Gerhard Köbler
FERNKERNLERNKURS RECHT
Privatrecht
Einleitung
I. Privates und öffentliches
Recht
II. Bürgerliches Gesetzbuch
III. Neuere Entwicklungen
I. Privates Recht und öffentliches Recht
Das Recht im objektiven Sinn ist die
geschichtlich gewachsene Gesamtheit von Rechtssätzen (rechtlichen Verhaltenssätzen) für das
Zusammenleben von Menschen in einer Gemeinschaft. Es dient der Bestimmung und
Verwirklichung der Rechte und Pflichten der einzelnen Mitglieder. Es berechtigt
den Menschen zu einem Tun oder Handeln (z. B. Reden, Gehen, Verkaufen) oder
Nichttun oder Unterlassen (z. B. Nichtreden, Nichtgehen, Nichtverkaufen) und
verbietet ihm unmittelbar oder mittelbar ein anderes Tun (z. B. Töten, Stehlen,
Beleidigen) oder Nichttun (z. B. Nichthelfen, Nichtanzeigen bestimmter schwerer
Verbrechen, Nichtzahlen einer Schuld).
Mit der Entstehung differenzierter menschlicher
Gesellschaften entwickelt sich auch die ziemlich unförmige Verhaltensordnung
Recht zu einem immer vielfältigeren und umfassenderen Gebilde. Seine geistige
Durchdringung durch vertiefte gedankliche Behandlung bewirkt die Notwendigkeit
einer (Verständnis erleichternden) Gliederung. Nach einem ersten Ansatz
bei dem spätklassischen römischen Juristen Ulpian (170-228 n. Chr.) setzt sich
seit Beginn der Neuzeit und verstärkt seit dem 19. Jahrhundert die praktisch
bedeutsame Einteilung des Rechtes in das öffentliche Recht und in das private
Recht durch, um die sich mehrere(, überwiegend überholte) Theorien bemühen.
Als das öffentliche Recht sieht die (am besten
brauchbare) sog. modifizierte Subjektstheorie dabei alle Rechtssätze an, die
(innerhalb aller Rechtssubjekte) den Träger von Hoheitsgewalt (Staatsgewalt)
als solchen betreffen (Abgrenzung im konkreten Einzelfall oft schwierig und
streitig). Träger von Hoheitsgewalt sind dabei beispielsweise Staat (z. B.
Deutschland), Land (z. B. Hessen), Gemeinde (z. B. Fürth), Gemeindeverband,
Universität oder Sozialversicherungsträger. Ihre Rechte und Pflichten in Bezug
auf hoheitliches Handeln ergeben in ihrer Gesamtheit das hauptsächlich in (die
vier Teile) Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Verfahrensrecht (Prozessrecht)
und Strafrecht gliederbare öffentliche Recht. Zur äußerlichen Erscheinung
gebracht und damit leicht für jedermann erkennbar gemacht wird die
Hoheitsgewalt dabei häufig durch eine besondere sichtbare Form (z. B. Uniform).
Demgegenüber ist das private Recht oder Privatrecht
die Gesamtheit aller Rechtssätze, die nicht Hoheitsträger in ihrer Eigenschaft
als Hoheitsträger betreffen. Wird etwa der einzelne Mensch tätig, so
werden seine Handlungen vom Privatrecht erfasst (z.B. Gründung eines Vereines,
Kauf eines Buches, Miete einer Wohnung, Abschluss eines Arbeitsvertrages,
Beschädigen eines Autos bei einem Zusammenstoß, Verpfändung einer Uhr, Schließung
einer Ehe, Errichtung eines Testamentes). Privatrecht gilt auch für die
Tätigkeiten, welche zwar ein Hoheitsträger (z. B. Sozialversicherungsträger),
aber außerhalb seines hoheitlichen Verhaltens ausführt (z. B. Kauf von Heizöl,
Miete von Räumen zu Verwaltungszwecken, Darlehen zur Wohnungsbauförderung).
Das Privatrecht ist als Folge der Differenzierung der
menschlichen Lebensverhältnisse im Laufe seiner Geschichte so umfangreich
geworden, dass es durch die neuzeitliche Rechtswissenschaft weiter untergliedert
werden musste. In Anlehnung an die griechische Philosophie und das
Einführungslehrbuch Institutionen
des römischen Juristen Gaius (um 160 n. Chr.) setzte sich dabei die Gliederung
in das Recht der Personen, das Recht der Sachen und das
Recht der (Klag-)Ansprüche (Forderungen und Klagen bzw. Obligationen, Schulden)
durch (Institutionensystem). In deren Erweiterung durch die wegen ihres
Umfanges abgetrennten Bereiche Familie und Erbe gelangte die deutsche
Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts (Gustav Hugo [1764-1844], Georg Arnold
Heise [1778-1851], Carl Friedrich von Savigny [1779-1861], so genannte
Pandektistik) zu einer Gliederung des „gemeinen Zivilrechts“ in fünf Teile
(Pandektensystem).
Neben dem Personenrecht, dem Schuldrecht,
dem Sachenrecht, dem Familienrecht und dem Erbrecht als
den, inhaltlich durch die allmähliche Aufnahme des römischen Rechtes in das
hergebrachte, in Deutschland geltende, landschaftlich verschiedene Recht im
späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit (Rezeption) mehr oder
weniger deutlich geprägten Hauptstoffen des Privatrechts entwickelten sich vor
allem seit dem 19. Jahrhundert einige zusätzliche Sondermaterien. Sie
betreffen nicht in jedem Fall alle Privatrechtssubjekte in gleichem Maß (z. B. Arbeitsrecht,
Handelsrecht, Gesellschaftsrecht, Wertpapierrecht, Versicherungsrecht,
Urheberrecht, Wettbewerbsrecht, internationales Privatrecht u. a.
m., sog. Sonderprivatrecht). Dennoch bilden alle Gebiete zusammen das somit aus
überkommenen deutschrechtlichen Regeln wie aus aufgenommenen römischrechtlichen
Sätzen wie aus jüngeren, von diesem geschichtlichen Gegensatz befreiten
Neubildungen zusammengesetzte private Recht.
Das in der Gegenwart in Parallele zum Zivilprozess
vielfach auch Zivilrecht (Übersetzung aus lat. ius [N.] civile = das für
die römischen Bürger im Gegensatz zum fremden Nichtrömer geltende Recht)
genannte Privatrecht war während
seiner gesamten geschichtlichen Entwicklung in Deutschland entsprechend dem
allgemeinen geschichtlichen Verlauf wohl stets personenverbandsmäßig bzw.
personal (z. B. die Bayern, die Sachsen, die Franken oder die Alemannen) bzw.
seit dem 12. Jahrhundert gebietsmäßig bzw. territorial (z. B. Österreich,
Westfalen, Hessen, Württemberg) differenziert (partikuläres Recht). Da der
nach Auflösung des in der Neuzeit um die Schweiz und die Niederlande
verkleinerten Heiligen römischen Reichs (1806) (von Thibaut) 1814 angeregte
Versuch, ein einheitliches nationales (bürgerliches) Gesetzbuch (Kodex) für
alle Deutschen aller etwa 40 souverän gewordener deutscher Staaten zu schaffen,
im sog. Kodifikationsstreit am Egoismus der einzelstaatlich denkenden Fürsten
scheiterte, blieb es während der ganzen Zeit des Deutschen Bundes (1815-1866)
bei der Gemengelage aus lokalen und territorialen Einzelbestimmungen (Statuten)
und Gewohnheitsrecht, innerhalb dessen das rezipierte römische Recht eine
besondere, von der universitären Rechtswissenschaft nachdrücklich geförderte
Sonderstellung einnahm. Lediglich im Bereich des Wechselrechtes (1847
Allgemeine Deutsche Wechselordnung) sowie im Bereich des Handelsrechtes (1861
Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch) verstanden sich die deutschen
Einzelstaaten zu einer im Wege paralleler Einzelgesetzgebung erfolgenden Rechtsvereinheitlichung
(sog. allgemeines deutsches Recht [Allgemeine deutsche Wechselordnung 1847, Allgemeines deutsches
Handelsgesetzbuch 1861], vergleichbar mit dem aus der Umsetzung
von Richtlinien der Europäischen Union hervorgehenden europäischen Recht der
Gegenwart).
Im Bereich des allgemeinen Privatrechts griff das
zweite, unter Ausschluss Österreichs, Liechtensteins und Luxemburgs gebildete
Deutsche Reich (1871-1933) unter dem Reichskanzler Otto von Bismarck die Idee
der Rechtseinheit auf dem Gebiet des Privatrechts 1873/1874 wieder auf. Nach
langjährigen Vorarbeiten wurde am 18. 8. 1896 ein deutsches Bürgerliches
Gesetzbuch (BGB) mit insgesamt 2385 Paragraphen verkündet. Es löste in den
meisten privatrechtlichen Sachgebieten das preußische Allgemeine Landrecht
(ALR) von 1794, den linksrheinisch geltenden französischen Code civil (1804),
das sächsische Bürgerliche Gesetzbuch (1863), das gewohnheitsrechtlich geltende
gemeine (weitgehend römisch geprägte) Recht sowie zahlreiche entgegenstehende
ältere Einzelgesetze (Statuten) ab, ohne das Gewohnheitsrecht als Rechtsquelle
grundsätzlich zu beseitigen. In Österreich blieb das 1811 zum 1. 1. 1812
erlassene Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) bestehen, dessen Vorbild
auch eine Reihe Schweizer Kantone nachgeahmt hatte, ehe die Eidgenossenschaft
der Schweiz im Obligationenrecht (1881) und im Zivilgesetzbuch (1907/1912) zur
Privatrechtseinheit fand.
Das zum 1. 1. 1900 als Kodifikation des (Privatrechts
im engeren Sinn oder) bürgerlichen Rechts in Kraft gesetzte Bürgerliche
Gesetzbuch (Reichsgesetzblatt [= RGBl.] 1896, 195ff. [in der Fassung der
Bekanntmachung vom 2. 1. 2002, BGBl. 2002, 42ff.]) wurde begleitet von einer
Anpassung des Handelsrechtes (Handelsgesetzbuch von 1897), der Konkursordnung
(KO) und der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie der erstmaligen Schaffung
einer Grundbuchordnung (GBO 1897), eines Gesetzes über die
Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG 1898) sowie
über die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung (ZVG 1897). Dem
folgten verschiedene Nebengesetze (z. B. Verlagsgesetz 1901, Literatururhebergesetz,
Versicherungsvertragsgesetz, Scheckgesetz). Andere einzelne Teile
des privaten Rechtes blieben durch das Einführungsgesetz zum Bürgerlichen
Gesetzbuch (EGBGB) dem Landesrecht ausdrücklich vorbehalten (sog. Verlustliste
der deutschen Rechtseinheit).
Das in der Folge durch mehr als 150 Gesetze und
Entscheidungen geänderte Bürgerliche Gesetzbuch ist ein recht begriffliches,
ziemlich abstraktes, im Kern nach den Erscheinungsformen des subjektiven
Rechtes (Personenrecht, Schuldrecht, Sachenrecht [Institutionensystem]) und im
Detail in fünf Bücher (Allgemeiner Teil, Schuldrecht, Sachenrecht,
Familienrecht, Erbrecht [Pandektensystem]) gegliedertes Erzeugnis technisch
geschulter Juristen ohne eine überragende schöpferische Persönlichkeit.
Inhaltlich überwiegen die den bürgerlichen Wirtschaftskreisen angemessenen und
vorteiligen liberalistischen Zielvorstellungen (z. B. Vertragsfreiheit,
unbeschränktes Eigentum, Testierfreiheit), zu denen sich patriarchalisch-konservative
Elemente vor allem im Familienrecht (väterliche Gewalt) und im Erbrecht
(Verwandtenerbrecht, Pflichtteilsrecht) sowie vereinzelte soziale Regelungen
(z. B. § 138 BGB Wucherparagraph, §§ 617f. BGB Dienstvertragsrecht, § 829 BGB
Billigkeitshaftung usw.) zugesellen. Mit seiner klaren Systematik und seiner
dogmatischen Gründlichkeit hat es jeweils in Übereinstimmung mit der zeitlich
wechselnden, allgemeinen Bedeutung Deutschlands in der Welt das Recht
zahlreicher Länder (z. B. Japan, Schweiz, Österreich, China, Brasilien,
Thailand, Peru, Griechenland, Italien, Frankreich) beeinflusst.
III. Neuere Entwicklungen
Beträchtliche Änderungen erfolgten vor allem im
Dritten Reich (Gesetz zur Vereinheitlichung des Rechts der Eheschließung und
der Ehescheidung im Lande Österreich und im übrigen Reichsgebiet vom 6. 7. 1938
[Ehegesetz], RGBl. I 807, Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des
Gesetzes zur Vereinheitlichung des Rechts der Eheschließung usw. vom 27. 7.
1938, RGBl. I 932, Gesetz über die Errichtung von Testamenten und Erbverträgen
vom 31. 7. 1938 [Testamentsgesetz], RGBl. I 937). Diese Gesetzesänderungen
wurden nach dem Ende des Dritten Reiches (1945) teilweise wieder rückgängig
gemacht (z.B. Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete des
bürgerlichen Rechtes vom 5. 3. 1953, BGBl. I 33). Andererseits wurde - in
Verwirklichung vorrangiger verfassungsrechtlicher Sätze des Grundgesetzes - vor
allem das Familienrecht durch zahlreiche tiefgreifende Veränderungen
liberalisiert (Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem
Gebiete des bürgerlichen Rechts vom 18. 6. 1957, BGBl. I 609, Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts zu §§ 1628 und 1629 I BGB vom 29. 7. 1959, BGBl. I
633, Gesetz zur Vereinheitlichung und Änderung familienrechtlicher Vorschriften
vom 11. 8. 1961, BGBl. I 1221, Gesetz über die rechtliche Stellung der
nichtehelichen Kinder vom 19. 8. 1969, BGBl. I 1243, Erstes Gesetz zur Reform
des Ehe- und Familienrechts vom 14. 6. 1976, BGBl. I 1421, Gesetz zur
Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge vom 18. 7. 1979, BGBl. I 1061,
Gesetz zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige
vom 12. 9. 1990, BGBl. I 2002, Gesetz zur Änderung adoptionsrechtlicher
Vorschriften vom 4. 12. 1992, BGBl. I 1974, Gesetz zur Neuordnung des
Familiennamensrechts vom 16. 12. 1993, BGBl. I 2054, Gesetz zur Abschaffung der
gesetzlichen Amtspflegschaft vom 4. 12. 1997, BGBl. I 2846, Gesetz zur Reform
des Kindschaftsrechts vom 16. 12. 1997, BGBl. I 2942, Gesetz zur erbrechtlichen
Gleichstellung nichtehelicher Kinder vom 16. 12. 1997, BGBl. I 2968, Gesetz zur
Vereinheitlichung des Unterhaltsrechts minderjähriger Kinder vom 6. 4. 1998,
BGBl. I 666, Gesetz zur Neuordnung des Eheschließungsrechts vom 4. 5. 1998,
BGBl. I 833 usw.). Andere wichtigere gesetzliche Änderungen betreffen unter
Aufnahme früherer Einzelgesetze in das Gesetzbuch das Schuldrecht (Recht der
allgemeinen Geschäftsbedingungen, Mietrecht, Arbeitsrecht,
Sachmangelrecht) und das Personenrecht (Gesetz zur Neuregelung des
Volljährigkeitsalters vom 31. 7. 1974, BGBl. I 1713). Daneben haben auch
Rechtswissenschaft und Rechtspraxis (Richterrecht) das Privatrecht an
vielen Stellen fortentwickelt. Künftig wird das Bürgerliche Gesetzbuch am
stärksten wohl von europäischer Rechtsvereinheitlichung betroffen sein,
welche sich insbesondere über eine Reihe von Richtlinien und diese ausführende
bzw. umsetzende Gesetzgebungsmaßnahmen bereits konkret ausgewirkt hat.
Im Gebiet der zum 7. 10. 1949 begründeten und zum 3.
10. 1990 durch Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland beendeten Deutschen
Demokratischen Republik wurde das Bürgerliche Gesetzbuch zum 1. 1. 1976 zur
Gänze durch das viele Rechtsfiguren erheblich vereinfachende Zivilgesetzbuch
vom 19. 6. 1975 abgelöst, nachdem das Familienrecht bereits durch das
Familiengesetzbuch vom 20. 12. 1965 und das Arbeitsrecht durch das
Arbeitsgesetzbuch vom 12. 4. 1965 besonders geregelt worden waren. Während das
unter Betrieben geltende Vertragsgesetz vom 11. 12. 1957 bzw. vom 25. 2. 1965 die
einer zentralen Planwirtschaft widersprechende Vertragsfreiheit beseitigt
hatte, bestanden andere privatrechtliche Gesetzesregelungen zwar fort, hatten
aber keine große tatsächliche Bedeutung. Durch den (Staatsvertrag vom 18. 5.
1990 und den) Einigungsvertrag vom 31. 8. 1990 wurde das Recht der Deutschen
Demokratischen Republik durch das Recht des Bundesrepublik Deutschland unter
Fortgeltung einzelner Regelungen (z. B. §§ 296, 287-290 DDR-ZGB, vgl. Art. 231
ff. EGBGB) abgelöst.