Gerhard Köbler
FERNKERNLERNKURS RECHT
Öffentliches Recht
§ 1 Staatswerdung
§ 2 Staatsgrundlagen
§ 3 Staatsgrundentscheidungen
§ 4 Grundrechte
§ 5 Staatsorgane
§ 6 Staatstätigkeiten
§ 7 Verhältnis zu Europarecht und Völkerrecht
§ 1 Staatswerdung
Staatsrecht
ist die Gesamtheit der den Staat als solchen in seinen Grundgegebenheiten
betreffenden Rechtssätze. Ein Staat befindet sich in der Zeit stets in einem
jeweiligen geschichtlichen Zustand, d. h. in einer jeweiligen geschichtlichen
Verfassung. Deswegen lässt sich die Gesamtheit seiner ihn im allgemeinen
betreffenden Rechtssätze (z. B. Programmsätze, Staatsstrukturbestimmungen,
Staatsziele, Grundrechtssätze, Organisationssätze) auch als Verfassungsrecht
bezeichnen.
I. Fränkisches Reich und Heiliges Römisches
Reich (ca. 476 n. Chr. -1806)
Der Staat
Deutschland geht geschichtlich auf die aus den Germanen erwachsenen Franken
zurück. Sie eroberten seit dem fünften nachchristlichen Jahrhundert vom
Niederrhein aus die römische Provinz Gallien zwischen Atlantik, Pyrenäen,
Westalpen und Rhein sowie anschließend die von anderen aus den Germanen
erwachsenen Völkern (Alemannen, Bayern, Thüringer, Friesen, Sachsen) bewohnten
Gebiete zwischen Rhein und Elbe. Auf Grund einer Teilung unter den
karolingischen Königen 843, endgültig 887, bildeten sich Frankreich im
(französischen) Westen und das Heilige Römische Reich im (deutschen)
Osten. In Frankreich beendete am 14. 7. 1789 die Revolution das vom
Absolutismus des Monarchen gekennzeichnete ancien régime. Das als erstes
deutsches Reich geführte Heilige Römische Reich löste sich am 6. 8. 1806 unter
dem politischen Druck des neuen französischen Kaisers Napoleon Bonaparte auf
und entließ seine rund 40 noch bestehenden Glieder (z. B. Österreich, Preußen,
Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Hannover, Hessen, Mecklenburg, Hamburg,
Bremen, Luxemburg, Liechtenstein) in die von Frankreich militärisch beherrschte
Souveränität. Nach dem Ende der französischen Vorherrschaft (1813) schlossen
sich diese Staaten 1815 zum Deutschen Bund (Staatenbund) zusammen. 1866 zerbrach
der Deutsche Bund am Gegensatz zwischen Österreich und Preußen.
II. Zweites Deutsche Reich (1871-1933),
Drittes Reich (1933-1945)
Unter der
Führung Preußens (Bismarcks) fanden sich die meisten deutschen Staaten (ohne
Österreich, Luxemburg und Liechtenstein) über den Norddeutschen Bund (1867) mehr
oder weniger freiwillig im Bundesstaat (zweites) Deutsches Reich
zusammen. Vergeblich versuchte dieser im Gegensatz zu England, Frankreich und
Spanien spät entstandene deutsche Nationalstaat zwischen 1914 und 1918 sowie
(als Drittes Reich) zwischen 1939 und 1945, kriegerisch Erfolg. Am Ende
grenzenlosen, vor allem vom aus Österreich stammenden Reichskanzler Adolf
Hitler (1933-1945) ausgelösten Unrechts fand sich das von 1938 bis 1945 um
Österreich erweiterte, am 8. 5. 1945 zur bedingungslosen Kapitulation
gezwungene (dritte) Deutsche Reich an den Grenzen vielfach beschnitten wieder.
Es wurde in vier Besatzungszonen Großbritanniens, der Sowjetunion, der
Vereinigten Staaten von Amerika und Frankreichs zerschlagen. Durch Erklärung
der Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte übernahmen am 5. 6. 1945
Großbritannien, die Sowjetunion, die Vereinigten Staaten von Amerika und
Frankreich die oberste Gewalt in Deutschland.
III. Bundesrepublik Deutschland
Als Folge der
unter den Besatzungsmächten entstehenden Spannungen beschlossen am 6. 3. 1948
sechs westliche Staaten die Gründung eines westdeutschen Staates. Ein von der
Konferenz der Ministerpräsidenten der inzwischen (unter Zerschlagung Preußens
wieder) entstandenen deutschen Länder (Bayern, Baden, Württemberg, Rheinland-Pfalz,
Hessen, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Bremen,
Hamburg, Berlin [Sonderstatus]) berufener, auf Herrenchiemsee tagender Konvent
(Herrenchiemseer Konvent) legte hierfür einen Entwurf einer
bundesstaatlichen Verfassung vor. Nach Annahme durch einen aus Ländervertretern
zusammengesetzten Parlamentarischen Rat am 8. 5. 1949, anschließender
Genehmigung durch die westlichen Besatzungsmächte und mehrheitlicher Billigung
durch die Länder (mit Ausnahme Bayerns) trat am 24. 5. 1949 unter dem Namen Grundgesetz
die Verfassung für die neu geschaffene Bundesrepublik Deutschland mit
146 Artikeln in Kraft.
Für das
Verhältnis der westlichen Besatzungsmächte zur Bundesrepublik Deutschland wurde
am 8. 4. 1949 ein Besatzungsstatut erlassen. Nachdem sich die
Bundesrepublik Deutschland am 18. 4. 1951 zur Vergemeinschaftung der
Rüstungsindustrie mit Frankreich, Italien, den Niederlanden, Belgien und
Luxemburg in der Montanunion (Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl)
bereit gefundenhatte, endete am 5. 5. 1955 das Besatzungsstatut mit dem Deutschlandvertrag.
Mit ihm erhielt die Bundesrepublik Deutschland, innerhalb deren sich Baden und
Württemberg 1951/1952 zu einem Bundesland vereinigt hatten, zu der am 1. 1.
1957 das Saarland zurückkehrte und die am 25. 3. 1957 mit Frankreich, Italien,
den Niederlanden, Belgien und Luxemburg auch die Europäische Atomgemeinschaft
und die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft bildete, unter einigen Vorbehalten
die Souveränität.
In der der
Sowjetunion zugeteilten östlichen Besatzungszone erstellte seit dem 18. 3. 1948
ein Deutscher Volksrat einen Verfassungsentwurf. Nach Genehmigung durch die
Sowjetunion trat am 7. 10. 1949 eine Verfassung für die Deutsche
Demokratische Republik in Kraft. Am 25. 3. 1954 erteilte die Sowjetunion
diesem Staat unter Beendigung ihres Besatzungsregimes formal die Souveränität.
Im Grundvertrag
vom 21. 12. 1972 verpflichteten sich Bundesrepublik Deutschland und Deutsche
Demokratische Republik, Beziehungen auf der Grundlage zweier deutscher Staaten
zu entwickeln. Unter dem Druck der Bewohner der wirtschaftlich mehr und mehr
zurückbleibenden Deutschen Demokratischen Republik beschloss nach freien Wahlen
die Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik am 23. 8. 1990 den Beitritt
der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland. Er
erfolgte auf der Grundlage des Einigungsvertrags vom 31. 8. 1990 zum 3.
10. 1990.
Am 12. 9. 1990
schlossen die Vereinigten Staaten von Amerika, die Sowjetunion, Großbritannien
und Frankreich mit der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen
Demokratischen Republik den Vertrag über die abschließende Regelung
in Bezug auf Deutschland. Er bildete die Grundlage der Aufhebung der noch
verbliebenen Einschränkungen der Souveränität Deutschlands. Er trat mit
der Hinterlegung der letzten Ratifikationsurkunde am 15. 3. 1991 in Kraft.
Innerhalb der um
Spanien, Portugal, Griechenland, Großbritannien, Irland und Dänemark
erweiterten Europäischen Gemeinschaften wurde am 7. 2. 1992 der (Maastrichter)
Vertrag über die Europäische Union geschlossen und zum 1. 1. 1993 der
europäische Binnenmarkt verwirklicht. Seit dem (Amsterdamer) Vertrag vom 2. 10.
1997 verstanden sich die 1995 um Österreich, Finnland und Schweden erweiterten
Gemeinschaften als Europäische Gemeinschaft. Die seit 1. 1. 2002 überwiegend
eine einheitliche Währung (Euro, Cent) führende, zum 1. 5. 2004 um Estland,
Lettland, Litauen, Polen, Ungarn, Slowakei, Tschechishe Republik, Slowenien,
Malta und (den griechischen Teil) Zypern(s) vermehrte Europäische Gemeinschaft
verwendet für die institutionalisierte politische Zusammenarbeit der
Mitgliedstaaten die Bezeichnung Europäische Union.
§ 2
Staatsgrundlagen
Staat ist die auf Dauer berechnete Zusammenfassung
einer größeren Anzahl von Menschen (Staatsvolk) auf einem abgegrenzten Teil der
Erdoberfläche (Staatsgebiet) unter Regelung aller für das gemeinschaftliche
Leben notwendigen Belange durch einen innerhalb der Gemeinschaft obersten
Willensträger (Staatsgewalt), falls sich die von diesem Willensträger
aufgestellte Ordnung tatsächlich durchgesetzt hat und keinem
völkerrechtswidrigen Zweck dient (sog. Drei-Elemente-Lehre).
I. Staatsgebiet
Staatsgebiet ist das zur Ausübung der Staatsgewalt
bestimmte Gebiet. In ihm hat der Staat die Befugnis zur Entfaltung hoheitlicher
Macht (Gebietshoheit). Im Bundesstaat werden dabei die Gebietshoheit des
Gesamtstaats und die Gebietshoheit seiner Mitgliedsländer durch die Verfassung
voneinander abgegrenzt.
Das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland besteht
aus den Gebieten der 16 deutschen Bundesländer einschließlich des darüber
liegenden Luftraums. Jedes Gebiet ist zugleich Bundesgebiet und Landesgebiet.
Die 16 Bundesländer sind Baden-Württemberg (4. 5. 1951), Bayern, Berlin,
Brandenburg (3. 10. 1990), Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern (3.
10. 1990), Niedersachen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland (1. 1.
1957), Sachsen (3. 10. 1990), Sachsen-Anhalt (3. 10. 1990), Schleswig-Holstein
und Thüringen (3. 10. 1990).
Die Grenzen des Staatsgebiets bestimmen sich nach
dem Völkerrecht. Nach dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (1982)
beginnen jenseits der bei Tiefebbe erreichten Wasserstandslinie die zwölf
Seemeilen breiten Küstengewässer, in denen die Staatsgewalt (nur) durch
Durchfahrtsrechte ausländischer Schiffe eingeschränkt ist. Am unterschiedlich
breiten Festlandsockel hat der Anliegerstaat das Recht auf Verwertung der
Bodenschätze, an der 200 Seemeilen breiten Wirtschaftszone der Europäischen
Union haben deren Mitgliedstaaten das ausschließliche Nutzungsrecht.
Änderungen des Staatsgebiets gegenüber einem
anderen Staat bedürfen eines Bundesgesetzes (Art. 73 Ziff. 1 GG, Art. 59 II 1
GG) und der Zustimmung des betroffenen Bundeslands (Art. 32 II GG). Im Vertrag
über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland vom 12. 9. 1990
sicherte Deutschland zu, dass die Außengrenzen der vereinten Gebiete endgültig
sind. Deutschland habe keine Gebietsansprüche gegen andere Staaten und werde
auch keine Gebietsansprüche geltend machen.
Für eine Änderung innerhalb des Staatsgebiets sieht
Art. 29 GG verschiedene Verfahren vor. Bei bedeutenden Änderungen (wie z. B.
der Bildung Baden-Württembergs) ist ein Bundesgesetz erforderlich, das durch
Volksentscheid bestätigt werden muss. Unbedeutende Veränderungen können die
beteiligten Länder vereinbaren. Für das Verhältnis zwischen Berlin und
Brandenburg enthält Art. 118a GG eine Sondervorschrift.
Hauptstadt sowie Sitz des Deutschen Bundestags und
der Bundesregierung ist Berlin (Art. 2 I Einigungsvertrag, Gesetz vom 25. 4.
1994).
II. Staatsvolk
Staatsvolk ist die Gesamtheit der Menschen, die sich auf
dem Staatsgebiet befinden und deswegen seiner Staatsgewalt unterstehen. Dabei
ist zwischen Staatsangehörigen des Staates, Staatsangehörigen anderer Staaten
(Ausländern) und Staatsangehörigen keines Staates (Staatenlosen) zu
unterscheiden.
Die Staatsangehörigkeit begründet Rechte und
Pflichten des Staatsangehörigen gegenüber dem Staat. Rechte sind vor allem Wahlrecht,
Stimmrecht, Amtsteilhaberecht, Bürgerrecht, Schutz im Ausland und
Auslieferungsverbot. Pflicht ist beispielsweise die Wehrpflicht, die sehr
schwach ausgeprägte Treuepflicht oder die Lastentragungspflicht.
Die Staatsangehörigkeit wird nach dem
Staatsangehörigkeitsgesetz durch Geburt, durch Annahme als Kind oder
durch Einbürgerung erworben. Seit 1. 1. 2000 erwerben zwecks Ausgleichs
des Geburtenmangels der Deutschen nicht nur Kinder eines Deutschen oder einer
Deutschen (sog. ius sanguinis, Recht des Bluts, Abstammungsprinzip) die
deutsche Staatsangehörigkeit, sondern auch in Deutschland geborene Kinder (sog.
ius soli, Recht des Bodens, Geburtsortsprinzip), deren Vater oder Mutter sich
seit 8 Jahren rechtmäßig in Deutschland aufhält. Ausländer, deren Ehegatten und
deren minderjährige Kinder, die seit 8 Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort
im Inland haben, haben bei ausreichenden Kenntnissen der deutschen Sprache und
Nichtunterstützung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung
gerichteter Bestrebungen grundsätzlich einen Anspruch auf Einbürgerung, wobei
Mehrstaatigkeit unter bestimmten Umständen hinzunehmen ist.
Die Staatsangehörigkeit verliert grundsätzlich, wer eine
ausländische Staatsangehörigkeit auf Antrag erwirbt. Außerdem kann auf die
Staatsangehörigkeit verzichtet werden. Auf Antrag ist auch die Entlassung aus
der Staatsangehörigkeit möglich. Art. 16 I GG schließt einen Entzug der
Staatsangehörigkeit gegen den Willen des Betroffenen aus.
III. Staatsgewalt
Staatsgewalt ist die den Staat kennzeichnende oberste
Herrschaftsgewalt (Hoheitsgewalt, Befehlsgewalt, Zwangsgewalt). Sie ist das
funktionale Element des Staates. Sie betrifft das Staatsgebiet und das
Staatsvolk. Sie geht im demokratischen Staat vom Volk aus (Volkssouveränität)
und ist im Rechtsstaat vielfach geteilt in gesetzgebende Gewalt, vollziehende
Gewalt und rechtsprechende Gewalt (Art. 20 II GG).
Begrenzt wird die Staatsgewalt durch die Verfassung.
Diese besteht als Zustand des Staates in jedem Fall (materielle Verfassung).
Seit 1776 sind aber – nach allgemeiner wissenschaftlicher Konvention - darüber
hinaus nach dem Vorbild Virginias (Virginia Bill of Rights) die meisten Staaten
dazu übergegangen, ihre Verfassung in einer besonderen Verfassungsurkunde
niederzulegen (formelle Verfassung, z. B. Polen 1791, Frankreich 1791, Schweden
1809, Sachsen-Weimar-Eisenach 1816, Belgien 1831, Preußen 1848, Österreich
1848, [geplantes, jedoch gescheitertes Deutsches Reich 1848,] Deutsches Reich
1871, 1919 [in Weimar geschaffene Reichsverfassung]).
Die Verfassung begrenzt die Staatsgewalt dadurch, dass sie
die grundlegenden Regeln über die Leitung des Staates, über die elementaren
Strukturen der Ordnung und über die Stellung der Bürger im Staat festlegt. An sie
ist die Staatsgewalt je nach dem Rang des einzelnen Satzes unterschiedlich fest
gebunden. Dem Recht entsprechend unantastbar sind beispielsweise nach Art. 79
III GG die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der
Länder bei der Gesetzgebung, die Menschenwürde (Art. 1 GG) oder die
Volkssouveränität (Art. 20 II 1 GG). Andere Verfassungssätze können nach Art.
79 I 1 GG oder nach Art. 19 II GG oder auf Grund eines in der Verfassung
bereits enthaltenen Gesetzesvorbehalts durch einfaches Gesetz geändert werden.
Nach demokratischem Verständnis steht die Befugnis zur
Verfassungsgebung dem Volk zu, das letzter Träger der Staatsgewalt ist. Die
verfassungsgebende Gewalt des Volks ist keiner Bindung unterworfen. Insofern
ist die Verfassung rechtlich nicht an vorangehendes Recht gebunden, wenn sie
ihm auch tatsächlich vielfach verbunden bleibt.
Die jeweils bestehende Verfassung bedarf im Einzelfall der
Auslegung. Bei ihr ist von dem Willen des ursprünglichen Verfassungsgebers
auszugehen (subjektive Auslegungstheorie), aber doch auch der Wandel der
Vorstellungen in der Gemeinschaft zu berücksichtigen (objektive
Auslegungstheorie). Stets ist dabei zu beachten, dass das Verfassungsrecht die
Verfassungswirklichkeit bestimmen soll, nicht die Verfassungswirklichkeit das
Verfassungsrecht.
IV. Staatssymbole
1. Die Bundesflagge ist schwarz-rot-gold (Art. 22
GG).
2. Das Bundeswappen enthält auf Goldgrund einen
einköpfigen schwarzen Adler, der den Kopf nach rechts gewendet, die Flügel mit
geschlossenem Gefieder offen hat (Beschluss der Bundesregierung, BGBl. 1950,
26).
3. Nationalhymne ist das Deutschlandlied (in seiner
dritten Strophe) (Briefwechsel zwischen Bundeskanzler und Bundespräsidenten vom
29. 4. 1952, 3. 5. 1952, 19. 8. 1991 und 23. 8. 1991).
§ 3 Staatsgrundentscheidungen
Auf die grundlegenden Entscheidungen für die Gestaltung
Deutschlands nach dem Grundgesetz weisen vor allem die Art. 79 III 1 und 20 GG.
Sie enthalten den unverzichtbaren Kernbestand der verfassungsmäßigen Ordnung.
Erfasst werden hiervon außer Menschenwürde, Menschenrechten und ihrer
Unmittelbarkeit als geltendes Recht die Gestaltung des Staates als
demokratische parlamentarische Republik, als Parteiendemokratie, als
Rechtsstaat, als Sozialstaat und als Bundesstaat.
I. Demokratische parlamentarische Republik
1. Die Bundesrepublik Deutschland ist eine Republik. Damit steht sie in Gegensatz
zur Monarchie. Sie darf kein erblich bestimmtes Staatsoberhaupt haben, vielmehr
muss ihr Staatsoberhaupt gewählt sein. Zugleich ist damit die Diktatur
ausgeschlossen.
2. Die Bundesrepublik Deutschland ist nach Art. 20 I GG
ein demokratischer Staat. Alle
Staatsgewalt geht nach Art. 20 II GG vom Volk aus. Jede Ausübung von
Staatsgewalt bedarf demokratischer Legitimation. Sie erfolgt am ehesten durch
regelmäßige Wahlen mit echten Entscheidungsmöglichkeiten.
Dabei müssen alle Bürger das grundsätzlich gleiche Recht
haben, an der Bildung des Staatswillens mitzuwirken. Dem entspricht Art. 38 GG
durch die Gewährung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts. In gleicher Weise
sichert Art. 33 jedem Deutschen die gleichen Rechte und Pflichten sowie nach
seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem
öffentlichen Amt.
Die Bürger
müssen frei ihre Meinung bilden können. Dies setzt unabhängige
Nachrichtenveröffentlichung voraus. Die Veröffentlichungsmittel (Medien) dürfen
nicht staatlich gelenkt sein.
Die Bürger
müssen gleichen Zugang zu Bildung haben, damit sie die
Nachrichtenveröffentlichung verwerten können.
Als Merkmale der
freiheitlichen Demokratie sieht das Bundesverfassungsgericht außer den Menschenrechten
die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Regierungsverantwortlichkeit,
die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der
rechtsprechenden Gewalt, das Mehrparteiensystem und die Chancengleichheit
der Parteien an.
3. Die
Bundesrepublik Deutschland ist ein parlamentarischer
Staat. Eine unmittelbare Demokratie scheidet angesichts der Größe Deutschlands aus.
Die vom Volk ausgehende Staatsgewalt muss jenseits der Wahlen und Abstimmungen
durch besondere Organe ausgeübt werden (Art. 20 II 2 GG), so dass
beispielsweise das Volk nicht aus seiner Mitte heraus einen Gesetzesvorschlag
einbringen kann.
Im
parlamentarischen Staat ist die Regierung vom Vertrauen des Parlaments
abhängig. Sie bedarf dessen bereits bei der Bestellung. Auch in der Folge ist
sie grundsätzlich darauf angewiesen, so dass sie zurücktreten muss, wenn ihr
das Parlament das Misstrauen ausspricht.
Da die Regierung
grundsätzlich von der Parlamentsmehrheit gebildet wird, wird die Kontrolle
hauptsächlich durch die Opposition ausgeübt. Ihre Möglichkeiten sind
beschränkt. Sie muss insbesondere darauf hinwirken, dass bei den nächsten
Wahlen die von ihr vertretene Politik eine Mehrheit findet.
Parteiendemokratie ist die von Parteien bestimmte
Demokratie. in ihr bewerben sich mehrere Parteien um die Möglichkeit der
politischen Gestaltung des Gemeinwesens. Sie wird von den wahlberechtigten
Staatsangehörigen in Wahlen auf Zeit an eine oder mehrere Parteien vergeben.
1. Partei ist die Vereinigung von Menschen
(Bürgern), die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder
eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen und an der
Vertretung des Volkes im Bundestag oder einem Landtag teilnehmen wollen, wenn
sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse eine ausreichende Gewähr
für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten (§ 2 I ParteiG). Die Partei
ist also die Vereinigung mit politischer Zielsetzung. Diese kann im Einzelnen
unterschiedlich sein (z. B. konservativ, liberal, sozial, ökologisch, föderalistisch
usw.).
Keine Partei ist die nur auf gemeindlicher Ebene tätige
Vereinigung. Ihre Stellung als Partei verliert die Vereinigung, die sechs Jahre
nicht an einer Wahl im Bund oder in einem Land mit eigenen Wahlvorschlägen
teilgenommen hat (§ 2 II ParteiG). Aufgabe der Allgemeinheit ist es, zu
verhindern, dass der Staat von den Parteien für ihre Interessen missbraucht
wird.
2. Die Gründung der
Partei ist frei (Art. 21 I 2 GG). Jedermann kann also zusammen mit anderen
eine Partei gründen. Er muss aber die für die Bildung der allgemein für Personenvereinigungen
und der besonders für Parteien einzuhaltenden Rechtssätze beachten.
Möglich ist die Gestaltung als nicht eingetragener Verein
oder als eingetragener Verein. Unabhängig davon können die Partei und ihre
Gebietsverbände der jeweils höchsten Stufe unter ihrem Namen klagen und
verklagt werden (§ 3 ParteiG). Die Partei ist weder Körperschaft des
öffentlichen Rechts noch Verfassungsorgan.
Ihre innere Ordnung muss demokratischen Grundsätzen
entsprechen (Art. 21 I 3 GG). Jede Partei muss eine schriftliche Satzung
und ein schriftliches Programm haben (§ 6 I 1 ParteiG). Mitglieder
können nur Menschen sein (§ 2 I 2 ParteiG).
Mitgliederversammlung und Vorstand sind notwendige Organe
der Partei und ihrer Gebietsverbände (§ 8 I 1 ParteiG).
Finanziert wird die Partei vor allem durch
Mitgliedsbeiträge, Spenden und öffentliche Mittel. Nach § 18 I 1 gewährt der
Staat den Parteien Mittel als Teilfinanzierung der allgemein ihnen nach dem
Grundgesetz obliegenden Tätigkeiten. Ein gesetzlich festzulegender Höchstbetrag
wird nach dem Maßstab des Wahlerfolgs aufgeteilt.
3. Eine Partei, die nach ihren Zielen oder nach dem
Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgeht, die freiheitliche demokratische
Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der
Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, ist verfassungswidrig (Art. 21
II GG). Die Verfassungswidrigkeit muss das Bundesverfassungsgericht
feststellen. Bis zum Zeitpunkt der Feststellung darf die Partei mit allen
allgemein erlaubten Mitteln wirken.
III. Rechtsstaat
Rechtsstaat ist der bewusst auf die Verwirklichung von
Recht ausgerichtete Staat. Verlangt wurde der Rechtsstaat geschichtlich vom
aufgeklärten Bürgertum im Kampf gegen den absoluten Monarchen. Die damalige
förmliche Bindung des staatlichen Handelns an das Gesetz ist inzwischen um die
inhaltliche Bindung an die Gerechtigkeit ergänzt (Art. 20 III GG).
Nach Art. 28 I 1 GG muss die verfassungsmäßige Ordnung in
den Ländern den Grundsätzen des Rechtsstaats im Sinne des Grundgesetzes
entsprechen. Damit ist zwar ein einheitliches Gesamtgefüge gemeint. Sein Inhalt
lässt sich aber am ehesten durch die Erkenntnis der wichtigsten Grundzüge ermitteln.
Zu ihnen zählen Gewaltenteilung, Bindung an die
Verfassung, Bindung an Gesetz und Recht, Rechtssicherheit, Übermaßverbot,
Verhältnismäßigkeit und Gerichtsschutz. Bedeutung haben daneben auch
der Gleichheitssatz, der Grundsatz des rechtlichen Gehörs, das hergebrachte
Berufsbeamtentum, die Wahrung festgelegter Förmlichkeiten, der Schutz von
Vertrauen oder die Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung. Entscheidend ist
jeweils die Ausrichtung auf die Verwirklichung von Recht im Gegensatz zu
Unrecht.
1. Gewaltenteilung
Die Staatsgewalt wird durch besondere Organe der
gesetzgebenden Gewalt (Gesetzgebung, Legislative), der vollziehenden Gewalt
(ausführende Gewalt, Vollziehung, Exekutive) und der rechtsprechenden Gewalt
(Rechtsprechung) ausgeübt. Dadurch, dass einzelne Bereiche der Staatstätigkeit
unterschieden werden, soll die Staatsgewalt insgesamt beschränkt werden.
Dadurch wird die Freiheit der Staatsangehörigen geschützt.
Eine vollständige Trennung ist nur schwer zu
verwirklichen. Deswegen ist die ausführende Gewalt nicht völlig unabhängig von
der gesetzgebenden Gewalt, sondern bedarf des Vertrauens des Parlaments.
Umgekehrt darf auch die ausführende Gewalt trotz der grundsätzlichen
Zuständigkeit des Gesetzgebers mit Hilfe der Verordnung Recht setzen.
Ergänzend ist zu beachten, dass derselbe Mensch
grundsätzlich nicht Ämter aus unterschiedlichen Teilen der Gewalt in sich
vereinigen darf.
2. Bindung an die Verfassung
Die Staatsgewalt ist an die verfassungsmäßige Ordnung
gebunden. Dies hebt Art. 20 III GG für die Gesetzgebung besonders hervor. Für
die Grundrechte bringt dies Art. 1 III GG hinsichtlich der Gesetzgebung, der
vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung zum Ausdruck.
3. Bindung an Gesetz und Recht
Nach Art. 20 III GG sind die vollziehende Gewalt und die rechtsprechende
Gewalt (Rechtsprechung) an Gesetz und Recht gebunden.
a) Vorbehalt des Gesetzes
Seit der Aufklärung wird für Eingriffe des Staates in die
Freiheit und das Eigentum des Einzelnen ein Gesetz als Grundlage gefordert. Das
Bundesverfassungsgericht verlangt darüber hinaus, dass der Gesetzgeber alle
wesentlichen Entscheidungen durch förmliches Gesetz trifft. Allerdings darf
dadurch der ausführenden Gewalt nicht jeglicher Spielraum genommen werden.
b) Vorrang des Gesetzes
Das Gesetz hat Vorrang gegenüber anderen staatlichen
Willensäußerungen. Deswegen dürfen Willensäußerungen der vollziehenden Gewalt
und der rechtsprechenden Gewalt nicht gegen das Gesetz verstoßen. Andernfalls
sind sie rechtswidrig (z. B. belastende Verwaltungsakte ohne Ermächtigung durch
gesetztes Recht).
c) Gesetz und Recht
Gesetz sind dabei die gesetzten Rechtssätze, also (außer
dem formellen Gesetz) auch die auf gesetzlichen Ermächtigungen beruhenden
Rechtsverordnungen und Satzungen (Gesetze im materiellen Sinn). Recht
umfasst demgegenüber außerdem die von der allgemeinen Rechtsüberzeugung
getragenen Sätze des Gewohnheitsrechts und die allgemeinen Grundsätze der
Gerechtigkeit. Sie dürfen auch durch die rechtsprechende Gewalt in einem
Vorgang wertender Erkenntnis ans Licht gebracht werden (Richterrecht).
4. Rechtssicherheit
Im Rechtsstaat muss der Betroffene die Rechtslage erkennen
können, so dass er sein Verhalten danach ausrichten kann. Eingriffe des Staates
müssen voraussehbar und berechenbar sein. Sie müssen nachgeprüft werden können.
Das schließt die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe
durch den Gesetzgeber nicht aus. Der Gesetzgeber darf der ausführenden Gewalt
auch Ermessen einräumen. Je tiefgreifender jedoch der mögliche Eingriff
ist, desto bestimmter muss die Eingriffsermächtigung gestaltet sein.
Ausgeschlossen ist ein strafbegründendes oder
strafverschärfendes Gesetz für die Vergangenheit (Rückwirkungsverbot).
Abgeschlossene, der Vergangenheit angehörige Tatbestände dürfen allgemein
grundsätzlich nicht nachträglich mit einer stärkeren Belastung belegt werden
(z. B. neue Steuer für einen vergangenen Vorgang, echte Rückwirkung). Die
Entwertung einer in der Vergangenheit geschaffenen Rechtslage für die Zukunft
(sog. unechte Rückwirkung) ist nur dann zulässig, wenn den Vertrauensschutz
überwiegende Gründe gegeben sind.
5. Übermaßverbot
Der Eingriff des Staates in die Rechte des Einzelnen ist
möglichst schonend zu gestalten. Stehen mehrere Möglichkeiten zur Wahl, so ist
die den Einzelnen am wenigsten belastendste zu wählen.
6. Verhältnismäßigkeit
Zwischen dem Eingriff in die Rechte des Einzelnen und dem
Nutzen für die Allgemeinheit muss ein angemessenes Verhältnis bestehen. Der
Nutzen muss den Nachteil überwiegen. Ist dies nicht der Fall, muss der Eingriff
unterbleiben (z. B. Sicherstellung eines stark beschädigten, gestohlenen
Kraftfahrzeugs, dessen Restwert nur so gering ist wie das Doppelte der
Abschleppkosten).
7. Gerichtsschutz
Nach Art. 19 IV GG steht dem, der durch die öffentliche
Gewalt als solche in seinen Rechten verletzt wird, der Rechtsweg offen (beachte
Art. 19 IV 3 GG für die Überwachung des Briefverkehrs, Fernsprechverkehrs und
Fernschreibverkehrs aus Gründen des Staatsschutzes). Dies betrifft die
Verletzung durch die ausführende Gewalt, nicht auch durch die Rechtsprechung
und die Gesetzgebung (fraglich z. B. für eine Satzung). Verletzt sein muss ein
Recht.
Der Zugang zur Gerichtsbarkeit muss dabei angemessen
einfach sein. Der Rechtsschutz muss innerhalb angemessener Zeit gewährt werden.
Die Nachprüfung muss in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vollständig sein
können. Das Verfahren muss nach festen Grundregeln gestaltet sein, vor einem
feststehenden und unabhängigen Richter (Art. 101 I, 97 I GG) stattfinden und
die Grundrechte gewährleisten. Eine Entscheidung ist grundsätzlich mit einer
Begründung zu versehen.
Art. 19 IV 2 GG eröffnet, soweit eine andere Zuständigkeit
nicht begründet ist, den Rechtsweg zur ordentlichen Gerichtsbarkeit.
Tatsächlich gewährt aber bereits § 40 VwGO den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten
grundsätzlich für alle öffentlichrechtlichen Streitigkeiten
nichtverfassungsrechtlicher Art. Insofern ist Art. 19 IV 2 GG ohne große
tatsächliche Bedeutung.
IV. Sozialstaat
Sozialstaat ist der Staat, der eine Mitverantwortung für
den Ausgleich sozialer Gegensätze innerhalb des Staatsvolks übernimmt. Nach
Art. 20 I GG ist die Bundesrepublik Deutschland ein sozialer Staat. Nach Art.
28 I 1 GG muss die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern den Grundsätzen des
sozialen Rechtsstaats im Sinne des Grundgesetzes entsprechen.
1. Aufgabe des Staates ist es damit, die Schwachen zu
Lasten der Starken angemessen zu unterstützen und die Starken zu Gunsten der
Schwachen angemessen einzuschränken. Dies legt eine verhältnismäßige Umverteilung
in Richtung auf gleichmäßige Förderung und gleichmäßige Auslastung nahe. Zu ihr
ist in erster Linie der Gesetzgeber berufen.
2. Darüber hinaus ist es Aufgabe des Staates, das
allgemeine Wohl zu fördern. Zu diesem Zweck muss er Daseinsvorsorge
betreiben. Dazu gehört die Bereitstellung von Wasser, Strom, Entsorgung,
Verkehrsmitteln, Unterrichtungsmitteln, Versicherungsmitteln und vielem Anderem
mehr, wobei der Staat die Leistungen entweder selbst anbieten oder durch
Unternehmer anbieten lassen kann.
3. Ein einklagbarer Anspruch auf eine einzelne Maßnahme
lässt sich dem Sozialstaatsgrundsatz wegen seiner verhältnismäßigen
Unbestimmtheit grundsätzlich nicht entnehmen. Immerhin beruht aber die
Inangriffnahme eines umfassenden Sozialgesetzbuchs am ehesten auf dem
Sozialstaatsgrundssatz. Gefördert wird die Sozialstaatlichkeit auch durch die
Europäische Gemeinschaft (Europäische Sozialcharta vom 18. 10. 1961).
V. Bundesstaat
Bundesstaat ist der durch Staaten unter Aufgabe ihrer
bisherigen Souveränität gebildete Staat, der in Gegensatz zum bloßen
Staatenbund (z. B. Gemeinschaft unabhängiger Staaten) und zum gänzlichen
Einheitsstaat (z. B. Frankreich, Italien, Schweden) steht. Bundesstaaten sind
beispielsweise die Vereinigten Staaten von Amerika, die Schweiz oder
Österreich. Deutschland ist gemäß Art. 20 I GG ein Bundesstaat, in dem eine
Änderung, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche
Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung und der Grundsatz der Gestaltung
Deutschlands als Bundesstaat berührt werden, selbst im Wege der
Verfassungsänderung unzulässig ist (Art. 79 III GG).
1. Staatlichkeit
Im Bundesstaat verlieren die bisher souveränen Staaten
zwar mit der Bildung des Bundesstaats ihre Souveränität, nicht aber ihre
Staatlichkeit. Sie sind Träger einer eigenen Staatlichkeit. Diese ist
allerdings durch die Verfassung begrenzt.
2. Bundestreue
Für das Verhältnis des Staates zu seinen Gliedstaaten gilt
der Grundsatz der Bundestreue. Bund und Glieder sind einander zu
bundesfreundlichem Verhalten verpflichtet. Im Streitfall muss das
Bundesverfassungsgericht entscheiden, ob ein Teil die Verpflichtung zum
bundesfreundlichen Verhalten verletzt hat (Art. 93 I Nr. 3 GG).
3. Zuständigkeitsverteilung
Im Bundesstaat üben Bund und Gliedstaaten Staatsgewalt
aus. Es gibt dementsprechend Bundesorgane und Landesorgane. Ihre durch die
Verfassung aufgeteilten Zuständigkeiten ergänzen sich grundsätzlich lückenlos,
mag im Einzelfall auch Streit darüber entstehen, wer die Zuständigkeit hat. Da
die Verfassung nicht abschließend ist, besteht ein Handlungsspielraum zum
Beispiel für gemeinsame Beschlüsse von Ländern, für Abkommen zwischen Ländern,
für Gemeinschaftsreinrichtungen oder für Gemeinschaftsaufgaben.
a) Grundsatz der Landeszuständigkeit
Nach Art. 30 GG ist als Folge der 1648 im Heiligen
Römischen Reich vorbereiteten, 1806 bei dessen Auflösung erreichten, 1866 nach
Scheitern des Deutschen Bundes gestärkten und erst 1871 aufgegebenen
Souveränität der deutschen Staaten (Länder) die Ausübung der staatlichen
Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben Sache der Länder. Nach
Art. 70 I GG haben die Länder das Recht der Gesetzgebung. Demnach gilt der
Grundsatz der Landeszuständigkeit.
b) Einschränkungen
Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muss
den vom Grundgesetz vorgegebenen Grundsätzen entsprechen (Art. 28 I 1 GG, vgl.
auch die Art. 21, 28 II, 33 I, II, IV, V GG). Die Ausübung der staatlichen
Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgabe ist Sache der Länder nur,
soweit das Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt (Art. 30 GG).
Bundesrecht bricht Landesrecht (Art. 31 GG). Die Pflege der Beziehungen zu
auswärtigen Staaten ist Sache des Bundes (Art. 32 I GG, beachte Art. 32 II, III
GG). Wenn ein Land die ihm nach dem Grundgesetz oder einem anderen Bundesgestz
obliegenden Bundespflichten nicht erfüllt, kann die Bundesregierung (mit
Zustimmung des Bundesrats) die notwendigen Maßnahmen treffen, um das Land im
Wege des Bundeszwanges zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten (Art. 37 GG).
Die Länder haben das Recht zur Gesetzgebung nur, soweit das Grundgesetz nicht
dem Bund Gesetzgebungsbefugnisse verleiht.
c) Wirklichkeit
Der Schwerpunkt der vollziehenden Gewalt und das
zahlenmäßig größere Gewicht der rechtsprechenden Gewalt liegen bei den Ländern,
die schon vor der Bildung des Bundesstaats (1871) umfangreiche
Verwaltungstätigkeiten und Rechtsprechungstätigkeiten ausgeführt hatten. Der
Schwerpunkt der Gesetzgebung liegt beim Bund, der durch umfangreichen Gebrauch
seiner Zuständigkeitsmöglichkeiten die Zuständigkeit der Länder sehr eingeengt
hat. Entwicklungsgeschichtlich ist die Zuständigkeit des Bundes erweitert, die
der Länder verringert worden.
§ 4 Grundrechte
Im Zuge der Aufklärung verstärkte sich der Gedanke, dass
dem Menschen Rechte zustehen, die der durch den absolut herrschenden Monarchen
verkörperte Staat nicht verletzen darf. Dazu zählte man vor allem das Recht auf
Leben, die Freiheit insbesondere in der Form der Glaubensfreiheit und der
Pressefreiheit und das Eigentum. 1776 wurden diese grundlegenden Rechte in
Virginia erstmals in einer Bill of Rights (Virginia Bill of Rights, nach allgemeiner wissenschaftlicher
Konvention erste formelle Verfassung) verkündet.
Dem folgten nach vielem Anderem die (völkerrechtlich nicht
bindende Empfehlung) Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten
Nationen vom 10. 12. 1948, das erstmals das Recht auf körperliche
Unversehrtheit, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, das
Kriegsdienstverweigerungsrecht, das Selbstinformationsrecht, das Asylrecht und
den Schutz vor Staatenlosigkeit aufnehmende Grundgesetz Deutschlands,
die von zunächst 13 Staaten geschlossene, 1952 deutsches Recht im Rang eines
Bundesgesetzes gewordene Europäische Konvention zum Schutze der
Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. 11. 1950 (mit Europäischem
Gerichtshof für Menschenrechte), das von den Vereinten Nationen angeregte
Internationale Übereinkommen gegen Rassendiskriminierung vom 7. 3. 1966, der
Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. 12. 1966
(mit der Möglichkeit einer Staatenbeschwerde und einer Einzelbeschwerde) und
der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom
19. 12. 1966.
I. Wesen
Grundrecht ist das dem Einzelnen zustehende
grundlegende Recht. Im Grundgesetz sind die Grundrechte in einem besonderen
Abschnitt in den Artikeln 1 bis 19 GG zusammengefasst. In anderen Artikeln der
Verfassung gewährte grundlegende Rechte sind demgegenüber Grundrechte im
weiteren Sinn oder sonstige verfassungsmäßige Rechte.
Zu ihnen gehören die Gleichheit der staatsbürgerlichen
Rechte und Pflichten aller Deutschen (Art. 33 I GG), der gleiche Zugang aller
Deutschen zu jedem öffentlichen Amt (Art. 33 II GG), die Unabhängigkeit von
Rechten von dem religiösen Bekenntnis (Art. 33 III GG), die Unabhängigkeit der
Abgeordneten (Art. 38 I 2 GG), das Wahlrecht (Art. 38 II GG), die Indemnität
der Abgeordneten bezüglich der Abstimmung oder der Äußerung im Bundestag (Art.
46 I GG), die Immunität der Abgeordneten bezüglich einer mit Strafe bedrohten
Handlung (Art. 46 IIff. GG), das Zeugnisverweigerungsrecht der Abgeordneten
(Art. 47 GG), die Ansprüche der Abgeordneten etwa auf Wahlvorbereitungsurlaub,
auf Unkündbarkeit oder auf angemessene Entschädigung (Art. 48 GG), die
Unabhängigkeit der Richter (Art. 97 I GG), das Recht auf den gesetzlichen
Richter (Art. 101 I GG), der Ausschluss der Todesstrafe (Art. 102 GG), der
Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 I GG), das Verbot rückwirkender
Strafbarkeit eines Verhaltens (Art. 103 II GG), das Verbot mehrmaliger
Bestrafung wegen derselben Tat (Art. 103 III GG), die richterliche
Entscheidungszuständigkeit für eine Freiheitsentziehung (Art. 104 II GG) und
die Vorführung des wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung vorläufig
Festgenommenen vor den Richter spätestens am Tag nach der Festnahme (Art. 104
III GG). Die Grundrechte im weiteren Sinn können Grundlage einer
Verfassungsbeschwerde nur sein, soweit sie Art. 93 I Nr. 4a GG besonders nennt
(Art. 33, 38, 101, 103, 104 GG). Die für Grundrechte im engeren Sinn in Art. 19
GG gegebenen Bestimmungen (Einschränkung nur durch allgemeines Gesetz, Angabe
des Artikels, Wesensgehaltsgarantie, Geltung für inländische juristische
Personen, Rechtsweggarantie) sollten auch für Grundrechte im weiteren Sinn
gelten (str.).
Neben den durch die Bundesverfassung gewährten
Grundrechten bleiben nach Art. 142 GG ungeachtet des durch Art. 31 GG
festgesetzten Vorrangs des Bundesrechts vor Landesrecht Bestimmungen der Landesverfassungen
auch insoweit in Kraft, wie sie in Übereinstimmung mit den Artikeln 1 bis 18
des Grundgesetzes Grundrechte gewährleisten. Macht ein Kläger die Verletzung
eines Rechtes geltend, das mit gleichem Inhalt in einer Landesverfassung und im
Grundgesetz enthalten ist (z. B. Recht auf rechtliches Gehör), so kann auch das
Landesverfassungsgericht eine Entscheidung aufheben, der gegenüber die
fehlerhafte Anwendung von Bundesrecht geltend gemacht wird. Ist die Verletzung
eines Grundrechts durch eine Landesbehörde (z. B. Landesgericht) unter Berufung
auf gleichlautende Grundrechte der Bundesverfassung und der Landesverfassung
vor dem Bundesverfassungsgericht und vor dem Landesverfassungsgericht
behauptet, ist zur Vermeidung abweichender Entscheidungen das
Bundesverfassungsgericht in erster Linie zur Entscheidung berufen.
II. Arten
Die Grundrechte lassen sich einteilen etwa in Menschenrechte
und in Bürgerrechte, in Freiheitsrechte und in Gleichheitsrechte
oder in Abwehrrechte (z. B. Leben, Unversehrtheit, Freiheit,
Unverletzlichkeit der Wohnung, Eigentum) und in Teilhaberechte (z. B.
Wahlrecht, Vereinsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit,
Gewissensfreiheit). Immer bedeutsamer wird dabei die Vorstellung der Teilhabe
an staatlichen Leistungen (z. B. Bildungsleistungen). Einzelansprüche gegen den
Staat auf eine Leistung lassen sich hieraus aber nur ausnahmsweise herleiten.
In einzelnen Bestimmungen gewährt die Verfassung dem
Einzelnen ein subjektives Recht (z. B. Unverletzlichkeit der Wohnung).
In anderen Sätzen sichert sie den Bestand einer Institution
(Einrichtung, Element, Struktur) wie der kommunalen Selbstverwaltung, des
Privatschulwesens, des Vereinswesens, der Wissenschaft, der Medien, des
Eigentums, der Ehe, des Berufsbeamtentums oder des Feiertags in seiner
hergebrachten Ausgestaltung (institutionelle Garantie,
Institutsgarantie). In dritten Elementen trifft sie allgemeine, als Staatsziel
anzusehende Wertentscheidungen wie z. B. die Achtung der Menschenwürde, die
Gewährleistung des Lebens, der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, der
Rechtsstaatlichkeit, der Sozialstaatlichkeit oder der Gerechtigkeit. Vielfach
hängen dabei Wertentscheidung, Bestandsgarantie und subjektives Recht
unauflöslich zusammen.
III. Entstehung
Die Grundrechte
gibt es allgemein seit ihrer Anerkennung im Zuge der Aufklärung und im Einzelfall
bei Vorliegen der für sie erforderlichen Voraussetzungen. Sie bestehen
gegenüber Betroffenen. Ihr Träger sind die Berechtigten.
1. Betroffener
Die Grundrechte beachten muss in erster Linie der Träger
hoheitlicher Gewalt bei Ausübung gesetzgebender Gewalt, vollziehender Gewalt
und rechtsprechender Gewalt (Art. 1 III GG). Dies gilt auch, wenn eine
staatliche Aufgabe in privatrechtlicher Form erfüllt wird (z. B.. Daseinsvorsorge
im Bereich von Wasser, Gas, Elektrizität oder Verkehr). Beschafft sich der
Staat Güter auf dem Markt oder bietet er solche wie ein anderer Unternehmer an,
muss er die Grundrechte zumindest dort einhalten, wo er eine marktbeherrschende
Stellung hat.
Im Verhältnis der Einzelnen zueinander reicht die Wirkung
der Grundrechte weniger weit. Der Menschenwürde und dem
Gleichbehandlungsgrundsatz kann im Einzelfall unmittelbare Drittwirkung
zukommen. Im übrigen muss es genügen, dass sich der Gehalt der Grundrechte
mittelbar durch die vom Gesetzgeber in Verwirklichung der Grundrechtsvorstellungen
geschaffenen Einzelvorschriften (z. B. der zum Schutz der Freiheit oder
Gesundheit erlassenen Gesetze), insbesondere der Generalklauseln, entfaltet,
weshalb es auch eine Verfassungsbeschwerde wegen einer Grundrechtsverletzung
durch einen Einzelnen gemäß Art. 93 I Nr. 4a, § 90 BVerfGG nicht gibt.
2. Berechtigter
Die meisten Grundrechte stehen ausdrücklich oder von ihrem
Sinn her (Art. 3 III, Art. 4, Art. 10, Art. 12 II, III GG) jedem,
jedermann, den Menschen oder allen Menschen zu und sind deswegen Menschenrechte.
Andere gelten ausdrücklich nur für die Deutschen (Art. 8 I GG
Versammlungsfreiheit, Art. 9 I GG Vereinigungsfreiheit, Art. 11 I GG
Freizügigkeit, Art. 12 I GG Berufsfreiheit) und sind deswegen Bürgerrechte.
Erfasst wird der Mensch zwischen Geburt und Tod, allerdings in manchen Fällen
erst ab Erreichung eines gewissen Lebensalters (z. B. religiöses
Selbstbestimmungsrecht, Recht auf Eingehung einer Ehe, zu beachten ist daneben
auch die Frage der selbständigen Geltendmachung des Rechts).
Nach Art. 19 III GG gelten die Grundrechte auch für
inländische, d. h. ihren Sitz im Inland habende juristische Personen,
soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Nicht erfasst sind also
ausländische juristische Personen und nicht rechtsfähige Personen. Außerdem
können juristische Personen auch nicht
die ihrem Wesen nach nicht auf juristische Personen anwendbaren Grundrechte
oder Grundrechtsmerkmale (z. B. Menschenwürde, Leben, Unversehrtheit, Freiheit,
Kriegsdienstverweigerung, Ehe, Erbrecht, Asylrecht, Staatsangehörigkeit,
Geschlecht, Abstammung oder Rasse) einfordern.
In Abweichung von diesen Grundsätzen können sich nicht
rechtsfähige Gesellschaften des Handelsrechts auf das Grundrecht der
allgemeinen Handlungsfreiheit oder auf den Schutz des Eigentums berufen, nicht
rechtsfähige politische Parteien auf den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 I
GG), vereinsmäßig organisierte, nicht rechtsfähige religiöse Vereinigungen
auf das Recht auf ungestörte Religionsausübung (Art. 4 II GG) und nicht
rechtsfähige politische und wirtschaftliche Vereinigungen auf die
Vereinigungsfreiheit (Art. 9 GG).
Nicht auf Grundrechte stützen können sich grundsätzlich
Staat, andere juristische Personen des öffentlichen Rechts oder vom Staat
beliehene private Unternehmer (z. B. Technischer Überwachungsverein). Ausnahmen
hiervon gelten aber z. B. für öffentlichrechtliche Rundfunkanstalten
hinsichtlich der Meinungsfreiheit, für wissenschaftliche Hochschulen
hinsichtlich der Freiheit von Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre sowie
für die als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannten Religionsgemeinschaften.
Die rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätze sind auch auf ausländische
juristische Personen und juristische Personen des öffentlichen Rechts
anzuwenden.
IV. Inhalt
Der Inhalt jedes Grundrechts ist durch Auslegung zu
ermitteln. Dabei ist davon auszugehen, dass jede Freiheit durch selbstverständliche
Schranken eingegrenzt ist, ohne dass hierdurch Menschenwürde,
Verhältnismäßigkeit oder Übermaßverbot verletzt werden. Dementsprechend
schränkt ein Gesetzgeber, der diese ohnehin bestehenden Schranken in
Gesetzesform aufdeckt, das Grundrecht nicht ein, so dass die besonderen Regeln
des Art. 19 I, II GG (allgemeines Gesetz, Zitiergebot, Wesensgehaltsgarantie)
dafür nicht gelten.
Daneben kann die Verfassung die Festlegung des Inhalts und
der Schranken eines Grundrechts ausdrücklich dem Gesetzgeber überlassen. Dann
schafft sie einen Vorbehalt gesetzlicher Verfügung über den Umfang des
Grundrechts. Danach besteht das Grundrecht ausdrücklich nur unter Vorbehalt.
Ein derartiger Vorbehalt kann in positiver Form als Recht
zur Ausgestaltung erfolgen wie etwa in Art. 14 I 2 GG, wo es heißt, dass Inhalt
und Schranken des Eigentums und des Erbrechts durch die Gesetze bestimmt werden
(Ausgestaltungsvorbehalt), oder in negativer Form als Befugnis zur
Einschränkung wie beispielsweise in Art. 11 II GG, wo festgelegt wird, dass die
Freizügigkeit nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes und sogar nur für
besonders genannte Fälle eingeschränkt werden darf (Einschränkungsvorbehalt,
vgl. weiter Art. 2 I GG Persönlichkeitsentfaltung, 2 II 3 GG Leben,
Unversehrtheit, Freiheit, 8 II GG Versammlungsfreiheit, 10 GG Briefgeheimnis,
13 II, III GG Unverletzlichkeit der Wohnung). In all diesen Fällen muss das Gesetz
allgemein sein und darf nicht nur für einen Einzelfall gelten. Das
einschränkende (, nach Entstehung der Verfassung erlassene sog.
nachkonstitutionelle) Gesetz muss das eingeschränkte Grundrecht unter Angabe
des Artikels nennen und darf den Wesensgehalt des Grundrechts
nicht antasten (Art. 19 I, II GG).
Worin der Wesensgehalt eines Grundrechts besteht, muss für
jedes Grundrecht besonders ermittelt werden. Stets wird ein Mindestgehalt
gewahrt bleiben müssen. Niemals darf die Einschränkung stärker sein, als ein
höheres Interesse dies erfordert.
Nicht einmal durch Verfassungsänderung einschränkbar
sind nach Art. 79 III GG beispielsweise die Menschenrechte als Grundlage jeder
menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt (Art.
1 II GG), die Menschenwürde, das Demokratieprinzip, das Bundesstaatsprinzip,
das Sozialstaatsprinzip oder die Bindungskraft der Grundrechte gegenüber
gesetzgebender Gewalt, vollziehender Gewalt und rechtsprechender Gewalt als
unmittelbar geltendes Recht.
Geschützt werden die Grundrechte in Einzelheiten dadurch,
dass der Gesetzgeber entsprechende Gesetze schafft. Hinzu kommt, dass die
Gerichte in jedem Verfahren die Grundrechte beachten müssen. Allgemein dient schließlich
dem Schutz der Grundrechte des Grundgesetzes die Verfassungsbeschwerde zum
Bundesverfassungsgericht, die gemäß Art. 93 I Nr. 4a GG auch für einige
sonstige verfassungsmäßige Rechte eröffnet ist.
V. Beendigung
Grundsätzlich
enden alle Grundrechte mit dem Ende des Berechtigten.
Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die
Pressefreiheit (Art. 5 I GG), die Lehrfreiheit (Art. 5 III GG), die
Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG), die Vereinigungsfreiheit (Art. 9 GG), das
Briefgeheimnis, Postgeheimnis und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG), das Eigentum
(Art. 14 GG) oder das Asylrecht (Art. 16a GG) zum Kampf gegen die freiheitliche
demokratische Grundordnung missbraucht, verwirkt diese Grundrechte (Art.
18 S. 1 GG). Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht
ausgesprochen (Art. 18 S. 2 GG), wobei die Gefährdung noch im Zeitpunkt der
Entscheidung bestehen muss. Von der Entscheidung an kann sich der Betroffene
für die festgelegte Zeit nicht mehr auf die verwirkten Grundrechte berufen und
darf der Staat (nur) sie ihm gegenüber außer Betracht lassen.
Freiwillig kann der Einzelne grundsätzlich in freier
Entscheidung darauf verzichten, seine Grundrechte geltend zu machen. Insofern
hat die Willensfreiheit den höheren Rang. Seine Menschenwürde kann er nicht
aufgeben.
In Sonderrechtsverhältnissen wie im
Beamtenverhältnis, im Wehrdienst, in der Strafhaft oder in Schule und
Universität bleiben die Grundrechte grundsätzlich bestehen. Allerdings können
ihnen innewohnende Schranken oder ein Gesetzesvorbehalt oder sogar ein
Verfassungsvorbehalt (vgl. Art. 12 III GG Zwangsarbeit bei gerichtlich
angeordneter Freiheitsentziehung) vorhanden sein. Dementsprechend sind etwa
Beamte zur Zurückhaltung bei politischer Betätigung verpflichtet.
VI. Einzelne Grundrechte
1. Menschenwürde (Art. 1 GG)
Menschenwürde ist die dem Menschen um seiner selbst willen
zukommende Würde. Sie stellt den Menschen in die Mitte des Rechts. Sie ist unantastbar
(Art. 1 I 1 GG), unverzichtbar und unverwirkbar. Sie wird mittelbar
gekennzeichnet durch die einzelnen Freiheitsrechte und den Gleichheitssatz. Im
übrigen muss ihre Bedeutung im Einzelfall ermittelt werden.
Sie schließt eine unmenschliche Behandlung jedes Menschen
aus, weshalb bei der Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe die
Entwicklung der Täterpersönlichkeit berücksichtigt werden muss. Sie verbietet
die erniedrigende Behandlung jedes Menschen, so dass niemand böswillig
verächtlich gemacht werden darf. Sie macht den Menschen zum Subjekt, womit
seine bloße Behandlung als Objekt verhindert wird.
Sie sichert jedem Menschen ein Recht, seine eigenen
Angelegenheiten selbst zu gestalten. Deswegen darf er selbst entscheiden, ob er
heiratet oder nicht, ob er persönliche Daten preisgibt oder nicht oder wie er
sich in der Öffentlichkeit darstellen will. Sie schützt ihn vor heimlichen
Tonbandaufnahmen oder heimlichen Fotoaufnahmen.
Der Staat muss sie achten, darf sie also nicht
beeinträchtigen. Außerdem muss er sie schützen. Dementsprechend muss er auch
Angriffe anderer abwehren (Art. 1 I 2 GG).
Im Verhältnis zu den anderen einzelnen Grundrechten ist
die Menschenwürde ein allgemeiner Auffangtatbestand für alle
Beeinträchtigungen, die nicht von den besonderen Grundrechtstatbeständen
erfasst werden.
2. Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit
(Art. 2 I GG)
Jeder hat grundsätzlich das Recht auf freie Entfaltung
seiner Persönlichkeit. Er darf also selbst entscheiden, was er tun und was er
lassen möchte und ist geistig wie körperlich, künstlerisch wie wirtschaftlich frei.
Er hat ein allgemeines Persönlichkeitsrecht.
Im Verhältnis zu besonderen Freiheitsrechten (z. B.
Glaubensfreiheit, Meinungsfreiheit, Wissenschaftsfreiheit, Berufsfreiheit) geht
das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit im Sinne einer allgemeinen
Handlungsfreiheit als allgemeines Recht nach. Nur dort, wo nicht bereits
eine besonderes Freiheitsrecht eingreift, kommt Art. 2 I GG in Betracht. Die
allgemeine Handlungsfreiheit ist gegenüber der besonderen Einzelfreiheit
subsidiär.
Schranken der freien Entfaltung der Persönlichkeit sind
die Rechte anderer, die verfassungsmäßige Ordnung und das Sittengesetz.
Die verfassungsmäßige Ordnung ist die Gesamtheit
der der Verfassung gemäßen Rechtssätze. Der Verfassung gemäß ist dabei eine
Einschränkung nur, wenn sie den Wesensgehalt der Handlungsfreiheit berücksichtigt
(Intimsphäre, Eigenständigkeit, Selbstverantwortlichkeit) und die
Handlungsfreiheit so weit wie möglich anerkennt. Ob ein die Handlungsfreiheit
beschränkendes Gesetz verfassungsgemäß ist, lässt sich jeweils (letztlich nur) durch
Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht klären.
Die Rechte anderer haben daneben keine eigene
Bedeutung mehr, weil sie nur soweit bestehen, wie sie die verfassungsmäßige
Ordnung begründet.
Sittengesetz ist die Gesamtheit der im Gewissen der
Bürger begründeten mehrheitlich anerkannten sozialethischen (sittlichen)
Vorstellungen.
3. Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit
(Art. 2 II 1 GG)
Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche
Unversehrtheit. Dementsprechend ist nach Art. 102 GG die Todesstrafe abgeschafft.
Rechtmäßig ist die Tötung eines anderen in Notwehr oder Nothilfe (z. B. durch
einen gezielten Todesschuss des Polizisten).
Streitig ist, ob der Mensch sich selbst töten darf.
Immerhin darf er, solange er zur freien Entscheidung fähig ist, ärztliche
Behandlung ablehnen. Der Arzt darf eine menschenunwürdige Lebensverlängerung
abbrechen, wenn er nicht einen gegenteiligen Willen des Betroffenen annehmen
muss.
Streitig ist auch, ab wann der werdende Mensch bereits
Mensch (im Sinne der Grundrechte) ist.
Körperliche Unversehrtheit ist das Fehlen versehrender
Eingriffe in den Körper des Menschen. Versehrt wird der Mensch beispielsweise
durch eine Züchtigungshandlung, durch ungewollte künstliche Ernährung, durch
Verabreichung einer Droge, durch übermäßigen Fluglärm oder durch Abschneiden
von Haaren. Sofern der Eingriff gerechtfertigt ist (z. B. durch Gesetz,
sonstige Schutzpflicht oder Einwilligung), ist das Grundrecht nicht verletzt.
In das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit darf
nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden (Art. 2 II 3 GG).
4. Freiheit der Person (Art. 2 II 2 GG)
Die Freiheit der Person ist unverletzlich. Freiheit in
diesem Sinn ist die Freiheit, sich uneingeschränkt körperlich zu bewegen.
Diese Freiheit ist beispielsweise nicht verfassungswidrig verletzt, wenn der
Staat an der Staatsgrenze Hindernisse gegen das Überschreiten einrichtet.
In die Freiheit darf nur auf Grund eines Gesetzes
eingegriffen werden (Art. 2 II 3 GG), wobei niemals ihr Wesensgehalt
angetastet werden darf. In Ergänzung hierzu bestimmt Art. 104 I GG, dass die
Freiheit der Person nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur
unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden darf. Das
formelle Gesetz muss zumindest den Grund der Freiheitsbeschränkung und die Art
und das Maß der Freiheitsbeschränkung im Wesentlichen bestimmen.
Entzogen werden durch Festhalten an einem eng begrenzten
Ort (z. B. Gebäude) darf die Freiheit nach Art. 104 II 1 GG nur durch den Richter
(Strafrichter, Richter am Amtsgericht), der über Zulässigkeit und Fortdauer der
Entziehung entscheiden muss. Beruht die Freiheitsentziehung nicht bereits auf
einer Anordnung des Richters, ist unverzüglich nach der Entziehung eine
richterliche Entscheidung herbeizuführen (Art. 104 II 2 GG). Die Polizei darf
aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tags
(evtl. des vierten Tags im Verteidigungsfall, vgl. Art. 115c II Nr. 2 GG) nach
dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten (Art. 104 II 3 GG).
Wird ein Mensch wegen des Verdachts einer strafbaren
Handlung vorläufig festgenommen, so ist er spätestens am Tag (evtl. am vierten
Tag im Verteidigungsfall, vgl. Art. 115c II Nr. 2 GG) nach der Festnahme dem
Richter vorzuführen. Dieser muss ihm die Gründe der Festnahme mitteilen, ihn
vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen sowie unverzüglich entweder einen
mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl erlassen oder die Freilassung
anordnen (Art. 104 III GG). Von jeder richterlichen Entscheidung über die
Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein
Angehöriger oder eine Person des Vertrauens des Festgehaltenen zu
benachrichtigen (Art. 104 IV GG).
5. Glaubensfreiheit, Gewissensfreiheit,
Bekenntnisfreiheit (Art. 4 I GG)
Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit
des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
Glaube ist die Gesamtheit der Überzeugungen des
einzelnen Menschen von der Stellung des Menschen in der Welt und seiner
Beziehung zu höheren Mächten und tieferen Seinsschichten. Gewissen ist
die Gesamtheit der Überzeugungen des einzelnen Menschen vom sittlich gesollten
Verhalten. Bekenntnis ist die Kundgabe des Glaubens und Gewissens.
Der Staat darf einen Glauben oder eine Weltanschauung
weder verbieten noch gebieten. Er muss den Einzelnen hinsichtlich des Glaubens
sichern und schützen. Er darf den Genuss bürgerlicher und staatsbürgerlicher
Rechte, die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sowie die im öffentlichen Dienst
erworbenen Rechte nicht von einem religiösen Bekenntnis abhängig machen (Art.
33 III 1 GG).
Niemandem darf aus seiner Zugehörigkeit oder
Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnis oder einer Weltanschauung ein Nachteil
erwachsen (Art. 33 III 2 GG).
Die Glaubensfreiheit und die Gewissensfreiheit haben zum
grundsätzlichen Ziel, dass der Mensch sich seinem Glauben und seinem Gewissen
gemäß frei verhalten darf. Deswegen darf ihm im religionsneutralen Staat selbst
ein nichtreligiöser Eid nicht abverlangt werden. Allerdings ist die Freiheit
durch immanente Schranken begrenzt, so dass sie beispielsweise
Straftaten aus Glaubensgründen nicht rechtfertigen kann, selbst wenn bei der
Strafzumessung der infolge des Glaubens oder Gewissens entstehende
Pflichtenkonflikt berücksichtigt werden muss, oder so dass das religiöse
Selbstbestimmungsrecht des Kindes durch das Erziehungsrecht der Eltern
beschränkt ist (vgl. Gesetz über religiöse Kindererziehung 1921).
Die Bekenntnisfreiheit gestattet die Kundgabe dessen, was
man glaubt, ebenso wie dessen, was man nicht glaubt. Sie erlaubt Kundgeben
ebenso wie das Unterlassen des Mitteilens. Daraus ergibt sich für den Staat
grundsätzlich ein Verbot, nach dem Glauben zu fragen, sofern nicht von der
Antwort Rechte oder Pflichten abhängig sind (z. B. Kirchensteuerpflicht).
Ein Vorbehalt für eine Grundrechtsbeschränkung durch
Gesetz ist in Art. 4 GG nicht enthalten. Der nach Art. 140 GG geltende Art. 136
I der Weimarer Reichsverfassung bietet aber eine gesetzliche Grundlage für
Beschränkungen. Bei ihrer Festlegung ist das Wesen des Art. 4 GG zu beachten.
6. Religionsausübungsfreiheit (Art. 4 II GG)
Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
Geschützt werden dadurch alle Verhaltensweisen, die nach dem Verständnis der
jeweiligen Gemeinschaft verpflichtend sind. Dies erfasst die Vereinigung zu
einer Religionsgesellschaft ebenso wie das Fernbleiben oder den späteren
Austritt. Im Verhältnis zur Versammlungsfreiheit ist die Freiheit der
ungestörten Religionsausübung kein die allgemeine Versammlungsfreiheit
ausschließendes Sonderrecht.
7. Kriegsdienstverweigerungsfreiheit (Art. 4 III
GG)
Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der
Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz
(Kriegsdienstverweigerungsgesetz 1983, Zivildienstgesetz 1994). Mit dem Übergang
zu einem Berufsheer und der Aufgabe der allgemeinen Wehrpflicht wird die
Kriegsdienstverweigerungsfreiheit bedeutungslos.
8. Meinungsfreiheit (Art. 5 I 1 GG), Pressefreiheit
(Art. 5 I 2 GG), Informationsfreiheit (Art. 5 I 1 GG)
Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Bild und
Schrift frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen
Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der
Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine die Zulässigkeit
einer Meinungsäußerung oder Berichterstattung von einer vorherigen staatlichen
Überprüfung oder Gestattung abhängig machende, vorherige Zensur findet nicht
statt.
a) Meinungsfreiheit
Meinungsfreiheit
ist die Freiheit, seine Meinung in Wort, Schrift, Bild und ähnlichen Formen
(nicht dagegen etwa durch körperlichen Zwang) frei zu äußern und dadurch auch
an der Bildung der öffentlichen Meinung mitzuwirken. Meinung ist dabei die über
die bloße Wiedergabe einer Tatsache beispielsweise schon durch die Auswahl oder
Aufmachung hinausreichende, meist beurteilende oder wertende Stellungnahme.
Ausdrücklich ist die Freiheit zur Veröffentlichung von Tatsachen Presse,
Rundfunk und Film gewährleistet.
b) Pressefreiheit
Pressefreiheit
ist die Freiheit der Verbreitung von Nachrichten, Mitteilungen, Meinungen und
sonstigem Gedankengut durch Druckerzeugnisse und andere Medien. Mit der
Pressefreiheit ist zugleich eine Gesamtheit frei konkurrierender Medien
gewährleistet (institutionelle Garantie), die weder durch äußere Einwirkung
noch durch medieninterne Monopolisierung beseitigt oder auch nur in Gefahr
gebracht werden darf. Inhaltliche Ausgewogenheit bezüglich der miteinander im
Wettbewerb befindlichen Standpunkte muss im Grundsatz gesichert sein.
Staatliche Förderung darf den Meinungsbildungsvorgang nicht beeinflussen. Die
Redaktionstätigkeit darf von außen grundsätzlich nicht gestört werden. Nicht
eindeutig gesichert ist die innere Unabhängigkeit der in den Medien Tätigen
gegenüber den Medienunternehmern (innere Pressefreiheit).
c) Informationsfreiheit
Informationsfreiheit ist die Freiheit der Beschaffung von
Wissen. Sie muss jedermann unter gleichen Bedingungen möglich sein. Zu diesem
Zweck dürfen sich die Medien über alle allgemein bedeutsamen Vorgänge (z. B.
gerichtliche Entscheidungen) unterrichten.
Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Informationsfreiheit
finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den
gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der
persönlichen Ehre (Art. 5 II GG). Allgemeine Gesetze sind dabei die ohne
Bezug auf eine bestimmte Meinung allgemein zu gewährleistende Rechtsgüter
schützenden Gesetze (z. B. Strafvorschriften etwa wegen Landesverrats, Gebot
der politischen Zurückhaltung der Beamten, Verbot der
Betriebsfriedensgefährdung), die ihrerseits unter Berücksichtigung des
Grundrechts der Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Informationsfreiheit
verstanden werden müssen. Eine zweite Schranke bilden die gesetzlichen Bestimmungen
zum Schutz der Jugend (z. B. Jugendschutzgesetz, Gesetz zum Schutz vor
jugendgefährdenden Schriften). Eine dritte Schranke ist das Recht der persönlichen
Ehre, das über die Straftatbestände der Beleidigung, üblen Nachrede,
Verleumdung und falschen Anschuldigung hinausreicht. In jedem Fall darf dabei
die Meinungsfreiheit durch andere Güter nicht stärker eingeschränkt werden als
es der Schutz dieser anderen Güter erfordert, so dass der Wesensgehalt
der Meinungsfreiheit grundsätzlich gewahrt bleiben muss. Bei der dazu
notwendigen Abwägung sind beispielsweise die verfolgten Ziele, der Umfang der
Beeinträchtigung oder die Art und Weise der Wissensbeschaffung von Bedeutung.
9. Kunstfreiheit, Wissenschaftsfreiheit,
Forschungsfreiheit, Lehrfreiheit (Art. III GG)
Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die
Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.
Kunst ist vor allem die an ästhetischen Werten
ausgerichtete schöpferische Gestaltung (Dichtung, Musik, Theater, Malerei,
Graphik, Plastik usw.), deren Schutz auch den Schutz ihrer Verbreitung (z. B.
durch Verleger) umfasst. Wissenschaft und Forschung sind die der
Ermittlung der Wahrheit dienenden Tätigkeiten. Lehre ist die
Übermittlung der durch Wissenschaft und Forschung gewonnenen, der Ermöglichung
wissenschaftlichen Denkens und geistig selbständigen Handelns dienenden
Ergebnisse.
Der Staat muss Eingriffe in Kunst, Wissenschaft, Forschung
und Lehre unterlassen. Außerdem muss er Einrichtungen für ihren Betrieb
bereitstellen. Allerdings darf er die einzelne Einrichtung auch wieder
beseitigen.
Kunstfreiheit, Wissenschaftsfreiheit, Forschungsfreiheit
und Lehrfreiheit sind nicht mit einem gesetzlichen Vorbehalt versehen. Es
bestehen jedoch immanente Schranken. Im Kollisionsfall zwischen mehreren
Freiheiten oder Gütern ist eine Güterabwägung erforderlich.
10. Versammlungsfreiheit (Art. 8 I GG)
Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder
Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.
Versammlung ist die Zusammenkunft einer größeren
Zahl Menschen zu Erörterung oder Kundgebung. Die Versammlungsfreiheit gewährt
das Recht, bei einer (friedlichen und ohne Waffen zusammentretenden)
Versammlung anwesend zu sein, dabei die im Gemeingebrauch stehenden
öffentlichen Sachen (z. B. Straßen, Plätze) unter Berücksichtigung der
Interessen anderer zu nutzen und sich an der Gestaltung der Versammlung zu
beteiligen. Für die Versammlungsfreiheit enthält die Verfassung keinen
Gesetzesvorbehalt, doch bestehen immanente Schranken, die in den
Vorschriften des Versammlungsgesetzes Ausdruck gefunden haben (z. B.
polizeiliche Auflösungsbefugnis bei Unfriedlichkeit oder Lebensgefahr).
Für Versammlungen unter freiem Himmel kann die
Versammlungsfreiheit durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt
werden (Art. 8 II GG), wobei vor allem der Wesensgehalt der
Versammlungsfreiheit nicht angetastet werden darf (Art. 19 I, II GG). Nach dem
Versammlungsgesetz besteht eine Anmeldepflicht. Sie gilt nicht bei aus
plötzlichem Anlass sofort gebildeten Versammlungen und bei Gefährdung des
Versammlungszwecks durch Einhaltung der Anmeldefrist.
11. Vereinigungsfreiheit (Art. 9 I GG)
Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften
zu bilden.
Verein ist der freiwillige, private Zusammenschluss
mehrerer (natürlicher oder juristischer) Personen zu einem gemeinsamen Zweck
(vgl. § 2 VereinsG). Nicht Verein ist das Parlament, die Parlamentsfraktion,
der Gemeinderat oder die zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildete
Körperschaft des öffentlichen Rechts (z. B. Industrie- und Handelskammer,
Rechtsanwaltskammer, Ärztekammer usw.). Sondervorschriften bestehen für
Parteien, Religionsgemeinschaften und weltanschauliche Vereinigungen.
Die Vereinigungsfreiheit umfasst die Freiheit zur
Gründung eines Vereins. Als negative Vereinigungsfreiheit enthält sie weiter
das Recht, einem Verein fernzubleiben. Geschützt ist auch die
Betätigungsfreiheit, wobei dem Verein selbst ein eigenes Recht an seinem
Fortbestand zukommt.
Die Vereinigungsfreiheit ist nicht durch einen
Gesetzesvorbehalt eingeschränkt. Art. 9 II GG verbietet aber Vereinigungen,
deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen, d. h. den allgemeinen,
nicht gegen die Vereinigungsfreiheit gerichteten Gesetzen, zuwiderlaufen
oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung, d. h. die wesentlichen
Grundsätze der Verfassung, oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung
richten, wobei der Verein erst dann als verboten behandelt werden darf, wenn
durch Verfügung der zuständigen obersten Landesbehörde oder des Bundesministers
des Inneren die Merkmale des Art. 9 II GG als gegeben festgestellt sind (für
Vereine von Ausländern oder mit Sitz im Ausland vgl. weiter die §§ 14f.
VereinsG). Außerdem bestehen immanente Schranken, die in gesetzlichen
Vorschriften zum Ausdruck gebracht werden können.
12. Koalitionsfreiheit (Art. 9 III GG)
Das Recht, zur Wahrung und Förderung der
Arbeitsbedingungen und der Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist
für jedermann und für alle Berufe (z. B. Ärzte, Angehörige des öffentlichen Dienstes)
gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen,
sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach
den Artikeln 12a, 35 II, III, 87a IV und 91 GG dürfen sich nicht gegen
Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeitsbedingungen und
Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen zur Wahrung und Förderung der
Arbeitsbedingungen und Wirtschaftsbedingungen geführt werden.
Die einen Sonderfall der allgemeinen Vereinigungsfreiheit
bildende Koalitionsfreiheit gibt die Freiheit zur Gründung und Betätigung (u.
a. Werbung, Streik, Aussperrung, Gegnerfreiheit) wie zum Fernbleiben (negative
Koalitionsfreiheit, anders bei öffentlichrechtlicher Körperschaft). Sie
schützt die Koalition selbst. Sie gewährleistet nicht die Freiheit zu
Kartellen, weil diese nicht der Förderung der Arbeitsbedingungen dienen, so
dass der Staat die Kartellbildung verbieten darf.
Art. 9 III GG schützt gegen den Staat und Dritte (Abreden
sind nichtig). Die Bestimmung hat also Drittwirkung. Sie gestattet
Betätigung der Koalition auch in der Dienststelle in der Dienstzeit.
Die Koalitionsfreiheit ist nicht mit einem
Gesetzesvorbehalt versehen. Koalitionen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den
Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung
oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind nicht
ausdrücklich verboten. Die Koalitionsfreiheit ist aber doch durch immanente
Schranken entsprechend beschränkt.
13. Briefgeheimnis, Postgeheimnis, Fernmeldegeheimnis
(Art. 10 I GG)
Das Briefgeheimnis, das Postgeheimnis und das
Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.
Das Briefgeheimnis schützt die Geheimheit aller
Briefinhalte vor unbefugter Einsichtnahme durch Postbedienstete,
Rechtspflegeorgane und mittelbar über das Privatrecht und das Strafrecht durch
alle anderen. Das Postgeheimnis verbietet die Öffnung aller
verschlossenen, der Post zur Beförderung übergebenen Sendungen und Mitteilungen
über Inhalt, Absender und Adressaten. Das Fernmeldegeheimnis betrifft
die Geheimheit von Telefongesprächen, Telegrammen und Fernschreiben und
untersagt beispielsweise Abhören, Aufnehmen auf Tonband oder Mitteilungen über
die Beteiligten und die Inhalte.
Beschränkungen der Geheimnisse dürfen auf Grund
eines Gesetzes angeordnet werden (Art. 10 II 1 GG), ohne dass dafür besondere
Voraussetzungen aufgestellt sind. Dient die Beschränkung dem Schutz der
freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestands oder der Sicherung
des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, dass sie dem
Betroffenen nicht mitgeteilt wird und dass an die Stelle des Rechtswegs die
Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane
tritt (Art. 10 II GG). Ein entsprechendes Gesetz ist erlassen.
14. Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 I GG)
Die Wohnung ist unverletzlich.
Wohnung ist der räumlich abgeschlossene, zum auf längere
Zeit angelegten Aufenthalt dienende Lebensbereich des Menschen. Hierzu gehören
auch Geschäftszimmer, Nebenräume, Vorgärten, Wohnwagen und Zelte, nicht dagegen
Kraftfahrzeuge. Mittelbar gegenüber Dritten geschützt wird die
Unverletzlichkeit der Wohnung durch den Straftatbestand des Hausfriedensbruchs
(§ 123 StGB) und durch die sachenrechtliche Vorschrift über verbotene
Eigenmacht (§ 858 BGB).
Die Unverletzlichkeit der Wohnung wird durch Art. 13 IIff.
GG eingeschränkt. Danach sind Durchsuchungen zugelassen. Sie dürfen
jedoch nur durch den Richter (z. B. in einer Anweisung an den
Gerichtsvollzieher zur Durchführung der Zwangsvollstreckung), bei Gefahr im Verzug
auch durch die in den Gesetzen (z. B. 102ff. StPO, 99 AO, 758 ZPO)
vorgeschriebenen anderen Organe (z. B. Staatsanwaltschaft, Polizei)
angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden (Art.
13 II GG).
Bei durch bestimmte Tatsachen begründetem Verdacht
bestimmter besonders schwerer Straftaten dürfen befristet technische Mittel zur
akustischen Überwachung der Wohnung eingesetzt werden (Art. 13 III GG).
Ähnliches gilt für die Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit
(Art. 13 IV GG, vgl. auch Art. 13 V GG wegen technischer Mittel zum Schutz der
bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen). Solche Eingriffe unterstehen
grundsätzlich parlamentarischer Kontrolle (Art. 13 VI GG).
Im Übrigen dürfen Eingriffe und Beschränkungen nur zur
Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf
Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche
Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot (z. B. Wohnraumbewirtschaftungsgesetz),
zur Bekämpfung von Seuchengefahr (z. B. Bundesseuchengesetz) oder zum Schutz
gefährdeter Jugendlicher (z. B. Jugendschutzgesetz) vorgenommen werden.
15. Freizügigkeit (Art. 11 I GG)
Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet.
Freizügigkeit ist das Recht, an den Ort der freien
Wahl zu ziehen. Das Grundgesetz gewährt Freizügigkeit ausdrücklich nur im
Bundesgebiet. Dies umfasst für alle Deutsche die Freiheit, in das Bundesgebiet
einzureisen und einzuwandern.
Die nicht besonders genannte Ausreisefreiheit und Auswanderungsfreiheit
(Freizügigkeit außerhalb des Bundesgebiets) ergibt sich aus Art. 2 I GG.
Die Freizügigkeit darf nur durch Gesetz oder auf Grund
eines Gesetzes und nur für die Fälle eingeschränkt werden, in denen eine
ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus
besondere Lasten entstehen würden oder in denen es zur Abwehr einer drohenden
Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes
oder eines Landes, zur Bekämpfung von Seuchengefahr, Naturkatastrophen oder
besonders schweren Unglücksfällen, zum Schutze der Jugend vor Verwahrlosung
oder um strafbaren Handlungen vorzubeugen, erforderlich ist (Art. 11 II GG).
Für die Bürger der Mitgliedstaaten der Europäischen Union
gilt darüber hinaus seit 1992 Freizügigkeit in der Europäischen Union.
16. Nichtauslieferungsrecht (Art. 16 II GG)
Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden.
Auslieferung ist die zwangsweise Verbringung eines
Menschen ins Ausland auf Ersuchen eines ausländischen Staates zwecks
Strafverfolgung oder Strafvollstreckung. Die Auslieferung eines Deutschen ist
auch dann verboten, wenn der Auszuliefernde einwilligt, wenn der Auszuliefernde
auch noch eine ausländische Staatsangehörigkeit hat oder wenn er den Behörden
Deutschlands von einem ausländischen Staat zur Auslieferung an einen weiteren
ausländischen Staat übergeben ist (sog. Durchlieferung). Ausgenommen ist seit
2000 die Auslieferung an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union.
17. Asylrecht (Art. 16a GG)
Politisch Verfolgte genießen Asyl. Asyl ist die
Gewährung von Schutz vor Verfolgung an einem Ort. Der Inhalt des Asylrechts ist
die Nichtauslieferung.
Politisch verfolgt ist der Mensch, gegen den in
seinem Heimatstaat aus politischen Gründen unter Nichtachtung der
Rechtsstaatlichkeit dem Heimatstaat zuzurechnende, Leib, Leben oder Freiheit
bedrohende Maßnahmen eingeleitet wurden oder eingeleitet werden sollen.
Politische Gründe sind beispielsweise die politische Überzeugung, die
Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse, Religion oder Nation. Verfolgt ist
auch der Mensch, der sich im Zufluchtsstaat in dem Zeitpunkt befindet, in dem
sich in seinem Heimatstaat die politischen Verhältnisse zu seinem Nachteil
ändern, nicht politisch verfolgt ist, wer eine Straftat aus politischen Gründen
begangen hat und nur von der gleichen Strafdrohung belastet wird wie jeder
andere, nicht politisch handelnde Straftäter.
Seit 1993 kann sich auf das Asylrecht nicht (mehr)
berufen, wer nach Deutschland aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union
oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens
über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutz der
Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist (Art. 16a II 1 GG,
beachte Art. 16 II 2, 3 GG, Art. 16a III [sichere Herkunftsstaaten], IV, V GG).
Das Bundesministerium des Inneren kann Fluggesellschaften
untersagen, Ausländer, die keinen erforderlichen Sichtvermerk (Visum) haben,
nach Deutschland zu befördern.
18. Petitionsrecht (Art. 17 GG)
Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft
mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen
und an die Volksvertretung zu wenden.
Das Petitionsrecht setzt nicht eine Betroffenheit des
Petenten voraus. Es erfordert die Beachtung der Strafgesetzes. Es verpflichtet
die zuständige Stelle, im Rahmen ihrer Zuständigkeit die Bitte oder Beschwerde
zur Kenntnis zu nehmen, zu behandeln und mit einem Bescheid zu beantworten, aus
der sich die Art ihrer Erledigung erkennen lässt (vgl. BVerfGE 2, 230), nicht
auch ohne weiteres den Bescheid zu begründen.
Es soll in der gleichen Angelegenheit nur einmal ausgeübt
werden können.
Verletzt die zuständige Stelle die aus dem Petitionsrecht entspringenden
Pflichten, ist Leistungsklage auf formelle Aufnahme, Prüfung und Verbescheidung
zulässig.
19. Gleichheit (Art. 3 GG)
Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert
die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Er
wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung,
seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens,
seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt
werden (Art. 3 III 1 GG)..
Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden
(Art. 3 III 2 GG).
Der Grundsatz der Gleichheit der Menschen bedeutet, dass tatsächlich
Gleiches auch rechtlich gleich zu behandeln ist, tatsächlich Ungleiches dagegen
entsprechend seiner Eigenart ungleich). Keinen rechtfertigenden
Anknüpfungspunkt für eine Ungleichbehandlung bieten dabei nach der Verfassung
selbst grundsätzlich Geschlecht, Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat, Herkunft,
Glaube, religiöse oder politische Anschauung und für Benachteiligung eine
Behinderung. Ausnahmsweise darf aber aus besonderen Gründen doch entgegen Art.
3 II 1, III 1 GG beispielsweise die Wehrpflicht auf Männer und der Mutterschutz
auf Frauen beschränkt werden.
Eine Ungleichbehandlung ist hier wie auch jenseits der
besonders genannten Gesichtspunkte dann zulässig, wenn ein einleuchtender
Grund für eine unterschiedliche Behandlung besteht. Ob Gleichbehandlung
oder Ungleichbehandlung gerechter ist, ist an Hand der allgemeinen
Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft zu entscheiden. Für sie sind die
Sätze der Verfassung von besonderer Bedeutung.
Der Gleichheitssatz bindet vollziehende Gewalt,
rechtsprechende Gewalt und gesetzgebende Gewalt.
Dabei ist es grundsätzlich dem Gesetzgeber überlassen,
welche Sachverhalte er als gleich und welche er als ungleich behandeln will. Er
verletzt seinen Gestaltungsspielraum aber verfassungswidrig, wenn er Fälle
gleich behandelt, zwischen denen (nach übergeordneter Einsicht des
Bundesverfassungsgerichts) so erhebliche Unterschiede bestehen, dass sie
gerechterweise ungleich behandelt werden müssen, und wenn er Fälle ungleich
behandelt, zwischen denen so geringe Unterschiede vorhanden sind, dass sie
gerechterweise gleich eingestuft werden müssen. Auch Änderungen bedürfen daher
einer Rechtfertigung mit Gründen, welche die Gründe für eine Fortführung des
Bisherigen überwiegen.
Die rechtsprechende Gewalt muss das Recht in gleicher
Weise anwenden. Sie muss wesentlich Gleiches gleich behandeln und darf
insbesondere keine sachfremden Erwägungen vornehmen. Sie muss eine Änderung
der Rechtsprechung mit Gründen rechtfertigen, welche die Gründe für die
Beibehaltung überwiegen.
Die ausführende Gewalt muss vor allem ihr Ermessen in
gleicher Weise handhaben. Trotz eines sachlich notwendigen
Gestaltungsspielraums führt dies zur Selbstbindung der Verwaltung. Eine
Änderung einer bisherigen rechtmäßigen Praxis muss auf sachlich
rechtfertigenden Gründen beruhen.
Eine Bindung Dritter durch den Gleichheitssatz besteht
grundsätzlich nicht. Allerdings ist beispielsweise im Tarifrecht für gleiche
Arbeit auch gleicher Lohn zu zahlen. Bei überragend wichtigen Gütern kann eine
Monopolstellung einen Abschlusszwang zu gleichen Bedingungen begründen.
Unabhängig von dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3
GG begründet als besonderer Rechtssatz Art. 38 I 1 GG die Gleichheit des
Wahlrechts. Art. 33 I GG gibt jedem Deutschen in jedem Land die gleichen
staatsbürgerlichen Rechte. Nach Art. 33 II GG hat jeder Deutsche nach seiner
Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem
öffentlichen Amt.
Innerhalb des Gleichheitsgrundsatzes hebt Art. 3 II 1 GG
die Gleichberechtigung von Männern und Frauen besonders hervor. Sie ist
deswegen besonders bedeutsam, weil zwischen Männern und Frauen unterschiedliche
biologische Gegebenheiten bestehen. Ihrer ungeachtet ist der Staat zu dem Ziel
aufgerufen, (Männern und Frauen) möglichst gleichwertige Lebensverhältnisse zu
gewährleisten.
Gleichheit im Steuerrecht bedeutet hauptsächlich
sachgemäße Unterscheidung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des
Besteuerten. Daneben kann der Gesetzgeber aber auch andere sachgemäße
Gesichtspunkte berücksichtigen. Die einmal entstandene Steuerpflicht ist
grundsätzlich in gleicher Weise durchzusetzen (z. B. für Kapitaleinkünfte).
20. Familie (Art. 6 GG)
Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der
staatlichen Ordnung (Art. 6 I GG). Damit ist ein Grundrecht zum Schutz von Ehe
und Familie geschaffen, eine institutionelle Garantie gewährt und eine
verbindliche Wertentscheidung für die gesetzgebende Gewalt, die vollziehende
Gewalt und die rechtsprechende Gewalt getroffen. Ziel dieses Grundrechts ist
es, die Entwicklungsbedingungen für den Menschen von seinen ersten Anfängen an
möglichst gut zu sichern.
Ehe ist die nach christlich-abendländischem
Verständnis auf Lebenszeit angelegte, formalisierte Lebensgemeinschaft eines
Manns und einer Frau. Über sie reicht die Familie vielfach hinaus. In diesem
Sinn ist Familie die Gemeinschaft von Eltern und Kindern.
Art. 6 I GG sichert jedem die Freiheit, die Ehe mit einem
Menschen des anderen Geschlechts seiner Wahl zu schließen. Darüber hinaus muss
der Staat Ehe und Familie allgemein fördern, ohne dass der Einzelne deswegen
einzelne bestimmte Leistungsansprüche geltend machen oder einen Ausgleich jeder
Ehe und Familie treffenden Belastung verlangen kann. Umgekehrt darf der Staat
Ehe und Familie nicht beeinträchtigen, also nicht Ehegatten bei öffentlichen
Lasten und öffentlichen Leistungen ungünstiger behandeln als nichtehelich
zusammenlebende Menschen oder Arbeitsverhältnisse zwischen Ehegatten nicht
schlechter einstufen als vergleichbare andere Arbeitsverhältnisse.
Außerdem ist auch für die Folgewirkungen einer Ehe Art. 6
I GG zu beachten.
Der Ehe gleichgestellt werden können eheähnliche
Verhältnisse zwischen zwei Menschen verschiedenen Geschlechts (BVerfGE 87,
264).
Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche
Recht der Eltern (bei unüberwindlichen Schwierigkeiten gegebenenfalls auch
eines Elternteils) und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht, über deren
Betätigung die staatliche Gemeinschaft wacht (Art. 6 II GG). Dementsprechend
dürfen die Eltern unzulässige Eingriffe des Staates in die Erziehung eines
Kinds abwehren. Bei der Überwachung des elterlichen Erziehungsrechts darf der
Staat nur so weit eingreifen, wie dies zur Abwehr der Gefahr erforderlich ist.
Eine Trennung eines Kinds von der Familie gegen den Willen
der Erziehungsberechtigten ist (nur auf Grund eines Gesetzes und) nur zulässig,
wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen
Gründen zu verwahrlosen drohen (Art. 6 III GG).
Im Bereich der Schule erwächst aus dem Elternrecht ein
Wahlrecht der Eltern zwischen unterschiedlichen anzubietenden Schulen, eine
Mitentscheidungsmöglichkeit bei der Wahl zwischen mehreren Schulzweigen und ein
Recht auf Rücksichtnahme auf eine weltanschauliche Überzeugung in einem dafür
bedeutsamen Schulfach (beachte Art. 7 II GG).
Im Verhältnis zum Kind erstarken dessen eigene
Selbstbestimmungsrechte gegenüber dem Erziehungsrecht der Eltern mit dem
allmählichen Heranwachsen.
Nach Art. 6 V GG sind den unehelichen Kindern durch die
Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für die leibliche und seelische
Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen
Kindern.
21. Schule (Art. 7 GG)
Das Schulwesen, das zu einem erheblichen Teil (Unterricht,
Erziehung, Schulpflicht, Lehrer) Angelegenheit der Länder ist, steht in seiner
Gesamtheit (einschließlich der kommunalen Schulen) unter der Aufsicht des Staates
(Art. 7 I GG). Schule ist dabei die durch planmäßige Unterweisung
Bildungsziele und Erziehungsziele verwirklichende, Fähigkeiten für das
Berufsleben vermittelnde, für eine größere Zahl von Lernenden bestimmte und
unabhängig vom Wechsel der Lernenden und Lehrenden auf Dauer angelegte
Einrichtung (z. B. Grundschule, Hauptschule, Realschule, Fachschule, Gymnasium,
Abendschule, nicht Kindergarten, Tanzschule, Nachhilfe, Hochschule). Für die
Gestaltung der Schulorganisation, der Unterrichtsgegenstände und der
Erziehungsgrundsätze sind die Länder zuständig (vgl. Art. 30, 70 GG), die
angemessene Möglichkeiten eröffnen müssen und Rechte der Eltern nicht mehr als
erforderlich einschränken dürfen.
Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen
Schulen ordentliches Lehrfach, ausgenommen die bekenntnisfreien Schulen (Art. 7
III 1 GG, gilt nach Art. 141 GG nicht für die allgemeinbildenden Schulen in
Berlin und Bremen). Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die
Teilnahme des Kinds am Religionsunterricht zu bestimmen (Art. 7 II GG), doch
gewährt das Gesetz über die religiöse Kindererziehung dem Kind von der
Vollendung des (12. bzw.) 14. Lebensjahrs an ein Selbstentscheidungsrecht.
Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechts wird der Religionsunterricht in
Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt (Art. 7
III 2 GG), so dass die Religionslehrer zum Religionsunterricht einer Erlaubnis
ihrer Religionsgemeinschaft bedürfen und der Staat gegen den Widerspruch der
Religionsgemeinschaft keinen Religionslehrer mit dem Religionsunterricht
betrauen darf. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden,
Religionsunterricht zu erteilen (Art. 7 III 3 GG). Den Inhalt des
Religionsunterrichts bestimmt die Religionsgemeinschaft, der jedoch kein
unmittelbares schulaufsichtliches Weisungsrecht zukommt.
Die auch weltanschaulich eher offene oder eher gebundene Gestaltung
der vom Grundgesetz erwähnten bekenntnisfreien Schulen, Gemeinschaftsschulen,
Bekenntnisschulen und Weltanschauungsschulen wie auch der vom Grundgesetz nicht
erwähnten, mehrere Schularten zusammenfassenden, auf ein Mindestmaß an
Differenzierung nach Erziehungszielen und Bildungsinhalten verpflichteten Gesamtschulen steht den Ländern zu, die
in einer pluralistischen Gesellschaft die Offenheit der Unterrichtung eher
fördern müssen.
Das Recht zur Errichtung privater Schulen neben den
öffentlichen Schulen wird gewährleistet (Art. 7 IV 1 GG). Privatschulen als
Ersatz für öffentliche Schulen (sog. Ersatzschulen) bedürfen der
Genehmigung des Staates, unterstehen den Landesgesetzen (Art. 7 IV 2 GG) und
damit auch der staatlichen Schulaufsicht, haben aber auch auf Grund ihrer
Gewährleistung einen Anspruch auf staatliche Förderung. Die staatliche
Genehmigung der Ersatzschule (z. B. privates Gymnasium) ist zu erteilen, wenn
die Privatschule in ihren Lehrzielen und Einrichtungen nicht hinter den
öffentlichen Schulen zurücksteht und eine Sonderung der Schüler nach den
Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird (Art. 7 IV 3 GG) sowie die
gesetzlich vorgeschriebene wirtschaftliche und rechtliche Stellung der
Lehrkräfte genügend gesichert ist (Art. 7 IV 5 GG).
Auch eine andere Privatschule kann genehmigt werden.
Eine private Volksschule ist nur zuzulassen, wenn
die Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt
oder, auf Antrag von Erziehungsberechtigten, wenn sie als Gemeinschaftsschule,
als Bekenntnisschule oder als Weltanschauungsschule errichtet werden soll und
eine öffentliche Volksschule dieser Art in der Gemeinde nicht besteht (Art. 7 V
GG).
Vorschulen, die während der Grundschulzeit Kinder
auf den Besuch einer weiterführenden Schule vorbereiten sollen, sind
ausgeschlossen (bzw. bleiben aufgehoben, Art. 7 VI GG).
Hochschulen sind keine Schulen. Für sie gelten die
Art. 5 III, 12 I, 70 I, 74 Nr. 13, 75 Nr. 1a und 91a I Nr. 1 GG sowie das
Hochschulrahmengesetz des Bundes. Sie sind Körperschaften des öffentlichen
Rechts mit Selbstverwaltungsrecht unter Rechtsaufsicht. Privathochschulen sind
zulässig.
Aus dem Grundrecht der Berufsfreiheit besteht ein Anspruch auf Zulassung zum Studium, der
durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann. Absolute
Zulassungsbeschränkungen für Studienanfänger eines Faches sind zulässig
Voraussetzungen sind aber Erforderlichkeit und Auswahl und Verteilung der
Bewerber nach sachgerechten Maßstäben.
22. Religionsgemeinschaften (Art. 140 GG, 136ff.
WRV)
Es besteht keine
Staatskirche (Art. 140 GG, Art. 137 I WRV). Die Kirche ist aber vom Staat
auch nicht völlig getrennt. Der von der Verfassung zu
weltanschaulich-religiöser Neutralität verpflichtete Staat hat begrenzte
Kirchenhoheit über autonome Kirchen.
Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften
wird gewährleistet (Art. 140 GG, 137 II WRV, vgl. Art. 4 II GG). Jede
Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig
innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes und verleiht ihre Ämter
ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde (Art. 140 GG, 137
III WRV). Religionsgesellschaften erwerben die Rechtsfähigkeit nach den
allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechts (Art. 140 GG, 137 III WRV).
Soweit sie (bis 1919 bzw. 1949) Körperschaften des
öffentlichen Rechts waren, bleiben sie dies. Anderen Religionsgesellschaften
sind auf ihren Antrag gleiche Rechts zu gewähren, wenn sie durch ihre
Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten (Art. 140
GG, 137 V WRV). Die Religionsgesellschaften, die Körperschaften des
öffentlichen Rechts sind, dürfen als verliehenes Hoheitsrecht auf Grund der
bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern
(Kirchensteuern) (von ihren Mitgliedern) erheben (Art. 140 GG, 137 VI WRV).
Den Religionsgesellschaften sind die der
gemeinschaftlichen Pflege einer Weltanschauung dienenden Vereinigungen
gleichgestellt (Art. 140 GG, 137 VII WRV).
Im Übrigen besteht für das Staatskirchenrecht die
Zuständigkeit der Länder, die mit Religionsgesellschaften auch
kirchenrechtliche Verträge (Konkordate, Kirchenverträge) abschließen können
(Art. 140 GG, 137 VIII GG).
Die Rechte der Religionsgesellschaften und religiösen
Vereine an ihrem Vermögen werden gewährleistet (Art. 140 GG, 138 II WRV).
Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage
bleiben gesetzlich geschützt (Art. 140 GG, 139 WRV).
23. Wirtschaft
Die Verfassung enthält keine Entscheidung für ein
bestimmtes Wirtschaftssystem (vgl. die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG
einerseits und die Möglichkeit der Sozialisierung von Grund und Boden,
Naturschätzen und Produktionsmitteln in Art. 15 GG andererseits). Sie behandelt
die Wirtschaft aber auch nicht als verfassungsfreien Raum. Ihre Grundsätze sind
in jedem Fall hinsichtlich der Wirtschaft zu beachten (Rechtsstaatsgrundsatz,
Sozialstaatsgrundsatz, Demokratiegrundsatz, evtl. Grundrechte usw.).
24. Eigentum (Art. 14 GG)
Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet (Art.
14 I 1 GG, Institutsgarantie). Eigentum ist dabei nicht nur das Recht,
mit einer Sache nach Belieben zu verfahren und andere von der Einwirkung über
sie auszuschließen (§ 903 S. 1 BGB), sondern jedes vermögenswerte
private Recht, das dem Einzelnen ähnlich wie das Eigentum einer Sache zur
Nutzung und Verfügung zugeordnet ist (z. B. Aktie, Urheberrecht, Verlagsrecht,
Aneignungsrecht, Mietrecht, Pachtrecht, eingerichteter und ausgeübter
Gewerbebetrieb, good will, nicht dagegen bloße Chance, bloßer Vorteil, bloßer
Rechtsreflex). Eine vermögenswerte öffentlichrechtliche Rechtsstellung
ist als Eigentum anzusehen, wenn sie der Gegenwert einer eigenen Leistung des
Betroffenen ist (z. B. Rentenanspruch, Arbeitslosengeldanspruch,
Anliegergebrauch, nicht z. B. Sozialhilfeanspruch, Subventionsanspruch).
Inhalt und Schranken des Eigentums werden durch die
Gesetze bestimmt (Art. 14 I 1 GG, z. B. Einschränkung des Eigentums des
Unternehmers durch Mitbestimmung der Arbeitnehmer). Diese Ermächtigung wird
nicht als Einschränkungsvorbehalt angesehen, so dass das Gesetz nicht allgemein
gelten und das Grundrecht nicht unter Angabe des Artikels nennen muss (Art. 19
I GG). Allerdings darf der Gesetzgeber bei der Bestimmung von Inhalt und
Schranken (z. B. durch eine Steuerpflicht) das Eigentum nicht in seinem Wesensgehalt
antasten (Art. 19 II GG).
Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem
Wohl der Allgemeinheit dienen (Art. 14 II GG, Sozialbindung). Bei der
Abgrenzung zwischen Privatnützigkeit und Allgemeinnnützigkeit ist der
Wesensgehalt des Eigentums zu wahren, der bei unterschiedlichen Gegenständen
unterschiedlich zu bestimmen sein kann.
Eine von der ausgleichsfreien gesetzlichen
Inhaltsbestimmung zu trennende (rechtmäßige) Enteignung ist nur zum Wohl
der Allgemeinheit zulässig (Art. 14 III 1 GG). Enteignung ist dabei der auf den
teilweisen oder vollständigen Entzug eines konkreten Eigentumsrechts gerichtete
Zugriff. Eine Enteignung darf nur durch (trotz Art. 19 I GG zulässiges
besonderes) Gesetz (Legalenteignung) oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen,
das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt (Art. 14 III 2 GG, Junktimklausel).
Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit
und der Beteiligten zu bestimmen (Art. 14 III 3 GG). Wegen der Höhe der
Entschädigung steht im Streitfall der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten
offen (Art. 14 III 4 GG).
Keine (rechtmäßige) Enteignung ist der rechtswidrige
enteignungsgleiche Eingriff.
Für den Fall rechtswidriger schuldhafter Schädigung des
Eigentums besteht ein Schadensersatzanspruch nach Art. 34 GG, § 839 BGB.
Kann der von einem besonderen Opfer betroffene Einzelne
keine Entschädigung wegen Enteignung und keinen Schadensersatz wegen
rechtswidriger schuldhafter Schädigung erlangen, kann er nach dem allgemeinen
Rechtsgrundsatz, dass der Staat den, der seine besonderen Rechte und Vorteile
dem allgemeinen Wohl aufopfern muss, entschädigen muss, Entschädigung wegen Aufopferung
begehren (Auffangtatbestand).
25. Beruf (Art. 12 GG)
Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und
Ausbildungsstätte frei zu wählen (Art. 12 I 1 GG). Beruf ist dabei die
auf Dauer angelegte, Arbeitskraft und Arbeitszeit überwiegend in Anspruch
nehmende Betätigung, die im Allgemeinen mit dem Ziel betrieben wird, daraus den
Lebensunterhalt zu gewinnen, und die zugleich einen Beitrag zur
gesellschaftlichen Gesamtleistung erbringt. Jeder Deutsche darf frei
entscheiden, welchen Beruf er wählen will, wo er sich ausbilden lassen will und
wo er arbeiten will.
Er hat aber keinen Anspruch darauf, in dem von ihm
gewählten Beruf tatsächlich Arbeit zu finden.
Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines
Gesetzes durch Rechtsverordnung, Satzung oder Verwaltungsakt geregelt werden
(Art. 12 I 2 GG, Gesetzesvorbehalt). Erfasst werden davon Berufswahl,
Berufsaufnahme und Berufsausübung, wobei eine stufenförmige Betrachtung
sinnvoll ist. Hierfür hat das Bundesverfassungsgericht die sog. Stufentheorie
entwickelt.
Die Art und Weise der Berufsausübung kann geregelt
werden, wenn überwiegende Interessen des allgemeinen Wohls die Regelung
erfordern (z. B. Werbeverbot für Ärzte, Untersagung unlauteren Wettbewerbs,
Festlegung der Apothekenpflichtigkeit einer Ware, Gefahrenhinweis auf
Zigarettenpackung, Arbeitgeberpflicht zur Abführung von Lohnsteuern und
Sozialversicherungsbeiträgen, nicht erforderlich z. B. Untersagung der Führung
eines erworbenen ausländischen Grads als Anwalt, Verbot des Betriebs von
Warenautomaten nach Ladenschluss ohne räumlichen Zusammenhang mit einem
Ladengeschäft). Die Zulassung zur Berufsausübung darf von subjektiven,
in der Person des Einzelnen liegenden Voraussetzungen abhängig gemacht werden,
wenn diese aus vorrangigen Gründen zur ordnungsgemäßen Erfüllung des Berufs
notwendig sind (z. B. Vorbildung, Ausbildung, Zuverlässigkeit, Lebensalter,
Meisterprüfung für Leitung eines Handwerksunternehmens). Die Zulassung zur
Berufsausübung darf von objektiven, außerhalb der Person des Einzelnen
liegenden Voraussetzungen (nur dann) abhängig gemacht werden, wenn sie zur
Abwehr schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut
unabdingbar sind (nicht z. B. Bedürfnisprüfung bei Gaststätten oder Apotheken,
numerus clausus an Hochschulen zur bloßen Bedarfslenkung).
Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden,
außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen
Dienstleistungspflicht (Art. 12 II GG, z. B. Pflichtfeuerwehr,
Deichpflicht). Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten
Freiheitsentziehung zulässig (Art. 12 III GG). Männer können vom vollendeten
achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz
oder in einem Zivilschutzverband, bei Verweigerung des Kriegsdiensts aus
Gewissensgründen zu einem zivilen Ersatzdienst verpflichtet werden (Art. 12a I,
II GG).
§ 5 Staatsorgane
Staatsorgan ist entsprechend der Rechtsordnung der einzelne
Mensch oder die bestimmte Mehrheit von Menschen, durch den oder durch die der
Staat handelt. Als Staatsorgane von der Verfassung angesprochen werden das die
Souveränität tragende Volk als die Gesamtheit der wahlberechtigten und
stimmberechtigten Bürger, der Bundestag, der Bundesrat, die Bundesversammlung,
der Bundespräsident, der Bundeskanzler, die Bundesregierung
und das Bundesverfassungsgericht. In eigenen Abschnitten behandelt
werden Bundestag, Bundesrat, Bundespräsident und Bundesregierung.
I. Bundestag (Art. 38ff. GG)
Der Bundestag ist die aus Wahlen hervorgehende, in erster
Linie zur Gesetzgebung berufene Vertretung des deutschen Volkes. Zwischen dem Volk
und seinen Abgeordneten besteht keine Stellvertretung mit Weisungsrecht. Die Abgeordneten
sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und
nur ihrem Gewissen unterworfen (Art. 38 GG).
1. Entstehung
Die Abgeordneten des Bundestags werden in allgemeiner,
unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt.
Wahlberechtigt (aktives Wahlrecht) ist, wer das
achtzehnte Lebensjahr vollendet hat (Art. 38 II GG), Deutscher ist und seit
mindestens drei Monaten im Bundesgebiet eine Wohnung oder seinen gewöhnlichen
Aufenthalt hat. Wählbar (passives Wahlrecht) ist, wer das Volljährigkeitsalter
(Vollendung des achtzehnten Lebensjahrs) erreicht hat (Art. 38 II GG), seit
mindestens einem Jahr Deutscher ist und nicht besonders von der Wählbarkeit
ausgeschlossen ist.
Der Bundestag besteht aus 598 Abgeordneten (§ 1 I 1 BWG),
von denen die eine Hälfte mit den Erststimmen der Wähler nach
Kreiswahlvorschlägen in einzelnen Wahlkreisen, die andere Hälfte mit den
Zweitstimmen der Wähler nach Landeswahlvorschlägen in einzelnen Ländern gewählt
wird. Gewählt ist im Wahlkreis, wer die meisten Stimmen (relative Mehrheit der
Erststimmern) erhält (§ 5 BWG, Mehrheitswahlrecht).
Auf Grund der auf die verschiedenen Landeswahlvorschläge
(Landeslisten) abgegebenen Zweitstimmen wird festgelegt, wieviele Abgeordnete
auf einen Landeswahlvorschlag entfallen (Verhältniswahlrecht). Dazu
teilt man die für die jeweiligen Landeslisten abgegebenen Zweitstimmen durch
die Zahl der für alle unter Beachtung der Sperrklausel von fünf Prozent (§ 6 VI
BWG) zu berücksichtigenden Landeslisten abgegebenen Zweitstimmen und
vervielfältigt mit dieser Bruchzahl die Zahl der insgesamt zu vergebenden
Abgeordnetensitze. Das Ergebnis bestimmt mit seinem vor dem Komma stehenden
Teil die Zahl der auf die Landeswahlvorschläge entfallenden Sitze.
Die dabei unverteilt gebliebenen Restsitze der regulär zu
vergebenden Sitze werden in der Reihenfolge der höchsten hinter dem Komma
stehenden Dezimalzahlen verteilt (§ 6 BWG). Die erlangten Sitze werden in
erster Linie den Abgeordneten zugeteilt, die in einem Wahlkreis die Mehrheit
errungen haben (personalisierte Verhältniswahl). Im Übrigen werden sie
aus dem Landeswahlvorschlag in der dort festgelegten Reihenfolge besetzt.
Haben mehr einem Landeswahlvorschlag zuzurechnende
Bewerber eines Landeswahlvorschlags in Wahlkreisen eine relative Mehrheit
errungen als dem Landeswahlvorschlag nach den auf ihn insgesamt entfallenden
Stimmen an Abgeordnetensitzen zustünde, so erhöht sich um diese Überhangmandate
die Zahl der Abgeordnetensitze für diese Wahlperiode.
Der Bundestag wird auf vier Jahre gewählt (Art. 39 I 1
GG). Die Wahl des nächsten Bundestags findet frühestens 46, spätestens 48
Monate nach Beginn der Wahlperiode, im Fall der Auflösung innerhalb von 60
Tagen statt. Der Bundestag tritt spätestens am dreißigsten Tag nach der Wahl
zusammen und bestimmt den Schluss und den Wiederbeginn seiner Sitzungen.
Die Wahlprüfung ist Sache des Bundestags (Art. 41 I 1 GG,
Vorbereitung durch Wahlprüfungsausschuss), der auch darüber entscheidet, ob ein
Abgeordneter die Mitgliedschaft im Bundestag verloren hat.
2. Organisation
Der Bundestag ordnet seine Angelegenheiten selbst.
Der Bundestag wählt seinen Präsidenten, dessen
Stellvertreter und die Schriftführer (Art. 40 I 1 GG). Bundestagspräsident
wird meist ein Abgeordneter der stärksten Bundestagsfraktion. Stellvertreter
werden (nach jeweiliger Absprache unter den Parteien mehrere) Abgeordnete
nächststärkerer Fraktionen.
Der Bundestag gibt sich eine Geschäftsordnung (Art.
40 I 2 GG). Sie steht einem Bundesgesetz im Rang nach. Ein Verstoß gegen sie
macht, soweit sie nicht Verfassungsgewohnheitsrecht darstellt, ein Gesetz nicht
verfassungswidrig.
Der Bundestagspräsident leitet die Sitzungen des
Bundestags und führt die Geschäfte außerhalb der Sitzungen. Er übt das Hausrecht
und die Polizeigewalt im Gebäude des Bundestags aus, weshalb nach Art. 40 II GG
ohne seine Genehmigung in den Räumen des Bundestags keine Durchsuchung oder
Beschlagnahme stattfinden darf. Ihm untersteht die Bundestagsverwaltung.
Der Bundestag gliedert sich in Fraktionen. Abgeordnete, die der gleichen Partei oder nicht in
einem Land miteinander in Wettbewerb stehenden Parteien (z. B. CDU und CSU)
angehören, bilden, sofern ihre Zahl 5 Prozent der Zahl der Mitglieder des
Bundestags erreicht, eine Fraktion.
Die Fraktion hat das Recht zu Anfrage, Gesetzesinitiative, Anrufung des
Vermittlungsausschusses und Antragstellung im Organstreit vor dem
Bundesverfassungsgericht.
Gegenüber einzelnen Abgeordneten kann im Streitfall der
Parteiausschluss, nicht aber die Niederlegung des Mandats erreicht werden.
Der Bundestag bildet zur Vorbereitung von Entscheidungen Ausschüsse.
Obligatorische Ausschüsse (Pflichtausschüsse) sind schon nach der Verfassung
der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (Art. 45 GG), der
Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten (Art. 45a GG), der Ausschuss für
Verteidigung (Art. 45a GG, Rechte eines Untersuchungsausschusses, Hilfsorgan
Wehrbeauftragter Art. 45b GG) und der Petitionsausschuss (Art. 45c GG).
Fakultative Ausschüsse (freiwillige Ausschüsse) sind etwa Haushaltsausschuss,
Innenausschuss, Rechtsausschuss und der für einzelne Angelegenheit von Fall zu
Fall gebildete Untersuchungsausschuss (Art. 44 GG) zur Beschaffung von Daten,
Wahrung des Ansehens oder Kontrolle der Regierung.
Der Bundestag hat das Recht und auf Antrag eines Viertels
seiner Mitglieder die Pflicht, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen,
der in öffentlicher Verhandlung die erforderlichen Beweise erhebt. Die
Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden. Auf Beweiserhebungen finden die
Vorschriften über den Strafprozess sinngemäß Anwendung. Briefgeheimnis,
Postgeheimnis und Fernmeldegeheimnis bleiben unberührt. Gerichte und
Verwaltungsbehörden sind zu Rechtshilfe und Amtshilfe verpflichtet. Die (auf
Feststellungen beschränkten) Beschlüsse des Untersuchungsausschusses sind der
richterlichen Erörterung entzogen, so dass gegen sie gerichtlich nicht
vorgegangen werden kann. In der Würdigung und Beurteilung des der Untersuchung
zugrundeliegenden Sachverhalts sind die Gerichte frei.
Der Bundestag kann zur Vorbereitung einer Entscheidung
eine Enquêtekommission einsetzen,
der auch Nichtabgeordnete angehören können.
Der Bundestag verhandelt öffentlich (Art. 42 I 1 GG). Auf
in nichtöffentlicher Sitzung zu entscheidenden Antrag eines Zehntels seiner
Mitglieder oder der Bundesregierung kann mit Zweidrittelmehrheit die
Öffentlichkeit ausgeschlossen werden. Zu einem Beschluss des mit der
Anwesenheit der Mehrheit der Abgeordneten im Sitzungssaal beschlussfähigen
Bundestags ist grundsätzlich die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich
(Art. 42 II 1 GG).
Mehrheit der Mitglieder des Bundestags (und der
Bundesversammlung) ist nach Art. 121 GG die Mehrheit der gesetzlichen
Mitgliederzahl.
Die Verhandlung des Bundestags (eröffnet und) leitet der
Bundestagspräsident oder sein Stellvertreter. Er kann den Bundestag einberufen,
wozu er auf Verlangen eines Drittels der Mitglieder, des Bundespräsidenten oder
des Bundeskanzlers verpflichtet ist (Art. 39 III 2, 3 GG), die Sitzung aussetzen,
gegen Abgeordnete mit Verweisungen zur Sache, Rufen zur Ordnung, Entziehung des
Worts oder Ausschluss von der Teilnahme vorgehen oder störende Dritte aus dem
Sitzungssaal entfernen lassen. Er schließt die Sitzung.
3. Rechte und Pflichten
Der Bundestag hat das Recht, Gesetzesvorlagen aus seiner
Mitte einzubringen (Art. 76 I GG).
Der Bundestag hat über alle bei ihm eingebrachten
Gesetzentwürfe Beschluss zu fassen (vgl. Art. 77 I 1 GG).
Die Mitglieder des Bundestags sind Mitglieder der den
Bundespräsidenten wählenden Bundesversammlung (Art. 54 III GG).
Der Bundestag kann den Bundespräsidenten wegen
vorsätzlicher Verletzung des Grundgesetzes oder eines anderen Bundesgesetzes
vor dem Bundesverfassungsgericht anklagen (Art. 61 I 1 GG).
Der Bundestag wählt den Bundeskanzler (Art. 63 I GG).
Der Bundestag kann dem Bundeskanzler durch die Wahl eines
Nachfolgers das Misstrauen aussprechen und den Bundespräsidenten ersuchen, den
Bundeskanzler zu entlassen (Art. 67 I GG).
Vor dem Bundestag und dem Bundesrat leistet der
Bundespräsident seinen Amtseid (Art. 56 GG).
Vor dem Bundestag leisten Bundeskanzler und Bundesminister
bei der Amtsübernahme den Amtseid (Art. 64 II GG).
Der Bundestag bestellt die Hälfte der Mitglieder des
Bundesverfassungsgerichts.
Der Bundestag besetzt zur Hälfte den Richterwahlausschuss,
der gemeinsam mit dem zuständigen Bundesminister die Richter der oberen
Gerichtshöfe des Bundes bestimmt.
Der Bundestag bestellt die Vertreter der Beratenden
Versammlung des Europarats.
Der Bundestag stellt den Haushaltsplan des Bundes
fest (Art. 110 GG).
Der Bundestag kann bei der Gestaltung der Politik der
Bundesregierung mitwirken und die Anwesenheit jedes Mitglieds der
Bundesregierung bei seinen Sitzungen oder den Sitzungen seiner Ausschüsse
verlangen (Art. 43 I GG).
Bundestag zu zwei Dritteln und Bundesrat zu einem Drittel
bilden den Gemeinsamen Ausschuss, den die Bundesregierung über ihre Planungen
für den Verteidigungsfall zu unterrichten hat (Art. 53a GG).
Der einzelne Abgeordnete des Bundestags hat ein Recht
auf angemessene Teilhabe an den Rechten des Bundestags und darf zu diesem Zweck
fragen, reden, abstimmen und wählen. Er darf zu keiner Zeit wegen seiner
Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die er im Bundestag oder in einem seiner
Ausschüsse getan hat (ausgenommen verleumderische Beleidigung), gerichtlich
oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb des Bundestags zur Verantwortung
gezogen werden (Art. 46 I GG, Indemnität). Wegen einer mit Strafe
bedrohten Handlung darf er nur mit Genehmigung des Bundestags (Aufhebung der Immunität)
zur Verantwortung gezogen oder verhaftet werden, es sei denn, dass er bei
Begehung der Tat oder im Lauf des folgenden Tags festgenommen wird (Art. 46 II
GG, Immunität, Ruhen der Verfolgungsverjährung, beachte Art. 46 III, IV GG).
Der Abgeordnete ist berechtigt, über Personen, die ihm in
seiner Eigenschaft als Abgeordneter oder denen er in dieser Eigenschaft
Tatsachen anvertraut hat, sowie über diese Tatsachen selbst das Zeugnis zu
verweigern (Art. 47 S. 1 GG, Beschlagnahmeverbot von Schriftstücken Art. 47 S.
2 GG). Der Abgeordnete hat Anspruch auf eine angemessene, seine Unabhängigkeit
sichernde Entschädigung (Art. 48 III 1 GG, Diäten). Er hat das Recht der
freien Benutzung aller staatlichen Verkehrsmittel.
Wer sich um einen Sitz im Bundestag bewirbt, hat Anspruch
auf den zur Vorbereitung seiner Wahl erforderlichen Urlaub. Niemand darf
gehindert werden, das Amt eines Abgeordneten zu übernehmen und auszuüben. Eine
Kündigung oder Entlassung aus diesem Grund ist unzulässig.
Der Abgeordnete kann seine parlamentarischen Rechte in
einem Organstreit geltend machen (Art. 93 I Nr. 1 GG). Bei Verletzung
verfassungsrechtlicher Pflichten kann gegen ihn ein Organstreit geführt werden.
Über den Organstreit entscheidet das Bundesverfassungsgericht.
4. Beendigung
Die Wahlperiode des Bundestags endet mit dem Zusammentritt
eines neuen Bundestags (Art. 39 I 2 GG). Aufgelöst werden kann der Bundestag
durch den Bundespräsidenten auf Vorschlag des Bundeskanzlers binnen 21 Tagen,
wenn ein Antrag des Bundeskanzlers, ihm das Vertrauen auszusprechen, nicht in
einer mindestens 48 Stunden später abgehaltenen Abstimmung die Zustimmung der
Mehrheit der Mitglieder des Bundestags findet, und der Bundestag keinen anderen
Bundeskanzler mit der Mehrheit seiner Mitglieder wählt (Art. 68 GG). Aufzulösen
vom Bundespräsidenten ist der Bundestag, wenn entweder der Bundestag niemanden
mit der Mehrheit der Mitglieder zum Bundeskanzler wählt oder der
Bundespräsident den ohne diese Mehrheit Gewählten nicht binnen sieben Tagen zum
Bundeskanzler ernennt (Art. 63 IV 3 GG).
Das Mandat des Abgeordneten endet mit der Beendigung der
Wahlperiode des Bundestags, dem Tod, dem Verzicht, dem Wegfall einer
Voraussetzung der Wählbarkeit, der Feststellung der Ungültigkeit des
Mandatserwerbs und der Feststellung der Verfassungswidrigkeit seiner Partei. In
der Regel erfolgt eine Wiederbesetzung aus der Landesliste. Ausnahmsweise wird
eine Ersatzwahl durchgeführt.
II. Bundesrat (Art. 50ff. GG)
Bundesrat ist das die Rechte der Bundesländer im Bund
wahrende Organ des Bundes, durch das die Länder bei der Gesetzgebung und
Verwaltung des Bundes und in Angelegenheiten der Europäischen Union mitwirken
(Art. 50 GG).
1. Entstehung
Der Bundesrat besteht aus (grundsätzlich gegenüber den
Landesregierungen weisungsgebundenen) Mitgliedern der Regierungen der Länder
(z. B. Ministerpräsidenten), die sie bestellen und abberufen. Sie können durch
andere Mitglieder ihrer Regierungen als Stellvertreter vertreten werden (Art.
51 I GG). Den Ausschüssen des Bundesrats können andere Mitglieder oder
Beauftragte der Regierungen der Länder angehören (Art. 52 IV GG).
Jedes Land hat mindestens drei Stimmen (Bremen, Hamburg,
Mecklenburg-Vorpommern, Saarland). Länder mit mehr als zwei Millionen
Einwohnern (Berlin, Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt,
Schleswig-Holstein, Thüringen) haben vier Stimmen, Länder mit mehr als sechs
Millionen Einwohnern (Hessen) fünf Stimmen, Länder mit mehr als sieben
Millionen Einwohnern (Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen)
sechs Stimmen (Art. 51 II GG).
Jedes Land kann so viele Mitglieder entsenden, wie es
Stimmen hat (Art. 51 III 1 GG).
2. Organisation
Der Bundesrat ordnet seine Angelegenheiten selbst.
Der Bundesrat wählt (aus seiner Mitte) seinen Präsidenten
auf ein Jahr (Art. 52 I GG).
Der Bundesrat gibt sich eine Geschäftsordnung Art.
52 III 2 GG).
Der Bundesratspräsident beruft den Bundesrat ein. Er hat
ihn einzuberufen, wenn die Vertreter von mindestens zwei Ländern oder die
Bundesregierung es verlangen (Art. 52 II GG). Vielfach tagt der Bundesrat an
Freitagen.
Für Angelegenheiten der Europäischen Union kann der
Bundesrat eine Europakammer bilden, deren Beschlüsse als Beschlüsse des
Bundesrats gelten (Art. 52 IIIa GG).
Der Bundesrat verhandelt öffentlich. Die Öffentlichkeit
kann ausgeschlossen werden (Art. 52 III 3, 4 GG). Die öffentliche Verhandlung
ist eher medienwirksam.
Der Bundesrat fasst seine Beschlüsse mit mindestens der
Mehrheit seiner Stimmen (Art. 52 III 1 GG). Die Stimmen können nur durch anwesende
Mitglieder abgegeben werden. Jedes Land kann nur einheitlich abstimmen.
3. Rechte und Pflichten
Der Bundesrat hat das Recht, Gesetzesvorlagen beim
Bundestag einzubringen (Art. 76 I GG).
Der Bundesrat ist berechtigt, binnen sechs Wochen zu den
ihm zuzuleitenden Vorlagen der Bundesregierung Stellung zu nehmen (Art. 76 II 2
GG).
Der Bundesrat wirkt bei der Gesetzgebung mit.
Der Bundesrat hat im Gesetzgebungsnotstand besondere
Rechte (Art. 81 GG).
Die Mitglieder der Bundesregierung haben das Recht und auf
Verlangen die Pflicht, an den Verhandlungen des Bundesrats und seiner
Ausschüsse teilzunehmen. Der Bundesrat ist von der Bundesregierung über die
Führung der Geschäfte auf dem Laufenden zu halten (Art. 53 GG).
Die Bundesregierung bedarf bei dem Erlass allgemeiner
Verwaltungsvorschriften nach Art. 84 II, 85 II, 108 VII GG der Zustimmung des
Bundesrats.
Der Bundesrat wirkt bei der Bundesaufsicht über die Länder
mit (Art. 84 IV GG). Bundeszwang darf nur mit Zustimmung des Bundesrats
ausgeübt werden (Art. 37 GG).
Der Bundesrat wählt die Hälfte der Mitglieder des
Bundesverfassungsgerichts.
Der Bundesrat hat ein eigenes Antragsrecht vor dem
Bundesverfassungsgericht nach Art. 93 Nr. 2a GG.
Der Bundesrat kann den Bundespräsidenten wegen
vorsätzlicher Verletzung des Grundgesetzes oder eines anderen Bundesgesetzes
vor dem Bundesverfassungsgericht anklagen (Art. 61 I 1 GG).
Vor Bundestag und Bundesrat leistet der Bundespräsident
seinen Amtseid (Art. 56 GG).
Der Bundesratspräsident vertritt den Bundespräsidenten
(Art. 57 GG).
Bundestag zu zwei Dritteln und Bundesrat zu einem Drittel bilden den Gemeinsamen Ausschuss, den die Bundesregierung über ihre Planungen für den Verteidigungsfall zu unterrichten hat (Art. 53a GG).
4. Beendigung
Da die Länder fortwährend bestehen, ändert sich (mit der
Neubildung von Landesregierungen) nur die jeweilige Zusammensetzung des
Bundesrats.
III. Bundespräsident (Art. 54ff. GG)
Bundespräsident ist das Deutschland völkerrechtlich
vertretende Staatsoberhaupt. Gemeinsam mit der Bundesregierung steht er an der
Spitze der vollziehenden Gewalt. Wegen der geschichtlichen Erfahrungen mit
Kaisern und Reichspräsidenten ist die Stellung des Bundespräsidenten durch das
Grundgesetz nur mit sehr eingeschränkten, überwiegend repräsentativen Rechten
ausgestattet.
1. Entstehung
Der Bundespräsident wird ohne Aussprache von der aus den
Mitgliedern des Bundestags und einer gleichen Anzahl von von den
Ländervolksvertretungen nach dem Verhältniswahlrecht gewählten Mitgliedern
gebildeten Bundesversammlung gewählt (Art. 54 I 1, III GG). Wählbar ist
jeder Deutsche, der das Wahlrecht zum Bundestag hat und das vierzigste
Lebensjahr vollendet hat. Die vom Bundestagspräsidenten einzuberufende
Bundesversammlung tritt spätestens dreißig Tage vor Ablauf der Amtszeit des Bundespräsidenten,
bei vorzeitiger Beendigung spätestens dreißig Tage nach der Beendigung, nach
Ablauf der Wahlperiode spätestens dreißig Tage nach dem ersten Zusammentritt
des Bundestags zusammen (Art. 54 IV, V GG).
Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder
der Bundesversammlung (absolute Mehrheit) erhält. Wird diese Mehrheit in zwei
Wahlgängen von keinem Bewerber erreicht, so ist gewählt, wer in einem weiteren
Wahlgang die meisten Stimmen erhält (relative Mehrheit) (Art. 54 VI GG).
Regelmäßig finden Absprachen über die Wahl unter den Parteien statt.
Der Bundespräsident darf weder der Regierung noch einer
gesetzgebenden Körperschaft des Bundes oder eines Landes angehören, kein
anderes besoldetes Amt, kein Gewerbe und keinen Beruf ausüben und weder der
Leitung noch dem Aufsichtsrat eines auf Erwerb gerichteten Unternehmens
angehören (Art. 55 GG).
Bei seinem Amtsantritt leistet der Bundespräsident vor den
versammelten Mitgliedern des Bundestags und des Bundesrats den Amtseid (Art. 56
GG).
2. Rechte und Pflichten
Der sein Aufgaben mit Unterstützung des
Bundespräsidialamts ausführende Bundespräsident vertritt den Bund
völkerrechtlich (Art. 59 I 1 GG). Er schließt im Namen des Bundes die Verträge
mit auswärtigen Staaten. Er beglaubigt und empfängt die Gesandten (Art. 59 I 2,
3 GG).
Der Bundespräsident verkündet den vom Bundestag mit
Zustimmung des Bundesrats festgestellten Eintritt des Verteidigungsfalls (Art.
115a III GG).
Der Bundespräsident schlägt dem Bundestag den zu wählenden
Bundeskanzler vor (Art. 63 I GG), doch kann der Bundestag einen anderen zum
Bundeskanzler wählen und hat der Bundespräsident den (mit der Mehrheit der
Stimmen der Mitglieder des Bundestags) Gewählten zum Bundeskanzler zu ernennen
(Art. 63 II 2 GG, Art. 63 IV 3 GG)). Der Bundespräsident ernennt und entlässt
auf Vorschlag des Bundeskanzlers die Bundesminister (Art. 64 GG). Ohne
Vorschlag des Bundeskanzlers kann er sie weder ernennen noch entlassen.
Der Bundespräsident genehmigt die Geschäftsordnung der
Bundesregierung (Art. 65 S. 4 GG).
Der Bundespräsident kann die Einberufung des Bundestags
verlangen. Auflösen kann der Bundespräsident den Bundestag nur unter ganz
besonderen Voraussetzungen. Sie sind in Art. 68 GG festgelegt.
Der Bundespräsident fertigt die nach der Verfassung zustande
gekommenen Gesetze nach Gegenzeichnung durch den Bundeskanzler oder durch den
zuständigen Bundesminister aus (Art. 82 I 1, 58 GG). Dies kann er ablehnen,
wenn er schwere Bedenken gegen das verfassungsmäßige Zustandekommen (formelles
Prüfungsrecht) oder gegen die inhaltliche Verfassungsmäßigkeit (materielles
Prüfungsrecht, str.) des Gesetzes hat. Im Streitfall muss das
Bundesverfassungsgericht entscheiden.
Der Bundespräsident kann unter besonderen Voraussetzungen
auf Antrag der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats für eine
Gesetzesvorlage den Gesetzgebungsnotstand erklären (Art. 81 GG).
Der Bundespräsident ernennt und entlässt grundsätzlich die
Bundesrichter, die Bundesbeamten, die Offiziere und die Unteroffiziere (Art. 60
I GG), wobei er in den meisten Fällen auch das Recht der sachlichen Überprüfung
der Ernennung hat.
Der Bundespräsident übt im Einzelfall für den Bund das
Recht der Begnadigung aus (Art. 60 II GG, vgl. Anordnung vom 5. 10. 1965).
Anordnungen und Verfügungen des Bundespräsidenten bedürfen
zwecks Entlastung von parlamentarischer Verantwortlichkeit zu ihrer Gültigkeit
grundsätzlich der Gegenzeichnung durch den Bundeskanzler oder durch den
zuständigen Bundesminister (Art. 58 S. 1 GG, beachte Art. 58 S. 2 GG).
Vertreten wird der Bundespräsident durch den
Bundesratspräsidenten (Art. 57 GG).
3. Beendigung
Das Amt des Bundespräsidenten endet durch Ablauf der auf
fünf Jahre befristeten Amtsperiode (anschließende Wiederwahl einmal zulässig, Art.
54 II GG), durch Tod oder Verzicht. Auf Anklage durch den Bundestag oder den
Bundesrat kann das Bundesverfassungsgericht feststellen, dass der
Bundespräsident einer vorsätzlichen Verletzung des Grundgesetzes oder eines
anderen, ihn als Amtsorgan betreffenden Bundesgesetzes schuldig ist (Feststellungsurteil)
und ihn des Amtes für verlustig erklären (Gestaltungsurteil) (Art. 61 I, II 1
GG). Durch einstweilige Anordnung kann es nach der Anklageerhebung bestimmen,
dass er an der Ausübung seines Amtes verhindert ist (Art. 61 II 2 GG).
IV. Bundesregierung (Art. 62ff. GG)
Bundesregierung ist das aus Bundeskanzler und
Bundesministern bestehende (Art. 62 GG), (zusammen mit dem Bundespräsidenten) die
Spitze der vollziehenden Gewalt bildende, das politische Handeln des Staates im
Wesentlichen tatsächlich bestimmende Organ Deutschlands.
1. Entstehung
Der Bundeskanzler wird auf Vorschlag des
Bundespräsidenten, der grundsätzlich den Führer der stärksten Fraktion des
Bundestags vorschlägt, ohne Aussprache vom Bundestag gewählt (Art. 63 I GG).
Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestags auf
sich vereinigt (Art. 63 II 1 GG). Wird der Vorgeschlagene nicht gewählt, so
kann der Bundestag binnen vierzehn Tagen nach dem Wahlgang mit mehr als der
Hälfte seiner Mitglieder einen Bundeskanzler wählen (Art. 63 III GG).
Kommt eine Wahl innerhalb dieser Frist nicht zustande, so
findet unverzüglich ein neuer Wahlgang statt, in dem gewählt ist, wer die
meisten Stimmen erhält (Art. 63 IV 1 GG).
Wer mit der Mehrheit der Mitglieder des Bundestags zum
Bundeskanzler gewählt ist, ist vom Bundespräsidenten zu ernennen (Art. 63 II 2,
63 IV 2 GG). Erreicht der Gewählte die Mehrheit in dem Verfahren nach Art. 63
GG nicht, so kann der Bundespräsident ihnbinnen sieben Tagen ernennen. Er kann
stattdessen aber auch den Bundestag auflösen (Art. 63 IV 3 GG).
Die Bundesminister werden auf Vorschlag des
Bundeskanzlers vom Bundespräsidenten ernannt (Art. 64 I GG, Prüfungsrecht auf
Verfassungsmäßigkeit).
Bundeskanzler und Bundesminister leisten bei der
Amtsübernahme vor dem Bundestag einen Amtseid (Art. 64 II GG). Ihr
Amtsverhältnis beginnt mit der Aushändigung der Ernennungsurkunde. Erfolgt
bereits vorher die Eidesleistung, so beginnt das Amtsverhältnis mit ihr.
2. Rechte und Pflichten
Bundeskanzler und Bundesminister stehen in einem
besonderen, durch das Bundesministergesetz geordneten öffentlichrechtlichen
Amtsverhältnis zum Staat. Dieses Amtsverhältnis ist kein Beamtenverhältnis der
gewöhnlichen Art. Sie sind regelmäßig auch Abgeordnete des Bundestags.
Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik
(Richtlinienkompetenz, Kanzlerprinzip) und trägt dafür die Verantwortung (Art.
65 S. 1 GG). Er kann die Richtlinien gegenüber den Bundesministern durchsetzen.
Hält ein Bundesminister sie nicht ein, kann der Bundeskanzler die Entlassung
des Bundesministers durch den Bundespräsidenten bewirken.
Der Bundeskanzler legt die Zahl und den Tätigkeitsbereich
der Bundesminister fest.
Innerhalb der vom Bundeskanzler bestimmten Richtlinien
leitet jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbständig und unter
eigener Verantwortung (Art. 65 S. 2 GG, Ressortprinzip). Für seinen
Geschäftsbereich stellt er die Bundesregierung dar. Der Bundeskanzler kann ihm
über die Richtlinien hinaus keine Einzelweisungen erteilen.
Der Bundesminister der Verteidigung hat (in
Friedenszeiten) die Befehlsgewalt und Kommandogewalt über die Streitkräfte
(Art. 65a I GG). Der Bundesminister der Finanzen hat ein nur bei
unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnissen verwirklichbares
Zustimmungsrecht zu überplanmäßigen Ausgaben und außerplanmäßigen Ausgaben
(Art. 112 GG). Im Übrigen haben die Bundesminister grundsätzlich gleiche Rechte
und Pflichten.
Über Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundesministern
entscheidet die Bundesregierung (Art. 65 S. 3 GG, Kollegialprinzip).
Die Geschäfte der Bundesregierung leitet der Bundeskanzler
nach einer von der Bundesregierung beschlossenen und vom Bundespräsidenten
genehmigten Geschäftsordnung (Art. 65 S. 4 GG).
Bundeskanzler und Bundesminister dürfen kein anderes
besoldetes Amt, kein Gewerbe und keinen Beruf ausüben und weder der Leitung
noch ohne Zustimmung des Bundestags dem Aufsichtsrat eines auf Erwerb
gerichteten Unternehmens angehören (Art. 66 GG).
Wichtigste Aufgabe der Bundesregierung ist die politische
Leitung des Staates. Zu diesem Zweck kann sie Gesetzesvorlagen beim
Bundestag einbringen (Art. 76 I GG). Durch Gesetz kann sie oder ein
Bundesminister ermächtigt sein, eine Rechtsverordnung zu erlassen (Art. 80 I 1
GG).
Unter besonderen Voraussetzungen kann sie die Erklärung
des Gesetzgebungsnotstands beantragen (Art. 81 I GG).
Im Bereich der vollziehenden Gewalt hat die
Bundesregierung vor allem die Aufsicht über die Ausführung der Bundesgesetze
durch die Länder. Daneben besteht die Möglichkeit des bundeseigenen Vollzugs.
In bestimmten Fällen kann die Bundesregierung Verwaltungsvorschriften erlassen.
Vertreten wird der Bundeskanzler durch den von ihm zum Vizekanzler
ernannten Bundesminister (Art. 69 I GG), der Bundesminister in
Regierungsangelegenheiten durch den vom Bundeskanzler als Vertreter bestimmten
Bundesminister bzw. in Verwaltungsangelegenheiten durch den beamteten Staatssekretär
(nicht Mitglied der Bundesregierung), gegebenenfalls auch durch den
parlamentarischen Staatssekretär (Mitglied des Bundestags).
3. Beendigung
Das Amt des Bundeskanzlers oder eines Bundesministers
endet mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestags, das Amt eines
Bundesministers auch mit jeder anderen Erledigung des Amts des Bundeskanzlers
(Art. 69 II GG, z. B. Tod, Rücktritt). Das Misstrauen kann der Bundestag dem
Bundeskanzler nur dadurch aussprechen, dass er mit der Mehrheit seiner
Mitglieder einen Nachfolger wählt und den Bundespräsidenten ersucht, den
Bundeskanzler zu entlassen (Art. 67 S. 1 GG, konstruktives Misstrauensvotum).
Auf Ersuchen des Bundespräsidenten ist der Bundeskanzler, auf Ersuchen des
Bundeskanzlers oder des Bundespräsidenten ein Bundesminister nach Beendigung
seines Amtes verpflichtet, die Geschäfte bis zur Ernennung eines Nachfolgers
weiterzuführen (Art. 69 III GG).
V. Bundesgerichte
Die rechtsprechende Gewalt wird durch das Bundesverfassungsgericht
(in Karlsruhe), durch die in der Verfassung vorgesehenen Bundesgerichte
(Bundesgerichtshof in Karlsruhe, Bundesverwaltungsgericht in Leipzig,
Bundesfinanzhof in München, Bundesarbeitsgericht in Erfurt, Bundessozialgericht
in Kassel, Bundespatentgericht) und durch die Gerichte der Länder ausgeübt
(Art. 92 GG).
Sofern eine andere Einrichtung eine der Entscheidung eines
staatlichen Gerichts vergleichbare Entscheidung erwarten lässt, kann sie als
Gericht angesehen werden (z. B. Ehrengerichtshof der Rechtsanwälte).
VI. Öffentlicher Dienst
Die (sonstige) Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist
als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu
übertragen, die in einem öffentlichrechtlichen Dienstverhältnis und
Treueverhältnis (Beamtenverhältnis) stehen (Art. 33 IV GG). Das Recht
des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten
Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln (Art. 33 V GG, z. B.
Gehorsamspflicht, Verschwiegenheitspflicht, Unparteilichkeit,
Alimentationspflicht, lebenslängliche Dauer, Akteneinsichtsrecht). Verletzt
jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amts die ihm einem
Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit
grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht (Art.
34 S. 1 GG, str. ob gesetzliche Schuldübernahme zu § 839 BGB oder eigene
Anspruchsgrundlage).
§ 6 Staatstätigkeiten
I. Gesetzgebung
1. Wesen
Gesetzgebung ist die Schaffung von Recht durch Setzungsakt
einer zuständigen Einrichtung. Sie steht der Entstehung von Recht auf Grund
lang dauernder Gewohnheit in Rechtsüberzeugung (Gewohnheitsrecht) gegenüber.
Kennzeichnend ist die Setzung als Recht.
2. Arten
a) Formelle Gesetzgebung und materielle
Gesetzgebung
Formelle Gesetzgebung ist die im in der Verfassung
festgelegten förmlichen Verfahren (vgl. Art. 76ff. GG) erfolgende Gesetzgebung,
die zum formellen Gesetz führt (z. B. Aktiengesetz). Materielle Gesetzgebung
ist die inhaltlich erfolgende Gesetzgebung, die zum materiellen Gesetz führt (z.
B. Rechtsverordnung, Satzung). Oft ist ein Gesetz formelles Gesetz und
materielles Gesetz, doch kann einerseits ein formelles Gesetz gelegentlich
inhaltlich nicht Gesetz sein (z. B. Haushaltsgesetz, das keine
allgemeinverbindlichen Rechtssätze, sondern nur die verwaltungsinterne
Ermächtigungsgrundlage für Staatsausgaben enthält, vgl. BVerfGE 38, 126,
Kreditgesetz Art. 115 GG) und kann andererseits materielles Gesetz ohne
förmliches Gesetzgebungsverfahren zustande kommen (z. B. Rechtsverordnung).
b) Bundesgesetzgebung und Landesgesetzgebung
Bundesgesetzgebung ist die durch den Bund erfolgende
Gesetzgebung, die zum Bundesgesetz führt. Landesgesetzgebung ist die durch das Land
erfolgende Gesetzgebung, die zum Landesgesetz führt.
c) Allgemeine Gesetzgebung und Einzelfallgesetzgebung
Allgemeine Gesetzgebung ist die für eine Vielzahl von Sachverhalten oder Personen erfolgende Gesetzgebung. Einzelfallgesetzgebung ist die für einzelne Sachverhalte oder für einzelne Personen erfolgende Gesetzgebung, die zum Einzelfallgesetz führt. Sofern das Einzelfallgesetz die Grundrechte nicht einschränkt, ist es zulässig.
d) Ausschließliche Gesetzgebung, konkurrierende Gesetzgebung, Rahmengesetzgebung, Grundsatzgesetzgebung
Nach der Zuständigkeit des Bundes oder der Länder zur Gesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland kann zwischen ausschließlicher (Zuständigkeit zur) Gesetzgebung, konkurrierender (Zuständigkeit zur) Gesetzgebung, Rahmengesetzgebung und Grundsatzgesetzgebung unterschieden werden.
e)
Einspruchsgesetzgebung und Zustimmungsgesetzgebung
Je nach den Rechten des Bundesrats im Gesetzgebungsverfahren
in der Bundesrepublik Deutschland kann zwischen Gesetzgebung mit Einspruchsmöglichkeit
des Bundesrats und Gesetzgebung unter Zustimmungsbedürftigkeit durch den
Bundesrat unterschieden werden.
3. Zuständigkeit
a) Ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit
Im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes
haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung nur, wenn und soweit sie hierzu
in einem Bundesgesetz ausdrücklich ermächtigt werden (Art. 71 GG). Nach Art. 73
GG hat der Bund die ausschließliche Gesetzgebung über (1) die auswärtigen
Angelegenheiten sowie die Verteidigung einschließlich des Schutzes
der Zivilbevölkerung, (2) die Staatsangehörigkeit im Bund, (3) die
Freizügigkeit, das Passwesen, die Einwanderung und Auswanderung und die
Auslieferung, (4) das Währungswesen, Geldwesen und Münzwesen, Maße und
Gewichte sowie die Zeitbestimmung, (5) die Einheit des Zollgebiets und
Handelsgebiets, die Handelsverträge und Schifffahrtsverträge, die Freizügigkeit
des Warenverkehrs und den Warenverkehr und Zahlungsverkehr mit
dem Ausland einschließlich des Zollschutzes und Grenzschutzes, (6) den Luftverkehr,
(6a) den Verkehr von Eisenbahnen des Bundes, den Bau, die Unterhaltung
und das Betreiben von Schienenwegen der Eisenbahnen des Bundes sowie die
Erhebung von Entgelten für die Benutzung dieser Schienenwege, (7) das Postwesen
und die Telekommunikation, (8) die Rechtsverhältnisse der im Dienst
des Bundes und der bundesunmittelbaren Körperschaften des öffentlichen
Rechts stehenden Personen, (9) den gewerblichen Rechtsschutz, das
Urheberrecht und das Verlagsrecht, (10) die Zusammenarbeit des Bundes und
der Länder in der Kriminalpolizei, zum Schutz der freiheitlichen
demokratischen Grundordnung, des Bestands und der Sicherung des Bundes oder
eines Landes (Verfassungsschutz) und zum Schutz gegen auswärtige Belange
gefährdende Bestrebungen im Bundesgebiet sowie die Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamts
und die internationale Verbrechensbekämpfung und (11) die Statistik für
Bundeszwecke sowie (12) die Zölle und Finanzmonopole (Art. 105 I GG,
vgl. auch Art. 143a GG Umwandlung der Bundeseisenbahnen, 143b Umwandlung des
Sondervermögens Deutsche Bundespost).
b) Konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit
Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung haben die
Länder die Befugnis zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seiner
Gesetzgebungszuständigkeit nicht abschließend inhaltlich durch Gesetz Gebrauch
gemacht hat. Der Bund hat in diesem Bereich das Gesetzgebungsrecht, wenn und
soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet
oder die Wahrung der Rechtseinheit oder Wirtschaftseinheit im
gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht
(Art. 72 II GG), wobei die Erforderlichkeit nachträglich entfallen kann (vgl.
Art. 72 III GG). Nach Art. 74 GG erstreckt sich die konkurrierende Gesetzgebung
(nur) auf die Gebiete (1) bürgerliches Recht, Strafrecht und Strafvollzug
(einschließlich des Ordnungswidrigkeitenrechts), Gerichtsverfassung,
gerichtliches Verfahren, Rechtsanwaltschaft, Notariat und Rechtsberatung, (2)
Personenstandswesen, (3) Vereinsrecht und Versammlungsrecht, (4)
Aufenthaltsrecht und Niederlassungsrecht der Ausländer, (4a) Waffenrecht und
Sprengstoffrecht, (6) Angelegenheiten der Flüchtlinge und Vertriebenen, (7)
öffentliche Fürsorge, (9) Kriegsschäden und Wiedergutmachung, (10)
Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen und Fürsorge für
die ehemaligen Kriegsgefangenen, (10a) Kriegsgräber, (11) Recht der
Wirtschaft (Bergbau, Industrie, Energiewirtschaft, Handwerk, Gewerbe,
Handel, Bankwesen, Börsenwesen, privatrechtliches Versicherungswesen), (11a)
Erzeugung und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken, (12) Arbeitsrecht,
Betriebsverfassung, Arbeitsschutz, Arbeitsvermittlung sowie Sozialversicherung
(mit Arbeitslosenversicherung, (13) Ausbildungsbeihilfen und Förderung
wissenschaftlicher Forschung, (14) Enteignung, (15) Überführung in
Gemeineigentum, (16) Verhütung des Missbrauchs wirtschaftlicher
Machtstellung, (17) Förderung landwirtschaftlicher und forstwirtschaftlicher
Erzeugung, Sicherung der Ernährung, Einfuhr und Ausfuhr landwirtschaftlicher
und forstwirtschaftlicher Erzeugnisse, Hochseefischerei, Küstenfischerei
und Küstenschutz, (18) Grundstücksverkehr, Bodenrecht (ohne
Erschließungsbeiträge), landwirtschaftliches Pachtwesen, Wohnungswesen,
Siedlungswesen und Heimstättenwesen, (19) gemeingefährliche und übertragbare Krankheiten,
Zulassung zu Heilberufen und Heilgewerbe und Verkehr mit Arzneien,
Heilmitteln, Betäubungsmitteln und Giften, (19a) wirtschaftliche Sicherung
der Krankenhäuser und Regelung der Krankenhauspflegesätze, (20) Schutz
beim Verkehr mit Lebensmitteln und Genussmitteln, Bedarfsgegenständen,
Futtermitteln, Saatgut und Pflanzengut, Pflanzenschutz und Tierschutz, (21)
Hochseeschifffahrt, Küstenschifffahrt, Binnenschifffahrt, Wetterdienst,
Seewasserstraßen und wichtigere Binnenwasserstraßen, (22) Straßenverkehr,
Kraftfahrwesen, Fernstraßenbau, Fernstraßenunterhaltung und
Straßenbenutzungsgebühren, (23) Schienenbahnen anderer als des Bundes (ohne
Bergbahnen), (24) Abfallbeseitigung, Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung,
(25) Staatshaftung sowie (26) künstliche Befruchtung des Menschen,
Untersuchung und künstliche Veränderung von Erbinformationen sowie Transplantation
von Organen und Geweben. Hinzu kommt nach Art. 74a GG die Besoldung und
Versorgung der Angehörigen des öffentlichen Dienstes über die
ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit des Art. 73 Nr. 8 GG hinaus und nach
Art. 105 II GG die konkurrierende Gesetzgebung über die dem Bund zustehenden
oder bundeseinheitlich zu regelnden Steuern (Art. 105 II GG).
c) Rahmengesetzgebungszuständigkeit
Wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger
Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechtseinheit oder
Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche
Regelung erforderlich macht, hat der Bund gegenüber der grundsätzlichen
Landeszuständigkeit das Recht zum Erlass von ausfüllungsfähigen und
ausfüllungsbedürftigen Rahmenvorschriften für die Gesetzgebung der Länder für
(1) die Rechtsverhältnisse der im öffentlichen Dienst der Länder,
Gemeinden und anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts stehenden Personen
einschließlich des Personalvertretungsrechts (beachte Art. 74a GG), (1a) die
allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens, (2) die allgemeinen
Rechtsverhältnisse der Presse, (3) Jagdwesen, Naturschutz und
Landschaftspflege, (4) Bodenverteilung, Raumordnung und Wasserhaushalt,
(5) Meldewesen und Ausweiswesen sowie (6) den Schutz deutschen
Kulturguts gegen Abwanderung ins Ausland (Art. 75 I GG). Rahmenvorschriften
dürfen nur in Ausnahmefällen in Einzelheiten gehende oder unmittelbar geltende
Regelungen enthalten (Art. 75 II GG). Die Länder müssen innerhalb einer durch
das jeweilige Rahmengesetz bestimmten angemessenen Frist die erforderlichen
Landesgesetze erlassen (Art. 75 III GG).
d) Grundsatzgesetzgebungszuständigkeit
Für Gemeinschaftsaufgaben (Art. 91a II 2 GG), für
Haushaltsrecht, konjunkturgerechte Haushaltswirtschaft und mehrjährige
Finanzplanung (Art. 109 III GG) sowie für Ablösung von Staatsleistungen an
Religionsgesellschaften (Art. 140 GG, 138 I WRV) kann der Bund bei sachlichem
Bedürfnis ausfüllungsfähige Grundsatzgesetze (Grundsätze) erlassen.
e) ausschließliche Landesgesetzgebungszuständigkeit
Die angesichts dieser umfangreichen, ausdrücklichen und
nur ausnahmsweise unter engen Voraussetzungen durch den Gedanken des
Sachzusammenhangs erweiterbaren Aufzählung der Bundesgesetzgebungszuständigkeit
verbleibende ausschließliche Landesgesetzgebungszuständigkeit betrifft
hauptsächlich Polizeirecht, Gemeinderecht, Bausicherheitsrecht,
Wassergüterecht, Wassermengenrecht, Schulrecht und Staatskirchenrecht. Im
Verteidigungsfall steht auch hier dem Bund die konkurrierende, der Zustimmung
des Bundesrats bedürftige Gesetzgebung zu (Art. 115c GG).
4. Gesetzgebungsverfahren (Art. 76ff. GG)
a) Gesetzesvorlagen
Gesetzesvorlagen werden beim Bundestag entweder durch die Bundesregierung,
aus der Mitte des Bundestags oder durch den Bundesrat eingebracht
(Gesetzesinitiativrecht bei drei Organen, Art. 76 I GG). Die in der
Rechtswirklichkeit besonders häufigen Gesetzesvorlagen der Bundesregierung sind
zuerst dem Bundesrat zuzuleiten, der binnen 3 (bei eilbedürftigen Vorlagen), 6 (im
Normalfall) oder 9 Wochen Stellung nehmen darf, ohne dass dies die
Bundesregierung zu einer Änderung zwingt oder die Zuleitung an den Bundestag
verhindert (Art. 76 II GG), danach dem Bundestag. Vorlagen des Bundesrats sind
der Bundesregierung zu übergeben und von dieser binnen 3, 6 oder 9 Wochen dem
Bundestag zuzuleiten (Art. 76 III GG).
b) Gesetzesbeschluss
Die Bundesgesetze werden (grundsätzlich) vom Bundestag
beschlossen (Art. 77 I 1 GG). Der Bundestag hat über Gesetzesvorlagen in
angemessener Frist zu beraten und Beschluss zu fassen (Art. 76 III 6 GG). Meist
wird die Gesetzesvorlage nach der ersten Lesung im Bundestag an einen Bundestagsausschuss
zur Beratung überwiesen. Dies ist auch nach der zweiten Lesung möglich. Der
Beschluss, einen Text zum Gesetz zu erheben, wird nach der Geschäftsordnung (des
Bundestags) nach drei Lesungen durch Abstimmung gefasst, wobei für
verfassungsändernde Gesetze die Notwendigkeit der Zweidrittelmehrheit(en) zu
beachten ist (Art. 79 II GG). Nach der Annahme durch den Bundestag ist das
Bundesgesetz durch den Präsidenten des Bundestags unverzüglich dem Bundesrat
zuzuleiten (Art. 77 I 2 GG).
aa) Einspruchsgesetz
Bedarf das Gesetz, wie überwiegend, nach den Vorschriften
der Verfassung nicht der Zustimmung des Bundesrats, so kann der Bundesrat
binnen drei Wochen nach Eingang des Beschlusses die Einberufung des aus je 16
Mitgliedern des Bundestags und des Bundesrats bestehenden Vermittlungsausschusses
verlangen, in dem über Änderungswünsche des Bundesrats beraten werden kann
(Art. 77 II 1 GG). Schlägt der Ausschuss eine Änderung des Gesetzesbeschlusses
vor, so hat der Bundestag erneut Beschluss zu fassen (Art. 77 II 5 GG). Einigt
sich der Vermittlungsausschuss nicht auf einen Änderungsvorschlag oder lehnt
der Bundestag den Änderungsvorschlag des Vermittlungsausschusses ab, kann der
Bundesrat binnen zwei Wochen nach Beendigung des Vermittlungsverfahrens (durch
Eingang des Bundestagsbeschlusses oder Mitteilung des Vorsitzenden, Art. 77 III
2 GG) gegen ein vom Bundestag beschlossenes, nicht der Zustimmung des
Bundesrats bedürftiges Gesetz Einspruch einlegen (Art. 77 III 1 GG). Der
Einspruch kann vom Bundestag zurückgewiesen werden (Art. 77 IV GG). Ist der
Einspruch mit der Mehrheit der Stimmen des Bundesrats beschlossen, bedarf der
Zurückweisungsbeschluss der Mehrheit der Mitglieder des Bundestags (Art. 77 IV
1 GG). Ist der Einspruch mit einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der
Stimmen des Bundesrats beschlossen, bedarf der Zurückweisungsbeschluss einer
Mehrheit von zwei Dritteln des Bundestags, mindestens der Mehrheit der
Mitglieder des Bundestags (Art. 77 IV 2 GG).
Das Einspruchsgesetz kommt auf Grund des
Gesetzesbeschlusses des Bundestags zustande, wenn der Bundesrat keinen Antrag
auf Einberufung des Vermittlungsausschusses stellt, innerhalb der
Einspruchsfrist keinen Einspruch einlegt oder einen eingelegten Einspruch
zurücknimmt oder der Einspruch vom Bundestag mit der notwendigen Mehrheit
überstimmt wird (Art. 78 GG). Es kommt trotz Gesetzesbeschlusses des Bundestags
nicht zustande, wenn der Bundestag über einen Änderungsvorschlag des
Vermittlungsausschusses nicht erneut Beschluss fasst oder der
Zurückweisungsbeschluss gegen einen Einspruch nicht mit der erforderlichen
Mehrheit gefasst wird.
bb) Zustimmungsgesetz
Bedarf ein Gesetz (nach Art. 97 II, 29 VII, 74 II, 84 I,
V, 85 I, 87 III, 87b I 3, II 1, 2, 87c, 87d II, 87e V, 87f I, 105 III, 106 III
3, IV 2, V 5, VI 5, 107 I 2, 4, 108 II 2, IV 1 V 2, V, 115c I 2, III, 120a I 1,
134 IV, 135 V) (auch nur wegen eines einzigen zustimmungspflichtigen Satzes)
der Zustimmung des Bundesrats, so kommt es nur zustande, wenn der Bundesrat
zustimmt (Art. 78 GG). Um die Zustimmung zu erreichen, können Bundesrat,
Bundestag oder Bundesregierung die Einberufung des Vermittlungsausschusses
verlangen (Art. 77 II 4 GG). Wird die Einberufung nicht verlangt oder führt das
Vermittlungsverfahren nicht zu einem zustimmungsfähigen Änderungsvorschlag,
muss der Bundesrat in angemessener Frist beschließen, ob er seine Zustimmung
gibt oder verweigert (Art. 77 II 4 GG). Das Zustimmungsgesetz lässt sich an der
Wendung „Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrats das Gesetz
beschlossen“ erkennen.
c) Ausfertigung und Verkündung
aa) Ausfertigung
Die nach den Vorschriften der Verfassung zustande gekommenen Gesetze (Einspruchsgesetze oder Zustimmungsgesetze) werden vom Bundespräsidenten nach Gegenzeichnung durch den Bundeskanzler oder (bzw. meist und) durch den zuständigen Bundesminister (Art. 58 GG) ausgefertigt (auf der Originalurkunde unterschrieben) (Art. 82 I 1 GG) Der Bundespräsident hat ein Prüfungsrecht hinsichtlich des formell verfassungsmäßigen Zustandeskommens des Gesetzes (formelles Prüfungsrecht) und ein Prüfungsrecht hinsichtlich der inhaltlichen Wahrung der Verfassung (z. B. Grundrechte, Grundentscheidungen, Grundsätze) durch das Gesetz (materielles Prüfungsrecht, str.). Unterlässt er die grundsätzlich in angemessener Frist auszuführende Ausfertigung, kann das Gesetz nicht in Kraft treten.
bb) Verkündung
Nach der Ausfertigung wird das Gesetz im Bundesgesetzblatt
(durch Abdruck und Inverkehrbringen des ersten Exemplars der betreffenden auf
einen Ausgabetag datierten Nummer) verkündet (Art. 82 I 1 GG).
d) Inkrafttreten
Jedes Gesetz soll den Tag des Inkrafttretens bestimmen
(Art. 82 II 1 GG). Fehlt eine solche Bestimmung, so tritt es mit dem
vierzehnten Tag nach Ablauf des Tags in Kraft, an dem (bzw. unter dem) das Bundesgesetzblatt
ausgegeben worden ist (Art. 82 II 2 GG).
5. Sonderfälle
a) Verteidigungsfall (Art. 115aff. GG)
Wird das Bundesgebiet mit Waffen angegriffen oder droht
ein solcher Angriff unmittelbar, so können die Gesetzgebungsrechte des
Bundestags und Bundesrats auf einen Gemeinsamen Ausschuss übergehen.
b) Gesetzgebungsnotstand (Art. 81 GG)
Lehnt der Bundestag eine Gesetzesvorlage nach Erklärung
des Gesetzgebungsnotstands erneut ab oder nimmt er sie in einer für die
Bundesregierung als unannehmbar bezeichneten Fassung an, so gilt das Gesetz (in
seiner abgelehnten Fassung) als zustande gekommen, soweit der Bundesrat ihm
zustimmt (Art. 81 II 1 GG).
c) Rechtsverordnung
Durch formelles Gesetz (der gesetzgebenden Gewalt) können
die Bundesregierung, ein Bundesminister oder die Landesregierungen (, womit
nach Landesverfassungsrecht auch ein einzelner Landesminister ermächtigt sein
kann,) ermächtigt werden, (obwohl sie Teil der vollziehenden Gewalt sind,)
Rechtsverordnungen (bei Bundesorganen Bundesrechtsverordnung, bei Landesorganen
durch Landesgesetz ersetzbare Landesrechtsverordnung, vgl. Art. 80 IV GG) zu
erlassen (Art. 80 I 1 GG) und damit allgemeinverbindliche Rechtssätze zu
schaffen (Gesetz im materiellen Sinn). Dabei müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß
der erteilten Ermächtigung im (formellen) Gesetz bestimmt werden (Art.
80 I 2 GG), so dass die wesentlichen Entscheidungen bereits im (formellen) Gesetz
getroffen werden müssen. Die Rechtsverordnung muss die Rechtsgrundlage, auf der
sie beruht, ausdrücklich angeben (Art. 80 I 3 GG). Ist durch Gesetz vorgesehen,
dass eine Ermächtigung weiter übertragen werden kann, so bedarf es zur
Übertragung der Ermächtigung einer Rechtsverordnung (Art. 80 I 4 GG).
Die meisten Rechtsverordnungen des Bundes bedürfen der
Zustimmung des Bundesrats (Art. 80 II GG).
Rechtsverordnungen werden von der sie erlassenden Stelle
ausgefertigt und vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung im
Bundesgesetzblatt verkündet (Art. 82 I 2 GG). Jede Rechtsverordnung soll den
Tag des Inkrafttretens bestimmen. Fehlt eine solche Bestimmung, so tritt sie
mit dem vierzehnten Tag nach Ablauf des Tags in Kraft, an dem das (sie
enthaltende) Bundesgesetzblatt ausgegeben worden ist (Art. 82 II GG).
d) Satzung
Auf Grund gesetzlicher Ermächtigung ist die Schaffung von
die Mitglieder bindenden Satzungen juristischer Personen des öffentlichen Rechts
(z. B. kommunale Gebietskörperschaft, Religionsgemeinschaft, Universität)
zulässig.
e) Fortgeltung
alten Rechts
Recht aus der Zeit vor dem Zusammentritt des Bundestags
gilt fort, soweit es der Verfassung nicht widerspricht (Art. 123 I GG, vgl.
dazu das rechtsbereinigende Gesetz über die Sammlung des Bundesrechts vom 10.
7. 1958). Ermächtigungen zu Rechtsverordnungen gelten fort, sofern sie nicht zu
gesetzesändernden, gesetzesergänzenden oder gesetzesvertretenden
Rechtsverordnungen ermächtigen (Art. 129 GG).
f) Fortgeltung von Recht der ehemaligen Deutschen
Demokratischen Republik
Vom 3. 10. 1990 an gilt das Recht der Bundesrepublik
Deutschland grundsätzlich auch für das Gebiet der ehemaligen Deutschen
Demokratischen Republik (vgl. Art. 143 GG). Ausnahmen sind gemäß dem
Einigungsvertrag zulässig.
II. Verwaltung
1. Wesen
Verwaltung ist die auf Dauer angelegte Besorgung von
Angelegenheiten, insbesondere die Besorgung von Angelegenheiten des Staates
durch staatliche Organe und ihre Bediensteten. In einem engeren Sinn ist
Verwaltung die Staatstätigkeit, die nicht Regierung, Gesetzgebung oder
Rechtsprechung ist. Den Kernbereich stellt die ausführende (exekutive) oder
vollziehende Anwendung der Gesetze bzw. des Rechts dar, doch ist Verwaltung
beispielsweise auch Planung, Bau und Unterhaltung von Straßen mit den dazu
geeigneten Mitteln.
2. Arten
a) Bundesverwaltung
und Landesverwaltung
aa) Bundesverwaltung
Bundesverwaltung ist die Verwaltung des Bundes. Sie ist
entweder (aaa) unmittelbare Bundesverwaltung mit (aaaa) eigenen Bundesoberbehörden,
Bundesmittelbehörden und Bundesunterbehörden (z. B.
Bundeswehrverwaltung Art. 87b I 1 GG, Bundeswasserstraßenverwaltung Art. 87 I 1
GG [mit Wasser- und Schifffahrtsdirektionen und Wasser- und
Schifffahrtsämtern], auswärtiger Dienst [mit Botschaften und Konsulaten]),
Bundesoberbehörden (z. B. Bundeskriminalamt) oder mit (bbbbb) nichtrechtsfähigen bundesunmittelbaren
Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts (z. B.
Physikalisch-Technische Bundesanstalt) oder (bbb) mittelbare
Bundesverwaltung durch rechtsfähige bundesunmittelbare Körperschaften des
öffentlichen Rechts (z. B. Bundesagentur für Arbeit [mit Regionaldirektionen
für Arbeit und Agenturen für Arbeit], Bundesversicherungsanstalt für
Angestellte, Bundesbank). Grundsätzlich kann die Bundesregierung hier Behörden
einrichten, allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen und durch den
zuständigen Bundesminister Weisungen erteilen.
bb) Landesverwaltung
Landesverwaltung ist die Verwaltung des Landes. Sie ist unmittelbare
Staatsverwaltung. Sie kann (aaa) eigene Verwaltung (einschließlich der
Bundes[rechts]aufsichtsverwaltung) oder (bbb) eigene Verwaltung mit
Weisungsmöglichkeit des Bundes (Auftragsverwaltung des Bundes,
Bundesauftragsverwaltung) sein. Sie erfolgt durch Landesbehörden.
b) Eingriffsverwaltung und Leistungsverwaltung
Eingriffsverwaltung
ist die in die Freiheitsrechte des Einzelnen eingreifende Verwaltung (z.
B. Polizei).
Leistungsverwaltung
ist die für den Einzelnen Leistungen erbringende Verwaltung (z. B.
Müllabfuhr).
c) Staatsverwaltung und Selbstverwaltung
Staatsverwaltung
ist die Verwaltung des Staates (Bundes, Landes).
Selbstverwaltung
ist die vom Staat einzelnen öffentlichrechtlichen Rechtssubjekten überlassene
Verwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten (z. B. Gemeinden, Universitäten,
Sozialversicherungsträger).
d) Auftragsverwaltung und Mischverwaltung
Auftragsverwaltung
ist Verwaltung durch einen Verwaltungsträger mit Weisungsmöglichkeit eines
anderen Verwaltungsträgers.
Mischverwaltung
ist die in bestimmter Weise gemeinschaftliche Verwaltung eines Sachgegenstands
durch mehrere Verwaltungsträger (vgl. z. B. Art. 91a GG).
3. Zuständigkeit
Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung
der staatlichen Aufgaben in Deutschland ist (als geschichtliche Folge des 1867
bzw. 1871 einigermaßen freiwillig erfolgenden nachträglichen Zusammenschlusses
ursprünglich selbständiger Staaten) Sache der Länder, soweit die Verfassung
keine andere Regelung trifft oder zulässt (Art. 30 GG). Die Länder führen die
Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, soweit die Verfassung nichts
anderes bestimmt oder zulässt (Art. 83 GG). Danach ist zu unterscheiden
zwischen dem Bundesvollzug von Bundesgesetzen (bundeseigene Verwaltung, Art.
87ff., 108 I GG), dem Landesvollzug von Bundesgesetzen mit Weisungsmöglichkeit
des Bundes (Bundesauftragsverwaltung der Länder, Art. 85 GG), dem Landesvollzug
von Bundesgesetzen als eigene Angelegenheit der Länder
(Bundes[rechts]aufsichtsverwaltung der Länder, Art. 84 GG) und dem
Landesvollzug von Landesgesetzen (Art. 30 GG).
a) Bundesverwaltung
Bundesverwaltung ist nur möglich, wo eine
Verwaltungsangelegenheit dem Bund durch die Verfassung zugewiesen ist oder die
Verfassung Bundesverwaltung zulässt.
In bundeseigener Verwaltung mit eigenem
Verwaltungsunterbau werden geführt der auswärtige Dienst, die Bundesfinanzverwaltung
und nach Maßgabe des Art. 89 GG die Verwaltung der Bundeswasserstraßen
und der Schifffahrt (Art. 87 I 1 GG). Durch Bundesgesetz können
Bundesgrenzschutzbehörden, Zentralstellen für das polizeiliche Auskunfts- und
Nachrichtenwesen, für die Kriminalpolizei und zur Sammlung von Unterlagen für
Zwecke des Verfassungsschutzes und des Schutzes gegen Belange Deutschlands
gefährdende Bestrebungen im Bundesgebiet eingerichtet werden (Art. 87 I GG).
Als bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts werden die sozialen
Versicherungsträger geführt, deren Zuständigkeit sich über das Gebiet eines
Landes hinaus erstreckt (Art. 87 II 1 GG). Die Bundeswehrverwaltung wird
in bundeseigener Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau geführt (Art. 87b I
1 GG). Die Luftverkehrsverwaltung und die Eisenbahnverkehrsverwaltung
der Bundeseisenbahnen werden in bundeseigener Verwaltung geführt (Art. 87d I 1,
87e I 1 GG). Der Bund verwaltet die Bundeswasserstraßen durch eigene Behörden
(Art. 89 II 1 GG). Zölle, Finanzmonopole, die bundesgesetzlich geregelten
Verbrauchsteuern einschließlich der Einfuhrumsatzsteuer und die Abgaben im
Rahmen der Europäischen Gemeinschaften werden durch Bundesfinanzbehörden
verwaltet (Art. 108 I 1 GG). Teilweise besteht in diesen Fällen die
Möglichkeit, statt der bundeseigenen Verwaltung Landesverwaltung einzurichten
(z. B. Art. 87d I 2 GG).
Für Angelegenheiten, für die dem Bund die Gesetzgebung
zusteht, können selbständige Bundesoberbehörden, die ihre Aufgaben ohne
Mittelbau, ohne Unterbau und ohne Landesbehörden wahrnehmen können, und neue
bundesunmittelbare Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts durch
Bundesgesetz errichtet werden (Art. 87 III 1 GG, z. B. Bundesanstalt für
Flugsicherung, Bundesanstalt für Post und Telekommunikation, Bundeskartellamt,
Kraftfahrtbundesamt, Umweltbundesamt). Erwachsen dem Bund auf Gebieten, für die
ihm die Gesetzgebung zusteht, neue Aufgaben, so können bei dringendem Bedarf
(auch) bundeseigene Mittelbehörden und Unterbehörden mit Zustimmung des
Bundesrats und der Mehrheit der Mitglieder des Bundestags errichtet werden
(Art. 87 III 2 GG). Auf Antrag eines Landes kann der Bund Bundesautobahnen und
sonstige Bundesstraßen des Fernverkehrs, soweit sie im Gebiet dieses Landes
liegen, in bundeseigene Verwaltung übernehmen (Art. 90 III GG). Für den
Lastenausgleich besteht ein eigenes Bundesausgleichsamt (Bundeslastenausgleichsamt)
mit besonderen Zuständigkeiten (Art. 120a GG).
b) Landesverwaltung
Landesverwaltung
ist die Verwaltung durch Behörden eines Landes. Sie ist möglich für den Vollzug
von Bundesgesetzen, wobei zwischen Landesverwaltung mit Weisungsmöglichkeit des
Bundes und Landesverwaltung in Ausführung von Bundesgesetzes als eiegene
Angelegenheit zu unterscheiden ist. Daneben vollziehen die Landesbehörden auch
Landesgesetze.
aa) Landesverwaltung mit Weisungsmöglichkeit des Bundes
(Bundesauftragsverwaltung, Auftragsverwaltung)
Führen die Länder – ausnahmsweise - die Bundesgesetze im „Auftrag“
des Bundes aus, so bleibt die Einrichtung der Behörden Angelegenheit der
Länder, soweit nicht Bundesgesetze mit Zustimmung des Bundesrats etwas anderes bestimmen
(Art. 85 I GG). Die Verwaltung ist insofern Landesverwaltung. Diese Art der
Verwaltung ist dort möglich, wo die Verfassung sie bestimmt oder zulässt.
Bundesauftragsverwaltung findet nach der Verfassung statt,
wo Landesfinanzbehörden Steuern verwalten, die ganz oder teilweise dem
Bund zufließen (Art. 108 III 1 GG). Bund bzw. Bundesgesetze können sie unter
jeweils bestimmten Gegebenheiten vorsehen bei Angelegenheiten der Verteidigung,
des Wehrersatzwesens und des Zivilschutzes (Art. 87b II GG), der Erzeugung
und Nutzung der Kernenergie (Art. 87c GG), der Luftverkehrsverwaltung
(Art. 87d II GG), der Bundeswasserstraßenverwaltung (Art. 89 II 3
GG), der Bundesfernverkehrsstraßen (Art. 90 II, III GG), der Zölle,
Finanzmonopole und bundesgesetzlich geregelten Verbrauchsteuern
(Art. 108 IV 1, I GG) und des Lastenausgleichs (Art. 120a GG).
Bei der Landesverwaltung mit Weisungsmöglichkeit des Bundes
kann ein einfaches Bundesgesetz auch das Verwaltungsverfahren regeln und kann
die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats (auf Grund von
Zustimmungsgesetzen auch ein Bundesminister, vgl. BVerfGE 26, 399) allgemeine
Verwaltungsvorschriften erlassen (Art. 85 II 1 GG). Die Bundesregierung kann
die einheitliche Ausbildung der Beamten und Angestellten regeln (Art. 85 II 2
GG). Die Leiter der Mittelbehörden sind mit ihrem Einvernehmen zu bestellen
(Art. 85 II 3 GG).
Die Landesbehörden unterstehen (außerdem auch einzelnen) Weisungen
der zuständigen obersten Bundesbehörden. Die Weisungen sind grundsätzlich an
die obersten Landesbehörden zu richten, können bei Dringlichkeit aber auch
nachgeordneten Landesbehörden erteilt werden. Die obersten Landesbehörden haben
den Vollzug der Weisungen sicherzustellen (Art. 85 III GG).
Die Bundesaufsicht erstreckt sich auf die Gesetzmäßigkeit
der Ausführung (Rechtsaufsicht) und die Zweckmäßigkeit der
Ausführung (Fachaufsicht). Zur Verwirklichung der Aufsicht kann die
Bundesregierung Bericht und Vorlage der Akten von den Landesbehörden verlangen.
Außerdem kann sie Beauftragte zu allen Landesbehörden entsenden (Art. 85 IV
GG).
bb) Landesverwaltung in Ausführung von Bundesgesetzen
als eigene Angelegenheit (Bundes[rechts]aufsichtsverwaltung)
Führen die Länder, wie dies nach Art. 83 GG die Regel ist, von der die Bundesverwaltung und die Landesverwaltung mit Weisungsmöglichkeit des Bundes (Bundesauftragsverwaltung) Ausnahmen bilden, die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, so regeln sie die Einrichtung der in jedem Fall Landesbehörden bleibenden Behörden und das Verwaltungsverfahren, sofern nicht Bundesgesetze mit Zustimmung des Bundesrats (d. h. Zustimmungsgesetze) etwas anderes bestimmen (Art. 84 I 1 GG). Die Bundesregierung (und auf Grund Zustimmungsgesetzes auch ein Bundesminister) kann mit Zustimmung des Bundesrats allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen (Art. 84 II GG). Die Bundesregierung übt die Aufsicht über die Gesetzmäßigkeit der Ausführung durch die Länder aus (Rechtsaufsicht), nicht auch die Aufsicht über die Zweckmäßigkeit der Ausführung (Fachaufsicht).
Zum Zweck der Rechtsaufsicht kann die Bundesregierung
Beauftragte zu den obersten Landesbehörden, mit Zustimmung der obersten
Landesbehörden oder hilfsweise des Bundesrats auch zu den nachgeordneten
Behörden, entsenden (Art. 84 III GG). Werden von der Bundesregierung festgestellte
Ausführungsmängel nicht beseitigt, so entscheidet auf Antrag der
Bundesregierung oder des Landes der Bundesrat über eine mögliche
Rechtsverletzung, wogegen das Bundesverfassungsgericht angerufen werden kann
(Art. 84 IV GG). Durch Zustimmungsgesetz kann der Bundesregierung die Befugnis
zu Einzelweisungen in besonderen Fällen erteilt werden, wobei die Weisungen
grundsätzlich an die obersten Landesbehörden zu richten sind (Art. 84 V GG,
beachte auch Art. 115f I Nr. 2 GG).
cc) Landesverwaltung als Vollzug von Landesgesetzen
Die Landesbehörden vollziehen (außer Bundesgesetzen [in
Bundesauftragsverwaltung oder in Bundesrechtsaufsichtsverwaltung] auch) die
Landesgesetze.
4. Verwaltungsverfahren
Das Verwaltungsverfahren muss (von Verfassungs wegen) die
Grundrechte (z. B. Menschenwürde) beachten. Es muss allgemeine rechtsstaatliche
Grundsätze wahren (z. B. Verhältnismäßigkeit). Im Einzelnen bestimmen die
Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder die Zuständigkeiten, den
Ablauf, und die Rechtsbehelfe des Verwaltungsverfahrens.
III. Rechtsprechung
1. Wesen
Rechtsprechung ist die Entscheidung über einzelne
Streitfälle durch Rechtsanwendung seitens einer zuständigen, von der
vollziehenden Gewalt getrennten Stelle. Sie ist Anwendung des überwiegend von
der gesetzgebenden Gewalt geschaffenen Rechts. Sie ist trotz unvollständiger
Durchführung der Gewaltentrennung (z. B. Registerführung durch Gerichte,
Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten oder Disziplinarverstößen durch Verwaltung)
im Grundsatz den Richtern anvertraut und wird durch das
Bundesverfassungsgericht, durch die in der Verfassung vorgesehenen
Bundesgerichte und durch die Gerichte der Länder ausgeübt.
2. Gerichtsverfassung
Bundesgerichte sind das Bundesverfassungsgericht, oberste
Gerichtshöfe des Bundes und besondere Bundesgerichte.
a) Bundesverfassungsgericht
Das Bundesverfassungsgericht besteht aus Bundesrichtern
und anderen Mitgliedern (Art. 94 I 1 GG). Sie dürfen weder dem Bundestag, dem
Bundesrat, der Bundesregierung noch entsprechenden Organen eines Landes
angehören (Art. 94 I 3 GG). Ein Bundesgesetz regelt seine Verfassung und das
Verfahren und bestimmt, in welchen Fällen seine Entscheidungen Gesetzeskraft
haben (Art. 94 II 1 GG).
Das Bundesverfassungsgericht ist in zwei Senate mit
gesetzlich festgelegten Zuständigkeiten gegliedert, welche die Einheitlichkeit
der Rechtsprechung mittels Plenarentscheidungen wahren können. Jeder Senat
umfasst acht Richter, von denen jeweils die Hälfte vom Bundestag und vom
Bundesrat gewählt werden (Art. 94 I 2 GG). Drei Richter jedes Senats werden aus
den Richtern der obersten Bundesgerichte gewählt. Jeder Richter muss mit einer
Zweidrittelmehrheit des Wahlgremiums gewählt werden. Jeder Richter muss die
Richteramtsbefähigung haben. Die Amtszeit dauert 12 Jahre, jedoch höchstens bis
zur Vollendung des 68. Lebensjahrs. Wiederwahl ist ausgeschlossen. Als
berufliche Tätigkeit darf gleichzeitig nur die Tätigkeit als Rechtslehrer an
einer deutschen Hochschule ausgeübt werden. Die Senate bilden Kammern zu je
drei Richtern.
Neben dem Bundesverfassungsgericht stehen die besonderen
Verfassungsgerichte der Länder.
b) Oberste Gerichtshöfe des Bundes
Für die Gebiete der ordentlichen Gerichtsbarkeit, der
Verwaltungsgerichtsbarkeit, der Finanzgerichtsbarkeit, der Arbeitsgerichtsbarkeit
und der Sozialgerichtsbarkeit hat der Bund als oberste Gerichtshöfe den
Bundesgerichtshof, das Bundesverwaltungsgericht, den Bundesfinanzhof, das
Bundesarbeitsgericht und das Bundessozialgericht errichtet (Art. 95 I GG). Die
Berufung der Richter erfolgt durch einen Richterwahlausschuss (Art. 95 II GG).
Zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung ist ein Gemeinsamer Senat zu
bilden (Art. 95 III GG).
c) Bundesgerichte
Für einzelne besondere Angelegenheiten kann der Bund
Bundesgerichte errichten (Art. 96 GG).
d) Ausnahmegerichte
Ausnahmegerichte, d. h. zur Entscheidung einzelner Fälle
besonders gebildete Gerichte, sind unzulässig (Art. 101 I 1 GG).
e) Besondere Gerichte
Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz
errichtet werden (Art. 101 II GG, z. B. Jugendgericht, Familiengericht, Kammer
für Handelssachen).
3. Zuständigkeit
a) Bundesverfassungsgericht
Das Bundesverfassungsgericht hat die Zuständigkeit in den
ihm durch die Verfassung und in den ihm durch Bundesgesetz zugewiesenen Fällen.
aa) Organstreitigkeit
Das Bundesverfassungsgericht entscheidet über die
Auslegung der Verfassung aus Anlass von Streitigkeiten über den Umfang der
Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans (z. B. Bundestag, Bundesrat,
Bundesregierung, Bundeskanzler, Bundespräsident, nicht Volk) oder anderer
Beteiligter (z. B. Partei, Bundestagsabgeordneter), die durch die Verfassung
oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten
ausgestattet sind (Art. 93 I Nr. 1 GG, nicht z. B. Mehrheit des Bundestags,
Minderheit des Bundestags), sofern der Antragsteller geltend macht, dass er
durch eine bestimmte Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in seinen
verfassungsmäßigen Rechten verletzt oder unmittelbar gefährdet sei, und das verletzte
Recht ausdrücklich benennt.
bb) Meinungsverschiedenheit über Rechte und Pflichten
von Bund und Ländern
Das Bundesverfassungsgericht entscheidet auf Antrag der
Bundesregierung oder einer Landesregierung bei Meinungsverschiedenheiten über
Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder, insbesondere bei der Ausführung
von Bundesrecht durch die Länder und bei der Ausübung der Bundesaufsicht (Art.
93 I Nr. 3 GG).
cc) Andere öffentlichrechtliche Streitigkeiten zwischen
Bund und Ländern
Das Bundesverfassungsgericht entscheidet in anderen
öffentlichrechtlichen Streitigkeiten zwischen dem Bund und den Ländern,
zwischen verschiedenen Ländern oder innerhalb eines Landes, soweit nicht ein
anderer Rechtsweg gegeben ist (Art. 93 I Nr. 4 GG).
dd) Abstrakte Normenkontrolle
Das Bundesverfassungsgericht entscheidet bei
Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche und sachliche
Vereinbarkeit von Bundesrecht (z. B. Bundeshaushaltsgesetz, Vertragsgesetz nach
Art. 59 II GG) oder Landesrecht (z. B. Gesetz eines anderen Bundeslands) mit
der Verfassung (auch eines Verfassungssatzes mit einem übergeordneten
allgemeinen Rechtsgrundsatz) oder die Vereinbarkeit von Landesrecht mit
sonstigem Bundesrecht auf Antrag der Bundesregierung, einer Landesregierung
oder eines Drittels der Mitglieder des Bundestags (Art. 93 I Nr. 2 GG). Sieht
das Bundesverfassungsgericht trotz verfassungskonformer Auslegung das geprüfte
Bundesrecht oder Landesrecht als mit dem Grundgesetz oder anderem Bundesrecht
unvereinbar an, erklärt es den betreffenden Rechtssatz als nichtig oder zur
Vermeidung eines rechtssatzlosen Zwischenzustands auch nur als
verfassungswidrig oder sogar nur als für die Zukunft abänderungsbedürftig. Der
Entscheidung kommt nach § 31 II BVerfGG Gesetzeskraft zu, doch entfällt damit
nicht zugleich auch ohne weiteres das auf dem nichtig erklärten Rechtssatz
beruhende bisherige staatliche Handeln als rechtswidrig.
Das Bundesverfassungsgericht entscheidet auf Antrag des
Bundesrats, einer Landesregierung oder der Volksvertretung eines Landes auch
bei Meinungsverschiedenheiten darüber, ob ein Gesetz wegen der Herstellung
gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder wegen der Wahrung der
Rechtseinheit oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse als
bundesgesetzliche Regelung erforderlich ist (Art. 93 I Nr. 2a, 72 II GG).
ee) Inzidente Normenkontrolle
Hält ein Gericht ein (formelles, nachkonstitutionelles)
Gesetz (nicht Rechtsverordnung), auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung
ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, (wenn es
sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung
des für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Gerichts des Landes,) wenn sich
um eine Verletzung der Verfassung des Bundes handelt, die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts einzuholen (Art. 100 I 1 GG). Dies gilt auch, wenn es
sich um die Verletzung der Verfassung des Bundes durch Landesrecht oder um die
Unvereinbarkeit eines Landesgesetzes mit einem Bundesgesetz handelt (Art. 100 I
2 GG). Ist in einem Rechtsstreit zweifelhaft, ob eine Regel des Völkerrechts
Bestandteil des Bundesrechts ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten
für den Einzelnen erzeugt, so hat das Gericht die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts einzuholen (Art. 100 II GG). Will das
Verfassungsgericht eines Landes von einer Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts oder des Verfassungsgerichts eines andern Landes
abweichen, so hat das Verfassungsgericht die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts einzuholen (Art. 100 III GG).
ff) Meinungsverschiedenheiten über Fortgelten als
Bundesrecht
Meinungsverschiedenheiten über das Fortgelten vor
Inkrafttreten der Verfassung entstandenen Rechts als Bundesrecht entscheidet
das Bundesverfassungsgericht (Art. 126 GG).
gg) Verfassungsbeschwerde
Das Bundesverfassungsgericht entscheidet über
Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Behauptung erhoben werden
können, selbst, unmittelbar und gegenwärtig durch die (deutsche) öffentliche
Gewalt (gesetzgebende Gewalt, vollziehende Gewalt, rechtsprechende Gewalt) in einem
seiner Grundrechte (Art. 1-19 IV GG) oder in einem seiner in Art. 20 IV, 33,
38, 101, 103 oder 104 enthaltenen Rechte verletzt (oder gefährdet) zu sein
(Art. 93 I Nr. 4a GG), und über Verfassungsbeschwerden von Gemeinden und
Gemeindeverbänden wegen Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung nach Art. 28
GG durch ein Gesetz, sofern nicht Beschwerde bei dem zuständigen
Landesverfassungsgericht wegen Verletzung durch ein Landesgesetz erhoben werden
kann (Art. 93 I Nr. 4b GG). Vor der Erhebung einer Verfassungsbeschwerde müssen
grundsätzlich alle sonst verfügbaren Verfahrensmöglichkeiten zur Beseitigung
der Verletzung ausgeschöpft sein (vgl. Art. 90 II 1 BVerfGG). Es muss die
Einlegungsfrist gewahrt sein.
Die Verfassungsbeschwerde muss vom Bundesverfassungsgericht besonders angenommen werden (§ 93a BVerfGG). Sie ist anzunehmen, wenn sie entweder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung hat oder wenn es zur Durchsetzung anerkannter Rechte (§ 90 I BVerfGG) angezeigt ist. Eine aus drei Bundesverfassungsrichtern bestehende Kammer kann ohne mündliche Verhandlung durch einstimmigen Beschluss die Verfassungsbeschwerde annehmen und ihr stattgeben oder sie (ohne Begründung) ablehnen (§§ 93bff. BVerfGG).
Nimmt die Kammer weder an noch lehnt sie ab, so kann der
Senat mit drei bejahenden Stimmen die Verfassungsbeschwerde annehmen oder sie
ablehnen.
Gibt das Bundesverfassungsgericht einer
Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung statt, so hebt es die Entscheidung
auf. Gibt es einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz statt, erklärt es das
Gesetz für nichtig. Stets muss es dabei angeben, welcher Rechtssatz der
Verfassung durch welches staatliche Verhalten verletzt ist (§ 95 I 1 BVerfGG).
hh) Wahlprüfung
Über die Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundestags
bei der Wahlprüfung oder in der Frage, ob ein Abgeordneter des Bundestags die
Mitgliedschaft verloren hat, entscheidet das Bundesverfassungsgericht (Art. 41
II GG).
ii) Bundespräsidentenanklage
Über eine Anklage des Bundestags oder des Bundesrats gegen
den Bundespräsidenten wegen vorsätzlicher Verletzung des Grundgesetzes oder
eines andern Bundesgesetzes vor dem Bundesverfassungsgericht entscheidet das
Bundesverfassungsgericht (Art. 61 I 1 GG).
jj) Bundesrichteranklage
Wenn ein Bundesrichter gegen die Grundsätze der
Bundesverfassung oder gegen die verfassungsmäßige Ordnung eines Landes
verstößt, kann auf Antrag des Bundestags das Bundesverfassungsgericht anordnen,
dass der Richter in ein anderes Amt oder in den Ruhestand zu versetzen oder bei
Vorsatz zu entlassen ist (Art. 98 II GG, beachte Art. 98 V GG).
kk) Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei
Über die Frage der Verfassungswidrigkeit einer Partei
entscheidet das Bundesverfassungsgericht (Art. 21 II 2 GG).
ll) Verwirkung von Grundrechten
Die Verwirkung von Grundrechten und ihr Ausmaß werden vom
Bundesverfassungsgericht ausgesprochen (Art. 18 S. 2 GG).
b) Oberste Gerichtshöfe des Bundes und Bundesgerichte
Die Zuständigkeit bestimmt sich nach den besonderen
Verfahrensgesetzen (beachte Art. 99 GG).
3. Unabhängigkeit der Richter
Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen
(Art. 97 I GG). Die hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richter
können wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur aus
Gründen und unter den Formen, welche die Gesetze bestimmen, vor Ablauf ihrer
Amtszeit entlassen oder dauernd oder zeitweise ihres Amts enthoben oder an eine
andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt werden. Allerdings kann die
Gesetzgebung Altersgrenzen festsetzen, bei deren Erreichung auf Lebenszeit
angestellte Richter in den Ruhestand treten. Außerdem können bei Veränderung
der Einrichtung der Gerichte oder ihrer Bezirke Richter an ein anderes Gericht
versetzt oder aus dem Amt entfernt werden, jedoch nur unter Belassung des
vollen Gehalts (Art. 97 II GG).
Die Rechtsstellung der Bundesrichter ist durch besonderes
Bundesgesetz, die Rechtsstellung der Richter in den Ländern durch besondere
Landesgesetze zu regeln (Art. 98 I, III GG).
4. Gesetzlicher Richter
Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden
(Art. 101 I 2 GG). Gesetzlicher Richter ist der durch den
Geschäftsverteilungsplan des Gerichts für das Geschäftsjahr im voraus als für
bestimmte Angelegenheiten allgemein zuständig festgelegte Richter. Seine
Festlegung soll verhindern, dass das Ergebnis eines Einzelfalls durch gezielte
Auswahl eines Richters beeinflusst wird.
5. Rechtliches Gehör
Vor Gericht hat jeder Anspruch auf rechtliches Gehör (Art.
103 I GG). Jeder, dem gegenüber eine gerichtliche Entscheidung wirkt, hat einen
Anspruch darauf, vor der Entscheidung durch Stellungnahme das Verfahren und
sein Ergebnis beeinflussen zu können. Das Gericht muss die Ausführungen der
Beteiligten zur Kenntnis nehmen und angemessen berücksichtigen.
6. Faires Verfahren
Jeder hat ein Recht auf ein faires, dem Rechtsstaat
angemessenes Verfahren. Er darf nicht zum bloßen Objekt des Verfahrens gemacht
werden. Ihm muss wirksamer Rechtsschutz zuteil werden.
7. Strafverfahrensrechtliche
Sicherungen
a) Todesstrafe
Die Todesstrafe ist abgeschafft (Art. 102 GG).
b) Vorangehende
gesetzliche Bestimmung der Strafbarkeit
Eine Tat kann grundsätzlich (anders bei Kriegsverbrechen
oder extremem staatlichem Unrecht) nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit
gesetzlich (durch förmliches Gesetz oder durch auf förmlichem, Voraussetzungen
der Strafbarkeit, Art und Höchstmaß der Strafe bereits erkennen lassendem
Gesetz beruhender Rechtsverordnung oder Satzung) bestimmt war, bevor die Tat begangen
wurde (Art. 102 II GG, nulla poena sine lege, nullum crimen sine lege).
c) Verbot zweimaliger Bestrafung
Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen
Strafgesetze mehrmals bestraft werden (Art. 103 III GG, ne bis in idem).
Mit der ersten Entscheidung über eine Bestrafung ist der Strafanspruch des
Staates grundsätzlich verbraucht. Zulässig ist neben einem Strafverfahren ein
Disziplinarverfahren, ein Ehrengerichtsverfahren, ein Zivilverfahren, ein
summarisches Verfahren (z. B. Strafbefehl) oder ein ausländisches Verfahren
(zweifelhaft zumindest innerhalb der Europäischen Union).
8. Sonstige Verfahrensvorschriften
a) Bundesverfassungsgericht
Für das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht gilt das Bundesverfassungsgerichtsgesetz sowie die vom Bundesverfassungsgericht beschlossene Geschäftsordnung. Danach können unzulässige Anträge oder offensichtlich unbegründete Anträge durch einstimmigen Beschluss der zuständigen Kammer oder des zuständigen Senats verworfen werden. Grundsätzlich entscheidet das Bundesverfassungsgericht auf Grund einer mündlichen Verhandlung, doch kann auf diese verzichtet werden.
Auf Grund mündlicher Verhandlung wird durch Urteil,
ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entschieden. Die Entscheidung
wird grundsätzlich durch die Mehrheit der Stimmen getroffen, doch kann auch
eine qualifizierte Mehrheit oder Einstimmigkeit erforderlich sein. Bei
Stimmengleichheit ist ein Verstoß gegen die Verfassung oder gegen sonstiges
Bundesrecht nicht festgestellt.
Entscheidungsformel und tragende Entscheidungsgründe
binden Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und
Behörden (§ 31 I BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht selbst darf aber von
seiner früheren Rechtsprechung später abweichen. Bei der Normenkontrolle hat
die Entscheidungsformel Gesetzeskraft (§ 31 II BVerfGG).
Eine einstweilige Anordnung kann das
Bundesverfassungsgericht erlassen, wenn die Streitsache noch nicht zur
Entscheidung reif ist und eine vorläufige Regelung dringend geboten ist, um
schwere Nachteile abzuwenden, drohende Gewalt zu verhindern oder ein anderes
wichtiges Interesse des allgemeinen Wohls zu wahren (§ 32 BVerfGG).
b) Oberste
Gerichtshöfe des Bundes und besondere Bundesgerichte
Es gelten die allgemeinen Verfahrensgesetze der jeweiligen
Gerichtsbarkeit.
IV. Finanzwesen (Art. 104aff. GG)
Außerhalb von
Gesetzgebung, Vollziehung und Rechtsprechnung ordnet die Verfassung wegen der
besonderen Bedeutung das Finanzwesen( im Bundesstaat).
1. Ausgabentragung
Der Bund und die Länder tragen grundsätzlich gesondert die
Ausgaben, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben (Art. 104a I GG).
Der Bund und die Länder tragen die bei ihren Behörden entstehenden
Verwaltungsausgaben und haften im Verhältnis zueinander für eine ordnungsmäßige
Verwaltung. Das Nähere bestimmt ein Bundeszustimmungsgesetz (Art. 104a V GG).
Handeln die Länder unter Weisungsmöglichkeit des Bundes
(Bundesauftragsverwaltung), trägt der Bund die sich daraus ergebenden Ausgaben
(Art. 104a II GG).
Bundesgesetze, die Geldleistungen gewähren und von den
Ländern ausgeführt werden, können bestimmen, dass die Geldleistungen ganz oder
teilweise vom Bund getragen werden. Bestimmt ein solches Gesetz, dass der Bund
mindestens die Hälfte der Ausgaben trägt, wird es unter Weisungsmöglichkeit des
Bundes ausgeführt (Bundesauftragsverwaltung). Bestimmt das Gesetz, dass die
Länder mindestens ein Viertel der Ausgaben tragen, so bedarf es der Zustimmung
des Bundesrats (Art. 104a III GG).
Der Bund kann den Ländern Finanzhilfen für besonders bedeutsame
Investitionen der Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände) gewähren, die zur
Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, zum Ausgleich
unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet oder zur Förderung des
wirtschaftlichen Wachstums erforderlich sind (Art. 104a IV GG).
2. Einnahmenverteilung
Die wichtigste Einnahme ist die Steuer als die einmalige
oder laufende Geldleistung, die keine Gegenleistung für eine besondere Leistung
darstellt, vor allem zur Erzielung von Einnahmen für den allgemeinen
Finanzbedarf und gegebenenfalls auch der politischen Gestaltung eines
öffentlichen Gemeinwesens dient und allen auferlegt wird, bei denen der
Tatbestand des betreffenden Gesetzes vorliegt.
Die Einnahmen sind vertikal zwischen Bund, Ländern und
Gemeinden und horizontal zwischen den Ländern verteilt.
a) Vertikale Verteilung
aa) Bund
Dem Bund stehen zu der Ertrag der Finanzmonopole (z. B.
Branntweinmonopol, Lotteriemonopol) und das Aufkommen der (am Übergang von
Waren an einer Zollgrenze als indirekte Steuer erhobenen) Zölle (, das
weitgehend den Europäischen Gemeinschaften bzw. der Europäischen Union zugute
kommt), der Verbrauchsteuern (z. B. Tabaksteuer, Mineralölsteuer) (, soweit es
nicht den Ländern, Bund und Ländern gemeinsam oder den Gemeinden zusteht,) der
Straßengüterverkehrsteuer, der Kapitalverkehrsteuer, der Versicherungsteuer,
der Wechselsteuer, der einmaligen Vermögensabgaben und der zur Durchführung des
Lastenausgleichs erhobenen Ausgleichsabgaben, der Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer
und zur Körperschaftsteuer sowie der Abgaben im Rahmen der Europäischen
Gemeinschaften (Art. 106 I GG).
bb) Länder
Den Ländern steht das Aufkommen der Erbschaftsteuer, der
Kraftfahrzeugsteuer, der Verkehrsteuern (, soweit es nicht dem Bund oder dem
Bund und den Ländern gemeinsam zusteht,) der Biersteuer und der Abgaben von
Spielbanken zu (Art. 106 II GG).
cc) Bund und Länder
Dem Bund und den Ländern als Steuerverbund gemeinsam steht
das Aufkommen der Einkommensteuer, der Körperschaftsteuer und der Umsatzsteuer
zu (, soweit es nicht den Gemeinden zugewiesen wird). Am Aufkommen der
Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer sind Bund und Länder je zur Hälfte
beteiligt. Die Anteile an der Umsatzsteuer werden durch Bundeszustimmungsgesetz
festgelegt (Art. 106 IIIff. GG).
dd) Gemeinden
Die Gemeinden erhalten einen Anteil an dem Aufkommen der
Einkommensteuer und der Umsatzsteuer (Art. 106 V, VI GG) sowie das Aufkommen
der Grundsteuer und Gewerbesteuer, die Gemeinden oder Gemeindeverbände das
Aufkommen der örtlichen Verbrauchsteuern und Aufwandsteuern (Art. 106 Iff. GG).
b) Horizontale Verteilung
Das Aufkommen der Landessteuern und der Länderanteil am
Aufkommen der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer stehen den einzelnen
Ländern insoweit zu, als die Steuern von den Finanzbehörden in ihrem Gebiet
vereinnahmt werden (örtliches Aufkommen). Der Länderanteil am Aufkommen der
Umsatzsteuer steht den einzelnen Ländern grundsätzlich nach Maßgabe ihrer
Einwohnerzahl zu (Art. 107 I GG). Durch Bundeszustimmungsgesetz ist
sicherzustellen, dass die unterschiedliche Finanzkraft der Länder durch
Ausgleichzuweisungen unter den Ländern, gegebenenfalls auch durch
Ergänzungszuweisungen des Bundes, angemessen ausgeglichen wird (Art. 107 II GG,
Finanzausgleich).
3. Gesetzgebungszuständigkeit
Die Gesetzgebungszuständigkeit (im Finanzwesen) ist auf
Bund und Länder verteilt. Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung
über Zölle und Finanzmonopole und die konkurrierende Gesetzgebung über die
übrigen Steuern, wenn ihm das Aufkommen dieser Steuern ganz oder teilweise
zusteht oder die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet
oder die Wahrung der Rechtseinheit oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen
Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht. Die Länder
haben die Gesetzgebung über die örtlichen Verbrauchsteuern (z. B.
Getränkesteuer, Speiseeissteuer) und Aufwandsteuern (z. B. Jagdsteuer), solange
und soweit sie nicht bundesgesetzlich geregelten Steuern gleichartig sind,
sowie über die Kirchensteuer. Bundesgesetze über Steuern, deren Aufkommen
(auch) den Ländern oder Gemeinden zufließt, bedürfen der Zustimmung des
Bundesrats (Art. 105, 140 GG, 137 VI WRV).
4. Verwaltung
Die Verwaltung des Finanzwesens ist auf Bund und Länder
verteilt. Zölle, Finanzmonopole, die bundesgesetzlich geregelten
Verbrauchsteuern einschließlich der Einfuhrumsatzsteuer und die Abgaben im
Rahmen der Europäischen Gemeinschaften werden (in bundeseigener Verwaltung mit
eigenem Verwaltungsunterbau) durch Bundesfinanzbehörden verwaltet, wobei die
Leiter der Mittelbehörden (Oberfinanzdirektionen) im Benehmen mit den
Landesregierungen zu bestellen sind (Art. 108 I GG). Die übrigen Steuern werden
durch Landesfinanzbehörden verwaltet, wobei die Leiter der Mittelbehörden
(Oberfinanzdirektionen) im Einvernehmen mit der Bundesregierung zu bestellen
sind (Art. 108 II GG). Fließen diese Steuern (auch) dem Bund zu, verwalten die
Länder unter Weisungsmöglichkeit des Bundes (Bundesauftragsverwaltung, Art. 108 III GG), fließen die Steuern nur
den Ländern oder Gemeinden zu, verwalten sie sie als eigene Angelegenheiten. Mit Zustimmung des Bundesrats kann der Bund
allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen (Art. 108 VII GG, z. B. Steuerrichtlinien).
Die Verwaltung der den Gemeinden zufließenden Steuern kann den Gemeinden
(Gemeindesteueramt) übertragen werden (Art. 108 IV 2 GG).
Die Oberfinanzdirektion ist in ihrer Abteilung für
Zölle, Verbrauchsteuern und Bundesvermögen Bundesbehörde, in ihrer Abteilung
für Besitzsteuern, Verkehrsteuern, Landesvermögen und Bauangelegenheiten
Landesbehörde. Der Oberfinanzpräsident ist Bundesbeamter und Landesbeamter. Der
Bund kann den Aufbau der Landesfinanzbehörden, das anzuwendende Verfahren und
die Finanzbeamtenausbildung durch Bundeszustimmungsgesetz regeln (Art. 108 II,
V GG).
5. Rechtsprechung
Die Finanzgerichtsbarkeit (Finanzgerichte und
Bundesfinanzhof) ist eine besondere Verwaltungsgerichtsbarkeit. Sie entscheidet
über Klagen gegen Steuerbescheide und Zollbescheide. Dabei ist das
erstinstanzliche Finanzgericht als Landesgericht auch für Bescheide von
Bundesfinanzbehörden zuständig.
6. Haushaltswesen
Bund und Länder sind in ihrer Haushaltswirtschaft
grundsätzlich selbständig und voneinander unabhängig (Art. 109 I GG, Haushaltstrennung).
Sie haben jedoch beide den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen
Gleichgewichts Rechnung zu tragen (Art. 109 II GG). Durch
Bundeszustimmungsgesetz können gemeinsam geltende Grundsätze für
Haushaltsrecht, Haushaltswirtschaft und mehrjährige Finanzplanung aufgestellt
werden, zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts
können durch Bundeszustimmungsgesetz besondere Vorschriften erlassen werden
(Art. 109 IIff. GG).
Alle Einnahmen und Ausgaben sind in voller Höhe (Bruttoprinzip)
in den Haushaltsplan einzustellen (Grundsatz der Einheit). Der Haushaltsplan
wird für ein oder mehrere Jahre, nach Jahren getrennt (Annuität), vor
Beginn durch (förmliches) Haushaltsgesetz festgestellt (Art. 110 I, II
GG). Der Haushalt muss klar, vollständig und ausgeglichen sein. Mittel, die
unter einem bestimmten Titel für einen bestimmten Zweck ausgewiesen sind,
dürfen nicht für einen anderen Zweck verwendet werden (Spezialität). Im
Einzelnen gilt für den Bundeshaushalt die besondere Bundeshaushaltsordnung.
Gesetze, welche die von der Bundesregierung
vorgeschlagenen Ausgaben des Haushaltsplans erhöhen oder neue Ausgaben in sich
schließen oder für die Zukunft mit sich bringen, bedürfen der Zustimmung der
Bundesregierung (Art. 113 I 1 GG).
7. Rechnungswesen
Der Bundesminister der Finanzen hat dem Bundestag und dem
Bundesrat über alle Einnahmen und Ausgaben sowie über das Vermögen und die
Schulden im Lauf des nächsten Regierungsjahrs zur Entlastung der
Bundesregierung Rechnung zu legen (Art. 114 I GG). Der Bundesrechnungshof,
dessen Mitglieder richterliche Unabhängigkeit haben, prüft die Rechnung sowie
die Wirtschaftlichkeit und Ordnungsmäßigkeit der Haushaltsführung und
Wirtschaftsführung (Art. 114 II GG). Die Bürger sind dadurch aber vor
unangemessener Erhöhung der Abgabenlast noch nicht ausreichend gesichert.
V. Staatsschutz
1. Wehrwesen
Durch Änderung des Grundgesetzes vom 26. 3. 1954 hat der
Bund die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit für die Verteidigung,
einschließlich der Wehrpflicht. Seit dem Gesetz über den Beitritt der
Bundesrepublik Deutschland zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag
vom 24. 3. 1955 (Nordatlantische Verteidigungsorganisation, NATO) können in
Deutschland Streitkräfte aufgestellt werden. Nach Art. 12a I GG können Männer
vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im
Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden. Die Wehrpflicht
betrifft Deutsche im Sinn des Grundgesetzes, die ihren ständigen Aufenthalt in
der Bundesrepublik Deutschland haben oder ihren ständigen Aufenthalt zwar
außerhalb Deutschlands haben, aber entweder ihren früheren ständigen Aufenthalt
in Deutschland hatten oder einen Pass oder eine Staatsangehörigkeitsurkunde
Deutschlands haben oder sich auf andere Weise ihrem Schutz unterstellt haben (§
1 I WpflG). Die Wehrpflicht endet mit Ablauf des Jahres der Vollendung des 45.
Lebensjahrs bzw. für Offiziere, Unteroffiziere und im Verteidigungsfall des 60.
Lebensjahrs.
Frauen können, wenn im Verteidigungsfall der Bedarf
an zivilen Dienstleistungen im zivilen Sanitätswesen und Heilwesen sowie in der
ortsfesten militärischen Lazarettorganisation nicht auf freiwilliger Grundlage
gedeckt werden kann, vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr bis zum vollendeten
fünfundfünfzigsten Lebensjahr durch Gesetz oder auf Grund Gesetzes zu
derartigen Dienstleistungen herangezogen werden, dürfen aber auf keinen Fall
Dienst mit der Waffe leisten (Art. 12a IV GG).
Nach Art. 4 III GG darf niemand gegen sein Gewissen zum
Kriegsdienst mit der Waffe (allgemein) gezwungen werden.
Wer den Kriegsdienst mit der Waffe (allgemein) aus
Gewissensgründen verweigert, kann (zwar nicht zum Kriegsdienst, aber) zu einem
waffenlosen zivilen Ersatzdienst verpflichtet werden, dessen Dauer die
Dauer des Wehrdienstes nicht übersteigen darf (Art. 12a II GG). Über die
Berechtigung zur Kriegsdienstverweigerung wird in einem besonderen Verfahren
entschieden. Im zivilen Ersatzdienst sind dem allgemeinen Wohl dienende
Aufgaben auszuführen.
Wer zwar wehrpflichtig ist, aber weder zum Wehrdienst noch
zum Ersatzdienst herangezogen ist, kann im Verteidigungsfall durch Gesetz oder
auf Grund eines Gesetzes zu zivilen Dienstleistungen für Zwecke der
Verteidigung in ein Arbeitsverhältnis verpflichtet werden (Art. 12a III GG).
Im Wehrdienstverhältnis gelten die Grundrechte. Während
der Zeit des Wehrdiensts oder Ersatzdiensts können einige Grundrechte
zusätzlich nach Art. 17a GG eingeschränkt werden. Den Schutz der Grundrechte im
Wehrdienst soll der Wehrbeauftragte des Bundestags sicherstellen (Art. 45b GG).
Die Befehlsgewalt und Kommandogewalt über die
Streitkräfte hat im Rahmen der Richtlinien des Bundeskanzlers der
Bundesminister für Verteidigung (Art. 65a GG). Mit der Verkündung des
Verteidigungsfalls geht sie auf den Bundeskanzler über (Art. 115b GG).
Das Parlament kann das Wehrwesen über den Bundestagsausschuss für Verteidigung
und den Wehrbeauftragten kontrollieren (Art. 45a, 45b GG).
Die Verteidigung ist Angelegenheit des Bundes (vgl. Art. 73 Nr. 1, 87a GG). Die Personalverwaltung und die unmittelbare Deckung des militärischen Sachbedarfs werden in bundeseigener Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau geführt. Die Aufgaben des Wehrersatzwesens werden vom dem Bundesministerium für Verteidigung unterstehenden Bundesamt für Wehrverwaltung (Bundesoberbehörde), den Wehrbereichsverwaltungen (Bundesmittelbehörden) und den Kreiswehrersatzämtern (Bundesunterbehörden) ausgeführt.
Die Erfassung der Wehrpflichtigen ist Aufgabe der Länder.
Die Streitkräfte (Heer, Luftwaffe, Marine) dürfen außer
zur Verteidigung nur bei ausdrücklicher Zulassung durch die Verfassung
eingesetzt werden (Art. 87a II GG). Nach Art. 24 II GG kann sich der Bund zur
Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit
einordnen (Art. 24 II GG). Auf dieser Grundlage ist Deutschland den Vereinten
Nationen(, der Westeuropäischen Union) und der Nordatlantischen
Verteidigungsgemeinschaft beigetreten und muss in vertragsgemäßer Weise
deren Mitgliedstaaten gegen Angriffe verteidigen, weshalb Einsätze unter der
Befehlsgewalt der Vereinten Nationen(, der Westeuropäischen Union) und der
Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft zulässig sind.
2. Ausnahmezustand
Durch Aufruhr, Krisen und andere Ereignisse kann eine mit
den gewöhnlichen Mitteln nicht behebbare Störung des staatlichen Lebens
eintreten. Für sie sieht die Verfassung eine Reihe besonderer Regeln vor. Sie
ersetzen oder ergänzen die allgemeinen Regeln.
a) Verteidigungsfall
Verteidigungsfall ist der Fall, dass das Bundesgebiet mit
Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht. Der
Verteidigungsfall muss grundsätzlich vom Bundestag mit Zustimmung des
Bundesrats oder vom Gemeinsamen Ausschuss mit Zweidrittelmehrheit besonders
festgestellt werden. Danach sind bestimmte Sonderregeln anwendbar (Art. 115bff.
GG, Änderungen der Zuständigkeit für Gesetzgebung und Verwaltung).
b) Katastrophenschutz
Zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der
öffentlichen Sicherheit oder Ordnung kann ein Land Kräfte des
Bundesgrenzschutzes, zur Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder einem besonders
schweren Unglücksfall kann ein Land Polizeikräfte anderer Länder, Kräfte und
Einrichtungen anderer Verwaltungen sowie des Bundesgrenzschutzes und der
Streitkräfte anfordern (Art. 35 II GG). Bei Bedarf kann die Bundesregierung
Weisungen erteilen (Art. 35 III GG).
c) Gefahr für den Bestand des Bundes oder eines Landes
Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die
freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann ein
Land Polizeikräfte anderer Länder sowie Kräfte und Einrichtungen anderer
Verwaltungen und des Bundesgrenzschutzes anfordern (Art. 91 I GG, beachte Art.
92 II GG).
3. Verfassungsschutz
Der Schutz der Verfassung ist allgemein allen aufgegeben.
Darüber hinaus ist es Aufgabe aller Verfassungsorgane, die Verfassung zu wahren
und zu beachten. Insbesondere hat das Bundesverfassungsgericht über die
Verfassungsmäßigkeit des Handelns des Staates zu wachen.
Eine Reihe von Verhaltensweisen ist durch die Strafgesetze
unter besondere Strafandrohungen gestellt (z. B. Friedensverrat, Hochverrat,
Landesverrat, §§ 81ff. StGB).
Verwaltungsmäßig betreiben Verfassungsschutz das besondere
Bundesamt für Verfassungsschutz als Zentralstelle für die Sammlung von
Unterlagen für Zwecke des Verfassungsschutzes und die mit ihm
zusammenarbeitenden Landesbehörden.
4. Widerstandsrecht
Gegen jeden, der es unternimmt, die verfassungsmäßige
Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere
Abhilfe nicht möglich ist (Art. 20 IV GG).
§ 7 Verhältnis zu Europarecht und Völkerrecht
I. Europarecht
Das europäische Gemeinschaftsrecht ist, weil die Europäischen Gemeinschaften neue öffentliche Gewalten sind bzw. die Europäische Gemeinschaft neue öffentliche Gewalt ist, die gegenüber der Staatsgewalt der Mitgliedstaaten selbständig und unabhängig sind bzw. ist, in Deutschland ohne besondere Umformung in innerstaatliches Recht verbindlich. Verordnungen sind unmittelbar in jedem Mitgliedstaat verbindlich. Richtlinien sind hinsichtlich des zu erreichenden Ziels für die Mitgliedstaaten verbindlich, überlassen ihnen aber Form und Mittel zur Verwirklichung des Zieles. Im Konfliktsfall besteht ein Anwendungsvorrang für gültiges Europarecht.
II. Völkerrecht
Völkerrecht und staatliches Recht sind zwei getrennte
Rechtsbereiche (Dualismus). Völkerrecht wirkt grundsätzlich nicht
unmittelbar auf staatliches Recht ein. Erst durch eine Umformung oder einen
Anwendungsbefehl wird Völkerrecht staatliches Recht.
In Deutschland sind auf Grund des Art. 25 GG die allgemeinen,
d. h. von der überwiegenden Mehrheit der Staaten anerkannten Regeln des
Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts. Sie gehen den Gesetzen vor und
erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebiets. Allgemeine
Regeln des Völkerrechts sind beispielsweise die Sätze, dass Verträge
einzuhalten sind, dass jedes Volk über sich selbst bestimmen darf, dass jeder
Staat nur auf seinem Gebiet Gewalt ausüben darf, dass Gesandte eine besondere
Rechtsstellung haben oder dass Kriegsgefangene nicht getötet werden dürfen.
Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht
vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören,
insbesondere die Führung eines Angriffskriegs vorzubereiten, sind nach Art. 26
I 1 GG verfassungswidrig (und nach Art. 26 I 2 GG unter Strafe zu stellen).
Die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten,
zu denen der Abschluss von völkerrechtlichen Verträgen und damit die Schaffung
von Völkervertragsrecht zu zählen ist, ist Angelegenheit des Bundes (Art.
32 I GG). Vor dem Abschluss eines Vertrags, der die besonderen Verhältnisse
eines Landes berührt, ist das Land rechtzeitig zu hören (Art. 32 II GG). Soweit
die Länder für die Gesetzgebung zuständig sind, können sie mit Zustimmung der
Bundesregierung mit auswärtigen Staaten Verträge abschließen (Art. 32 III GG).
Die Verträge des Bundes mit auswärtigen Staaten schließt
(ratifiziert) der Bundespräsident im Namen des Bundes (Art. 59 I 2 GG,
nach Einhaltung der innerstaatlichen Zustimmungsvoraussetzungen bzw. Mitwirkungsvoraussetzungen)
durch Übersendung oder Hinterlegung der unterzeichneten und gegengezeichneten
Vertragsurkunde. Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln
oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, bedürfen der
Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung
zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes, durch das der
Vertrag nach Ausfertigung und Verkündung innerstaatliche Geltung erhält. Für
Verwaltungsabkommen gelten die Vorschriften über die Bundesverwaltung
entsprechend (Art. 59 II GG).