber selbst in den Fällen, in welchen nur eine einzelne Ausübung jener Rechte, z. B. der Jurisdiction, gewaltsam gehindert wird, ist jene Beziehung, obgleich weniger auffallend, dennoch nicht abzuläugnen: dieses Recht nämlich steht zu dem Ganzen von Rechten, wovon es als Theil gedacht werden muß, in einem ähnlichen Verhältniß, wie eine Servitut zu dem Eigenthum, an welches sie gebunden ist, und die Ausübung jenes Rechts kann auf ähnliche Weise gestört und gegen Störung gesichert werden, wie die Ausübung einer Servitut.
Die hier beschriebene Beziehung des Besitzes ist aber nicht blos denkbar, sondern sie ist längst würklich gemacht worden. In dem Canonischen Recht nämlich ist sehr häufig von dem Besitz der Diöcesanrechte und anderer kirchlichen Rechte die Rede: und eben so hat nie Jemand gezweifelt, daß die Jurisdiction und andere publicistische Rechte auf ähnliche Art gegen gewaltsame Eingriffe der Ausübung geschüzt werden müssen,
(446) Sechster Abschnitt.
als das Eigenthum, obgleich bey allen diesen Rechten nie ein Römer an ein Recht des Besitzes denken konnte.
Wie verhält sich also diese Art des Besitzes zu dem Römischen Recht? auf unmittelbarer Anwendung desselben beruht sie nicht, denn die Gegenstände dieser Anwendung sind dem Römischen Recht fremd: wohl aber beruht sie auf einer sehr natürlichen und consequenten Anwendung seiner Grundsätze. Die Ansicht des Besitzes also ist dadurch auf keine Weise verändert: sie ist nur auf Gegenstände bezogen worden, worauf schon die Römer sie ohne Zweifel angewendet haben würden, wenn die Römer diese Gegenstände gekannt hätten.
Auser diesen Rechten aber, bey welchen eine Ausdehnung des Römischen Rechts, und zwar ganz im Geiste dieses Rechts, nicht geläugnet werden kann, werden vorzüglich zwey andere Classen von Rechten genannt, auf welche der Besitz sich beziehen soll, Rechte des persönlichen Zustandes nämlich, und Obligationenrechte. Durch die Prüfung dieser Meinung wird der allgemeine Begriff des Besitzes, durch welchen der sehr bestimmte Römische Begriff verdrängt seyn soll, hinlänglich widerlegt seyn.
Zuerst also wird ein Recht des Besitzes behauptet bey Familienrechten, und diese Behauptung scheint gerade bey dem wichtigsten Fall dieser Art, der Ehe
(447) Modificationen des Römischen Rechts.
nämlich, ausdrückliche Stellen des Canonischen Rechts für sich zu haben (1). Die Vergleichung mit einem Fall des eigentlichen Besitzes wird die Sache völlig in’s Licht setzen. – Wenn also über das Eigenthum eines Grundstücks gestritten würde, so liese sich dieser Streit ohne Zweifel selbst dann entscheiden, wenn die Gesetze über das Recht des blosen Besitzes gar nichts bestimmt hätten: aber selbst dann wäre es möglich, ja es könnte nöthig seyn, daß der Richter den Besitzstand vorläufig besonders regulirte, nur wäre diese provisorische Verfügung von einem Schutz des Besitzes, als eines eigenen Rechts für sich, sehr verschieden. Setzen wir, um diesen Schutz im Gegensatz jener Verfügung deutlich zu denken, daß keine der beiden Parteyen das Eigenthum würklich habe, daß aber Eine von den Andern einmal mit Gewalt aus dem Besitz gesezt worden sey: hier könnte jene provisorische Verfügung nichts ändern, da in diesem Augenblick der Besitz ruhig und entschieden ist, allein durch die obligatio, die das einzige Recht des Besitzes ausmacht, wird die Restitution des Besitzes gefordert, der in einer vorigen Zeit gewaltsam aufgehoben worden war. – Kehren Wir nun zu den Familienrechten zurück, deren Besitz vom Richter geschüzt werden soll. Dieser Schutz ist offenbar nichts
(1) C. 8. 10. 13. X. de restit. spoliat.
(448) Sechster Abschnitt.
anderes, als eine provisorische Verfügung über den Besitzstand, welche in unmittelbarer Verbindung mit der endlichen Entscheidung des Rechts selbst steht. Die Form der Ehe z. B. wird nicht abgeläugnet, sondern es werden andere Gründe gegen ihre Gültigkeit angeführt: diese Gründe sind nun zu untersuchen, aber vorläufig, sagt das Canonische Recht, soll das eheliche Verhältniß fortgesezt werden, wenn nicht aus besonderen Gründen selbst diese Fortsetzung sündlich wäre (1). In diesem allen ist also durchaus nicht ein Recht des blosen Besitzes enthalten, d. h. ein jus obligationis, wodurch die Ausübung eines anderen Rechts gesichert würde, ohne alle Rücksicht auf das Daseyn dieses anderen Rechts selbst.
Alles was hier gegen den Besitz der Familienrechte bemerkt worden ist, gilt in noch weit höherem Grade gegen den Besitz der Obligationenrechte. In den meisten Fällen dieser Art läßt sich an einen Besitz gar nicht denken, und es ist sehr zufällig, daß auch nur in Einem Fall die Rede davon seyn konnte. Wer nämlich für ein Capital Zinsen empfangen hat, soll durch diesen Empfang den Besitz des Rechts auf das Capital und die künftigen Zinsen erworben haben. Daß nun in diesem Fall ein wahres Recht des Besitzes eben so
(1) C. 10. 13. X. de restit. spoliat.
(449) Modificationen des Römischen Rechts.
wenig als bey Familienrechten angenommen werden könne, bedarf nicht noch eines besondern Beweises. Aber selbst die provisorische Verfügung über den Besitzstand, welche bey Familienrechten behauptet werden muste, ist hier weder nöthig, noch in den Gesetzen vorgeschrieben, wiewohl man wegen einiger, selbst Römischen, Gesetze, die eher alles andere enthalten, häufig das Gegentheil angenommen hat.
Bis jezt ist bewiesen worden, daß die Ansicht, aus welcher im Römischen Recht der Besitz selbst betrachtet wird, nicht sowohl verändert, als auf eine ganz consequente Weise weiter durchgeführt worden ist. Es ist nun noch zu untersuchen übrig, wie die Klagrechte aus dem Besitz, d. h. die Formen unter welchen der Besitz gegen Verletzung geschüzt wird, modificirt worden sind.
§. 50.
Schriftsteller über Spolienklage:
C. Ziegler ad can. redintegranda (zulezt, mit Anmerkungen, in: Woltaer, observ. ad jus civ. et Brand., fasc. 2., Hal. 1779. 8, obs. 35.)
I. H. Boehmer in I. Eccl. Prot. Lib. 2. Tit. 13.
Ej. notae in c. 3. C. 3. q. 1. etc. etc. (ed. Corp. jur. can. Hal. 1744.)
(450) Sechster Abschnitt.
Fleck de interdictis unde vi et remedio spolii, p. 83-136.
Unter den erdichteten Decretalen, wodurch die Pseudisidorsche Sammlung das Ansehen der Erzbischöffe und der Provincialsynoden untergrub (1), findet sich auch eine ganze Reihe folgenden Inhalts (2): , , Ein Bischoff, der aus seinem Sitze vertrieben, oder seines eigenen Vermögens beraubt ist, soll wegen keines Verbrechens vor die Synode gezogen werden können, solange er nicht in den Besitz der verlorenen Güter wieder eingesezt ist.“ Gewiß hat Niemand weniger als der Betrüger selbst, der diese Briefe Römischer Bischöffe verfertigte, daran gedacht, daß aus Einer unter jenen Stellen einst ein ganz neues System des possessorischen Klagrechts, ja des Besitzes selbst, hergeleitet werden würde. Die Stelle, welcher diese zufällige Ehre widerfahren ist, lautet so (3):
, , Redintegranda sunt omnia exspoliatis, vel ejectis episcopis praesentialiter ordinatione pontificum, et in eo loco, unde abscesserant, funditus revocanda quacunque conditione temporis aut captivitate, aut dolo, aut violentia
(1) (Spittler) Geschichte des kanonischen Rechts, Halle 1778. 8, S. 261. 272.
(2) c. 3. 4. 5. 6. C. 2. q. 2, c. 1. 2. 3. 4. C. 3. q. 1.
(3) c. 3. C. 3. q. 1.
(451) Modificationen des Römischen Rechts.
malorum (1), aut per quascunque injustas (!) causas, res ecclesiae, vel proprias, id est substantias (2) suas perdidisse noscuntur ante accusationem, aut regularem ad synodum vocationem eorum, et rel.“
Wenn es wahr ist, was Uns die Praktiker versichern, so ist durch diese Stelle alles, was das Römische Recht über den Besitz bestimmt hat, völlig überflüssig geworden. Sie soll nämlich nicht weniger als folgende Sätze enthalten:
1.) Das Klagrecht gilt ohne alle Rücksicht auf juristischen Besitz des Klägers.
2.) Es gilt auch bey beweglichen Sachen. – Davon ist schon oben (§. 40) bey dem Römischen Recht geredet worden.
3.) Es gilt auch bey unkörperlichen Sachen, d. h. als Schutz der Ausübung aller Rechte überhaupt. – Davon s. §. 49.
4.) Es ist nicht bedingt durch gewaltsame Verletzung des Besitzes, sondern es gilt auf dieselbe
(1) Diese Leseart einer alten Berliner Handschrift findet Böhmer mit Recht viel wahrscheinlicher als die gewöhnlichen: violentia majorum, violentia majore, virtute majorum.
(2) So lesen die vier Handschriften, die Böhmer gebraucht hat. – Al. aut substantias.
(452) Sechster Abschnitt.
Weise bey jedem Verlust des Besitzes ohne rechtlichen Grund.
5.) Es gilt auch gegen jeden Dritten Besitzer.
6.) Es ist nicht auf Ein Jahr beschränkt. – Davon s. §. 40.
Unter diesen Sätzen ist vorzüglich der erste, vierte und fünfte zu bemerken: wären diese Sätze in der That in jener Stelle enthalten, so würde es wenig bedeuten, daß eigentlich blos von Bischöffen die Rede ist: die Bischöffe könnten beyspielsweise gebraucht seyn, oder Wir könnten durch blose Analogie das für Uns verwenden, was der Verfasser jener Stelle und nach Ihm Gratian blos den Bischöffen zugedacht hatte.
Von jeher aber haben sich alle gründliche Juristen durch jene Behauptungen gar nicht oder doch nur wenig täuschen lassen: Sie haben einstimmig behauptet, es sey kein neues Klagrecht in jener Stelle eingeführt, sondern der Verfasser habe das Römische Recht, also das Interdictum de vi gemeint, wiewohl auch unter den gründlichen Juristen Manche nicht abgeneigt sind, kleine Modificationen des Interdicts durch die Stelle des Decrets anzunehmen.
Allein es lassen sich wohl alle jene Behauptungen auf eine weit sicherere Art widerlegen. Die ganze Stelle nämlich sagt überhaupt kein Wort davon, daß ein beraubter Bischoff restituirt werden, sondern daß Er
(453) Modificationen des Römischen Rechts.
nicht angeklagt werden soll, solange Er nicht restituirt ist. Sie sagt nicht: „Redintegranda sunt omnia episcopis“, sondern: „Redintegranda sunt omnia episcopis ... ante accusationem, aut regularem ad synodum vocationem eorum.“ Wäre die Stelle so ausgedrückt, wie folgende (und es ist offenbar blos zufällig, daß es nicht geschehen ist): „Nullus episcopus exspoliatus debet accusari priusquam integerrime restauretur“ (1), so hätte wohl Niemand darauf verfallen können, ein eigenes Klagrecht in derselben zu suchen. Also von Klagrecht ist in der ganzen Stelle überhaupt nicht die Rede, sondern von einer Exception gegen die Anklage vor der Synode, und hieraus folgt für Uns zweyerley. Erstens, daß die Ausdehnung dieser Verordnung für Bischöffe auf alle übrige Menschen, die oben vorläufig zugegeben wurde, unmöglich ist: denn ein Klagrecht wegen des verlorenen Besitzes läßt sich bey anderen Menschen ungefähr auf dieselbe Weise denken, aber jene Exception hat keinen Sinn, auser in dem bestimmten Verhältniß des Bischoffs zur Synode. – Zweitens, daß in jener Stelle ein Klagrecht gewiß nicht neu eingeführt, sondern höchstens als existirend vorausgesezt ist. Auf diese Voraussetzung also muß alles das bezogen
(1) c. 3. C. 2. q. 2.
(454) Sechster Abschnitt.
werden, was aus dieser Stelle für die possessorischen Klagen bewiesen werden soll.
Nun waren es vorzüglich drey neue Bestimmungen, die das Klagrecht hier erhalten haben sollte: Klagrecht ohne juristischen Besitz, ohne gewaltsame Verletzung und gegen jeden Dritten Besitzer. Die erste dieser Bestimmungen hat am wenigsten Veranlassung in der Stelle selbst, für die zwey lezten scheint würklich einiger Grund darin enthalten zu seyn. Für die zweite: denn in den Worten: „aut captivitate, aut dolo, aut violentia malorum, aut per quascunque injustas causas“ ist ausdrücklich dafür gesorgt, daß die Vorschrift nicht auf den Fall gewaltsamer Entsetzung beschränkt werde. Für die Dritte: denn die unbestimmten Worte „redintegranda sunt“ unterscheiden durchaus nicht unter den verschiedenen Personen, die jezt den Besitz haben können. Also: es ist wahrscheinlich, daß der Verfasser jener Stelle und eben so Gratian vorausgesezt hat, selbst auser diesen zwey Bedingungen sey ein Klagrecht möglich. Aber auch ein Klagrecht aus dem blosen Besitz? davon enthält die ganze Stelle keine Spur. Der Bischoff, der durch eine „injusta causa“ nicht im Besitze des Bisthums ist, soll ja würklich Bischoff seyn: das Vermögen, das Er durch eine „injusta causa“ verloren hat, soll würklich Sein Vermögen seyn:
(455) Modificationen des Römischen Rechts.
nun, in diesen Fällen hat Sein (petitorisches) Klagrecht kein Bedenken, wenn gleich von einer possessorischen Klage vielleicht nicht die Rede seyn kann.
Ich fasse diese ganze Erklärung nochmals kurz zusammen: ein Klagrecht ist hier nicht vorgeschrieben, sondern vorausgesezt. Dieses Klagrecht wird in den meisten Fällen (1) ein Römisches Interdict seyn, und in den übrigen Fällen (2) ist es eine Vindication. Also läßt sich das Klagrecht, welches die Stelle voraussezt, völlig aus dem Römischen Recht erklären, und es ist selbst um dieser Voraussetzung willen nicht nöthig eine neue Art von Klagrecht anzunehmen.
Wenn also in den Worten jener Stelle ein neues Recht des Besitzes nicht enthalten ist, und wenn noch viel weniger der Verfasser derselben und Gratian daran dachten, ein solches Recht dadurch einzuführen, wie ist Man dennoch auf diese Erklärung gekommen, die nicht etwa der Einfall eines einzelnen Juristen, sondern die allgemeine Meinung der Praktiker ist? Darüber ist nur eine Vermuthung möglich, aber eine sehr wahrscheinliche Vermuthung. Man verstand das
(1) „exspoliatis vel ejectis episcopis ... captivitate ... aut violentia.“ Es ist sehr zu bemerken, daß Gratian in der Anmerkung am Schlusse der ganzen quaestio, worin Er ein allgemeines Resultat zieht, blos diesen Fall denkt.
(2) „aut per quascunque injustas causas.“
(456) Sechster Abschnitt.
Römische Recht nicht, und vermißte daher in vielen Fällen des verlornen Besitzes ein Klagrecht, in welchen eine vollständige Einsicht in das Römische Recht ein solches dargeboten hätte. Deswegen war es am bequemsten ein neues Rechtsmittel auszusinnen, das durch seine Allgemeinheit und Unbestimmtheit recht geschickt war, der mühsamen Kenntniß des Römischen Rechts zu überheben. Ist es nun zu verwundern, daß die Praktiker diese Erfindung mit groser Freude aufnahmen? daß Sie, weit entfernt, an ihrer Aechtheit zu zweifeln, Sich beeiferten die Erfindung selbst immer noch zu vervollkommen? – Aber die Sache bedurfte auch einer Auctorität, und es war ein recht artiger Zufall, daß Man dazu gerade eine Stelle der Pseudisidorschen Sammlung wählte: vor einem Texte, der selbst untergeschoben ist, hat selbst die willkührlichste Interpretation keine Ursache sich zu schämen!
Auser diesen wichtigen Neuerungen, die das Canonische Recht nicht enthält, sind aber auch noch zwey andere, weniger bedeutende, würklich in demselben enthalten, welche sich beide auf das Recht des gewaltsam verlorenen Besitzes beziehen (1).
Die erste dieser Neuerungen betrifft das Klagrecht selbst. Das Römische Recht gestattete die Klage gegen
(1) Eine dritte Bestimmung nämlich, die das C. 9. X.
de probat. enthalten soll, kann erst im folgenden §. klar werden.
(457) Modificationen des Römischen Rechts.
einen dritten Besitzer selbst dann nicht, wenn dieser Dritte von demjenigen, welcher die Gewaltthätigkeit verübt hatte, die Sache bekam und es wohl wuste, wie der Besitz Seines auctor entstanden sey (1). Aber Innozenz III. sah wohl ein, daß die Seele dieses Dritten in eben so groser Gefahr schwebe, als die des gewaltsamen Besitzers selbst, und Er lies daher auch gegen Jenen die Klage zu (2).
Die zweite Neuerung betrifft die exceptio spolii. Diese Exception, die sich ursprünglich blos auf die Anklage der Bischöffe bezog, scheint durch Gewohnheitsrecht für alle Sachen überhaupt aufgenommen worden
(1) L. 3. §. 10. uti possidetis (S. 373). – Böhmer zeigt in einer Note zu C. 18. X. de rest. spol., daß Er mehr Canonist, als Civilist war: Er glaubt, es sey in den Decretalen gar nichts neues verordnet.
(2) C. 18. X. de restit. spoliat. – Ziegler (l. c. p. 246) hat die sehr richtige Bemerkung gemacht, daß, da hier etwas Neues bestimmt seyn solle, nicht schon vorher nach c. 3. C. 3. q. 1. gegen jeden dritten Besitzer ein Klagrecht gegolten haben könne. Woltär’s Widerlegung (p. 250) ist wohl mehr gelehrt als überzeugend: auch betrifft sie nicht sowohl den Canon selbst, als eine Usualerklärung desselben, die schon längst gegolten haben soll. – Ferner soll nach Woltär (p. 252) das C. 18. X. de rest. spol. selbst gegen jeden dritten Besitzer gehen, weil auch derjenige scienter detinens sey, der nur jezt durch den Prozeß das spolium erfahre. Allein es heist ja ausdrücklich: „si quis ... scienter rem talem receperit.“
(458) Sechster Abschnitt.
zu seyn, und sie ist endlich gesetzlich bestimmt worden (1). Jeder, der gewaltsam beraubt ist, soll diese Exception haben, um dadurch alle Civilklagen, die der spoliator gegen Ihn anstellen kann, solange abzuweisen, bis die Restitution erfolgt ist: doch ist die Exception ausgeschlossen, wenn die Klage eine Kirchensache, die Exception aber eine andere Sache betrifft, oder umgekehrt. Gegen eine Criminalanklage kann die Exception auch dann gebraucht werden, wenn nicht der Spoliator, sondern ein Dritter die Anklage vorbringt: nur muß dann das Spolium mehr als die Hälfte des ganzen Vermögens betragen, auch kann der Ankläger fordern, daß dem Angeklagten eine Frist vorgeschrieben werde, in welcher das Interdict gebraucht werden könne: nach Verlauf dieser Zeit hört die Würkung der Exception auf (2). In Civilsachen sowohl als in Criminalanklagen muß das Spolium selbst, worauf sich die Exception gründet, längstens in 15 Tagen bewiesen werden.
Zunächst also ist die Bedeutung der exceptio spolii blos prozessualisch: allein wie verhält sie sich zu dem Interdictum de vi, wenn dieses die Klage ist, die der Andere anstellt? Entweder ist in der Klage und in der
(1) C. 1. de restit. spol. in 6.
(2) Es versteht sich von selbst, daß diese Exception in Criminalsachen nur da gebraucht werden kann, wo der reine accusatorische Prozeß gilt, d. h. daß sie fast ganz auser Gebrauch ist.
(459) Modificationen des Römischen Rechts.
Exception von verschiedenen Gegenständen oder von demselben Gegenstande die Rede. Im ersten Fall wird das Interdict, wie alle andere Klagen, durch jene dilatorische Exception einstweilen ausgeschlossen: allein der Beklagte kann anstatt dessen auch Sein Interdict als Reconvention vorbringen, und dann ist die Würkung die, daß beide Rechtssachen zugleich verhandelt und entschieden werden (1). Im zweiten Fall, wenn der Kläger, der den verlornen Besitz wiederfordert, früher den Beklagten aus demselben Besitz verdrängt hat, ist jene Exception als dilatorische Exception, was sie nach dem Canonischen Rechte immer seyn soll, undenkbar: als peremtorische Exception aber ist sie nach Römischen Recht ungültig (S. 387) und diese Ungültigkeit muß folglich noch jezt behauptet werden.
§. 51.
Seit dem dreyzehnten oder vierzehnten Jahrhundert (2) ist in Italien, Spanien, Frankreich und Deutschland ein ganz neues Klagrecht aus dem Besitz aufgekommen, welches possessorium summarium oder summariissimum genannt wird (3), zum
(1) C. 2. 4. X. de ord. cognit.
(2) Die Glosse nämlich erwähnt der Sache noch nicht: Baldus dagegen († 1400) soll das summariissimum nennen. (Cludii res quotid. p. 238.)
(3) Bey älteren Schriftstellern führt es sehr verschiedene
(460) Sechster Abschnitt.
Unterschied von den possessorischen Klagen, die schon das Römische Recht eingeführt hatte. Die Entstehung dieses Instituts ist nach der Art, wie der Gebrauch desselben von älteren Schriftstellern allgemein beschrieben wird, so zu erklären (1). Der Prozeßgang war in demselben Verhältniß weitläufiger geworden, als er kürzer hätte werden müssen um der allgemeinen Gewohnheit der Selbsthülfe zu steuern: ein Rechtsstreit über den blosen Besitz also, der in Rom vielleicht wenige
Namen: in Italien hies es Mandatum de manutenendo, in Spanien Iuicio de Interim, in Frankreich Recredentia (wahrscheinlich Récréance) u. s. w.
(1) Es ist leicht zu vermuthen, daß Man keinen Versuch gespart hat, dieses Institut aus dem Römischen Recht herzuleiten. Budäus (in L. 2. de O. I., annot. in ff. p. 90. 91. ed. Lugd. 1546. 8.), und nach Ihm viele Andere, behaupten, daß die lis vindiciarum ganz dasselbe sey. Allein die lis vindiciarum war nichts als die Eröffnung der Vindication, und wurde nie, wie Budäus glaubt, zur Vorbereitung eines Streites über den blosen Besitz gebraucht. Er hätte sich so ausdrücken müssen, um etwas Wahres zu sagen: die lis vindiciarum stand zu der Vindication in einem ähnlichen Verhältniß wie das summariissimum zu dem ordinarium, d. h. zu dem Int. uti possidetis. – Andere finden das Summariissimum in L. 1. §. 3. uti poss. (Retes ap. Meerm. VII. p. 507) oder in L. 13. §. 3. de usufr. (I. Grav. de jud. poss. summ. Tüb. 1672, §. 6-8): noch Andere in Cicero pro Caec. Cap. 12: „Nondum de Caecinae causa (sc. principali) disputo, nondum de jure possessionis (sc. ordinario) nostrae loquor.“ (Peller de summariis. poss. Altdorph. 1665. §. 13.).
(461) Modificationen des Römischen Rechts.
Tage gedauert hätte, konnte jezt Jahre hindurch geführt werden, und die Parteyen pflegten dann einstweilen mit Gewalt durchzusetzen, was sie ohnehin, nur später, von dem Urtheil zu erhalten hofften. Diese Selbsthülfe konnte auch bey der Vindication, oder bey der Klage aus einem Contract zu befürchten seyn: nur bedurfte es dabey, um dem Uebel vorzubeugen, keiner eigenen Rechtsanstalt: der Besitzstand war in allen diesen Fällen entschieden, und gerade in der Unentschiedenheit des Besitzstandes lag die stärkste Veranlassung zu Gewaltthätigkeiten, indem diese immer unter dem Vorwand bloser Vertheidigung ausgeübt werden konnten. Wie mit der Vindication (et)c. so verhielt es sich auch mit dem Int. de vi: der Besitzstand war nach des Klägers eigener Behauptung entschieden, denn der Kläger behauptete nur aus einer obligatio die Restitution des Besitzes fordern zu können. Ganz anders bey dem Int. uti possidetis: hier ist es gerade der jezige Zustand des Besitzes worüber fast immer gestritten wird, folglich lag dabey gerade in dem Gegenstande des Streites die Veranlassung der Gewaltthätigkeit, und es bedurfte einer eigenen Rechtsanstalt, um nur vorläufig, d. h. bis zu Entscheidung der Sache selbst, alle Gewalt zu verhüten. Diese Anstalt war das Summariissimum, dessen Beschaffenheit nun leicht zu bestimmen ist. Es bezieht sich lediglich auf ein Int. uti possidetis, worüber
(462) Sechster Abschnitt.
noch nicht entschieden ist: es ist nur nöthig, wenn die Gefahr offenbarer Gewaltthätigkeit so dringend ist, daß sie nur durch eine vorläufige Verfügung des Richters vermieden werden kann: es gilt in diesem Fall als ein provisorisches Int. uti possidetis selbst, d. h. es wird gerade dieselbe Rechtsfrage untersucht und entschieden, wie in dem Int. uti possidetis, und der einzige Unterschied besteht darin, daß die Nothwendigkeit einer schnellen Entscheidung jede andere Rücksicht, selbst die der vollständigen factischen Gewißheit, überwiegt. – Das erste, worauf es bey dem Int. uti possidetis ankam, war gegenwärtiger juristischer Besitz, und es ist ganz ohne Grund, wenn viele behaupten, daß blose Detention und nicht eigentlicher Besitz für das Summariissimum erfordert werde. Freylich wird es dem, welcher blose Detention hat, hier leichter als in dem Int. uti possidesis (= possidetis) (!) gelingen, den Richter zu täuschen, und Seine Detention als Besitz gelten zu lassen: allein Gegenstand der Untersuchung und Grund der Entscheidung ist doch immer der juristische Besitz, und es ist durchaus kein Grund denkbar, warum hier etwas anderes gelten sollte als bey dem Int. uti possidetis selbst. Denn der eigenthümliche Zweck wozu das Summariissimum bestimmt ist (Verhütung von Verbrechen) wird durch jede Festsetzung des Besitzstandes erreicht, und auser diesem Zweck ist überhaupt kein Grund der
(463) Modificationen des Römischen Rechts.
Entscheidung zu denken möglich, als der, nach welchem auch das Int. uti possidetis entschieden wird. – Allein nicht jeder Besitz war bey dem Int. uti possidetis hinreichend, sondern durch die bekannten drey Exceptionen war jede injusta possessio ausgeschlossen. Auch diese Exceptionen müssen hier das Urtheil bestimmen, nur ist die Anwendung dieses Satzes nicht leicht möglich, da ein so schneller Beweis dieser Exceptionen, als hier geführt werden müste, in den meisten Fällen nicht wird geführt werden können.
Nach dieser ganzen Darstellung also ist der eigentliche Zweck jenes Instituts die Verhütung von Verbrechen, und Man kann es als eine Maasregel betrachten, die die Polizey unter der Form eines Rechtsinstituts zu brauchen für gut gefunden hat. Diese Ansicht wird bestätigt durch die bestimmte Form, unter welcher dasselbe in Deutschland von der Gesetzgebung eingeführt worden ist, und obgleich diese Bestimmung nicht als allgemeines Gesetz für ganz Deutschland gegeben worden ist, so hat es doch keinen Zweifel, daß das Wesentliche ihres Inhalts die sicherste Norm der Entscheidung ist, wo sie nicht etwa mit den Gesetzen einzelner Länder, sondern nur mit einem unbestimmten Gerichtsgebrauch concurrirt. Der Inhalt des Gesetzes
(464) Sechster Abschnitt.
ist dieser (1): Wenn unmittelbare Unterthanen des Deutschen Reichs über den Besitz streiten, der jezige Besitzstand zweifelhaft und die Lage der Sache so ist, „daß sorgliche Empörung, Weiterung oder Aufruhr (also Bruch des Landfriedens) daraus zu besorgen“, so soll das Kammergericht das Recht haben, auf Anrufen der Parteyen oder auch ex officio den Besitz zu sequestriren und unmittelbar darauf „ohne einigen Gerichtlichen Prozeß oder andere weitläufftige Ausführung der Sachen zu erkennen, welchem Theil die momentanea Possessio vel quasi einzugeben, oder zu inhibiren sey, sich derselben bis zu endlichem Austrag des endlichen Rechtens, in Possessorio und Petitorio (2) zu enthalten, und so das beschehen, soll alsdann solches
(1) Ord. Cam. 1555. P. 2. Tit. 21. §. 3, Conc. Ord. Cam. P. 2. T. 22. §. 4. 5.
(2) Frider (de interd. Comm. 13.) will die ganze
Eintheilung in ordinarium und summarium nicht gelten lassen, und Er legt auf
diese neue Meinung groses Gewicht. Das summ., meint Er, sey das einzige
possessorium, und das ordinarium, wovon sonst und auch wohl in den
Reichsgesetzen geredet werde, sey nichts anders als das petitorium, weil darin
ja auch die possessionis causa (d. h. die endliche Entscheidung des
Besitzstandes) enthalten sey. Am Ende des Abschnitts giebt Er aber doch selbst
ein Paar Ausnahmen zu, und es trifft sich gerade, daß in diesen Ausnahmen alle
die Fälle enthalten sind, in welchen das summar. als Regel gilt.
(465) Modificationen des Römischen Rechts.
keinen Theil an seinem Inhaben oder Besitz im Recht nachtheilig seyn.“
Nach diesem Gesetze ist es leicht, die Art der Anwendung jenes Instituts zu bestimmen. Der erste Grund nämlich, warum es auch in diesem Gesetz vorgeschrieben ist, liegt offenbar darin, daß selbst das (gewöhnliche) possessorium nicht schnell genug entschieden werden kann. Aber nicht die lange Dauer der Prozesse allein ist der Grund jener Vorschrift, sondern die Gefahr der öffentlichen Sicherheit, welche durch jene lange Dauer verursacht wird. Wo also eine solche Gefahr nicht nachgewiesen werden kann, da kann das Summariissimum nicht etwa deswegen angewendet werden, weil Eine Partey wegen der Langwierigkeit der gewöhnlichen possessorischen Prozesse vorläufig in den Besitz zu kommen wünscht. Wäre dadurch allein das Summariissimum begründet, so liese sich kein Grund denken, warum nicht bey jedem anderen Rechtsstreite, z. B. über Eigenthum, eine solche provisorische Entscheidung gelten sollte, da bey allen Prozessen die lange Dauer derselben gleich drückend ist. Ja es ist sehr natürlich, daß durch den häufigen Gebrauch, der von jenem Institut gemacht wird, der Streit über Besitz immer noch langwieriger werden muß, und daß bald ein zweites Summariissimum nöthig wäre, um der langen Dauer des ersten zu entgehen. Wenn dagegen dieses Institut
(466) Sechster Abschnitt.
nur so angewendet wird, wie seine ursprüngliche Bestimmung und die Vorschrift der Reichsgesetze es fordern, so ist es klar, daß in den einzelnen Ländern in Deutschland der Gebrauch desselben nur sehr gering seyn kann: denn eigenmächtige Störung der öffentlichen Sicherheit ist das einzige, was dadurch abgewendet werden soll, und davon ist in den einzelnen Staaten Deutschlands wenig mehr zu befürchten.
Bisher ist blos das possessorium summarium untersucht worden, ohne das ordinarium auch nur zu berühren: dieses lezte nämlich wird nur um des Gegensatzes willen mit diesem Namen bezeichnet, es ist nichts anderes als das alte Int. uti possidetis, und es ist leicht zu begreifen, daß die Polizeyanstalt, wodurch nur vorläufig die öffentliche Sicherheit erhalten werden sollte (das summariissimum), auf dieses Interdict keinen Einfluß haben konnte. Einige Juristen haben gerade das umgekehrte Verhältniß angenommen (1), und einzelne Anwendungen dieser Meinung finden sich bey sehr
(1) F. A. Hommel, diss. de processu poss. summ. quaest. 12, Lips. 1748, Qu. 1-3. Klepe de nat. et ind. poss. ad interd. Cap. 3. p. 35. 36. Klepe läßt eigentlich beide Possessoria neu einführen: das Ordinarium vom Canonischen Recht, das Summarium von der Kammergerichtsordnung: die Interdicte aber sollen doch auch noch gelten. Aber in welchem Verhältniß das alles neben einander bestehen soll, ist schwer zu begreifen.
(467) Modificationen des Römischen Rechts.
vielen Schriftstellern: das Summarium nämlich soll das alte Interdict seyn, nur etwa mit einigen Modificationen, das Ordinarium aber soll ein Mittelding von Possessorium und Petitorium seyn, welches das Canonische Recht zwischen Beide eingeschoben habe. Daß diese Ansicht historisch falsch ist, zeigt der erste Blick auf die älteren Schriftsteller und auf das angeführte Reichsgesetz. Jene Schriftsteller behandeln ohne Ausnahme das Summarissimum (!) (die Recredentia, das Interim etc.) als etwas Neues, das der Gerichtsgebrauch dem Römischen Recht hinzugefügt habe, und die Kammergerichtsordnung, welche die Bedingungen der Anwendung dieses Instituts genau bestimmt, sagt ausdrücklich, daß diese vorläufige Entscheidung auf das Endurtheil über das Recht selbst sowohl als über den Besitz keinen Einfluß haben soll (S. 464), und damit kann nichts anderes gemeint seyn, als das was das Römische Recht über Eigenthum und Besitz bereits bestimmt hatte. Von jener falschen Meinung über das Possessorium ordinarium giebt es vorzüglich zwey wichtige Anwendungen. Erstens, der Besitz, worauf sich das Ordinarium gründet, soll eine justa possessio seyn müssen. Versteht Man darunter nur das, daß die possessio nicht injusta (d. h. weder gewaltsam, noch heimlich, noch precario erworben) seyn dürfe, so ist der Satz wahr, allein er sagt weiter nichts, als
(468) Sechster Abschnitt.
was schon nach dem Römischen Recht keinen Zweifel hat, daß das Interdict durch die bekannten drey Exceptionen ausgeschlossen werde. Soll dagegen die justa possessio ein solcher Besitz seyn, der durch eine juristische Handlung (justus titulus) entstanden ist (1), so ist der Satz ganz falsch, und beruht auf einer gänzlichen Verwirrung der Begriffe von Eigenthum und Besitz. – Die zweite Anwendung jener Meinung betrifft die Dauer des Besitzes: der Besitz soll nämlich vor mehr als Einem Jahre da gewesen seyn, wenn das Ordinarium gelten soll (2). Diese Bestimmung, die fast noch willkührlicher ist als die erste, ist aus einer misverstandenen Stelle des Canonischen Rechts entstanden, und Man hat sich dadurch eben nicht irre machen lassen, daß das Canonische Recht die ganze Unterscheidung zweyer possessorischen Klagen völlig
(1) Hommel l. c. p. 15. 16. – Hier ist die Wahrheit der Bemerkung recht auffallend, die oben (S. 443) über die Genealogie dieser Art von Irrthümern gemacht worden ist. Der Zusammenhang dieser Meinung mit einer andern über den Begriff des Besitzes (S. 96-98) und einer dritten über die Natur der Interdicte (S. 336) ist unverkennbar.
(2) Hommel l. c. qu. 1. 2, Klepe l. c. p. 36. – Nach Hommel soll gar das Ordinarium ein Remedium recuperandae possessionis seyn: dadurch wird die ganze Verwirrung so gros, daß man nicht weis, wo die Widerlegung eigentlich anheben müste, um Alles abzuthun.
(469) Modificationen des Römischen Rechts.
ignorirt. Der Fall, welchen Innocenz III. zu entscheiden hatte (1), betraf den Besitz eines Districts mit Jurisdiction und anderen Rechten. Beide Parteyen hatten eine Menge Zeugen vorgebracht, Jede hatte bewiesen, daß Sie seit vielen Jahren solche Rechte ausgeübt habe, und das Factum des Besitzes war folglich höchst zweifelhaft. In dieser Verlegenheit entschied der Papst so: weil Ein Theil schon 60 Jahre jenen District mit allen Hoheitsrechten besizt, und zugleich einen rechtlichen Grund seines Besitzes bewiesen hat, der andere Theil aber erst seit 50 Jahren einzelne Hoheitsrechte ausübt, und keinen Rechtstitel dieser Ausübung nachweisen kann, so soll in dem Int. uti possidetis jener erste Theil im Besitz geschüzt werden. Dieses Urtheil ist in die Decretalen eingerückt worden, aber was folgt daraus? daß in dem blosen Streit über Besitz der Rechtstitel des Besitzes unter andern als Entscheidungsgrund angeführt wird (2), und zwar in einer Sache, die wegen der gegenseitigen Beweise im höchsten Grad zweifelhaft war. Daß auch bey einem klaren Factum durch diese Rücksicht das Urtheil bestimmt
(1) C. 9. X. de probat.
(2) Der Hauptgrund der Entscheidung nämlich ist offenbar der, daß der Eine Theil 10 Jahre vor dem Andern würklich Besitzer gewesen sey, also (nach der Regel: plures in solidum etc.) der Andere nicht neben Ihm habe Besitzer seyn können.
(470) Sechster Abschnitt.
worden wäre, wird dadurch nicht einmal wahrscheinlich, und daß Wir diese Rücksicht nehmen sollen, folgt daraus auf keine Weise. Noch einleuchtender ist die Willkührlichkeit jener Interpretation, was die Dauer des Besitzes betrifft. Die Ausübung der Hoheitsrechte wurde zufällig von Einer Seite für die lezten 60 Jahre, von der andern für 50 Jahre behauptet: also – schliest Man – ist das Ordinarium auf solchen Besitz eingeschränkt, der mehrere Jahre gedauert hat.
§. 52.
Das Resultat dieser Untersuchung über den Inhalt der neueren Gesetzgebungen ist folgendes. Es sind darin allerdings Rechtssätze aufgestellt, die das Römische Recht nicht kannte: allein durch diese Sätze ist das Ganze der Römischen Theorie so wenig aufgehoben, daß sie selbst im Gegentheil nicht anders Sinn haben können, als indem Man sie als Zusätze zu jener Theorie betrachtet, deren Gültigkeit eben dadurch sehr deutlich anerkannt ist.
(471)
Inhalt.
Einleitung:
I. Quellenkunde.
II. Literärgeschichte.
Erster Abschnitt: Begriff des Besitzes (1-143).
§. 1. Einleitung in diese Untersuchung (1-5).
Detention, als Grundlage des Begriffs (2). – Besitz, als Bedingung von Rechten: jus possessionis, verschieden von jus possidendi (3). – Uebersicht über den ersten Abschnitt (4).
§. 2. Juristische Bedeutung, wodurch die Detention zum Besitz wird (5-9).
Erste Bedeutung: Usucapion (5). – Zweite Bedeutung: Interdicte. Beziehung derselben auf formelles Unrecht (6).
(472) Inhalt.
(Erster Abschnitt:)
§. 3. Widerlegung anderer Beziehungen (9-16).
Tradition und Occupation (10). – Prätorisches Eigenthum (11). – Fructuum perceptio (12). – Freiheit vom Beweise (12). – Selbsthülfe (14).
§. 4. Stelle dieser Lehre in den Quellen des Römischen Rechts (16-21).
Institutionen (16). – Pandekten (17). – Codex (17). – [Basiliken (18)]. – Paulus (18). – Edict (18). – Stelle der im 3ten §. abgehandelten Gegenstände (20).
§. 5. Ist der Besitz ein Recht? (21-25).
Der Besitz ist Factum und Recht zugleich [Dominium possessionis] (22). – Regel, die hieraus folgt [Keine Successio in possessionem] (23). – Ausnahmen dieser Regel (23).
§. 6. Zu welcher Classe von Rechten gehört der Besitz? (25-32).
Diese Frage betrifft nicht die Usucapion (25). – Die Interdicte gehören in das Obligationenrecht (26). – Es sind obligationes ex maleficiis (26). – Warum
(473) Inhalt.
(Erster Abschnitt:)
(§. 6.)
rechnen die Römer sie nicht darunter? (27). – Literärische Bemerkungen (28).
§. 7. Sprachgebrauch der Römischen Juristen (32-65).
Uebersicht über den §. (32).
1. Possessio civilis und naturalis (34-47).
Nach der allgemeinen Bedeutung von civilis (34). – Nach einzelnen Anwendungen: a. pignus. L. 3. §. 15. ad exhibendum (40). – b. donatio inter virum et uxorem (43). [L. 46. de don. int. v. et ux. (44, vergl. 355)]. – c. Besitz, den ein Sclave hat (46). – d. Besitz an einem einzelnen Theile einer Sache (46). – e. Andere Anwendungen (46). – Possessio naturalis (47).
2. Possessio (ad interdicta) und Possessio naturalis (47-54).
a. Possessio, als juristisches Verhältniß im Gegensatz der possessio naturalis (47). Das natürliche Verhältniß kann in dem juristischen enthalten seyn (49). – b. Beziehung jenes
(474) Inhalt.
(Erster Abschnitt:)
(§. 7.)
Gegensatzes auf Interdicte (50). – L. 9. de Rei Vind. (52).
3. Verhältniß der Possessio civilis zu der Possessio (ad interdicta) (54-58). – Es liegt keine Eintheilung des Besitzes dabey zum Grunde (55). – Resultate: Für die Interpretation der Quellen (56). – Für die Kritik (57). – Für die Geschichte der Interdicte (57).
4. Possessio naturalis (58-61).
Zwey Bedeutungen des Worts (58). – Beide sind negativ (59). – Erste Bedeutung in Beziehung auf Usucapion. L. 1. §. 9. 10. de vi (59). – Zweite Bedeutung, in Beziehung auf Interdicte (60). – Regel für die Interpretation (61).
5. Possessio überhaupt (62-65).
Ursprünglich nichtjuristisch (62). – Unbedeutende Etymologie (62). – Possessio, als juristischer Besitz (63). – Regeln für die Interpretation (63).
(475) Inhalt.
(Erster Abschnitt:)
§. 8. Fortsetzung der Untersuchung über den Sprachgebrauch (65-77).
Possessio justa, injusta (65). – Possessio bonae fidei, malae fidei (68). – Possessio, Besitzung für: Sache, die im Eigenthum ist (69). – Possessio für: Prätorisches Eigenthum (70). – Possessiones, Grundstücke die das Ius Italicum nicht hatten. L. 115. de V. S. (71). – Possessio ususfructus (72). – Bonorum Possessio (72). – Possessio für: Verhältniß des Beklagten. Iuris Possessor. L. 62. de judic. (73). – Regel für die Interpretation (76).
§. 9. Materieller Begriff des Besitzes (77-88).
Detention allein reicht nicht hin zum Besitz (77). – Animus dominii exercendi (78). – Abgeleiteter Besitz: hier ist nicht, wie bey dem ursprünglichen, der animus domini nöthig (79). – Animus possidendi (81). – Tabelle für die Anwendung des Römischen Sprachgebrauchs. [Besitz des Eigenthümers?] (82). – Gegenstände, die nicht im Besitze seyn können: freye Menschen, res
(476) Inhalt.
(Erster Abschnitt:)
(§. 9.)
publicae, res sacrae (83). – Subjecte, die des Besitzes unfähig sind (85). 1. Filiusfamilias (86). 2. Sclaven, oder die als Sclaven besessen werden (87). 3. Capite deminuti (88).
§. 10. Literärgeschichte dieses Begriffs (88-107).
I. Erklärung der Eintheilung der possessio (civilis, naturalis) aus der Art der Ausübung. Placentin. (89). Azo. (91).
II. Erklärung aus den juristischen Würkungen (92).
Erste Partey (93). Bassian (95). Bartolus (96). Cujaz (97).
Zweite Partey (98).
Dritte Partey (100). Cuper (102-105).
Verbindung mehrerer entgegen gesezten Meinungen (105).
Donellus (106).
§. 11. Aller Besitz ist ausschliesend (plures eandem rem in solidum possidere non possunt) (107-133).
Compossessio gehört gar nicht hierher (108). Verschiedene Meinungen der Römischen
(477) Inhalt.
(Erster Abschnitt:)
(§. 11.)
Juristen: Bestimmung der Streitfrage (108-111). Einige behaupten die Regel ganz allgemein, Andere nur mit Ausnahme der possessio justa und injusta (111-113).
Beweis der Regel im allgemeinen. L. 3. §. 5. de poss. (113-116). [L. 19. pr. de precar. (114)] – L. 5. §. 15. commodati (116-117).
Erklärung der einzelnen Anwendungen, über welche allein gestritten wurde:
A. Violenta possessio (117-121). L. 1. §. 45. de vi (118). L. 17. pr. de vi (120).
B. Clandestina possessio (121. 122).
C. Beide vorige Fälle zusammen gefaßt. L. 3. pr. uti possidetis (122-125).
D. Precaria possessio (125-128). L. 15. §. 4. de precario (126). L. 13. §. 7. 9. de poss. (127).
Resultate: Für die Geschichte (128). Für das System (129).
Literärgeschichte (130-133). [Possessio vacua (132)].
(478) Inhalt.
(Erster Abschnitt:)
§. 12. Uebersicht über die folgende Abhandlung (133-143).
Besitz (d. h. Ausübung des Eigenthums) ist nur an Körpern möglich (135). Iura oder Iura in re (136). Iurium quasi Possessio (136-138). Verwechslungen, die bey diesem Begriff zu verhüten sind (139-140). Misverständnisse unserer Juristen (140-142).
Zweiter Abschnitt: Erwerb des Besitzes (144-270).
§. 13. Uebersicht (144-146).
§. 14. Factum, erste Bedingung des Erwerbs (146-152).
Gewöhnliche Meinung über das Factum. Ficta apprehensio durch symbolische Handlungen? (146). – Bedeutung der Frage (147). – Interesse der Frage (148). – Unwahrscheinlichkeit der gewöhnlichen Meinung (149). Richtiger Begriff der Apprehension, durch die folgende Darstellung zu beweisen (150).
§. 15. I. Apprehension der Grundstücke (152-156.).
Körperliche Gegenwart (152). – Concurrenz einer andern Person, aufgehoben
(479) Inhalt(.)
(Zweiter Abschnitt:)
(§. 15.)
durch Ihren Willen (154): durch Gewalt. L. 52. §. 2. de poss. (155). – Ausnahme der Regel (156).
§. 16. II. Apprehension beweglicher Sachen (157-166).
Gegenwart (157). L. 79. de solut. (157). L. 1. §. 21. de poss. (158). L. 51. de poss. (159.) L. 14. §. 1. de peric. et comm. rei vend. (161). – Anwendungen (161-166). Wilde Thiere (162). Uebergabe der Schlüssel (163). [L. 74. de contr. emt. (166)].
§. 17. Fortsetzung des vorigen §. (167-178).
Apprehension ohne Gegenwart, wenn die Sache im Hause niedergelegt wird (167). L. 18. §. 2. de poss. (167). Grund (168). Nähere Bestimmungen (168). [L. 30. pr. de poss. (169)]. – Schätze: Begriff (170). Erwerb des Besitzes (171). L. 15. ad exhibendum (172). L. 44. pr. de poss. (173). L. 3. §. 3. de poss. (173-178).
§. 18. Nähere Bestimmung des Begriffs der Apprehension (179-184).
(480) Inhalt(.)
(Zweiter Abschnitt:)
(§. 18.)
Beziehung auf Bewustseyn (181). Neuer Ausdruck für den materiellen Begriff des Besitzes (182). Beyspiel der Anwendung (183).
§. 19. Erwerb des Besitzes, wenn das physische Verhältniß schon vorher existirt (184-188).
Traditio brevi manu (185). [L. 47. de rei vind. (185)]. Bedingte Uebergabe (187). Ausnahme der Regel (188).
§. 20. Animus, zweite Bedingung des Erwerbs. – Uebersicht. (188-190).
§. 21. Personen, welche des animus unfähig sind (190-204).
Juristische Personen (190). – Wahnsinnige (191). – Pupillen L. 1. §. 3. de poss. (192). – Kinder (193). L. 32. §. 2. de poss. (194-197). L. 3. C. de poss. (197-204). [Variante des Alciat (197). Literärgeschichte (201)].
§. 22. Besitz an einem einzelnen Theil einer Sache (204-215).
Erste Regel [Willkührlicher Begriff des Ganzen] (204). – Zweite Regel [Ideelle
(481) Inhalt(.)
(Zweiter Abschnitt:)
(§. 22.)
Theilung] (205). L. 26. de poss. (206). L. 32. §. 2. de usurp. (207). L. 3. §. 2. de poss. (207). – Dritte Regel (208). – Vierte Regel [Besitz des Theils in dem Ganzen] (208). 1.) Bewegliche Sachen. L. 7. §. 1. 2. ad exhib. (209 vgl. 213). 2.) Grundstücke (210). 3.) Schätze (210). 4.) Gebäude. L. 23. pr. de usurp. Eigenheiten dieses Falls (211-213). – Die vierte Regel gilt nicht für die Fortdauer des Besitzes (213.) L. 30. §. 1. de usurp. (214).
§. 23. Abgeleiteter Besitz (215-227).
Drey Classen ohne Eigenthum veräuserter Detention (215).
Erste Classe: Immer ohne das Recht des Besitzes (216). – Procurator possessionis (216). – 2.) Commodatarius (217). – 3.) Conductor (217). [Ausnahmen? Possessionis conductio. (218)]. – 4.) Missus in possessionem (219). [L. 7. pr. quib. ex causis. L. 30. §. 2. de poss. (220)]. – 5.) Fructuarius (221). [Cicero pro Caec. 32? (222)].
(482) Inhalt.
(Zweiter Abschnitt:)
(§. 23.)
L. 6. §. 2. de prec. (222). L. 12. pr. de poss. (222) L. 52. pr. de poss. (223). Schriftsteller (223). – Usuarius (225). – Superficiarius (225). – L. 3. §. 7. uti poss. (225). – Ius in agro vectigali (226). – Placentin (227).
§. 24. Zweite Classe: Immer mit dem Rechte des Besitzes zugleich (227-235).
Creditor pigneratitius (227). – Grund dieses Besitzes (228). – Nähere Bestimmung desselben (230). – Beweise (231-234). [L. 7. §. 2. C. de praescr. 30. l. 40. ann. (232). L. 36. de poss. (233)]. – Literatur (234).
§. 25. Dritte Classe: Zuweilen mit dem Recht des Besitzes, zuweilen ohne dasselbe (235-240).
Depositum (235-237). L. 17. §. 1. depositi (237). – Precarium (237-240). [Possessionis Precarium (239)].
§. 26. Erwerb durch fremde Handlungen (240-257).
Eigenthümlichkeit dieses Erwerbs (240). Handlung des Repräsentanten (242).
(483) Inhalt.
(Zweiter Abschnitt:)
(§. 26.)
[L. 1. §. 19. 20. de poss. (242). L. 37. §. 6. de adqu. rer. dom., L. 13. de donat. (243)]. – Wille des neuen Besitzers selbst (244). Ignorantis possessio, zweydeutig L. 1. §. 22. de poss. (244). – Juristisches Verhlätniß (= Verhältniß) (!) zwischen Beiden (245). A.) Befehl (245). Sclaven (246). Filiifamilias (247). Peculiaris causa (248). – B.) Auftrag (249) L. 51. de poss. (251). L. 41. de usurp. (252). L. 13. pr. de adqu. rer. dom. (252). L. 1. C. de poss. (252). Der Satz galt schon zur Zeit des Labeo, und nicht erst seit Sever (253). Nähere Bestimmungen (253-257) [Paulus V. 2. §. 2, Lib. 42. §. 1. de poss. (255)].
§. 27. Constitutum possessorium (257-266).
L. 18. pr. de poss. (258). – Begriff des Constitutum (259). – Es ist in der Regel nicht anzunehmen. L. 48. de poss. (260). – Ausnahmen: A.) Schenkung und Pacht in derselben Handlung (261). B.) Vorbehalt des ususfructus
(484) Inhalt.
(Zweiter Abschnitt:)
(§. 27.)
(262). C.) Pignus precario rogatum (262) [L. 16. de oblig. et act. (263)]. – D.) Societas universorum bonorum (263). – E.) L. 1. C. de donat. (264). – Literatur (265).
§. 28. Resultate dieses Abschnitts (266-270).
Blos juristische Handlungen geben den Besitz nicht (266). Erbschaft (266). Mancipation (267). – Blos juristische Gründe verhindern den Besitz nicht (268-270) [L. 22. de poss. (268)].
Dritter Abschnitt: Verlust des Besitzes (271-326).
§. 29. Einleitung (271-274).
Bestimmung der Fortdauer und des Verlustes gleichbedeutend (271). – Regel des Verlustes aus dem Begriff des Besitzes abgeleitet: Factum allein, und Animus allein, ist zum Verluste hinreichend (272).
§. 30. Historische Untersuchung dieser Regel (274-281).
L. 44. §. 2. de poss. (274). – L. 153. de R. I., [L. 8. de poss.] (275-280). Gewöhnliche Erklärung verworfen (275).
(485) Inhalt.
(Dritter Abschnitt:)
(§. 30.)
„Utrumque“ (276). L. 16. de leg. 2. (277). L. 8. §. 5. C. de bonis quae lib. (278). L. 1. §. 3. uti poss. (279). [Logischer Zusammenhang jener Stelle (279)]. – Uebersicht über die folgenden §§. (280).
§. 31. Verlust durch Factum (281-298).
Bewegliche Sachen von Anderen occupirt (281), oder an einem unzugänglichen oder unbekannten Orte (282) [Custodia (282). L. 47. de poss. (283). L. 3. §. 13. de poss. (284)]. Zahme Thiere (285) [Sclaven (285)]. Wilde Thiere (285) [L. 3. §. 14. 15. de poss. (286)]. Gezähmte Thiere (286). – Unbewegliche Sachen (287-289). Blose Abwesenheit hebt nicht den Besitz auf (289) [Saltus hiberni et aestivi (289)]. – Durch eine besondere Ausnahme wird selbst durch fremde Occupation des Grundstücks, ohne des Besitzers Bewustseyn, der Besitz nicht verloren (290). Folgen des Satzes (291). Beweise, mit Rücksicht auf die Geschichte des Satzes (293). [L. 18. §. 3. 4. de poss. (294). L. 25.
(486) Inhalt.
(Dritter Abschnitt:)
(§. 31.)
§. 2. de poss. (295). L. 6. §. 1. L. 7. de poss. (296)]. – Resultate für den Verlust durch Factum (298).
§. 32. Verlust durch Animus (298-308). Regel für diesen Verlust (298. 299). – Persönliche Unfähigkeit dazu (300). [L. 29. de poss. (300). L. 11. de adqu. rer. dom. (301)]. Ausdehnung dieser Unfähigkeit (301). [Animo desinere possidere (302)]. – Beweis des Animus non possidendi durch Interpretation (302): A.) Constitutum (303). B.) Rei vindicatio? L. 12. §. 1. de poss. (304, vgl. 340). C.) Blose Unterlassung (305) [L. 37. §. 1. de usurp. (306). L. 4. C. de poss. (306). Saltus hiberni et aestivi (307)].
§. 33. Fortsetzung des Besitzes durch Repräsentanten (308-326).
Was muß der Besitzer selbst thun? (308). – Verhältniß zwischen Ihm und dem Repräsentanten (309). – Was muß der Repräsentant thun? (310). A.) Verlust an den Repräsentanten (311-316).
(487) Inhalt.
(Dritter Abschnitt:)
(§. 33.)
L. 20. de poss. (311). Ausnahmen, die für diesen Fall gelten (312) [L. 67. pr. de furtis (313). L. 47. de poss., L. 3. §. 18. eod. (314)]. – B.) Verlust durch den Repräsentanten (316-326). Fälle, die nie bestritten worden sind (316-318). Streitige Fälle (318-326). L. 40. §. 1. de poss. (319). L. 3. §. 6-9. de poss. (320). L. 12. C. de poss. (323-326).
Vierter Abschnitt: Interdicte (327-411).
Schriftsteller (327).
§. 34. Begriff der Interdicte (328-330).
Sie gehörten vor den Iudex, so gut als actiones (328). – Sie sind, wie diese, extraordinaria judicia geworden (329). – Das Eigenthümliche dieses summarischen Prozesses ist nicht nur unpractisch, sondern unbekannt (330).
§. 35. Possessorische Interdicte (331-335).
Begriff: Klagen aus dem Recht des Besitzes (331). – Interdicta adipiscendae possessionis? sie sind nicht possessorische Klagen, ja sie machen überhaupt keine
(488) Inhalt.
(Vierter Abschnitt:)
(§. 35.)
eigene Classe von Klagen aus (331-335). [Paulus III. 5. §. 18. (332)].
§. 36. Die possessorischen Interdicte sind nicht provisorische Vindicationen (336-342).
Begriff der provisorischen Rechtsmittel (336). [Etymologie des Isidor und Anian (336)]. – Der Irrthum ist schon durch die bisherige Darstellung widerlegt (337). – Besondere Veranlassungen des Irrthums (338). [Lis vindiciarum (339)]. L. 12. §. 1. de poss. (340). – Uebersicht über den vierten Abschnitt (340-342).
§. 37. Interdicta retinendae possessionis im allgemeinen (342-348).
Schriftsteller (342).
Bedingungen: 1.) Besitz (342). 2.) Gewaltsame Verletzung (342). 3.) Gegenwärtige Dauer des Besitzes (343). [L. 11. de vi (344)]. – Zweck (345). Sie sind Interdicta duplicia (345-348).
§. 38. Interdictum uti possidetis (348-354).
Quellen (348).
Bedingungen (349): Possessio
(489) Inhalt.
(Vierter Abschnitt:)
(§. 38.)
civilis? [Cuper] (349). Gegenwärtiger Besitz (349). – Würkung (350). Caution [L. un. C. uti poss.] (351). – Exceptionen: 1.) vi, clam, precario possidere (352). 2.) Verjährung (353).
§. 39. Interdictum utrubi (354-364).
Quellen (354).
Bedingungen: Possessio civilis? [Cuper] (355). Besondere Bedingung des Besitzes, von Justinian aufgehoben (355). Gegenwärtiger Besitz (356) [? Interesse der Frage (356)]. Gegengründe widerlegt: L. 3. §. 5. ad exhib. (357). Petron. Cap. 13. (359). L. 14. C. de agricolis [Cod. Th. V. 23.] (359). Directer Beweis des Satzes: Paulus V. 6. §. 1. 5. (361). – Würkung (362). – Exceptionen: 1.) vi, clam, precario possidere (362) [und zwar ab adversario, selbst nach dem ältern Recht (362)]. 2.) Verjährung? (363).
§. 40. Interdicta de vi (364-391).
Quellen (364). Schriftsteller (364). Vis quotidiana, [civilis? festucaria?
(490) Inhalt.
(Vierter Abschnitt:)
(§. 40.)
lis vindiciarum?] armata: fast aller Unterschied aufgehoben (365-367). – Bedingungen des Interdicts: 1.) Besitz [? Cicero pro Caec. C. 31. 32.] (367-371). 2.) Vis atrox (371. 372). 3.) Der Beklagte selbst muß die Gewalt zugefügt haben. Ausnahmen (372. 373). 4.) Dejectio, d. h. Verlust des Besitzes durch Gewalt [L. 5. de vi, L. 17. eod., L. 3. §. 9. eod. (374-377).] 5.) Unbewegliche Sache; historische Erklärung des Satzes (377-380). Durch die Constitutionen ist er aufgehoben (380. 381). – Würkung: A.) Restitution (381) [L. 16. de vi (382)] B.) Interesse [Usucapion?] [Iuramentum Zenonianum]. [(382-385)]. – Exceptionen [Vis armata (385)]: 1.) Vi, clam, precario possidere (385) [Cic. ep. ad fam. VII. 13]. Ausnahme bey vis armata (386). Grund der Regel (386). Justinian hat die Exception verworfen: historische Erklärung (387. 388). In den Pandekten sind nur
(491) Inhalt.
(Vierter Abschnitt:)
(§. 40.)
noch indirecte Beweise für sie übrig: L. 1. §. 30, L. 18. pr., L. 17, L. 14. de vi (388-390). – 2.) Verjährung. [Domat]. Ausnahmen (390. 391).
§. 41. Interdictum de clandestina possessione (392-397).
Bedingungen (392-394).
Clandestina possessio (392-394) [L. 4. pr. pro suo (393)]. Ausnahme des Eigenthümers (393). Sie bezieht sich nicht nothwendig auf fremden Besitz (393): das Interdict aber ist nur unter dieser Bedingung möglich (394). Es geht nur auf unbewegliche Sachen (394). Existirt überhaupt ein solches Interdict? (395-397) [L. 7. §. 5. comm. divid. (395). Historischer Zusammenhang (396)].
§. 42. Interdictum de Precario (398-403).
Quellen (398). Schriftsteller (398).
Begriff des Precarium [Paulus V. 6. §. 11. 12] (398-401). Injusta possessio? (400). – Bedingungen dieser
(492) Inhalt.
(Vierter Abschnitt:)
(§. 42.)
obligatio (401. 402). – Gegenstand (402). – Exceptionen? (403).
§. 43. Neues Recht aus den Constitutionen? (403-411).
Gewöhnliche Meinung (403). – Directer Gegenbeweis (404). – Erklärung der einzelnen Constitutionen selbst: L. 5. C. unde vi (405). L. 8. C. unde vi (406). L. 11. C. unde vi (406-409). L. 12. C. de poss. (409). Tit. Cod. si per vim vel alio modo (410). – Resultat (411).
Fünfter Abschnitt: Iurium quasi Possessio (412).
§. 44. Einleitung (412. 413).
Für den Animus ist hier nichts besonderes zu bestimmen (413).
§. 45. Persönliche Servituten (413-419)
Detention der Sache, hier wie bey dem eigentlichen Besitz (413). – Erwerb [Erwerb des Rechts selbst. L. 3. pr. de usufr.] (414). – Fortsetzung [L. 12. §. 2. de usufr., L. 29. pr. quib. mod. ususfr.] (415. 416). – Interdicte (416): I.) Uti possidetis [L. 4. uti
(493) Inhalt.
(Fünfter Abschnitt:)
(§. 45.)
poss.] (417). II.) Utrubi (418). III.) Unde vi (418. 419). IV.) de clandestina possessione (419). V.) de precario (419).
§. 46. Dingliche Servituten (420-439).
Drey Classen (420). – Erste Classe: Erwerb (421). Verlust? (422). Interdicte, die gewöhnlichen Interdicte gelten hier nicht (422. 423). I.) Int. de itinere: Bedingungen (423-425). Gegenstand (425). Exceptionen [L. 3. §. 2. de itinere] (425-428). – II.) Int. de reficiendo itinere [unpractisch] (428-430); III.) Int. de aqua: Bedingungen (430. 431). Gegenstand (431). Exceptionen (432). – IV.) Int. de rivis (432). – V.) Int. de fonte (432).
Zweite Classe (432. 433).
Dritte Classe [Negative Servituten]: Erwerb des Besitzes [verschiedene Beziehungen der Frage] (433-436). Verlust (436). Interdicte für die zweite
(494) Inhalt.
(Fünfter Abschnitt:)
(§. 46.)
und dritte Classe (436-439) [Int. de cloacis (438)]. [L. 86. de V. S. (438)].
§. 47. Uebrige Iura in re (439-441).
[Lehen? (439)] – Ius in agro vectigali (440). – Superficies (440. 441).
Sechster Abschnitt: Modificationen des Römischen Rechts (442-470).
§. 48. Einleitung (442. 443).
§. 49. Begriff des Besitzes (443-449).
Ausübung jedes Rechts überhaupt? (444). – Richtige Beziehung auf kirchliche und publicistische Rechte (444-446). – Familienrecht? (446-448). – Obligationenrecht? (448-449).
§. 50. Spolienklage (449-459).
Schriftsteller (449). – Can. redintegranda (450). – Vorgeblicher Inhalt der Stelle (451). – Wahrer Inhalt (452-455). – Entstehung der falschen Interpretation? (455. 456). – Andere Bestimmungen des Canonischen Rechts über possessorische Rechtsmittel: 1.) C. 18. X. de restit. spoliat. (456. 457). 2.) Exceptio spolii (457-459).
(495) Inhalt.
(Sechster Abschnitt:)
§. 51. Possessorium Summariissimum (459-470).
Entstehung (459-461). [Erklärung aus dem Römischen Recht?] (460). – Beschaffenheit, aus jener Entstehung abgeleitet (461-463). Bestätigung des Instituts und dieser Ansicht durch die Reichsgesetze (463-466). – Possessorium ordinarium. [C. 9. X. de probat.] (466-470).
§. 52. Resultat des sechsten Abschnitts (470 [!]).
(495) Berichtigungen und Zusätze. (im Text bereits eingearbeitet)
Einleitung I. Quellenkunde; am Schluß derselben ist dieser Zusatz zu machen: „Auser diesen eigenthümlichen Quellen des Besitzes gehören dahin auch die Quellen, welche zunächst auf Occupation, Tradition und Usucapion sich beziehen.“
S. 41. Note, st. „Lips. 1780“ l. „p. 83. ed. Lips. 1780“.
S. 82. Z. 4. v. u., st. „in der Regel“ l. „zuweilen“.
S. 156. Z. 8. v. u., st. „war“ l. „wahr“.
S. 176. Note 1 (bis S. 177). Hier ist in den Citaten eine kleine Verwirrung vorgegangen, die von Z. 7. v. u. an so berichtigt werden muß: „Also nicht blos ein herrenloser Schatz, welches durch die Worte: quia scit alienum esse unläugbar bewiesen ist. Eben so wenig aber blos ein solcher Schatz, der noch in fremdem Eigenthum ist, welches lezte von Cuper aus einem falschen Grunde behauptet (S. 315), von den Meisten aber aus folgenden zwey Gründen bezweifelt wird: A.) weil von“ (et)c. (et)c. (et)c.
S. 269. Note 3, st. „S. o. S.“ l. „S. o. S. 239.“
S. 272. Z. 2. v. o., st. „nur“ l. „nun“.
S. 321. Z. 4. v. o., st. „disscesserintve“ l. „discesserintve“.
S. 375. Note 3, ist zuzusetzen: „L. 17. de vi“.