Gerhard Köbler

 

FERNKERNLERNKURS RECHT

 

Öffentliches Recht

 

Staatsrecht

§ 1 Staatswerdung

§ 2 Staatsgrundlagen

§ 3 Staatsgrundentscheidungen

§ 4 Grundrechte

§ 5 Staatsorgane

§ 6 Staatstätigkeiten

§ 7 Verhältnis zu Europarecht und Völkerrecht

 

§ 1 Staatswerdung

Staatsrecht ist die Gesamtheit der den Staat als solchen in seinen Grundgegebenheiten betreffenden Rechtssätze. Ein Staat befindet sich in der Zeit stets in einem jeweiligen geschichtlichen Zustand, d. h. in einer jeweiligen geschichtlichen Verfassung. Deswegen lässt sich die Gesamtheit seiner ihn im allgemeinen betreffenden Rechtssätze (z. B. Programmsätze, Staatsstrukturbestimmungen, Staatsziele, Grundrechtssätze, Organisationssätze) auch als Verfassungsrecht bezeichnen.

I. Fränkisches Reich und Heiliges Römisches Reich (ca. 476 n. Chr. -1806)

Der Staat Deutschland geht geschichtlich auf die aus den Germanen erwachsenen Franken zurück. Sie eroberten seit dem fünften nachchristlichen Jahrhundert vom Niederrhein aus die römische Provinz Gallien zwischen Atlantik, Pyrenäen, Westalpen und Rhein sowie anschließend die von anderen aus den Germanen erwachsenen Völkern (Alemannen, Bayern, Thüringer, Friesen, Sachsen) bewohnten Gebiete zwischen Rhein und Elbe. Auf Grund einer Teilung unter den karolingischen Königen 843, endgültig 887, bildeten sich Frankreich im (französischen) Westen und das Heilige Römische Reich im (deutschen) Osten. In Frankreich beendete am 14. 7. 1789 die Revolution das vom Absolutismus des Monarchen gekennzeichnete ancien régime. Das als erstes deutsches Reich geführte Heilige Römische Reich löste sich am 6. 8. 1806 unter dem politischen Druck des neuen französischen Kaisers Napoleon Bonaparte auf und entließ seine rund 40 noch bestehenden Glieder (z. B. Österreich, Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Hannover, Hessen, Mecklenburg, Hamburg, Bremen, Luxemburg, Liechtenstein) in die von Frankreich militärisch beherrschte Souveränität. Nach dem Ende der französischen Vorherrschaft (1813) schlossen sich diese Staaten 1815 zum Deutschen Bund (Staatenbund) zusammen. 1866 zerbrach der Deutsche Bund am Gegensatz zwischen Österreich und Preußen.

II. Zweites Deutsche Reich (1871-1933), Drittes Reich (1933-1945)

Unter der Führung Preußens (Bismarcks) fanden sich die meisten deutschen Staaten (ohne Österreich, Luxemburg und Liechtenstein) über den Norddeutschen Bund (1867) mehr oder weniger freiwillig im Bundesstaat (zweites) Deutsches Reich zusammen. Vergeblich versuchte dieser im Gegensatz zu England, Frankreich und Spanien spät entstandene deutsche Nationalstaat zwischen 1914 und 1918 sowie (als Drittes Reich) zwischen 1939 und 1945, kriegerisch Erfolg. Am Ende grenzenlosen, vor allem vom aus Österreich stammenden Reichskanzler Adolf Hitler (1933-1945) ausgelösten Unrechts fand sich das von 1938 bis 1945 um Österreich erweiterte, am 8. 5. 1945 zur bedingungslosen Kapitulation gezwungene (dritte) Deutsche Reich an den Grenzen vielfach beschnitten wieder. Es wurde in vier Besatzungszonen Großbritanniens, der Sowjetunion, der Vereinigten Staaten von Amerika und Frankreichs zerschlagen. Durch Erklärung der Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte übernahmen am 5. 6. 1945 Großbritannien, die Sowjetunion, die Vereinigten Staaten von Amerika und Frankreich die oberste Gewalt in Deutschland.

III. Bundesrepublik Deutschland

Als Folge der unter den Besatzungsmächten entstehenden Spannungen beschlossen am 6. 3. 1948 sechs westliche Staaten die Gründung eines westdeutschen Staates. Ein von der Konferenz der Ministerpräsidenten der inzwischen (unter Zerschlagung Preußens wieder) entstandenen deutschen Länder (Bayern, Baden, Württemberg, Rheinland-Pfalz, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Bremen, Hamburg, Berlin [Sonderstatus]) berufener, auf Herrenchiemsee tagender Konvent (Herrenchiemseer Konvent) legte hierfür einen Entwurf einer bundesstaatlichen Verfassung vor. Nach Annahme durch einen aus Ländervertretern zusammengesetzten Parlamentarischen Rat am 8. 5. 1949, anschließender Genehmigung durch die westlichen Besatzungsmächte und mehrheitlicher Billigung durch die Länder (mit Ausnahme Bayerns) trat am 24. 5. 1949 unter dem Namen Grundgesetz die Verfassung für die neu geschaffene Bundesrepublik Deutschland mit 146 Artikeln in Kraft.

Für das Verhältnis der westlichen Besatzungsmächte zur Bundesrepublik Deutschland wurde am 8. 4. 1949 ein Besatzungsstatut erlassen. Nachdem sich die Bundesrepublik Deutschland am 18. 4. 1951 zur Vergemeinschaftung der Rüstungsindustrie mit Frankreich, Italien, den Niederlanden, Belgien und Luxemburg in der Montanunion (Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl) bereit gefundenhatte, endete am 5. 5. 1955 das Besatzungsstatut mit dem Deutschlandvertrag. Mit ihm erhielt die Bundesrepublik Deutschland, innerhalb deren sich Baden und Württemberg 1951/1952 zu einem Bundesland vereinigt hatten, zu der am 1. 1. 1957 das Saarland zurückkehrte und die am 25. 3. 1957 mit Frankreich, Italien, den Niederlanden, Belgien und Luxemburg auch die Europäische Atomgemeinschaft und die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft bildete, unter einigen Vorbehalten die Souveränität.

In der der Sowjetunion zugeteilten östlichen Besatzungszone erstellte seit dem 18. 3. 1948 ein Deutscher Volksrat einen Verfassungsentwurf. Nach Genehmigung durch die Sowjetunion trat am 7. 10. 1949 eine Verfassung für die Deutsche Demokratische Republik in Kraft. Am 25. 3. 1954 erteilte die Sowjetunion diesem Staat unter Beendigung ihres Besatzungsregimes formal die Souveränität.

Im Grundvertrag vom 21. 12. 1972 verpflichteten sich Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik, Beziehungen auf der Grundlage zweier deutscher Staaten zu entwickeln. Unter dem Druck der Bewohner der wirtschaftlich mehr und mehr zurückbleibenden Deutschen Demokratischen Republik beschloss nach freien Wahlen die Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik am 23. 8. 1990 den Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland. Er erfolgte auf der Grundlage des Einigungsvertrags vom 31. 8. 1990 zum 3. 10. 1990.

Am 12. 9. 1990 schlossen die Vereinigten Staaten von Amerika, die Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich mit der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik den Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland. Er bildete die Grundlage der Aufhebung der noch verbliebenen Einschränkungen der Souveränität Deutschlands. Er trat mit der Hinterlegung der letzten Ratifikationsurkunde am 15. 3. 1991 in Kraft.

Innerhalb der um Spanien, Portugal, Griechenland, Großbritannien, Irland und Dänemark erweiterten Europäischen Gemeinschaften wurde am 7. 2. 1992 der (Maastrichter) Vertrag über die Europäische Union geschlossen und zum 1. 1. 1993 der europäische Binnenmarkt verwirklicht. Seit dem (Amsterdamer) Vertrag vom 2. 10. 1997 verstanden sich die 1995 um Österreich, Finnland und Schweden erweiterten Gemeinschaften als Europäische Gemeinschaft. Die seit 1. 1. 2002 überwiegend eine einheitliche Währung (Euro, Cent) führende, zum 1. 5. 2004 um Estland, Lettland, Litauen, Polen, Ungarn, Slowakei, Tschechishe Republik, Slowenien, Malta und (den griechischen Teil) Zypern(s) vermehrte Europäische Gemeinschaft verwendet für die institutionalisierte politische Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten die Bezeichnung Europäische Union.

 

§ 2 Staatsgrundlagen

Staat ist die auf Dauer berechnete Zusammenfassung einer größeren Anzahl von Menschen (Staatsvolk) auf einem abgegrenzten Teil der Erdoberfläche (Staatsgebiet) unter Regelung aller für das gemeinschaftliche Leben notwendigen Belange durch einen innerhalb der Gemeinschaft obersten Willensträger (Staatsgewalt), falls sich die von diesem Willensträger aufgestellte Ordnung tatsächlich durchgesetzt hat und keinem völkerrechtswidrigen Zweck dient (sog. Drei-Elemente-Lehre).

I. Staatsgebiet

Staatsgebiet ist das zur Ausübung der Staatsgewalt bestimmte Gebiet. In ihm hat der Staat die Befugnis zur Entfaltung hoheitlicher Macht (Gebietshoheit). Im Bundesstaat werden dabei die Gebietshoheit des Gesamtstaats und die Gebietshoheit seiner Mitgliedsländer durch die Verfassung voneinander abgegrenzt.

Das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland besteht aus den Gebieten der 16 deutschen Bundesländer einschließlich des darüber liegenden Luftraums. Jedes Gebiet ist zugleich Bundesgebiet und Landesgebiet. Die 16 Bundesländer sind Baden-Württemberg (4. 5. 1951), Bayern, Berlin, Brandenburg (3. 10. 1990), Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern (3. 10. 1990), Niedersachen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland (1. 1. 1957), Sachsen (3. 10. 1990), Sachsen-Anhalt (3. 10. 1990), Schleswig-Holstein und Thüringen (3. 10. 1990).

Die Grenzen des Staatsgebiets bestimmen sich nach dem Völkerrecht. Nach dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (1982) beginnen jenseits der bei Tiefebbe erreichten Wasserstandslinie die zwölf Seemeilen breiten Küstengewässer, in denen die Staatsgewalt (nur) durch Durchfahrtsrechte ausländischer Schiffe eingeschränkt ist. Am unterschiedlich breiten Festlandsockel hat der Anliegerstaat das Recht auf Verwertung der Bodenschätze, an der 200 Seemeilen breiten Wirtschaftszone der Europäischen Union haben deren Mitgliedstaaten das ausschließliche Nutzungsrecht.

Änderungen des Staatsgebiets gegenüber einem anderen Staat bedürfen eines Bundesgesetzes (Art. 73 Ziff. 1 GG, Art. 59 II 1 GG) und der Zustimmung des betroffenen Bundeslands (Art. 32 II GG). Im Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland vom 12. 9. 1990 sicherte Deutschland zu, dass die Außengrenzen der vereinten Gebiete endgültig sind. Deutschland habe keine Gebietsansprüche gegen andere Staaten und werde auch keine Gebietsansprüche geltend machen.

Für eine Änderung innerhalb des Staatsgebiets sieht Art. 29 GG verschiedene Verfahren vor. Bei bedeutenden Änderungen (wie z. B. der Bildung Baden-Württembergs) ist ein Bundesgesetz erforderlich, das durch Volksentscheid bestätigt werden muss. Unbedeutende Veränderungen können die beteiligten Länder vereinbaren. Für das Verhältnis zwischen Berlin und Brandenburg enthält Art. 118a GG eine Sondervorschrift.

Hauptstadt sowie Sitz des Deutschen Bundestags und der Bundesregierung ist Berlin (Art. 2 I Einigungsvertrag, Gesetz vom 25. 4. 1994).

II. Staatsvolk

Staatsvolk ist die Gesamtheit der Menschen, die sich auf dem Staatsgebiet befinden und deswegen seiner Staatsgewalt unterstehen. Dabei ist zwischen Staatsangehörigen des Staates, Staatsangehörigen anderer Staaten (Ausländern) und Staatsangehörigen keines Staates (Staatenlosen) zu unterscheiden.

Die Staatsangehörigkeit begründet Rechte und Pflichten des Staatsangehörigen gegenüber dem Staat. Rechte sind vor allem Wahlrecht, Stimmrecht, Amtsteilhaberecht, Bürgerrecht, Schutz im Ausland und Auslieferungsverbot. Pflicht ist beispielsweise die Wehrpflicht, die sehr schwach ausgeprägte Treuepflicht oder die Lastentragungspflicht.

Die Staatsangehörigkeit wird nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz durch Geburt, durch Annahme als Kind oder durch Einbürgerung erworben. Seit 1. 1. 2000 erwerben zwecks Ausgleichs des Geburtenmangels der Deutschen nicht nur Kinder eines Deutschen oder einer Deutschen (sog. ius sanguinis, Recht des Bluts, Abstammungsprinzip) die deutsche Staatsangehörigkeit, sondern auch in Deutschland geborene Kinder (sog. ius soli, Recht des Bodens, Geburtsortsprinzip), deren Vater oder Mutter sich seit 8 Jahren rechtmäßig in Deutschland aufhält. Ausländer, deren Ehegatten und deren minderjährige Kinder, die seit 8 Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort im Inland haben, haben bei ausreichenden Kenntnissen der deutschen Sprache und Nichtunterstützung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteter Bestrebungen grundsätzlich einen Anspruch auf Einbürgerung, wobei Mehrstaatigkeit unter bestimmten Umständen hinzunehmen ist.

Die Staatsangehörigkeit verliert grundsätzlich, wer eine ausländische Staatsangehörigkeit auf Antrag erwirbt. Außerdem kann auf die Staatsangehörigkeit verzichtet werden. Auf Antrag ist auch die Entlassung aus der Staatsangehörigkeit möglich. Art. 16 I GG schließt einen Entzug der Staatsangehörigkeit gegen den Willen des Betroffenen aus.

III. Staatsgewalt

Staatsgewalt ist die den Staat kennzeichnende oberste Herrschaftsgewalt (Hoheitsgewalt, Befehlsgewalt, Zwangsgewalt). Sie ist das funktionale Element des Staates. Sie betrifft das Staatsgebiet und das Staatsvolk. Sie geht im demokratischen Staat vom Volk aus (Volkssouveränität) und ist im Rechtsstaat vielfach geteilt in gesetzgebende Gewalt, vollziehende Gewalt und rechtsprechende Gewalt (Art. 20 II GG).

Begrenzt wird die Staatsgewalt durch die Verfassung. Diese besteht als Zustand des Staates in jedem Fall (materielle Verfassung). Seit 1776 sind aber – nach allgemeiner wissenschaftlicher Konvention - darüber hinaus nach dem Vorbild Virginias (Virginia Bill of Rights) die meisten Staaten dazu übergegangen, ihre Verfassung in einer besonderen Verfassungsurkunde niederzulegen (formelle Verfassung, z. B. Polen 1791, Frankreich 1791, Schweden 1809, Sachsen-Weimar-Eisenach 1816, Belgien 1831, Preußen 1848, Österreich 1848, [geplantes, jedoch gescheitertes Deutsches Reich 1848,] Deutsches Reich 1871, 1919 [in Weimar geschaffene Reichsverfassung]).

Die Verfassung begrenzt die Staatsgewalt dadurch, dass sie die grundlegenden Regeln über die Leitung des Staates, über die elementaren Strukturen der Ordnung und über die Stellung der Bürger im Staat festlegt. An sie ist die Staatsgewalt je nach dem Rang des einzelnen Satzes unterschiedlich fest gebunden. Dem Recht entsprechend unantastbar sind beispielsweise nach Art. 79 III GG die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung, die Menschenwürde (Art. 1 GG) oder die Volkssouveränität (Art. 20 II 1 GG). Andere Verfassungssätze können nach Art. 79 I 1 GG oder nach Art. 19 II GG oder auf Grund eines in der Verfassung bereits enthaltenen Gesetzesvorbehalts durch einfaches Gesetz geändert werden.

Nach demokratischem Verständnis steht die Befugnis zur Verfassungsgebung dem Volk zu, das letzter Träger der Staatsgewalt ist. Die verfassungsgebende Gewalt des Volks ist keiner Bindung unterworfen. Insofern ist die Verfassung rechtlich nicht an vorangehendes Recht gebunden, wenn sie ihm auch tatsächlich vielfach verbunden bleibt.

Die jeweils bestehende Verfassung bedarf im Einzelfall der Auslegung. Bei ihr ist von dem Willen des ursprünglichen Verfassungsgebers auszugehen (subjektive Auslegungstheorie), aber doch auch der Wandel der Vorstellungen in der Gemeinschaft zu berücksichtigen (objektive Auslegungstheorie). Stets ist dabei zu beachten, dass das Verfassungsrecht die Verfassungswirklichkeit bestimmen soll, nicht die Verfassungswirklichkeit das Verfassungsrecht.

IV. Staatssymbole

1. Die Bundesflagge ist schwarz-rot-gold (Art. 22 GG).

2. Das Bundeswappen enthält auf Goldgrund einen einköpfigen schwarzen Adler, der den Kopf nach rechts gewendet, die Flügel mit geschlossenem Gefieder offen hat (Beschluss der Bundesregierung, BGBl. 1950, 26).

3. Nationalhymne ist das Deutschlandlied (in seiner dritten Strophe) (Briefwechsel zwischen Bundeskanzler und Bundespräsidenten vom 29. 4. 1952, 3. 5. 1952, 19. 8. 1991 und 23. 8. 1991).

 

§ 3 Staatsgrundentscheidungen

Auf die grundlegenden Entscheidungen für die Gestaltung Deutschlands nach dem Grundgesetz weisen vor allem die Art. 79 III 1 und 20 GG. Sie enthalten den unverzichtbaren Kernbestand der verfassungsmäßigen Ordnung. Erfasst werden hiervon außer Menschenwürde, Menschenrechten und ihrer Unmittelbarkeit als geltendes Recht die Gestaltung des Staates als demokratische parlamentarische Republik, als Parteiendemokratie, als Rechtsstaat, als Sozialstaat und als Bundesstaat.

I. Demokratische parlamentarische Republik

1. Die Bundesrepublik Deutschland ist eine Republik. Damit steht sie in Gegensatz zur Monarchie. Sie darf kein erblich bestimmtes Staatsoberhaupt haben, vielmehr muss ihr Staatsoberhaupt gewählt sein. Zugleich ist damit die Diktatur ausgeschlossen.

2. Die Bundesrepublik Deutschland ist nach Art. 20 I GG ein demokratischer Staat. Alle Staatsgewalt geht nach Art. 20 II GG vom Volk aus. Jede Ausübung von Staatsgewalt bedarf demokratischer Legitimation. Sie erfolgt am ehesten durch regelmäßige Wahlen mit echten Entscheidungsmöglichkeiten.

Dabei müssen alle Bürger das grundsätzlich gleiche Recht haben, an der Bildung des Staatswillens mitzuwirken. Dem entspricht Art. 38 GG durch die Gewährung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts. In gleicher Weise sichert Art. 33 jedem Deutschen die gleichen Rechte und Pflichten sowie nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt.

Die Bürger müssen frei ihre Meinung bilden können. Dies setzt unabhängige Nachrichtenveröffentlichung voraus. Die Veröffentlichungsmittel (Medien) dürfen nicht staatlich gelenkt sein.

Die Bürger müssen gleichen Zugang zu Bildung haben, damit sie die Nachrichtenveröffentlichung verwerten können.

Als Merkmale der freiheitlichen Demokratie sieht das Bundesverfassungsgericht außer den Menschenrechten die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Regierungsverantwortlichkeit, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der rechtsprechenden Gewalt, das Mehrparteiensystem und die Chancengleichheit der Parteien an.

3. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein parlamentarischer Staat. Eine unmittelbare Demokratie scheidet angesichts der Größe Deutschlands aus. Die vom Volk ausgehende Staatsgewalt muss jenseits der Wahlen und Abstimmungen durch besondere Organe ausgeübt werden (Art. 20 II 2 GG), so dass beispielsweise das Volk nicht aus seiner Mitte heraus einen Gesetzesvorschlag einbringen kann.

Im parlamentarischen Staat ist die Regierung vom Vertrauen des Parlaments abhängig. Sie bedarf dessen bereits bei der Bestellung. Auch in der Folge ist sie grundsätzlich darauf angewiesen, so dass sie zurücktreten muss, wenn ihr das Parlament das Misstrauen ausspricht.

Da die Regierung grundsätzlich von der Parlamentsmehrheit gebildet wird, wird die Kontrolle hauptsächlich durch die Opposition ausgeübt. Ihre Möglichkeiten sind beschränkt. Sie muss insbesondere darauf hinwirken, dass bei den nächsten Wahlen die von ihr vertretene Politik eine Mehrheit findet.

II. Parteiendemokratie

Parteiendemokratie ist die von Parteien bestimmte Demokratie. in ihr bewerben sich mehrere Parteien um die Möglichkeit der politischen Gestaltung des Gemeinwesens. Sie wird von den wahlberechtigten Staatsangehörigen in Wahlen auf Zeit an eine oder mehrere Parteien vergeben.

1. Partei ist die Vereinigung von Menschen (Bürgern), die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen und an der Vertretung des Volkes im Bundestag oder einem Landtag teilnehmen wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten (§ 2 I ParteiG). Die Partei ist also die Vereinigung mit politischer Zielsetzung. Diese kann im Einzelnen unterschiedlich sein (z. B. konservativ, liberal, sozial, ökologisch, föderalistisch usw.).

Keine Partei ist die nur auf gemeindlicher Ebene tätige Vereinigung. Ihre Stellung als Partei verliert die Vereinigung, die sechs Jahre nicht an einer Wahl im Bund oder in einem Land mit eigenen Wahlvorschlägen teilgenommen hat (§ 2 II ParteiG). Aufgabe der Allgemeinheit ist es, zu verhindern, dass der Staat von den Parteien für ihre Interessen missbraucht wird.

2. Die Gründung der Partei ist frei (Art. 21 I 2 GG). Jedermann kann also zusammen mit anderen eine Partei gründen. Er muss aber die für die Bildung der allgemein für Personenvereinigungen und der besonders für Parteien einzuhaltenden Rechtssätze beachten.

Möglich ist die Gestaltung als nicht eingetragener Verein oder als eingetragener Verein. Unabhängig davon können die Partei und ihre Gebietsverbände der jeweils höchsten Stufe unter ihrem Namen klagen und verklagt werden (§ 3 ParteiG). Die Partei ist weder Körperschaft des öffentlichen Rechts noch Verfassungsorgan.

Ihre innere Ordnung muss demokratischen Grundsätzen entsprechen (Art. 21 I 3 GG). Jede Partei muss eine schriftliche Satzung und ein schriftliches Programm haben (§ 6 I 1 ParteiG). Mitglieder können nur Menschen sein (§ 2 I 2 ParteiG).

Mitgliederversammlung und Vorstand sind notwendige Organe der Partei und ihrer Gebietsverbände (§ 8 I 1 ParteiG).

Finanziert wird die Partei vor allem durch Mitgliedsbeiträge, Spenden und öffentliche Mittel. Nach § 18 I 1 gewährt der Staat den Parteien Mittel als Teilfinanzierung der allgemein ihnen nach dem Grundgesetz obliegenden Tätigkeiten. Ein gesetzlich festzulegender Höchstbetrag wird nach dem Maßstab des Wahlerfolgs aufgeteilt.

3. Eine Partei, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgeht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, ist verfassungswidrig (Art. 21 II GG). Die Verfassungswidrigkeit muss das Bundesverfassungsgericht feststellen. Bis zum Zeitpunkt der Feststellung darf die Partei mit allen allgemein erlaubten Mitteln wirken.

III. Rechtsstaat

Rechtsstaat ist der bewusst auf die Verwirklichung von Recht ausgerichtete Staat. Verlangt wurde der Rechtsstaat geschichtlich vom aufgeklärten Bürgertum im Kampf gegen den absoluten Monarchen. Die damalige förmliche Bindung des staatlichen Handelns an das Gesetz ist inzwischen um die inhaltliche Bindung an die Gerechtigkeit ergänzt (Art. 20 III GG).

Nach Art. 28 I 1 GG muss die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern den Grundsätzen des Rechtsstaats im Sinne des Grundgesetzes entsprechen. Damit ist zwar ein einheitliches Gesamtgefüge gemeint. Sein Inhalt lässt sich aber am ehesten durch die Erkenntnis der wichtigsten Grundzüge ermitteln.

Zu ihnen zählen Gewaltenteilung, Bindung an die Verfassung, Bindung an Gesetz und Recht, Rechtssicherheit, Übermaßverbot, Verhältnismäßigkeit und Gerichtsschutz. Bedeutung haben daneben auch der Gleichheitssatz, der Grundsatz des rechtlichen Gehörs, das hergebrachte Berufsbeamtentum, die Wahrung festgelegter Förmlichkeiten, der Schutz von Vertrauen oder die Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung. Entscheidend ist jeweils die Ausrichtung auf die Verwirklichung von Recht im Gegensatz zu Unrecht.

1. Gewaltenteilung

Die Staatsgewalt wird durch besondere Organe der gesetzgebenden Gewalt (Gesetzgebung, Legislative), der vollziehenden Gewalt (ausführende Gewalt, Vollziehung, Exekutive) und der rechtsprechenden Gewalt (Rechtsprechung) ausgeübt. Dadurch, dass einzelne Bereiche der Staatstätigkeit unterschieden werden, soll die Staatsgewalt insgesamt beschränkt werden. Dadurch wird die Freiheit der Staatsangehörigen geschützt.

Eine vollständige Trennung ist nur schwer zu verwirklichen. Deswegen ist die ausführende Gewalt nicht völlig unabhängig von der gesetzgebenden Gewalt, sondern bedarf des Vertrauens des Parlaments. Umgekehrt darf auch die ausführende Gewalt trotz der grundsätzlichen Zuständigkeit des Gesetzgebers mit Hilfe der Verordnung Recht setzen.

Ergänzend ist zu beachten, dass derselbe Mensch grundsätzlich nicht Ämter aus unterschiedlichen Teilen der Gewalt in sich vereinigen darf.

2. Bindung an die Verfassung

Die Staatsgewalt ist an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden. Dies hebt Art. 20 III GG für die Gesetzgebung besonders hervor. Für die Grundrechte bringt dies Art. 1 III GG hinsichtlich der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung zum Ausdruck.

3. Bindung an Gesetz und Recht

Nach Art. 20 III GG sind die vollziehende Gewalt und die rechtsprechende Gewalt (Rechtsprechung) an Gesetz und Recht gebunden.

a) Vorbehalt des Gesetzes

Seit der Aufklärung wird für Eingriffe des Staates in die Freiheit und das Eigentum des Einzelnen ein Gesetz als Grundlage gefordert. Das Bundesverfassungsgericht verlangt darüber hinaus, dass der Gesetzgeber alle wesentlichen Entscheidungen durch förmliches Gesetz trifft. Allerdings darf dadurch der ausführenden Gewalt nicht jeglicher Spielraum genommen werden.

b) Vorrang des Gesetzes

Das Gesetz hat Vorrang gegenüber anderen staatlichen Willensäußerungen. Deswegen dürfen Willensäußerungen der vollziehenden Gewalt und der rechtsprechenden Gewalt nicht gegen das Gesetz verstoßen. Andernfalls sind sie rechtswidrig (z. B. belastende Verwaltungsakte ohne Ermächtigung durch gesetztes Recht).

c) Gesetz und Recht

Gesetz sind dabei die gesetzten Rechtssätze, also (außer dem formellen Gesetz) auch die auf gesetzlichen Ermächtigungen beruhenden Rechtsverordnungen und Satzungen (Gesetze im materiellen Sinn). Recht umfasst demgegenüber außerdem die von der allgemeinen Rechtsüberzeugung getragenen Sätze des Gewohnheitsrechts und die allgemeinen Grundsätze der Gerechtigkeit. Sie dürfen auch durch die rechtsprechende Gewalt in einem Vorgang wertender Erkenntnis ans Licht gebracht werden (Richterrecht).

4. Rechtssicherheit

Im Rechtsstaat muss der Betroffene die Rechtslage erkennen können, so dass er sein Verhalten danach ausrichten kann. Eingriffe des Staates müssen voraussehbar und berechenbar sein. Sie müssen nachgeprüft werden können.

Das schließt die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe durch den Gesetzgeber nicht aus. Der Gesetzgeber darf der ausführenden Gewalt auch Ermessen einräumen. Je tiefgreifender jedoch der mögliche Eingriff ist, desto bestimmter muss die Eingriffsermächtigung gestaltet sein.

Ausgeschlossen ist ein strafbegründendes oder strafverschärfendes Gesetz für die Vergangenheit (Rückwirkungsverbot). Abgeschlossene, der Vergangenheit angehörige Tatbestände dürfen allgemein grundsätzlich nicht nachträglich mit einer stärkeren Belastung belegt werden (z. B. neue Steuer für einen vergangenen Vorgang, echte Rückwirkung). Die Entwertung einer in der Vergangenheit geschaffenen Rechtslage für die Zukunft (sog. unechte Rückwirkung) ist nur dann zulässig, wenn den Vertrauensschutz überwiegende Gründe gegeben sind.

5. Übermaßverbot

Der Eingriff des Staates in die Rechte des Einzelnen ist möglichst schonend zu gestalten. Stehen mehrere Möglichkeiten zur Wahl, so ist die den Einzelnen am wenigsten belastendste zu wählen.

6. Verhältnismäßigkeit

Zwischen dem Eingriff in die Rechte des Einzelnen und dem Nutzen für die Allgemeinheit muss ein angemessenes Verhältnis bestehen. Der Nutzen muss den Nachteil überwiegen. Ist dies nicht der Fall, muss der Eingriff unterbleiben (z. B. Sicherstellung eines stark beschädigten, gestohlenen Kraftfahrzeugs, dessen Restwert nur so gering ist wie das Doppelte der Abschleppkosten).

7. Gerichtsschutz

Nach Art. 19 IV GG steht dem, der durch die öffentliche Gewalt als solche in seinen Rechten verletzt wird, der Rechtsweg offen (beachte Art. 19 IV 3 GG für die Überwachung des Briefverkehrs, Fernsprechverkehrs und Fernschreibverkehrs aus Gründen des Staatsschutzes). Dies betrifft die Verletzung durch die ausführende Gewalt, nicht auch durch die Rechtsprechung und die Gesetzgebung (fraglich z. B. für eine Satzung). Verletzt sein muss ein Recht.

Der Zugang zur Gerichtsbarkeit muss dabei angemessen einfach sein. Der Rechtsschutz muss innerhalb angemessener Zeit gewährt werden. Die Nachprüfung muss in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vollständig sein können. Das Verfahren muss nach festen Grundregeln gestaltet sein, vor einem feststehenden und unabhängigen Richter (Art. 101 I, 97 I GG) stattfinden und die Grundrechte gewährleisten. Eine Entscheidung ist grundsätzlich mit einer Begründung zu versehen.

Art. 19 IV 2 GG eröffnet, soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, den Rechtsweg zur ordentlichen Gerichtsbarkeit. Tatsächlich gewährt aber bereits § 40 VwGO den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten grundsätzlich für alle öffentlichrechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art. Insofern ist Art. 19 IV 2 GG ohne große tatsächliche Bedeutung.

IV. Sozialstaat

Sozialstaat ist der Staat, der eine Mitverantwortung für den Ausgleich sozialer Gegensätze innerhalb des Staatsvolks übernimmt. Nach Art. 20 I GG ist die Bundesrepublik Deutschland ein sozialer Staat. Nach Art. 28 I 1 GG muss die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern den Grundsätzen des sozialen Rechtsstaats im Sinne des Grundgesetzes entsprechen.

1. Aufgabe des Staates ist es damit, die Schwachen zu Lasten der Starken angemessen zu unterstützen und die Starken zu Gunsten der Schwachen angemessen einzuschränken. Dies legt eine verhältnismäßige Umverteilung in Richtung auf gleichmäßige Förderung und gleichmäßige Auslastung nahe. Zu ihr ist in erster Linie der Gesetzgeber berufen.

2. Darüber hinaus ist es Aufgabe des Staates, das allgemeine Wohl zu fördern. Zu diesem Zweck muss er Daseinsvorsorge betreiben. Dazu gehört die Bereitstellung von Wasser, Strom, Entsorgung, Verkehrsmitteln, Unterrichtungsmitteln, Versicherungsmitteln und vielem Anderem mehr, wobei der Staat die Leistungen entweder selbst anbieten oder durch Unternehmer anbieten lassen kann.

3. Ein einklagbarer Anspruch auf eine einzelne Maßnahme lässt sich dem Sozialstaatsgrundsatz wegen seiner verhältnismäßigen Unbestimmtheit grundsätzlich nicht entnehmen. Immerhin beruht aber die Inangriffnahme eines umfassenden Sozialgesetzbuchs am ehesten auf dem Sozialstaatsgrundssatz. Gefördert wird die Sozialstaatlichkeit auch durch die Europäische Gemeinschaft (Europäische Sozialcharta vom 18. 10. 1961).

V. Bundesstaat

Bundesstaat ist der durch Staaten unter Aufgabe ihrer bisherigen Souveränität gebildete Staat, der in Gegensatz zum bloßen Staatenbund (z. B. Gemeinschaft unabhängiger Staaten) und zum gänzlichen Einheitsstaat (z. B. Frankreich, Italien, Schweden) steht. Bundesstaaten sind beispielsweise die Vereinigten Staaten von Amerika, die Schweiz oder Österreich. Deutschland ist gemäß Art. 20 I GG ein Bundesstaat, in dem eine Änderung, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung und der Grundsatz der Gestaltung Deutschlands als Bundesstaat berührt werden, selbst im Wege der Verfassungsänderung unzulässig ist (Art. 79 III GG).

1. Staatlichkeit

Im Bundesstaat verlieren die bisher souveränen Staaten zwar mit der Bildung des Bundesstaats ihre Souveränität, nicht aber ihre Staatlichkeit. Sie sind Träger einer eigenen Staatlichkeit. Diese ist allerdings durch die Verfassung begrenzt.

2. Bundestreue

Für das Verhältnis des Staates zu seinen Gliedstaaten gilt der Grundsatz der Bundestreue. Bund und Glieder sind einander zu bundesfreundlichem Verhalten verpflichtet. Im Streitfall muss das Bundesverfassungsgericht entscheiden, ob ein Teil die Verpflichtung zum bundesfreundlichen Verhalten verletzt hat (Art. 93 I Nr. 3 GG).

3. Zuständigkeitsverteilung

Im Bundesstaat üben Bund und Gliedstaaten Staatsgewalt aus. Es gibt dementsprechend Bundesorgane und Landesorgane. Ihre durch die Verfassung aufgeteilten Zuständigkeiten ergänzen sich grundsätzlich lückenlos, mag im Einzelfall auch Streit darüber entstehen, wer die Zuständigkeit hat. Da die Verfassung nicht abschließend ist, besteht ein Handlungsspielraum zum Beispiel für gemeinsame Beschlüsse von Ländern, für Abkommen zwischen Ländern, für Gemeinschaftsreinrichtungen oder für Gemeinschaftsaufgaben.

a) Grundsatz der Landeszuständigkeit

Nach Art. 30 GG ist als Folge der 1648 im Heiligen Römischen Reich vorbereiteten, 1806 bei dessen Auflösung erreichten, 1866 nach Scheitern des Deutschen Bundes gestärkten und erst 1871 aufgegebenen Souveränität der deutschen Staaten (Länder) die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben Sache der Länder. Nach Art. 70 I GG haben die Länder das Recht der Gesetzgebung. Demnach gilt der Grundsatz der Landeszuständigkeit.

b) Einschränkungen

Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muss den vom Grundgesetz vorgegebenen Grundsätzen entsprechen (Art. 28 I 1 GG, vgl. auch die Art. 21, 28 II, 33 I, II, IV, V GG). Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgabe ist Sache der Länder nur, soweit das Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt (Art. 30 GG). Bundesrecht bricht Landesrecht (Art. 31 GG). Die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten ist Sache des Bundes (Art. 32 I GG, beachte Art. 32 II, III GG). Wenn ein Land die ihm nach dem Grundgesetz oder einem anderen Bundesgestz obliegenden Bundespflichten nicht erfüllt, kann die Bundesregierung (mit Zustimmung des Bundesrats) die notwendigen Maßnahmen treffen, um das Land im Wege des Bundeszwanges zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten (Art. 37 GG). Die Länder haben das Recht zur Gesetzgebung nur, soweit das Grundgesetz nicht dem Bund Gesetzgebungsbefugnisse verleiht.

c) Wirklichkeit

Der Schwerpunkt der vollziehenden Gewalt und das zahlenmäßig größere Gewicht der rechtsprechenden Gewalt liegen bei den Ländern, die schon vor der Bildung des Bundesstaats (1871) umfangreiche Verwaltungstätigkeiten und Rechtsprechungstätigkeiten ausgeführt hatten. Der Schwerpunkt der Gesetzgebung liegt beim Bund, der durch umfangreichen Gebrauch seiner Zuständigkeitsmöglichkeiten die Zuständigkeit der Länder sehr eingeengt hat. Entwicklungsgeschichtlich ist die Zuständigkeit des Bundes erweitert, die der Länder verringert worden.

 

§ 4 Grundrechte

Im Zuge der Aufklärung verstärkte sich der Gedanke, dass dem Menschen Rechte zustehen, die der durch den absolut herrschenden Monarchen verkörperte Staat nicht verletzen darf. Dazu zählte man vor allem das Recht auf Leben, die Freiheit insbesondere in der Form der Glaubensfreiheit und der Pressefreiheit und das Eigentum. 1776 wurden diese grundlegenden Rechte in Virginia erstmals in einer Bill of Rights (Virginia Bill of Rights, nach allgemeiner wissenschaftlicher Konvention erste formelle Verfassung) verkündet.

Dem folgten nach vielem Anderem die (völkerrechtlich nicht bindende Empfehlung) Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. 12. 1948, das erstmals das Recht auf körperliche Unversehrtheit, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, das Kriegsdienstverweigerungsrecht, das Selbstinformationsrecht, das Asylrecht und den Schutz vor Staatenlosigkeit aufnehmende Grundgesetz Deutschlands, die von zunächst 13 Staaten geschlossene, 1952 deutsches Recht im Rang eines Bundesgesetzes gewordene Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. 11. 1950 (mit Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte), das von den Vereinten Nationen angeregte Internationale Übereinkommen gegen Rassendiskriminierung vom 7. 3. 1966, der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. 12. 1966 (mit der Möglichkeit einer Staatenbeschwerde und einer Einzelbeschwerde) und der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. 12. 1966.

I. Wesen

Grundrecht ist das dem Einzelnen zustehende grundlegende Recht. Im Grundgesetz sind die Grundrechte in einem besonderen Abschnitt in den Artikeln 1 bis 19 GG zusammengefasst. In anderen Artikeln der Verfassung gewährte grundlegende Rechte sind demgegenüber Grundrechte im weiteren Sinn oder sonstige verfassungsmäßige Rechte.

Zu ihnen gehören die Gleichheit der staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten aller Deutschen (Art. 33 I GG), der gleiche Zugang aller Deutschen zu jedem öffentlichen Amt (Art. 33 II GG), die Unabhängigkeit von Rechten von dem religiösen Bekenntnis (Art. 33 III GG), die Unabhängigkeit der Abgeordneten (Art. 38 I 2 GG), das Wahlrecht (Art. 38 II GG), die Indemnität der Abgeordneten bezüglich der Abstimmung oder der Äußerung im Bundestag (Art. 46 I GG), die Immunität der Abgeordneten bezüglich einer mit Strafe bedrohten Handlung (Art. 46 IIff. GG), das Zeugnisverweigerungsrecht der Abgeordneten (Art. 47 GG), die Ansprüche der Abgeordneten etwa auf Wahlvorbereitungsurlaub, auf Unkündbarkeit oder auf angemessene Entschädigung (Art. 48 GG), die Unabhängigkeit der Richter (Art. 97 I GG), das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 I GG), der Ausschluss der Todesstrafe (Art. 102 GG), der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 I GG), das Verbot rückwirkender Strafbarkeit eines Verhaltens (Art. 103 II GG), das Verbot mehrmaliger Bestrafung wegen derselben Tat (Art. 103 III GG), die richterliche Entscheidungszuständigkeit für eine Freiheitsentziehung (Art. 104 II GG) und die Vorführung des wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommenen vor den Richter spätestens am Tag nach der Festnahme (Art. 104 III GG). Die Grundrechte im weiteren Sinn können Grundlage einer Verfassungsbeschwerde nur sein, soweit sie Art. 93 I Nr. 4a GG besonders nennt (Art. 33, 38, 101, 103, 104 GG). Die für Grundrechte im engeren Sinn in Art. 19 GG gegebenen Bestimmungen (Einschränkung nur durch allgemeines Gesetz, Angabe des Artikels, Wesensgehaltsgarantie, Geltung für inländische juristische Personen, Rechtsweggarantie) sollten auch für Grundrechte im weiteren Sinn gelten (str.).

Neben den durch die Bundesverfassung gewährten Grundrechten bleiben nach Art. 142 GG ungeachtet des durch Art. 31 GG festgesetzten Vorrangs des Bundesrechts vor Landesrecht Bestimmungen der Landesverfassungen auch insoweit in Kraft, wie sie in Übereinstimmung mit den Artikeln 1 bis 18 des Grundgesetzes Grundrechte gewährleisten. Macht ein Kläger die Verletzung eines Rechtes geltend, das mit gleichem Inhalt in einer Landesverfassung und im Grundgesetz enthalten ist (z. B. Recht auf rechtliches Gehör), so kann auch das Landesverfassungsgericht eine Entscheidung aufheben, der gegenüber die fehlerhafte Anwendung von Bundesrecht geltend gemacht wird. Ist die Verletzung eines Grundrechts durch eine Landesbehörde (z. B. Landesgericht) unter Berufung auf gleichlautende Grundrechte der Bundesverfassung und der Landesverfassung vor dem Bundesverfassungsgericht und vor dem Landesverfassungsgericht behauptet, ist zur Vermeidung abweichender Entscheidungen das Bundesverfassungsgericht in erster Linie zur Entscheidung berufen.

II. Arten

Die Grundrechte lassen sich einteilen etwa in Menschenrechte und in Bürgerrechte, in Freiheitsrechte und in Gleichheitsrechte oder in Abwehrrechte (z. B. Leben, Unversehrtheit, Freiheit, Unverletzlichkeit der Wohnung, Eigentum) und in Teilhaberechte (z. B. Wahlrecht, Vereinsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit, Gewissensfreiheit). Immer bedeutsamer wird dabei die Vorstellung der Teilhabe an staatlichen Leistungen (z. B. Bildungsleistungen). Einzelansprüche gegen den Staat auf eine Leistung lassen sich hieraus aber nur ausnahmsweise herleiten.

In einzelnen Bestimmungen gewährt die Verfassung dem Einzelnen ein subjektives Recht (z. B. Unverletzlichkeit der Wohnung). In anderen Sätzen sichert sie den Bestand einer Institution (Einrichtung, Element, Struktur) wie der kommunalen Selbstverwaltung, des Privatschulwesens, des Vereinswesens, der Wissenschaft, der Medien, des Eigentums, der Ehe, des Berufsbeamtentums oder des Feiertags in seiner hergebrachten Ausgestaltung (institutionelle Garantie, Institutsgarantie). In dritten Elementen trifft sie allgemeine, als Staatsziel anzusehende Wertentscheidungen wie z. B. die Achtung der Menschenwürde, die Gewährleistung des Lebens, der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, der Rechtsstaatlichkeit, der Sozialstaatlichkeit oder der Gerechtigkeit. Vielfach hängen dabei Wertentscheidung, Bestandsgarantie und subjektives Recht unauflöslich zusammen.

III. Entstehung

Die Grundrechte gibt es allgemein seit ihrer Anerkennung im Zuge der Aufklärung und im Einzelfall bei Vorliegen der für sie erforderlichen Voraussetzungen. Sie bestehen gegenüber Betroffenen. Ihr Träger sind die Berechtigten.

1. Betroffener

Die Grundrechte beachten muss in erster Linie der Träger hoheitlicher Gewalt bei Ausübung gesetzgebender Gewalt, vollziehender Gewalt und rechtsprechender Gewalt (Art. 1 III GG). Dies gilt auch, wenn eine staatliche Aufgabe in privatrechtlicher Form erfüllt wird (z. B.. Daseinsvorsorge im Bereich von Wasser, Gas, Elektrizität oder Verkehr). Beschafft sich der Staat Güter auf dem Markt oder bietet er solche wie ein anderer Unternehmer an, muss er die Grundrechte zumindest dort einhalten, wo er eine marktbeherrschende Stellung hat.

Im Verhältnis der Einzelnen zueinander reicht die Wirkung der Grundrechte weniger weit. Der Menschenwürde und dem Gleichbehandlungsgrundsatz kann im Einzelfall unmittelbare Drittwirkung zukommen. Im übrigen muss es genügen, dass sich der Gehalt der Grundrechte mittelbar durch die vom Gesetzgeber in Verwirklichung der Grundrechtsvorstellungen geschaffenen Einzelvorschriften (z. B. der zum Schutz der Freiheit oder Gesundheit erlassenen Gesetze), insbesondere der Generalklauseln, entfaltet, weshalb es auch eine Verfassungsbeschwerde wegen einer Grundrechtsverletzung durch einen Einzelnen gemäß Art. 93 I Nr. 4a, § 90 BVerfGG nicht gibt.

2. Berechtigter

Die meisten Grundrechte stehen ausdrücklich oder von ihrem Sinn her (Art. 3 III, Art. 4, Art. 10, Art. 12 II, III GG) jedem, jedermann, den Menschen oder allen Menschen zu und sind deswegen Menschenrechte. Andere gelten ausdrücklich nur für die Deutschen (Art. 8 I GG Versammlungsfreiheit, Art. 9 I GG Vereinigungsfreiheit, Art. 11 I GG Freizügigkeit, Art. 12 I GG Berufsfreiheit) und sind deswegen Bürgerrechte. Erfasst wird der Mensch zwischen Geburt und Tod, allerdings in manchen Fällen erst ab Erreichung eines gewissen Lebensalters (z. B. religiöses Selbstbestimmungsrecht, Recht auf Eingehung einer Ehe, zu beachten ist daneben auch die Frage der selbständigen Geltendmachung des Rechts).

Nach Art. 19 III GG gelten die Grundrechte auch für inländische, d. h. ihren Sitz im Inland habende juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Nicht erfasst sind also ausländische juristische Personen und nicht rechtsfähige Personen. Außerdem können  juristische Personen auch nicht die ihrem Wesen nach nicht auf juristische Personen anwendbaren Grundrechte oder Grundrechtsmerkmale (z. B. Menschenwürde, Leben, Unversehrtheit, Freiheit, Kriegsdienstverweigerung, Ehe, Erbrecht, Asylrecht, Staatsangehörigkeit, Geschlecht, Abstammung oder Rasse) einfordern.

In Abweichung von diesen Grundsätzen können sich nicht rechtsfähige Gesellschaften des Handelsrechts auf das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit oder auf den Schutz des Eigentums berufen, nicht rechtsfähige politische Parteien auf den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 I GG), vereinsmäßig organisierte, nicht rechtsfähige religiöse Vereinigungen auf das Recht auf ungestörte Religionsausübung (Art. 4 II GG) und nicht rechtsfähige politische und wirtschaftliche Vereinigungen auf die Vereinigungsfreiheit (Art. 9 GG).

Nicht auf Grundrechte stützen können sich grundsätzlich Staat, andere juristische Personen des öffentlichen Rechts oder vom Staat beliehene private Unternehmer (z. B. Technischer Überwachungsverein). Ausnahmen hiervon gelten aber z. B. für öffentlichrechtliche Rundfunkanstalten hinsichtlich der Meinungsfreiheit, für wissenschaftliche Hochschulen hinsichtlich der Freiheit von Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre sowie für die als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannten Religionsgemeinschaften. Die rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätze sind auch auf ausländische juristische Personen und juristische Personen des öffentlichen Rechts anzuwenden.

IV. Inhalt

Der Inhalt jedes Grundrechts ist durch Auslegung zu ermitteln. Dabei ist davon auszugehen, dass jede Freiheit durch selbstverständliche Schranken eingegrenzt ist, ohne dass hierdurch Menschenwürde, Verhältnismäßigkeit oder Übermaßverbot verletzt werden. Dementsprechend schränkt ein Gesetzgeber, der diese ohnehin bestehenden Schranken in Gesetzesform aufdeckt, das Grundrecht nicht ein, so dass die besonderen Regeln des Art. 19 I, II GG (allgemeines Gesetz, Zitiergebot, Wesensgehaltsgarantie) dafür nicht gelten.

Daneben kann die Verfassung die Festlegung des Inhalts und der Schranken eines Grundrechts ausdrücklich dem Gesetzgeber überlassen. Dann schafft sie einen Vorbehalt gesetzlicher Verfügung über den Umfang des Grundrechts. Danach besteht das Grundrecht ausdrücklich nur unter Vorbehalt.

Ein derartiger Vorbehalt kann in positiver Form als Recht zur Ausgestaltung erfolgen wie etwa in Art. 14 I 2 GG, wo es heißt, dass Inhalt und Schranken des Eigentums und des Erbrechts durch die Gesetze bestimmt werden (Ausgestaltungsvorbehalt), oder in negativer Form als Befugnis zur Einschränkung wie beispielsweise in Art. 11 II GG, wo festgelegt wird, dass die Freizügigkeit nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes und sogar nur für besonders genannte Fälle eingeschränkt werden darf (Einschränkungsvorbehalt, vgl. weiter Art. 2 I GG Persönlichkeitsentfaltung, 2 II 3 GG Leben, Unversehrtheit, Freiheit, 8 II GG Versammlungsfreiheit, 10 GG Briefgeheimnis, 13 II, III GG Unverletzlichkeit der Wohnung). In all diesen Fällen muss das Gesetz allgemein sein und darf nicht nur für einen Einzelfall gelten. Das einschränkende (, nach Entstehung der Verfassung erlassene sog. nachkonstitutionelle) Gesetz muss das eingeschränkte Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen und darf den Wesensgehalt des Grundrechts nicht antasten (Art. 19 I, II GG).

Worin der Wesensgehalt eines Grundrechts besteht, muss für jedes Grundrecht besonders ermittelt werden. Stets wird ein Mindestgehalt gewahrt bleiben müssen. Niemals darf die Einschränkung stärker sein, als ein höheres Interesse dies erfordert.

Nicht einmal durch Verfassungsänderung einschränkbar sind nach Art. 79 III GG beispielsweise die Menschenrechte als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt (Art. 1 II GG), die Menschenwürde, das Demokratieprinzip, das Bundesstaatsprinzip, das Sozialstaatsprinzip oder die Bindungskraft der Grundrechte gegenüber gesetzgebender Gewalt, vollziehender Gewalt und rechtsprechender Gewalt als unmittelbar geltendes Recht.

Geschützt werden die Grundrechte in Einzelheiten dadurch, dass der Gesetzgeber entsprechende Gesetze schafft. Hinzu kommt, dass die Gerichte in jedem Verfahren die Grundrechte beachten müssen. Allgemein dient schließlich dem Schutz der Grundrechte des Grundgesetzes die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht, die gemäß Art. 93 I Nr. 4a GG auch für einige sonstige verfassungsmäßige Rechte eröffnet ist.

V. Beendigung

Grundsätzlich enden alle Grundrechte mit dem Ende des Berechtigten.

Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Art. 5 I GG), die Lehrfreiheit (Art. 5 III GG), die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG), die Vereinigungsfreiheit (Art. 9 GG), das Briefgeheimnis, Postgeheimnis und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG), das Eigentum (Art. 14 GG) oder das Asylrecht (Art. 16a GG) zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht, verwirkt diese Grundrechte (Art. 18 S. 1 GG). Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen (Art. 18 S. 2 GG), wobei die Gefährdung noch im Zeitpunkt der Entscheidung bestehen muss. Von der Entscheidung an kann sich der Betroffene für die festgelegte Zeit nicht mehr auf die verwirkten Grundrechte berufen und darf der Staat (nur) sie ihm gegenüber außer Betracht lassen.

Freiwillig kann der Einzelne grundsätzlich in freier Entscheidung darauf verzichten, seine Grundrechte geltend zu machen. Insofern hat die Willensfreiheit den höheren Rang. Seine Menschenwürde kann er nicht aufgeben.

In Sonderrechtsverhältnissen wie im Beamtenverhältnis, im Wehrdienst, in der Strafhaft oder in Schule und Universität bleiben die Grundrechte grundsätzlich bestehen. Allerdings können ihnen innewohnende Schranken oder ein Gesetzesvorbehalt oder sogar ein Verfassungsvorbehalt (vgl. Art. 12 III GG Zwangsarbeit bei gerichtlich angeordneter Freiheitsentziehung) vorhanden sein. Dementsprechend sind etwa Beamte zur Zurückhaltung bei politischer Betätigung verpflichtet.

VI. Einzelne Grundrechte

1. Menschenwürde (Art. 1 GG)

Menschenwürde ist die dem Menschen um seiner selbst willen zukommende Würde. Sie stellt den Menschen in die Mitte des Rechts. Sie ist unantastbar (Art. 1 I 1 GG), unverzichtbar und unverwirkbar. Sie wird mittelbar gekennzeichnet durch die einzelnen Freiheitsrechte und den Gleichheitssatz. Im übrigen muss ihre Bedeutung im Einzelfall ermittelt werden.

Sie schließt eine unmenschliche Behandlung jedes Menschen aus, weshalb bei der Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe die Entwicklung der Täterpersönlichkeit berücksichtigt werden muss. Sie verbietet die erniedrigende Behandlung jedes Menschen, so dass niemand böswillig verächtlich gemacht werden darf. Sie macht den Menschen zum Subjekt, womit seine bloße Behandlung als Objekt verhindert wird.

Sie sichert jedem Menschen ein Recht, seine eigenen Angelegenheiten selbst zu gestalten. Deswegen darf er selbst entscheiden, ob er heiratet oder nicht, ob er persönliche Daten preisgibt oder nicht oder wie er sich in der Öffentlichkeit darstellen will. Sie schützt ihn vor heimlichen Tonbandaufnahmen oder heimlichen Fotoaufnahmen.

Der Staat muss sie achten, darf sie also nicht beeinträchtigen. Außerdem muss er sie schützen. Dementsprechend muss er auch Angriffe anderer abwehren (Art. 1 I 2 GG).

Im Verhältnis zu den anderen einzelnen Grundrechten ist die Menschenwürde ein allgemeiner Auffangtatbestand für alle Beeinträchtigungen, die nicht von den besonderen Grundrechtstatbeständen erfasst werden.

2. Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 I GG)

Jeder hat grundsätzlich das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Er darf also selbst entscheiden, was er tun und was er lassen möchte und ist geistig wie körperlich, künstlerisch wie wirtschaftlich frei. Er hat ein allgemeines Persönlichkeitsrecht.

Im Verhältnis zu besonderen Freiheitsrechten (z. B. Glaubensfreiheit, Meinungsfreiheit, Wissenschaftsfreiheit, Berufsfreiheit) geht das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit im Sinne einer allgemeinen Handlungsfreiheit als allgemeines Recht nach. Nur dort, wo nicht bereits eine besonderes Freiheitsrecht eingreift, kommt Art. 2 I GG in Betracht. Die allgemeine Handlungsfreiheit ist gegenüber der besonderen Einzelfreiheit subsidiär.

Schranken der freien Entfaltung der Persönlichkeit sind die Rechte anderer, die verfassungsmäßige Ordnung und das Sittengesetz.

Die verfassungsmäßige Ordnung ist die Gesamtheit der der Verfassung gemäßen Rechtssätze. Der Verfassung gemäß ist dabei eine Einschränkung nur, wenn sie den Wesensgehalt der Handlungsfreiheit berücksichtigt (Intimsphäre, Eigenständigkeit, Selbstverantwortlichkeit) und die Handlungsfreiheit so weit wie möglich anerkennt. Ob ein die Handlungsfreiheit beschränkendes Gesetz verfassungsgemäß ist, lässt sich jeweils (letztlich nur) durch Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht klären.

Die Rechte anderer haben daneben keine eigene Bedeutung mehr, weil sie nur soweit bestehen, wie sie die verfassungsmäßige Ordnung begründet.

Sittengesetz ist die Gesamtheit der im Gewissen der Bürger begründeten mehrheitlich anerkannten sozialethischen (sittlichen) Vorstellungen.

3. Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 II 1 GG)

Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Dementsprechend ist nach Art. 102 GG die Todesstrafe abgeschafft. Rechtmäßig ist die Tötung eines anderen in Notwehr oder Nothilfe (z. B. durch einen gezielten Todesschuss des Polizisten).

Streitig ist, ob der Mensch sich selbst töten darf. Immerhin darf er, solange er zur freien Entscheidung fähig ist, ärztliche Behandlung ablehnen. Der Arzt darf eine menschenunwürdige Lebensverlängerung abbrechen, wenn er nicht einen gegenteiligen Willen des Betroffenen annehmen muss.

Streitig ist auch, ab wann der werdende Mensch bereits Mensch (im Sinne der Grundrechte) ist.

Körperliche Unversehrtheit ist das Fehlen versehrender Eingriffe in den Körper des Menschen. Versehrt wird der Mensch beispielsweise durch eine Züchtigungshandlung, durch ungewollte künstliche Ernährung, durch Verabreichung einer Droge, durch übermäßigen Fluglärm oder durch Abschneiden von Haaren. Sofern der Eingriff gerechtfertigt ist (z. B. durch Gesetz, sonstige Schutzpflicht oder Einwilligung), ist das Grundrecht nicht verletzt.

In das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden (Art. 2 II 3 GG).

4. Freiheit der Person (Art. 2 II 2 GG)

Die Freiheit der Person ist unverletzlich. Freiheit in diesem Sinn ist die Freiheit, sich uneingeschränkt körperlich zu bewegen. Diese Freiheit ist beispielsweise nicht verfassungswidrig verletzt, wenn der Staat an der Staatsgrenze Hindernisse gegen das Überschreiten einrichtet.

In die Freiheit darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden (Art. 2 II 3 GG), wobei niemals ihr Wesensgehalt angetastet werden darf. In Ergänzung hierzu bestimmt Art. 104 I GG, dass die Freiheit der Person nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden darf. Das formelle Gesetz muss zumindest den Grund der Freiheitsbeschränkung und die Art und das Maß der Freiheitsbeschränkung im Wesentlichen bestimmen.

Entzogen werden durch Festhalten an einem eng begrenzten Ort (z. B. Gebäude) darf die Freiheit nach Art. 104 II 1 GG nur durch den Richter (Strafrichter, Richter am Amtsgericht), der über Zulässigkeit und Fortdauer der Entziehung entscheiden muss. Beruht die Freiheitsentziehung nicht bereits auf einer Anordnung des Richters, ist unverzüglich nach der Entziehung eine richterliche Entscheidung herbeizuführen (Art. 104 II 2 GG). Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tags (evtl. des vierten Tags im Verteidigungsfall, vgl. Art. 115c II Nr. 2 GG) nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten (Art. 104 II 3 GG).

Wird ein Mensch wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung vorläufig festgenommen, so ist er spätestens am Tag (evtl. am vierten Tag im Verteidigungsfall, vgl. Art. 115c II Nr. 2 GG) nach der Festnahme dem Richter vorzuführen. Dieser muss ihm die Gründe der Festnahme mitteilen, ihn vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen sowie unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl erlassen oder die Freilassung anordnen (Art. 104 III GG). Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger oder eine Person des Vertrauens des Festgehaltenen zu benachrichtigen (Art. 104 IV GG).

5. Glaubensfreiheit, Gewissensfreiheit, Bekenntnisfreiheit (Art. 4 I GG)

Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

Glaube ist die Gesamtheit der Überzeugungen des einzelnen Menschen von der Stellung des Menschen in der Welt und seiner Beziehung zu höheren Mächten und tieferen Seinsschichten. Gewissen ist die Gesamtheit der Überzeugungen des einzelnen Menschen vom sittlich gesollten Verhalten. Bekenntnis ist die Kundgabe des Glaubens und Gewissens.

Der Staat darf einen Glauben oder eine Weltanschauung weder verbieten noch gebieten. Er muss den Einzelnen hinsichtlich des Glaubens sichern und schützen. Er darf den Genuss bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte, die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sowie die im öffentlichen Dienst erworbenen Rechte nicht von einem religiösen Bekenntnis abhängig machen (Art. 33 III 1 GG).

Niemandem darf aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnis oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen (Art. 33 III 2 GG).

Die Glaubensfreiheit und die Gewissensfreiheit haben zum grundsätzlichen Ziel, dass der Mensch sich seinem Glauben und seinem Gewissen gemäß frei verhalten darf. Deswegen darf ihm im religionsneutralen Staat selbst ein nichtreligiöser Eid nicht abverlangt werden. Allerdings ist die Freiheit durch immanente Schranken begrenzt, so dass sie beispielsweise Straftaten aus Glaubensgründen nicht rechtfertigen kann, selbst wenn bei der Strafzumessung der infolge des Glaubens oder Gewissens entstehende Pflichtenkonflikt berücksichtigt werden muss, oder so dass das religiöse Selbstbestimmungsrecht des Kindes durch das Erziehungsrecht der Eltern beschränkt ist (vgl. Gesetz über religiöse Kindererziehung 1921).

Die Bekenntnisfreiheit gestattet die Kundgabe dessen, was man glaubt, ebenso wie dessen, was man nicht glaubt. Sie erlaubt Kundgeben ebenso wie das Unterlassen des Mitteilens. Daraus ergibt sich für den Staat grundsätzlich ein Verbot, nach dem Glauben zu fragen, sofern nicht von der Antwort Rechte oder Pflichten abhängig sind (z. B. Kirchensteuerpflicht).

Ein Vorbehalt für eine Grundrechtsbeschränkung durch Gesetz ist in Art. 4 GG nicht enthalten. Der nach Art. 140 GG geltende Art. 136 I der Weimarer Reichsverfassung bietet aber eine gesetzliche Grundlage für Beschränkungen. Bei ihrer Festlegung ist das Wesen des Art. 4 GG zu beachten.

6. Religionsausübungsfreiheit (Art. 4 II GG)

Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet. Geschützt werden dadurch alle Verhaltensweisen, die nach dem Verständnis der jeweiligen Gemeinschaft verpflichtend sind. Dies erfasst die Vereinigung zu einer Religionsgesellschaft ebenso wie das Fernbleiben oder den späteren Austritt. Im Verhältnis zur Versammlungsfreiheit ist die Freiheit der ungestörten Religionsausübung kein die allgemeine Versammlungsfreiheit ausschließendes Sonderrecht.

7. Kriegsdienstverweigerungsfreiheit (Art. 4 III GG)

Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz (Kriegsdienstverweigerungsgesetz 1983, Zivildienstgesetz 1994). Mit dem Übergang zu einem Berufsheer und der Aufgabe der allgemeinen Wehrpflicht wird die Kriegsdienstverweigerungsfreiheit bedeutungslos.

8. Meinungsfreiheit (Art. 5 I 1 GG), Pressefreiheit (Art. 5 I 2 GG), Informationsfreiheit (Art. 5 I 1 GG)

Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Bild und Schrift frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine die Zulässigkeit einer Meinungsäußerung oder Berichterstattung von einer vorherigen staatlichen Überprüfung oder Gestattung abhängig machende, vorherige Zensur findet nicht statt.

a) Meinungsfreiheit

Meinungsfreiheit ist die Freiheit, seine Meinung in Wort, Schrift, Bild und ähnlichen Formen (nicht dagegen etwa durch körperlichen Zwang) frei zu äußern und dadurch auch an der Bildung der öffentlichen Meinung mitzuwirken. Meinung ist dabei die über die bloße Wiedergabe einer Tatsache beispielsweise schon durch die Auswahl oder Aufmachung hinausreichende, meist beurteilende oder wertende Stellungnahme. Ausdrücklich ist die Freiheit zur Veröffentlichung von Tatsachen Presse, Rundfunk und Film gewährleistet.

b) Pressefreiheit

Pressefreiheit ist die Freiheit der Verbreitung von Nachrichten, Mitteilungen, Meinungen und sonstigem Gedankengut durch Druckerzeugnisse und andere Medien. Mit der Pressefreiheit ist zugleich eine Gesamtheit frei konkurrierender Medien gewährleistet (institutionelle Garantie), die weder durch äußere Einwirkung noch durch medieninterne Monopolisierung beseitigt oder auch nur in Gefahr gebracht werden darf. Inhaltliche Ausgewogenheit bezüglich der miteinander im Wettbewerb befindlichen Standpunkte muss im Grundsatz gesichert sein. Staatliche Förderung darf den Meinungsbildungsvorgang nicht beeinflussen. Die Redaktionstätigkeit darf von außen grundsätzlich nicht gestört werden. Nicht eindeutig gesichert ist die innere Unabhängigkeit der in den Medien Tätigen gegenüber den Medienunternehmern (innere Pressefreiheit).

c) Informationsfreiheit

Informationsfreiheit ist die Freiheit der Beschaffung von Wissen. Sie muss jedermann unter gleichen Bedingungen möglich sein. Zu diesem Zweck dürfen sich die Medien über alle allgemein bedeutsamen Vorgänge (z. B. gerichtliche Entscheidungen) unterrichten.

Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Informationsfreiheit finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre (Art. 5 II GG). Allgemeine Gesetze sind dabei die ohne Bezug auf eine bestimmte Meinung allgemein zu gewährleistende Rechtsgüter schützenden Gesetze (z. B. Strafvorschriften etwa wegen Landesverrats, Gebot der politischen Zurückhaltung der Beamten, Verbot der Betriebsfriedensgefährdung), die ihrerseits unter Berücksichtigung des Grundrechts der Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Informationsfreiheit verstanden werden müssen. Eine zweite Schranke bilden die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend (z. B. Jugendschutzgesetz, Gesetz zum Schutz vor jugendgefährdenden Schriften). Eine dritte Schranke ist das Recht der persönlichen Ehre, das über die Straftatbestände der Beleidigung, üblen Nachrede, Verleumdung und falschen Anschuldigung hinausreicht. In jedem Fall darf dabei die Meinungsfreiheit durch andere Güter nicht stärker eingeschränkt werden als es der Schutz dieser anderen Güter erfordert, so dass der Wesensgehalt der Meinungsfreiheit grundsätzlich gewahrt bleiben muss. Bei der dazu notwendigen Abwägung sind beispielsweise die verfolgten Ziele, der Umfang der Beeinträchtigung oder die Art und Weise der Wissensbeschaffung von Bedeutung.

9. Kunstfreiheit, Wissenschaftsfreiheit, Forschungsfreiheit, Lehrfreiheit (Art. III GG)

Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Kunst ist vor allem die an ästhetischen Werten ausgerichtete schöpferische Gestaltung (Dichtung, Musik, Theater, Malerei, Graphik, Plastik usw.), deren Schutz auch den Schutz ihrer Verbreitung (z. B. durch Verleger) umfasst. Wissenschaft und Forschung sind die der Ermittlung der Wahrheit dienenden Tätigkeiten. Lehre ist die Übermittlung der durch Wissenschaft und Forschung gewonnenen, der Ermöglichung wissenschaftlichen Denkens und geistig selbständigen Handelns dienenden Ergebnisse.

Der Staat muss Eingriffe in Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre unterlassen. Außerdem muss er Einrichtungen für ihren Betrieb bereitstellen. Allerdings darf er die einzelne Einrichtung auch wieder beseitigen.

Kunstfreiheit, Wissenschaftsfreiheit, Forschungsfreiheit und Lehrfreiheit sind nicht mit einem gesetzlichen Vorbehalt versehen. Es bestehen jedoch immanente Schranken. Im Kollisionsfall zwischen mehreren Freiheiten oder Gütern ist eine Güterabwägung erforderlich.

10. Versammlungsfreiheit (Art. 8 I GG)

Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

Versammlung ist die Zusammenkunft einer größeren Zahl Menschen zu Erörterung oder Kundgebung. Die Versammlungsfreiheit gewährt das Recht, bei einer (friedlichen und ohne Waffen zusammentretenden) Versammlung anwesend zu sein, dabei die im Gemeingebrauch stehenden öffentlichen Sachen (z. B. Straßen, Plätze) unter Berücksichtigung der Interessen anderer zu nutzen und sich an der Gestaltung der Versammlung zu beteiligen. Für die Versammlungsfreiheit enthält die Verfassung keinen Gesetzesvorbehalt, doch bestehen immanente Schranken, die in den Vorschriften des Versammlungsgesetzes Ausdruck gefunden haben (z. B. polizeiliche Auflösungsbefugnis bei Unfriedlichkeit oder Lebensgefahr).

Für Versammlungen unter freiem Himmel kann die Versammlungsfreiheit durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden (Art. 8 II GG), wobei vor allem der Wesensgehalt der Versammlungsfreiheit nicht angetastet werden darf (Art. 19 I, II GG). Nach dem Versammlungsgesetz besteht eine Anmeldepflicht. Sie gilt nicht bei aus plötzlichem Anlass sofort gebildeten Versammlungen und bei Gefährdung des Versammlungszwecks durch Einhaltung der Anmeldefrist.

11. Vereinigungsfreiheit (Art. 9 I GG)

Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.

Verein ist der freiwillige, private Zusammenschluss mehrerer (natürlicher oder juristischer) Personen zu einem gemeinsamen Zweck (vgl. § 2 VereinsG). Nicht Verein ist das Parlament, die Parlamentsfraktion, der Gemeinderat oder die zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildete Körperschaft des öffentlichen Rechts (z. B. Industrie- und Handelskammer, Rechtsanwaltskammer, Ärztekammer usw.). Sondervorschriften bestehen für Parteien, Religionsgemeinschaften und weltanschauliche Vereinigungen.

Die Vereinigungsfreiheit umfasst die Freiheit zur Gründung eines Vereins. Als negative Vereinigungsfreiheit enthält sie weiter das Recht, einem Verein fernzubleiben. Geschützt ist auch die Betätigungsfreiheit, wobei dem Verein selbst ein eigenes Recht an seinem Fortbestand zukommt.

Die Vereinigungsfreiheit ist nicht durch einen Gesetzesvorbehalt eingeschränkt. Art. 9 II GG verbietet aber Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen, d. h. den allgemeinen, nicht gegen die Vereinigungsfreiheit gerichteten Gesetzen, zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung, d. h. die wesentlichen Grundsätze der Verfassung, oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, wobei der Verein erst dann als verboten behandelt werden darf, wenn durch Verfügung der zuständigen obersten Landesbehörde oder des Bundesministers des Inneren die Merkmale des Art. 9 II GG als gegeben festgestellt sind (für Vereine von Ausländern oder mit Sitz im Ausland vgl. weiter die §§ 14f. VereinsG). Außerdem bestehen immanente Schranken, die in gesetzlichen Vorschriften zum Ausdruck gebracht werden können.

12. Koalitionsfreiheit (Art. 9 III GG)

Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeitsbedingungen und der Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe (z. B. Ärzte, Angehörige des öffentlichen Dienstes) gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 II, III, 87a IV und 91 GG dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeitsbedingungen und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen zur Wahrung und Förderung der Arbeitsbedingungen und Wirtschaftsbedingungen geführt werden.

Die einen Sonderfall der allgemeinen Vereinigungsfreiheit bildende Koalitionsfreiheit gibt die Freiheit zur Gründung und Betätigung (u. a. Werbung, Streik, Aussperrung, Gegnerfreiheit) wie zum Fernbleiben (negative Koalitionsfreiheit, anders bei öffentlichrechtlicher Körperschaft). Sie schützt die Koalition selbst. Sie gewährleistet nicht die Freiheit zu Kartellen, weil diese nicht der Förderung der Arbeitsbedingungen dienen, so dass der Staat die Kartellbildung verbieten darf.

Art. 9 III GG schützt gegen den Staat und Dritte (Abreden sind nichtig). Die Bestimmung hat also Drittwirkung. Sie gestattet Betätigung der Koalition auch in der Dienststelle in der Dienstzeit.

Die Koalitionsfreiheit ist nicht mit einem Gesetzesvorbehalt versehen. Koalitionen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind nicht ausdrücklich verboten. Die Koalitionsfreiheit ist aber doch durch immanente Schranken entsprechend beschränkt.

13. Briefgeheimnis, Postgeheimnis, Fernmeldegeheimnis (Art. 10 I GG)

Das Briefgeheimnis, das Postgeheimnis und das Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.

Das Briefgeheimnis schützt die Geheimheit aller Briefinhalte vor unbefugter Einsichtnahme durch Postbedienstete, Rechtspflegeorgane und mittelbar über das Privatrecht und das Strafrecht durch alle anderen. Das Postgeheimnis verbietet die Öffnung aller verschlossenen, der Post zur Beförderung übergebenen Sendungen und Mitteilungen über Inhalt, Absender und Adressaten. Das Fernmeldegeheimnis betrifft die Geheimheit von Telefongesprächen, Telegrammen und Fernschreiben und untersagt beispielsweise Abhören, Aufnehmen auf Tonband oder Mitteilungen über die Beteiligten und die Inhalte.

Beschränkungen der Geheimnisse dürfen auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden (Art. 10 II 1 GG), ohne dass dafür besondere Voraussetzungen aufgestellt sind. Dient die Beschränkung dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestands oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, dass sie dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird und dass an die Stelle des Rechtswegs die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt (Art. 10 II GG). Ein entsprechendes Gesetz ist erlassen.

14. Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 I GG)

Die Wohnung ist unverletzlich.

Wohnung ist der räumlich abgeschlossene, zum auf längere Zeit angelegten Aufenthalt dienende Lebensbereich des Menschen. Hierzu gehören auch Geschäftszimmer, Nebenräume, Vorgärten, Wohnwagen und Zelte, nicht dagegen Kraftfahrzeuge. Mittelbar gegenüber Dritten geschützt wird die Unverletzlichkeit der Wohnung durch den Straftatbestand des Hausfriedensbruchs (§ 123 StGB) und durch die sachenrechtliche Vorschrift über verbotene Eigenmacht (§ 858 BGB).

Die Unverletzlichkeit der Wohnung wird durch Art. 13 IIff. GG eingeschränkt. Danach sind Durchsuchungen zugelassen. Sie dürfen jedoch nur durch den Richter (z. B. in einer Anweisung an den Gerichtsvollzieher zur Durchführung der Zwangsvollstreckung), bei Gefahr im Verzug auch durch die in den Gesetzen (z. B. 102ff. StPO, 99 AO, 758 ZPO) vorgeschriebenen anderen Organe (z. B. Staatsanwaltschaft, Polizei) angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden (Art. 13 II GG).

Bei durch bestimmte Tatsachen begründetem Verdacht bestimmter besonders schwerer Straftaten dürfen befristet technische Mittel zur akustischen Überwachung der Wohnung eingesetzt werden (Art. 13 III GG). Ähnliches gilt für die Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit (Art. 13 IV GG, vgl. auch Art. 13 V GG wegen technischer Mittel zum Schutz der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen). Solche Eingriffe unterstehen grundsätzlich parlamentarischer Kontrolle (Art. 13 VI GG).

Im Übrigen dürfen Eingriffe und Beschränkungen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot (z. B. Wohnraumbewirtschaftungsgesetz), zur Bekämpfung von Seuchengefahr (z. B. Bundesseuchengesetz) oder zum Schutz gefährdeter Jugendlicher (z. B. Jugendschutzgesetz) vorgenommen werden.

15. Freizügigkeit (Art. 11 I GG)

Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet.

Freizügigkeit ist das Recht, an den Ort der freien Wahl zu ziehen. Das Grundgesetz gewährt Freizügigkeit ausdrücklich nur im Bundesgebiet. Dies umfasst für alle Deutsche die Freiheit, in das Bundesgebiet einzureisen und einzuwandern.

Die nicht besonders genannte Ausreisefreiheit und Auswanderungsfreiheit (Freizügigkeit außerhalb des Bundesgebiets) ergibt sich aus Art. 2 I GG.

Die Freizügigkeit darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes und nur für die Fälle eingeschränkt werden, in denen eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus besondere Lasten entstehen würden oder in denen es zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, zur Bekämpfung von Seuchengefahr, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen, zum Schutze der Jugend vor Verwahrlosung oder um strafbaren Handlungen vorzubeugen, erforderlich ist (Art. 11 II GG).

Für die Bürger der Mitgliedstaaten der Europäischen Union gilt darüber hinaus seit 1992 Freizügigkeit in der Europäischen Union.

16. Nichtauslieferungsrecht (Art. 16 II GG)

Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden.

Auslieferung ist die zwangsweise Verbringung eines Menschen ins Ausland auf Ersuchen eines ausländischen Staates zwecks Strafverfolgung oder Strafvollstreckung. Die Auslieferung eines Deutschen ist auch dann verboten, wenn der Auszuliefernde einwilligt, wenn der Auszuliefernde auch noch eine ausländische Staatsangehörigkeit hat oder wenn er den Behörden Deutschlands von einem ausländischen Staat zur Auslieferung an einen weiteren ausländischen Staat übergeben ist (sog. Durchlieferung). Ausgenommen ist seit 2000 die Auslieferung an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union.

17. Asylrecht (Art. 16a GG)

Politisch Verfolgte genießen Asyl. Asyl ist die Gewährung von Schutz vor Verfolgung an einem Ort. Der Inhalt des Asylrechts ist die Nichtauslieferung.

Politisch verfolgt ist der Mensch, gegen den in seinem Heimatstaat aus politischen Gründen unter Nichtachtung der Rechtsstaatlichkeit dem Heimatstaat zuzurechnende, Leib, Leben oder Freiheit bedrohende Maßnahmen eingeleitet wurden oder eingeleitet werden sollen. Politische Gründe sind beispielsweise die politische Überzeugung, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse, Religion oder Nation. Verfolgt ist auch der Mensch, der sich im Zufluchtsstaat in dem Zeitpunkt befindet, in dem sich in seinem Heimatstaat die politischen Verhältnisse zu seinem Nachteil ändern, nicht politisch verfolgt ist, wer eine Straftat aus politischen Gründen begangen hat und nur von der gleichen Strafdrohung belastet wird wie jeder andere, nicht politisch handelnde Straftäter.

Seit 1993 kann sich auf das Asylrecht nicht (mehr) berufen, wer nach Deutschland aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist (Art. 16a II 1 GG, beachte Art. 16 II 2, 3 GG, Art. 16a III [sichere Herkunftsstaaten], IV, V GG).

Das Bundesministerium des Inneren kann Fluggesellschaften untersagen, Ausländer, die keinen erforderlichen Sichtvermerk (Visum) haben, nach Deutschland zu befördern.

18. Petitionsrecht (Art. 17 GG)

Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden.

Das Petitionsrecht setzt nicht eine Betroffenheit des Petenten voraus. Es erfordert die Beachtung der Strafgesetzes. Es verpflichtet die zuständige Stelle, im Rahmen ihrer Zuständigkeit die Bitte oder Beschwerde zur Kenntnis zu nehmen, zu behandeln und mit einem Bescheid zu beantworten, aus der sich die Art ihrer Erledigung erkennen lässt (vgl. BVerfGE 2, 230), nicht auch ohne weiteres den Bescheid zu begründen.

Es soll in der gleichen Angelegenheit nur einmal ausgeübt werden können.

Verletzt die zuständige Stelle die aus dem Petitionsrecht entspringenden Pflichten, ist Leistungsklage auf formelle Aufnahme, Prüfung und Verbescheidung zulässig.

19. Gleichheit (Art. 3 GG)

Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Er wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden (Art. 3 III 1 GG)..

Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden (Art. 3 III 2 GG).

Der Grundsatz der Gleichheit der Menschen bedeutet, dass tatsächlich Gleiches auch rechtlich gleich zu behandeln ist, tatsächlich Ungleiches dagegen entsprechend seiner Eigenart ungleich). Keinen rechtfertigenden Anknüpfungspunkt für eine Ungleichbehandlung bieten dabei nach der Verfassung selbst grundsätzlich Geschlecht, Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat, Herkunft, Glaube, religiöse oder politische Anschauung und für Benachteiligung eine Behinderung. Ausnahmsweise darf aber aus besonderen Gründen doch entgegen Art. 3 II 1, III 1 GG beispielsweise die Wehrpflicht auf Männer und der Mutterschutz auf Frauen beschränkt werden.

Eine Ungleichbehandlung ist hier wie auch jenseits der besonders genannten Gesichtspunkte dann zulässig, wenn ein einleuchtender Grund für eine unterschiedliche Behandlung besteht. Ob Gleichbehandlung oder Ungleichbehandlung gerechter ist, ist an Hand der allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft zu entscheiden. Für sie sind die Sätze der Verfassung von besonderer Bedeutung.

Der Gleichheitssatz bindet vollziehende Gewalt, rechtsprechende Gewalt und gesetzgebende Gewalt.

Dabei ist es grundsätzlich dem Gesetzgeber überlassen, welche Sachverhalte er als gleich und welche er als ungleich behandeln will. Er verletzt seinen Gestaltungsspielraum aber verfassungswidrig, wenn er Fälle gleich behandelt, zwischen denen (nach übergeordneter Einsicht des Bundesverfassungsgerichts) so erhebliche Unterschiede bestehen, dass sie gerechterweise ungleich behandelt werden müssen, und wenn er Fälle ungleich behandelt, zwischen denen so geringe Unterschiede vorhanden sind, dass sie gerechterweise gleich eingestuft werden müssen. Auch Änderungen bedürfen daher einer Rechtfertigung mit Gründen, welche die Gründe für eine Fortführung des Bisherigen überwiegen.

Die rechtsprechende Gewalt muss das Recht in gleicher Weise anwenden. Sie muss wesentlich Gleiches gleich behandeln und darf insbesondere keine sachfremden Erwägungen vornehmen. Sie muss eine Änderung der Rechtsprechung mit Gründen rechtfertigen, welche die Gründe für die Beibehaltung überwiegen.

Die ausführende Gewalt muss vor allem ihr Ermessen in gleicher Weise handhaben. Trotz eines sachlich notwendigen Gestaltungsspielraums führt dies zur Selbstbindung der Verwaltung. Eine Änderung einer bisherigen rechtmäßigen Praxis muss auf sachlich rechtfertigenden Gründen beruhen.

Eine Bindung Dritter durch den Gleichheitssatz besteht grundsätzlich nicht. Allerdings ist beispielsweise im Tarifrecht für gleiche Arbeit auch gleicher Lohn zu zahlen. Bei überragend wichtigen Gütern kann eine Monopolstellung einen Abschlusszwang zu gleichen Bedingungen begründen.

Unabhängig von dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 GG begründet als besonderer Rechtssatz Art. 38 I 1 GG die Gleichheit des Wahlrechts. Art. 33 I GG gibt jedem Deutschen in jedem Land die gleichen staatsbürgerlichen Rechte. Nach Art. 33 II GG hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt.

Innerhalb des Gleichheitsgrundsatzes hebt Art. 3 II 1 GG die Gleichberechtigung von Männern und Frauen besonders hervor. Sie ist deswegen besonders bedeutsam, weil zwischen Männern und Frauen unterschiedliche biologische Gegebenheiten bestehen. Ihrer ungeachtet ist der Staat zu dem Ziel aufgerufen, (Männern und Frauen) möglichst gleichwertige Lebensverhältnisse zu gewährleisten.

Gleichheit im Steuerrecht bedeutet hauptsächlich sachgemäße Unterscheidung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Besteuerten. Daneben kann der Gesetzgeber aber auch andere sachgemäße Gesichtspunkte berücksichtigen. Die einmal entstandene Steuerpflicht ist grundsätzlich in gleicher Weise durchzusetzen (z. B. für Kapitaleinkünfte).

20. Familie (Art. 6 GG)

Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung (Art. 6 I GG). Damit ist ein Grundrecht zum Schutz von Ehe und Familie geschaffen, eine institutionelle Garantie gewährt und eine verbindliche Wertentscheidung für die gesetzgebende Gewalt, die vollziehende Gewalt und die rechtsprechende Gewalt getroffen. Ziel dieses Grundrechts ist es, die Entwicklungsbedingungen für den Menschen von seinen ersten Anfängen an möglichst gut zu sichern.

Ehe ist die nach christlich-abendländischem Verständnis auf Lebenszeit angelegte, formalisierte Lebensgemeinschaft eines Manns und einer Frau. Über sie reicht die Familie vielfach hinaus. In diesem Sinn ist Familie die Gemeinschaft von Eltern und Kindern.

Art. 6 I GG sichert jedem die Freiheit, die Ehe mit einem Menschen des anderen Geschlechts seiner Wahl zu schließen. Darüber hinaus muss der Staat Ehe und Familie allgemein fördern, ohne dass der Einzelne deswegen einzelne bestimmte Leistungsansprüche geltend machen oder einen Ausgleich jeder Ehe und Familie treffenden Belastung verlangen kann. Umgekehrt darf der Staat Ehe und Familie nicht beeinträchtigen, also nicht Ehegatten bei öffentlichen Lasten und öffentlichen Leistungen ungünstiger behandeln als nichtehelich zusammenlebende Menschen oder Arbeitsverhältnisse zwischen Ehegatten nicht schlechter einstufen als vergleichbare andere Arbeitsverhältnisse.

Außerdem ist auch für die Folgewirkungen einer Ehe Art. 6 I GG zu beachten.

Der Ehe gleichgestellt werden können eheähnliche Verhältnisse zwischen zwei Menschen verschiedenen Geschlechts (BVerfGE 87, 264).

Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern (bei unüberwindlichen Schwierigkeiten gegebenenfalls auch eines Elternteils) und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht, über deren Betätigung die staatliche Gemeinschaft wacht (Art. 6 II GG). Dementsprechend dürfen die Eltern unzulässige Eingriffe des Staates in die Erziehung eines Kinds abwehren. Bei der Überwachung des elterlichen Erziehungsrechts darf der Staat nur so weit eingreifen, wie dies zur Abwehr der Gefahr erforderlich ist.

Eine Trennung eines Kinds von der Familie gegen den Willen der Erziehungsberechtigten ist (nur auf Grund eines Gesetzes und) nur zulässig, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen (Art. 6 III GG).

Im Bereich der Schule erwächst aus dem Elternrecht ein Wahlrecht der Eltern zwischen unterschiedlichen anzubietenden Schulen, eine Mitentscheidungsmöglichkeit bei der Wahl zwischen mehreren Schulzweigen und ein Recht auf Rücksichtnahme auf eine weltanschauliche Überzeugung in einem dafür bedeutsamen Schulfach (beachte Art. 7 II GG).

Im Verhältnis zum Kind erstarken dessen eigene Selbstbestimmungsrechte gegenüber dem Erziehungsrecht der Eltern mit dem allmählichen Heranwachsen.

Nach Art. 6 V GG sind den unehelichen Kindern durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für die leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

21. Schule (Art. 7 GG)

Das Schulwesen, das zu einem erheblichen Teil (Unterricht, Erziehung, Schulpflicht, Lehrer) Angelegenheit der Länder ist, steht in seiner Gesamtheit (einschließlich der kommunalen Schulen) unter der Aufsicht des Staates (Art. 7 I GG). Schule ist dabei die durch planmäßige Unterweisung Bildungsziele und Erziehungsziele verwirklichende, Fähigkeiten für das Berufsleben vermittelnde, für eine größere Zahl von Lernenden bestimmte und unabhängig vom Wechsel der Lernenden und Lehrenden auf Dauer angelegte Einrichtung (z. B. Grundschule, Hauptschule, Realschule, Fachschule, Gymnasium, Abendschule, nicht Kindergarten, Tanzschule, Nachhilfe, Hochschule). Für die Gestaltung der Schulorganisation, der Unterrichtsgegenstände und der Erziehungsgrundsätze sind die Länder zuständig (vgl. Art. 30, 70 GG), die angemessene Möglichkeiten eröffnen müssen und Rechte der Eltern nicht mehr als erforderlich einschränken dürfen.

Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen ordentliches Lehrfach, ausgenommen die bekenntnisfreien Schulen (Art. 7 III 1 GG, gilt nach Art. 141 GG nicht für die allgemeinbildenden Schulen in Berlin und Bremen). Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kinds am Religionsunterricht zu bestimmen (Art. 7 II GG), doch gewährt das Gesetz über die religiöse Kindererziehung dem Kind von der Vollendung des (12. bzw.) 14. Lebensjahrs an ein Selbstentscheidungsrecht. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechts wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt (Art. 7 III 2 GG), so dass die Religionslehrer zum Religionsunterricht einer Erlaubnis ihrer Religionsgemeinschaft bedürfen und der Staat gegen den Widerspruch der Religionsgemeinschaft keinen Religionslehrer mit dem Religionsunterricht betrauen darf. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen (Art. 7 III 3 GG). Den Inhalt des Religionsunterrichts bestimmt die Religionsgemeinschaft, der jedoch kein unmittelbares schulaufsichtliches Weisungsrecht zukommt.

Die auch weltanschaulich eher offene oder eher gebundene Gestaltung der vom Grundgesetz erwähnten bekenntnisfreien Schulen, Gemeinschaftsschulen, Bekenntnisschulen und Weltanschauungsschulen wie auch der vom Grundgesetz nicht erwähnten, mehrere Schularten zusammenfassenden, auf ein Mindestmaß an Differenzierung nach Erziehungszielen und Bildungsinhalten verpflichteten Gesamtschulen steht den Ländern zu, die in einer pluralistischen Gesellschaft die Offenheit der Unterrichtung eher fördern müssen.

Das Recht zur Errichtung privater Schulen neben den öffentlichen Schulen wird gewährleistet (Art. 7 IV 1 GG). Privatschulen als Ersatz für öffentliche Schulen (sog. Ersatzschulen) bedürfen der Genehmigung des Staates, unterstehen den Landesgesetzen (Art. 7 IV 2 GG) und damit auch der staatlichen Schulaufsicht, haben aber auch auf Grund ihrer Gewährleistung einen Anspruch auf staatliche Förderung. Die staatliche Genehmigung der Ersatzschule (z. B. privates Gymnasium) ist zu erteilen, wenn die Privatschule in ihren Lehrzielen und Einrichtungen nicht hinter den öffentlichen Schulen zurücksteht und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird (Art. 7 IV 3 GG) sowie die gesetzlich vorgeschriebene wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte genügend gesichert ist (Art. 7 IV 5 GG).

Auch eine andere Privatschule kann genehmigt werden.

Eine private Volksschule ist nur zuzulassen, wenn die Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt oder, auf Antrag von Erziehungsberechtigten, wenn sie als Gemeinschaftsschule, als Bekenntnisschule oder als Weltanschauungsschule errichtet werden soll und eine öffentliche Volksschule dieser Art in der Gemeinde nicht besteht (Art. 7 V GG).

Vorschulen, die während der Grundschulzeit Kinder auf den Besuch einer weiterführenden Schule vorbereiten sollen, sind ausgeschlossen (bzw. bleiben aufgehoben, Art. 7 VI GG).

Hochschulen sind keine Schulen. Für sie gelten die Art. 5 III, 12 I, 70 I, 74 Nr. 13, 75 Nr. 1a und 91a I Nr. 1 GG sowie das Hochschulrahmengesetz des Bundes. Sie sind Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltungsrecht unter Rechtsaufsicht. Privathochschulen sind zulässig.

Aus dem Grundrecht der Berufsfreiheit besteht ein Anspruch auf Zulassung zum Studium, der durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann. Absolute Zulassungsbeschränkungen für Studienanfänger eines Faches sind zulässig Voraussetzungen sind aber Erforderlichkeit und Auswahl und Verteilung der Bewerber nach sachgerechten Maßstäben.

22. Religionsgemeinschaften (Art. 140 GG, 136ff. WRV)

Es besteht keine Staatskirche (Art. 140 GG, Art. 137 I WRV). Die Kirche ist aber vom Staat auch nicht völlig getrennt. Der von der Verfassung zu weltanschaulich-religiöser Neutralität verpflichtete Staat hat begrenzte Kirchenhoheit über autonome Kirchen.

Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften wird gewährleistet (Art. 140 GG, 137 II WRV, vgl. Art. 4 II GG). Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes und verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde (Art. 140 GG, 137 III WRV). Religionsgesellschaften erwerben die Rechtsfähigkeit nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechts (Art. 140 GG, 137 III WRV).

Soweit sie (bis 1919 bzw. 1949) Körperschaften des öffentlichen Rechts waren, bleiben sie dies. Anderen Religionsgesellschaften sind auf ihren Antrag gleiche Rechts zu gewähren, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten (Art. 140 GG, 137 V WRV). Die Religionsgesellschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, dürfen als verliehenes Hoheitsrecht auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern (Kirchensteuern) (von ihren Mitgliedern) erheben (Art. 140 GG, 137 VI WRV).

Den Religionsgesellschaften sind die der gemeinschaftlichen Pflege einer Weltanschauung dienenden Vereinigungen gleichgestellt (Art. 140 GG, 137 VII WRV).

Im Übrigen besteht für das Staatskirchenrecht die Zuständigkeit der Länder, die mit Religionsgesellschaften auch kirchenrechtliche Verträge (Konkordate, Kirchenverträge) abschließen können (Art. 140 GG, 137 VIII GG).

Die Rechte der Religionsgesellschaften und religiösen Vereine an ihrem Vermögen werden gewährleistet (Art. 140 GG, 138 II WRV).

Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben gesetzlich geschützt (Art. 140 GG, 139 WRV).

23. Wirtschaft

Die Verfassung enthält keine Entscheidung für ein bestimmtes Wirtschaftssystem (vgl. die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG einerseits und die Möglichkeit der Sozialisierung von Grund und Boden, Naturschätzen und Produktionsmitteln in Art. 15 GG andererseits). Sie behandelt die Wirtschaft aber auch nicht als verfassungsfreien Raum. Ihre Grundsätze sind in jedem Fall hinsichtlich der Wirtschaft zu beachten (Rechtsstaatsgrundsatz, Sozialstaatsgrundsatz, Demokratiegrundsatz, evtl. Grundrechte usw.).

24. Eigentum (Art. 14 GG)

Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet (Art. 14 I 1 GG, Institutsgarantie). Eigentum ist dabei nicht nur das Recht, mit einer Sache nach Belieben zu verfahren und andere von der Einwirkung über sie auszuschließen (§ 903 S. 1 BGB), sondern jedes vermögenswerte private Recht, das dem Einzelnen ähnlich wie das Eigentum einer Sache zur Nutzung und Verfügung zugeordnet ist (z. B. Aktie, Urheberrecht, Verlagsrecht, Aneignungsrecht, Mietrecht, Pachtrecht, eingerichteter und ausgeübter Gewerbebetrieb, good will, nicht dagegen bloße Chance, bloßer Vorteil, bloßer Rechtsreflex). Eine vermögenswerte öffentlichrechtliche Rechtsstellung ist als Eigentum anzusehen, wenn sie der Gegenwert einer eigenen Leistung des Betroffenen ist (z. B. Rentenanspruch, Arbeitslosengeldanspruch, Anliegergebrauch, nicht z. B. Sozialhilfeanspruch, Subventionsanspruch).

Inhalt und Schranken des Eigentums werden durch die Gesetze bestimmt (Art. 14 I 1 GG, z. B. Einschränkung des Eigentums des Unternehmers durch Mitbestimmung der Arbeitnehmer). Diese Ermächtigung wird nicht als Einschränkungsvorbehalt angesehen, so dass das Gesetz nicht allgemein gelten und das Grundrecht nicht unter Angabe des Artikels nennen muss (Art. 19 I GG). Allerdings darf der Gesetzgeber bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken (z. B. durch eine Steuerpflicht) das Eigentum nicht in seinem Wesensgehalt antasten (Art. 19 II GG).

Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen (Art. 14 II GG, Sozialbindung). Bei der Abgrenzung zwischen Privatnützigkeit und Allgemeinnnützigkeit ist der Wesensgehalt des Eigentums zu wahren, der bei unterschiedlichen Gegenständen unterschiedlich zu bestimmen sein kann.

Eine von der ausgleichsfreien gesetzlichen Inhaltsbestimmung zu trennende (rechtmäßige) Enteignung ist nur zum Wohl der Allgemeinheit zulässig (Art. 14 III 1 GG). Enteignung ist dabei der auf den teilweisen oder vollständigen Entzug eines konkreten Eigentumsrechts gerichtete Zugriff. Eine Enteignung darf nur durch (trotz Art. 19 I GG zulässiges besonderes) Gesetz (Legalenteignung) oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt (Art. 14 III 2 GG, Junktimklausel). Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen (Art. 14 III 3 GG). Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfall der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen (Art. 14 III 4 GG).

Keine (rechtmäßige) Enteignung ist der rechtswidrige enteignungsgleiche Eingriff.

Für den Fall rechtswidriger schuldhafter Schädigung des Eigentums besteht ein Schadensersatzanspruch nach Art. 34 GG, § 839 BGB.

Kann der von einem besonderen Opfer betroffene Einzelne keine Entschädigung wegen Enteignung und keinen Schadensersatz wegen rechtswidriger schuldhafter Schädigung erlangen, kann er nach dem allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass der Staat den, der seine besonderen Rechte und Vorteile dem allgemeinen Wohl aufopfern muss, entschädigen muss, Entschädigung wegen Aufopferung begehren (Auffangtatbestand).

25. Beruf (Art. 12 GG)

Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen (Art. 12 I 1 GG). Beruf ist dabei die auf Dauer angelegte, Arbeitskraft und Arbeitszeit überwiegend in Anspruch nehmende Betätigung, die im Allgemeinen mit dem Ziel betrieben wird, daraus den Lebensunterhalt zu gewinnen, und die zugleich einen Beitrag zur gesellschaftlichen Gesamtleistung erbringt. Jeder Deutsche darf frei entscheiden, welchen Beruf er wählen will, wo er sich ausbilden lassen will und wo er arbeiten will.

Er hat aber keinen Anspruch darauf, in dem von ihm gewählten Beruf tatsächlich Arbeit zu finden.

Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes durch Rechtsverordnung, Satzung oder Verwaltungsakt geregelt werden (Art. 12 I 2 GG, Gesetzesvorbehalt). Erfasst werden davon Berufswahl, Berufsaufnahme und Berufsausübung, wobei eine stufenförmige Betrachtung sinnvoll ist. Hierfür hat das Bundesverfassungsgericht die sog. Stufentheorie entwickelt.

Die Art und Weise der Berufsausübung kann geregelt werden, wenn überwiegende Interessen des allgemeinen Wohls die Regelung erfordern (z. B. Werbeverbot für Ärzte, Untersagung unlauteren Wettbewerbs, Festlegung der Apothekenpflichtigkeit einer Ware, Gefahrenhinweis auf Zigarettenpackung, Arbeitgeberpflicht zur Abführung von Lohnsteuern und Sozialversicherungsbeiträgen, nicht erforderlich z. B. Untersagung der Führung eines erworbenen ausländischen Grads als Anwalt, Verbot des Betriebs von Warenautomaten nach Ladenschluss ohne räumlichen Zusammenhang mit einem Ladengeschäft). Die Zulassung zur Berufsausübung darf von subjektiven, in der Person des Einzelnen liegenden Voraussetzungen abhängig gemacht werden, wenn diese aus vorrangigen Gründen zur ordnungsgemäßen Erfüllung des Berufs notwendig sind (z. B. Vorbildung, Ausbildung, Zuverlässigkeit, Lebensalter, Meisterprüfung für Leitung eines Handwerksunternehmens). Die Zulassung zur Berufsausübung darf von objektiven, außerhalb der Person des Einzelnen liegenden Voraussetzungen (nur dann) abhängig gemacht werden, wenn sie zur Abwehr schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut unabdingbar sind (nicht z. B. Bedürfnisprüfung bei Gaststätten oder Apotheken, numerus clausus an Hochschulen zur bloßen Bedarfslenkung).

Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht (Art. 12 II GG, z. B. Pflichtfeuerwehr, Deichpflicht). Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig (Art. 12 III GG). Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband, bei Verweigerung des Kriegsdiensts aus Gewissensgründen zu einem zivilen Ersatzdienst verpflichtet werden (Art. 12a I, II GG).

 

§ 5 Staatsorgane

Staatsorgan ist entsprechend der Rechtsordnung der einzelne Mensch oder die bestimmte Mehrheit von Menschen, durch den oder durch die der Staat handelt. Als Staatsorgane von der Verfassung angesprochen werden das die Souveränität tragende Volk als die Gesamtheit der wahlberechtigten und stimmberechtigten Bürger, der Bundestag, der Bundesrat, die Bundesversammlung, der Bundespräsident, der Bundeskanzler, die Bundesregierung und das Bundesverfassungsgericht. In eigenen Abschnitten behandelt werden Bundestag, Bundesrat, Bundespräsident und Bundesregierung.

I. Bundestag (Art. 38ff. GG)

Der Bundestag ist die aus Wahlen hervorgehende, in erster Linie zur Gesetzgebung berufene Vertretung des deutschen Volkes. Zwischen dem Volk und seinen Abgeordneten besteht keine Stellvertretung mit Weisungsrecht. Die Abgeordneten sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen (Art. 38 GG).

1. Entstehung

Die Abgeordneten des Bundestags werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt.

Wahlberechtigt (aktives Wahlrecht) ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat (Art. 38 II GG), Deutscher ist und seit mindestens drei Monaten im Bundesgebiet eine Wohnung oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Wählbar (passives Wahlrecht) ist, wer das Volljährigkeitsalter (Vollendung des achtzehnten Lebensjahrs) erreicht hat (Art. 38 II GG), seit mindestens einem Jahr Deutscher ist und nicht besonders von der Wählbarkeit ausgeschlossen ist.

Der Bundestag besteht aus 598 Abgeordneten (§ 1 I 1 BWG), von denen die eine Hälfte mit den Erststimmen der Wähler nach Kreiswahlvorschlägen in einzelnen Wahlkreisen, die andere Hälfte mit den Zweitstimmen der Wähler nach Landeswahlvorschlägen in einzelnen Ländern gewählt wird. Gewählt ist im Wahlkreis, wer die meisten Stimmen (relative Mehrheit der Erststimmern) erhält (§ 5 BWG, Mehrheitswahlrecht).

Auf Grund der auf die verschiedenen Landeswahlvorschläge (Landeslisten) abgegebenen Zweitstimmen wird festgelegt, wieviele Abgeordnete auf einen Landeswahlvorschlag entfallen (Verhältniswahlrecht). Dazu teilt man die für die jeweiligen Landeslisten abgegebenen Zweitstimmen durch die Zahl der für alle unter Beachtung der Sperrklausel von fünf Prozent (§ 6 VI BWG) zu berücksichtigenden Landeslisten abgegebenen Zweitstimmen und vervielfältigt mit dieser Bruchzahl die Zahl der insgesamt zu vergebenden Abgeordnetensitze. Das Ergebnis bestimmt mit seinem vor dem Komma stehenden Teil die Zahl der auf die Landeswahlvorschläge entfallenden Sitze.

Die dabei unverteilt gebliebenen Restsitze der regulär zu vergebenden Sitze werden in der Reihenfolge der höchsten hinter dem Komma stehenden Dezimalzahlen verteilt (§ 6 BWG). Die erlangten Sitze werden in erster Linie den Abgeordneten zugeteilt, die in einem Wahlkreis die Mehrheit errungen haben (personalisierte Verhältniswahl). Im Übrigen werden sie aus dem Landeswahlvorschlag in der dort festgelegten Reihenfolge besetzt.

Haben mehr einem Landeswahlvorschlag zuzurechnende Bewerber eines Landeswahlvorschlags in Wahlkreisen eine relative Mehrheit errungen als dem Landeswahlvorschlag nach den auf ihn insgesamt entfallenden Stimmen an Abgeordnetensitzen zustünde, so erhöht sich um diese Überhangmandate die Zahl der Abgeordnetensitze für diese Wahlperiode.

Der Bundestag wird auf vier Jahre gewählt (Art. 39 I 1 GG). Die Wahl des nächsten Bundestags findet frühestens 46, spätestens 48 Monate nach Beginn der Wahlperiode, im Fall der Auflösung innerhalb von 60 Tagen statt. Der Bundestag tritt spätestens am dreißigsten Tag nach der Wahl zusammen und bestimmt den Schluss und den Wiederbeginn seiner Sitzungen.

Die Wahlprüfung ist Sache des Bundestags (Art. 41 I 1 GG, Vorbereitung durch Wahlprüfungsausschuss), der auch darüber entscheidet, ob ein Abgeordneter die Mitgliedschaft im Bundestag verloren hat.

2. Organisation

Der Bundestag ordnet seine Angelegenheiten selbst.

Der Bundestag wählt seinen Präsidenten, dessen Stellvertreter und die Schriftführer (Art. 40 I 1 GG). Bundestagspräsident wird meist ein Abgeordneter der stärksten Bundestagsfraktion. Stellvertreter werden (nach jeweiliger Absprache unter den Parteien mehrere) Abgeordnete nächststärkerer Fraktionen.

Der Bundestag gibt sich eine Geschäftsordnung (Art. 40 I 2 GG). Sie steht einem Bundesgesetz im Rang nach. Ein Verstoß gegen sie macht, soweit sie nicht Verfassungsgewohnheitsrecht darstellt, ein Gesetz nicht verfassungswidrig.

Der Bundestagspräsident leitet die Sitzungen des Bundestags und führt die Geschäfte außerhalb der Sitzungen. Er übt das Hausrecht und die Polizeigewalt im Gebäude des Bundestags aus, weshalb nach Art. 40 II GG ohne seine Genehmigung in den Räumen des Bundestags keine Durchsuchung oder Beschlagnahme stattfinden darf. Ihm untersteht die Bundestagsverwaltung.

Der Bundestag gliedert sich in Fraktionen. Abgeordnete, die der gleichen Partei oder nicht in einem Land miteinander in Wettbewerb stehenden Parteien (z. B. CDU und CSU) angehören, bilden, sofern ihre Zahl 5 Prozent der Zahl der Mitglieder des Bundestags erreicht, eine Fraktion. Die Fraktion hat das Recht zu Anfrage, Gesetzesinitiative, Anrufung des Vermittlungsausschusses und Antragstellung im Organstreit vor dem Bundesverfassungsgericht.

Gegenüber einzelnen Abgeordneten kann im Streitfall der Parteiausschluss, nicht aber die Niederlegung des Mandats erreicht werden.

Der Bundestag bildet zur Vorbereitung von Entscheidungen Ausschüsse. Obligatorische Ausschüsse (Pflichtausschüsse) sind schon nach der Verfassung der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (Art. 45 GG), der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten (Art. 45a GG), der Ausschuss für Verteidigung (Art. 45a GG, Rechte eines Untersuchungsausschusses, Hilfsorgan Wehrbeauftragter Art. 45b GG) und der Petitionsausschuss (Art. 45c GG). Fakultative Ausschüsse (freiwillige Ausschüsse) sind etwa Haushaltsausschuss, Innenausschuss, Rechtsausschuss und der für einzelne Angelegenheit von Fall zu Fall gebildete Untersuchungsausschuss (Art. 44 GG) zur Beschaffung von Daten, Wahrung des Ansehens oder Kontrolle der Regierung.

Der Bundestag hat das Recht und auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder die Pflicht, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, der in öffentlicher Verhandlung die erforderlichen Beweise erhebt. Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden. Auf Beweiserhebungen finden die Vorschriften über den Strafprozess sinngemäß Anwendung. Briefgeheimnis, Postgeheimnis und Fernmeldegeheimnis bleiben unberührt. Gerichte und Verwaltungsbehörden sind zu Rechtshilfe und Amtshilfe verpflichtet. Die (auf Feststellungen beschränkten) Beschlüsse des Untersuchungsausschusses sind der richterlichen Erörterung entzogen, so dass gegen sie gerichtlich nicht vorgegangen werden kann. In der Würdigung und Beurteilung des der Untersuchung zugrundeliegenden Sachverhalts sind die Gerichte frei.

Der Bundestag kann zur Vorbereitung einer Entscheidung eine Enquêtekommission einsetzen, der auch Nichtabgeordnete angehören können.

Der Bundestag verhandelt öffentlich (Art. 42 I 1 GG). Auf in nichtöffentlicher Sitzung zu entscheidenden Antrag eines Zehntels seiner Mitglieder oder der Bundesregierung kann mit Zweidrittelmehrheit die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden. Zu einem Beschluss des mit der Anwesenheit der Mehrheit der Abgeordneten im Sitzungssaal beschlussfähigen Bundestags ist grundsätzlich die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich (Art. 42 II 1 GG).

Mehrheit der Mitglieder des Bundestags (und der Bundesversammlung) ist nach Art. 121 GG die Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl.

Die Verhandlung des Bundestags (eröffnet und) leitet der Bundestagspräsident oder sein Stellvertreter. Er kann den Bundestag einberufen, wozu er auf Verlangen eines Drittels der Mitglieder, des Bundespräsidenten oder des Bundeskanzlers verpflichtet ist (Art. 39 III 2, 3 GG), die Sitzung aussetzen, gegen Abgeordnete mit Verweisungen zur Sache, Rufen zur Ordnung, Entziehung des Worts oder Ausschluss von der Teilnahme vorgehen oder störende Dritte aus dem Sitzungssaal entfernen lassen. Er schließt die Sitzung.

3. Rechte und Pflichten

Der Bundestag hat das Recht, Gesetzesvorlagen aus seiner Mitte einzubringen (Art. 76 I GG).

Der Bundestag hat über alle bei ihm eingebrachten Gesetzentwürfe Beschluss zu fassen (vgl. Art. 77 I 1 GG).

Die Mitglieder des Bundestags sind Mitglieder der den Bundespräsidenten wählenden Bundesversammlung (Art. 54 III GG).

Der Bundestag kann den Bundespräsidenten wegen vorsätzlicher Verletzung des Grundgesetzes oder eines anderen Bundesgesetzes vor dem Bundesverfassungsgericht anklagen (Art. 61 I 1 GG).

Der Bundestag wählt den Bundeskanzler (Art. 63 I GG).

Der Bundestag kann dem Bundeskanzler durch die Wahl eines Nachfolgers das Misstrauen aussprechen und den Bundespräsidenten ersuchen, den Bundeskanzler zu entlassen (Art. 67 I GG).

Vor dem Bundestag und dem Bundesrat leistet der Bundespräsident seinen Amtseid (Art. 56 GG).

Vor dem Bundestag leisten Bundeskanzler und Bundesminister bei der Amtsübernahme den Amtseid (Art. 64 II GG).

Der Bundestag bestellt die Hälfte der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts.

Der Bundestag besetzt zur Hälfte den Richterwahlausschuss, der gemeinsam mit dem zuständigen Bundesminister die Richter der oberen Gerichtshöfe des Bundes bestimmt.

Der Bundestag bestellt die Vertreter der Beratenden Versammlung des Europarats.

Der Bundestag stellt den Haushaltsplan des Bundes fest (Art. 110 GG).

Der Bundestag kann bei der Gestaltung der Politik der Bundesregierung mitwirken und die Anwesenheit jedes Mitglieds der Bundesregierung bei seinen Sitzungen oder den Sitzungen seiner Ausschüsse verlangen (Art. 43 I GG).

Bundestag zu zwei Dritteln und Bundesrat zu einem Drittel bilden den Gemeinsamen Ausschuss, den die Bundesregierung über ihre Planungen für den Verteidigungsfall zu unterrichten hat (Art. 53a GG).

Der einzelne Abgeordnete des Bundestags hat ein Recht auf angemessene Teilhabe an den Rechten des Bundestags und darf zu diesem Zweck fragen, reden, abstimmen und wählen. Er darf zu keiner Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die er im Bundestag oder in einem seiner Ausschüsse getan hat (ausgenommen verleumderische Beleidigung), gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb des Bundestags zur Verantwortung gezogen werden (Art. 46 I GG, Indemnität). Wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung darf er nur mit Genehmigung des Bundestags (Aufhebung der Immunität) zur Verantwortung gezogen oder verhaftet werden, es sei denn, dass er bei Begehung der Tat oder im Lauf des folgenden Tags festgenommen wird (Art. 46 II GG, Immunität, Ruhen der Verfolgungsverjährung, beachte Art. 46 III, IV GG).

Der Abgeordnete ist berechtigt, über Personen, die ihm in seiner Eigenschaft als Abgeordneter oder denen er in dieser Eigenschaft Tatsachen anvertraut hat, sowie über diese Tatsachen selbst das Zeugnis zu verweigern (Art. 47 S. 1 GG, Beschlagnahmeverbot von Schriftstücken Art. 47 S. 2 GG). Der Abgeordnete hat Anspruch auf eine angemessene, seine Unabhängigkeit sichernde Entschädigung (Art. 48 III 1 GG, Diäten). Er hat das Recht der freien Benutzung aller staatlichen Verkehrsmittel.

Wer sich um einen Sitz im Bundestag bewirbt, hat Anspruch auf den zur Vorbereitung seiner Wahl erforderlichen Urlaub. Niemand darf gehindert werden, das Amt eines Abgeordneten zu übernehmen und auszuüben. Eine Kündigung oder Entlassung aus diesem Grund ist unzulässig.

Der Abgeordnete kann seine parlamentarischen Rechte in einem Organstreit geltend machen (Art. 93 I Nr. 1 GG). Bei Verletzung verfassungsrechtlicher Pflichten kann gegen ihn ein Organstreit geführt werden. Über den Organstreit entscheidet das Bundesverfassungsgericht.

4. Beendigung

Die Wahlperiode des Bundestags endet mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestags (Art. 39 I 2 GG). Aufgelöst werden kann der Bundestag durch den Bundespräsidenten auf Vorschlag des Bundeskanzlers binnen 21 Tagen, wenn ein Antrag des Bundeskanzlers, ihm das Vertrauen auszusprechen, nicht in einer mindestens 48 Stunden später abgehaltenen Abstimmung die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestags findet, und der Bundestag keinen anderen Bundeskanzler mit der Mehrheit seiner Mitglieder wählt (Art. 68 GG). Aufzulösen vom Bundespräsidenten ist der Bundestag, wenn entweder der Bundestag niemanden mit der Mehrheit der Mitglieder zum Bundeskanzler wählt oder der Bundespräsident den ohne diese Mehrheit Gewählten nicht binnen sieben Tagen zum Bundeskanzler ernennt (Art. 63 IV 3 GG).

Das Mandat des Abgeordneten endet mit der Beendigung der Wahlperiode des Bundestags, dem Tod, dem Verzicht, dem Wegfall einer Voraussetzung der Wählbarkeit, der Feststellung der Ungültigkeit des Mandatserwerbs und der Feststellung der Verfassungswidrigkeit seiner Partei. In der Regel erfolgt eine Wiederbesetzung aus der Landesliste. Ausnahmsweise wird eine Ersatzwahl durchgeführt.

II. Bundesrat (Art. 50ff. GG)

Bundesrat ist das die Rechte der Bundesländer im Bund wahrende Organ des Bundes, durch das die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes und in Angelegenheiten der Europäischen Union mitwirken (Art. 50 GG).

1. Entstehung

Der Bundesrat besteht aus (grundsätzlich gegenüber den Landesregierungen weisungsgebundenen) Mitgliedern der Regierungen der Länder (z. B. Ministerpräsidenten), die sie bestellen und abberufen. Sie können durch andere Mitglieder ihrer Regierungen als Stellvertreter vertreten werden (Art. 51 I GG). Den Ausschüssen des Bundesrats können andere Mitglieder oder Beauftragte der Regierungen der Länder angehören (Art. 52 IV GG).

Jedes Land hat mindestens drei Stimmen (Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland). Länder mit mehr als zwei Millionen Einwohnern (Berlin, Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Thüringen) haben vier Stimmen, Länder mit mehr als sechs Millionen Einwohnern (Hessen) fünf Stimmen, Länder mit mehr als sieben Millionen Einwohnern (Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen) sechs Stimmen (Art. 51 II GG).

Jedes Land kann so viele Mitglieder entsenden, wie es Stimmen hat (Art. 51 III 1 GG).

2. Organisation

Der Bundesrat ordnet seine Angelegenheiten selbst.

Der Bundesrat wählt (aus seiner Mitte) seinen Präsidenten auf ein Jahr (Art. 52 I GG).

Der Bundesrat gibt sich eine Geschäftsordnung Art. 52 III 2 GG).

Der Bundesratspräsident beruft den Bundesrat ein. Er hat ihn einzuberufen, wenn die Vertreter von mindestens zwei Ländern oder die Bundesregierung es verlangen (Art. 52 II GG). Vielfach tagt der Bundesrat an Freitagen.

Für Angelegenheiten der Europäischen Union kann der Bundesrat eine Europakammer bilden, deren Beschlüsse als Beschlüsse des Bundesrats gelten (Art. 52 IIIa GG).

Der Bundesrat verhandelt öffentlich. Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden (Art. 52 III 3, 4 GG). Die öffentliche Verhandlung ist eher medienwirksam.

Der Bundesrat fasst seine Beschlüsse mit mindestens der Mehrheit seiner Stimmen (Art. 52 III 1 GG). Die Stimmen können nur durch anwesende Mitglieder abgegeben werden. Jedes Land kann nur einheitlich abstimmen.

3. Rechte und Pflichten

Der Bundesrat hat das Recht, Gesetzesvorlagen beim Bundestag einzubringen (Art. 76 I GG).

Der Bundesrat ist berechtigt, binnen sechs Wochen zu den ihm zuzuleitenden Vorlagen der Bundesregierung Stellung zu nehmen (Art. 76 II 2 GG).

Der Bundesrat wirkt bei der Gesetzgebung mit.

Der Bundesrat hat im Gesetzgebungsnotstand besondere Rechte (Art. 81 GG).

Die Mitglieder der Bundesregierung haben das Recht und auf Verlangen die Pflicht, an den Verhandlungen des Bundesrats und seiner Ausschüsse teilzunehmen. Der Bundesrat ist von der Bundesregierung über die Führung der Geschäfte auf dem Laufenden zu halten (Art. 53 GG).

Die Bundesregierung bedarf bei dem Erlass allgemeiner Verwaltungsvorschriften nach Art. 84 II, 85 II, 108 VII GG der Zustimmung des Bundesrats.

Der Bundesrat wirkt bei der Bundesaufsicht über die Länder mit (Art. 84 IV GG). Bundeszwang darf nur mit Zustimmung des Bundesrats ausgeübt werden (Art. 37 GG).

Der Bundesrat wählt die Hälfte der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts.

Der Bundesrat hat ein eigenes Antragsrecht vor dem Bundesverfassungsgericht nach Art. 93 Nr. 2a GG.

Der Bundesrat kann den Bundespräsidenten wegen vorsätzlicher Verletzung des Grundgesetzes oder eines anderen Bundesgesetzes vor dem Bundesverfassungsgericht anklagen (Art. 61 I 1 GG).

Vor Bundestag und Bundesrat leistet der Bundespräsident seinen Amtseid (Art. 56 GG).

Der Bundesratspräsident vertritt den Bundespräsidenten (Art. 57 GG).

Bundestag zu zwei Dritteln und Bundesrat zu einem Drittel bilden den Gemeinsamen Ausschuss, den die Bundesregierung über ihre Planungen für den Verteidigungsfall zu unterrichten hat (Art. 53a GG).

4. Beendigung

Da die Länder fortwährend bestehen, ändert sich (mit der Neubildung von Landesregierungen) nur die jeweilige Zusammensetzung des Bundesrats.

III. Bundespräsident (Art. 54ff. GG)

Bundespräsident ist das Deutschland völkerrechtlich vertretende Staatsoberhaupt. Gemeinsam mit der Bundesregierung steht er an der Spitze der vollziehenden Gewalt. Wegen der geschichtlichen Erfahrungen mit Kaisern und Reichspräsidenten ist die Stellung des Bundespräsidenten durch das Grundgesetz nur mit sehr eingeschränkten, überwiegend repräsentativen Rechten ausgestattet.

1. Entstehung

Der Bundespräsident wird ohne Aussprache von der aus den Mitgliedern des Bundestags und einer gleichen Anzahl von von den Ländervolksvertretungen nach dem Verhältniswahlrecht gewählten Mitgliedern gebildeten Bundesversammlung gewählt (Art. 54 I 1, III GG). Wählbar ist jeder Deutsche, der das Wahlrecht zum Bundestag hat und das vierzigste Lebensjahr vollendet hat. Die vom Bundestagspräsidenten einzuberufende Bundesversammlung tritt spätestens dreißig Tage vor Ablauf der Amtszeit des Bundespräsidenten, bei vorzeitiger Beendigung spätestens dreißig Tage nach der Beendigung, nach Ablauf der Wahlperiode spätestens dreißig Tage nach dem ersten Zusammentritt des Bundestags zusammen (Art. 54 IV, V GG).

Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder der Bundesversammlung (absolute Mehrheit) erhält. Wird diese Mehrheit in zwei Wahlgängen von keinem Bewerber erreicht, so ist gewählt, wer in einem weiteren Wahlgang die meisten Stimmen erhält (relative Mehrheit) (Art. 54 VI GG). Regelmäßig finden Absprachen über die Wahl unter den Parteien statt.

Der Bundespräsident darf weder der Regierung noch einer gesetzgebenden Körperschaft des Bundes oder eines Landes angehören, kein anderes besoldetes Amt, kein Gewerbe und keinen Beruf ausüben und weder der Leitung noch dem Aufsichtsrat eines auf Erwerb gerichteten Unternehmens angehören (Art. 55 GG).

Bei seinem Amtsantritt leistet der Bundespräsident vor den versammelten Mitgliedern des Bundestags und des Bundesrats den Amtseid (Art. 56 GG).

2. Rechte und Pflichten

Der sein Aufgaben mit Unterstützung des Bundespräsidialamts ausführende Bundespräsident vertritt den Bund völkerrechtlich (Art. 59 I 1 GG). Er schließt im Namen des Bundes die Verträge mit auswärtigen Staaten. Er beglaubigt und empfängt die Gesandten (Art. 59 I 2, 3 GG).

Der Bundespräsident verkündet den vom Bundestag mit Zustimmung des Bundesrats festgestellten Eintritt des Verteidigungsfalls (Art. 115a III GG).

Der Bundespräsident schlägt dem Bundestag den zu wählenden Bundeskanzler vor (Art. 63 I GG), doch kann der Bundestag einen anderen zum Bundeskanzler wählen und hat der Bundespräsident den (mit der Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Bundestags) Gewählten zum Bundeskanzler zu ernennen (Art. 63 II 2 GG, Art. 63 IV 3 GG)). Der Bundespräsident ernennt und entlässt auf Vorschlag des Bundeskanzlers die Bundesminister (Art. 64 GG). Ohne Vorschlag des Bundeskanzlers kann er sie weder ernennen noch entlassen.

Der Bundespräsident genehmigt die Geschäftsordnung der Bundesregierung (Art. 65 S. 4 GG).

Der Bundespräsident kann die Einberufung des Bundestags verlangen. Auflösen kann der Bundespräsident den Bundestag nur unter ganz besonderen Voraussetzungen. Sie sind in Art. 68 GG festgelegt.

Der Bundespräsident fertigt die nach der Verfassung zustande gekommenen Gesetze nach Gegenzeichnung durch den Bundeskanzler oder durch den zuständigen Bundesminister aus (Art. 82 I 1, 58 GG). Dies kann er ablehnen, wenn er schwere Bedenken gegen das verfassungsmäßige Zustandekommen (formelles Prüfungsrecht) oder gegen die inhaltliche Verfassungsmäßigkeit (materielles Prüfungsrecht, str.) des Gesetzes hat. Im Streitfall muss das Bundesverfassungsgericht entscheiden.

Der Bundespräsident kann unter besonderen Voraussetzungen auf Antrag der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats für eine Gesetzesvorlage den Gesetzgebungsnotstand erklären (Art. 81 GG).

Der Bundespräsident ernennt und entlässt grundsätzlich die Bundesrichter, die Bundesbeamten, die Offiziere und die Unteroffiziere (Art. 60 I GG), wobei er in den meisten Fällen auch das Recht der sachlichen Überprüfung der Ernennung hat.

Der Bundespräsident übt im Einzelfall für den Bund das Recht der Begnadigung aus (Art. 60 II GG, vgl. Anordnung vom 5. 10. 1965).

Anordnungen und Verfügungen des Bundespräsidenten bedürfen zwecks Entlastung von parlamentarischer Verantwortlichkeit zu ihrer Gültigkeit grundsätzlich der Gegenzeichnung durch den Bundeskanzler oder durch den zuständigen Bundesminister (Art. 58 S. 1 GG, beachte Art. 58 S. 2 GG).

Vertreten wird der Bundespräsident durch den Bundesratspräsidenten (Art. 57 GG).

3. Beendigung

Das Amt des Bundespräsidenten endet durch Ablauf der auf fünf Jahre befristeten Amtsperiode (anschließende Wiederwahl einmal zulässig, Art. 54 II GG), durch Tod oder Verzicht. Auf Anklage durch den Bundestag oder den Bundesrat kann das Bundesverfassungsgericht feststellen, dass der Bundespräsident einer vorsätzlichen Verletzung des Grundgesetzes oder eines anderen, ihn als Amtsorgan betreffenden Bundesgesetzes schuldig ist (Feststellungsurteil) und ihn des Amtes für verlustig erklären (Gestaltungsurteil) (Art. 61 I, II 1 GG). Durch einstweilige Anordnung kann es nach der Anklageerhebung bestimmen, dass er an der Ausübung seines Amtes verhindert ist (Art. 61 II 2 GG).

IV. Bundesregierung (Art. 62ff. GG)

Bundesregierung ist das aus Bundeskanzler und Bundesministern bestehende (Art. 62 GG), (zusammen mit dem Bundespräsidenten) die Spitze der vollziehenden Gewalt bildende, das politische Handeln des Staates im Wesentlichen tatsächlich bestimmende Organ Deutschlands.

1. Entstehung

Der Bundeskanzler wird auf Vorschlag des Bundespräsidenten, der grundsätzlich den Führer der stärksten Fraktion des Bundestags vorschlägt, ohne Aussprache vom Bundestag gewählt (Art. 63 I GG). Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestags auf sich vereinigt (Art. 63 II 1 GG). Wird der Vorgeschlagene nicht gewählt, so kann der Bundestag binnen vierzehn Tagen nach dem Wahlgang mit mehr als der Hälfte seiner Mitglieder einen Bundeskanzler wählen (Art. 63 III GG).

Kommt eine Wahl innerhalb dieser Frist nicht zustande, so findet unverzüglich ein neuer Wahlgang statt, in dem gewählt ist, wer die meisten Stimmen erhält (Art. 63 IV 1 GG).

Wer mit der Mehrheit der Mitglieder des Bundestags zum Bundeskanzler gewählt ist, ist vom Bundespräsidenten zu ernennen (Art. 63 II 2, 63 IV 2 GG). Erreicht der Gewählte die Mehrheit in dem Verfahren nach Art. 63 GG nicht, so kann der Bundespräsident ihnbinnen sieben Tagen ernennen. Er kann stattdessen aber auch den Bundestag auflösen (Art. 63 IV 3 GG).

Die Bundesminister werden auf Vorschlag des Bundeskanzlers vom Bundespräsidenten ernannt (Art. 64 I GG, Prüfungsrecht auf Verfassungsmäßigkeit).

Bundeskanzler und Bundesminister leisten bei der Amtsübernahme vor dem Bundestag einen Amtseid (Art. 64 II GG). Ihr Amtsverhältnis beginnt mit der Aushändigung der Ernennungsurkunde. Erfolgt bereits vorher die Eidesleistung, so beginnt das Amtsverhältnis mit ihr.

2. Rechte und Pflichten

Bundeskanzler und Bundesminister stehen in einem besonderen, durch das Bundesministergesetz geordneten öffentlichrechtlichen Amtsverhältnis zum Staat. Dieses Amtsverhältnis ist kein Beamtenverhältnis der gewöhnlichen Art. Sie sind regelmäßig auch Abgeordnete des Bundestags.

Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik (Richtlinienkompetenz, Kanzlerprinzip) und trägt dafür die Verantwortung (Art. 65 S. 1 GG). Er kann die Richtlinien gegenüber den Bundesministern durchsetzen. Hält ein Bundesminister sie nicht ein, kann der Bundeskanzler die Entlassung des Bundesministers durch den Bundespräsidenten bewirken.

Der Bundeskanzler legt die Zahl und den Tätigkeitsbereich der Bundesminister fest.

Innerhalb der vom Bundeskanzler bestimmten Richtlinien leitet jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung (Art. 65 S. 2 GG, Ressortprinzip). Für seinen Geschäftsbereich stellt er die Bundesregierung dar. Der Bundeskanzler kann ihm über die Richtlinien hinaus keine Einzelweisungen erteilen.

Der Bundesminister der Verteidigung hat (in Friedenszeiten) die Befehlsgewalt und Kommandogewalt über die Streitkräfte (Art. 65a I GG). Der Bundesminister der Finanzen hat ein nur bei unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnissen verwirklichbares Zustimmungsrecht zu überplanmäßigen Ausgaben und außerplanmäßigen Ausgaben (Art. 112 GG). Im Übrigen haben die Bundesminister grundsätzlich gleiche Rechte und Pflichten.

Über Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundesministern entscheidet die Bundesregierung (Art. 65 S. 3 GG, Kollegialprinzip).

Die Geschäfte der Bundesregierung leitet der Bundeskanzler nach einer von der Bundesregierung beschlossenen und vom Bundespräsidenten genehmigten Geschäftsordnung (Art. 65 S. 4 GG).

Bundeskanzler und Bundesminister dürfen kein anderes besoldetes Amt, kein Gewerbe und keinen Beruf ausüben und weder der Leitung noch ohne Zustimmung des Bundestags dem Aufsichtsrat eines auf Erwerb gerichteten Unternehmens angehören (Art. 66 GG).

Wichtigste Aufgabe der Bundesregierung ist die politische Leitung des Staates. Zu diesem Zweck kann sie Gesetzesvorlagen beim Bundestag einbringen (Art. 76 I GG). Durch Gesetz kann sie oder ein Bundesminister ermächtigt sein, eine Rechtsverordnung zu erlassen (Art. 80 I 1 GG).

Unter besonderen Voraussetzungen kann sie die Erklärung des Gesetzgebungsnotstands beantragen (Art. 81 I GG).

Im Bereich der vollziehenden Gewalt hat die Bundesregierung vor allem die Aufsicht über die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder. Daneben besteht die Möglichkeit des bundeseigenen Vollzugs. In bestimmten Fällen kann die Bundesregierung Verwaltungsvorschriften erlassen.

Vertreten wird der Bundeskanzler durch den von ihm zum Vizekanzler ernannten Bundesminister (Art. 69 I GG), der Bundesminister in Regierungsangelegenheiten durch den vom Bundeskanzler als Vertreter bestimmten Bundesminister bzw. in Verwaltungsangelegenheiten durch den beamteten Staatssekretär (nicht Mitglied der Bundesregierung), gegebenenfalls auch durch den parlamentarischen Staatssekretär (Mitglied des Bundestags).

3. Beendigung

Das Amt des Bundeskanzlers oder eines Bundesministers endet mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestags, das Amt eines Bundesministers auch mit jeder anderen Erledigung des Amts des Bundeskanzlers (Art. 69 II GG, z. B. Tod, Rücktritt). Das Misstrauen kann der Bundestag dem Bundeskanzler nur dadurch aussprechen, dass er mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen Nachfolger wählt und den Bundespräsidenten ersucht, den Bundeskanzler zu entlassen (Art. 67 S. 1 GG, konstruktives Misstrauensvotum). Auf Ersuchen des Bundespräsidenten ist der Bundeskanzler, auf Ersuchen des Bundeskanzlers oder des Bundespräsidenten ein Bundesminister nach Beendigung seines Amtes verpflichtet, die Geschäfte bis zur Ernennung eines Nachfolgers weiterzuführen (Art. 69 III GG).

V. Bundesgerichte

Die rechtsprechende Gewalt wird durch das Bundesverfassungsgericht (in Karlsruhe), durch die in der Verfassung vorgesehenen Bundesgerichte (Bundesgerichtshof in Karlsruhe, Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, Bundesfinanzhof in München, Bundesarbeitsgericht in Erfurt, Bundessozialgericht in Kassel, Bundespatentgericht) und durch die Gerichte der Länder ausgeübt (Art. 92 GG).

Sofern eine andere Einrichtung eine der Entscheidung eines staatlichen Gerichts vergleichbare Entscheidung erwarten lässt, kann sie als Gericht angesehen werden (z. B. Ehrengerichtshof der Rechtsanwälte).

VI. Öffentlicher Dienst

Die (sonstige) Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlichrechtlichen Dienstverhältnis und Treueverhältnis (Beamtenverhältnis) stehen (Art. 33 IV GG). Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln (Art. 33 V GG, z. B. Gehorsamspflicht, Verschwiegenheitspflicht, Unparteilichkeit, Alimentationspflicht, lebenslängliche Dauer, Akteneinsichtsrecht). Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amts die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht (Art. 34 S. 1 GG, str. ob gesetzliche Schuldübernahme zu § 839 BGB oder eigene Anspruchsgrundlage).

 

§ 6 Staatstätigkeiten

I. Gesetzgebung

1. Wesen

Gesetzgebung ist die Schaffung von Recht durch Setzungsakt einer zuständigen Einrichtung. Sie steht der Entstehung von Recht auf Grund lang dauernder Gewohnheit in Rechtsüberzeugung (Gewohnheitsrecht) gegenüber. Kennzeichnend ist die Setzung als Recht.

2. Arten

a) Formelle Gesetzgebung und materielle Gesetzgebung

Formelle Gesetzgebung ist die im in der Verfassung festgelegten förmlichen Verfahren (vgl. Art. 76ff. GG) erfolgende Gesetzgebung, die zum formellen Gesetz führt (z. B. Aktiengesetz). Materielle Gesetzgebung ist die inhaltlich erfolgende Gesetzgebung, die zum materiellen Gesetz führt (z. B. Rechtsverordnung, Satzung). Oft ist ein Gesetz formelles Gesetz und materielles Gesetz, doch kann einerseits ein formelles Gesetz gelegentlich inhaltlich nicht Gesetz sein (z. B. Haushaltsgesetz, das keine allgemeinverbindlichen Rechtssätze, sondern nur die verwaltungsinterne Ermächtigungsgrundlage für Staatsausgaben enthält, vgl. BVerfGE 38, 126, Kreditgesetz Art. 115 GG) und kann andererseits materielles Gesetz ohne förmliches Gesetzgebungsverfahren zustande kommen (z. B. Rechtsverordnung).

b) Bundesgesetzgebung und Landesgesetzgebung

Bundesgesetzgebung ist die durch den Bund erfolgende Gesetzgebung, die zum Bundesgesetz führt. Landesgesetzgebung ist die durch das Land erfolgende Gesetzgebung, die zum Landesgesetz führt.

c) Allgemeine Gesetzgebung und Einzelfallgesetzgebung

Allgemeine Gesetzgebung ist die für eine Vielzahl von Sachverhalten oder Personen erfolgende Gesetzgebung. Einzelfallgesetzgebung ist die für einzelne Sachverhalte oder für einzelne Personen erfolgende Gesetzgebung, die zum Einzelfallgesetz führt. Sofern das Einzelfallgesetz die Grundrechte nicht einschränkt, ist es zulässig.

d) Ausschließliche Gesetzgebung, konkurrierende Gesetzgebung, Rahmengesetzgebung, Grundsatzgesetzgebung

Nach der Zuständigkeit des Bundes oder der Länder zur Gesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland kann zwischen ausschließlicher (Zuständigkeit zur) Gesetzgebung, konkurrierender (Zuständigkeit zur) Gesetzgebung, Rahmengesetzgebung und Grundsatzgesetzgebung unterschieden werden.

e) Einspruchsgesetzgebung und Zustimmungsgesetzgebung

Je nach den Rechten des Bundesrats im Gesetzgebungsverfahren in der Bundesrepublik Deutschland kann zwischen Gesetzgebung mit Einspruchsmöglichkeit des Bundesrats und Gesetzgebung unter Zustimmungsbedürftigkeit durch den Bundesrat unterschieden werden.

3. Zuständigkeit

a) Ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit

Im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung nur, wenn und soweit sie hierzu in einem Bundesgesetz ausdrücklich ermächtigt werden (Art. 71 GG). Nach Art. 73 GG hat der Bund die ausschließliche Gesetzgebung über (1) die auswärtigen Angelegenheiten sowie die Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung, (2) die Staatsangehörigkeit im Bund, (3) die Freizügigkeit, das Passwesen, die Einwanderung und Auswanderung und die Auslieferung, (4) das Währungswesen, Geldwesen und Münzwesen, Maße und Gewichte sowie die Zeitbestimmung, (5) die Einheit des Zollgebiets und Handelsgebiets, die Handelsverträge und Schifffahrtsverträge, die Freizügigkeit des Warenverkehrs und den Warenverkehr und Zahlungsverkehr mit dem Ausland einschließlich des Zollschutzes und Grenzschutzes, (6) den Luftverkehr, (6a) den Verkehr von Eisenbahnen des Bundes, den Bau, die Unterhaltung und das Betreiben von Schienenwegen der Eisenbahnen des Bundes sowie die Erhebung von Entgelten für die Benutzung dieser Schienenwege, (7) das Postwesen und die Telekommunikation, (8) die Rechtsverhältnisse der im Dienst des Bundes und der bundesunmittelbaren Körperschaften des öffentlichen Rechts stehenden Personen, (9) den gewerblichen Rechtsschutz, das Urheberrecht und das Verlagsrecht, (10) die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in der Kriminalpolizei, zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestands und der Sicherung des Bundes oder eines Landes (Verfassungsschutz) und zum Schutz gegen auswärtige Belange gefährdende Bestrebungen im Bundesgebiet sowie die Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamts und die internationale Verbrechensbekämpfung und (11) die Statistik für Bundeszwecke sowie (12) die Zölle und Finanzmonopole (Art. 105 I GG, vgl. auch Art. 143a GG Umwandlung der Bundeseisenbahnen, 143b Umwandlung des Sondervermögens Deutsche Bundespost).

b) Konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit

Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht abschließend inhaltlich durch Gesetz Gebrauch gemacht hat. Der Bund hat in diesem Bereich das Gesetzgebungsrecht, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechtseinheit oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht (Art. 72 II GG), wobei die Erforderlichkeit nachträglich entfallen kann (vgl. Art. 72 III GG). Nach Art. 74 GG erstreckt sich die konkurrierende Gesetzgebung (nur) auf die Gebiete (1) bürgerliches Recht, Strafrecht und Strafvollzug (einschließlich des Ordnungswidrigkeitenrechts), Gerichtsverfassung, gerichtliches Verfahren, Rechtsanwaltschaft, Notariat und Rechtsberatung, (2) Personenstandswesen, (3) Vereinsrecht und Versammlungsrecht, (4) Aufenthaltsrecht und Niederlassungsrecht der Ausländer, (4a) Waffenrecht und Sprengstoffrecht, (6) Angelegenheiten der Flüchtlinge und Vertriebenen, (7) öffentliche Fürsorge, (9) Kriegsschäden und Wiedergutmachung, (10) Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen und Fürsorge für die ehemaligen Kriegsgefangenen, (10a) Kriegsgräber, (11) Recht der Wirtschaft (Bergbau, Industrie, Energiewirtschaft, Handwerk, Gewerbe, Handel, Bankwesen, Börsenwesen, privatrechtliches Versicherungswesen), (11a) Erzeugung und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken, (12) Arbeitsrecht, Betriebsverfassung, Arbeitsschutz, Arbeitsvermittlung sowie Sozialversicherung (mit Arbeitslosenversicherung, (13) Ausbildungsbeihilfen und Förderung wissenschaftlicher Forschung, (14) Enteignung, (15) Überführung in Gemeineigentum, (16) Verhütung des Missbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung, (17) Förderung landwirtschaftlicher und forstwirtschaftlicher Erzeugung, Sicherung der Ernährung, Einfuhr und Ausfuhr landwirtschaftlicher und forstwirtschaftlicher Erzeugnisse, Hochseefischerei, Küstenfischerei und Küstenschutz, (18) Grundstücksverkehr, Bodenrecht (ohne Erschließungsbeiträge), landwirtschaftliches Pachtwesen, Wohnungswesen, Siedlungswesen und Heimstättenwesen, (19) gemeingefährliche und übertragbare Krankheiten, Zulassung zu Heilberufen und Heilgewerbe und Verkehr mit Arzneien, Heilmitteln, Betäubungsmitteln und Giften, (19a) wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser und Regelung der Krankenhauspflegesätze, (20) Schutz beim Verkehr mit Lebensmitteln und Genussmitteln, Bedarfsgegenständen, Futtermitteln, Saatgut und Pflanzengut, Pflanzenschutz und Tierschutz, (21) Hochseeschifffahrt, Küstenschifffahrt, Binnenschifffahrt, Wetterdienst, Seewasserstraßen und wichtigere Binnenwasserstraßen, (22) Straßenverkehr, Kraftfahrwesen, Fernstraßenbau, Fernstraßenunterhaltung und Straßenbenutzungsgebühren, (23) Schienenbahnen anderer als des Bundes (ohne Bergbahnen), (24) Abfallbeseitigung, Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung, (25) Staatshaftung sowie (26) künstliche Befruchtung des Menschen, Untersuchung und künstliche Veränderung von Erbinformationen sowie Transplantation von Organen und Geweben. Hinzu kommt nach Art. 74a GG die Besoldung und Versorgung der Angehörigen des öffentlichen Dienstes über die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit des Art. 73 Nr. 8 GG hinaus und nach Art. 105 II GG die konkurrierende Gesetzgebung über die dem Bund zustehenden oder bundeseinheitlich zu regelnden Steuern (Art. 105 II GG).

c) Rahmengesetzgebungszuständigkeit

Wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechtseinheit oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht, hat der Bund gegenüber der grundsätzlichen Landeszuständigkeit das Recht zum Erlass von ausfüllungsfähigen und ausfüllungsbedürftigen Rahmenvorschriften für die Gesetzgebung der Länder für (1) die Rechtsverhältnisse der im öffentlichen Dienst der Länder, Gemeinden und anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts stehenden Personen einschließlich des Personalvertretungsrechts (beachte Art. 74a GG), (1a) die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens, (2) die allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse, (3) Jagdwesen, Naturschutz und Landschaftspflege, (4) Bodenverteilung, Raumordnung und Wasserhaushalt, (5) Meldewesen und Ausweiswesen sowie (6) den Schutz deutschen Kulturguts gegen Abwanderung ins Ausland (Art. 75 I GG). Rahmenvorschriften dürfen nur in Ausnahmefällen in Einzelheiten gehende oder unmittelbar geltende Regelungen enthalten (Art. 75 II GG). Die Länder müssen innerhalb einer durch das jeweilige Rahmengesetz bestimmten angemessenen Frist die erforderlichen Landesgesetze erlassen (Art. 75 III GG).

d) Grundsatzgesetzgebungszuständigkeit

Für Gemeinschaftsaufgaben (Art. 91a II 2 GG), für Haushaltsrecht, konjunkturgerechte Haushaltswirtschaft und mehrjährige Finanzplanung (Art. 109 III GG) sowie für Ablösung von Staatsleistungen an Religionsgesellschaften (Art. 140 GG, 138 I WRV) kann der Bund bei sachlichem Bedürfnis ausfüllungsfähige Grundsatzgesetze (Grundsätze) erlassen.

e) ausschließliche Landesgesetzgebungszuständigkeit

Die angesichts dieser umfangreichen, ausdrücklichen und nur ausnahmsweise unter engen Voraussetzungen durch den Gedanken des Sachzusammenhangs erweiterbaren Aufzählung der Bundesgesetzgebungszuständigkeit verbleibende ausschließliche Landesgesetzgebungszuständigkeit betrifft hauptsächlich Polizeirecht, Gemeinderecht, Bausicherheitsrecht, Wassergüterecht, Wassermengenrecht, Schulrecht und Staatskirchenrecht. Im Verteidigungsfall steht auch hier dem Bund die konkurrierende, der Zustimmung des Bundesrats bedürftige Gesetzgebung zu (Art. 115c GG).

4. Gesetzgebungsverfahren (Art. 76ff. GG)

a) Gesetzesvorlagen

Gesetzesvorlagen werden beim Bundestag entweder durch die Bundesregierung, aus der Mitte des Bundestags oder durch den Bundesrat eingebracht (Gesetzesinitiativrecht bei drei Organen, Art. 76 I GG). Die in der Rechtswirklichkeit besonders häufigen Gesetzesvorlagen der Bundesregierung sind zuerst dem Bundesrat zuzuleiten, der binnen 3 (bei eilbedürftigen Vorlagen), 6 (im Normalfall) oder 9 Wochen Stellung nehmen darf, ohne dass dies die Bundesregierung zu einer Änderung zwingt oder die Zuleitung an den Bundestag verhindert (Art. 76 II GG), danach dem Bundestag. Vorlagen des Bundesrats sind der Bundesregierung zu übergeben und von dieser binnen 3, 6 oder 9 Wochen dem Bundestag zuzuleiten (Art. 76 III GG).

b) Gesetzesbeschluss

Die Bundesgesetze werden (grundsätzlich) vom Bundestag beschlossen (Art. 77 I 1 GG). Der Bundestag hat über Gesetzesvorlagen in angemessener Frist zu beraten und Beschluss zu fassen (Art. 76 III 6 GG). Meist wird die Gesetzesvorlage nach der ersten Lesung im Bundestag an einen Bundestagsausschuss zur Beratung überwiesen. Dies ist auch nach der zweiten Lesung möglich. Der Beschluss, einen Text zum Gesetz zu erheben, wird nach der Geschäftsordnung (des Bundestags) nach drei Lesungen durch Abstimmung gefasst, wobei für verfassungsändernde Gesetze die Notwendigkeit der Zweidrittelmehrheit(en) zu beachten ist (Art. 79 II GG). Nach der Annahme durch den Bundestag ist das Bundesgesetz durch den Präsidenten des Bundestags unverzüglich dem Bundesrat zuzuleiten (Art. 77 I 2 GG).

aa) Einspruchsgesetz

Bedarf das Gesetz, wie überwiegend, nach den Vorschriften der Verfassung nicht der Zustimmung des Bundesrats, so kann der Bundesrat binnen drei Wochen nach Eingang des Beschlusses die Einberufung des aus je 16 Mitgliedern des Bundestags und des Bundesrats bestehenden Vermittlungsausschusses verlangen, in dem über Änderungswünsche des Bundesrats beraten werden kann (Art. 77 II 1 GG). Schlägt der Ausschuss eine Änderung des Gesetzesbeschlusses vor, so hat der Bundestag erneut Beschluss zu fassen (Art. 77 II 5 GG). Einigt sich der Vermittlungsausschuss nicht auf einen Änderungsvorschlag oder lehnt der Bundestag den Änderungsvorschlag des Vermittlungsausschusses ab, kann der Bundesrat binnen zwei Wochen nach Beendigung des Vermittlungsverfahrens (durch Eingang des Bundestagsbeschlusses oder Mitteilung des Vorsitzenden, Art. 77 III 2 GG) gegen ein vom Bundestag beschlossenes, nicht der Zustimmung des Bundesrats bedürftiges Gesetz Einspruch einlegen (Art. 77 III 1 GG). Der Einspruch kann vom Bundestag zurückgewiesen werden (Art. 77 IV GG). Ist der Einspruch mit der Mehrheit der Stimmen des Bundesrats beschlossen, bedarf der Zurückweisungsbeschluss der Mehrheit der Mitglieder des Bundestags (Art. 77 IV 1 GG). Ist der Einspruch mit einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrats beschlossen, bedarf der Zurückweisungsbeschluss einer Mehrheit von zwei Dritteln des Bundestags, mindestens der Mehrheit der Mitglieder des Bundestags (Art. 77 IV 2 GG).

Das Einspruchsgesetz kommt auf Grund des Gesetzesbeschlusses des Bundestags zustande, wenn der Bundesrat keinen Antrag auf Einberufung des Vermittlungsausschusses stellt, innerhalb der Einspruchsfrist keinen Einspruch einlegt oder einen eingelegten Einspruch zurücknimmt oder der Einspruch vom Bundestag mit der notwendigen Mehrheit überstimmt wird (Art. 78 GG). Es kommt trotz Gesetzesbeschlusses des Bundestags nicht zustande, wenn der Bundestag über einen Änderungsvorschlag des Vermittlungsausschusses nicht erneut Beschluss fasst oder der Zurückweisungsbeschluss gegen einen Einspruch nicht mit der erforderlichen Mehrheit gefasst wird.

bb) Zustimmungsgesetz

Bedarf ein Gesetz (nach Art. 97 II, 29 VII, 74 II, 84 I, V, 85 I, 87 III, 87b I 3, II 1, 2, 87c, 87d II, 87e V, 87f I, 105 III, 106 III 3, IV 2, V 5, VI 5, 107 I 2, 4, 108 II 2, IV 1 V 2, V, 115c I 2, III, 120a I 1, 134 IV, 135 V) (auch nur wegen eines einzigen zustimmungspflichtigen Satzes) der Zustimmung des Bundesrats, so kommt es nur zustande, wenn der Bundesrat zustimmt (Art. 78 GG). Um die Zustimmung zu erreichen, können Bundesrat, Bundestag oder Bundesregierung die Einberufung des Vermittlungsausschusses verlangen (Art. 77 II 4 GG). Wird die Einberufung nicht verlangt oder führt das Vermittlungsverfahren nicht zu einem zustimmungsfähigen Änderungsvorschlag, muss der Bundesrat in angemessener Frist beschließen, ob er seine Zustimmung gibt oder verweigert (Art. 77 II 4 GG). Das Zustimmungsgesetz lässt sich an der Wendung „Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrats das Gesetz beschlossen“ erkennen.

c) Ausfertigung und Verkündung

aa) Ausfertigung

Die nach den Vorschriften der Verfassung zustande gekommenen Gesetze (Einspruchsgesetze oder Zustimmungsgesetze) werden vom Bundespräsidenten nach Gegenzeichnung durch den Bundeskanzler oder (bzw. meist und) durch den zuständigen Bundesminister (Art. 58 GG) ausgefertigt (auf der Originalurkunde unterschrieben) (Art. 82 I 1 GG) Der Bundespräsident hat ein Prüfungsrecht hinsichtlich des formell verfassungsmäßigen Zustandeskommens des Gesetzes (formelles Prüfungsrecht) und ein Prüfungsrecht hinsichtlich der inhaltlichen Wahrung der Verfassung (z. B. Grundrechte, Grundentscheidungen, Grundsätze) durch das Gesetz (materielles Prüfungsrecht, str.). Unterlässt er die grundsätzlich in angemessener Frist auszuführende Ausfertigung, kann das Gesetz nicht in Kraft treten.

bb) Verkündung

Nach der Ausfertigung wird das Gesetz im Bundesgesetzblatt (durch Abdruck und Inverkehrbringen des ersten Exemplars der betreffenden auf einen Ausgabetag datierten Nummer) verkündet (Art. 82 I 1 GG).

d) Inkrafttreten

Jedes Gesetz soll den Tag des Inkrafttretens bestimmen (Art. 82 II 1 GG). Fehlt eine solche Bestimmung, so tritt es mit dem vierzehnten Tag nach Ablauf des Tags in Kraft, an dem (bzw. unter dem) das Bundesgesetzblatt ausgegeben worden ist (Art. 82 II 2 GG).

5. Sonderfälle

a) Verteidigungsfall (Art. 115aff. GG)

Wird das Bundesgebiet mit Waffen angegriffen oder droht ein solcher Angriff unmittelbar, so können die Gesetzgebungsrechte des Bundestags und Bundesrats auf einen Gemeinsamen Ausschuss übergehen.

b) Gesetzgebungsnotstand (Art. 81 GG)

Lehnt der Bundestag eine Gesetzesvorlage nach Erklärung des Gesetzgebungsnotstands erneut ab oder nimmt er sie in einer für die Bundesregierung als unannehmbar bezeichneten Fassung an, so gilt das Gesetz (in seiner abgelehnten Fassung) als zustande gekommen, soweit der Bundesrat ihm zustimmt (Art. 81 II 1 GG).

c) Rechtsverordnung

Durch formelles Gesetz (der gesetzgebenden Gewalt) können die Bundesregierung, ein Bundesminister oder die Landesregierungen (, womit nach Landesverfassungsrecht auch ein einzelner Landesminister ermächtigt sein kann,) ermächtigt werden, (obwohl sie Teil der vollziehenden Gewalt sind,) Rechtsverordnungen (bei Bundesorganen Bundesrechtsverordnung, bei Landesorganen durch Landesgesetz ersetzbare Landesrechtsverordnung, vgl. Art. 80 IV GG) zu erlassen (Art. 80 I 1 GG) und damit allgemeinverbindliche Rechtssätze zu schaffen (Gesetz im materiellen Sinn). Dabei müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im (formellen) Gesetz bestimmt werden (Art. 80 I 2 GG), so dass die wesentlichen Entscheidungen bereits im (formellen) Gesetz getroffen werden müssen. Die Rechtsverordnung muss die Rechtsgrundlage, auf der sie beruht, ausdrücklich angeben (Art. 80 I 3 GG). Ist durch Gesetz vorgesehen, dass eine Ermächtigung weiter übertragen werden kann, so bedarf es zur Übertragung der Ermächtigung einer Rechtsverordnung (Art. 80 I 4 GG).

Die meisten Rechtsverordnungen des Bundes bedürfen der Zustimmung des Bundesrats (Art. 80 II GG).

Rechtsverordnungen werden von der sie erlassenden Stelle ausgefertigt und vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung im Bundesgesetzblatt verkündet (Art. 82 I 2 GG). Jede Rechtsverordnung soll den Tag des Inkrafttretens bestimmen. Fehlt eine solche Bestimmung, so tritt sie mit dem vierzehnten Tag nach Ablauf des Tags in Kraft, an dem das (sie enthaltende) Bundesgesetzblatt ausgegeben worden ist (Art. 82 II GG).

d) Satzung

Auf Grund gesetzlicher Ermächtigung ist die Schaffung von die Mitglieder bindenden Satzungen juristischer Personen des öffentlichen Rechts (z. B. kommunale Gebietskörperschaft, Religionsgemeinschaft, Universität) zulässig.

e) Fortgeltung alten Rechts

Recht aus der Zeit vor dem Zusammentritt des Bundestags gilt fort, soweit es der Verfassung nicht widerspricht (Art. 123 I GG, vgl. dazu das rechtsbereinigende Gesetz über die Sammlung des Bundesrechts vom 10. 7. 1958). Ermächtigungen zu Rechtsverordnungen gelten fort, sofern sie nicht zu gesetzesändernden, gesetzesergänzenden oder gesetzesvertretenden Rechtsverordnungen ermächtigen (Art. 129 GG).

f) Fortgeltung von Recht der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik

Vom 3. 10. 1990 an gilt das Recht der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich auch für das Gebiet der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (vgl. Art. 143 GG). Ausnahmen sind gemäß dem Einigungsvertrag zulässig.

II. Verwaltung

1. Wesen

Verwaltung ist die auf Dauer angelegte Besorgung von Angelegenheiten, insbesondere die Besorgung von Angelegenheiten des Staates durch staatliche Organe und ihre Bediensteten. In einem engeren Sinn ist Verwaltung die Staatstätigkeit, die nicht Regierung, Gesetzgebung oder Rechtsprechung ist. Den Kernbereich stellt die ausführende (exekutive) oder vollziehende Anwendung der Gesetze bzw. des Rechts dar, doch ist Verwaltung beispielsweise auch Planung, Bau und Unterhaltung von Straßen mit den dazu geeigneten Mitteln.

2. Arten

a) Bundesverwaltung und Landesverwaltung

aa) Bundesverwaltung

Bundesverwaltung ist die Verwaltung des Bundes. Sie ist entweder (aaa) unmittelbare Bundesverwaltung mit (aaaa) eigenen Bundesoberbehörden, Bundesmittelbehörden und Bundesunterbehörden (z. B. Bundeswehrverwaltung Art. 87b I 1 GG, Bundeswasserstraßenverwaltung Art. 87 I 1 GG [mit Wasser- und Schifffahrtsdirektionen und Wasser- und Schifffahrtsämtern], auswärtiger Dienst [mit Botschaften und Konsulaten]), Bundesoberbehörden (z. B. Bundeskriminalamt) oder mit (bbbbb) nichtrechtsfähigen bundesunmittelbaren Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts (z. B. Physikalisch-Technische Bundesanstalt) oder (bbb) mittelbare Bundesverwaltung durch rechtsfähige bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts (z. B. Bundesagentur für Arbeit [mit Regionaldirektionen für Arbeit und Agenturen für Arbeit], Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, Bundesbank). Grundsätzlich kann die Bundesregierung hier Behörden einrichten, allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen und durch den zuständigen Bundesminister Weisungen erteilen.

bb) Landesverwaltung

Landesverwaltung ist die Verwaltung des Landes. Sie ist unmittelbare Staatsverwaltung. Sie kann (aaa) eigene Verwaltung  (einschließlich der Bundes[rechts]aufsichtsverwaltung) oder (bbb) eigene Verwaltung mit Weisungsmöglichkeit des Bundes (Auftragsverwaltung des Bundes, Bundesauftragsverwaltung) sein. Sie erfolgt durch Landesbehörden.

b) Eingriffsverwaltung und Leistungsverwaltung

Eingriffsverwaltung ist die in die Freiheitsrechte des Einzelnen eingreifende Verwaltung (z. B. Polizei).

Leistungsverwaltung ist die für den Einzelnen Leistungen erbringende Verwaltung (z. B. Müllabfuhr).

c) Staatsverwaltung und Selbstverwaltung

Staatsverwaltung ist die Verwaltung des Staates (Bundes, Landes).

Selbstverwaltung ist die vom Staat einzelnen öffentlichrechtlichen Rechtssubjekten überlassene Verwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten (z. B. Gemeinden, Universitäten, Sozialversicherungsträger).

d) Auftragsverwaltung und Mischverwaltung

Auftragsverwaltung ist Verwaltung durch einen Verwaltungsträger mit Weisungsmöglichkeit eines anderen Verwaltungsträgers.

Mischverwaltung ist die in bestimmter Weise gemeinschaftliche Verwaltung eines Sachgegenstands durch mehrere Verwaltungsträger (vgl. z. B. Art. 91a GG).

3. Zuständigkeit

Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben in Deutschland ist (als geschichtliche Folge des 1867 bzw. 1871 einigermaßen freiwillig erfolgenden nachträglichen Zusammenschlusses ursprünglich selbständiger Staaten) Sache der Länder, soweit die Verfassung keine andere Regelung trifft oder zulässt (Art. 30 GG). Die Länder führen die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, soweit die Verfassung nichts anderes bestimmt oder zulässt (Art. 83 GG). Danach ist zu unterscheiden zwischen dem Bundesvollzug von Bundesgesetzen (bundeseigene Verwaltung, Art. 87ff., 108 I GG), dem Landesvollzug von Bundesgesetzen mit Weisungsmöglichkeit des Bundes (Bundesauftragsverwaltung der Länder, Art. 85 GG), dem Landesvollzug von Bundesgesetzen als eigene Angelegenheit der Länder (Bundes[rechts]aufsichtsverwaltung der Länder, Art. 84 GG) und dem Landesvollzug von Landesgesetzen (Art. 30 GG).

a) Bundesverwaltung

Bundesverwaltung ist nur möglich, wo eine Verwaltungsangelegenheit dem Bund durch die Verfassung zugewiesen ist oder die Verfassung Bundesverwaltung zulässt.

In bundeseigener Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau werden geführt der auswärtige Dienst, die Bundesfinanzverwaltung und nach Maßgabe des Art. 89 GG die Verwaltung der Bundeswasserstraßen und der Schifffahrt (Art. 87 I 1 GG). Durch Bundesgesetz können Bundesgrenzschutzbehörden, Zentralstellen für das polizeiliche Auskunfts- und Nachrichtenwesen, für die Kriminalpolizei und zur Sammlung von Unterlagen für Zwecke des Verfassungsschutzes und des Schutzes gegen Belange Deutschlands gefährdende Bestrebungen im Bundesgebiet eingerichtet werden (Art. 87 I GG). Als bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts werden die sozialen Versicherungsträger geführt, deren Zuständigkeit sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt (Art. 87 II 1 GG). Die Bundeswehrverwaltung wird in bundeseigener Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau geführt (Art. 87b I 1 GG). Die Luftverkehrsverwaltung und die Eisenbahnverkehrsverwaltung der Bundeseisenbahnen werden in bundeseigener Verwaltung geführt (Art. 87d I 1, 87e I 1 GG). Der Bund verwaltet die Bundeswasserstraßen durch eigene Behörden (Art. 89 II 1 GG). Zölle, Finanzmonopole, die bundesgesetzlich geregelten Verbrauchsteuern einschließlich der Einfuhrumsatzsteuer und die Abgaben im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften werden durch Bundesfinanzbehörden verwaltet (Art. 108 I 1 GG). Teilweise besteht in diesen Fällen die Möglichkeit, statt der bundeseigenen Verwaltung Landesverwaltung einzurichten (z. B. Art. 87d I 2 GG).

Für Angelegenheiten, für die dem Bund die Gesetzgebung zusteht, können selbständige Bundesoberbehörden, die ihre Aufgaben ohne Mittelbau, ohne Unterbau und ohne Landesbehörden wahrnehmen können, und neue bundesunmittelbare Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts durch Bundesgesetz errichtet werden (Art. 87 III 1 GG, z. B. Bundesanstalt für Flugsicherung, Bundesanstalt für Post und Telekommunikation, Bundeskartellamt, Kraftfahrtbundesamt, Umweltbundesamt). Erwachsen dem Bund auf Gebieten, für die ihm die Gesetzgebung zusteht, neue Aufgaben, so können bei dringendem Bedarf (auch) bundeseigene Mittelbehörden und Unterbehörden mit Zustimmung des Bundesrats und der Mehrheit der Mitglieder des Bundestags errichtet werden (Art. 87 III 2 GG). Auf Antrag eines Landes kann der Bund Bundesautobahnen und sonstige Bundesstraßen des Fernverkehrs, soweit sie im Gebiet dieses Landes liegen, in bundeseigene Verwaltung übernehmen (Art. 90 III GG). Für den Lastenausgleich besteht ein eigenes Bundesausgleichsamt (Bundeslastenausgleichsamt) mit besonderen Zuständigkeiten (Art. 120a GG).

b) Landesverwaltung

Landesverwaltung ist die Verwaltung durch Behörden eines Landes. Sie ist möglich für den Vollzug von Bundesgesetzen, wobei zwischen Landesverwaltung mit Weisungsmöglichkeit des Bundes und Landesverwaltung in Ausführung von Bundesgesetzes als eiegene Angelegenheit zu unterscheiden ist. Daneben vollziehen die Landesbehörden auch Landesgesetze.

aa) Landesverwaltung mit Weisungsmöglichkeit des Bundes (Bundesauftragsverwaltung, Auftragsverwaltung)

Führen die Länder – ausnahmsweise - die Bundesgesetze im „Auftrag“ des Bundes aus, so bleibt die Einrichtung der Behörden Angelegenheit der Länder, soweit nicht Bundesgesetze mit Zustimmung des Bundesrats etwas anderes bestimmen (Art. 85 I GG). Die Verwaltung ist insofern Landesverwaltung. Diese Art der Verwaltung ist dort möglich, wo die Verfassung sie bestimmt oder zulässt.

Bundesauftragsverwaltung findet nach der Verfassung statt, wo Landesfinanzbehörden Steuern verwalten, die ganz oder teilweise dem Bund zufließen (Art. 108 III 1 GG). Bund bzw. Bundesgesetze können sie unter jeweils bestimmten Gegebenheiten vorsehen bei Angelegenheiten der Verteidigung, des Wehrersatzwesens und des Zivilschutzes (Art. 87b II GG), der Erzeugung und Nutzung der Kernenergie (Art. 87c GG), der Luftverkehrsverwaltung (Art. 87d II GG), der Bundeswasserstraßenverwaltung (Art. 89 II 3 GG), der Bundesfernverkehrsstraßen (Art. 90 II, III GG), der Zölle, Finanzmonopole und bundesgesetzlich geregelten Verbrauchsteuern (Art. 108 IV 1, I GG) und des Lastenausgleichs (Art. 120a GG).

Bei der Landesverwaltung mit Weisungsmöglichkeit des Bundes kann ein einfaches Bundesgesetz auch das Verwaltungsverfahren regeln und kann die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats (auf Grund von Zustimmungsgesetzen auch ein Bundesminister, vgl. BVerfGE 26, 399) allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen (Art. 85 II 1 GG). Die Bundesregierung kann die einheitliche Ausbildung der Beamten und Angestellten regeln (Art. 85 II 2 GG). Die Leiter der Mittelbehörden sind mit ihrem Einvernehmen zu bestellen (Art. 85 II 3 GG).

Die Landesbehörden unterstehen (außerdem auch einzelnen) Weisungen der zuständigen obersten Bundesbehörden. Die Weisungen sind grundsätzlich an die obersten Landesbehörden zu richten, können bei Dringlichkeit aber auch nachgeordneten Landesbehörden erteilt werden. Die obersten Landesbehörden haben den Vollzug der Weisungen sicherzustellen (Art. 85 III GG).

Die Bundesaufsicht erstreckt sich auf die Gesetzmäßigkeit der Ausführung (Rechtsaufsicht) und die Zweckmäßigkeit der Ausführung (Fachaufsicht). Zur Verwirklichung der Aufsicht kann die Bundesregierung Bericht und Vorlage der Akten von den Landesbehörden verlangen. Außerdem kann sie Beauftragte zu allen Landesbehörden entsenden (Art. 85 IV GG).

bb) Landesverwaltung in Ausführung von Bundesgesetzen als eigene Angelegenheit (Bundes[rechts]aufsichtsverwaltung)

Führen die Länder, wie dies nach Art. 83 GG die Regel ist, von der die Bundesverwaltung und die Landesverwaltung mit Weisungsmöglichkeit des Bundes (Bundesauftragsverwaltung) Ausnahmen bilden, die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, so regeln sie die Einrichtung der in jedem Fall Landesbehörden bleibenden Behörden und das Verwaltungsverfahren, sofern nicht Bundesgesetze mit Zustimmung des Bundesrats (d. h. Zustimmungsgesetze) etwas anderes bestimmen (Art. 84 I 1 GG). Die Bundesregierung (und auf Grund Zustimmungsgesetzes auch ein Bundesminister) kann mit Zustimmung des Bundesrats allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen (Art. 84 II GG). Die Bundesregierung übt die Aufsicht über die Gesetzmäßigkeit der Ausführung durch die Länder aus (Rechtsaufsicht), nicht auch die Aufsicht über die Zweckmäßigkeit der Ausführung (Fachaufsicht).

Zum Zweck der Rechtsaufsicht kann die Bundesregierung Beauftragte zu den obersten Landesbehörden, mit Zustimmung der obersten Landesbehörden oder hilfsweise des Bundesrats auch zu den nachgeordneten Behörden, entsenden (Art. 84 III GG). Werden von der Bundesregierung festgestellte Ausführungsmängel nicht beseitigt, so entscheidet auf Antrag der Bundesregierung oder des Landes der Bundesrat über eine mögliche Rechtsverletzung, wogegen das Bundesverfassungsgericht angerufen werden kann (Art. 84 IV GG). Durch Zustimmungsgesetz kann der Bundesregierung die Befugnis zu Einzelweisungen in besonderen Fällen erteilt werden, wobei die Weisungen grundsätzlich an die obersten Landesbehörden zu richten sind (Art. 84 V GG, beachte auch Art. 115f I Nr. 2 GG).

cc) Landesverwaltung als Vollzug von Landesgesetzen

Die Landesbehörden vollziehen (außer Bundesgesetzen [in Bundesauftragsverwaltung oder in Bundesrechtsaufsichtsverwaltung] auch) die Landesgesetze.

4. Verwaltungsverfahren

Das Verwaltungsverfahren muss (von Verfassungs wegen) die Grundrechte (z. B. Menschenwürde) beachten. Es muss allgemeine rechtsstaatliche Grundsätze wahren (z. B. Verhältnismäßigkeit). Im Einzelnen bestimmen die Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder die Zuständigkeiten, den Ablauf, und die Rechtsbehelfe des Verwaltungsverfahrens.

III. Rechtsprechung

1. Wesen

Rechtsprechung ist die Entscheidung über einzelne Streitfälle durch Rechtsanwendung seitens einer zuständigen, von der vollziehenden Gewalt getrennten Stelle. Sie ist Anwendung des überwiegend von der gesetzgebenden Gewalt geschaffenen Rechts. Sie ist trotz unvollständiger Durchführung der Gewaltentrennung (z. B. Registerführung durch Gerichte, Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten oder Disziplinarverstößen durch Verwaltung) im Grundsatz den Richtern anvertraut und wird durch das Bundesverfassungsgericht, durch die in der Verfassung vorgesehenen Bundesgerichte und durch die Gerichte der Länder ausgeübt.

2. Gerichtsverfassung

Bundesgerichte sind das Bundesverfassungsgericht, oberste Gerichtshöfe des Bundes und besondere Bundesgerichte.

a) Bundesverfassungsgericht

Das Bundesverfassungsgericht besteht aus Bundesrichtern und anderen Mitgliedern (Art. 94 I 1 GG). Sie dürfen weder dem Bundestag, dem Bundesrat, der Bundesregierung noch entsprechenden Organen eines Landes angehören (Art. 94 I 3 GG). Ein Bundesgesetz regelt seine Verfassung und das Verfahren und bestimmt, in welchen Fällen seine Entscheidungen Gesetzeskraft haben (Art. 94 II 1 GG).

Das Bundesverfassungsgericht ist in zwei Senate mit gesetzlich festgelegten Zuständigkeiten gegliedert, welche die Einheitlichkeit der Rechtsprechung mittels Plenarentscheidungen wahren können. Jeder Senat umfasst acht Richter, von denen jeweils die Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt werden (Art. 94 I 2 GG). Drei Richter jedes Senats werden aus den Richtern der obersten Bundesgerichte gewählt. Jeder Richter muss mit einer Zweidrittelmehrheit des Wahlgremiums gewählt werden. Jeder Richter muss die Richteramtsbefähigung haben. Die Amtszeit dauert 12 Jahre, jedoch höchstens bis zur Vollendung des 68. Lebensjahrs. Wiederwahl ist ausgeschlossen. Als berufliche Tätigkeit darf gleichzeitig nur die Tätigkeit als Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule ausgeübt werden. Die Senate bilden Kammern zu je drei Richtern.

Neben dem Bundesverfassungsgericht stehen die besonderen Verfassungsgerichte der Länder.

b) Oberste Gerichtshöfe des Bundes

Für die Gebiete der ordentlichen Gerichtsbarkeit, der Verwaltungsgerichtsbarkeit, der Finanzgerichtsbarkeit, der Arbeitsgerichtsbarkeit und der Sozialgerichtsbarkeit hat der Bund als oberste Gerichtshöfe den Bundesgerichtshof, das Bundesverwaltungsgericht, den Bundesfinanzhof, das Bundesarbeitsgericht und das Bundessozialgericht errichtet (Art. 95 I GG). Die Berufung der Richter erfolgt durch einen Richterwahlausschuss (Art. 95 II GG). Zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung ist ein Gemeinsamer Senat zu bilden (Art. 95 III GG).

c) Bundesgerichte

Für einzelne besondere Angelegenheiten kann der Bund Bundesgerichte errichten (Art. 96 GG).

d) Ausnahmegerichte

Ausnahmegerichte, d. h. zur Entscheidung einzelner Fälle besonders gebildete Gerichte, sind unzulässig (Art. 101 I 1 GG).

e) Besondere Gerichte

Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden (Art. 101 II GG, z. B. Jugendgericht, Familiengericht, Kammer für Handelssachen).

3. Zuständigkeit

a) Bundesverfassungsgericht

Das Bundesverfassungsgericht hat die Zuständigkeit in den ihm durch die Verfassung und in den ihm durch Bundesgesetz zugewiesenen Fällen.

aa) Organstreitigkeit

Das Bundesverfassungsgericht entscheidet über die Auslegung der Verfassung aus Anlass von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans (z. B. Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung, Bundeskanzler, Bundespräsident, nicht Volk) oder anderer Beteiligter (z. B. Partei, Bundestagsabgeordneter), die durch die Verfassung oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind (Art. 93 I Nr. 1 GG, nicht z. B. Mehrheit des Bundestags, Minderheit des Bundestags), sofern der Antragsteller geltend macht, dass er durch eine bestimmte Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in seinen verfassungsmäßigen Rechten verletzt oder unmittelbar gefährdet sei, und das verletzte Recht ausdrücklich benennt.

bb) Meinungsverschiedenheit über Rechte und Pflichten von Bund und Ländern

Das Bundesverfassungsgericht entscheidet auf Antrag der Bundesregierung oder einer Landesregierung bei Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder, insbesondere bei der Ausführung von Bundesrecht durch die Länder und bei der Ausübung der Bundesaufsicht (Art. 93 I Nr. 3 GG).

cc) Andere öffentlichrechtliche Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern

Das Bundesverfassungsgericht entscheidet in anderen öffentlichrechtlichen Streitigkeiten zwischen dem Bund und den Ländern, zwischen verschiedenen Ländern oder innerhalb eines Landes, soweit nicht ein anderer Rechtsweg gegeben ist (Art. 93 I Nr. 4 GG).

dd) Abstrakte Normenkontrolle

Das Bundesverfassungsgericht entscheidet bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht (z. B. Bundeshaushaltsgesetz, Vertragsgesetz nach Art. 59 II GG) oder Landesrecht (z. B. Gesetz eines anderen Bundeslands) mit der Verfassung (auch eines Verfassungssatzes mit einem übergeordneten allgemeinen Rechtsgrundsatz) oder die Vereinbarkeit von Landesrecht mit sonstigem Bundesrecht auf Antrag der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eines Drittels der Mitglieder des Bundestags (Art. 93 I Nr. 2 GG). Sieht das Bundesverfassungsgericht trotz verfassungskonformer Auslegung das geprüfte Bundesrecht oder Landesrecht als mit dem Grundgesetz oder anderem Bundesrecht unvereinbar an, erklärt es den betreffenden Rechtssatz als nichtig oder zur Vermeidung eines rechtssatzlosen Zwischenzustands auch nur als verfassungswidrig oder sogar nur als für die Zukunft abänderungsbedürftig. Der Entscheidung kommt nach § 31 II BVerfGG Gesetzeskraft zu, doch entfällt damit nicht zugleich auch ohne weiteres das auf dem nichtig erklärten Rechtssatz beruhende bisherige staatliche Handeln als rechtswidrig.

Das Bundesverfassungsgericht entscheidet auf Antrag des Bundesrats, einer Landesregierung oder der Volksvertretung eines Landes auch bei Meinungsverschiedenheiten darüber, ob ein Gesetz wegen der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder wegen der Wahrung der Rechtseinheit oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse als bundesgesetzliche Regelung erforderlich ist (Art. 93 I Nr. 2a, 72 II GG).

ee) Inzidente Normenkontrolle

Hält ein Gericht ein (formelles, nachkonstitutionelles) Gesetz (nicht Rechtsverordnung), auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, (wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Gerichts des Landes,) wenn sich um eine Verletzung der Verfassung des Bundes handelt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen (Art. 100 I 1 GG). Dies gilt auch, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung des Bundes durch Landesrecht oder um die Unvereinbarkeit eines Landesgesetzes mit einem Bundesgesetz handelt (Art. 100 I 2 GG). Ist in einem Rechtsstreit zweifelhaft, ob eine Regel des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt, so hat das Gericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen (Art. 100 II GG). Will das Verfassungsgericht eines Landes von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder des Verfassungsgerichts eines andern Landes abweichen, so hat das Verfassungsgericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen (Art. 100 III GG).

ff) Meinungsverschiedenheiten über Fortgelten als Bundesrecht

Meinungsverschiedenheiten über das Fortgelten vor Inkrafttreten der Verfassung entstandenen Rechts als Bundesrecht entscheidet das Bundesverfassungsgericht (Art. 126 GG).

gg) Verfassungsbeschwerde

Das Bundesverfassungsgericht entscheidet über Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, selbst, unmittelbar und gegenwärtig durch die (deutsche) öffentliche Gewalt (gesetzgebende Gewalt, vollziehende Gewalt, rechtsprechende Gewalt) in einem seiner Grundrechte (Art. 1-19 IV GG) oder in einem seiner in Art. 20 IV, 33, 38, 101, 103 oder 104 enthaltenen Rechte verletzt (oder gefährdet) zu sein (Art. 93 I Nr. 4a GG), und über Verfassungsbeschwerden von Gemeinden und Gemeindeverbänden wegen Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung nach Art. 28 GG durch ein Gesetz, sofern nicht Beschwerde bei dem zuständigen Landesverfassungsgericht wegen Verletzung durch ein Landesgesetz erhoben werden kann (Art. 93 I Nr. 4b GG). Vor der Erhebung einer Verfassungsbeschwerde müssen grundsätzlich alle sonst verfügbaren Verfahrensmöglichkeiten zur Beseitigung der Verletzung ausgeschöpft sein (vgl. Art. 90 II 1 BVerfGG). Es muss die Einlegungsfrist gewahrt sein.

Die Verfassungsbeschwerde muss vom Bundesverfassungsgericht besonders angenommen werden (§ 93a BVerfGG). Sie ist anzunehmen, wenn sie entweder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung hat oder wenn es zur Durchsetzung anerkannter Rechte (§ 90 I BVerfGG) angezeigt ist. Eine aus drei Bundesverfassungsrichtern bestehende Kammer kann ohne mündliche Verhandlung durch einstimmigen Beschluss die Verfassungsbeschwerde annehmen und ihr stattgeben oder sie (ohne Begründung) ablehnen (§§ 93bff. BVerfGG).

Nimmt die Kammer weder an noch lehnt sie ab, so kann der Senat mit drei bejahenden Stimmen die Verfassungsbeschwerde annehmen oder sie ablehnen.

Gibt das Bundesverfassungsgericht einer Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung statt, so hebt es die Entscheidung auf. Gibt es einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz statt, erklärt es das Gesetz für nichtig. Stets muss es dabei angeben, welcher Rechtssatz der Verfassung durch welches staatliche Verhalten verletzt ist (§ 95 I 1 BVerfGG).

hh) Wahlprüfung

Über die Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundestags bei der Wahlprüfung oder in der Frage, ob ein Abgeordneter des Bundestags die Mitgliedschaft verloren hat, entscheidet das Bundesverfassungsgericht (Art. 41 II GG).

ii) Bundespräsidentenanklage

Über eine Anklage des Bundestags oder des Bundesrats gegen den Bundespräsidenten wegen vorsätzlicher Verletzung des Grundgesetzes oder eines andern Bundesgesetzes vor dem Bundesverfassungsgericht entscheidet das Bundesverfassungsgericht (Art. 61 I 1 GG).

jj) Bundesrichteranklage

Wenn ein Bundesrichter gegen die Grundsätze der Bundesverfassung oder gegen die verfassungsmäßige Ordnung eines Landes verstößt, kann auf Antrag des Bundestags das Bundesverfassungsgericht anordnen, dass der Richter in ein anderes Amt oder in den Ruhestand zu versetzen oder bei Vorsatz zu entlassen ist (Art. 98 II GG, beachte Art. 98 V GG).

kk) Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei

Über die Frage der Verfassungswidrigkeit einer Partei entscheidet das Bundesverfassungsgericht (Art. 21 II 2 GG).

ll) Verwirkung von Grundrechten

Die Verwirkung von Grundrechten und ihr Ausmaß werden vom Bundesverfassungsgericht ausgesprochen (Art. 18 S. 2 GG).

b) Oberste Gerichtshöfe des Bundes und Bundesgerichte

Die Zuständigkeit bestimmt sich nach den besonderen Verfahrensgesetzen (beachte Art. 99 GG).

3. Unabhängigkeit der Richter

Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen (Art. 97 I GG). Die hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richter können wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur aus Gründen und unter den Formen, welche die Gesetze bestimmen, vor Ablauf ihrer Amtszeit entlassen oder dauernd oder zeitweise ihres Amts enthoben oder an eine andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt werden. Allerdings kann die Gesetzgebung Altersgrenzen festsetzen, bei deren Erreichung auf Lebenszeit angestellte Richter in den Ruhestand treten. Außerdem können bei Veränderung der Einrichtung der Gerichte oder ihrer Bezirke Richter an ein anderes Gericht versetzt oder aus dem Amt entfernt werden, jedoch nur unter Belassung des vollen Gehalts (Art. 97 II GG).

Die Rechtsstellung der Bundesrichter ist durch besonderes Bundesgesetz, die Rechtsstellung der Richter in den Ländern durch besondere Landesgesetze zu regeln (Art. 98 I, III GG).

4. Gesetzlicher Richter

Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden (Art. 101 I 2 GG). Gesetzlicher Richter ist der durch den Geschäftsverteilungsplan des Gerichts für das Geschäftsjahr im voraus als für bestimmte Angelegenheiten allgemein zuständig festgelegte Richter. Seine Festlegung soll verhindern, dass das Ergebnis eines Einzelfalls durch gezielte Auswahl eines Richters beeinflusst wird.

5. Rechtliches Gehör

Vor Gericht hat jeder Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 I GG). Jeder, dem gegenüber eine gerichtliche Entscheidung wirkt, hat einen Anspruch darauf, vor der Entscheidung durch Stellungnahme das Verfahren und sein Ergebnis beeinflussen zu können. Das Gericht muss die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis nehmen und angemessen berücksichtigen.

6. Faires Verfahren

Jeder hat ein Recht auf ein faires, dem Rechtsstaat angemessenes Verfahren. Er darf nicht zum bloßen Objekt des Verfahrens gemacht werden. Ihm muss wirksamer Rechtsschutz zuteil werden.

7. Strafverfahrensrechtliche Sicherungen

a) Todesstrafe

Die Todesstrafe ist abgeschafft (Art. 102 GG).

b) Vorangehende gesetzliche Bestimmung der Strafbarkeit

Eine Tat kann grundsätzlich (anders bei Kriegsverbrechen oder extremem staatlichem Unrecht) nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich (durch förmliches Gesetz oder durch auf förmlichem, Voraussetzungen der Strafbarkeit, Art und Höchstmaß der Strafe bereits erkennen lassendem Gesetz beruhender Rechtsverordnung oder Satzung) bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde (Art. 102 II GG, nulla poena sine lege, nullum crimen sine lege).

c) Verbot zweimaliger Bestrafung

Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden (Art. 103 III GG, ne bis in idem). Mit der ersten Entscheidung über eine Bestrafung ist der Strafanspruch des Staates grundsätzlich verbraucht. Zulässig ist neben einem Strafverfahren ein Disziplinarverfahren, ein Ehrengerichtsverfahren, ein Zivilverfahren, ein summarisches Verfahren (z. B. Strafbefehl) oder ein ausländisches Verfahren (zweifelhaft zumindest innerhalb der Europäischen Union).

8. Sonstige Verfahrensvorschriften

a) Bundesverfassungsgericht

Für das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht gilt das Bundesverfassungsgerichtsgesetz sowie die vom Bundesverfassungsgericht beschlossene Geschäftsordnung. Danach können unzulässige Anträge oder offensichtlich unbegründete Anträge durch einstimmigen Beschluss der zuständigen Kammer oder des zuständigen Senats verworfen werden. Grundsätzlich entscheidet das Bundesverfassungsgericht auf Grund einer mündlichen Verhandlung, doch kann auf diese verzichtet werden.

Auf Grund mündlicher Verhandlung wird durch Urteil, ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entschieden. Die Entscheidung wird grundsätzlich durch die Mehrheit der Stimmen getroffen, doch kann auch eine qualifizierte Mehrheit oder Einstimmigkeit erforderlich sein. Bei Stimmengleichheit ist ein Verstoß gegen die Verfassung oder gegen sonstiges Bundesrecht nicht festgestellt.

Entscheidungsformel und tragende Entscheidungsgründe binden Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden (§ 31 I BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht selbst darf aber von seiner früheren Rechtsprechung später abweichen. Bei der Normenkontrolle hat die Entscheidungsformel Gesetzeskraft (§ 31 II BVerfGG).

Eine einstweilige Anordnung kann das Bundesverfassungsgericht erlassen, wenn die Streitsache noch nicht zur Entscheidung reif ist und eine vorläufige Regelung dringend geboten ist, um schwere Nachteile abzuwenden, drohende Gewalt zu verhindern oder ein anderes wichtiges Interesse des allgemeinen Wohls zu wahren (§ 32 BVerfGG).

b) Oberste Gerichtshöfe des Bundes und besondere Bundesgerichte

Es gelten die allgemeinen Verfahrensgesetze der jeweiligen Gerichtsbarkeit.

IV. Finanzwesen (Art. 104aff. GG)

Außerhalb von Gesetzgebung, Vollziehung und Rechtsprechnung ordnet die Verfassung wegen der besonderen Bedeutung das Finanzwesen( im Bundesstaat).

1. Ausgabentragung

Der Bund und die Länder tragen grundsätzlich gesondert die Ausgaben, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben (Art. 104a I GG). Der Bund und die Länder tragen die bei ihren Behörden entstehenden Verwaltungsausgaben und haften im Verhältnis zueinander für eine ordnungsmäßige Verwaltung. Das Nähere bestimmt ein Bundeszustimmungsgesetz (Art. 104a V GG).

Handeln die Länder unter Weisungsmöglichkeit des Bundes (Bundesauftragsverwaltung), trägt der Bund die sich daraus ergebenden Ausgaben (Art. 104a II GG).

Bundesgesetze, die Geldleistungen gewähren und von den Ländern ausgeführt werden, können bestimmen, dass die Geldleistungen ganz oder teilweise vom Bund getragen werden. Bestimmt ein solches Gesetz, dass der Bund mindestens die Hälfte der Ausgaben trägt, wird es unter Weisungsmöglichkeit des Bundes ausgeführt (Bundesauftragsverwaltung). Bestimmt das Gesetz, dass die Länder mindestens ein Viertel der Ausgaben tragen, so bedarf es der Zustimmung des Bundesrats (Art. 104a III GG).

Der Bund kann den Ländern Finanzhilfen für besonders bedeutsame Investitionen der Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände) gewähren, die zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet oder zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums erforderlich sind (Art. 104a IV GG).

2. Einnahmenverteilung

Die wichtigste Einnahme ist die Steuer als die einmalige oder laufende Geldleistung, die keine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellt, vor allem zur Erzielung von Einnahmen für den allgemeinen Finanzbedarf und gegebenenfalls auch der politischen Gestaltung eines öffentlichen Gemeinwesens dient und allen auferlegt wird, bei denen der Tatbestand des betreffenden Gesetzes vorliegt.

Die Einnahmen sind vertikal zwischen Bund, Ländern und Gemeinden und horizontal zwischen den Ländern verteilt.

a) Vertikale Verteilung

aa) Bund

Dem Bund stehen zu der Ertrag der Finanzmonopole (z. B. Branntweinmonopol, Lotteriemonopol) und das Aufkommen der (am Übergang von Waren an einer Zollgrenze als indirekte Steuer erhobenen) Zölle (, das weitgehend den Europäischen Gemeinschaften bzw. der Europäischen Union zugute kommt), der Verbrauchsteuern (z. B. Tabaksteuer, Mineralölsteuer) (, soweit es nicht den Ländern, Bund und Ländern gemeinsam oder den Gemeinden zusteht,) der Straßengüterverkehrsteuer, der Kapitalverkehrsteuer, der Versicherungsteuer, der Wechselsteuer, der einmaligen Vermögensabgaben und der zur Durchführung des Lastenausgleichs erhobenen Ausgleichsabgaben, der Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und zur Körperschaftsteuer sowie der Abgaben im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften (Art. 106 I GG).

bb) Länder

Den Ländern steht das Aufkommen der Erbschaftsteuer, der Kraftfahrzeugsteuer, der Verkehrsteuern (, soweit es nicht dem Bund oder dem Bund und den Ländern gemeinsam zusteht,) der Biersteuer und der Abgaben von Spielbanken zu (Art. 106 II GG).

cc) Bund und Länder

Dem Bund und den Ländern als Steuerverbund gemeinsam steht das Aufkommen der Einkommensteuer, der Körperschaftsteuer und der Umsatzsteuer zu (, soweit es nicht den Gemeinden zugewiesen wird). Am Aufkommen der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer sind Bund und Länder je zur Hälfte beteiligt. Die Anteile an der Umsatzsteuer werden durch Bundeszustimmungsgesetz festgelegt (Art. 106 IIIff. GG).

dd) Gemeinden

Die Gemeinden erhalten einen Anteil an dem Aufkommen der Einkommensteuer und der Umsatzsteuer (Art. 106 V, VI GG) sowie das Aufkommen der Grundsteuer und Gewerbesteuer, die Gemeinden oder Gemeindeverbände das Aufkommen der örtlichen Verbrauchsteuern und Aufwandsteuern (Art. 106 Iff. GG).

b) Horizontale Verteilung

Das Aufkommen der Landessteuern und der Länderanteil am Aufkommen der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer stehen den einzelnen Ländern insoweit zu, als die Steuern von den Finanzbehörden in ihrem Gebiet vereinnahmt werden (örtliches Aufkommen). Der Länderanteil am Aufkommen der Umsatzsteuer steht den einzelnen Ländern grundsätzlich nach Maßgabe ihrer Einwohnerzahl zu (Art. 107 I GG). Durch Bundeszustimmungsgesetz ist sicherzustellen, dass die unterschiedliche Finanzkraft der Länder durch Ausgleichzuweisungen unter den Ländern, gegebenenfalls auch durch Ergänzungszuweisungen des Bundes, angemessen ausgeglichen wird (Art. 107 II GG, Finanzausgleich).

3. Gesetzgebungszuständigkeit

Die Gesetzgebungszuständigkeit (im Finanzwesen) ist auf Bund und Länder verteilt. Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung über Zölle und Finanzmonopole und die konkurrierende Gesetzgebung über die übrigen Steuern, wenn ihm das Aufkommen dieser Steuern ganz oder teilweise zusteht oder die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechtseinheit oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht. Die Länder haben die Gesetzgebung über die örtlichen Verbrauchsteuern (z. B. Getränkesteuer, Speiseeissteuer) und Aufwandsteuern (z. B. Jagdsteuer), solange und soweit sie nicht bundesgesetzlich geregelten Steuern gleichartig sind, sowie über die Kirchensteuer. Bundesgesetze über Steuern, deren Aufkommen (auch) den Ländern oder Gemeinden zufließt, bedürfen der Zustimmung des Bundesrats (Art. 105, 140 GG, 137 VI WRV).

4. Verwaltung

Die Verwaltung des Finanzwesens ist auf Bund und Länder verteilt. Zölle, Finanzmonopole, die bundesgesetzlich geregelten Verbrauchsteuern einschließlich der Einfuhrumsatzsteuer und die Abgaben im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften werden (in bundeseigener Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau) durch Bundesfinanzbehörden verwaltet, wobei die Leiter der Mittelbehörden (Oberfinanzdirektionen) im Benehmen mit den Landesregierungen zu bestellen sind (Art. 108 I GG). Die übrigen Steuern werden durch Landesfinanzbehörden verwaltet, wobei die Leiter der Mittelbehörden (Oberfinanzdirektionen) im Einvernehmen mit der Bundesregierung zu bestellen sind (Art. 108 II GG). Fließen diese Steuern (auch) dem Bund zu, verwalten die Länder unter Weisungsmöglichkeit des Bundes (Bundesauftragsverwaltung, Art. 108 III GG), fließen die Steuern nur den Ländern oder Gemeinden zu, verwalten sie sie als eigene Angelegenheiten. Mit Zustimmung des Bundesrats kann der Bund allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen (Art. 108 VII GG, z. B. Steuerrichtlinien). Die Verwaltung der den Gemeinden zufließenden Steuern kann den Gemeinden (Gemeindesteueramt) übertragen werden (Art. 108 IV 2 GG).

Die Oberfinanzdirektion ist in ihrer Abteilung für Zölle, Verbrauchsteuern und Bundesvermögen Bundesbehörde, in ihrer Abteilung für Besitzsteuern, Verkehrsteuern, Landesvermögen und Bauangelegenheiten Landesbehörde. Der Oberfinanzpräsident ist Bundesbeamter und Landesbeamter. Der Bund kann den Aufbau der Landesfinanzbehörden, das anzuwendende Verfahren und die Finanzbeamtenausbildung durch Bundeszustimmungsgesetz regeln (Art. 108 II, V GG).

5. Rechtsprechung

Die Finanzgerichtsbarkeit (Finanzgerichte und Bundesfinanzhof) ist eine besondere Verwaltungsgerichtsbarkeit. Sie entscheidet über Klagen gegen Steuerbescheide und Zollbescheide. Dabei ist das erstinstanzliche Finanzgericht als Landesgericht auch für Bescheide von Bundesfinanzbehörden zuständig.

6. Haushaltswesen

Bund und Länder sind in ihrer Haushaltswirtschaft grundsätzlich selbständig und voneinander unabhängig (Art. 109 I GG, Haushaltstrennung). Sie haben jedoch beide den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen (Art. 109 II GG). Durch Bundeszustimmungsgesetz können gemeinsam geltende Grundsätze für Haushaltsrecht, Haushaltswirtschaft und mehrjährige Finanzplanung aufgestellt werden, zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts können durch Bundeszustimmungsgesetz besondere Vorschriften erlassen werden (Art. 109 IIff. GG).

Alle Einnahmen und Ausgaben sind in voller Höhe (Bruttoprinzip) in den Haushaltsplan einzustellen (Grundsatz der Einheit). Der Haushaltsplan wird für ein oder mehrere Jahre, nach Jahren getrennt (Annuität), vor Beginn durch (förmliches) Haushaltsgesetz festgestellt (Art. 110 I, II GG). Der Haushalt muss klar, vollständig und ausgeglichen sein. Mittel, die unter einem bestimmten Titel für einen bestimmten Zweck ausgewiesen sind, dürfen nicht für einen anderen Zweck verwendet werden (Spezialität). Im Einzelnen gilt für den Bundeshaushalt die besondere Bundeshaushaltsordnung.

Gesetze, welche die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Ausgaben des Haushaltsplans erhöhen oder neue Ausgaben in sich schließen oder für die Zukunft mit sich bringen, bedürfen der Zustimmung der Bundesregierung (Art. 113 I 1 GG).

7. Rechnungswesen

Der Bundesminister der Finanzen hat dem Bundestag und dem Bundesrat über alle Einnahmen und Ausgaben sowie über das Vermögen und die Schulden im Lauf des nächsten Regierungsjahrs zur Entlastung der Bundesregierung Rechnung zu legen (Art. 114 I GG). Der Bundesrechnungshof, dessen Mitglieder richterliche Unabhängigkeit haben, prüft die Rechnung sowie die Wirtschaftlichkeit und Ordnungsmäßigkeit der Haushaltsführung und Wirtschaftsführung (Art. 114 II GG). Die Bürger sind dadurch aber vor unangemessener Erhöhung der Abgabenlast noch nicht ausreichend gesichert.

V. Staatsschutz

1. Wehrwesen

Durch Änderung des Grundgesetzes vom 26. 3. 1954 hat der Bund die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit für die Verteidigung, einschließlich der Wehrpflicht. Seit dem Gesetz über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag vom 24. 3. 1955 (Nordatlantische Verteidigungsorganisation, NATO) können in Deutschland Streitkräfte aufgestellt werden. Nach Art. 12a I GG können Männer vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden. Die Wehrpflicht betrifft Deutsche im Sinn des Grundgesetzes, die ihren ständigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben oder ihren ständigen Aufenthalt zwar außerhalb Deutschlands haben, aber entweder ihren früheren ständigen Aufenthalt in Deutschland hatten oder einen Pass oder eine Staatsangehörigkeitsurkunde Deutschlands haben oder sich auf andere Weise ihrem Schutz unterstellt haben (§ 1 I WpflG). Die Wehrpflicht endet mit Ablauf des Jahres der Vollendung des 45. Lebensjahrs bzw. für Offiziere, Unteroffiziere und im Verteidigungsfall des 60. Lebensjahrs.

Frauen können, wenn im Verteidigungsfall der Bedarf an zivilen Dienstleistungen im zivilen Sanitätswesen und Heilwesen sowie in der ortsfesten militärischen Lazarettorganisation nicht auf freiwilliger Grundlage gedeckt werden kann, vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr bis zum vollendeten fünfundfünfzigsten Lebensjahr durch Gesetz oder auf Grund Gesetzes zu derartigen Dienstleistungen herangezogen werden, dürfen aber auf keinen Fall Dienst mit der Waffe leisten (Art. 12a IV GG).

Nach Art. 4 III GG darf niemand gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe (allgemein) gezwungen werden.

Wer den Kriegsdienst mit der Waffe (allgemein) aus Gewissensgründen verweigert, kann (zwar nicht zum Kriegsdienst, aber) zu einem waffenlosen zivilen Ersatzdienst verpflichtet werden, dessen Dauer die Dauer des Wehrdienstes nicht übersteigen darf (Art. 12a II GG). Über die Berechtigung zur Kriegsdienstverweigerung wird in einem besonderen Verfahren entschieden. Im zivilen Ersatzdienst sind dem allgemeinen Wohl dienende Aufgaben auszuführen.

Wer zwar wehrpflichtig ist, aber weder zum Wehrdienst noch zum Ersatzdienst herangezogen ist, kann im Verteidigungsfall durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes zu zivilen Dienstleistungen für Zwecke der Verteidigung in ein Arbeitsverhältnis verpflichtet werden (Art. 12a III GG).

Im Wehrdienstverhältnis gelten die Grundrechte. Während der Zeit des Wehrdiensts oder Ersatzdiensts können einige Grundrechte zusätzlich nach Art. 17a GG eingeschränkt werden. Den Schutz der Grundrechte im Wehrdienst soll der Wehrbeauftragte des Bundestags sicherstellen (Art. 45b GG).

Die Befehlsgewalt und Kommandogewalt über die Streitkräfte hat im Rahmen der Richtlinien des Bundeskanzlers der Bundesminister für Verteidigung (Art. 65a GG). Mit der Verkündung des Verteidigungsfalls geht sie auf den Bundeskanzler über (Art. 115b GG). Das Parlament kann das Wehrwesen über den Bundestagsausschuss für Verteidigung und den Wehrbeauftragten kontrollieren (Art. 45a, 45b GG).

Die Verteidigung ist Angelegenheit des Bundes (vgl. Art. 73 Nr. 1, 87a GG). Die Personalverwaltung und die unmittelbare Deckung des militärischen Sachbedarfs werden in bundeseigener Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau geführt. Die Aufgaben des Wehrersatzwesens werden vom dem Bundesministerium für Verteidigung unterstehenden Bundesamt für Wehrverwaltung (Bundesoberbehörde), den Wehrbereichsverwaltungen (Bundesmittelbehörden) und den Kreiswehrersatzämtern (Bundesunterbehörden) ausgeführt.

Die Erfassung der Wehrpflichtigen ist Aufgabe der Länder.

Die Streitkräfte (Heer, Luftwaffe, Marine) dürfen außer zur Verteidigung nur bei ausdrücklicher Zulassung durch die Verfassung eingesetzt werden (Art. 87a II GG). Nach Art. 24 II GG kann sich der Bund zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen (Art. 24 II GG). Auf dieser Grundlage ist Deutschland den Vereinten Nationen(, der Westeuropäischen Union) und der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft beigetreten und muss in vertragsgemäßer Weise deren Mitgliedstaaten gegen Angriffe verteidigen, weshalb Einsätze unter der Befehlsgewalt der Vereinten Nationen(, der Westeuropäischen Union) und der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft zulässig sind.

2. Ausnahmezustand

Durch Aufruhr, Krisen und andere Ereignisse kann eine mit den gewöhnlichen Mitteln nicht behebbare Störung des staatlichen Lebens eintreten. Für sie sieht die Verfassung eine Reihe besonderer Regeln vor. Sie ersetzen oder ergänzen die allgemeinen Regeln.

a) Verteidigungsfall

Verteidigungsfall ist der Fall, dass das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht. Der Verteidigungsfall muss grundsätzlich vom Bundestag mit Zustimmung des Bundesrats oder vom Gemeinsamen Ausschuss mit Zweidrittelmehrheit besonders festgestellt werden. Danach sind bestimmte Sonderregeln anwendbar (Art. 115bff. GG, Änderungen der Zuständigkeit für Gesetzgebung und Verwaltung).

b) Katastrophenschutz

Zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung kann ein Land Kräfte des Bundesgrenzschutzes, zur Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder einem besonders schweren Unglücksfall kann ein Land Polizeikräfte anderer Länder, Kräfte und Einrichtungen anderer Verwaltungen sowie des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte anfordern (Art. 35 II GG). Bei Bedarf kann die Bundesregierung Weisungen erteilen (Art. 35 III GG).

c) Gefahr für den Bestand des Bundes oder eines Landes

Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann ein Land Polizeikräfte anderer Länder sowie Kräfte und Einrichtungen anderer Verwaltungen und des Bundesgrenzschutzes anfordern (Art. 91 I GG, beachte Art. 92 II GG).

3. Verfassungsschutz

Der Schutz der Verfassung ist allgemein allen aufgegeben. Darüber hinaus ist es Aufgabe aller Verfassungsorgane, die Verfassung zu wahren und zu beachten. Insbesondere hat das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsmäßigkeit des Handelns des Staates zu wachen.

Eine Reihe von Verhaltensweisen ist durch die Strafgesetze unter besondere Strafandrohungen gestellt (z. B. Friedensverrat, Hochverrat, Landesverrat, §§ 81ff. StGB).

Verwaltungsmäßig betreiben Verfassungsschutz das besondere Bundesamt für Verfassungsschutz als Zentralstelle für die Sammlung von Unterlagen für Zwecke des Verfassungsschutzes und die mit ihm zusammenarbeitenden Landesbehörden.

4. Widerstandsrecht

Gegen jeden, der es unternimmt, die verfassungsmäßige Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist (Art. 20 IV GG).

 

§ 7 Verhältnis zu Europarecht und Völkerrecht

I. Europarecht

Das europäische Gemeinschaftsrecht ist, weil die Europäischen Gemeinschaften neue öffentliche Gewalten sind bzw. die Europäische Gemeinschaft neue öffentliche Gewalt ist, die gegenüber der Staatsgewalt der Mitgliedstaaten selbständig und unabhängig sind bzw. ist, in Deutschland ohne besondere Umformung in innerstaatliches Recht verbindlich. Verordnungen sind unmittelbar in jedem Mitgliedstaat verbindlich. Richtlinien sind hinsichtlich des zu erreichenden Ziels für die Mitgliedstaaten verbindlich, überlassen ihnen aber Form und Mittel zur Verwirklichung des Zieles. Im Konfliktsfall besteht ein Anwendungsvorrang für gültiges Europarecht.

II. Völkerrecht

Völkerrecht und staatliches Recht sind zwei getrennte Rechtsbereiche (Dualismus). Völkerrecht wirkt grundsätzlich nicht unmittelbar auf staatliches Recht ein. Erst durch eine Umformung oder einen Anwendungsbefehl wird Völkerrecht staatliches Recht.

In Deutschland sind auf Grund des Art. 25 GG die allgemeinen, d. h. von der überwiegenden Mehrheit der Staaten anerkannten Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebiets. Allgemeine Regeln des Völkerrechts sind beispielsweise die Sätze, dass Verträge einzuhalten sind, dass jedes Volk über sich selbst bestimmen darf, dass jeder Staat nur auf seinem Gebiet Gewalt ausüben darf, dass Gesandte eine besondere Rechtsstellung haben oder dass Kriegsgefangene nicht getötet werden dürfen.

Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskriegs vorzubereiten, sind nach Art. 26 I 1 GG verfassungswidrig (und nach Art. 26 I 2 GG unter Strafe zu stellen).

Die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten, zu denen der Abschluss von völkerrechtlichen Verträgen und damit die Schaffung von Völkervertragsrecht zu zählen ist, ist Angelegenheit des Bundes (Art. 32 I GG). Vor dem Abschluss eines Vertrags, der die besonderen Verhältnisse eines Landes berührt, ist das Land rechtzeitig zu hören (Art. 32 II GG). Soweit die Länder für die Gesetzgebung zuständig sind, können sie mit Zustimmung der Bundesregierung mit auswärtigen Staaten Verträge abschließen (Art. 32 III GG).

Die Verträge des Bundes mit auswärtigen Staaten schließt (ratifiziert) der Bundespräsident im Namen des Bundes (Art. 59 I 2 GG, nach Einhaltung der innerstaatlichen Zustimmungsvoraussetzungen bzw. Mitwirkungsvoraussetzungen) durch Übersendung oder Hinterlegung der unterzeichneten und gegengezeichneten Vertragsurkunde. Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, bedürfen der Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes, durch das der Vertrag nach Ausfertigung und Verkündung innerstaatliche Geltung erhält. Für Verwaltungsabkommen gelten die Vorschriften über die Bundesverwaltung entsprechend (Art. 59 II GG).